herunterladen (PDF) - Filmstiftung Nordrhein-Westfalen
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Peter Thorwarth,<br />
Foto: privat<br />
Gratulation, Ihr Film „Bang<br />
Boom Bang“ hatte jüngst Jubiläum:<br />
Zehn Jahre lief er durchgehend<br />
im Bochumer Kino UCI. Wie<br />
war die Feier?<br />
Das ist natürlich eine große Ehre, dass<br />
der Film so lange gezeigt wird, und ich bin<br />
sehr dankbar darüber. Trotzdem sehe ich das<br />
durchaus auch von zwei Seiten. Ich bin einerseits<br />
total erschlagen von der Begeisterung,<br />
auf der anderen Seite fühle ich mich aber<br />
mittlerweile einen Schritt weiter. Man möchte<br />
sich ja als Filmemacher entwickeln, und so<br />
toll das mit den Fans ist, die den Film auch<br />
nach zehn Jahren noch so dankbar aufnehmen:<br />
Sie wollen einen als Filmemacher eben<br />
auch so behalten, wie sie ihn zu „Bang Boom<br />
Bang“ geschätzt haben. Ich muss mich da<br />
schon durchsetzen, neue Wege zu beschreiten<br />
und darf mich davon nicht zu sehr vereinnahmen<br />
lassen.<br />
Was macht für Sie das Ruhrgebiet<br />
eigentlich so liebenswert?<br />
Es klingt abgedroschen, aber es sind die<br />
Leute. Meine Familie wohnt in Unna und ein<br />
Haufen wirklich guter Kumpels, und das behält<br />
mich irgendwie da. Es war ja sehr wichtig<br />
für mich, weggegangen zu sein, um das<br />
Besondere an Unna von außen zu erkennen.<br />
Aber auch wenn ich in München studiert habe<br />
und jetzt in Berlin eine Wohnung habe,<br />
ist es ist ja nicht so, dass ich mich jemals so<br />
richtig aus Unna entfernen konnte. Ich habe<br />
meinen Wohnsitz wieder hierher verlegt<br />
und in diesem Jahr mit Sicherheit mehr Zeit<br />
im Ruhrgebiet verbracht als in Berlin. Die Leute<br />
verstellen sich nicht, sie sind wie sie sind<br />
mit all ihren Macken. Ich glaube auch, dass<br />
sich genau das über meine Filme hin nach außen<br />
vermittelt. Ich habe neulich bei Antenne<br />
Unna ein Interview gegeben, und der Moderator<br />
erzählte mir, er käme aus dem Allgäu,<br />
und „Bang Boom Bang“ wäre für ihn der<br />
Grund gewesen, die Stelle in Unna anzunehmen.<br />
Irgendwas muss sich da also transportieren.<br />
Aber am „Koffer in Berlin“<br />
kommt man trotzdem nicht vorbei?<br />
Ach, ich merke gerade, dass diese irgendwie<br />
zusammen gecastete Gesellschaft<br />
in bestimmten Teilen Berlins, wo diese ganzen<br />
hippen und kreativen Leute wohnen,<br />
doch an Authentizität verliert. Das finde ich<br />
Der Regisseur Peter Thorwarth ist nicht nur ein Kind des Ruhrgebiets, sondern hat der<br />
Region auch mit seiner so genannten „Unna-Trilogie“ („Bang Boom Bang“, „Was<br />
nicht passt, wird passend gemacht“ und „Goldene Zeiten“) ein filmisches Denkmal<br />
gesetzt. Oliver Baumgarten erklärt er seine Liebe zum Revier.<br />
Interview Peter Thorwarth<br />
Für mich ist<br />
das Heimat<br />
hingegen am Ruhrgebiet so entspannend:<br />
Man führt ganz andere Gespräche mit den<br />
Leuten, für mich ist das Heimat. Es geht da<br />
in den Gesprächen um menschliche Geschichten,<br />
aus denen ich dann wiederum<br />
meine Geschichten mache.<br />
Berlin scheint filmisch in letzter<br />
Zeit etwas abgenutzt, man<br />
sieht es so oft. Im Ruhrgebiet hingegen<br />
wird ja trotz seiner Vielseitigkeit<br />
vergleichsweise noch wenig<br />
gedreht. Warum eigentlich?<br />
Was dem Ruhrgebiet fehlt, ist dieser<br />
Metropolencharakter, der in Berlin die Leute<br />
anzieht. Berlin hat aber vor allem eine ganz<br />
andere Filmtradition, während der Strukturwandel<br />
im Ruhrgebiet noch nicht so lange<br />
her ist. Alles, was im Ruhrgebiet sich an<br />
Kunstszene entwickelt, spielt sich eher im Underground<br />
ab. Berlin dagegen kann sich vor<br />
Filmemachern kaum retten, hier wird auch<br />
gedreht, wenn das Geld von ganz woanders<br />
