2014. Verwertungsverbot, Verfahrensh<strong>in</strong>dernisSoweit rechtswidrig die Aktene<strong>in</strong>sicht verweigert wird oder rechtswidrig beschränktwird, darf der Inhalt dieser Akten nicht zum Gegenstand des Strafverfahrensgemacht werden 54 . Es besteht <strong>in</strong>soweit e<strong>in</strong> Verwertungsverbot 55 .Selbst dann, wenn nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes Blatt e<strong>in</strong>er Akte fehlt und man nicht aus <strong>dem</strong>Kontext des Aktenaufbaus bzw. der Seitennumerierung rekonstruieren kann, umwelches Blatt es sich höchstwahrsche<strong>in</strong>lich gehandelt hat, wird man von e<strong>in</strong>emVerwertungsverbot der gesamten Akte bis h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em Verfahrensh<strong>in</strong>dernisausgehen müssen. Fehlt beispielsweise aus e<strong>in</strong>em zusammenhängenden Schreibenoder aus zusammenhängenden Kopien von Fundstellen und ähnlichem mehr e<strong>in</strong>eSeite, wird man vermuten dürfen, daß hier der h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geheftete Schriftsatzursprünglich vollständig war und eben nur die betreffende Seite des Schriftsatzesfehlt. Gleiches gilt auch dann, wenn Fundstellen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>kopiert wurden oder anderezusammenhängende Schriftstücke <strong>in</strong> der Akte hängen und hier e<strong>in</strong>e Seite desoffensichtlich zusammenhängenden Teils <strong>mit</strong>tendr<strong>in</strong> fehlt. Dann wird man wohl nichtvon e<strong>in</strong>em gesamten Verwertungsverbot der Akte ausgehen können, da klar ist, wasfehlt. Anders wird jedoch zu entscheiden se<strong>in</strong>, wenn e<strong>in</strong>e Aktenseite fehlt und e<strong>in</strong>klarer Bezug zu den davor oder danach hängenden pag<strong>in</strong>ierten Seiten nichterkennbar ist. Hier kann es sich bei der fehlenden Seite um be- oder entlastendesMaterial handeln. Die fehlende Seite kann den zentralen Nerv des gesamtenVerfahrens betreffen und die Entscheidung zugunsten oder zulasten des Mandantensehr stark bee<strong>in</strong>flussen. So könnte beispielsweise auf e<strong>in</strong>er fehlenden Seite e<strong>in</strong>eSelbstanzeige des Mandanten ursprünglich vorhanden gewesen se<strong>in</strong>, so daß <strong>mit</strong> derExistenz oder <strong>dem</strong> Fehlen dieser Seite möglicherweise das gesamte Strafverfahrensteht oder fällt. Es kann sich ebenso gut auch um e<strong>in</strong>e entlastende Zeugenaussagehandeln, die aus <strong>dem</strong> Verfahren herausgenommen ist 56 .Fehlen mehrere zusammenhängende oder mehrere isolierte Seiten <strong>in</strong> derEr<strong>mit</strong>tlungsakte oder <strong>in</strong> den Steuerakten oder s<strong>in</strong>d diese durch Leerseiten ersetzt,54 BVerfG, Beschluß v. 11.7.94, 2 BvR 777/94, StV 1994, 465: Beweisverwertungsverbot <strong>in</strong> U-Haftsachen,wenn <strong>dem</strong> Verteidiger Aktene<strong>in</strong>sicht h<strong>in</strong>sichtlich haftentscheidungserheblicher Tatsachen verweigert wird;Bandisch <strong>in</strong>: Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle, Strafverteidigung, 2. A., § 9 RN 141; Gast de Haan <strong>in</strong>Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 5. A., § 392 RN 36; Dünnebier <strong>in</strong> Loewe/Rosenberg, § 147 StPO RN 5;Kohlmann, Steuerstrafrecht, Loseblattsammlung, Stand: 29. Erg.-Li. 11/ 2001, § 392 RN 151.55 Kohlmann, Steuerstrafrecht, Loseblattsammlung, Stand: 29. Erg.-Li. 11/ 2001, § 392 RN 151.56 So geschehen durch Mitarbeiter des F<strong>in</strong>anzamtes Wiesbaden II, die e<strong>in</strong>en Aktenvermerk über e<strong>in</strong>e entlastendeZeugenaussage aus der Strafverfahrensakte vollständig entnommen haben und da<strong>mit</strong> das Verfahrenmanipulieren wollten und diesen Aktenvermerk <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen Akte <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Vermerk „versteckten“: AusStrafakte entnommen – nicht für Rechtsanwalt Burkhard bestimmt“: FA Wiesbaden II – S 1603 B – 734/98 –XII/11 + 12.
