Festschrift-Helmholtz-Gemeinschaft-web
Festschrift-Helmholtz-Gemeinschaft-web
Festschrift-Helmholtz-Gemeinschaft-web
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Die <strong>Helmholtz</strong>-<strong>Gemeinschaft</strong> in historischer Perspektive<br />
32<br />
forschungseinrichtungen, die AGF, das ‚G‘ anders definieren<br />
wollte als bisher, um das Odium der Größe loszuwerden und<br />
damit der sichtbaren Gefahr zu entgehen, bei allen kommenden<br />
Sparmaßnahmen wieder als Steinbruch des Personalabbaus<br />
verwendet zu werden, so ist der <strong>Helmholtz</strong>-<strong>Gemeinschaft</strong> mit<br />
der Namensgebung doch eine institutionelle Innovation gelungen.<br />
Sie gibt ein Reform- und Leistungsversprechen, das ich –<br />
im Namen der deutschen und europäischen Wissenschaftsorganisationen<br />
– mit Bewunderung und Respekt entgegennehme.<br />
Die <strong>Helmholtz</strong>-<strong>Gemeinschaft</strong> bekennt sich nämlich, wie ich zu<br />
zeigen versuchte und was sie selbst vielleicht noch nicht so<br />
deutlich gesehen hat, durch ihren neuen Namen zur Wissenschaft<br />
als einer internationalen Kultur, zur Einheit von Praxis<br />
und Theorie, zur engen, auf den Grundsatz der Unabhängigkeit<br />
und Gleichheit beruhenden Kooperation von Wissenschaft und<br />
Wirtschaft, zur sozialen Verantwortung bei der Generierung<br />
und Nutzung neuen Wissens und zur ständigen institutionellen<br />
Erneuerung.“<br />
Weiterhin führte Frühwald in seiner programmatischen Festrede<br />
aus, dass der Staat und konkret die für die Großforschungseinrichtungen<br />
zuständige Ministerialbürokratie des Bundes und<br />
der Länder mit ihrer Zustimmung zur Bildung der <strong>Helmholtz</strong>-<br />
<strong>Gemeinschaft</strong> und der neuen Führungsgremien „ein großes<br />
Stück Macht und Einfluß aus der Hand gegeben und dieses<br />
Stück in die Selbstverwaltung der Wissenschaft gelegt hat. Dies<br />
ist in einer Zeit, in der ringsum, nicht allein in Europa, governementale<br />
Strukturen gestärkt werden, in der die Politik- und<br />
die Wirtschaftshörigkeit der Wissenschaft kommandiert wird,<br />
ein bemerkenswerter Vertrauensbeweis in die Leistungsfähigkeit<br />
und den Leistungswillen selbstverwalteter Forschung.“<br />
Frühwald schrieb der <strong>Helmholtz</strong>-<strong>Gemeinschaft</strong> zudem eine hohe<br />
wissenschaftspolitische Verantwortung in ihr Stammbuch. Als<br />
DFG-Präsident wusste er, dass auch die AGF bereits an der<br />
„Heiligen Allianz“ beteiligt und damit in die korporative Gestaltung<br />
bundesdeutscher Wissenschaftspolitik eingebunden gewesen<br />
war. Doch war die AGF und damit deren jeweiliger Vorsitzender<br />
in der informellen Hierarchie der Forschungsorganisationen<br />
gegenüber der Max-Planck-Gesellschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
und der Fraunhofer-Gesellschaft und<br />
deren Präsidenten nachgeordnet. Frühwald erkannte scharfsinnig,<br />
dass die Konstituierung der <strong>Helmholtz</strong>-<strong>Gemeinschaft</strong> die<br />
weitere Integration der Großforschung in die Solidargemeinschaft<br />
der sich als autonom verstehenden Wissenschaftsorganisationen<br />
befördern würde. Von nun an sitze man gemeinsam „in<br />
einem – von stürmischer Brandung bedrohten – Boot“ und<br />
werde für gesellschaftliche Grundfragen wie die friedliche Nutzung<br />
der Kernenergie, die Reaktorsicherheit oder die Wirtschaftlichkeit<br />
von alternativen Energiequellen – „alles sehr heiße politische<br />
Themen, zu denen Wissenschaftsorganisationen<br />
