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Provokation in der DDR am 17. Juni 1953. - GRENZTRUPPEN DER ...

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Mit Erlaubnis des Autors Javier Rojas, <strong>der</strong> die Ereignisse um den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 recherchiert und<br />

dokumentiert hat, wird zum <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 2009 se<strong>in</strong> Manuskript wie folgt veröffentlicht:<br />

<strong>Provokation</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> –Chronologie <strong>der</strong> E<strong>in</strong>mischung.<br />

Die Massendemonstration und <strong>Provokation</strong> f<strong>in</strong>g mit Ostberl<strong>in</strong>er Protesten gegen die Normerhöhung an.<br />

Am Freitag, den 12. <strong>Juni</strong> 1953 wurden auf Entscheidung des Politbüros per Regierungsbeschluss jedoch alle tariflichen<br />

Normerhöhungen sofort rückgängig gemacht. Nach dem Wochenende, <strong>am</strong> Montag, den 15. <strong>Juni</strong> 1953, ist die Resolution<br />

erstmals veröffentlicht worden. Otto Grotewohl hat dieselbe <strong>am</strong> 16. <strong>Juni</strong> auf e<strong>in</strong>er Großkundgebung <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> sogar<br />

ausdrücklich wie<strong>der</strong>holt. 1 Dennoch for<strong>der</strong>ten Berl<strong>in</strong>er Bauarbeiter <strong>am</strong> 15. <strong>Juni</strong>, „dass von dieser<br />

Normerhöhung auf unserer Baustelle Abstand genommen“ werden sollte, obwohl man höchstoffiziell<br />

gerade dabei war genau dies zu tun.<br />

Am 16. <strong>Juni</strong> g<strong>in</strong>gen Berl<strong>in</strong>er Bauarbeiter dazu über, mit Straßendemonstrationen ihren längst zugesagten For<strong>der</strong>ungen<br />

Nachdruck zu verleihen. Sie taten das deshalb, weil „als die(selben) Arbeiter <strong>am</strong> Morgen des 16. <strong>Juni</strong><br />

ihre Arbeitsstätten erreichten... sie die noch druckfeuchte „Tribüne“ (FDGB-Organ) zur<br />

Hand nehmen (konnten), aus <strong>der</strong> sie erfuhren, dass es gelte, die Beschlüsse des M<strong>in</strong>isterrates<br />

über die Normerhöhung durchzuführen“. 2 Das aber war falsch, denn die Normerhöhungen wurden<br />

rückgängig gemacht. Autor des Artikels war e<strong>in</strong> Gewerkschaftsfunktionär. 3 Im Vergleich zum ursprünglichen<br />

Tarifstreik, wurden an diesem Nachmittag (12.00 Uhr) auch gleich „freie und geheime Wahlen“ gefor<strong>der</strong>t, also<br />

politische an Stelle von tariflichen Vor<strong>der</strong>ungen gestellt.<br />

E<strong>in</strong> MfS-Mitarbeiter dazu <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht: „Beim Streik <strong>der</strong> Bauarbeiter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stal<strong>in</strong>allee stellte ich<br />

fest, dass <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Arbeiter gar nicht wusste, wofür er streikte. Sie fielen von e<strong>in</strong>em<br />

Extrem <strong>in</strong>s an<strong>der</strong>e, z. B. wurde die Normerhöhung gar nicht mehr diskutiert, son<strong>der</strong>n sie<br />

sprachen teilweise von HO-Preissenkungen, Freien Wahlen, Generalstreik und von den<br />

Intelligenzlern, die viel Geld bekämen und nicht genug arbeiten“. 4<br />

E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er MfS-Mitarbeiter: „Der Zug wurde gelenkt von Menschen <strong>in</strong> Zivilkleidung, während die<br />

Bauarbeiter <strong>in</strong> Arbeitskleidung waren“, bzw. e<strong>in</strong> Transparent trugen mit den Worten: „Wir Bauarbeiter<br />

for<strong>der</strong>n Normensenkung“. 5<br />

Währenddessen waren <strong>in</strong> den Abendstunden vom 16. auf den 17 <strong>Juni</strong> 1953 des selben Tages, wie sich e<strong>in</strong> Augenzeuge<br />

(Walter M.) er<strong>in</strong>nert, <strong>in</strong> Nähe des Brandenburger Tors, nahezu unmerklich bereits jugendliche „westliche<br />

Agenten“ unterwegs, „die hatten e<strong>in</strong> Handgeld bekommen“ um vor dem Museum für Deutsche<br />

Geschichte zu randalieren“. 6<br />

Den Abend darauf (<strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953) konnten die Behörden <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> dazu bereits offiziell melden: „Es ist<br />

festgestellt worden, dass die Streiks, die gestern (<strong>am</strong> 16. <strong>Juni</strong> 1953) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Betrieben<br />

stattgefunden haben, und auch die provokatorischen Ausschreitungen e<strong>in</strong>zelner Gruppen<br />

faschistischer Agenten <strong>in</strong> den Straßen des demokratischen Sektors Berl<strong>in</strong>s nach e<strong>in</strong>em<br />

1 Internet, he<strong>in</strong>rich-hertz-gymnasium 2004<br />

2 Hans-He<strong>in</strong>z Gatow, Vertuschte SED-Verbrechen. E<strong>in</strong>e Spur von Blut und Tränen, Trümer-Verlag Berg 1990, S. 106,<br />

Autor des Artikels war e<strong>in</strong> Gewerkscahftsfunktionär.<br />

3 Internet, http://www.berl<strong>in</strong>ische monatsschrift.de/ 2005<br />

4 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003<br />

5 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003<br />

6 Internet http://he<strong>in</strong>richt-hertz-gymansium. Cids/ 2004


e<strong>in</strong>heitlichen, <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> ausgearbeiteten und im gegebenen Moment durchzuführenden<br />

Plan sich abspielten“. 7<br />

In den Morgenstunden des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 setzte sich dann erstmals auch Gehlen-Mitarbeiter Ernst Scharnowski im<br />

Diversionssen<strong>der</strong> →RIAS für e<strong>in</strong>e Demonstration <strong>am</strong> Strausberger Platz e<strong>in</strong>.<br />

Se<strong>in</strong> Aufruf „Straußberger Plätze überall“ aufzusuchen, s<strong>in</strong>d <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 um 5.36 Uhr, 6.40 Uhr sowie<br />

7.20 Uhr wie<strong>der</strong>holt gesendet worden. 8 Wie Eleanor Dulles nachträglich selbst zugab, hatte Scharnowski dafür von<br />

e<strong>in</strong>em Gremium den Segen bekommen, dessen Mitglie<strong>der</strong> <strong>am</strong> 16. <strong>Juni</strong> darüber berieten, ob man ihm erlauben sollte,<br />

„über den Rundfunk, die Arbeiter im Osten aufzurufen, sich gegen das kommunistische<br />

Regime zu erheben“. An den geheimen Besprechungen nahmen Eleanor Dulles, Missions-Chef Cecil Lyon, US-<br />

General Timberman und politische sowie militärische „Beratern <strong>der</strong> Franzosen und Briten“ teil. Letztendlich<br />

erhielt Scharnowski für den nächsten Tag, „die Erlaubnis, im RIAS e<strong>in</strong>e kurze Ansprache zu halten,<br />

war aber <strong>in</strong> dem, was er sagen konnte, sehr stark e<strong>in</strong>geschränkt“, so Eleanor Dulles wörtlich. 9<br />

E<strong>in</strong>e Stunde nach dem letzten Radioaufruf Scharnowskis um 7.20 Uhr, befanden sich bereits 25.000 Berl<strong>in</strong>er auf den<br />

Straßen, allerd<strong>in</strong>gs „waren es immer wie<strong>der</strong> dieselben Gruppen..., die e<strong>in</strong>en zustande<br />

gekommenen Demonstrationszug führten, bis er von selbst lief, nachher zum Strausberger<br />

Platz zurückkehrten und neue Demonstrationstrupps auf die Be<strong>in</strong>e brachten... wichtig ist<br />

auch... dass Hun<strong>der</strong>te und aber Hun<strong>der</strong>te von westberl<strong>in</strong>er Achtgroschenjungen mit ihren<br />

Fahrrä<strong>der</strong>n durch die Gegend flitzten, <strong>in</strong> Betrieben und auf Baustellen erschienen und zur<br />

Arbeitsnie<strong>der</strong>legung und Demonstration auffor<strong>der</strong>ten. Wichtig ist es (ferner) zu wissen, dass<br />

durch f<strong>in</strong>gierte Telefonanrufe oft Arbeitsnie<strong>der</strong>legungen und Demonstrationen „angeordnet“<br />

wurden“. 10<br />

Im Volkseigenem Kabelwerk Köpenick (KWK) versuchten Konterrevolutionäre sogar e<strong>in</strong>e Arbeitsnie<strong>der</strong>legung mit<br />

Gewalt zu erzw<strong>in</strong>gen. Herr Klütz e<strong>in</strong> ehemaliger Wehrmachtsleutnant, hat dort wie eigene Arbeiteruntersuchungen vor<br />

Ort ergaben, obwohl er „ständig gegen die Regierung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> hetzte... se<strong>in</strong>e Stellung <strong>in</strong><br />

Westberl<strong>in</strong>, wo er 650 D-Mark verdiente, aufgegeben und mit e<strong>in</strong>em Monatsgehalt von 383<br />

DM im volkseigenen Kabelwerk angefangen. In <strong>der</strong> Belegschaftsvers<strong>am</strong>mlung... konnte Klütz<br />

für die Beweggründe zu diesem Stellungswechsel ke<strong>in</strong>e glaubhafte Erklärung geben.<br />

Offensichtlich wurde er von Agentenzentralen dazu veranlasst. Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> hatte Klütz<br />

(jedenfalls) die Arbeiter zum Teil gewalts<strong>am</strong> auf die Straße getrieben. Gegen den Maler Kurt<br />

Lange z. B. <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Arbeit fortsetzen wollte, wurde Klütz tätlich“. 11<br />

Von Interesse s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang auch offen e<strong>in</strong>gestandene Fehle<strong>in</strong>schätzungen aus dem SED-Machtbereich<br />

selbst. Ihrer Beurteilung nach g<strong>in</strong>gen nach 1945 „viele nichtproletarische Elemente aus dem Bürgertum,<br />

darunter nicht wenige faschistische Elemente, ehemalige Staatsbe<strong>am</strong>te und Unternehmer . . .<br />

als „Arbeiter“ <strong>in</strong> die Betriebe“. Außerdem wurde im ZK-Bericht weiter berichtet, trug man „nicht <strong>der</strong><br />

Tatsache Rechnung, dass breite Teile auch <strong>der</strong> Arbeiterschaft nach zwölfjähriger<br />

faschistischer Diktatur stark von <strong>der</strong> Naziideologie vergiftet waren“. 12 Das ehemalige NSDAP<br />

Mitglied (politischer Leiter) Friedrich Hapel zum Beispiel war <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> mit se<strong>in</strong>esgleichen tätig. 13<br />

Nicht erwähnt worden s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs jüngste Untersuchungen, denen nach bis kurz vor dem Zus<strong>am</strong>menbruch 1989,<br />

„Zehntausende ehemalige NSDAP-Mitglie<strong>der</strong> . . . den Weg <strong>in</strong> die SED gefunden“ hätten. 14<br />

7 Kees<strong>in</strong>g´s Archiv <strong>der</strong> Gegenwart vom 19.<strong>Juni</strong> 1953, S.4040, Siegler & Co.KG, Verlag für Zeitarchive<br />

8 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003<br />

9 Wolfgang Strauß, Aufstand für Deutschland. Der <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, Druffel Verlag 1982<br />

10 Neues Deutschland, Nr.172 vom 25.7.1953<br />

11 Neues Deutschland, Nr.217 vom 16.9.1953<br />

12 Hg. DKP, Imperialistische Konterrevolution, 1981<br />

13 Neues Deutschland, Nr.135 vom 12.6.1955<br />

14 die tageszeitung, Nr.4101 vom 2.9.1993


Was natürlich so e<strong>in</strong>iges erklärt, obwohl es zweifelsohne auch unzählige friedliche Massendemonstrationen gab,<br />

allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d diese, eben <strong>in</strong> nicht wenigen Fällen durch Geheimdienstmitarbeiter erst <strong>in</strong>itiiert worden, wie e<strong>in</strong> ZK-<br />

Beschluss vom 21.<strong>Juni</strong> 1953 bestätigte: „Der Gegner benutzte zur Auslösung se<strong>in</strong>er <strong>Provokation</strong>en die<br />

Missstimmung e<strong>in</strong>iger Teile <strong>der</strong> Bevölkerung, die durch Folgen unserer Politik im letzten Jahr<br />

entstanden war. Er organisierte unter dem Vorwand e<strong>in</strong>er D<strong>am</strong>pferpartie <strong>der</strong><br />

Betriebsangehörigen des VEB Industriebau Berl<strong>in</strong>, unter H<strong>in</strong>zuziehung se<strong>in</strong>er Agenten aus<br />

e<strong>in</strong>zelnen Großbetrieben, <strong>am</strong> Sonnabend, dem 13. <strong>Juni</strong> 1953, den Streik <strong>der</strong> Bauarbeiter und<br />

bestimmte Dienstag, den 16.<strong>Juni</strong> 1953, als Term<strong>in</strong> für die <strong>Provokation</strong>.<br />

Er warf gleichzeitig se<strong>in</strong>e mit Schwefel-, Phosphor- und Benz<strong>in</strong>flaschen sowie mit Waffen<br />

ausgerüsteten Banditenkolonnen über die Sektorengrenzen mit <strong>der</strong> Aufgabe, die<br />

Arbeitsnie<strong>der</strong>legung ehrlicher Bauarbeiter durch Hetzlosungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Demonstration gegen<br />

die Regierung umzufälschen und dieser Demonstration durch Brandstiftungen, Plün<strong>der</strong>ungen<br />

und Schießereien den Charakter e<strong>in</strong>es Aufruhrs zu geben.<br />

Zugleich gab er se<strong>in</strong>en Agentengruppen an e<strong>in</strong>igen an<strong>der</strong>en Stellen <strong>der</strong> Republik die<br />

Anweisung, <strong>am</strong> nächsten Tage –<strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Orten <strong>am</strong> übernächsten Tage- ähnliche Aktionen<br />

zu organisieren. Die von Westberl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geschleuste und von dort dirigierte faschistische Brut<br />

organisierte Überfälle auf Lebensmittellager, Lehrl<strong>in</strong>gsheime, Klubhäuser, Verkaufsstellen<br />

sowie Mordüberfälle auf Funktionäre <strong>der</strong> Partei, <strong>der</strong> Massenorganisationen und des<br />

Staatsapparates, die mutig unsere demokratische Ordnung verteidigten“. 15<br />

Auch Volkspolizist Willi Schwager (Oberstleutnant a. D.) bestätigte den enormen E<strong>in</strong>fluss westdeutscher Agenten<br />

<strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong>: „Unter den Demonstranten stellten wir angebliche Arbeiter o<strong>der</strong><br />

Handwerker fest. Schmiede mit nagelneuem Le<strong>der</strong>schurz und neuen Schmiedhämmer auf<br />

den Schultern tragend. Bäcker <strong>in</strong> neuer Berufsbekleidung, Maurer, die ihre Kelle und<br />

Wasserwaage bei sich hatten, sogar e<strong>in</strong> Schornste<strong>in</strong>feger war darunter mit e<strong>in</strong>er Arbeitskluft,<br />

die kaum gebraucht war. Es waren alles gestellte Provokateure, welche die empörte<br />

Arbeiterklasse vortäuschen sollten und auch entsprechende Hetzlosungen brüllten. Man<br />

staunt, für wie dumm die Menschen gehalten wurden, um so etwas nicht sofort zu<br />

begreifen“. 16<br />

All dies waren durchaus ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelfälle. Beweise dafür gibt es genügend<br />

1.) Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> gegen 9.30 Uhr vormittags, stiegen etwa 150 westberl<strong>in</strong>er Jungendliche „auf dem<br />

Bahnhoff Zoo <strong>in</strong> die S-Bahn... und (fuhren) zum Alexan<strong>der</strong>platz... um an den<br />

<strong>Provokation</strong>en teilzunehmen. Die Jugendlichen hatten sich Arbeitskleidung<br />

angezogen, um nicht aufzufallen“. 17<br />

2.) Werner Kalkowski aus dem <strong>am</strong>erikanischen Sektor Westberl<strong>in</strong>s, nahm <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> zus<strong>am</strong>men mit<br />

weiteren 90 Mann aus dem selben Bezirk an den Ausschreitungen <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong> teil. 18 Vor Gericht<br />

räumte er e<strong>in</strong>: „Wir erhielten den Auftrag, die Regierungsgebäude zu überfallen,<br />

Brände zu legen, Läden zu plün<strong>der</strong>n, Volkspolizisten umzulegen und überhaupt<br />

mit <strong>der</strong> Waffe gegen die Organe vorzugehen“.<br />

Auf Frage des Richters wer ihn den Auftrag erteilte, antwortete er: „Der Amerikaner Hiwer,<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong> Uniform war. Er hatte Achselstücke mit zwei Sternen“. Mehr noch: <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Gruppe „hätten 20 Mann Flaschen mit Benz<strong>in</strong>“ gehabt, „die sie zur Brandlegung an<br />

Gebäuden auf <strong>der</strong> Potsd<strong>am</strong>er Brücke von <strong>am</strong>erikanischen Lastwagen erhalten<br />

15 Hg. Autorenkollektiv: Greese Karl u. a., Die Militär- und Sicherheitspolitik <strong>der</strong> SED 1945-1988, S.132<br />

16 Hg. M<strong>in</strong>isterium des Innern, Geschichte erlebt und mitgestaltet, M<strong>in</strong>isterium des Innern, Publikationsabteilung 1984<br />

17 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />

18 Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953


hatten“. 19<br />

3.) Werner Rieger aus e<strong>in</strong>em westberl<strong>in</strong>er Flüchtl<strong>in</strong>gslager (Awo) <strong>in</strong> Alt-Re<strong>in</strong>ickendorf (Flottenstraße)<br />

nahm ebenfalls zus<strong>am</strong>men mit Günter Engel an den Ausschreiungen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 teil. Rieger<br />

durchlief aktenkundig „die verschiedensten Spionagezentralen des englischen und<br />

<strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes“. Nach Angaben bei<strong>der</strong> vor dem Stadtgericht Berl<strong>in</strong>,<br />

„wurden sämtliche Insassen des Lagers <strong>in</strong> den frühen Morgenstunden des <strong>17.</strong><br />

<strong>Juni</strong> von den Lagerleitern Triebusch und Schnei<strong>der</strong> angewiesen, <strong>in</strong> Gruppen<br />

von 40 bis 60 Mann <strong>in</strong> den demokratischen Sektor e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen und bestimmte<br />

Gewalttaten zu begehen.<br />

Mit Kabelenden, Gummiknüppeln, Fahrradschläuchen und an<strong>der</strong>en Hieb- und<br />

Schlagwaffen begaben sich mehrere Gruppen von etwa je 60 Rowdys über die<br />

unweit des Lagers gelegene Sektorengrenze zur HO-Baracke <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Hauptstraße. Während sich e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> aufgehetzten Provokateure an <strong>der</strong><br />

Kontrollstelle des Amtes für Kontrolle des Warenverkehrs zu schaffen machte,<br />

versuchte e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e starke Gruppe die HO-Verkaufsstelle zu demolieren und<br />

zu plün<strong>der</strong>n. In dieser Schlägerkolonne befand sich auch <strong>der</strong> Angeklagte<br />

Werner Rieger....Auch Günter Engel war an diesem Überfall maßgeblich<br />

beteiligt. Mit Ste<strong>in</strong>en schlug er die Fensterscheiben e<strong>in</strong> und schlug e<strong>in</strong>e 57<br />

jährige Frau brutal nie<strong>der</strong>“. 20<br />

4.) Augenzeugen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 konnten berichten, wie sich „junge Männer, die im<br />

Arbeits<strong>am</strong>t Schlossstrasse (britischer Sektor) ihre Arbeitslosenunterstützung<br />

abholen wollten, vorher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bestimmten Zimmer melden (mussten). Nach<br />

kurzer Zeit verließen sie laut johlend <strong>in</strong> mehreren Gruppen dieses Zimmer und<br />

verschwanden nach eigenen Angaben <strong>in</strong> Richtung Potsd<strong>am</strong>er Platz“, 21 wo im<br />

Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> Randalierer „die Sektorengrenzen“ nie<strong>der</strong>rissen. 22<br />

5.) In e<strong>in</strong>em Flüchtl<strong>in</strong>gslager <strong>in</strong> Tempelhof (USA-Sektor) fuhr <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> „e<strong>in</strong> Lastkraftwagen<br />

vor, <strong>der</strong> die Anschrift „Wollankstraße“ trug, also zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Übergänge <strong>in</strong><br />

den demokratischen Sektor fahren sollte. Auf diesem Lastwagen befanden sich<br />

etwa 20 junge Burschen“. 23<br />

6.) Auch im Flüchtl<strong>in</strong>gslager <strong>am</strong> Askanienr<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Spandau (britischer Sektor) wurden Republikflüchtige<br />

für <strong>Provokation</strong>en im Demokratischen Sektor angeworben. Werner Reuß, e<strong>in</strong> Arbeitsloser aus<br />

Spandau brüstete sich dementsprechend im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> d<strong>am</strong>it, aktiv an Zerstörungen von Kiosken im<br />

demokratischen Sektor beteiligt gewesen zu se<strong>in</strong>. 24<br />

7.) Am Morgen des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> „erschien an <strong>der</strong> Westseite des Potsd<strong>am</strong>er Platzes drei<br />

Kraftfahrzeuge vom Verlag des Kriegshetzerblattes „Telegraf“. Junge Burschen<br />

im Alter von 17 bis 18 Jahren sprangen herunter und drangen <strong>in</strong> den<br />

demokratischen Sektor e<strong>in</strong>, wo sie sich an <strong>Provokation</strong>en und Brandstiftungen<br />

beteiligten“. 25<br />

8.) Wie westberl<strong>in</strong>er Pressemedien versicherten, s<strong>in</strong>d etwa „80 erwerbslose Männer im Alter<br />

von 18 bis 40 Jahren... <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>, vormittags 10 Uhr, im Volkshaus<br />

Tiergarten, Perlebergstraße (brit. Sektor) zus<strong>am</strong>mengezogen“ worden. Die<br />

Arbeitslosen wurden von uniformierten Zollbe<strong>am</strong>ten <strong>in</strong> Gruppen e<strong>in</strong>geteilt und<br />

19 Neues Deutschland, Nr.159 vom 10.7.1953<br />

20 Neues Deutschland, Nr.156 vom 7.7.1953<br />

21 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />

22 Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong> –Aufstand. Dokumente und Berichte über den<br />

Volksaufstand <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong> und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sowjetzone<br />

23 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />

24 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />

25 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953


<strong>in</strong> den demokratischen Sektor e<strong>in</strong>geschleust, um dort an den <strong>Provokation</strong>en<br />

teilzunehmen.<br />

Ähnliches wird aus dem Bezirk Tempelhof (USA-Sektor) gemeldet, wo ebenfalls<br />

vom Zolldienst Erwerbslose zus<strong>am</strong>mengefasst und <strong>in</strong> den demokratischen<br />

Sektor gebracht worden s<strong>in</strong>d“. 26<br />

9.) Günter-Alois Niemetz aus dem <strong>am</strong>erikanischen Sektor von Berl<strong>in</strong>, musste sich ebenfalls nach dem er<br />

mehrere Gewaltverbrechen im demokratischen Sektor von Berl<strong>in</strong> beg<strong>in</strong>g vor Gericht verantworten.<br />

Se<strong>in</strong>e Aussagen wörtlich laut Protokoll: „Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> um 8. Uhr früh, habe ich me<strong>in</strong>e<br />

Wohnung verlassen... <strong>am</strong> Magdeburger Platz angekommen, sah ich dort e<strong>in</strong>en<br />

<strong>am</strong>erikanischen Militärwagen. Neben ihm standen e<strong>in</strong> <strong>am</strong>erikanischer Offizier<br />

<strong>in</strong> Uniform mit e<strong>in</strong>em Sergeanten <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanischen Armee und e<strong>in</strong><br />

Amerikaner <strong>in</strong> Zivil.<br />

Um die Amerikaner und ihren Wagen war e<strong>in</strong>e Gruppe von etwa 30 bis 50<br />

Personen vers<strong>am</strong>melt. Der <strong>am</strong>erikanische Offizier sagte zu den Vers<strong>am</strong>melten,<br />

dass die Arbeiter im demokratischen Sektor e<strong>in</strong>en Streik durchführen, <strong>der</strong> von<br />

den Bewohnern <strong>der</strong> Westsektoren unterstützt werden müsse. Der <strong>am</strong>erikanische<br />

Offizier sprach etwa fünf M<strong>in</strong>uten lang. Nach ihm ergriff <strong>der</strong> Herr <strong>in</strong> Zivil das<br />

Wort, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>em Akzent nach zu urteilen e<strong>in</strong> Amerikaner war. Er rief alle<br />

