herunterladen (PDF) - Filmstiftung Nordrhein-Westfalen
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Oliver Rauch dreht zurzeit im Ruhrgebiet eine Doku über „Jedem Kind<br />
ein Instrument“, eines der Projekte der Ruhr.2010.<br />
Das war jetzt zu kakophonisch.“ Musiklehrer<br />
Christian Ribbe bricht die Probe ab. Die<br />
acht Grundschüler lachen sich kaputt: „Kakowas?“<br />
„Kakophonisch. Das heißt nicht, dass alles<br />
kacke war, sondern dass sich alles schräg<br />
anhört“, erklärt der Lehrer mit typisch lässigem<br />
Ruhrpott-Einschlag. Er gibt erneut den Einsatz,<br />
und jetzt klingt der „Affenblues“ schon viel besser.<br />
Die Kamera läuft dabei immer mit.<br />
Die Schüler besuchen verschiedene dritte<br />
Klassen der Gemeinschaftsgrundschule in Herne-Horsthausen.<br />
Jetzt, für die 7. Stunde, kommen<br />
sie zusammen und haben ihr Instrument<br />
mitgebracht. Jedes Kind trägt einen Instrumentenkoffer<br />
bei sich, auf dem ein Zettelchen „Musikschule<br />
Jeki“ und eine dazugehörige Nummer<br />
steht. Sie gehören zur ersten Generation des Pilotprojekts<br />
„Jedem Kind ein Instrument“ (Jeki),<br />
das 2007 startete. Bis zum Jahr 2010, dem Kulturhauptstadtjahr,<br />
soll jedem Kind im Ruhrgebiet<br />
die Möglichkeit geboten werden, ein Instrument<br />
zu erlernen. Das Projekt im Rahmen der<br />
Ruhr.2010 wurde von der Kulturstiftung des<br />
Bundes, dem Land NRW und der Zukunftsstiftung<br />
Bildung in der GLS Treuhand entwickelt.<br />
In der mit Teppichboden ausgelegten Bibliothek<br />
der Herner Grundschule herrscht absolutes<br />
Schuhverbot. Alle müssen sich daran halten,<br />
Die Stimmung im vollbesetzten Kölner Filmhaus<br />
ist freudig aufgekratzt. Das Kleine<br />
Fernsehspiel des ZDF hat im Rahmen der Cologne<br />
Conference zu seinem neuen, mittlerweile<br />
dritten Showcase geladen, um ein ungewöhnliches<br />
Filmprojekt mit dem Titel „aufRuhr<br />
2010“ vorzustellen. „Sieben Filmemacher machen<br />
einen Film“, so prangt es dazu selbstbewusst<br />
von der Leinwand. Es geht um sieben<br />
Kurzfilme rund ums Ruhrgebiet, erstellt von Studenten<br />
und Absolventen der Kölner Kunsthochschule<br />
für Medien (KHM) und der internationalen<br />
filmschule köln (ifs). Aus Reihen der KHM<br />
kommen die Filmemacher Stephan Bergmann,<br />
Mirko Dreiling, Corinna Liedtke, Henning Marquaß<br />
und Undine Siepker, für die ifs sind Johannes<br />
Sievert und Anna Wahle dabei.<br />
Initiiert wurde das Projekt von Fritz Pleitgen,<br />
die zuständigen ZDF-Redakteure sind Claudia<br />
Tronnier und Katharina Dufner. Von Seiten der<br />
KHM betreut Katrin Schlösser das Projekt, für<br />
die ifs ist Gerd Haag zuständig. Die <strong>Filmstiftung</strong><br />
NRW unterstützt und fördert das Projekt „Ruhrgebietsfilm“.<br />
Nach zweiwöchigem Workshop<br />
mit einem abschließenden Ausflug unter Tage<br />
begann die Pre-Production im Frühjahr 2009.<br />
22<br />
Am Set von „Jedem Kind ein Instrument“<br />
Der „Affenblues“<br />
von Herne<br />
VON ANNA KOSKODA<br />
auch das Filmteam, das an diesem Tag wieder<br />
zu Gast ist. Also schleichen Regisseur Rauch,<br />
Kameramann Boris Becker und Tonmann Andreas<br />
Turnwald auf Socken um die musizierenden<br />
Kinder herum. Becker setzt sich immer wieder<br />
auf sein Brett mit Rollen, um auf Augenhöhe<br />
mit den Kindern zu sein.<br />
Der „Affenblues“ geht weiter. Nun üben die<br />
Kinder unterschiedliche Einsätze: erst die Gitarren,<br />