herkommt. Ich empfinde das manchmal wie<br />
ein schwarzes Loch, in das alle kreative Energie<br />
gesogen wird und sich alles nur noch um<br />
sich selber dreht. Ich glaube, die einzige Stadt<br />
in NRW, die diesen Metropolencharakter erzeugen<br />
kann und im Fernsehbereich auch eine<br />
solche Sogkraft besitzt, ist eben Köln. Das<br />
Ruhrgebiet wird durch Streitereien etwa zwischen<br />
Essen und Dortmund immer wieder<br />
eher diffus wahrgenommen. Da hat es Berlin<br />
leichter, sich als Metropole darzustellen.<br />
Privat orientiere ich mich deswegen gerade<br />
so ein bisschen nach Köln – ist auch schön<br />
nah an Unna.<br />
Hat sich das filmische Image<br />
des Ruhrgebiets gewandelt in den<br />
letzten Jahren oder sucht am Ende<br />
doch erst einmal jeder nur die<br />
Zechenatmosphäre aus den alten<br />
Winkelmann-Filmen?<br />
Das Ruhrgebiet verkörpert natürlich ein<br />
Klischee der Arbeiterwelt, des Malochertums.<br />
Das entsprach ja sicherlich auch irgendwann<br />
mal den Tatsachen, aber es ist Zeit für eine<br />
neue Identität, und die Suche danach merkt<br />
man dieser Region auch an. In Dortmund etwa<br />
haben sich viele Versicherungen angesiedelt<br />
und entwickeln die Stadt langsam zu einer<br />
Dienstleistergesellschaft, während die Uni<br />
in High Tech investiert und die <strong>Filmstiftung</strong><br />
immer mehr Produktionen und Filmschaffen-<br />
de hier anzusiedeln versucht. Das sind alles<br />
Prozesse, die dauern werden und die sich in<br />
meinen Filmen auch widerspiegeln, indem ich<br />
immer versucht habe, das Ruhrgebiet nicht<br />
ganz so klischeehaft zu zeichnen, sondern so,<br />
wie ich es empfunden habe, wie es für mich<br />
Normalität war. Es gab damals einige, die vorgeschlagen<br />
hatten, noch einen schönen Vorspann<br />
für „Bang Boom Bang“ zu drehen mit<br />
Fördertürmen und so weiter. Aber das wollte<br />
ich nicht, gerade weil das in diese Zeit nicht<br />
mehr passt. Ich wollte eben keine Ruhrgebietsfilme<br />
machen, sondern wollte einfach<br />
meine Geschichten in meiner Heimat erzählen.<br />
Meinen Sie, dass die Aktivitäten<br />
der Kulturhauptstadt 2010<br />
dem Ruhrgebiet in seiner kulturellen<br />
Ausstrahlung etwas Geltung<br />
verschaffen kann?<br />
Das glaube ich auf jeden Fall. Auch<br />
wenn ich leider ein wenig die Gefahr sehe,<br />
dass durch die Größe des Ruhrgebiets und<br />
durch seine vielseitige Beschaffenheit diese<br />
Wirkung am Ende wieder verpufft. Ich bin gespannt,<br />
was sich da tun wird. Denn am Ende<br />
bin ich gar nicht so sicher, ob das Ruhrgebiet<br />
wirklich unbedingt diese Eigenschaft<br />
als Metropole anstreben sollte. Was es bisher<br />
so lebendig gemacht hat, ist ja gerade,<br />
dass es überall kleine Off-Theater, kleine Kinos,<br />
einzelne Filmemacher gibt, die im Kleinen<br />
etwas zu bewegen versuchen. Eigentlich<br />
ist es doch ganz sympathisch, wie es ist.<br />
Werden Sie denn mit Ihren<br />
weiteren Projekten dem Ruhrgebiet<br />
treu bleiben?<br />
Ich arbeite konkret an zwei Projekten.<br />
Das eine richtet den Fokus über die Geschichten<br />
und Figuren wieder ganz stark auf das<br />
Ruhrgebiet, aber dieses Mal eher in der Form<br />
eines Roadmovies. Das ist ein Film, den ich<br />
gerade mit Ralf Husmann vorbereite. Das andere<br />
Projekt soll ebenfalls in <strong>Nordrhein</strong>-<strong>Westfalen</strong><br />
gedreht werden, hat mit dem Ruhrgebiet<br />
aber gar nichts zu tun. Ich bin ja nicht<br />
ausschließlich ein Kind des Ruhrgebiets, sondern<br />
auch ein Filmfreak und versuche gerade,<br />
einen internationalen Film auf die Beine<br />
zu stellen, einen Genre-Mix, der eher in Richtung<br />
Horror geht, aber auch viele andere Facetten<br />
besitzt. Wenn alles läuft wie geplant,<br />
dann hoffe ich, dass wir den ersten 3D-Film<br />