Anwesenden auf, sich <strong>in</strong> den demokratischen Sektor Berl<strong>in</strong>s zu begeben, sich<br />

dort unter die Bevölkerung zu mischen und zur Herbeiführung von Unruhen<br />

Losungen zu rufen, die wie er sich ausdrückte, die Durchführung freier Wahlen<br />

und den Sturz <strong>der</strong> bestehenden Regierung for<strong>der</strong>ten.<br />

Nach dem Amerikaner <strong>in</strong> Zivil sprach <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanische Sergeant. Er rief<br />

ebenfalls die Vers<strong>am</strong>melten auf, <strong>in</strong> den demokratischen Sektor von Berl<strong>in</strong> zu<br />

gehen, um dort Pogrome und Brandstiftungen zu verüben. Der Sergeant<br />

for<strong>der</strong>te uns auf, an <strong>der</strong> Organisierung dieser verbrecherischen Handlungen<br />

aktiv mitzuwirken und versprach uns dafür e<strong>in</strong>e Geldprämie, e<strong>in</strong><br />

Lebensmittelpaket und e<strong>in</strong>en längeren Erholungsaufenthalt. Der Amerikaner<br />

sagte, dass wir, wenn nötig, vor <strong>der</strong> Anwendung von Waffen gegen sowjetische<br />

Militärangehörige nicht zurückschrecken sollten“. 27<br />

10.) Danach begab sich Niemetz <strong>in</strong> Nähe des Breitenbachplatzes. Se<strong>in</strong>e Aussagen dazu vor Gericht wörtlich:<br />

„Dort sah ich e<strong>in</strong>e ähnliches Bild. Bei e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en <strong>am</strong>erikanischen Lastwagen<br />

stand e<strong>in</strong> <strong>am</strong>erikanischer Offizier mit zwei Soldaten. Der <strong>am</strong>erikanische<br />

Offizier sprach zu e<strong>in</strong>er Gruppe von etwa 50 bis 60 Personen, die vorwiegend<br />

aus Jugendlichen bestand. Er rief die Vers<strong>am</strong>melten dazu auf, <strong>in</strong> den<br />

demokratischen Sektor von Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen und sich dort an <strong>der</strong><br />

Organisierung von Unruhen zu beteiligen... (Danach for<strong>der</strong>te er) alle<br />

diejenigen, die zu diesem verbrecherischen Handlungen bereit waren, auf, sich<br />

von ihn registrieren zu lassen... ich... erklärte mich bereit... Der <strong>am</strong>erikanische<br />

Offizier schrieb me<strong>in</strong>en N<strong>am</strong>en <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Notizbuch, gab mir zwei Benz<strong>in</strong>flaschen<br />

und schickte mich mit e<strong>in</strong>er Gruppe von neuen Mann <strong>in</strong> den demokratischen<br />

Sektor von Berl<strong>in</strong>.<br />

Die übrigen Anwesenden wurden ebenfalls <strong>in</strong> Gruppen aufgeteilt und <strong>in</strong> den<br />

demokratischen Sektor von Berl<strong>in</strong> geschickt... Sofort, nachdem wir im<br />

demokratischen Sektor von Berl<strong>in</strong> angekommen waren, setzte e<strong>in</strong>e Gruppe von<br />

Provokateuren, unter denen ich mich befand, etwa 10 Uhr morgens das<br />

Aufklärungslokal <strong>der</strong> Nationalen Front auf dem Potsd<strong>am</strong>er Platz <strong>in</strong> Brand. Mir<br />

26 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />

27 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953


fiel hierbei die Aufgabe zu, mit den vom <strong>am</strong>erikanischen Offizier erhaltenen<br />

Benz<strong>in</strong>flaschen e<strong>in</strong>en Teil des Gebäudes zu begießen. An<strong>der</strong>e Teilnehmer <strong>der</strong><br />

Gruppe taten das gleiche. Dann hat e<strong>in</strong>er von uns das Aufklärungslokal<br />

angezündet, wonach es nie<strong>der</strong>brannte“. Niematz stritt es zwar ab, aber e<strong>in</strong> Augenzeuge sah,<br />

wie er außerdem e<strong>in</strong>e „Benz<strong>in</strong>flasche <strong>in</strong> das Gebäude des HO-Kaufhauses <strong>am</strong><br />

Potsd<strong>am</strong>er Platz“ warf. 28<br />

11.) E<strong>in</strong> Augenzeuge (Herr E. B. aus Charlottenburg) wörtlich über Vorgänge <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> vor<br />

dem Flüchtl<strong>in</strong>gslager <strong>am</strong> Karlsbad: „Vor <strong>der</strong> Tür stand e<strong>in</strong>e Horde von 15. bis 16.<br />

Halbwüchsigen, die allem Ansche<strong>in</strong> nach auf etwas warteten... Nach kurzer Zeit<br />

k<strong>am</strong> e<strong>in</strong>e große Limous<strong>in</strong>e mit e<strong>in</strong>er KB-Nummer... <strong>am</strong> Steuer e<strong>in</strong> uniformierter<br />

Ami... Der Zivilist öffnete die Tür, w<strong>in</strong>kte die Jugendlichen heran und verteilte<br />

aus dem Koffer Ami-Zigaretten... (dem Anführer übergab er) e<strong>in</strong> Bündel<br />

Geldsche<strong>in</strong>e... Der Vorgang hat mir ganz klar gezeigt, dass die Amerikaner die<br />

H<strong>in</strong>termänner des faschistischen Putschversuches s<strong>in</strong>d. Ob das Geld und die<br />

Zigaretten Vorschuss o<strong>der</strong> Lohn für begangene Mord- o<strong>der</strong> Schandtaten waren,<br />

das ist egal. Fest steht, dass dieses Ges<strong>in</strong>del zu Tausenden <strong>in</strong> den<br />

demokratischen Sektor zog. Raubte und plün<strong>der</strong>te und sogar vor Morden nicht<br />

zurückschreckte. Je<strong>der</strong> Mensch muss das erfahren und wissen. Darum habe ich<br />

diese Zeilen geschrieben“. 29<br />

12.) Helene Orthmann (FDP-Bezirksvorsitzende) bereitete im Auftrag ihrer Partei für den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge aus dem Lager <strong>in</strong> Neuköln vor. 30<br />

13.) Mitglie<strong>der</strong> des Terrortrupps KgU trafen sich wie aus den Akten des 1.Strafsenats des<br />

Stadtgerichtes Berl<strong>in</strong> hervorg<strong>in</strong>g, <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> nahe des Grenzüberganges Friedrichsstrasse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Lokal (Kochstraße) um danach im demokratischen Sektor geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong> zu randalieren. Unter an<strong>der</strong>em<br />

überfielen sie den VEB Bauprojektierung Berl<strong>in</strong>. „Das Inventar des Betriebes wurde kurz<br />

und kle<strong>in</strong> geschlagen“. 31<br />

14.) Georg Riediger, seit 1932 NSDAP-Mitglied nahm wie sich vor dem Groß-Berl<strong>in</strong>er<br />

Stadtgericht herausstellte an den Ausschreitungen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> teil. Er g<strong>in</strong>g im Bereich Stal<strong>in</strong>allee<br />

(heute Karl-Marx-Allee) gegen Jugendliche vor. „Als von <strong>am</strong>erikanischen Flugzeugen<br />

Flugblätter abgeworfen wurden, bemühte sich e<strong>in</strong>e Reihe von FDJlern, diese<br />

e<strong>in</strong>zus<strong>am</strong>meln. Riediger g<strong>in</strong>g mit an<strong>der</strong>en Rowdys brutal gegen die FDJler vor.<br />

Mit Fußtritten und faschistischen Schlägermethoden wollte er verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, dass<br />

die fortschrittlichen Jugendlichen die Hetzblätter e<strong>in</strong>s<strong>am</strong>meln konnten“. 32<br />

15.) E<strong>in</strong> Volkspolizist <strong>am</strong> Brandenburger Tor berichtet <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 um 9.15 Uhr se<strong>in</strong>er<br />

Zentrale, wie e<strong>in</strong> Demonstrationszug von ca. 1000 Personen von Westberl<strong>in</strong> aus, durchs<br />

Brandenburger Tor <strong>in</strong> Richtung Potsd<strong>am</strong>er Platz (über Friedrich-Ebert-Str.) marschierte. Dort<br />

wie<strong>der</strong>um meldete e<strong>in</strong> weiterer Volkspolizist um 9.53 Uhr wie „sämtliche Holzbuden <strong>am</strong><br />

Potsd<strong>am</strong>er Platz auf ostsektoralem Gebiet von Demonstranten <strong>in</strong> Brand<br />

gesetzt“ worden s<strong>in</strong>d.<br />

Noch um 20.30 Uhr gab e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Volkspolizist se<strong>in</strong>er vorgesetzten Stelle darüber Auskunft, wie<br />

sich „auf ostsektoraler Seite, h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Voposperre <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Scharnhorststraße...(noch) ca. 1000 Westberl<strong>in</strong>er (befanden), die die Sperre<br />

nicht mehr passieren“ konnten. 33<br />

28 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />

29 Neues Deutschalnd, Nr.149 vom 28.6.1953<br />

30 Neues Deutschland, Nr.148 vom 27.6.1953<br />

31 Neues Deutschland, Nr.253 vom 28.6.1953<br />

32 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />

33 Internet: http://www. <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 53.de, Meldungen anlässlich <strong>der</strong> Demonstrationen im Ostsektor <strong>am</strong> <strong>17.</strong>6.1953


Westberl<strong>in</strong>er Konterrevolutionäre <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong>. -Operation <strong>DDR</strong><br />

As kanienr<strong>in</strong>g<br />

Berl<strong>in</strong>-West<br />

60<br />

X<br />

Breitenbachplatz<br />

50<br />

X<br />

150X<br />

Magdeburger Platz<br />

16<br />

X<br />

120X<br />

Bahnhof Zoo<br />

90<br />

X<br />

11<br />

Flottens traße<br />

Schloss strasse<br />

1000 X<br />

<strong>Provokation</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> –Geheimdienste.<br />

Karlsbad<br />

15<br />

Brandenburger Tor<br />

80<br />

20<br />

X<br />

X<br />

13<br />

Berl<strong>in</strong>-Ost<br />

Zahlreiche westeuropäische Geheimdienste nahmen an <strong>der</strong> <strong>Provokation</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 teil. N<strong>am</strong>entlich u. a.:<br />

-Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen<br />

-Counter Intelligence Corps (CIC)<br />

-Dienststelle Blank<br />

-Secret Intelligence Service (SIS)<br />

-Organisation Gehlen (ORG)<br />

Potsd<strong>am</strong>er Platz<br />

Kochstraße<br />

Tempelhof<br />

12<br />

Neuköln<br />

Perlebergstraße<br />

14<br />

14<br />

Staatsgrenze <strong>DDR</strong><br />

Stadtgrenze Berl<strong>in</strong>-Ost<br />

Westdeutsche Konterrevolutionäre<br />

<strong>in</strong> Ost-<br />

Berl<strong>in</strong><br />

Flüchtl<strong>in</strong>gslager<br />

Amerikanisches<br />

Flugzeug<br />

Über 586 Konterrevolutionäre<br />

aus Westberl<strong>in</strong><br />

1000 Westberl<strong>in</strong>er<br />

Demonstranten<br />

<strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong>


-Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen<br />

Das Kaiser M<strong>in</strong>isterium arbeitete seit Anfang an mit den westeuropäischen Geheimdiensten und deutschen<br />

Geheimdiensthilfsorganisationen zus<strong>am</strong>men. Das war notwendig, um durch künstlich erzeugte wirtschaftliche<br />

Schwierigkeiten e<strong>in</strong>en Putschversuch wie <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 vorzubereiten, bzw. erst auslösen zu können, was noch<br />

heute, über 50 Jahre später wie e<strong>in</strong> Staatsgeheimnis gehütet wird. Des<strong>in</strong>formation gehört dabei durchaus mit zum<br />

Inventar, obwohl bereits im OG-Urteil vom 14. <strong>Juni</strong> 1954 (unter an<strong>der</strong>em gegen Silgradt) erstmals E<strong>in</strong>zelheiten über<br />

gezielte Vorarbeiten des →Bundes<strong>in</strong>isteriums für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen für den Putsch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953<br />

veröffentlicht worden s<strong>in</strong>d.<br />

Unter an<strong>der</strong>em seien seit 1951 im westberl<strong>in</strong>er Bundeshaus <strong>in</strong> Wilmersdorf regelmäßig Vertreter „<strong>der</strong> Ostbüros <strong>der</strong><br />

FDP, CDU, SPD sowie <strong>der</strong> KgU und <strong>der</strong> VPO vom Kaiser-M<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Abständen von etwa<br />

zwei Monaten, bei beson<strong>der</strong>en politischen Ereignissen auch außerturnusmäßig, zu<br />

geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong>en Besprechungen zus<strong>am</strong>mengerufen (worden)... <strong>in</strong> denen Vertreter des Kaiser-<br />

M<strong>in</strong>isteriums über die politische Situation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik<br />

referier(t)en.<br />

Außerdem (s<strong>in</strong>d)... auf diesen Besprechungen Richtl<strong>in</strong>ien für die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen<br />

Demokratischen Republik und im demokratischen Sektor von Groß-Berl<strong>in</strong> durchzuführende<br />

Zersetzungs- und Agententätigkeit erteilt (worden), ebenso für die Arbeit <strong>der</strong> von den<br />

Agenten zu erfragenden Spionageangaben, für den Ihnhalt <strong>der</strong> Befragung republikflüchtiger<br />

Personen sowie für die Art und den Inhalt <strong>der</strong> zu verbreitenden Zweckgerüchte, <strong>der</strong><br />

Flugblattaktionen und an<strong>der</strong>er Hetzmaterialien“. 34<br />

Rudi Beckert behauptet sogar dort Anwesende wären sich e<strong>in</strong>ig gewesen, „dass die Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung nur<br />

durch e<strong>in</strong>en organisierten Putsch erfolgen könne“. 35 Dortige „Referate wurden teils von<br />

Staatssekretär Thedieck und teils von dem Leiter <strong>der</strong> westberl<strong>in</strong>er Filiale des Kaiser-<br />

M<strong>in</strong>isteriums, Dr. Karl Magen, gehalten, die den Anwesenden auch die entsprechenden<br />

Richtl<strong>in</strong>ien vermittelten.<br />

Dasselbe wurde Silgardt im Dezember 1953 auch von dem Leiter <strong>der</strong> „Deutschen Liga für<br />

Menschenrechte“, Götze, mitgeteilt, <strong>der</strong> <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang noch erklärte, dass alle<br />

Organisationen, die sich mit <strong>der</strong> „Ostarbeit“ beschäftigen, f<strong>in</strong>anzielle Zuschüsse vom Kaiser-<br />

M<strong>in</strong>isterium erhalten“ würden. 36<br />

Silgradt selbst nahm an solchen Treffen teil, bei denen man auch über „die Stimmung unter <strong>der</strong><br />

Bevölkerung“ sprach. Auch e<strong>in</strong>e Kartei über fortschrittliche Bürger wurde geführt, d<strong>am</strong>it man sie später zur<br />

Rechenschaft ziehen könne. 37 Kaisers Verb<strong>in</strong>dungsmann Karl-He<strong>in</strong>z Naase bestätigte 1952 se<strong>in</strong>en FDP-Ostbüro-<br />

Mitglie<strong>der</strong>n gegenüber ebenfalls frei heraus, „dass die „Ostarbeit“ <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Ostbüros und die <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Organisationen koord<strong>in</strong>iert worden sei“. 38<br />

E<strong>in</strong>träge über solche alle zwei Monate durchgeführte Treffen des Kaiser-M<strong>in</strong>isteriums im westberl<strong>in</strong>er Bundeshaus mit<br />

den zahlreichen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 teilnehmenden Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO) sucht man bei e<strong>in</strong>em so<br />

unzweideutigen Experten wie Fricke allerd<strong>in</strong>gs vergeblich, sie existieren nicht. Wohl deshalb, weil dasselbe<br />

Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen d<strong>am</strong>als auch se<strong>in</strong>e Schriften (1964) veröffentlichte. 39<br />

Fricke behauptet zwar gegenteiliges, aber imperialistische Geheimdienste hatten zweifelsohne zus<strong>am</strong>men mit ihren<br />

unzähligen Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO) <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 ihren großen Tag. An den m<strong>in</strong>uziösen<br />

Umsturzvorbereitungen mit Hilfe zahlreicher Geheimdiensthilfsorganisationen, schon Monate vor dem Großereignis,<br />

können e<strong>in</strong>fach ke<strong>in</strong>e Zweifel mehr bestehen, zumal Kaiser selbst, noch Ende März 1953 vor zahlreichen<br />

rechtsstehenden Organisationsleitern <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (Bundesallee 216/18) ankündigte, „<strong>der</strong> Tag X werde vielleicht<br />

34 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />

35 Rudi Beckert, Die erste und letzte Instanz, Keip Verlag Goldbach 1995, S.264<br />

36 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />

37 Rudi Beckert, Die erste und letzte Instanz, Keip Verlag Goldbach 1995, S.264<br />

38 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />

39 Kalr Wilhelm Fricke, Bonner Berichte aus Mittel- und Ostdeutschland, Bundesm<strong>in</strong>isterium für ges<strong>am</strong>tdeutsche<br />

Fragen 1964


ascher anbrechen, als manche Skeptiker me<strong>in</strong>en“. 40<br />

Auch „Der Abend“, e<strong>in</strong>e Wiener Zeitung bestätigte, dass dem Putschversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>, die Reise nach<br />

Wash<strong>in</strong>gton des „westberl<strong>in</strong>er Oberbürgermeisters Ernst Reuter im März (1953)“ vorausg<strong>in</strong>g. Er<br />

habe dort mit dem <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstleiter Allen Dulles E<strong>in</strong>zelheiten besprochen. Nach se<strong>in</strong>er Rückkehr<br />

konferierte Reuter mit Adenauer und auch mit dem M<strong>in</strong>ister für ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen: Jakob Kaiser über die dort<br />

getroffenen Vere<strong>in</strong>barungen. 41<br />

Tatsächlich war es so, das Adenauers Staatssekretär im Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen Franz Thedieck,<br />

<strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 eigens von Bonn nach Westberl<strong>in</strong> eilte, „um von hier aus persönlich die <strong>in</strong> den<br />

demokratischen Sektor e<strong>in</strong>geschleusten Provokateure und Agenten bei ihren Ausschreitungen<br />

anzuleiten“. 42 Ihm zur Seite stand Oberregierungsrat Dr. Kunisch, ebenfalls vom Bundesm<strong>in</strong>isterium für<br />

Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, „<strong>der</strong> die Organisierung verbrecherischer Agenturen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> zu se<strong>in</strong>er<br />

Spezialität machte“. 43 Jakob Kaiser selbst nahm <strong>am</strong> Tag X an Besprechungen (Etatberatungen) im Bonner<br />

Bundestag teil. Er flog erst <strong>am</strong> Abend des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> nach Berl<strong>in</strong> zurück. 44<br />

Die Beteiligung des Kaiser M<strong>in</strong>isteriums an <strong>der</strong> <strong>Provokation</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 können somit nicht abgestritten werden,<br />

zumal dafür <strong>am</strong> 24. März 1952 auch eigens e<strong>in</strong> Forschungsbeirat gegründet wurde. Mit aktiver <strong>am</strong>erikanischer<br />

Unterstützung aufgebaut, stellte er e<strong>in</strong>en speziellen „Stab für Diversions- und Bürgerkriegsakte… (dar),<br />

dem Millionen Mark aus den Geheimfonds aus- und <strong>in</strong>ländischer Imperialisten zuflossen“. 45<br />

D<strong>am</strong>it stand dem Kaiser-M<strong>in</strong>isterium, das bereits zuvor e<strong>in</strong> politische Spionageorganisation darstellte, nunmehr e<strong>in</strong>e<br />

eigens auf Spionage spezialisierte Unterabteilung zur Verfügung.<br />

Und nur weil auf den Sitzungen des Forschungsbeirates <strong>in</strong> den folgenden Jahren „immer neue Pläne und<br />

Varianten zum Sturz <strong>der</strong> sozialistischen Ordnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> ausgearbeitet“ wurden, 46 dürfen<br />

auch Hans Tellers Schlussfolgerungen geson<strong>der</strong>t hervorgehoben werden: „Der <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> zeigte sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>DDR</strong>-Hauptstadt sowie e<strong>in</strong>er Reihe von an<strong>der</strong>en Orten als zentral <strong>in</strong>szenierte und gelenkte<br />

Aktion <strong>der</strong> imperialistischen Geheimdienste“. 47<br />

Im Wohnhaus des Oberbürgermeisters Reuter, k<strong>am</strong> Eleanor Dulles jedenfalls noch vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> mit Mitarbeitern<br />

des „Forschungsbeirates für Fragen <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung Deutschlands“ zus<strong>am</strong>men. Dort<br />

beriet sie sich mit den Leitern <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>gruppen des BDJ und <strong>der</strong> NJD, mit führenden<br />

Funktionären pronazistischer und rechtsstehen<strong>der</strong> Organisationen, die offiziell im Dienste <strong>der</strong><br />

Amerikaner (standen)...<br />

Während ihres Berl<strong>in</strong>er Aufenthaltes übergab Eleanor Dulles außerordentliche große<br />

Summen aus dem Fonds <strong>der</strong> Rockerfeller-Stiftung und des Erdöltrusts Standard Oil of Jersey<br />

an die westberl<strong>in</strong>er Gruppen des „Stahlhelms“, des „Werwolf“, <strong>der</strong> „Adolf-Hitler-Tradition“<br />

und an<strong>der</strong>er militaristischer Organisationen, darunter Tillich und Hildebrandt. Alle diese<br />

Organisationen und ihre Leiter (traten)... für (e<strong>in</strong>e) gewalts<strong>am</strong>e E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung<br />

Ostdeutschlands <strong>in</strong> die Bundesrepublik e<strong>in</strong> und (s<strong>in</strong>d)... schon seit langem von den<br />

<strong>am</strong>eikanischen Behörden ausgehalten“ worden. 48<br />

Von deutscher Seite traf im Vorfeld des Putsches <strong>am</strong> 14. <strong>Juni</strong> 1953 Adenauers <strong>in</strong>nenpolitischer Staatssekretär Dr. Otto<br />

Lenz höchstselbst <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>. Er sollte „die Lage prüfen“. Dementsprechend nahm Lenz auch sofort<br />

Besprechungen mit dem Vorsitzenden des „Forschungsbeirates“ Dr. Friedrich Ernst, sowie dem Leiter des AEG-<br />

Konzerns Friedrich Spennrath auf. 49<br />

Letztendlich waren vom <strong>17.</strong> auf den 18. <strong>Juni</strong> 1953 sämtliche Mitglie<strong>der</strong> des „Forschungsbeirates“ <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong><br />

40 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />

41 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />

42 Neues Deutschland, Nr.157 vom 8.7.1953<br />

43 Neues Deutschland, Nr.42 vom 19.2.1955<br />

44 http://www.luise-berl<strong>in</strong>.de/ 2005<br />

45 Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953<br />

46 He<strong>in</strong>z Vosske, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, H.5/ 1970, S.242<br />

47 Hans Teller, Jahrbuch für Geschichte, Berl<strong>in</strong> 1977, S.317<br />

48 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />

49 Neues Deutschland, Nr.159 vom 10.7.1953


vers<strong>am</strong>melt, um ihren Beitrag für den auf <strong>am</strong>erikanische Anweisung ausgelösten Putschversuch zu leisten. 50<br />

-Counter Intelligence Corps (CIC)<br />

Ke<strong>in</strong>em Geheimdienst k<strong>am</strong> e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>maßen klare organisatorische Führungsrolle <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 zu, wie dem<br />

militärischen <strong>am</strong>erikanischen Spionageabwehrkorps CIC.<br />

Warum darüber <strong>in</strong> den bürgerlichen Medien bis heute ke<strong>in</strong>e Informationen vorliegen ist klar, denn auf <strong>DDR</strong>-<br />

Hoheitsgebiet standen dem <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst noch im Januar 1954 nicht e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> zwei, son<strong>der</strong>n laut Otto<br />

Nuschke gleich mehrere zentrale Spionageorgane <strong>in</strong> Westdeutschland zur Verfügung, wie:<br />

1. Das →Military Intelligence Department (MID)<br />

2. E<strong>in</strong>e Spionageabteilung im Berl<strong>in</strong>er Militärverwaltungsapparat (Gebäude G).<br />

3. E<strong>in</strong>e Aufklärungsabteilung des Stabes des „Europa-Kommandos“: Intelligencedivision EUCOM mit<br />

Sitz <strong>in</strong> Heidelberg.<br />

4. Die <strong>am</strong>erikanische „Aufklärungsbehörde“ des US-State Department: 51 →Bureau of Intelligence and<br />

Research (BIR).<br />

5. Der US-Kriegsmar<strong>in</strong>e Geheimdienst: →Navy Intelligence.<br />

6. Der US-Luftwaffengeheimdienst: →Air Force Intelligence.<br />

7. Das →Office of Policy Coord<strong>in</strong>ation (OPC).<br />

8. Die so genannten →Amerika Häuser.<br />

9. Die →Organisation Gehlen (ORG) und<br />

10. Der Diversionssen<strong>der</strong> →RIAS.<br />

Neben all diesen zentralen <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstbehörden machte Nuschke noch auf 16 weitere Dienststellen<br />

gleichen Charakters aufmerks<strong>am</strong>, sprich auf ihre Filialen. Nicht zu verwechseln mit den unzähligen<br />

Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO), angefangen bei KgU bis UfJ usw., obwohl auch sie, wie W. Swjetal<strong>in</strong><br />

versicherte, vom CIA angeleitete worden s<strong>in</strong>d, genau genommen von ihrer Haupt-„Abteilung I“. 52<br />

Dieselbe CIA hat seit dem 20. <strong>Juni</strong> 1952, „das Geld für Spionagetätigkeit auch aus Fonds<br />

(entnommen)... die, für Maßnahmen <strong>der</strong> Nordatlantikpaktgeme<strong>in</strong>schaft (NATO) bestimmt“<br />

waren. 53 Zwei Sätze von denen deutsche Medien bis heute nicht e<strong>in</strong> Sterbenswörtchen schrieben, obwohl sie wichtige<br />

Bauste<strong>in</strong>e dieser dunklen, geheim gehaltenen Geschichte des NATO-Nachrichtendienstes s<strong>in</strong>d.<br />

Otto Nuschke wie<strong>der</strong>um bestätigte: „Das uns vorliegende umfassende Material beweist, dass diese<br />

westdeutschen und westberl<strong>in</strong>er Untergrundorganisationen von <strong>am</strong>erikanischen Behörden<br />

f<strong>in</strong>anziert werden, geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong>e Aktionen mit den <strong>am</strong>erikanischen Geheimdiensten<br />

durchführen und dem <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst Agenten direkt zur Verfügung stellen,<br />

bzw. umgekehrt. Die Zus<strong>am</strong>menarbeit des <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes mit den<br />

bekannten westdeutschen Terrororganisationen geschieht vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form <strong>der</strong><br />

<strong>am</strong>erikanischen Kontrolle über <strong>der</strong>en Tätigkeit...<br />

Das wird auch dadurch bestätigt, dass die Sicherheitsorgane <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei krim<strong>in</strong>ellen<br />

Elementen <strong>der</strong> genannten Art <strong>am</strong>erikanische Funkgeräte sowie Waffen, Sprengstoffe und<br />

Anweisungen zur Durchführung von Diversionsakten vorgefunden haben, die den<br />

Verbrechern von <strong>am</strong>erikanischen Dienststellen <strong>in</strong> Westdeutschland ausgehändigt worden<br />

waren“. 54<br />

50 Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953<br />

51 Neues Deutschland, Nr.10 vom 13.1.1954<br />

52 Neues Deutschland, Nr.271 vom 18.11.1953<br />

53 Neues Deutschland, Nr.271 vom 18.11.1953<br />

54 Neues Deutschland, Nr.10 vom 13.1.1954


Später wiesen NATO-Führungsgremien auf ihrer NATO-Ratstagung <strong>am</strong> 24. <strong>Juni</strong> 1953 selbst darauf h<strong>in</strong>, an den<br />

Ereignissen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 führend beteiligt gewesen zu se<strong>in</strong>. Dafür aber hatten MfS-Mitarbeiter se<strong>in</strong>erzeit noch<br />

ke<strong>in</strong>e stichhaltigen Beweise, deshalb also musste Wollweber auf e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternen Dienstkonferenz vor leitenden<br />

Geheimdienstka<strong>der</strong>n <strong>am</strong> 11./12. November 1953 auch zugeben, man habe noch nicht „nach dem Auftrag des<br />

Politbüros die H<strong>in</strong>termänner und Organisatoren des Putsches vom <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>“ festgestellt. 55 Klar<br />

aber war seit 1950, das die CIA im NATO-Nachrichtendienst den Ton angab.<br />

Wie auch immer, Otto Grotewohl jedenfalls bestätigte auf dem 15. SED-Tagungstreffen des Zentralkomitees vom 24.<br />

bis 26.7.1953 wörtlich: „Der Auslösung des Putsches g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e jahrelange, von den USA-<br />

Spionagestellen ausgehende systematisch und gut f<strong>in</strong>anzierte Vorbereitung psychologischer,<br />

agitatorischer und organisatorischer Art voraus“. 56<br />

Tatsächlich war es so, „dass die Organisation e<strong>in</strong>er <strong>Provokation</strong> gegen die Regierung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>,<br />

bereits anlässlich <strong>der</strong> Reise des westberl<strong>in</strong>er Oberbürgermeisters Ernst Reuter im März<br />

(1953) <strong>in</strong> Wash<strong>in</strong>gton besprochen wurde. In <strong>der</strong> Villa des Leiters des <strong>am</strong>erikanischen<br />

Nachrichtendienstes Allen Dulles im Wash<strong>in</strong>gtoner Stadtteil Georgetown k<strong>am</strong> Reuter<br />

wie<strong>der</strong>holt mit leitenden Funktionären des <strong>am</strong>erikanischen Spionagedienstes, darunter<br />

General (Willi<strong>am</strong>) Donovan und e<strong>in</strong>igen an<strong>der</strong>en Persönlichkeiten, wie Außenm<strong>in</strong>ister John<br />

Foster Dulles zus<strong>am</strong>men.<br />

Nach se<strong>in</strong>er Rückkehr berichtete Reuter über se<strong>in</strong>e Besprechungen <strong>in</strong> den USA <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Sitzung, an <strong>der</strong> Adenauer, <strong>der</strong> M<strong>in</strong>ister für ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, und die<br />

Führer e<strong>in</strong>iger rechtsstehen<strong>der</strong> neonazistischer Organisationen teilnahmen. Unmittelbar nach<br />

diesen Besprechungen begannen die beschleunigten Vorarbeiten für den „Tag X“ <strong>in</strong><br />

Westberl<strong>in</strong>“. 57<br />

Ende Mai/ Anfang <strong>Juni</strong> 1953 besuchte dann erstmals e<strong>in</strong>e „Son<strong>der</strong>kommission des Außenm<strong>in</strong>isteriums <strong>der</strong><br />

USA unter Führung von Tracy Voorhees, an <strong>der</strong> sich auch General Donovan beteiligte,<br />

Westberl<strong>in</strong>. Donovan hielt praktisch e<strong>in</strong>e Truppenschau ab, die sich auf die Vorbereitung des<br />

„Tages X“ bezog. Insbeson<strong>der</strong>e leitete er die Ausarbeitung des Planes zur Koord<strong>in</strong>ierung <strong>der</strong><br />

Aktionen <strong>am</strong>erikanischer Truppen und <strong>der</strong> westberl<strong>in</strong>er Polizei sowie <strong>der</strong> sogenannten<br />

„freiwilligen Gruppen“, die aus allen möglichen dunklen Elementen zus<strong>am</strong>mengestellt waren.<br />

Sechs Tage vor <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er <strong>Provokation</strong> (11. <strong>Juni</strong>) k<strong>am</strong> die Schwester von John Foster Dulles,<br />

Eleanor Dulles, e<strong>in</strong>e Sachverständige des USA-Außenm<strong>in</strong>isteriums für deutsche Fragen, <strong>in</strong><br />

Westdeutschland an...“. 58<br />

Im Wohnhaus des Oberbürgermeisters Reuter, k<strong>am</strong> dieselbe mit Mitarbeitern des „Forschungsbeirates für<br />

Fragen <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung Deutschlands“ zus<strong>am</strong>men. Dort beriet sie sich mit den Leitern<br />

<strong>der</strong> Son<strong>der</strong>gruppen des BDJ und <strong>der</strong> NJD, mit führenden Funktionären pronazistischer und<br />

rechtsstehen<strong>der</strong> Organisationen, die offiziell im Dienste <strong>der</strong> Amerikaner“ standen. 59<br />

Zwei Tage später, <strong>am</strong> 13. <strong>Juni</strong> 1953 traf auch ihr Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> USA-Spionagechef: Allan Dulles, <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>, 60 um<br />

mit ihr zus<strong>am</strong>men „die letzten Vorbereitungen für den faschistischen Putschversuch zu<br />

treffen“. 61 Eleanor Dulles hat noch <strong>am</strong> selben Tag Berl<strong>in</strong>er Flüchtl<strong>in</strong>gslager besichtigt. 62<br />

Am 14. <strong>Juni</strong> 1953 beriet sie sich „mit leitenden Offizieren des Abwehrdienstes des <strong>am</strong>erikanischen<br />

Hochkommissariats <strong>in</strong> Westdeutschland und den Leitern des <strong>am</strong>erikanischen Abwehrdienstes<br />

<strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong>, die die Tätigkeit <strong>der</strong> westberl<strong>in</strong>er „Son<strong>der</strong>formationen“ lenkten. 63<br />

55 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.231<br />

56 Neues Deutschland, Nr.176 vom 30.7.1953<br />

57 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />

58 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />

59 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />

60 Neues Deutschland, Nr.178 vom 1.8. 1953<br />

61 Neues Deutschland, Nr.178 vom 1.8. 1953<br />

62 Neues Deutschland, Nr.135 vom 12.6.1955<br />

63 Neues Deutschland, Nr.178 vom 1.8. 1953


Am 16. <strong>Juni</strong> besichtigte sie abermals „Flüchtl<strong>in</strong>gslager“, um faschistische Elemente für den E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> und im demokratischen Sektor zu s<strong>am</strong>meln“. 64 Es war auch Eleanor Dulles, die während des<br />

<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 „direkt den E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanischen Offiziere <strong>in</strong> Zivil und <strong>in</strong> Uniform vom<br />

Westberl<strong>in</strong>er <strong>am</strong>erikanischen Hauptquartier <strong>in</strong> Zehlendorf aus“ lenkte. 65<br />

Tatsächlich berichtete im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> auch „l´Humanité“, „<strong>der</strong> faschistische Putsch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> (sei) auf direkte Anweisung und unter Anleitung (des <strong>am</strong>erikanischen Spionagechefs)...<br />

Allen Dulles und se<strong>in</strong>er Schwester <strong>in</strong>szeniert worden“. 66<br />

Eigentlich ist je<strong>der</strong> Versuch den Umsturzversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 isoliert vom <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst und<br />

d<strong>am</strong>it des NATO-Nachrichtendienstes zu betrachten, e<strong>in</strong>fach nicht seriös, zumal →Eleanor Dulles entsprechende<br />

Geldbeträge dafür, auch dem 100. Millionen Dollar-Fonds entnahm.<br />

Bereits <strong>am</strong> 10. Oktober 1951 ist im US-Kongreß <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang das berüchtigte „Gesetz zur<br />

gegenseitigen Sicherung“ erlassen worden, um <strong>am</strong>erikanischen Spionen, Saboteuren o<strong>der</strong> Diversanten <strong>in</strong> fremden<br />

Län<strong>der</strong>n mit 100 Millionen Dollar den Rücken zu stärken. Am 22. <strong>Juni</strong> 1952 wurden mit Hilfe e<strong>in</strong>es weiteren Gesetzes<br />

zusätzliche Beträge für selbe Zwecke zur Verfügung gestellt.<br />

E<strong>in</strong>en Monat vor dem Umsturzversuch, <strong>am</strong> 5. Mai 1953, haben <strong>am</strong>erikanische Abgeordnete erneut mit dem „Gesetz<br />

zur militärischen Hilfe für das Ausland im kommenden F<strong>in</strong>anzjahr“, weitere Summen für Spionage,<br />

Sabotage sowie Diversion genehmigt. Kurz vor den <strong>Provokation</strong>en, <strong>am</strong> 13. <strong>Juni</strong> 1953 meldete schlussendlich auch<br />

„United Press, „das wie<strong>der</strong>um <strong>in</strong> aller Stille neue Mittel zur „F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong><br />

antikommunistischen Untergrundbewegung“ bereitgestellt wurden“. 67 Eleanor Dulles reiste demnach<br />

nicht mit leeren Händen nach Westberl<strong>in</strong>.<br />

-Dienststelle Blank<br />

E<strong>in</strong>en Monat vor dem faschistischen Putschversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, wurden acht Agenten des MAD-Vorläufers<br />

→Dienststelle Blank“ auf <strong>DDR</strong>-Hoheitsgebiet überwältigt.<br />

Ihr überwiegend auf Militärspionage ausgerichtetes Agentennetz bereitete sich d<strong>am</strong>als zweifelsohne auf e<strong>in</strong>en Umsturz<br />

vor, wie auch alle Zeugenaussagen vor dem Stadtgericht Berl<strong>in</strong> deutlich demonstrierten. Ihrem Filiale-Leiter, dem<br />

ehemaligen Polizeioberst Bockelberg alias Hartmann, k<strong>am</strong> es deshalb beson<strong>der</strong>s darauf an, „Berichte und<br />

Informationen aus volkseigenen Großbetrieben zu erhalten“. 68<br />

E<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Agenten, Herbert Jantzen zum Beispiel, mit dem Deckn<strong>am</strong>en Jürgen Jago, „arbeitete als Ingenieur<br />

im berl<strong>in</strong>er Werk für Fernmeldewesen HF. Er berichtete <strong>der</strong> „Dienststelle Blank“ über die<br />

fe<strong>in</strong>dliche E<strong>in</strong>stellung e<strong>in</strong>zelner Belegschaftsmitglie<strong>der</strong>, machte Angaben über die Zahl <strong>der</strong><br />

Werktätigen, und zwar aufgeschlüsselt nach Angehörigen <strong>der</strong> schaffenden Intelligenz,<br />

Arbeitern und Angestellten“.<br />

Peter Borchert aus Berl<strong>in</strong>-Adlershof dagegen, e<strong>in</strong> Konstrukteur <strong>in</strong> den ÈAW Stal<strong>in</strong>, lieferte se<strong>in</strong>em Vorgesetzten<br />

Hartmann „Berichte über die personelle Besetzung im Werk, N<strong>am</strong>en von Ingenieuren, Meistern<br />

und Abteilungsleitern“. 69<br />

Interessant war auch ihre Zus<strong>am</strong>menarbeit mit dem Diversionssen<strong>der</strong>: →RIAS <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> Der ehemalige Agent<br />

des Amtes Blank: Arm<strong>in</strong> Zopf alias „Graul“ aus Bad Tennstedt (bei Erfurt/ Thür<strong>in</strong>gen), e<strong>in</strong>st SS-Scharführer im<br />

KZ-Flossenbürg, sagte dazu vor dem I. Strafsenat des Bezirksgerichts Magdeburg ausführlich aus. Wie Zopf berichtete,<br />

hatte ihm se<strong>in</strong>e Dienststelle noch vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 nicht nur e<strong>in</strong>e Kenn-Nr.313 zugeteilt, son<strong>der</strong>n auch den Auftrag<br />

gegeben, doch bitte so genannte „technische Nachrichten“ des RIAS aufmerks<strong>am</strong> zu hören. Zopf wörtlich:<br />

„Nach dem Nachrichtendienst gab <strong>der</strong> RIAS technische Nachrichten für die Agentengruppen<br />

64 Neues Deutschland, Nr.178 vom 1.8. 1953<br />

65 Hg. Ausschuss für Deutsche E<strong>in</strong>heit, Wer zog die Drähte? Der <strong>Juni</strong>-Putsch 1953 und se<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>tergründe, S.42<br />

66 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />

67 Neue Justiz, Nr.22 vom 20.11.1954, S.649<br />

68 Neues Deutschland, Nr.117 vom 20.5.1954<br />

69 Neues Deutschland, Nr.117 vom 20.5.1954


<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> durch. Ich hatte die Kenn-Nr.313. Wenn me<strong>in</strong>e Nummer mit dem Buchstaben A<br />

davor durchgesagt wurde, so hieß das: Sofort <strong>in</strong> Sicherheit br<strong>in</strong>gen. Der Buchstabe B<br />

bedeutete: Koffer packen und langs<strong>am</strong> verschw<strong>in</strong>den. C hieß: Sofort nach Berl<strong>in</strong> kommen“. 70<br />

Zopf sollte außerdem Luftlande- sowie Abwurfplätze <strong>in</strong> Nähe von Bad-Tennstedt erkunden. Diese Freiflächen benötigte<br />

man um Geräte, Hetzmaterial, Waffen, Munition aber auch Fallschirmspr<strong>in</strong>ger absetzen zu können. Den gleichen<br />

Auftrag hatte e<strong>in</strong> Dienststelle-Blank Agent aus Wittenberg (bei Dessau/ Sachsen-Anhalt) mit dem N<strong>am</strong>en Flemm<strong>in</strong>g<br />

erhalten.<br />

Nach dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 sollten Zopf und Seifert den Rädelsführern zur Flucht nach Westberl<strong>in</strong> verhelfen. Deswegen<br />

stand ihr Agent aus Kle<strong>in</strong> Machow (bei Berl<strong>in</strong>) Rudi Müller auch treu zur Regierung, um sich so noch besser tarnen zu<br />

können. 71<br />

All dies will Fricke natürlich nicht gelten lassen, dafür aber erwähnt er ausführlich den Fall des e<strong>in</strong>stigen Waffen-SS<br />

Mannes Friedrich Schorn, e<strong>in</strong> Doppelagent den sich Walter Ulbricht im Zus<strong>am</strong>menhang mit dem Umsturzversuch, auf<br />

dem 15. Plenum des ZK <strong>am</strong> 26.7.1953 persönlich vornahm: „Das klassische Beispiel ist doch so: Der<br />

Organisator <strong>der</strong> <strong>Provokation</strong>en war e<strong>in</strong> SS-Mann. Der SS-Mann wurde von <strong>der</strong><br />

Staatssicherheit <strong>in</strong> die Leitung und Verwaltung vom Leuna-Werk e<strong>in</strong>gesetzt, und er ist<br />

gepflegt worden, und nachdem man seit Anfang 1952 mit ihm gearbeitet hatte, hatte er alles<br />

so gut gefasst, dass er exakt <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> die <strong>Provokation</strong> organisieren konnte. Das ist<br />

politischer Fakt... Das ist... die Tatsache, die ich selbst untersucht habe“. 72<br />

Mangelsdorf dazu vor Gericht wörtlich: „Schorn war wegen se<strong>in</strong>er Verbrechen als SS-Führer vier Jahre <strong>in</strong>terniert gewesen, fuhr nach<br />

se<strong>in</strong>er Entlassung aus dem Lager sofort nach Westberl<strong>in</strong> und nahm Verb<strong>in</strong>dung mit den Amerikanern auf. Später hatte er auch Kontakt zu<br />

se<strong>in</strong>en früheren Freunden, die jetzt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dienststelle Blank tätig s<strong>in</strong>d und hatte mehrere Treffs im westberl<strong>in</strong>er Cafe „Seehund“. 73<br />

-Organisation Gehlen (ORG)<br />

Wie zwei Spiegel-Redakteure versicherten, flog e<strong>in</strong> erster V-Mann Gehlens bereits 1946 <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> auf. Gerhard<br />

Pickert hatte d<strong>am</strong>als <strong>in</strong> Sachsen und Thür<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong> Agentennetz aufgezogen. 74 Gehlen hatte demnach ganze sieben<br />

Jahre Zeit, um se<strong>in</strong> Agentenapparat für den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> aufzurüsten.<br />

E<strong>in</strong> weiterer Gehlen-Führungsoffizier: Wolfgang Paul Höher, sagte Ende 1953 vor dem obersten Gericht (<strong>DDR</strong>) <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> aus, man könne sagen, „dass ungefähr Ende 1950 <strong>der</strong> Aufbau <strong>der</strong> Organisation Gehlen als abgeschlossen<br />

angesehen werden kann“. 75<br />

Höher gehörte seit Januar 1951 zu den leitenden Mitarbeitern Gehlens, zuletzt war er stellvertretener Leiter e<strong>in</strong>er<br />

Untervertretung <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong>. 76 Er bestätigte außerdem, was für e<strong>in</strong> Verständnis d<strong>am</strong>aliger Zus<strong>am</strong>menhänge äußerst<br />

wichtig ist, es sei nämlich Gehlens Absicht gewesen, „mit se<strong>in</strong>er Organisation <strong>in</strong> <strong>der</strong> aufzubauenden deutschen<br />

Wehrmacht den Abwehrdienst und den Ic-Apparat zu übernehmen“. 77<br />

Deshalb also, befassten sich Gehlens Agenten im entscheidenden Jahr 1953 überwiegend mit Militärspionage, wofür<br />

e<strong>in</strong>e ganze Reihe sogenannter Kriegsfunker bereit standen. Im Spionage-Prozess <strong>in</strong> Halle <strong>am</strong> 12. November 1954<br />

räumte jedenfalls e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Mitarbeiter Stiedenroth e<strong>in</strong>, er habe seit 1952 <strong>in</strong>sges<strong>am</strong>t se<strong>in</strong>en Auftraggebern <strong>in</strong><br />

Westberl<strong>in</strong> „38 Spionageberichte über die Stärke und Bewaffnung <strong>der</strong> sowjetischen<br />

Truppene<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen“ übergeben. Auch dem Angeklagten Franke konnte e<strong>in</strong>e Zus<strong>am</strong>menarbeit mit<br />

Gehlen seit 1952 nachgewiesen werden. Er lieferte „30 Spionageberichte über sowjetische Truppen im<br />

Raum von Gera und Altenburg“. 78<br />

Zwar verzichtete Gehlen nie ganz auf die von ihm so bezeichnete „klassische“ Nachrichtengew<strong>in</strong>nung. Im<br />

70<br />

Neues Deutschland, Nr.295 vom <strong>17.</strong>12.1953<br />

71<br />

Neues Deutschland, Nr.295 vom <strong>17.</strong> 12.1953<br />

72<br />

Karl Wilhelm Fricke / Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.174<br />

73<br />

Neues Deutschland, Nr.136 vom 13.6.1954<br />

74<br />

Hermann Zoll<strong>in</strong>g/ He<strong>in</strong>z Höhne, Pullach <strong>in</strong>tern, Hoffmann und C<strong>am</strong>pe Verlag, S.199<br />

75<br />

Neues Deutschland, Nr.301 vom 24.12.1953<br />

76<br />

Neues Deutschland, Nr.301 vom 24.12.1953<br />

77<br />

Neues Deutschland, Nr.279 vom 28.11.1953<br />

78<br />

Neues Deutschland, Nr.268 vom 14.11.1954


Nachkriegsdeutschland aber war se<strong>in</strong> halblegaler Status bis zur offiziellen Legalisierung <strong>am</strong> 1.4.1956 nicht dazu<br />

geeignet, mit geheimdienstpolitischen Nazimethoden öffentliches Aufsehen zu erregen, zumal auch e<strong>in</strong>e ganze Menge<br />

Kriegsverbrecher im BND-Vorläufer mitarbeiteten.<br />

An<strong>der</strong>erseits war Gehlens Organisation zur fraglichen Zeit, <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, noch fachdienstlich dem <strong>am</strong>erikanischen<br />

Geheimdienst unterstellt, dem mehr daran lag, e<strong>in</strong> funktionierendes Spionagenetz für den Krieg zu unterhalten. Gehlen<br />

k<strong>am</strong> nicht zuletzt auch aus dem von Amerika resultierenden weltweiten Führungsanspruch, bewusst e<strong>in</strong>e zweitrangige<br />

Leitungsrolle zu. Er sollte sich vorerst mit e<strong>in</strong>er Art zweitrangiger, helfen<strong>der</strong> Kontrollfunktion über die<br />

Agentenzentralen zufrieden geben, wofür ebenfalls die <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> stationierten, so genannten Kriegsfunker herhalten<br />

mussten.<br />

Aus weiter oben genannten politischen Gründen, stand deshalb Kaisers Spionagem<strong>in</strong>isterium mit se<strong>in</strong>em<br />

geheimnisvollen „Forschungsbeirat“ jahrelang bei den eigentlichen politisch brisanten Spionageaufträgen offiziell im<br />

Vor<strong>der</strong>grund.<br />

Gehlen verzichtete deshalb natürlich nicht automatisch auf politisch Diversion, hielt sich aber sehr wohl zurück. Nur<br />

se<strong>in</strong>e erfahrensten, zuverlässigsten Agenten, war es erlaubt auf diesem Feld zu arbeiten. O<strong>der</strong> wie sich Friecke mit<br />

se<strong>in</strong>en nur zur Hälfte zugänglichen Informationen im Zus<strong>am</strong>menhang mit dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 ausdrückte: „Die V-<br />

Leute <strong>der</strong> Organisation waren aus Sicherheitsgründen dazu angehalten, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen<br />

Situation passiv zu verhalten, was sie auch taten“. 79<br />

Zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> überwiegen<strong>der</strong> Teil müsste man zu Frickes BND genehmen Informationen h<strong>in</strong>zufügen, denn Gehlens<br />

Hauptagent Raupach durfte tatsächlich, wie vor dem Bezirksgericht Cottbus, im Verfahren gegen e<strong>in</strong>e Gruppe von<br />

Gehlen-Agenten bestätigt worden ist, lediglich nach e<strong>in</strong>er gründlichen Überprüfung, bzw. erst nachdem er jahrelang<br />