gemeinsam bisher nicht Stellung nehmen mußten“ – eine<br />
gemeinsame Antwort finden müssen.<br />
Als Literaturwissenschaftler beherrschte Frühwald das Metier<br />
der Sprache, und die Dramatik seiner Ausführungen mochten<br />
dem Charakter seiner Festrede vor großem politischen Publikum<br />
geschuldet sein. Und doch lag er mit der Betonung des Charakters<br />
einer Gründung der <strong>Helmholtz</strong>-<strong>Gemeinschaft</strong> als markante,<br />
nachgerade epochale Zäsur der Großforschungsgeschichte<br />
richtig. Im Grunde holte die Großforschung nun nach, was sie<br />
bei der Gründung der AGF ein knappes Vierteljahrhundert zuvor<br />
noch nicht hatte durchsetzen können. Zwar wurde die Frage der<br />
Balance zwischen Dezentralität auf der einen Seite und Zentralität<br />
auf der anderen Seite in den Großforschungs einrichtungen<br />
nach wie vor kontrovers diskutiert. Unter dem gewachsenen<br />
Druck drohender staatlicher Regulierung obsiegte nun aber die<br />
Position, einen Teil der je eigenen institutionellen Autonomie<br />
gegen die gemeinsame wissenschaftliche Unab hängigkeit einzutauschen.<br />
Mit der Einrichtung eines Senats der <strong>Helmholtz</strong>-<br />
<strong>Gemeinschaft</strong> verzichteten die einzelnen Großforschungseinrichtungen<br />
auf einen Teil ihrer Kompetenzen und ordneten sich dem<br />
Rat eines von den Zentren unabhängigen Gremiums unter. Für<br />
die bislang eher auf ihre Unabhängigkeit bedachten Institute<br />
bedeutete dies einen gravierenden und kaum zu überschätzenden<br />
Wandel sowohl ihres Selbstverständnisses als auch ihrer<br />
Rolle im nationalen Wissenschafts- und Innovationssystem.<br />
Ob es einer dezidierten Strategie entsprang, historischer Kontingenz<br />
geschuldet oder gar Zufall war, dass die <strong>Helmholtz</strong>-<strong>Gemeinschaft</strong><br />
im Unterschied zu MPG und FhG nicht den Begriff der<br />
Gesellschaft, sondern den der <strong>Gemeinschaft</strong> wählte, mag dahingestellt<br />
bleiben. Ferdinand Tönnies, der Begründer der Soziologie<br />
in Deutschland, hatte 1887 in seinem Grundlagenwerk<br />
„<strong>Gemeinschaft</strong> und Gesellschaft“ zwischen diese beiden Formen<br />
willentlicher kollektiver Gruppierung unterschieden: Die <strong>Gemeinschaft</strong><br />
genüge sich selbst, während die Gesellschaft von den<br />
jeweiligen Akteuren instrumentell genutzt werden könne. 84 Im<br />
weiteren Ver lauf der deutschen Geschichte, insbesondere in<br />
den „Ideen von 1914“, wurde daraus bisweilen eine fatale Dichotomie<br />
von reiner und tiefer <strong>Gemeinschaft</strong>, die dem Wesen des<br />
deutschen Volkes eigen sei, und oberflächlich-nutzenbezogener<br />
Gesellschaft, die dem Krämertum der angelsächsischen Welt<br />
entspreche, konstruiert. Ein Jahrhundert nach Tönnies grundlegender<br />
Abhandlung wurden <strong>Gemeinschaft</strong> und Gesellschaft<br />
längst nicht mehr in dieser kategorischen Dichotomie gedacht,<br />
wohl aber gezielt als unterschiedliche Formen der Vergesellschaftung<br />
verstanden. 85 Für die Mitgliedseinrichtungen der<br />
<strong>Helmholtz</strong>-Gemein schaft bot der <strong>Gemeinschaft</strong>s- gegenüber<br />
dem Gesellschafts begriff den Vorteil, die Freiwilligkeit des<br />
Zusammen schlusses autonomer Akteure zu betonen und sich<br />
damit von den stärker integrierten Strukturen von MPG und FhG<br />
abzuheben.<br />
Der wohl einschneidendste Wandel in der jüngeren Geschichte<br />
der deutschen Großforschungseinrichtungen stand diesen aber<br />
noch bevor. Um der potenziellen Gefahr entgegenzusteuern, das