aus Deutschland machen werden.<br />
Eine kurze Geschichte ...<br />
der Europäischen<br />
Kulturhauptstädte<br />
D as Programm „Kulturhauptstadt Europas“ gilt<br />
als eine der wenigen Erfolgsgeschichten der<br />
europäischen Kulturpolitik. Das war 1985 nicht abzusehen,<br />
als der Rat der Europäischen Union dem<br />
Vorschlag der damaligen griechischen Kulturministerin<br />
Melina Mercouri folgte und beschloss, jährlich<br />
eine europäische Kulturstadt zu benennen.<br />
Kulturpolitik gehörte nicht zur offiziellen Agenda<br />
der Union, die wenigen Kulturförderprogramme<br />
waren finanziell schlecht ausgestattet und in den<br />
Vorgaben oft rätselhaft. 1999 wurde das Kulturstadt-Programm<br />
noch einmal aufgewertet. Seitdem<br />
werden von den Mitgliedsstaaten in fester<br />
Reihenfolge Kandidaten für die jährlich wechselnde<br />
„Kulturhauptstadt“ benannt. Um der EU-Erweiterung<br />
gerecht zu werden, wird es bis 2018 jedes<br />
Jahr zwei Hauptstädte geben.<br />
In der inzwischen 25jährigen Geschichte des<br />
Programms lassen sich eine Reihe von Trends ausmachen,<br />
die trotz vieler Differenzierungen im Detail<br />
inzwischen die Aktivitäten und Programme der<br />
Kulturhauptstädte prägen. In den Anfangsjahren<br />
stand vor allem die Präsentation von Kunst und<br />
Hochkultur im Mittelpunkt. Zugleich sollte der Blick<br />
für die kulturellen Wurzeln Europas und – damit<br />
zusammenhängend – für verbindende Werte und<br />
Haltungen geschärft werden.<br />
Heute ist der Kulturbegriff weiter gefasst. Das<br />
kulturelle Erbe ist weiterhin wichtiger Bezugspunkt,<br />
aber die europäische Identität wird mittlerweile dynamisch<br />
definiert, als offener Prozess, der in die<br />
Zukunft weist. Deshalb stehen die Vernetzung und<br />
Entwicklungschancen der europäischen Gesellschaften<br />
im Vordergrund. Zudem ist die Stadtentwicklung<br />
neben der Kultur zentrales Thema geworden.<br />
Auch die Kultur/Kreativwirtschaft steht stärker<br />
im Fokus. Daneben wird zunehmend die Region<br />
einbezogen, in der die Kulturhauptstadt liegt<br />
– 2007 präsentierte sich so Luxemburg gemeinsam<br />
mit der Region Saar-Lor-Lux.<br />
Den Anstoß für dieses Umdenken gab wesentlich<br />
Glasgow. Als die größte Stadt Schottlands und<br />
drittgrößte des Vereinigten Königreichs für den Titel<br />
des Jahres 1990 nominiert wurde, befand sie<br />
sich im freien Fall. Seit den sechziger Jahren litt sie<br />
am Niedergang der Schwerindustrie, von Kohle<br />
und Stahl. Massenarbeitslosigkeit prägte den städtischen<br />
Alltag, ganze Stadtteile verfielen. Vor diesem<br />
Hintergrund bewarb sich die schottische Metropole<br />
mit einem völlig neuen Konzept. Die Stadt<br />
sollte renoviert und neu aufgestellt werden, architektonisch<br />
wie ökonomisch. Der Strukturwandel<br />
hin zur Dienstleistungsgesellschaft sollte mit dem<br />
Dreiklang von Kreativität, Kultur(wirtschaft) und<br />
Tourismus erreicht, die altindustrielle Vergangenheit<br />
hinter sich gelassen werden. Heute ist Glasgow<br />
eine hervorragende Kultur- und Einkaufsstadt.<br />
Mit Glasgow hat sich zwar das Bewusstsein für<br />
die mit einer Bewerbung verbundenen Möglichkeiten<br />
verändert, doch es gibt nach wie vor kein<br />
Patentrezept. Die Schwerpunkte der Bewerberstädte<br />
variierten bereits in der Vergangenheit stark.<br />
Athen (1985) stellte sich anders auf als Berlin (West)<br />
1988. Weimar (1999) konnte mit der Weimarer<br />
Klassik auf einen anderen Fundus zurückgreifen als<br />
Graz (2003). Zugleich haben sich die nationalen<br />
Wettbewerbe um den Titel deutlich verschärft. Der<br />
Wahl von Essen und dem Ruhrgebiet für 2010 war<br />
das bis dahin umfangreichste Auswahlverfahren<br />
vorausgegangen, bei dem u.a. auch Köln auf der<br />
Strecke blieb.<br />
Schwerpunkt – newsletter 6/2009 15