Kurierarbeiten verrichtete, Spionageaufträge von politischer Bedeutung, wie sie eben die Vorarbeiten für den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />

1953 darstellten, übernehmen.<br />

Gehlens Diversions-Agenten sollten sich, eben möglichst nicht aus den selben weiter oben genannten Gründen<br />

kompromittieren. E<strong>in</strong>e vorausgehende Bewährungszeit war angesagt, wie ostdeutsche Gerichte im Zus<strong>am</strong>menhang mit<br />

den <strong>Provokation</strong>en unzweideutig im Fall Raupach feststellten. Erst: „nach Überprüfung <strong>der</strong> Zuverlässigkeit<br />

durch se<strong>in</strong>e Auftraggeber erhielt er selbst Spionageaufträge und war an <strong>der</strong> Vorbereitung und<br />

Durchführung <strong>der</strong> faschistischen <strong>Provokation</strong>en <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 beteiligt“. 80<br />

Im Fall des BND-Agenten Vitalis Dalchau, „von 1936 bis 1942... Mitglied des faschistischen<br />

„Jungvolks“ und <strong>der</strong> Hitlerjugend“ war es ganz genauso, auch er mußte vorerst politisch nicht brisantes<br />

Material weiterleiten, bevor er politische Diversionsaufträge übernehmen durfte. Das stand auch mit <strong>der</strong> üblichen<br />

Unterteilung <strong>der</strong> westdeutschen Agenten <strong>in</strong> „erprobt“, „zuverlässig“ und „unzuverlässig“ nicht <strong>in</strong> Wi<strong>der</strong>spruch. 81<br />

Seit Herbst 1952 im Dienste Gehlens, lieferte Dalchau se<strong>in</strong>em Führungsoffizier wie vere<strong>in</strong>bart, <strong>am</strong> Anfang nur<br />

wirtschaftsrelevante Informationen. Erst später dann auch Auskünfte über etwa 10 bis 12 leitende Mitarbeiter se<strong>in</strong>es<br />

Betriebes (Elektro-Apparate-Werk J. W. Stal<strong>in</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Treptow). „Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 beteiligte sich<br />

Dalchau an dem Putschversuch; er trat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Abteilung für die sofortige<br />

Arbeitsnie<strong>der</strong>legung e<strong>in</strong> und nahm auch an dem provokatorischen Marsch zum Haus <strong>der</strong><br />

M<strong>in</strong>isterien teil. Das Missl<strong>in</strong>gen des Putsches bedauerte er häftig“. 82<br />

Wie den Akten des Obersten Gerichts <strong>in</strong> Sachen Werner Haase entnomen werden konnte, war es letztendlich tatsächlich<br />

so, dass es den übergeordneten Stellen <strong>der</strong> Gehlen-Organisation <strong>in</strong> Ausnahmefällen durchaus möglich war, beson<strong>der</strong>s<br />

bedeuts<strong>am</strong>e „Untervertretungen“, „Filialen“ und Agenten direkt anzuleiten“.<br />

Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 wurde offensichtlich reichlich auf solche Ausnahmefälle zurückgegriffen. Ernst Wollweber räumte<br />

nachträglich jedenfalls e<strong>in</strong>: “Wir haben h<strong>in</strong>reichend Beweise, dass dieser Putsch organisiert wurde“. Für den<br />

Umsturz habe man laut des d<strong>am</strong>aligen höchsten Chef im Staatssekretariat für Staatssicherheit (SfS) „die Agenturen <strong>der</strong><br />

verschiedensten verbrecherischen Agenturen mobilisiert. Das gilt für alle, für die Agenturen <strong>der</strong> Gehlen<br />

Organisation... die Ostbüros und an<strong>der</strong>er“. 83<br />

Spätere Prozesse werden Wollwebers Aussagen bestätigen. Vor dem I. Strafsenat des K<strong>am</strong>mergerichts von Groß-Berl<strong>in</strong><br />

79<br />

Karl Friedrich Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Themen 2003, S.77<br />

80<br />

Neues Deutschland, Nr.259 vom 4.11.1953<br />

81<br />

Wilhelm von Schr<strong>am</strong>m, Geheimdienst im Zweiten Weltkrieg. –Organisationen, Methoden, Erfolge, Mit e<strong>in</strong>em<br />

Nachwort von Leo Hepp, Generalleutnant a. D., 4. erweiterte Auflage, Ulste<strong>in</strong> Verlag Frankfurt <strong>am</strong> Ma<strong>in</strong> 1986, S.<br />

394<br />

82<br />

Neue Justiz, Heft 22 vom 20.11.1954 (Beilage, S.7)<br />

83 Neues Deutschland, Nr.87 vom 13.4. 1954


egann 1954 e<strong>in</strong> <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht sehr aufschlussreicher Prozess gegen vier Gehlen Agenten, 84 denen man neben ihrer<br />

seit 1950 <strong>in</strong> Angriff genommenen Wirtschaftsspionage, ab <strong>Juni</strong> 1953, also unmittelbar vor dem Umsturzversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong><br />

<strong>Juni</strong> 1953 auch noch Wirtschaftssabotage nachweisen konnte.<br />

Da sie außerdem für den <strong>am</strong>erikanischen CIC spionierten, dürfte ihre Mitarbeit im M<strong>in</strong>isterium für Masch<strong>in</strong>enbau e<strong>in</strong>e<br />

beson<strong>der</strong>e Rolle <strong>in</strong> den Plänen bei<strong>der</strong> Geheimdienste gespielt haben. Zus<strong>am</strong>men entwendeten sie „regelmäßig<br />

vertrauliche und geheime Dokumente über Bestände an Engpassmaterialien und<br />

Planauflagen“, für ihre Auftraggeber.<br />

Ab <strong>Juni</strong> 1953 langte dies aber schon nicht mehr aus. Jetzt erst gaben sie „bewusst falsche Anordnungen und<br />

verzögerten wichtige Maßnahmen, um die wirtschaftlichen Grundlagen (des) ... Staates zu<br />

untergraben. Sie haben Betriebe, die wichtige Export- und Regierungsaufträge auszuführen<br />

hatten, entwe<strong>der</strong> überhaupt nicht mit Engpassmaterialien beliefert o<strong>der</strong> die Belieferung<br />

verzögert. Statt dessen wiesen sie solchen Betrieben Materialien zu, die dafür ke<strong>in</strong>e<br />

Verwendung hatten“. 85 Wirtschafts-Spionage und –Sabotage trug demnach zur Vorbereitung des Putsches, ebenso<br />

wie danach für den Versuch e<strong>in</strong>er neuen <strong>Provokation</strong>, im erheblichen Maße bei.<br />

Völlig daneben können Wollwebers Enthüllungen also gar nicht gelegen haben, auch deshalb nicht, weil <strong>der</strong> Prozess vor<br />

dem obersten Gericht (<strong>DDR</strong>) gegen sieben Gehlen Agenten Ende 1953 gleichfalls bestätigte: „Außer dieser<br />

Militär- und Wirtschaftsspionage hatten die Agenten Anweisungen, über die Lage <strong>in</strong> den<br />

demokratischen Parteien und Massenorganisationen, über die Stimmung <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

usw. Informationen zu geben“. 86<br />

Um ke<strong>in</strong>e Zweifel aufkommen zu lassen, hieß es im <strong>am</strong>tlichen Anklagetext dazu wörtlich: „Die Untersuchungen<br />

im Ermittlungsverfahren haben ergeben,... dass die Agenturen Gehlens im Auftrage ihrer<br />

vorgesetzten Geheimdienststellen aktiven Anteil an <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> faschistischen<br />

<strong>Provokation</strong>en vom <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 im demokratischen Sektor von Berl<strong>in</strong> und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen<br />

Demokratischen Republik genommen haben“. 87<br />

Dennoch blieb <strong>der</strong> Schwerpunkt des überwiegenden Teils <strong>der</strong> Gehlenagenten weitgehend auf den möglichen<br />

militärischen Konflikt, dem sogenannten Ernstfall (E-Fall) ausgerichtet. Gehlen baute dafür e<strong>in</strong> weitverzweigtes<br />

Funknetz auf, dessen Mitglie<strong>der</strong> sich nach den konzentrierten Schlägen des SfS aber nicht lange halten konnten. Ihre<br />

Aufgabe war es, dem Gehlen-Apparat alle möglichen Informationen zu übermitteln, um ihn so weitgehend auf den<br />

neuesten Stand zu halten. Zwar versicherte e<strong>in</strong> überwiegen<strong>der</strong> Teil verhafteter Agenten, sie sollten ihr Gerät erst im E-<br />

Fall benutzen, Gehlens-Funknetzführer Karl He<strong>in</strong>z Schmidt aber, e<strong>in</strong> Gehlen Mitarbeiter seit 1952, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

dreiwöchige spezielle Funkausbildung h<strong>in</strong>ter sich brachte, bestätigte nach Nachbohren des Vorsitzenden vor dem<br />

obersten Gericht wörtlich:<br />

„Vorsitzen<strong>der</strong>: Trat dieser Fall (E-Fall) schon e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>?<br />

Schmidt: Ja, <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> (1953). Wir wollten Funken, haben aber ke<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung<br />

bekommen“. 88<br />

Ähnliches g<strong>in</strong>g aus e<strong>in</strong>en sichergestellten schriftlichen Agentenauftrag hervor, datiert auf den <strong>17.</strong> Juli <strong>1953.</strong> Inhaltlich<br />

g<strong>in</strong>g es um den Funke<strong>in</strong>satz dieses Agenten „bei den Unruhen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> und später“. Ausdrücklich<br />

wurden <strong>in</strong> dem Schreiben Verhaltensanweisungen nahegelegt „falls sich Unruhen o<strong>der</strong> Ausnahmezustand<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ostzone wie<strong>der</strong>holen“ sollten. 89<br />

E<strong>in</strong> weiteres gutes Beispiel dafür war Gehlen Mitarbeiter Bruno Panzer. Er stellte sich selbst. Auch ihn bildete man zum<br />

Funker aus. Er gab allerd<strong>in</strong>gs im Gegensatz zu mehreren Aussagen verhafteter Kriegsfunker offen zu, nicht nur im E-<br />

Fall gefunkt zu haben. Panzer wörtlich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er schriftlichen Erklärung vom 13.11.1953: „Tretner (me<strong>in</strong><br />

Führungsoffizier) sagte mir, dass ich nach Beendigung me<strong>in</strong>er Ausbildung wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die<br />

Deutsche Demokratiche Republik zurückkäme und e<strong>in</strong> Funkgerät erhalten würde. Ich sollte<br />

von an<strong>der</strong>en Leuten, die mit Tretner <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehen, verschiedene Informationen holen<br />

84<br />

Angeklagt waren die Gehlen-Agenten Paul Riegel, Rudolf Klare, Hildegard Büttner und Karl Richter.<br />

85<br />

Neues Deutschland, Nr.188 vom 13.8.1954<br />

86<br />

Neues Deutschland, Nr.300 vom 23.12.1953<br />

87<br />

Neues Deutschland, Nr. 297 vom 19.12.1953<br />

88<br />

Neues Deutschland, Nr.301 vom 24.12.1953, Neue Justiz, Nr.1, 5.1.1954<br />

89<br />

Neues Deutschland, Nr.260 vom 5.11.1953


und nach Westdeutschland senden, wo sich die Zentrale <strong>der</strong> Spionageorganisation“ befand. 90<br />

Dieser Arbeitsbereich westdeutscher Kriegsfunker wurde auch <strong>in</strong> den Untersuchungsprotokollen des Gehlen-Agenten<br />

Walter Schnei<strong>der</strong> aktenkundig. Schnei<strong>der</strong>, von 1938 bis 1945 HJ-Mitglied, 91 brachte es bis zum Oberreferent im<br />

M<strong>in</strong>isterium für Aufbau/ Hauptverwaltung Bau<strong>in</strong>dustrie. Er hatte laut Gerichtsurteil vom 21.12.1953 vor dem Obersten<br />

Gericht wörtlich: „<strong>in</strong> Abständen von drei Wochen Treffs mit den Agenten <strong>der</strong><br />

Spionageorganisation Gehlen durchgeführt und zwar <strong>in</strong>sges<strong>am</strong>t etwa zwölf Treffs. Se<strong>in</strong>e<br />

Berichte waren so umfassend, dass die Spionageorganisation daraus e<strong>in</strong> vollständiges Bild<br />

über das M<strong>in</strong>isterium für Aufbau und die Bau-Unionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Republik erhielt. Er nahm<br />

ferner Schreibübungen mit Geheimt<strong>in</strong>te vor, um eventuell se<strong>in</strong>e Berichte schriftlich<br />

übersenden zu können. Im übrigen lieferte er aus drei Städten <strong>der</strong> Deutschen Demokratichen<br />

Republik, und zwar aus Wernigerode, Halle und Leipzig, Berichte über den Verlauf <strong>der</strong><br />

<strong>Provokation</strong>en des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> (1953) nach West-Berl<strong>in</strong>. Ebenso übermittelte er e<strong>in</strong>e Reihe von<br />

Stimmungsberichten aus <strong>der</strong> Bevölkerung. Se<strong>in</strong>e Berichte waren für den Geheimdienst<br />

beson<strong>der</strong>s wertvoll“. 92<br />

Es ist also nicht nötig auf den bei Gehlen seit 1952 arbeitenden ehemaligen SS-Unterscharführer Hans-Joachim Koch, 93<br />

näher e<strong>in</strong>zugehen, obwohl auch er „als Leiter e<strong>in</strong>es sogenannten Funkkopfes“ im Raum von Berl<strong>in</strong><br />

Spionage<strong>in</strong>formationen an Banden sowie Agentengruppen, sprich Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO)<br />

weiterleiten sollte, „die von <strong>der</strong> Gehlen-Organisation <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> e<strong>in</strong>gesetzt werden sollten...<br />

Dann k<strong>am</strong> <strong>der</strong> Tag des faschistischen Putschversuches im <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> Bezeichnen<strong>der</strong>weise<br />

hatte <strong>der</strong> Agentenfunker Koch bereits vorher für diesen Tag den Auftrag bekommen, e<strong>in</strong>e<br />

„Probefunkverb<strong>in</strong>dung“ mit se<strong>in</strong>er Funkleitstelle herzustellen. Die Gehlen-Organisation<br />

wusste also, was <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> geschehen sollte. Und ihr Agentenfunker Koch alias Schubert<br />

bewies, dass er selbstständig zu arbeiten verstand. Fünfmal nahm er <strong>in</strong> diesen Tagen<br />

Verb<strong>in</strong>dung auf und berichtete über Truppenbewegungen <strong>der</strong> Sowjetarmee, wie er es gelernt<br />

hatte“. 94 Koch erhielt dafür, „für die Herstellung <strong>der</strong> Funkverb<strong>in</strong>dung <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953“ e<strong>in</strong>e<br />

beson<strong>der</strong>e Belohnung <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>maligen Zuwendung. 95<br />

E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Gehlen Mitarbeiter mit dem N<strong>am</strong>en Bruno Siegfried Kranz bestätigte ebenfalls im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> vor dem<br />

obersten Gericht, e<strong>in</strong> Spionageleiter habe ihm persönlich erklärt, „dass <strong>der</strong> „Tag X“, <strong>der</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>, <strong>der</strong><br />

„Polterabend“ war und dass im März die „Hochzeit“ folgen sollte, dass diese aber „besser“<br />

vorbereitet se<strong>in</strong> müsse als <strong>der</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>“. 96<br />

Demnach war Gehlens Spionageorganisation tatsächlich wie Wollweber bestätigte, sehr wohl an den Geschehnissen <strong>am</strong><br />

<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 aktiv <strong>in</strong>volviert, was noch immer streng geheim gehalten wird, wie e<strong>in</strong> bewusst mit halben Wahrheiten<br />

vollgestopftes Rundschreiben Gehlens zur „Politischen Ges<strong>am</strong>tlage <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>“ vom 20. <strong>Juni</strong> 1953 beweist.<br />

Inhaltlich wurden wie schon im zuvor sichergestellten „Generellen Auftrag für ALLE“, gezielt für den<br />

Nichte<strong>in</strong>geweihten wirre Aussagen gemacht.<br />

Näher betrachtet aber war dies zur d<strong>am</strong>aligen Zeit tatsächlich Gehlens politisch offizieller Standpunkt. An<strong>der</strong>erseits<br />

zeigt sich d<strong>am</strong>it eigentlich nur wie<strong>der</strong>holt die Bereitschaft, im gegebenen Fall auch eigene Mitarbeiter zu<br />

Dess<strong>in</strong>formieren. Nur so war <strong>der</strong> Gehlen-H<strong>in</strong>weis, sämtliche Handlungen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> wären <strong>in</strong> Wirklichkeit „von<br />

östlicher Seite <strong>in</strong>szenierte Aktionen“ gewesen, zu verstehen. 97<br />

In e<strong>in</strong>em weiteren Schreiben „an den Leiter <strong>der</strong> Filiale 120/ A zu Erfahrungen und<br />

Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953“ sagten sie es dann auch erstmals selbst:<br />

Zum<strong>in</strong>dest „III-mäßige Spitzenquellen“, sprich Mitarbeiter aus ihrer Hauptabteilung III „Abwehr und<br />

Gegenspionage“ standen unter beson<strong>der</strong>em Schutz:<br />

90<br />

Neues Deutschland, Nr. 274 vom 22.11.1953<br />

91<br />

Neue Justiz, Nr.1, 5.1.1954<br />

92<br />

Hg. Oberstes Gericht, Entscheidungen des Obersten Gerichts <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, 3. Band, VEB Deutscher Zentralverlag Berl<strong>in</strong> 1954, S.52<br />

93<br />

Neues Deutschland, Nr.134 vom 11.6.1955<br />

94<br />

Neues Deutschland, Nr.135 vom 12.6.1955<br />

95<br />

Neue Justiz, Nr.13 vom 5.7.1955, S.398<br />

96<br />

Neues Deutschland, Nr.299 vom 22.12.1953<br />

97<br />

Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003, S.269


„Über die Absichten und Entschlüsse im Voraus kann letzten Endes nur e<strong>in</strong>e Elite von<br />

politischen (ZK <strong>der</strong> SED, Sowjetische Hochkommission, Regierungsstellen) und III-mäßigen 98<br />

(MWD und SSD) Spitzenquellen berichten“. 99<br />

Weiter vorn wurde im selben Dokument sogar erstmals offen auf Gehlens wahrgenommene Kontrollfunktion <strong>am</strong> <strong>17.</strong><br />

<strong>Juni</strong> 1953 kritisch näher e<strong>in</strong>gegangen, auch BND-„Son<strong>der</strong>verb<strong>in</strong>dungen bei KgU, UfJ, VPO, Ost-Büros,<br />

Gewerkschaften usw.“ zu den Agentenzentralen wurden erstmals n<strong>am</strong>entlich erwähnt. 100<br />

Neben den erstmals selbst erwähnten „Son<strong>der</strong>verb<strong>in</strong>dungen“ zu den unzähligen Geheimdiensthilfsorganisationen<br />

(GHO) liefen Gehlens geknüpfte Kontakte zum Kaiser M<strong>in</strong>isterium, „und über den ehemaligen<br />

Nazigeneraloberst Lutz zum Bonner Kriegsm<strong>in</strong>isterium Blank“ im entscheidenden Zeitpunkt natürlich<br />

ebenfalls reibungslos. 101<br />

Über 400 verhaftete Gehlen Agenten auf <strong>DDR</strong>-Hoheitsgebiet <strong>in</strong> den Jahren 1953/54 zeigen auf gleiche Weise, wie<br />

immens dieser nachrichtendienstliche E<strong>in</strong>fluss auf diese Ereignisse zum<strong>in</strong>dest von westdeutscher Seite aus gewesen<br />

se<strong>in</strong> muss.<br />

Den meisten Verhafteten gelang es vor Gericht nicht, ihre faschistische Vergangenheit zu verbergen. Siegfried Altkrüger<br />

zum Beispiel, seit Mitte 1951 Gehlen-Mitarbeiter, „gehörte von 1933 bis 1936 <strong>der</strong> Hitlerjugend an“. 102 Der<br />

Gehlen-Mitarbeiter seit März 1952, Walter Rennert, „gehörte von 1932 bis März 1933 <strong>der</strong> NSDAP und<br />

<strong>der</strong> SA an“. 103 Auch Helmut Schwenk, seit Ende August 1953 im Dienste Gehlens, marschierte zum<strong>in</strong>dest bis 1936 <strong>in</strong><br />

den Reihen des „faschistischen Deutschen Jungvolk und später <strong>der</strong> Hitlerjugend“ mit. 104<br />

Die Spione Gehlens waren noch dazu zur fraglichen Zeit, wie Ma<strong>der</strong> versichert, bei den Akten „des <strong>in</strong>dividuellen<br />

und Massenterrors... die treibenden Kräfte“. 105 Obwohl sich deutsche Agenten nach eigenen Angaben<br />

zurückhielten, führten sie für Sabotagezwecke <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> BND Generaldirektion (GD) sogar e<strong>in</strong> eigenes Ressort<br />

(Abteilung II) dessen Führungsoffiziere sich überwiegend mit Wirtschaftssabotage beschäftigten. 106<br />

Gehlens leiten<strong>der</strong> Mitarbeiter seit Januar 1951, Wolfgang Paul Höher, sagte dazu vor Gericht unzweideutig aus,<br />

nämlich, „dass die aus <strong>der</strong> Wirtschaft bei <strong>der</strong> Gehlen-Zentrale e<strong>in</strong>laufenden<br />

Spionagemeldungen sofort für die Organisierung von Sabotage ausgewertet werden“. 107<br />

******************XXXXXXXXX<br />

Ergebnise aus Gehlens berüchtigter Militärspionage dienten ebenfalls <strong>in</strong> nicht unbedeutendem Maße<br />

Sabotage-Zwecken. Sie sollten aber erst nach dem sogenannten E-Fall voll zum Tragen kommen. E<strong>in</strong> eigenes<br />

Sabotageorgan („Technische Nothilfe“) befand sich dafür unter <strong>der</strong> Leitung des früheren SS-Generals Somann <strong>in</strong><br />

Augsburg. Ihre Agenten sollten vor, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aber nach Ausbruch des Krieges „<strong>in</strong> Gruppen zum Zwecke<br />

<strong>der</strong> Sabotage zus<strong>am</strong>mengefasst werden“. 108<br />

D<strong>am</strong>it ist es erwiesen, Gehlens Militärspionage stand mit Sabotage sowie Diversion im engen Zus<strong>am</strong>menhang, wie<br />

auch se<strong>in</strong> ehemaliger Mitarbeiter: Mart<strong>in</strong> Klotz, im November 1954 <strong>in</strong> Leipzig vor Gericht deutlich hervorhob.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e den Sabotageakten auf Eisenbahn- o<strong>der</strong> Straßen-brücken habe man e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Beachtung gewidmet,<br />

zumal verschiedene Agentenzentralen, bereits <strong>in</strong> Friedenszeiten Brücken mit Sprengstoffen zerstören wollten.<br />

Mitglie<strong>der</strong> des Verbandes unter Leitung von Janke + Vogelsang zum Beispiel, versuchten <strong>in</strong> den Gebieten von<br />

Magdeburg, bzw. Ankl<strong>am</strong> e<strong>in</strong>e solche Tat auszuführen. 109 An<strong>der</strong>e, diesmal KgU-Agenten, hatten vor im Oktober 1953<br />

e<strong>in</strong>e Eisenbahnbrücke <strong>in</strong> Kaputh zu sprengen. 110 In Leipzig versuchten Terroristen aus dem selben Verband e<strong>in</strong>e größere<br />

98<br />

III steht für Abwehr und Gegenspionage –gemäß <strong>der</strong> Zuständigkeit <strong>der</strong> Hauptabteilung III <strong>der</strong> Pullacher Zentrale. III-Quellen= Infiltration und<br />

Irreführung (mit Spielmaterial) ausländischer Geheimdienste und Aufklärungsorgane. / J. Ma<strong>der</strong>, Nicht länger geheim, 1978, S.286<br />

99<br />

Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003, S. 280<br />

100<br />

Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003, S. 280<br />

101<br />

Neues Deutschland, Nr.264 vom 10.11.1953<br />

102<br />

Neue Justiz, Nr.1, 5.1.1954<br />

103<br />

Neue Justiz, Nr.1, 5.1.1954<br />

104<br />

Neue Justiz, Nr.1, 5.1.1954<br />

105<br />

Ma<strong>der</strong> Julius, Nicht länger geheim, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1977<br />

106<br />

Neue Justiz, Nr.22 vom 20.11.1954, S.652<br />

107<br />

Neues Deutschland, Nr.260 vom 5.11.1954<br />

108<br />

Neue Justiz, Nr.22 vom 20.11.1954, S.652<br />

109<br />

Neues Deutschland, Nr.1 vom 1.1.1953<br />

110<br />

Neues Deutschland, Nr.266 vom 7. 11.1953


För<strong>der</strong>brücke des Komb<strong>in</strong>ats Otto Grotewohl mit selben Mitteln zu zerstören. 111<br />