21wird man generell von e<strong>in</strong>em Prozeßh<strong>in</strong>dernis <strong>in</strong> strafrechtlicher H<strong>in</strong>sicht ausgehenmüssen und so das Verfahren nach § 206 a StPO durch Beschluß bzw. nach Beg<strong>in</strong>nder Hauptverhandlung durch Urteil nach § 260 Abs. 3 StPO beenden müssen.Nicht anders ist zu entscheiden, wenn e<strong>in</strong>zelne Seiten <strong>mit</strong> Tipp-Ex bearbeitet wurdenund Teile der <strong>in</strong> den Akten bef<strong>in</strong>dlichen Unterlagen nicht oder jedenfalls nichtvollständig mehr gelesen werden können.Beispiel:In e<strong>in</strong>em steuerstrafrechtlichen Er<strong>mit</strong>tlungsverfahren haben Mitarbeiter der Steufaoder BuStra e<strong>in</strong>zelne Aktenseiten <strong>mit</strong> Tipp-Ex bearbeitet. Insgesamt s<strong>in</strong>d 6 SeitenBeweis<strong>mit</strong>telkopien <strong>mit</strong> teilweise fast handtellergroßen Tipp-Ex-Flächenüberp<strong>in</strong>selt 57 . Die Beweis<strong>mit</strong>telkopien lassen nicht die unkenntlich gemachtenInformationen erkennen. Der ursprüngliche Kopien<strong>in</strong>halt lässt sich nichtreproduzieren.Warum <strong>in</strong> der Er<strong>mit</strong>tlungsakte überhaupt Seiten <strong>mit</strong> Tipp-Ex bearbeitet wurden, istunklar. Schon wenn <strong>in</strong> Aktenvermerken der Fahnder <strong>mit</strong> Tipp-Ex gearbeitet werdenwürde, wäre dies bedenklich. Denn ob da<strong>mit</strong> nicht ursprünglich entlastendeInformationen nachträglich manipuliert wurden, bleibt offen. Da aber auf denBeweis<strong>mit</strong>telkopien Manipulationen vorgenommen wurden, muß dies zu e<strong>in</strong>erE<strong>in</strong>stellung des Verfahrens nach § 206 a StPO durch Beschluß bzw. <strong>in</strong> derHauptverhandlung durch Urteil nach § 260 III StPO führen. Denn hier könnenentlastende Informationen gelöscht worden se<strong>in</strong>. Möglicherweise s<strong>in</strong>d Indizien, dieauf e<strong>in</strong>en anderen Täter als den, der nun beschuldigt wird, gelöscht worden.Im Ergebnis kann e<strong>in</strong> Verfahren <strong>mit</strong> derartige Tipp-Ex-Bearbeitungen, Rasuren,Ausschneidungen etc. <strong>in</strong> der behördlichen Er<strong>mit</strong>tlungsakte als nicht mehrrechtsstaatliches Verfahren angesehen werden. Es werden auch stets erheblicheZweifel bei <strong>dem</strong> Richter bleiben müssen, was unter den Tipp-Ex-Flächen stand, sodaß zur Überzeugung des Gerichts die Täterschaft des Beschuldigten oder dessenangebliche Tat nicht (mehr) <strong>mit</strong> der erforderlichen Gewißheit feststehen kann.57 FA Neustadt/We<strong>in</strong>straße, StFL-Nr.: -00-289 und 01/363-.