dann die Geigen, zuletzt die Akkordeons.<br />
Da sich sämtliche Beiträge noch in der Post-<br />
Produktion befinden, kommen ausschließlich<br />
Trailer und Slideshows zur Aufführung; und<br />
doch eröffnet sich bereits so ein faszinierendes<br />
Spektrum ganz im Sinne der Ausführenden Produzentin<br />
Melanie Andernach, „verschiedene<br />
Perspektiven und Einsichten ins Ruhrgebiet in<br />
einem super Zusammenhang“ zu zeigen.<br />
Den Auftakt bestreitet Johannes Sievert mit<br />
„Sinan G.“. Der Titelheld ist Deutsch-Iraner und<br />
Ex-Krimineller, der seine Strafe in Siegburg verbüßte<br />
und dort beim Theaterprojekt „Junge<br />
Hunde“ mitwirkte. Sievert drehte darüber eine<br />
Kurzdoku und kam so mit Sinan in Kontakt. Der<br />
stellt sich nun als Ex-Gangster mit Perspektive<br />
vor: „Jetzt bin ich Rapper.“ Sievert sieht mit sei-<br />
„Malte, Du könntest ‘ne super Solokarriere starten,<br />
aber hier kommt es auf das Zusammenspiel<br />
an“, bremst Musiklehrer Ribbe den kleinen blonden<br />
Akkordeonisten, der gerne mal vorprescht.<br />
Denn schließlich lernen die Kinder hier nicht nur,<br />
ein Instrument zu beherrschen, sondern auch<br />
Dinge wie Rücksicht nehmen und anderen zuhören.<br />
Die Grundschüler sind voll bei der Sache,<br />
und das freiwillig um eine Uhrzeit, wo andere<br />
bereits zu Mittag essen oder draußen spielen.<br />
Unter den jungen Musikern ist auch Joanna,<br />
eine von fünf Protagonisten der Doku „Jeki<br />
– Der Film“ (AT). Joanna ist Deutsche, drei andere<br />
Kinder haben türkische Eltern, eines japanische.<br />
Der Dokumentarfilm von SUR Films Köln<br />
entsteht als Koproduktion mit dem WDR.<br />
Das Filmteam von „Jedem Kind ein Instrument“ zu Gast in der Gemeinschaftsgrundschule in<br />
Herne-Horsthausen, Foto: Fotoatelier Brinkforth/Nevin Toy-Unkel<br />
600.000 Euro ist das Gesamtbudget, das die<br />
<strong>Filmstiftung</strong> NRW mit 110.000 Euro fördert. Mit<br />
im Boot ist auch Realfiction als Verleiher. Gedreht<br />
wird an 52 Tagen im Ruhrgebiet, in Herne,<br />
Bochum und Duisburg.<br />
Gemeinsam haben Produzent Detlef Ziegert<br />
von SUR Films, der auch seit 15 Jahren das Kinder-<br />
und Jugendfilmfestival in Marl leitet, und<br />
Oliver Rauch 2007 das Projekt entwickelt. Viele<br />
Recherchen waren notwendig, bis sich die<br />
Amüsant und spannend – das Kurzfilmprojekt „aufRuhr 2010“<br />
Roboter, Rapper,<br />
Schrebergärten<br />
VON UWE MIES<br />
nem Filmporträt den Strukturwandel des Ruhrgebiets<br />
im Individuellen gespiegelt – vom handfesten<br />
Erwerbswesen hin zur Kultur.<br />
Undine Siepker greift in „Oppa sein Garten“<br />
das „Super-Klischee vom Schrebergarten“ auf<br />
und zeigt die kulturelle Vermischung der Gesellschaft<br />
auf 50 qm Grünfläche. Koreaner, Türken,<br />
Deutsche pflanzen Blumen, Obst und Gemüse,<br />
schauen sich gegenseitig was ab und freuen<br />
sich über den Ertrag. Henning Marquaß besetzte<br />
für „Bochumer Jungen 2010“ bis auf die<br />
Hauptrolle Laienakteure aus dem Umfeld folkloristischer<br />
Blaskapellen. Sein Film ist nicht dokumentarisch,<br />
sondern fiktional; ein Musical mit<br />
insgesamt sechs (oder sieben) Dialogsätzen.<br />
Anna Wahle benennt ihren Beitrag „Moni-<br />
newsletter 6/2009 – Schwerpunkt<br />
drei Drehorte und die fünf Protagonisten herauskristallisiert<br />
haben. „Wir haben uns von den<br />
Musikschulen, den Rektoren und Lehrern beraten<br />