Mart<strong>in</strong> Klotz, seit 1951 Gehlen-Mitarbeiter, hat außerdem nach eigenen Angaben vor Gericht, „im Dezember 1952<br />

den Auftrag erhalten, im Umfeld von Leipzig geeignete Abwurfplätze zu erkunden, die im<br />

Kriegsfall von USA-Flugzeugen angeflogen und wo Agentengruppen <strong>der</strong> Gehlen-Organisation<br />

mit Sprengstoff, Waffen, technischen Ausrüstungen und Lebensmitteln versorgt werden<br />

sollten. Den Agentengruppen war die Aufgabe gestellt, wichtige Eisenbahn- und<br />

Autobahnknotenpunkte, Straßen- und Eisenbahnbrücken zu sprengen um so das<br />

Versorgungsnetz <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> zu stören und ihre Verteidigungsfähigkeit zu untergraben“. 112<br />

Primär- o<strong>der</strong> Ausgangs<strong>in</strong>formationen dafür lieferten wie<strong>der</strong>um, entwe<strong>der</strong> mit dem Auslandsnachrichtendienst <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung stehende Agentenzentralen o<strong>der</strong> eigene, so genannte Ü-Quellen. Gehlen Mitarbeiter Karl Julius Wilhelm<br />

Bandelow war e<strong>in</strong>er von ihnen. Er saß im Rang e<strong>in</strong>es Hauptreferenten ohne behelligt zu werden, jahrelang im<br />

„Staatssekretariat für Kraftverkehr und Straßenwesen“ <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>.<br />

Deswegen fiel es Bandelow auch leicht, „genaue Pläne (<strong>am</strong>tliche Brückenbücher) über das<br />

Straßennetz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik, <strong>in</strong> denen sämtliche Eisenbahn- und<br />

Flussbrücken sowie Über- und Unterquerungen von Hauptstraßen maßstabsgerecht<br />

e<strong>in</strong>gezeichnet waren (zu liefern).<br />

Über die Neuprojektierung von Straßen, Eisenbahn- und Flussbrücken sowie über an<strong>der</strong>e<br />

verkehrstechnische Objekte (h<strong>in</strong>gegen) lieferte die Beschuldigte (Gehlen Agent<strong>in</strong> Käthe) Dorn<br />

die <strong>am</strong>tlichen Unterlagen“. 113<br />

Gehlen <strong>in</strong>teressierte sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für Straßenüberquerungen, weil Brücken im Krieg e<strong>in</strong>e bedeutende Rolle spielen,<br />

sie s<strong>in</strong>d wichtig für e<strong>in</strong>e genaue Ausarbeitung von detaillierten Angriffsplänen. Aber auch um e<strong>in</strong>en Krieg<br />

vorzubereiten. 114 Deshalb wollte er „die Tragfähigkeit <strong>der</strong> Straßenbrücken“ wissen.<br />

Frage des Vorsitzenden: „Wieso <strong>in</strong>teressierte man sich für die Tragfähigkeit“?<br />

Bandelows Antwort: „Der Fe<strong>in</strong>d sollte Kenntnis erhalten, welche Lasten den Brücken zuzumuten<br />

war und wie viel Sprengstoff man für die Sprengung benötigte“. 115<br />

Zus<strong>am</strong>mengetragene Informationen über ostdeutsche Bahnl<strong>in</strong>ien dienten ganz genau den selben Zwecken, wie e<strong>in</strong><br />

<strong>DDR</strong>-Sachverständiger se<strong>in</strong>erzeit vor Gericht erläuterte. Er legte dar, „dass schon vor dem 1. Weltkrieg und<br />

noch mehr vor dem 2. Weltkrieg <strong>der</strong> große Generalstab sich für die Be- und Entladungen, für<br />

Langs<strong>am</strong>fahrtstellen, für Buch- und Bildfahrpläne ganz beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>teressiert hat“, 116 denn<br />

Autobahnstrecken, Eisenbahnnetze, Verkehrsknotenpunkte bis h<strong>in</strong> zu Wasserstraßen spielten seit jeher e<strong>in</strong>e bedeutende<br />

Rolle für e<strong>in</strong>en reibungslosen Angriffskrieg. 117<br />

-Secret Intelligence Service (SIS)<br />

Noch im selben <strong>Juni</strong> 1953 gelang es den ostdeutschen Sicherheitsbehörden den englischen Agenten Arthur Näser aus<br />

Gärtiz (bei Döben/ Sachsen) festzunehmen. Bereits 1951 überfiel er e<strong>in</strong> SED-Mitglied, um danach nach Westberl<strong>in</strong><br />

zu flüchten. „Dort suchte er den <strong>am</strong>erikanischen und den britischen Spionagedienst auf, um<br />

ihnen gegen Geld Angaben über die Deutsche Demokratische Republik zu machen. Bei dieser<br />

Gelegenheit wurde Näser (von ihnen) als Agent zur ständigen Mitarbeit... geworben. Mit<br />

Aufträgen <strong>der</strong> Agentenzentralen versehen, kehrte er nach e<strong>in</strong>iger Zeit nach Rärtiz zurück...<br />

Näser versuchte im Ort Unfrieden zwischen den E<strong>in</strong>wohnern zu stiften... und Anhänger für<br />

se<strong>in</strong>e Spionagetätigkeit zu gew<strong>in</strong>nen. E<strong>in</strong>ige Zeit vor dem „Tag X“ trat er mit immer<br />

aggressiveren Äußerungen auf, erklärte, dass er „zur gegebenen Zeit aufräumen“, bzw.<br />

111 Neues Deutschland, Nr.5, 7.1.1953<br />

112 Neues Deutschland, Nr.259 vom 4.11.1954<br />

113 Neues Deutschland, Nr.257 vom 2.11.1954<br />

114 Neues Deutschland, Nr.259 vom 4.11.1954<br />

115 Neues Deutschland, Nr. 258 vom 3.11.1952<br />

116 Neue Justiz, Nr.22 vom 20.11.1954, S.651<br />

117 Unsere Zeit (UZ) ,UZ-Spezial, Autorenkollektiv, Der 13.August 1961, CommPress Verlag Essen 2001, S.10


Funktionäre ermorden wolle usw. Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 verbreitete er dann Regierungsumsturzparolen. Zugleich<br />

„for<strong>der</strong>te Näser die Bauern auf, ke<strong>in</strong>e landwirtschaftlichen Produkte mehr abzuliefern, um so<br />

die Versorgung <strong>der</strong> städtischen Bevölkerung zu sabotieren und unter den Arbeitern<br />

Unzufriedenheit hervorzurufen“. 118<br />

E<strong>in</strong> weiterer Agent des englischen Geheimdienstes konnte <strong>in</strong> Nordhausen (Thür<strong>in</strong>gen) entlarvt werden. Es handelte sich<br />

um e<strong>in</strong>en im Betrieb ABUS tätigen Herr Reckstatt, e<strong>in</strong>st Oberfeldwebel unter Hitler. Nach dem Zus<strong>am</strong>menbruch k<strong>am</strong> er<br />

<strong>in</strong> englische Kriegsgefangenschaft. „Auf <strong>der</strong> englischen Spionageschule <strong>in</strong> Wilton Park“ erhielt Reckstatt<br />

dann se<strong>in</strong>e Anweisungen zur Spionage, bzw. Sabotage. Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 gehörte er zu den Rädelsführern <strong>in</strong><br />

Nordhausen. 119<br />

Als im Oktober 1953 vor dem I. Strafsenat <strong>in</strong> Magdeburg, mehrere KgU-Agenten vor Gericht standen, befand sich auch<br />

Kurt Groß unter ihnen. Se<strong>in</strong>en Mitstreitern viel es zu, den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 vor Ort vorzubereiten. Groß hatte u. a. den<br />

Auftrag „Güterzüge <strong>in</strong> Brand zu stecken und die große Turb<strong>in</strong>e“ des Filmwerks Wolfen <strong>in</strong> Bitterfeld<br />

(bei Dessau/ Sachsen-Anhalt) stillzulegen.<br />

„Seit 1931 war Groß Mitglied <strong>der</strong> SA und <strong>der</strong> Nazipartei... (Man setzte ihn) als Bewachung im<br />

Konzentrationslager <strong>in</strong> Zörbig e<strong>in</strong>...<br />

Von 1944 bis 1947 weilte er als Kriegsgefangener <strong>in</strong> England und erhielt dort <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Lagern se<strong>in</strong>e Agentenausbildung“. 1948 trat er zur Tarnung <strong>der</strong> SED bei, ließ sich 1949 <strong>in</strong> die<br />

BGL wählen und wurde 1951 BGL-Vorsitzen<strong>der</strong>“. 120<br />

Zur reibungslosen Informationsübermittlung aus <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> hatten englische Geheimdienstoffiziere natürlich noch vor<br />

dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> eigene Kurierdienste e<strong>in</strong>gerichtet. Ihr Agent Friedrich He<strong>in</strong>e war e<strong>in</strong>er dieser Kuriere. Er ließ sich im Mai<br />

1953 bei e<strong>in</strong>em Besuch <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong>, von dem Hauptagenten Albrecht alias Günter für den englischen Geheimdienst<br />

anwerben. „Er erhielt den Deckn<strong>am</strong>en „Kurt Weber“ und beför<strong>der</strong>te als Kurier<br />

Spionageberichte“. 121<br />

<strong>Provokation</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> –Geheimdiensthilfsorganisationen.<br />

An <strong>der</strong> Massendemonstration, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aber an <strong>der</strong> <strong>Provokation</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 nahmen zahlreiche<br />

→Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO) teil.<br />

Während die CIA den Kopf <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> NATO und das Kaiserm<strong>in</strong>isterium das Leitungsorgan des Unternehmens:<br />

„Operation <strong>DDR</strong>“ darstellten, gehörten die nationalen westeuropäischen Geheimdienste zum rechten und die<br />

zahlreichen →Geheimdiensthilforganisationen (GHO) zweifelsohne zum l<strong>in</strong>ken Standbe<strong>in</strong> des Unternehmens.<br />

Dabei g<strong>in</strong>gen durchaus nicht alle Agentenzentralen ausschließlich gegen die <strong>DDR</strong> vor, vielmehr bearbeiteten<br />

ausländische Geheimdiensthilfsorganisation für die →<strong>Provokation</strong> nicht selten e<strong>in</strong> ganz spezifisches<br />

volksdemokratisches Land. Die <strong>in</strong> Deutschland aktiven Untergrundorganisationen vom Schlage des<br />

→Antibolschewistischen Blocks <strong>der</strong> Nationen (ABN) zum Beispiel, werden daher <strong>in</strong> <strong>der</strong> anschließenden Aufzählung<br />

nicht erwähnt. 122<br />

Dafür aber werden die mit dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> Zus<strong>am</strong>menhang stehenden 39 deutschen<br />

Geheimdiensthilfsorganisationen ausführlich beschrieben. Es geht darum, e<strong>in</strong>en ersten Überblick über faschistoide, mit<br />

dem Geheimdienst kooperierenden Agentenzentralen zu geben.<br />

Ob man sie „freiwillige Gruppen“, Kreise, Gesellschaften, Son<strong>der</strong>organisationen, Subversionszentralen,<br />

Geheimorganisationen, Zubr<strong>in</strong>gerorgane, Agenturen, Untergrundorganisationen, Agentenzentralen o<strong>der</strong> treffend<br />

Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO) nennt, spielt <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang ke<strong>in</strong>e Rolle, denn ihre<br />

Handlangerdienste <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> vor wie während des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 im Rahmen „Operation <strong>DDR</strong>“ s<strong>in</strong>d<br />

aktenkundig. Fricke aber behauptet doch tatsächlich allen ernstes: „E<strong>in</strong> Beweis, das <strong>der</strong> Aufstand von<br />

westlichen Agentenzentralen (mit)geplant, (mit)vorbereitet und (mit)gesteuert worden war,<br />

ist... <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Strafprozess gegen Akteure des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> erbracht worden. Er existiert<br />

nicht“. 123<br />

118 Neues Deutschland, Nr.151 vom 1.7. 1953<br />

119 Neues Deutschland, Nr.173 vom 26.7.1953<br />

120 Neues Deutschland, Nr.234 vom 6.10.1953<br />

121 Neues Deutschland, Nr.194 vom 20.8.1954<br />

122 ABN= Anti-Bolshevist Bloc of Nations<br />

123 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.230


E<strong>in</strong>e solche Aussage muss natürlich überraschen, denn <strong>in</strong> Wirklichkeit standen auch ausländische<br />

Geheimdiensthilfsorganisationen vor Gericht, weil sie an den Vorbereitungen des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> beteiligt waren. Der<br />

ehemalige russische M<strong>in</strong>isterpräsident und d<strong>am</strong>alige Führer <strong>der</strong> „Vere<strong>in</strong>igung russischer<br />

Wi<strong>der</strong>standskämpfer gegen den Bolschewismus“: Alexan<strong>der</strong> Kerenski, rühmte sich jedenfalls „nach<br />

dem Putsch, <strong>in</strong> Beise<strong>in</strong> des Angeklagten Mangelsdorf..., zur Vorbereitung des Putsches<br />

beigetragen zu haben“. 124<br />

E<strong>in</strong>leitend muss deshalb auf den allen Ansche<strong>in</strong> <strong>am</strong> schwersten zu wie<strong>der</strong>legenden Vorwurf Frickes, es würden<br />

nirgendwo, <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Strafprozess Beweise für den von westlichen Agentenzentralen „(mit)geplanten,<br />

(mit)vorbereitet und (mit)gesteuerte(n)“ Putsch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 existieren, näher e<strong>in</strong>gegangen werden.<br />

Vorweg, denn im Gerichtsverfahren vor dem Strafsenat 1b des Stadtgerichtes Berl<strong>in</strong> Ende August 1953, gegen e<strong>in</strong>e<br />

Gruppe des Gladio-Vorläufers BDJ konnten sämtliche Behauptungen Frickes e<strong>in</strong>wandfrei wie<strong>der</strong>legt werden.<br />

Die vor Gericht stehende, beson<strong>der</strong>s brutale, berl<strong>in</strong>er Franktion des BDJ wurde selbst laut „National-Zeitung“<br />

(Berl<strong>in</strong>, 14.Januar 1951) vom <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst CIC aufgebaut. Ihre Leiter waren zuvor entwe<strong>der</strong><br />

ehemalige SS-Offiziere o<strong>der</strong> haupt<strong>am</strong>tliche HJ-Mitarbeiter. Viele von ihnen s<strong>in</strong>d nach 1945 <strong>in</strong> <strong>am</strong>erikanischen<br />

Gefangenenlagern für ihre Spionageaufgaben vorbereitet worden.<br />

Alle Angeklagten des Berl<strong>in</strong>er BDJ nahmen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 an den Gewaltausschreitungen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> teil. Am<br />

Alexan<strong>der</strong>platz haben sie e<strong>in</strong>en später <strong>in</strong> Brand gesetzten Regierungswagen überfallen, dessen Insassen sie<br />

misshandelten. Die Gewaltausschreitungen waren geplant und <strong>der</strong> BDJ <strong>in</strong> den Planungen mite<strong>in</strong>gebunden, wie auch die<br />

Aussagen zweier e<strong>in</strong>facher Mitläufer (Hans-Ulrich Blaeske und Gerhard Müller) vor Gericht bestätigten. In den<br />

Gerichtsakten stand dazu wörtlich:<br />

Blaske „wurde e<strong>in</strong>ige Wochen vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> von e<strong>in</strong>er Prostituierten aus <strong>der</strong> Barnimstraße<br />

mit nach Westberl<strong>in</strong> genommen und dort mit e<strong>in</strong>em Mann, <strong>der</strong> sich „Klabunde“ nannte, <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung gebracht. Dieser Klabunde stellte sich Blaske offen als Agent des englischen<br />

Geheimdienstes vor und <strong>in</strong>struierte Blaske ebenfalls für bevorstehende „Überraschungen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Ostzone“. Nach Aussagen <strong>der</strong> Ehefrau erschien Klabunde kurz vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> noch<br />

e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wohnung des Angeklagten. Blaeske ließ sich aus Furcht verleugnen“. 125<br />

Gerhard Müller dagegen gab vor Gericht zu, „wenige Tage vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> gewesen und<br />

dort mit e<strong>in</strong>em Mann <strong>in</strong>s Gespräch gekommen zu se<strong>in</strong>, <strong>der</strong> sich als Mitglied <strong>der</strong> berüchtigten<br />

„K<strong>am</strong>pfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ ausgab. Auch Müller erhielt dadurch Mitteilung<br />

von bevorstehenden „Unruhen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ostzone“ und verabredete mit dem Mann e<strong>in</strong>e neue<br />

Zus<strong>am</strong>menkunft“. 126<br />

Insbeson<strong>der</strong>e aber das BDJ-Mitglied: Horst Hertel ließ an denen von westdeutschen Geheimdiensthilfsorganisationen<br />

(GHO) mitgeplanten, mitvorbereiteten und mitgesteuerten Umsturzversuch ke<strong>in</strong>e Zweifel aufkommen. Laut Gerichts-<br />

Protokoll äußerte er wörtlich:<br />

„Frage: Wo hielten Sie sich <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 auf?<br />

Antwort: Den ganzen Tag über war ich im demokratischen Sektor Berl<strong>in</strong>s... Ich b<strong>in</strong> seit<br />

ungefähr November/ Dezember 1952 Mitglied des „Bundes Deutscher Jugend“ <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong>.<br />

Seitdem ich Mitglied b<strong>in</strong>, besuche ich regelmäßig die Gruppenabende des „Bundes Deutscher<br />

Jugend“ im <strong>am</strong>erikanischen Sektor... Unsere Gruppe umfasste ungefähr 30 Personen...<br />

Frage: Worüber wurde <strong>in</strong> den von Ihnen als Gruppenabende bezeichneten Vers<strong>am</strong>mlungen<br />

gesprochen?<br />

Antwort:... Uns wurde e<strong>in</strong>geredet, dass wir gegen die Deutsche Demokratische Republik<br />

kämpfen sollen und dabei ke<strong>in</strong>erlei Mittel scheuen dürfen. Zu diesem Zweck wurden wir an<br />

Schusswaffen ausgebildet. Ich selbst habe an zwei solchen Zus<strong>am</strong>menkünften teilgenommen,<br />

bei denen unsere Gruppe von „Toska“ an Sportgewehren <strong>am</strong>erikanischer Herkunft<br />

ausgebildet wurde. Uns wurde das Gewähr erklärt, wie man es ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> nimmt, wie man<br />

zielt und so weiter. Am Schluss dieser Zus<strong>am</strong>menkünfte wurden jeweils Aufträge an die<br />

124 Neue Justiz (Zeitschrift für Recht und Rechtswisenschaft), Nr.16 vom 20. August 1984, Berl<strong>in</strong>/<strong>DDR</strong>, S.463<br />

125 Neues Deutschland, Nr.200 vom 27.8.1953<br />

126 Neues Deutschland, Nr.200 vom 27.8.1953


e<strong>in</strong>zelnen Mitglie<strong>der</strong> verteilt. Die Mitglie<strong>der</strong> wurden bei diesen Vers<strong>am</strong>mlungen beauftragt,<br />

Flugblätter mitzunehmen und im demokratischen Sektor zu verbreiten.<br />

Frage: Wann nahmen Sie das letzte Mal an e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>artigen Zus<strong>am</strong>menkunft des „Bundes<br />

Deutscher Jugend „ teil?<br />

Antwort: Am 13. <strong>Juni</strong> 1953 wurde unsere Gruppe zu e<strong>in</strong>er Zus<strong>am</strong>menkunft e<strong>in</strong>berufen. Die<br />

Zus<strong>am</strong>menkunft k<strong>am</strong> für uns alle überraschend, weil wir erst kurze Zeit vorher zus<strong>am</strong>men<br />

waren... Die Anführer sagten, dass es nun so weit ist, dass die Regierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen<br />

Demokratischen Republik zus<strong>am</strong>menbricht... „Toska“ sowie „Catcher“ erklärten, dass im<br />

demokratischen Sektor und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik Unruhen organisiert<br />

würden und dass es unsere Aufgabe wäre, zu diesem Zeitpunkt im demokratischen Sektor zu<br />

provozieren. Unruhe zu stiften. Transparente herunterzureißen und tätlich gegen alle<br />

diejenigen vorzugehen, die uns bei <strong>der</strong> Durchführung dieser Aufträge h<strong>in</strong><strong>der</strong>n sollten.<br />

Frage: Sagen Sie darüber ausführlicher aus!<br />

Antwort: Der Amerikaner „Toska“ unterrichtete uns, dass es im demokratischen Sektor und<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik Unruhen geben wird. Wer diese Unruhen<br />

organisiert und an welchem Tage die Unruhen ausbrechen werden, sagte er uns nicht. Er<br />

verlangte jedoch von uns, dass wir als organisierte Mitglie<strong>der</strong> des „Bundes Deutscher Jugend“<br />

zu dem Zeitpunkt, wenn die Unruhen ausbrechen, selbst sofort losschlagen, auf die Straße<br />

gehen, provozieren und schlagen sowie Transparente herunterreißen sollten, um d<strong>am</strong>it selbst<br />

Unruhen zu stiften und die Unruhen auszubreiten. Auch <strong>in</strong> dieser letzten Zus<strong>am</strong>menkunft<br />

wurden wir nochmals an <strong>der</strong> Schusswaffe ausgebildet. Bevor wir ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> g<strong>in</strong>gen,<br />

bek<strong>am</strong>en alle Teilnehmer an <strong>der</strong> Zus<strong>am</strong>menkunft –so auch ich- e<strong>in</strong>e größere Menge<br />

Flugblätter und dazu den Auftrag, diese auf <strong>der</strong> Heimfahrt im demokratischen Sektor zu<br />

verbreiten“. 127<br />

D<strong>am</strong>it ist unzweideutig belegt, wie Geheimdiensthilfsorganisationen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> nicht nur mitprovozierten, son<strong>der</strong>n<br />

auch auf ihre Weise, im Vorfeld dazu beitrugen den Umsturzversuch vorzubereiten. Wahr dagegen ist, nicht allen<br />

Agentenzentralen konnte e<strong>in</strong>e Beteiligung an den Geschehnissen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 vor Ort nachgewiesen werden, wie<br />

zum Beispiel e<strong>in</strong>er im Norden Berl<strong>in</strong>s etablierten „Dienststelle Nord“, 128 o<strong>der</strong> dem berüchtigten<br />

„Informationsbüro West“ (IBW). Wenn dieselben Organisationen aber nicht gerade <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

spionierten, dann taten sie es <strong>in</strong> aller Regel im westdeutschen H<strong>in</strong>terland. Was ebenfalls zur Kriegsvorbereitung beitrug.<br />

Ihre gespielte Rolle im Rahmen d<strong>am</strong>aliger NATO-Kriegsvorbereitungen, hatte demnach, was e<strong>in</strong>fach nicht geleugnet<br />

o<strong>der</strong> übersehen werden darf, e<strong>in</strong>en festen Platz <strong>in</strong>nerhalb d<strong>am</strong>aliger historischer Entwicklungen. Soweit geht Fricke<br />

natürlich nicht. E<strong>in</strong> Blick auf dieselbe West- wie Ost-Arbeitsweise diverser Geheimdiensthilfsorganisationen würde<br />

schließlich se<strong>in</strong>e demokratisch antikommunistische Denkweise, bzw. jene staatlicher Stellen, was auf dasselbe<br />

h<strong>in</strong>ausläuft, sofort <strong>in</strong> Frage stellen. Deshalb also s<strong>in</strong>d Informationen über Inlandsaufklärung unterschiedlichster auch<br />

gegen die <strong>DDR</strong> arbeiten<strong>der</strong> Geheimdiensthilfsorganisationen jahrelang systematisch unterschlagen worden, obwohl alle<br />

Ostbüros bis h<strong>in</strong> zur KgU, VOS, VVF o<strong>der</strong> BDJ den <strong>in</strong>nenpolitischen Gegnern <strong>in</strong> Westdeutschland h<strong>in</strong>terherspionierten.<br />

Im Progr<strong>am</strong>m des „K<strong>am</strong>pfbundes gegen den Bolschewismus“ sah es nicht an<strong>der</strong>s aus, auch sie boten <strong>in</strong><br />

„streng vertraulichen“ Briefen den Unternehmern an, „im Betrieb die Überwachung „radikaler<br />

Elemente“ zu übernehmen“. 129<br />

Selts<strong>am</strong> ist auch, das man <strong>in</strong> Westdeutschland immerzu nur vom BDJ sprach, selbst <strong>in</strong> L<strong>in</strong>ken Zeitungen, obwohl<br />

Agentenzentralen sich seit 1950 nicht verr<strong>in</strong>gerten, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> den darauffolgenden Jahren quantitativ ständig<br />

zunahmen. Zus<strong>am</strong>menfassend fällt außerdem auf, dass e<strong>in</strong> überwiegen<strong>der</strong> <strong>am</strong> Umsturzversuch beteiligter Teil<br />

westdeutscher Geheimdiensthilfsorganisationen, unter Anleitung des <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes, sprich, den<br />

eigentlichen Drahtziehern <strong>in</strong>nerhalb des NATO-Nachrichtendienstes agierte. Abteilung I des CIA diente aktenkundig<br />

als Koord<strong>in</strong>ationsabteilung sämtlicher Agentenzentralen.<br />

Dennoch mischten nicht alle faschistischen Organisationen im geheimen Krieg gegen das demokratische Deutschland<br />

mit, was schließlich selbst für den <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst zuviel des Guten gewesen wäre. E<strong>in</strong> eigenständiges<br />

127 Neues Deutschland, Nr.150 vom 30.6.1953<br />

128 Die Welt, Montag 26. Juli 1954<br />

129 Neues Deutschland, Nr.231 vom 2.10.1955


Handeln deutscher Faschisten war e<strong>in</strong>fach nicht vorgesehen. Deswegen waren zum Beispiel, sämtliche stark besetzten,<br />

militaristischen Soldatenverbände auch nur „als Reservoir gedacht, aus dem die westberl<strong>in</strong>er<br />

Agentenzentralen ihre... Bestände an Agenten und Spionen“ auffüllten. 130<br />

Seit 1948 bediente man sich nachweislich solcher Methoden. Stahlhelm-Mitglied Erhard Geese aus Berl<strong>in</strong> zum<br />

Beispiel, führte mit Wissen des CIC aktenkundig „bewährte“ Faschisten dem KgU-Terrortrupp zu. Solche<br />

„Agentenschlepper“ fand man d<strong>am</strong>als <strong>in</strong> nahezu jedem militaristischen Soldatenverband vor. Mitarbeiter des CIC<br />

sahen dafür „ständig die sorgfältig geführten Mitglie<strong>der</strong>karteien <strong>der</strong> Traditionsverbände e<strong>in</strong> und<br />

(ließen)... sich mit Mitglie<strong>der</strong>n, die für die Durchführung ihrer schmutzigen Pläne geeignet<br />

(erschienen)... bekannt machen.<br />

Die <strong>am</strong>erikanischen Agentenzentralen hatten auch zu dem von den Berl<strong>in</strong>er Werktätigen<br />

zerschlagenen „Reichstreffen“ <strong>der</strong> „Bärendivision“ führende Mitarbeiter entsandt, um aus<br />

den Reihen <strong>der</strong> Teilnehmer des Faschistentreffens neue Agenten zu werben. Auch an den<br />

monatlichen Zus<strong>am</strong>mentreffen <strong>der</strong> Bärenfreunde im Sturmlokal „Cottbusser Klause“ <strong>am</strong><br />

Cottbusser D<strong>am</strong>m (nahmen)... Mitarbeiter imperialistischer Geheimdienste teil, die sich vor<br />

allem für die „Neuaufnahmen“ <strong>in</strong>teressier(t)en.<br />

Das gleiche (traf)... für die Zus<strong>am</strong>menkünfte <strong>der</strong> HIAG... des „Kyffhäuserbundes“, des<br />

„Bundes Deutscher Fallschirmjäger“ und <strong>der</strong> übrigen militaristischen und faschistischen<br />

Traditionsverbände zu“. 131<br />

So ähnlich verfuhr man mit den zahlenmäßig recht starken Landsmannschaften <strong>der</strong> so genannten<br />

→Emigrantenverbände, von <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> sehr viele zur Bundeswehr g<strong>in</strong>gen. Es wäre viel zu gefährlich gewesen,<br />

den se<strong>in</strong>erzeit rund 100 Emigrantenorganisationen <strong>in</strong> Westdeutschland, 132 wie bei den an<strong>der</strong>en Agentenzentralen freie<br />

Hand zu lassen. Schließlich bildeten über acht Millionen Umsiedler aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten ihre<br />

Basis. 133<br />

Im nachrichtendienstlichem Bereich baute man deshalb, nach Vorbild deutscher Soldatenverbände, beson<strong>der</strong>e<br />

Strukturen nachrichtendienstlichen Missbrauchs auf. Was den ostdeutschen Sicherheitsbehörden e<strong>in</strong>fach nicht entgehen<br />

konnte, zumal „e<strong>in</strong>ige Personen aus <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, die mit solchen <strong>in</strong> westberl<strong>in</strong>er „Landsmannschaften“ tätigen<br />

Agenten Kontakt aufnahmen, Spionageaufträge ausführten und ihnen weitere Personen <strong>in</strong> die Hände spielten,...<br />

von den Organen für Staatssicherheit (1956) festgenommen und den Gerichten übergeben worden (s<strong>in</strong>d).<br />

So lieferte <strong>der</strong> 58 jährige Adolf Jahnel aus Erfurt (aktenkundig) ... an den <strong>in</strong> <strong>der</strong> „sudetendeutschen<br />

Landsmannschaft“ tätigen <strong>am</strong>erikanischen Agenten Franz Wächter <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Dahlem... die Personalien und Adressen<br />

von zahlreichen Umsiedlern, die als Spione angeworben werden sollten. Jahnel legte von solchen Anschriften<br />

e<strong>in</strong>e ganze Kartei an“, was ihm nicht weiter schwer fiel, war er doch selbst seit 1947 Mitglied des<br />

sudetendeutschen Landsmannschaft-Verbandes“. 134<br />

Jahnel spielte aber nicht nur den Agentenschlepper, son<strong>der</strong>n durfte <strong>in</strong>nerhalb des <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes selbst<br />

e<strong>in</strong>e Spionagegruppe aus Umsiedlern organisieren, dies wohl deshalb, weil er bereits seit 1947 für den <strong>am</strong>erikanischen<br />

Geheimdienst arbeitete. Die Spionagegruppe aus Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> sudetendeutschen Landsmannschaft war, um es noch<br />

e<strong>in</strong> Mal deutlich hervorzuheben, ke<strong>in</strong>e Unterorganisation <strong>der</strong> sudetendeutschen Landsmannschaft son<strong>der</strong>n nur e<strong>in</strong>e<br />

Spionagegruppe des <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes aus Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Landsmannschaft.<br />

In an<strong>der</strong>en Landsmannschaften sah dieser nachrichtendienstliche Missbrauch nicht an<strong>der</strong>s aus. Auch dort gab es<br />

Agentenschlepper im Dienste des <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes. „Von <strong>der</strong> stellvertretenden Vorsitzenden<br />

<strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Trachenberger <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Landsmannschaft Schlesien“, Helene Schaffer (zum<br />

Beispiel), wurde <strong>der</strong> 53 jährige Josef Würz aus Berl<strong>in</strong>-Bohnsdorf... an die zwei<br />

130 Neues Deutschland, Nr.143 vom 22.6.1955<br />

131 Neues Deutschland, Nr.143 vom 22.6.1955<br />

132 Neues Deutschland, Nr.48 vom 24.4.1957<br />

133 Siegfried Thomas, Der Weg <strong>in</strong> die NATO. Zur Integrations- und Remilitarisierungspolitik <strong>der</strong> BRD 1949-1955, Dietz Verlag<br />

Berl<strong>in</strong> 1978, S.266<br />

134 Neues Deutschland, Nr.214 vom 7.9.1956


<strong>am</strong>erikanischen Hauptagenten Förster und Köhler <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> vermittelt“. 135<br />

Am Ende war es so, das alle Geheimdiensthilfsorganisationen im Vorfeld, entwe<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkt an den Vorbereitungen des<br />

<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 o<strong>der</strong> aber <strong>am</strong> Umsturzversuch selbst beteiligt waren.<br />

Zu denen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 direkt beteiligte Geheimdiensthilfsorganisationen gehörten:<br />

1.) Adolf-Hitler-Tradition (Westberl<strong>in</strong>)<br />

So provozierend ihr Organisationsn<strong>am</strong>e auch kl<strong>in</strong>gen mag, ihre Leitung erhielt dennoch von den <strong>am</strong>erikanischen<br />

Behörden Gel<strong>der</strong> zugesteckt, so auch von Eleanor Dulles sechs Tage vor dem Stichtag <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> 136<br />

2.) Bund Deutscher Jugend (BDJ)<br />

Der Gladio-Vorläufer BDJ wurde von Innenm<strong>in</strong>ister Lehr auf Anweisung Amerikas bereits 1950 gegründet. 137 Ihre<br />

Mitglie<strong>der</strong> erhielten im Vergleich zu an<strong>der</strong>en Agentenzentralen, für den von langer Hand vorbereiteten „Tag X“ e<strong>in</strong>e<br />

ausgiebige Ausbildung. Auch wenn Historiker wie Fricke bezüglich des Tages X gegenteiliges behaupten.<br />

In e<strong>in</strong>em ganzen Abschnitt bemüht er sich zu beweisen, was es <strong>in</strong> Wirklichkeit mit dem „Tag X“ auf sich hatte. Er sei<br />

nämlich <strong>in</strong> Wahrheit nur jener „Tag, an dem die deutsche E<strong>in</strong>heit wie<strong>der</strong>hergestellt sei“, sonst nichts.<br />

Selbstverständlich habe man „we<strong>der</strong> an e<strong>in</strong>en Aufstand <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> noch an e<strong>in</strong>en Putsch<br />

gedacht“. 138<br />

Empört stellte Fricke fest: „Den agitatorisch zugespitzten Topos vom „Tag X“ als Synonym für den<br />

<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 (zu gebrauchen) war vom historischen Verlauf ke<strong>in</strong>eswegs zu begründen“, 139<br />

vielmehr sei „die Legende vom „Tag X“ e<strong>in</strong>e SED-Erf<strong>in</strong>dung gewesen, denen selbst ostdeutsche unabhängige<br />

Gerichte auf den Leim gegangen seien. „Die Richter... waren... auf die parteilich dekretierte<br />

Sprachregelung zum <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> als „Tag X“ e<strong>in</strong>geschworen. Das manipulative Zus<strong>am</strong>menspiel<br />

von Politbürokratie und Justiz lag auf <strong>der</strong> Hand“. 140<br />

Auch hier irrt sich Fricke gewaltig, denn se<strong>in</strong> „Tag X“ ist we<strong>der</strong> auf dem Mist des SED-Politbüros gewachsen, noch<br />

auf ostdeutsche Gerichte zurückzuführen, vielmehr tauchte e<strong>in</strong> sogenannter „Plan X“ bereits im März 1948 <strong>in</strong> den<br />

USA auf. Für ihn waren lauf „US News and World Report“ wörtlich folgende Mittel vorgesehen: „Spionage,<br />

Sabotage, Anwendung von Waffen und –falls notwendig- auch die Ermordung von<br />

hervorragenden Kommunisten“. 141<br />

Vier Jahre später standen <strong>am</strong> 20. Februar 1952 dann erstmals BDJ-Mitglie<strong>der</strong> im demokratischen Deutschland vor dem<br />

Obersten Gerichtshof. Laut stenografischen Protokoll sprachen alle drei Angeklagten Schulz, Fischer und Hensel,<br />

erstmals ohne von staatlicher Seite irgendwelche Worte <strong>in</strong> den Mund gelegt zu bekommen frei heraus vom „Tag X“.<br />

Wörtlich:<br />

„Schulz:... Dann sprach (Paul Egon) Lüth über die Methoden des K<strong>am</strong>pfes und über die Ziele<br />

des illegalen K<strong>am</strong>pfes. Er hob dabei vier Grade des illegalen Wi<strong>der</strong>standes hervor, <strong>der</strong> erste<br />

Grad war die S<strong>am</strong>mlung von Informationen, also Spionage. Der zweite Grad war<br />

Gegenpropaganda. Der dritte war Organisierung von Sabotage und <strong>der</strong> vierte die Bildung<br />

von bewaffneten Banden. Er betonte dabei, dass man möglichst schnell zu dem vierten Grad<br />

des illegalen K<strong>am</strong>pfes kommen müsse, um eben e<strong>in</strong>en gewalts<strong>am</strong>en Umsturz <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

herbeizuführen...<br />

Er (Lüth) sprach ziemlich offen über diesen vierten Grad, dass dieser das Ziel sei und<br />

135 Neues Deutschland, Nr.214 vom 7.9.1956<br />

136 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />

137 Neues Deutschland, Nr.149 vom 28.6.1953 + Nr. 172 vom 25.7.1953<br />

138 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.20<br />

139 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.19<br />

140 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.22<br />

141 Neues Deutschland, Nr.149 vom 28.6.1953


möglichst schnell erreicht werden müsse. Er empfahl uns die Anwerbung von Militaristen und<br />

Faschisten... Lüth sprach beson<strong>der</strong>s über die Vorbereitung zum Tag X und über die Störung<br />

<strong>der</strong> Weltfestspiele...<br />

Vorsitzen<strong>der</strong>: Der Tag X war also e<strong>in</strong> Tag, worunter sich je<strong>der</strong> etwas genaues dachte?<br />

Schulz: Für Lüth war das <strong>der</strong> Tag des Beg<strong>in</strong>ns des K<strong>am</strong>pfes zwischen Ost und West.<br />

Vorsitzende: Schön! Vom Tag X wird gesprochen, mit ihm rechnet man, auf ihn wartet man.<br />

Für ihn bereitet man sich vor, mit dem Partisanengruppen, die bewaffnet werden.<br />

Schulz: Ja, diese Bewaffnung <strong>der</strong> Partisanengruppen sollte aus <strong>der</strong> Luft mit Hilfe <strong>der</strong><br />

<strong>am</strong>erikanischen Besatzungsmächte geschehen. Diese wollten dann Waffen abwerfen. Ich habe<br />

später noch von Kaufmann erfahren, dass Peters den Auftrag hatte, bereits genaue Orte und<br />

Lageplätze anzugeben, wo <strong>am</strong>erikanische Luftlandetruppen und Flugzeuge im Falle e<strong>in</strong>es<br />

Krieges landen könnten...<br />

Fischer: Als Ziel des Wi<strong>der</strong>standskreises stellte Lüth h<strong>in</strong>, <strong>in</strong> jedem Kreis <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Gruppe von drei Mann zu haben, Diese sollten dann erst später organisatorisch<br />

zus<strong>am</strong>mengefasst werden und vermittels Funkapparaten e<strong>in</strong>e ständige Verb<strong>in</strong>dung nach<br />

Westberl<strong>in</strong> bzw. nach Westdeutschland haben. Er sprach auch davon, diese Gruppe dann<br />

bewaffnet e<strong>in</strong>zusetzen.<br />

Vorsitzende: Wo sollten denn die Waffen herkommen, o<strong>der</strong> hatten Sie sie schon?<br />

Fischer: Ne<strong>in</strong>, wir hatten noch ke<strong>in</strong>e Waffen...<br />

Vorsitzende:... Wie sollten die Waffen kommen?<br />

Fischer: Ich nehme an durch Flugzeugabwurf...<br />

Vorsitzende: Ist darüber gesprochen worden?<br />

Fischer: Gesprochen wurde darüber.<br />

Vorsitzende: Von wem?<br />

Fischer: Von Lüth.<br />

Vorsitzende: Also die Bewaffnung dieser Partisanengruppen sollte durch <strong>am</strong>erikanische<br />

Flugzeuge aus <strong>der</strong> Luft erfolgen. Wann?<br />

Fischer: Am Tag X...<br />

Hensel: Es war uns gesagt worden, dass ke<strong>in</strong>e neuen Mitglie<strong>der</strong> direkt für den Bund<br />

geworben werden sollten, da er sonst zu groß und die Arbeit zu gefährlich würde. Wir sollten,<br />

wie Lüth sich äußerte, für den Tag X nur Leute sicher haben. Er verstand darunter Bekannte<br />

und Verwandte und Leute, die eben mit dem System nicht e<strong>in</strong>verstanden waren, auf unsere<br />

Seite zu br<strong>in</strong>gen aber aus Sicherheitsgründen nicht anzuwerben, son<strong>der</strong>n für den<br />

entsprechenden Tag bereit zu halten.<br />

Vorsitzende: Wie wollte man das machen? Wie wollte man die bereithalten? Da musste man<br />

doch mit Ihnen sprechen, musste mit ihnen zus<strong>am</strong>men kommen, musste sie laufend<br />

orientieren.<br />

Hensel: Man sollte sich mit ihnen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gespräch e<strong>in</strong>lassen.<br />

Vorsitzende: Sollte ihnen Flugblätter und Zeitschriften geben?<br />

Hensel: Davon weiß ich nichts. Man sollte sie nur erst e<strong>in</strong>mal auf die Seite bekommen und<br />

ihnen <strong>am</strong> entscheidenden Tage sagen. Komm, du bist dafür, hier hast du e<strong>in</strong>e Pistole, es kann


losgehen“. 142<br />

Mit dem so genannten „Tag X“ konnten aber nicht nur Mitglie<strong>der</strong> des deutschen Gladio-Vorläufers BDJ o<strong>der</strong> Jakob<br />

Kaiser selbst etwas anfangen, denn auch <strong>in</strong>nerhalb des BND sprach man <strong>in</strong>tern noch 1954 wörtlich vom „Tag X“ wie<br />

Prozessunterlagen aus dem Urteil des Obersten Gericht vom 18. April 1966 –1 Zst (I) 2/66 belegen.<br />

Franz Pankraz seit Anfang 1953 Mitarbeiter des BND war den Akten nach seit Ende 1954 wörtlich „als<br />

„Schweigefunker e<strong>in</strong>gesetzt. Se<strong>in</strong> genereller Hauptauftrag g<strong>in</strong>g dah<strong>in</strong>, erst nach beson<strong>der</strong>er<br />

Auffor<strong>der</strong>ung durch den BND o<strong>der</strong> <strong>am</strong> „Tag X“ tätig zu werden. Der „Tag X“ war häufig<br />

Gesprächsstoff von „Greif“ (dem BND-Führungsoffizier von Pankraz) und wurde wie<strong>der</strong>holt<br />

als <strong>der</strong> Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es bewaffneten Überfalls auf die <strong>DDR</strong> bezeichnet“. 143 So steht es <strong>in</strong> den Akten.<br />

Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 g<strong>in</strong>g es dann tatsächlich wie Fischer vor Gericht vorankündigte, extrem brutal zu, wobei <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong><br />

mehrheitlich BDJ o<strong>der</strong> KgU-Mitglie<strong>der</strong> randalierten. 144 Ihre Spezial-Ausbildung für den Tag X auf <strong>DDR</strong>-Hoheitsgebiet<br />

erhielten westdeutsche BDJ-Agenten auf e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Nähe von Siegburg (NRW) gelegenen Burg, 145 während Westberl<strong>in</strong>er<br />

Anhänger unter dem N<strong>am</strong>en “K<strong>am</strong>pfbund Deutscher Jugend“ (BDJ/KDJ) seit Januar 1953 im französischen<br />

Sektor (Konradshöhe) e<strong>in</strong>e eigene Spionageschule mit Unterstützung Reuters aufbauten. Natürlich arbeitete auch „<strong>der</strong><br />

BDJ/KDJ“... eng mit den an<strong>der</strong>en Terror-, Spionage- und Sabotagezentralen zus<strong>am</strong>men, die<br />

ebenfalls auf <strong>am</strong>erikanische Anweisung <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Leben gerufen wurden“. 146<br />

3.) K<strong>am</strong>pfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)<br />

Die im Februar 1948 gegründete Geheimdiensthilfsorganisation →K<strong>am</strong>pfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)<br />

arbeitete seit Anfang an für den <strong>am</strong>erikansichen Geheimdienst. Pflegte aber auch Kontakte zum BND,<br />

Verfassungsschutz und zum Kaisier-M<strong>in</strong>isterium.<br />

Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 hatte sie ihren schon seit längerem vorbereiteten großen Tag. Die ehemalige Mitarbeiter<strong>in</strong> Eva<br />

Breitmann sagte dazu vor dem 1. Strafsenat des Stadtgerichtes Berl<strong>in</strong> nachträglich so e<strong>in</strong>iges aus. Mitunter soll <strong>der</strong><br />

ehemalige KgU-Anleiter: He<strong>in</strong>z Kle<strong>in</strong> bereits <strong>am</strong> 14. <strong>Juni</strong> 1953 e<strong>in</strong> Treffen mit ihr vere<strong>in</strong>bart haben. „Dort erzählte<br />

er ihr von bevorstehenden Unruhen im Ostsektor und von <strong>Provokation</strong>en sowie<br />

Terroraktionen, die <strong>in</strong> Kürze im Ostsektor steigen sollten“. 147<br />

Am 15. <strong>Juni</strong> 1953 teilte man ihr im KgU-Quartier Körtstraße 23/25 (Jugendheim) mit, „dass es bald „so weit“ sei“. 148<br />

Am 16. <strong>Juni</strong> wird e<strong>in</strong> Term<strong>in</strong> für den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> ausgemacht, von dort (Kochstraße) zog dann „die ganze Bande...<br />

<strong>in</strong> den demokratischen Sektor und beteiligte sich an den Überfällen und Plün<strong>der</strong>ungen von<br />

volkseigenen Betrieben“. 149<br />

Vor dem I. Strafsenat des Bezirksgerichtes Leipzig, gegen sieben KgU-Mitglie<strong>der</strong>, unter ihnen auch<br />

He<strong>in</strong>z Grichtel, stellte sich heraus das letzterer bereits vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 „Listen von Mitglie<strong>der</strong>n<br />

demokratischer Parteien und Organisationen (zus<strong>am</strong>mengestellt hatte)... Se<strong>in</strong>e mitangeklagte<br />

Ehefrau fertigte mit e<strong>in</strong>em Druckstempel Mord- und Drohbriefe an, die an Friedenskämpfer<br />

verschickt wurden. Grichtel hatte den Auftrag, beson<strong>der</strong>s <strong>am</strong> Vorabend des „Tages X“,<br />

Hetzbriefe <strong>in</strong> großem Umfange zu vertreiben“.<br />

Auch den angeklagten Walter Schöbe (KgU) kündigte se<strong>in</strong> Vorgesetzter Thal bereits <strong>am</strong> 9. Mai 1953 <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> an,<br />

„dass sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik „bald e<strong>in</strong>iges ereignen würde“. Die<br />

Sache würde <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> beg<strong>in</strong>nen und dann auf die ges<strong>am</strong>te <strong>DDR</strong> ausgedehnt werden. Schöbe<br />

war als Leiter <strong>der</strong> faschistischen Untergrundorganisation im Bezirk Leipzig vorgesehen. Er<br />

142 Neues Deutschland, Nr.149 vom 28.6.1953<br />

143 Neue Justiz, Nr.9, 1. Maiheft 1966<br />

144 Neues Deutschland, Nr.165 vom <strong>17.</strong>7.1953<br />

145 Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953<br />

146 Neues Deutschland, Nr.18 vom 22.1.1953<br />

147 Neues Deutschland, Nr.253 vom 28.10.1953<br />

148 Neues Deutschland, Nr.253 vom 28.10.1953<br />

149 Neues Deutschland, Nr.253 vom 28.10.1953


sollte an e<strong>in</strong>er Agentenschule <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> teilnehmen. Deshalb erhielt er von Thal den<br />

Auftrag, sich an den Aktionen des faschistischen Putschversuches nicht zu beteiligen, jedoch<br />

alles aufmerks<strong>am</strong> zu beobachten und sofort nach Westberl<strong>in</strong> zu berichten“. 150<br />

4.) Liga für Menschenrechte<br />

Die Geheimdiensthilfsorganisation →Deutsche Liga für Menschenrechte wurde vom <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst<br />

f<strong>in</strong>anziert und gelenkt. Ihre Mitarbeiter wie Dr. Wolfgang Silgradt nahmen <strong>am</strong> Putschversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 aktiv<br />

teil. Sigradts führende Rolle während des faschistischen Umsturzversuches <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 ist erwiesen. Bei se<strong>in</strong>er<br />

Vernehmung 1954 gab <strong>der</strong>selbe selbst an, „seit Jahren haupt<strong>am</strong>tlicher Agent <strong>der</strong> Spionageorganisation<br />

„Liga für Menschenrechte“ zu se<strong>in</strong>, die vom <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst f<strong>in</strong>anziert und<br />

gelenkt“ wurde. 151<br />

5.) Ostbüro <strong>der</strong> FDP<br />

Das für das Kaiser-M<strong>in</strong>isterium und den <strong>am</strong>erikanischen sowie deutschen Geheimdienst arbeitende, 1948 gegründete<br />

→Ostbüro <strong>der</strong> FDP war ebenfalls <strong>am</strong> Umsturzversuch aktiv beteiligt.<br />

Im Vergleich zu den an<strong>der</strong>en Ostbüro-Drahtziehern, fiel dem ehemaligen Gestapomitarbeiter und FDP-Ostbüro<br />

Grün<strong>der</strong>: Schwennicke, im Zus<strong>am</strong>menhang mit dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 sogar e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>funktion zu. Im Auftrag von Ernst<br />

Reuter, unterhielt er im N<strong>am</strong>en aller westberl<strong>in</strong>er Parteien enge Verb<strong>in</strong>dungen zu den verschiedensten<br />

Naziorganisationen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, von denen Anfang 1953 bereits über 30 existierten. 152<br />

Bundesweit hatten FDP-„Jungdemokraten“ bereits Mitte Februar 1953 den BDJ-Terroristen „ihr volle<br />