lassen, was sehr hilfreich war“, erzählt der<br />
Regisseur. Nun begleitet er Kinder von drei unterschiedlichen<br />
Jahrgängen über einen Zeitraum<br />
von über einem Jahr.<br />
Die Protagonisten besitzen unterschiedliche<br />
soziale Herkünfte, was den Filmemachern wichtig<br />
war. Der Migrationshintergrund spielt natürlich<br />
eine große Rolle im Ruhrgebiet. Aber bei Jeki<br />
geht es gerade darum, allen Kindern die gleichen<br />
Möglichkeiten für eine musische Ausbildung<br />
zu bieten, egal wo sie herkommen. Das<br />
Projekt dient der Integration, das Ziel ist das gemeinsame<br />
Musizieren.<br />
Den Regisseur interessieren jedoch nicht nur<br />
die Musikstunden in der Schule, sondern er besucht<br />
seine Protagonisten auch Zuhause und<br />
zeigt, wie sich die Musik dort vielleicht einen<br />
Platz erobert hat. Das Filmteam begleitet ein<br />
Mädchen zu ihrer Fußballtruppe, feiert mit einem<br />
türkischen Jungen Geburtstag und geht<br />
anschließend mit in die Moschee in Duisburg.<br />
Oliver Rauch beobachtet nur und sammelt Material.<br />
„Ich will nichts manipulieren, nichts stellen,<br />
nichts anstoßen“, sagt der Regisseur, der<br />
bereits sechs Dokumentarfilme gedreht hat. „Jeki<br />
– Der Film“ ist nach „Die vergangene Zukunft<br />
des Klanges“ sein zweiter Langfilm.<br />
Ihn interessiert an dem Projekt, „wie ein so<br />
großes Vorhaben, das sich kluge Leute ausgedacht<br />
haben, in die Realität umgesetzt wird“.<br />
Interviews mit Trägern des Projekts, etwa mit<br />
NRW-Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff,<br />
mit Bratschistin und Kuratoriumsmitglied<br />
Tabea Zimmermann oder dem Bochumer<br />
Generalmusikdirektor Steven Sloane, geben<br />
dem Film einen Unterbau. Die Doku soll<br />
kein Werbefilm für das Projekt sein. Doch Oliver<br />
Rauch ist mittlerweile total überzeugt von<br />
Jeki. „Die Stärke des Films sind die Persönlichkeiten<br />
der Kinder, ihre Ernsthaftigkeit, wie direkt<br />
und offen sie sind. Das soll der Film zeigen“,<br />
sagt Produzent Ziegert. Anfang Juni 2010 soll<br />
die Produktion in der Essener Lichtburg Premiere<br />
feiern.<br />
ca Vitti ist im Dienstleistungsgewerbe angekommen“,<br />
erzählt aber von Beate Pracht, die mit ihrem<br />
Konzept „Pracht Lamas“ Andentiere als therapeutische<br />
Medien für Alte, Behinderte und<br />
Manager einsetzt. Ihre Erfahrungen bei den<br />
Dreharbeiten am Originalschauplatz auf einer<br />
Gelsenkirchener Abraumhalde beschreibt<br />
Wahle als „wie in einer anderen Welt.“ Corinna<br />
Liedtke fand für „Thomas & Thomas“ zwei<br />
Protagonisten aus Castrop-Rauxel. Der eine ist<br />
Bergbauexperte und Stadtarchivar, der andere<br />
betreibt ayurvedische Heilpraktiken, woraus sich<br />
unerwartete Wechselwirkungen ergeben. Mirko<br />
Dreiling schließlich begreift seinen Film „IRB<br />
2600“ als Hommage an den Malocher. Es ist ein<br />
modernes Märchen von einem Opel-Roboter,<br />
der sich nach neuen Arbeitseinsätzen umtut.<br />
Geklammert werden die Beiträge durch Stephan<br />
Bergmanns Road Movie-Impressionen<br />
entlang der A40. Aber erst in einem abschließenden<br />
Workshop, so Katrin Schlösser, soll entschieden<br />
werden, ob die Filme hintereinander<br />
folgen oder ineinander verschachtelt montiert<br />
werden. Der fertige Ruhrgebietsfilm soll am 9.<br />
Januar 2010 anlässlich der Eröffnung der Kulturhauptstadt<br />
zur Ausstrahlung gelangen.