Unterstützung zugesagt und sich d<strong>am</strong>it offiziell mit den Aufgaben und Zielen des BDJ<br />

identifiziert“. 153 E<strong>in</strong> BDJ-Chef aus Nordrhe<strong>in</strong>westfalen rief im Gegenzug dafür, se<strong>in</strong>e Mitstreiter noch vor dem <strong>17.</strong><br />

<strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Rundschreiben dazu auf, wie er selbst, den „Jungdemokraten“ beizutreten. 154<br />

Solche Beispiele <strong>in</strong>direkter Verb<strong>in</strong>dungen vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 ließen sich fortsetzen. Im Mai 1953 zum Beispiel gab<br />

es e<strong>in</strong>e Flugblattaktion mittels Ballons, „an <strong>der</strong> die FDP maßgeblich beteiligt war. Das Material<br />

st<strong>am</strong>mte aus dem Bundes<strong>am</strong>t für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, war mit den an<strong>der</strong>en Ostbüros, <strong>der</strong><br />

KgU, dem UfJ, <strong>der</strong> VPO sowie mit Rundfunkstationen abgestimmt. Die Ballonaktionen<br />

wurden später fortgesetzt, und man organisierte direkte Verteilungen von<br />

Propagand<strong>am</strong>aterial <strong>in</strong> mehreren Städten <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>“. 155<br />

Das FDP-Ostbüro war im Vorfeld des Umsturzversuches organisatorisch für denselben aktiv. Die FDP-<br />

Bezirksverordnete <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> Helene Orthmann hat nachweislich Provokateure für den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 rekrutiert.<br />

„Am 11. <strong>Juni</strong> (1953) empf<strong>in</strong>g sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Stadtschenke“, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bodd<strong>in</strong>straße, drei solcher<br />

Agenten, die ihr N<strong>am</strong>en von Elementen meldeten, die an <strong>der</strong> Stal<strong>in</strong>allee arbeiteten und bereit<br />

waren, „etwas zu tun“. 156 Am selben Tag konnte sie auch dementsprechend auf e<strong>in</strong>er FDP-<br />

Mitglie<strong>der</strong>vers<strong>am</strong>mlung erklären, „dass die „geplante Sache bald losgehe“. 157<br />

Sie handelte im Auftrag des westberl<strong>in</strong>er FDP-Vorstandes, und hat die Betreuung des Neuköllner<br />

„Flüchtl<strong>in</strong>gslagers“ übernommen. Dort selbst hat sie „gegen Bezahlung Agenten für Sabotageakte <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>DDR</strong>“ angeworben. Sie nahm an „<strong>der</strong> faschistischen <strong>Provokation</strong>en <strong>am</strong> 16. und <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>“ teil. Fakt<br />

ist ferner, das an<strong>der</strong>e Mitglie<strong>der</strong> des FDP-Ostbüros <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 e<strong>in</strong>e Flugblattaktion organisierten, „bei <strong>der</strong><br />

150 Neues Deutschland, Nr.232 vom 3.10.1953<br />

151 Neues Deutschland, Nr.93 vom 22.4.1954<br />

152 Neues Deutschland, Nr.18 vom 22.1.1953<br />

153 Neues Deutschland, Nr.66 vom 19.3.1953<br />

154 Neues Deutschland, Nr.66 vom 19.3.1953<br />

155 Rudi Beckert, Die erste und letzte Instanz, Keip Verlag Goldbach 1995<br />

156 Neues Deutschland, Nr.148 vom 27.6.1953<br />

157 Neues Deutschland, Nr.148 vom 27.6.1953


Hetzflugblätter im demokratischen Sektor zur Verteilung gelangten“. 158<br />

Deswegen ist Wolfgang Gottsch<strong>in</strong>g <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong> auch verhaftet worden, nachdem er sich weigerte zwei<br />

MfS-Mitarbeitern se<strong>in</strong>en Ausweis zu zeigen, dabei habe er außerdem laut Werner Kukelski (MfS) „umstehende<br />

Straßenpasanten“ aufgehetzt sowie zum aushalten aufgerufen: „Jetzt schaffen sie es nicht mehr, da müssen<br />

die Russen e<strong>in</strong>greifen“. 159<br />

Außerdem stand er nicht nur <strong>in</strong> enger Verb<strong>in</strong>dung mit dem FDP-Ostbüro Grün<strong>der</strong> selbst, son<strong>der</strong>n nahm darüber h<strong>in</strong>aus<br />

auch noch kurz vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 an e<strong>in</strong>er Zus<strong>am</strong>menkunft mit Schwennicke teil. 160<br />

6.) Ostbüro <strong>der</strong> SPD<br />

Das 1946 gegründete und für das Kaiser-M<strong>in</strong>isterium, den <strong>am</strong>erikanischen, englischen und deutschen Geheimdienst<br />

arbeitende →Ostbüro <strong>der</strong> SPD war maßgeblich <strong>am</strong> Umsturzversuch <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong> beteiligt. Willy Brandt, ebenso wie<br />

Herbert Wehner, beide führend im SPD-Ostbüro tätig, 161 sollen zur Schmach, sogar geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong> „an <strong>der</strong> Vorbereitung des<br />

faschistischen Putsches gegen die <strong>DDR</strong> aktiv“ mitgewirkt haben.<br />

Beide gehörten zu den Mitarbeitern des Bonner Verschwörungskreises. Wehner saß gar direkt im Forschungsbeirat. Er<br />

gehörte zu den „Spezialisten für die Anstiftung von Unruhen“. 162 Zus<strong>am</strong>men nahmen sie auch an e<strong>in</strong>er von<br />

Adenauer <strong>am</strong> 24.6.1953 anlässlich des fehlgeschlagenen Putsches e<strong>in</strong>berufenen vertraulichen Konferenz mit Erich<br />

Ollenhauer teil. 163<br />

Im Juli 1953 berichtete Herbert Wehner (politischer Vorsitzen<strong>der</strong> des Ostbüros) vor führenden westdeutschen<br />

Schwer<strong>in</strong>dustriellen des Rhe<strong>in</strong>-Rhur-Clubs im Hotel Kaiserhof (Düsseldorf) detailliert „über die speziellen<br />

Aufgaben und die Tätigkeit dieser Agentenzentrale. Beson<strong>der</strong>s ausführlich g<strong>in</strong>g er dabei auf<br />

den Anteil des Ostbüros bei <strong>der</strong> Vorbereitung und Durchführung des „Tages X“ e<strong>in</strong>, <strong>der</strong><br />

bekanntlich <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> scheiterte“. 164<br />

Dem Angeklagten Werner Mangelsdorf gegenüber hat e<strong>in</strong> weiteres Mitglied des SPD-Ostbüros aktenkundig bestätigt,<br />

„dass <strong>der</strong> Tag X überstürzt auf dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 angesetzt worden ist... ursprünglich (sei)<br />

<strong>der</strong> Tag X für e<strong>in</strong>en späteren Zeitpunkt vorgesehen gewesen... <strong>der</strong> neue Kurs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen<br />

Demokratischen Republik aber (habe dazu) Veranlassung gegeben... mit den „V-Männern“ zu<br />

beraten und die sofortige Durchführung des Tages X zu beschließen. Dieser Mitarbeiter<br />

bemerkte hierbei noch, dass das Zustandekommen des Putsches <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> das beson<strong>der</strong>e<br />

Verdienst des Ostbüros <strong>der</strong> SPD gewesen sei“. 165<br />

Am 26. <strong>Juni</strong> des selben Jahres gaben Vertreter des SPD-Ostbüros sogar selbst offiziell zu, <strong>am</strong> Umsturzversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong><br />

<strong>Juni</strong> teilgenommen zu haben. Stolz teilten sie mit, „dass „illegale Flugblätter“ <strong>in</strong> Betrieben <strong>der</strong><br />

Deutschen Demokratischen Republik und Ostberl<strong>in</strong>s von Agenten des Ostbüros verteilt<br />

wurden“, <strong>der</strong>en Inhalt auch dementsprechend zu den „Losungen“ <strong>der</strong> Putschisten wurden“. 166<br />

E<strong>in</strong> Volkspolizist <strong>am</strong> Potsd<strong>am</strong>er Platz konnte sogar <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, um 14.25 Uhr vor Ort melden, wie e<strong>in</strong> SPD-<br />

Lautsprecherwagen dortige Vopos auffor<strong>der</strong>te, ihre „Waffen nie<strong>der</strong>zulegen und überzulaufen“. Danach<br />

erfolgte e<strong>in</strong> Aufruf <strong>in</strong> russischer Sprache. 167<br />

Auch <strong>in</strong> Magdeburg, bzw. Leipzig verbreiteten Agenten des SPD-Ostbüros faschistische Losungen o<strong>der</strong> organisierten<br />

Streiks. 168 In Halle drangen Agenten des SPD-Ostbüros sogar <strong>in</strong> leitende Funktionen des Leuna-Werkes vor, um so <strong>am</strong><br />

<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 noch effektiver zu provozieren. Bereits zuvor versuchten sie durch gezielte „Unterdrückung <strong>der</strong> Kritik<br />

158<br />

Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />

159<br />

Karl Wilhelm Fricke, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003<br />

160<br />

Karl Wilhelm Fricke, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003<br />

161<br />

Neues Deutschland, Nr.150 vom 30.6.1953<br />

162<br />

Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />

163<br />

Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />

164<br />

Neues Deutschland, Nr.160 vom 12.7.1953<br />

165<br />

Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />

166<br />

Neues Deutschland, Nr.150 vom 30.6.1953<br />

167<br />

Internet 2005: http://www. 17juni53.de, Meldungen anlässlich <strong>der</strong> Demonstrationen im Ostsektor <strong>am</strong> <strong>17.</strong>6.1953<br />

168 Neues Deutschland, Nr.190 vom 15.8.1953


<strong>der</strong> Arbeiter, die Arbeiter- und Bauernmacht zu untergraben und aufs schwerste zu schädigen“. 169<br />

Ähnliche Aufträge im Vorfeld des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 übernahm Fritz Frohs aus Zwickau. Er stand seit 1948 mit dem SPD-<br />

Ostbüro <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung. Mit Wissen des SPD-Ostbüroleiters Peter Wandel, nahm er auch Befehle des <strong>am</strong>erikanischen<br />

Geheimdienstes <strong>in</strong> Empfang. Unter an<strong>der</strong>em sollte er im Gebiet Zwickau Funkstellen für Spionagezwecke vorbereiten.<br />

Vom RIAS erhielt Frohs daraufh<strong>in</strong> 30 gefälschte Lebensmittelkarten, „die er <strong>in</strong> Umlauf brachte, mit <strong>der</strong> Absicht,<br />

Versorgungsschwierigkeiten herbeizuführen“. 170 Dem SPD-Ostbüro selbst übermittelte er monatlich se<strong>in</strong>e Berichte.<br />

In ihrem Auftrag suchte sich Frohs zuguterletzt auch jene „Helfershelfer für se<strong>in</strong>e Tätigkeit und schuf e<strong>in</strong>e<br />

Spionagegruppe aus vier Personen. Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 führte er diese Gruppe beim faschistischen Putsch an“. 171<br />

7.) Ostbüro des DGB<br />

Das mit maßgeblicher Unterstützung von Ernst Scharnowski, Anfang 1951 gegründete und für das Kaiser-M<strong>in</strong>isterium<br />

und den deutschen sowie <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst arbeitende →Ostbüro des DGB, war führend <strong>am</strong><br />

Umsturzversuch im <strong>Juni</strong> 1953 beteiligt. 172<br />

Wie auch Erich Mielke <strong>am</strong> 1. Juli 1953 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Dienstanweisung Nr.19/53 deutlich darlegte, gehörten so e<strong>in</strong>ige<br />

Mitarbeiter des DGB-Ostbüros zu den Organisatoren des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, „da diese fe<strong>in</strong>dliche Agentenzentrale<br />

nicht nur Untergrundgruppen bildet(e) und Hetzmaterial verbreitet(e), son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> den<br />

Gewerkschaftsorganisationen Schädl<strong>in</strong>gsarbeit und <strong>in</strong> V(olks) E(igenen) Betrieben Sabotage<br />

organisiert(e) und vor allem D<strong>in</strong>gen Spionage“ betrieb. 173<br />

Das DGB-Ostbüro erfasste tatsächlich, wie selbst Fricke zugeben musste, „Informationen aus östlichen<br />

Betrieben, Daten über die wirtschaftliche und soziale Lage, die auch propagandistisch genutzt<br />

wurden, zum Beispiel <strong>in</strong> <strong>der</strong> viel gehörten RIAS-Sendung „Werktag <strong>der</strong> Zone“. Insoweit<br />

mochte se<strong>in</strong>e Arbeit e<strong>in</strong> wenig dazu beigetragen haben, dass im Vorfeld des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> unter den<br />

Belegschaften östlicher Betriebe kritische bis regierungsfe<strong>in</strong>dliche Stimmungen aufk<strong>am</strong>en,<br />

e<strong>in</strong>e latente Protesthandlung, die zuletzt zur Streikbereitschaft heranreifte“. 174<br />

Bei Fricke natürlich nicht erwähnt werden MfS-Untersuchungsergebnisse, <strong>der</strong>en Inhalt den <strong>am</strong>erikanischen und<br />

deutschen Geheimdienst, sprich dem NATO-Nachrichtendienst schwer belasten. Scharnowski zum Beispiel, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>st<br />

für die Gestapo als Spitzel <strong>in</strong> Pommern arbeitete, 175 stand nach dem Krieg im Dienste Gehlens. 176 Er war außerdem e<strong>in</strong><br />

bezahlter Agent des Kaiser-M<strong>in</strong>isteriums. Scharnowski empf<strong>in</strong>g laufend große Summen aus dem berüchtigten<br />

Geheimfonds des Kaiser-M<strong>in</strong>isteriums mit dem „Titel 300“. E<strong>in</strong>em Etat den niemand kontrollierte. Außerdem will<br />

Scharnowski nach eigenen Angaben 100.000 DM von den Amerikanern erhalten haben.<br />

Tatsächlich ist nach MfS Untersuchungen aus dem Jahr 1953, „das „Ostbüro“ <strong>der</strong> Gewerkschaft <strong>der</strong><br />

Bauarbeiter <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> im Auftrage <strong>am</strong>erikanischer und westdeutscher Spionageorgane<br />

mit dem Ziel geschaffen (worden), gegen die Deutsche Demokratische Republik gerichtete<br />

<strong>Provokation</strong>en vorzubereiten und durchzuführen. Der zweite Vorsitzende <strong>der</strong> Gewerkschaft<br />

Bau, Ste<strong>in</strong>e, Erden im westberl<strong>in</strong>er DGB, Köppchen (zum Beispiel) <strong>der</strong> gleichzeitig Leiter des<br />

„Ostbüros“ <strong>der</strong> Gewerkschaft <strong>der</strong> Bauarbeiter ist, hat (Kurt) Sprokhof für fe<strong>in</strong>dliche<br />

Tätigkeit gegen die <strong>DDR</strong> angeworben“. 177<br />

Somit kann von nachrichtendienstlich freien, völlig unabhängigen Arbeiterprotesten <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 nicht mehr<br />

gesprochen werden, denn alles, auch <strong>der</strong> gerechtfertigte friedliche Tarifstreik, nahm eben mit Bauarbeiterprotestesten <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Stal<strong>in</strong>allee se<strong>in</strong>en Anfang.<br />

Wie SfS-Stellen noch Ende Oktober 1953 bestätigten, hatten Kurt Sprokhof, Kurt Demut, Gertrud Jus und Werner<br />

Klage nachweislich eben „auf <strong>der</strong> Baustelle Stall<strong>in</strong>allee (ohne genau Zeitangabe) e<strong>in</strong>e illegale<br />

169<br />

Neues Deutschland, Nr.25 vom 30.1.1956<br />

170<br />

Neues Deutschland, Nr.110 vom 6.5.1956<br />

171<br />

Neues Deutschland, Nr.110 vom 6.5.1956<br />

172<br />

Neues Deutschland, Nr.208 vom 5.9.1954<br />

173<br />

Karl Wilhelm Fricke / Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003<br />

174<br />

Karl Wilhelm Fricke / Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003<br />

175<br />

Neues Deutschland, Nr.77 vom 1.4.1953 sowie 18. und 19.2.1953<br />

176<br />

Neues Deutschand, Nr.233 vom 5.10.1956<br />

177<br />

Neues Deutschland, Nr.254 vom 29.10.1953


Gruppe geschaffen, die sich d<strong>am</strong>it befasste, Spionagenachrichten e<strong>in</strong>zuholen,<br />

antidemokratische Literatur zu verbreiten und Agenten für die Durchführung faschistischer<br />

<strong>Provokation</strong>en anzuwerben“. 178<br />

Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 selbst, unterstützte „das Ostbüro des DGB... im demokratischen Sektor die<br />

randalierenden Provokateure <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form, dass es durch an den Sektorengrenzen aufgestellte<br />

Lautsprecherwagen zu weiteren <strong>Provokation</strong>en auffor<strong>der</strong>te, Hetzmaterial verteilte und die<br />

Provokateure mit Genussmittel versorgte“. 179<br />

Im Jahr darauf wurden fünf weitere DGB-Ostbüro-Mitglie<strong>der</strong> 180 unter ihnen auch Emmy Kayser wegen Spionage, bzw.<br />

aus Gründen ihrer aktiven Teilnahme <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> vor dem ersten Senat des Bezirksgerichtes Halle verurteilt. Alle<br />

Angeklagten trieben <strong>in</strong> den Jahren 1952 bis 1954 fortgesetzt, <strong>in</strong> mehreren volkseigenen Großbetrieben des Bezirkes<br />

Halle politische sowie wirtschaftliche Spionage. „Kayser hielt sich seit September 1952 <strong>in</strong> Halle auf und<br />

überbrachte se<strong>in</strong>en Auftraggebern Betriebszeitungen, Betriebskollektivverträge und an<strong>der</strong>e<br />

Informationen, die ihm die Mitangeklagten übermittelten. Kayser betätigte sich ebenso wie<br />

se<strong>in</strong>e Komplicen aktiv <strong>am</strong> Putschversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953“. 181<br />

8.) Radio im <strong>am</strong>erikanischen Sektor (RIAS)<br />

Den Ende 1945 errichteten Radiosen<strong>der</strong> →RIAS, 182 darf man zu den regulären US-Spionageorganen rechnen.<br />

Ostdeutsche Publizisten aber stempelten ihn zu e<strong>in</strong>er simplen Agentenzentrale, obwohl sich vor, ebenso wie <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />

1953 Entgegengesetztes zeigte. Bereits <strong>am</strong> 14. Januar 1953 erhielt RIAS <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue leistungsstarke 300kW-Sendeanlage<br />

„und große f<strong>in</strong>anzielle Mittel aus den USA und von <strong>der</strong> BRD-Regierung“. 183<br />

Pläne um <strong>am</strong> Tag X unter allen Umständen funktionsfähig zu bleiben waren nicht nur technisch o<strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziell<br />

abgesichert, son<strong>der</strong>n auch vom organisatorischem Standpunkt längst ausgearbeitet.<br />

Ostdeutsche Gerichtsakten belegen es, „dass <strong>der</strong> RIAS sowohl vor als auch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> erheblichem Maße<br />

an <strong>der</strong> Organisierung und Durchführung“ des faschistischen Putschversuches beteiligt war. Durch die dem Gericht<br />

vorliegende, von RIAS-Direktor Gordon Ew<strong>in</strong>g gezeichnete Anweisung wurden bereits <strong>am</strong> 8. <strong>Juni</strong> 1953 die<br />

haupt<strong>am</strong>tlichen Agenten des RIAS organisatorisch auf mögliche Abspermaßnahmen vorbereitet. Der RIAS wollte<br />

weiter Hetzen. Die Anleitung für den bevorstehenden Umsturzversuch sah wie folgt aus:<br />

„An Verteiler Z. 25<br />

Es wird gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass im Falle möglicher Absperrmaßnahmen seitens <strong>der</strong> Vopo, an den<br />

Zonenübergangsstellen eigene VM anwesend s<strong>in</strong>d, um Berichte entgegen zu nehmen, bzw. Anweisungen zu<br />

übermitteln.<br />

Als Hauptübermittlungsstelle wurde festgelegt:<br />

Glienicker Brücke.<br />

Nähere Anweisung folgt bei Bedarf.<br />

Die VM s<strong>in</strong>d beson<strong>der</strong>s darauf h<strong>in</strong>zuweisen, dass schnellste Übermittlung über den Stand <strong>der</strong> Arbeiterschaft und<br />

<strong>der</strong> Wirks<strong>am</strong>keit <strong>der</strong> RIAS-Sendungen, von großer Bedeutung ist. VM aus den Betrieben <strong>der</strong> Zone s<strong>in</strong>d über<br />

obrige Auffangstelle zu unterrichten.<br />

Gez. G. A. Ew<strong>in</strong>g“. 184<br />

Insbeson<strong>der</strong>e aber Karl-Eduard von Schnitzler machte dazu se<strong>in</strong>erzeit weitere Nägel mit Köpfen: „Ich b<strong>in</strong> als<br />

Sachverständiger vor Gericht über die Rolle befragt worden, die <strong>der</strong> RIAS im allgeme<strong>in</strong>en und <strong>in</strong> den Tagen um<br />

den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> herum im beson<strong>der</strong>en gespielt hat.<br />

Er<strong>in</strong>nern wir uns: Schon <strong>am</strong> 13. <strong>Juni</strong> 1953 hatte <strong>der</strong> RIAS auf Anweisung des <strong>in</strong> jenen Tagen „zufällig“ <strong>in</strong><br />

Westberl<strong>in</strong> weilenden <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstchefs, Allen Dulles, geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong> mit <strong>der</strong> d<strong>am</strong>aligen<br />

westberl<strong>in</strong>er Redaktion des britisch-lizenzierten Nordwestdeutschen Rundfunks e<strong>in</strong>e Argumentation „für<br />

Sendungen anlässlich von Unruhen <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong>“ ausgearbeitet. In den Vormittagsstunden des 16. <strong>Juni</strong>, noch ehe<br />

178 Neues Deutschland, Nr.254 vom 29.10.1953<br />

179 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />

180 Verurteil wurden Kalr-He<strong>in</strong>z Kayser, Paul Götter, Paul Philipp und Emmy Kayser<br />

181 Neues Deutschland, Nr.208 vom 5.9.1954<br />

182 Georg Grasnick u. a., Kreuzzug gegen die Koexistenz. –Psychologische Kriegführung heute, Staatverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>,<br />

Berl<strong>in</strong> 1975, S.146<br />

183 Arsenal, Band 5, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1948, S.29<br />

184 Neue Justiz, Nr.14 vom 20.7.1955, S.429


es zur ersten <strong>Provokation</strong> gekommen war, bildeten die führenden Mitarbeiter des RIAS e<strong>in</strong>en „K<strong>am</strong>pfstab“, <strong>der</strong><br />

unter <strong>der</strong> Leitung des eigens zu diesem Zweck aus Amerika herbeigeeilten CIC-Agenten Trimble stand.<br />

Vom Mittag des 16. <strong>Juni</strong> an gab <strong>der</strong> RIAS, zu e<strong>in</strong>em großen Teil chiffriert, ununterbrochen Anweisungen und<br />

Treffpunkte für Agenten und Provokateure durch und sandte gefälschte Lageberichte mit dem Zweck, die von<br />

ihm verbreitete und geschürte <strong>Provokation</strong> auszuweiten und als „Revolution“ als „Befreiungsbewegung <strong>der</strong><br />

unterdrückten Arbeiter“ h<strong>in</strong>zustellen“. 185<br />

Auch während „<strong>der</strong> ganzen Nacht vom 16. zum <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>“ und danach, gab RIAS ununterbrochen<br />

„Anweisungen über Stellplätze und Treffpunkte für die <strong>am</strong>erikanischen Agenten durch“. 186<br />

Eben deshalb, weil von Schnitzler mit deutlichen Worten den RIAS scharf kritisierte, wurde er <strong>am</strong> 18.1.1957 von<br />

westberl<strong>in</strong>er Polizisten wi<strong>der</strong>rechtlich verhaftet. Später sickerte durch, wie von den Amerikanern bezahlte<br />

Agentenorganisationen „Zeugen“ aufboten, „die bekunden sollten, dass er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vor den ordentlichen<br />

Gerichten <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> geführten Prozess gegen Agenten des Rias als Sachverständiger Tatsachen dargelegt habe,<br />

die den Rias als Spionage- und Sabotage-zentrale entlarvten“. 187<br />

Empört stellte von Schnitzler daraufh<strong>in</strong> klar: „Ke<strong>in</strong>e Silbe me<strong>in</strong>er Feststellungen habe ich zu revidieren... Der Rias<br />

ist e<strong>in</strong> Schmutzkübel... (Er) ist und bleibt e<strong>in</strong> Hetzsen<strong>der</strong>. Das beweist auch die Presse des Lagers, dem er selbst<br />

angehört.<br />

In <strong>der</strong> Nacht vom <strong>17.</strong> zum 18. <strong>Juni</strong> 1953 kabelte <strong>der</strong> ständige Berl<strong>in</strong>-Korrespondent <strong>der</strong> „New York Times“,<br />

Walter Sullivan, se<strong>in</strong>er Zeitung e<strong>in</strong>en Lagebericht, <strong>in</strong> dem es hieß: „Es wäre niemals zu den Unruhen gekommen,<br />

wären nicht die Sendungen des Rias gewesen“. Er stellte ferner fest, „dass <strong>der</strong> Propagandasen<strong>der</strong> <strong>der</strong> USA <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

<strong>am</strong> Mittwoch (<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>) von 5 Uhr morgens an für alle Teile Ostdeutschlands detaillierte Anweisungen verbreitet<br />

hat“, die den Provokateuren als Richtl<strong>in</strong>ie für ihre Verbrechen dienen sollten“. 188<br />

Gordon Ew<strong>in</strong>g, d<strong>am</strong>aliger RIAS-Progr<strong>am</strong>mdirektor gab, was Schnitzler nicht erwähnte, noch <strong>am</strong> selben <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er BRD-Fernsehsendung höchstselbst zu, „dass die angeblich von Arbeitern aus <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> st<strong>am</strong>menden<br />

Losungen und Streikaufrufe vom 16. und <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> <strong>der</strong> „RIAS“-Redaktion <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> formuliert<br />

worden waren“. 189<br />

Im Oktober 1953 bestätigte dann auch noch „New York Herald Tribune“: „Der Rias verfügt wahrsche<strong>in</strong>lich als<br />

e<strong>in</strong>ziger unter den größeren Rundfunksen<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Erde über e<strong>in</strong>en eigenen Spionagedienst“. 190<br />

Von Schnitzler ebenfalls nicht erwähnt worden ist Wanfried Sch<strong>in</strong>k aus Hartenste<strong>in</strong>, im Landkreis Zwickau. Er hatte seit<br />

1950 fortgesetzt Spionagematerial an westliche Geheimdienste geliefert. Sch<strong>in</strong>k räumte vor Gericht (1.Strafsenat des<br />

Bezirksgerichtes Karl-Marx Stadt) selbst e<strong>in</strong>, im Jahr 1950 gegen Bezahlung „im RIAS und im NWDR<br />

Gräuelmärchen über das Internierungslager Bautzen verbreitet zu haben, wo er zuvor <strong>in</strong>haftiert war“. Am Stichtag<br />

des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 nahm Sch<strong>in</strong>k aktiv an den faschistischen <strong>Provokation</strong>en teil. 191<br />

Unerwähnt blieben auch „vom RIAS und se<strong>in</strong>en Agenten organisierte Angste<strong>in</strong>käufe“ während wie nach dem <strong>17.</strong><br />

<strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> 192 Solche primitiven Mittel waren es auch, mit denen e<strong>in</strong>fache Bürger aufgeputscht werden sollten. E<strong>in</strong><br />

Zeitzeuge des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 er<strong>in</strong>nert sich: „Der RIAS, um das auch noch zu sagen, brachte e<strong>in</strong>e Sendung ständig,<br />

das g<strong>in</strong>g immer: „Bu-bu-bu-bum, Bu-bu-bu-bum, Bu-bu-bu-bum. Wir warnen. Wir warnen vor Walter M., tätig<br />

als Referent für Lehrerbildung. Herr M. arbeitet für die Staatssicherheit“. Soweit ich mich er<strong>in</strong>nere ist das drei<br />

Mal passiert, obwohl das gar nicht wahr war. Und so wurde eben versucht, <strong>in</strong>nerhalb des Kollegiums Misstrauen zu<br />

säen“. 193<br />

Oberstleutnant Roland Fischer bestätigte ebenfalls, RIAS habe seit dem 16. <strong>Juni</strong> abends, alle zehn M<strong>in</strong>uten von<br />

angeblichen Demonstrationen berichtet. Er soll ständig se<strong>in</strong>e Parolen wie<strong>der</strong>holt haben „und sendete se<strong>in</strong>en „RIAS-<br />

Warndienst“.<br />

185 Neues Deutschland, Nr.18 vom 20.1.1957<br />

186 Hg. Ausschuss für Deutsche E<strong>in</strong>heit, Wer zog die Drähte? Der <strong>Juni</strong>-Putsch 1953 und se<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>tergründe, S.42<br />

187 Neues Deutschland, Nr.17 vom 19.1.1957<br />

188 Neues Deutschland, Nr.148 vom 27.6.1953<br />

189 Arsenal, Band 5, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1984, S.31<br />

190 Neues Deutschland, Nr.18 vom 20.1.1957<br />

191 Neues Deutschland, Nr.72 vom 23.3.1954<br />

192 Neues Deutschland, Nr.158 vom 9.7.1953<br />

193 Internet, he<strong>in</strong>rich-hertz-gymnasium.de /2004


Mit diesem „Warndienst“ g<strong>in</strong>g es dem Klassenfe<strong>in</strong>d darum, mittels Verleumdungen und Hetze zielgerichtet<br />

Funktionäre und Persönlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> von <strong>der</strong> Bevölkerung zu isolieren<br />

und politisch zu erpressen. Sie wurden als „Spitzel des SED-Regimes“ o<strong>der</strong> „SSD-Agenten“ bezeichnet. Man<br />

wollte Unruhe unter den Werktätigen verbreiten und viele zur Republikflucht drängen. Dann g<strong>in</strong>g <strong>der</strong> „RIAS-<br />

Warndienst“ dazu über, offene Boykott- und Mordhetze gegen Bürger <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> zu betreiben“. 194 Wilhelm<br />

Hagedorn war e<strong>in</strong>s dieser Opfer des RIAS-Warndienstes. Konterrevolutionäre haben ihn <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 bestialisch<br />

erschlagen. RIAS „warnte“ im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> noch mehrmals vor ihm, obwohl Hagedorn längst Tod war. 195<br />

9.) Stahlhelm (Westberl<strong>in</strong>)<br />

Die Leitung des →Stahlhelms machte sich zweifelsohne schon Jahre vor dem Umsturzversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, für<br />

e<strong>in</strong>e gewalts<strong>am</strong>e E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> an den Westen stark. Auch er ist von den <strong>am</strong>erikanischen Behörden f<strong>in</strong>anziert<br />

worden. Da Eleanor Dulles, nachweisliche Organisator<strong>in</strong> des Putsches <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, noch sechs Tage vor den<br />

Ereignissen, den Stahlhelmführern <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> größere Summen übergab, dürften ihre Mitglie<strong>der</strong> ebenfalls an den<br />

<strong>Provokation</strong>en aktiv teilgenommen haben. 196<br />

10.) Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen (UfJ)<br />

Dem Spiegel zufolge, führte Theo Friedenaus 1949 gegründete und für den <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst arbeitende<br />

Organisation: →Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen (UfJ) bereits 1952 rund 12.000 Vertrauensleute, also<br />

Spitzel im deutschen Osten. Die Führung des UfJ bestand überwiegend aus ehemaligen Nazis. Ihre Agenten hatten die<br />

SED durchsetzt und gaben regelmäßig Informationen für ihre eigene schwarze Liste an die Zentrale weiter.<br />

Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 nahmen selbstverständlich auch ihre Anhänger an den <strong>Provokation</strong>en <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> teil. Wie „Agence<br />

France Presse“ meldete, haben UfJ-Mitglie<strong>der</strong> d<strong>am</strong>als <strong>in</strong> den Straßen des sowjetischen Sektors von Berl<strong>in</strong><br />

Hetzflugblätter verbreitet. 197<br />

In demselben S<strong>in</strong>ne fielen auch Theo Friedenaus Aussagen im September 1953 aus. Er gab auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz <strong>in</strong><br />

Kopenhagen offen zu, „dass er eng mit dem USA-Spionagedienst <strong>in</strong> Deutschland<br />

zus<strong>am</strong>menarbeite. Er teilte ferner mit, „dass <strong>der</strong> „Untersuchungsausschuss freiheitlicher<br />

Juristen“, von den Amerikanern großzügige Hilfe erhält und von Amerikanern geleitet wird...<br />

Während früher die Amerikaner nur e<strong>in</strong>en persönlichen Kontakt mit Friedenau und se<strong>in</strong>en<br />

Helfershelfern aufrechterhielten, wurden im <strong>Juni</strong> (1953) <strong>in</strong> das Büro des<br />

„Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen“ e<strong>in</strong>ige Offiziere aus den Spionageorganen<br />

<strong>der</strong> USA abkommandiert“. 198 Weitere E<strong>in</strong>zelheiten über ihre Rolle <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 verriet er allerd<strong>in</strong>gs nicht.<br />

11.) Vere<strong>in</strong>igung Politischer Ostflüchtl<strong>in</strong>ge (VPO)<br />

Die VPO wurde 1948 von Funktionären <strong>der</strong> Adenauer-CDU gegründet und arbeitete für das Kaiser-M<strong>in</strong>isterium den<br />

deutschen, englischen sowie <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst. Von beson<strong>der</strong>em Interesse dabei aber bleibt ihre<br />

aktenkundige, direkte Verb<strong>in</strong>dung zum „NATO-Generalstab SHAPE“, denn ihr aus Ostdeutschland<br />

zus<strong>am</strong>mengetragenes Spionagematerial hat man nachweislich auch für darauf aufbauende <strong>DDR</strong>-Hetze verwendet.<br />

Im Schnitt s<strong>in</strong>d etwa 5 bis 6 Millionen Flugblätter monatlich <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> gedruckt worden. Dasselbe Hetzmaterial hat<br />

man „zum Teil durch V-Leute <strong>in</strong> das Gebiet <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> e<strong>in</strong>geschleust, zum Teil (aber auch) durch<br />

Ballons abgeworfen“. 199<br />

194 Arsenal, Band 5, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1984, S.32<br />

195 Arsenal, Band 5, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1984, S.32<br />

196 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />

197 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />

198 Neues Deutschland, Nr.208 vom 5.9.1953<br />

199 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1958, S.575


Ihre direkte Verb<strong>in</strong>dung zum NATO-Generalstab, im Gegensatz zu an<strong>der</strong>en Agentenzentralen, <strong>der</strong>en Verb<strong>in</strong>dung zum<br />

NATO-Nachrichtendienst entwe<strong>der</strong> über den CIA o<strong>der</strong> diverse nationale Geheimdienste lief, ist auch deshalb von<br />

Belang, weil ihre V-Leute <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 „mit Sprengsätzen und Hetzflugblättern ausgerüstet <strong>in</strong> den<br />

demokratischen Sektor von Groß-Berl<strong>in</strong> und <strong>in</strong> die <strong>DDR</strong> geschickt (worden s<strong>in</strong>d), um den<br />

faschistischen Putschversuch unterstützen zu helfen. Nach <strong>der</strong> Erledigung ihres Auftrages<br />

mussten sie“ dem VPO-Geschäftsführer Otto K<strong>in</strong>tzel persönlich berichten. 200<br />

12.) Vere<strong>in</strong>igung russischer Wi<strong>der</strong>standskämpfer gegen den Bolschewismus<br />

Die Leitung <strong>der</strong> Agentenzentrale →Vere<strong>in</strong>igung russischer Wi<strong>der</strong>standskämpfer gegen den Bolschewismus, lag <strong>in</strong><br />

Händen von Alexan<strong>der</strong> Kerenski. Er rühmte sich nach dem Putschversuch, <strong>in</strong> Beise<strong>in</strong> des später vor e<strong>in</strong>em ostdeutschen<br />

Gericht Angeklagten Mangelsdorf, an den Ausschreitungen teilgenommen zu haben. „Er und se<strong>in</strong>e Mitarbeiter<br />

seien <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> mit e<strong>in</strong>em Flugzeug von Nürnberg nach Berl<strong>in</strong> geflogen und hätten vom<br />

Potsd<strong>am</strong>er Platz aus über Ultrakurzwellenfunk die Besatzungen <strong>der</strong> sowjetischen Panzer<br />

aufgefor<strong>der</strong>t, sich mit den Provokateuren zu verbünden“. 201<br />

13.) Volksbund für Frieden und Freiheit (VFF)<br />

Die Geheimdiensthilfsorganisation →Volksbund für Frieden und Freiheit wurde im August 1950 mit Unterstützung des<br />

Bundesm<strong>in</strong>isteriums für ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen gegründet. Leiter des „Volksbundes“ 202 war e<strong>in</strong> ehemaliger<br />

NSDAP-Experte im Bereich psychologischer Kriegführung, geme<strong>in</strong>t ist Eberhardt Taubert. Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 dirigierte<br />

Franz Thedieck, Bonner Staatssekretär im Kaiser M<strong>in</strong>isterium, persönlich den Volksbund. 203 Ihre Teilnahme an den<br />

Ausschreiungen können daher kaum abgestritten werden.<br />

14.) Werwolf (Westberl<strong>in</strong>)<br />

Dem <strong>in</strong> Ostdeutschland beson<strong>der</strong>s brutal wütenden →Werwolf, übergab Eleanor Dulles ebenfalls enorme Geldsummen.<br />

E<strong>in</strong>e aktive Teilnahme ihrer Mitglie<strong>der</strong> an den Gewaltausschreitungen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> s<strong>in</strong>d deshalb auf ke<strong>in</strong>en Fall<br />

auszuschließen. 204<br />

Zu denen im Vorfeld gegen die <strong>DDR</strong> mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitenden Geheimdiensthilfsorganisationen<br />

(GHO), und deshalb <strong>in</strong>dikret <strong>am</strong> Umsturzversuch des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 beteiligten Agentenzentralen gehörten:<br />

15.) →Amerikanisches Komitee für die Befreiung vom Bolschewismus (ACLB)<br />

16.) →Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft demokratischer Kreise (ADK)<br />

<strong>17.</strong>) →Bru<strong>der</strong>hilfe Ost<br />

18.) →Büro Hoffmann<br />

19.) →Evangelische Bahnhofsmissionen<br />

20.) →Gruppe Dert<strong>in</strong>ger<br />

21.) →Gruppe Janke/Vogelsang<br />

22.) →Gruppe Max Gräf<br />

23.) →Informationsbüro West (IBW)<br />

24.) →K<strong>am</strong>pfbund zur Befreiung <strong>der</strong> Völker Russlands (SBONR)<br />

25.) →Befreiungskomitee für die Opfer totalitärer Willkür<br />

26.) →Nationale Arbeitsunion (NTS)<br />

27.) →Nationales K<strong>am</strong>pfkomitee für e<strong>in</strong> freies Europa<br />

200 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1958, S.575<br />

201 Neue Justiz (Zeitschrift für Recht und Rechtswisenschaft), Nr.16 vom 20. August 1984, Berl<strong>in</strong>/<strong>DDR</strong>, S.463<br />

202 Kurt Hirsch, Rechts von <strong>der</strong> Union. Personen, Organisationen, Parteien seit 1945, Verlag Knesbeck & Schuler 1989<br />

203 Neus Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />

204 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953


28.) →Ostbüro <strong>der</strong> Evangelischen Studentengeme<strong>in</strong>de<br />

29.) →Ostbüro <strong>der</strong> CDU<br />

30.) →Sparvere<strong>in</strong> Südost<br />

31.) →Telegraf-Redaktion<br />

32.) →Vere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Opfer des Stal<strong>in</strong>ismus (VOS)<br />

33.) →Zentrale Vere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Nachkriegsemigranten (ZOPE)<br />

Nach all diesen nur oberflächlich zus<strong>am</strong>mengetragenen Informationen ergibt sich <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Diagr<strong>am</strong>s letztendlich<br />

folgendes Bild für 1953:


Legende<br />

Militarismus nach außen<br />

Militarismus nach <strong>in</strong>nen<br />

Zuträgerdienste für den <strong>17.</strong><strong>Juni</strong> 1953<br />

und a ktive Teilna hme.<br />

Militarismus nach <strong>in</strong>nen.<br />

Stand: <strong>17.</strong><strong>Juni</strong> 1953<br />

Agentenzentralen im Dienste <strong>der</strong> NATO 1953<br />

Dillge r<br />

+<br />

Asen do rf<br />

Horst Ga lu hn<br />

+<br />

He rr K<strong>in</strong> ze l<br />

Ernst<br />

Scharnowski<br />

CIA-Abteilung I<br />

Stahlhelm<br />

Stahlhelm<br />

Werwolf Werwolf<br />

Ado lf-Hitle r Tra dition<br />

Adolf-Hitler Tradition<br />

NTS<br />

ZOPE<br />

Gruppe Dert<strong>in</strong>ger Otto Lenz<br />

Na tionales K<strong>am</strong>p fkomitee<br />

für e<strong>in</strong> freies Europa<br />

Deutsches Büro von<br />

Harold Esche<br />

Weiße Legion Dr. Von Me rka tz<br />

NATO<br />

Nato-Nachrichtendienst<br />

Amerikanischer Geheimdienst<br />

Forschungsbe ira t<br />

Gruppe Dert<strong>in</strong>ger<br />

Deutsches Büro von<br />

Harold Esche<br />

Büro des Herrn<br />

Vockel<br />

Genera lo berst Lutz<br />

Orga nisation<br />

Gehlen (ORG)<br />

Son<strong>der</strong>verb <strong>in</strong>dungen<br />

<strong>der</strong> ORG<br />

NTS<br />

Liga für Menschenrechte Liga für Menschenrechte<br />

Liga für Menschenrechte<br />

Amt Blank<br />

Abteilung<br />

“Militärische Ab wehr”<br />

(Dienststelle Bla nk)<br />

Institut für Betriebshygiene<br />

<strong>der</strong> Freien Unive rsität-Berl<strong>in</strong><br />

(Dienststelle Blank)<br />

Westphal<br />

Ro be rt<br />

+<br />

KgU Tillm ann s KgU Bockelberg KgU<br />

Ernst<br />

Sch arn owski<br />

Herbert<br />

Ostbüro <strong>der</strong> SPD Wehner Ostbüro <strong>der</strong> SPD Ostbüro <strong>der</strong> SPD<br />

Ostbüro <strong>der</strong> CDU Ostbüro <strong>der</strong> CDU<br />

Ostbüro <strong>der</strong> CDU Baldauf Ostbüro <strong>der</strong> CDU<br />

Ostbüro <strong>der</strong> CDU<br />

Komitee zur Befreiung <strong>der</strong><br />

Opfer totalitärer Willkür<br />

Gruppe Janke/<br />

Vogelsang<br />

Büro Hoffmann<br />

Wern er Jöhre n<br />

+<br />

Ho rst Galuhn<br />

Franz<br />

Thed iec k<br />

+<br />

M <strong>in</strong>isterialra t Baron<br />

v on Dell<strong>in</strong>gshausen<br />

Ernst<br />

Scharnowski<br />

Lud wig<br />

Ro senb e rg<br />

Erste Legion<br />

Ru d olf Sc hm id t<br />

+<br />

Loth a r Loh risc h<br />

Gehlen Agent Albert<br />

Gerhard<br />

Haas<br />

RIAS<br />

Secret Intelligence<br />

Service (SIS)<br />

Kronika<br />

Gruppe Dert<strong>in</strong>ger<br />

Dr. Von Merkatz<br />

BDJ +<br />

BDJ<br />

F. Thedieck BDJ BDJ<br />

BDJ<br />

Ostbüro des DGB<br />

Ostbüro des DGB<br />

KgU KgU<br />

Ostbüro des DGB<br />

Ostbüro <strong>der</strong> FDP Ostbüro <strong>der</strong> FDP Ostbüro <strong>der</strong> FDP<br />

Ve re<strong>in</strong>igung politischer<br />

Ostflüchtl<strong>in</strong>ge (VPO)<br />

Ve re<strong>in</strong>igung politischer<br />

Ostflüchtl<strong>in</strong>ge (VPO)<br />

Volksbund für Frieden<br />

und Freiheit (VFF)<br />

Informationsbüro<br />

West (IBW)<br />

Bru<strong>der</strong>hilfe Ost<br />

Eva ngelische<br />

Ba hnhofsmissionen<br />

Ka mpfbund ge ge n<br />

den Bolsc hewismus<br />

Ve re<strong>in</strong>igung politischer<br />

Ostflüchtl<strong>in</strong>ge (VPO)<br />

Informationsbüro<br />

West (IBW)<br />

Telegraf-Redaktion<br />

Ostbüro des DGB<br />

Ostbüro <strong>der</strong> SPD Ostbüro <strong>der</strong> SPD Ostbüro <strong>der</strong> SPD<br />

UfJ UfJ UfJ UfJ UfJ<br />

Gruppe Max Gräf<br />

Ame rika n isch e s Ko mite e fü r d ie<br />

Be freiu n g vo m Bolsc h ewismu s ( AC LB)<br />

K<strong>am</strong>p fbu nd zur Befreiu ng <strong>der</strong><br />

Völker Russland s (SBONR)<br />

Spa rvere<strong>in</strong> Südost<br />

NJD<br />

Bundesm<strong>in</strong>isterium für<br />

ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen<br />

Refe rat Ost/<br />

SS-Obe rgru ppe nführe r<br />

Koc h<br />

Ostbüro <strong>der</strong> Evangelischen<br />

Studentengeme<strong>in</strong>de<br />

Vere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Opfer<br />

de s Stal<strong>in</strong>ismus (VOS)<br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

Demokratischer Kreise (ADK)<br />

Technisches<br />

Hilfswerk<br />

Vere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Opfer<br />

de s Stal<strong>in</strong>ismus (VOS)<br />

Vere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Opfer<br />

de s Stal<strong>in</strong>ismus (VOS)<br />

Arbeitsg eme<strong>in</strong>sc haft<br />

Demokratisc her Kreise (ADK)<br />

Ve re<strong>in</strong>igung politischer<br />

Ostflüchtl<strong>in</strong>ge (VPO)<br />

Vere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Opfer<br />

de s Stal<strong>in</strong>ismus (VOS)<br />

Se rvice de Dokumenta tion<br />

Extrérieur et de Contre-<br />

Espiona ge (SDECE)<br />

Inge<br />

Krüge r<br />

Informationsbüro<br />

West (IWE)<br />

Nato-<br />

Nachrichtendienst<br />

Westgeheimdienste<br />

Hilfsorganisationen <strong>der</strong><br />

Westgeheimdienste<br />

<strong>Provokation</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> –E<strong>in</strong>mischung <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Städten <strong>der</strong> Republilk<br />

In den an<strong>der</strong>en ostdeutschen Städten sah <strong>der</strong> Massenprotest und die versuchte <strong>Provokation</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 ähnlich<br />

wie <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> aus, auch dort spielten imperialistische Nachrichtendienste mit ihren Geheimdienstmethoden s<strong>am</strong>t


Agentenzentralen e<strong>in</strong>e wichtige Rolle, wie ehemalige Nazis o<strong>der</strong> terroristische Vorgehensweisen bis h<strong>in</strong> zu Mord<br />

belegen. Solche Fakten 50 Jahre danach noch immer abzustreiten ist e<strong>in</strong> Fehler. Fricke aber tut genau dies <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

geheimdiensthistorischen Standartwerk zum <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>, obwohl auch er den Bericht des hohen Kommissars Wladimir<br />

Semjonow zitiert: „Insges<strong>am</strong>t s<strong>in</strong>d zum 5. Oktober durch Gerichte <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1.240 Teilnehmer <strong>der</strong><br />

<strong>Provokation</strong>en verurteilt worden... Unter den verurteilten Organisatoren und Anstiftern <strong>der</strong><br />

<strong>Provokation</strong>en (befanden sich) 138 ehemalige Mitglie<strong>der</strong> nazistischer Organisationen und 23<br />

E<strong>in</strong>wohner Westberl<strong>in</strong>s“. 205<br />

Wie viele Bürger aus den Westen <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en Städten provozierten ist aus diesen Angaben zwar nicht ersichtlich, im<br />

NATO-Pakt e<strong>in</strong>gebundene Geheimdienste s<strong>am</strong>t ihrer Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO) aber haben auch <strong>in</strong> den<br />

an<strong>der</strong>en Orten Unruhen <strong>in</strong>szeniert, dafür s<strong>in</strong>d genügend Beweise vorhanden. Auch dort nahm alles bereits <strong>am</strong> 16. <strong>Juni</strong><br />

se<strong>in</strong>en Anfang, wie <strong>DDR</strong>-Gerichtsakten belegen: „So wurden bereits <strong>am</strong> 16. <strong>Juni</strong> 1953 z. B. von<br />

Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) aus zwei Kuriere mit e<strong>in</strong>em Motorrad nach Westberl<strong>in</strong> geschickt,<br />

um konkrete Anweisungen für die Durchführung des Putsches <strong>in</strong> Bitterfeld e<strong>in</strong>zuholen. Diese<br />

Kuriere k<strong>am</strong>en <strong>in</strong> den frühen Morgenstunden des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> von Westberl<strong>in</strong> mit dem Auftrag<br />

zurück, sofort zum „Generalstreik“ aufzurufen, Verb<strong>in</strong>dungen zu Agentengruppen <strong>in</strong> Halle<br />

und Delitzsch aufzunehmen und an diese den Auftrag zur Ausrufung des Generalstreiks<br />

weiterzuleiten.<br />

Den Agenten <strong>in</strong> Halle wurde weiter mitgeteilt, dass sie für die Weitergabe des Auftrages an die<br />

Leuna- und Bunawerke sowie nach Leipzig verantwortlich seien. Diese Aufträge wurden so<br />

rechtzeitig durchgeführt, dass <strong>der</strong> Rädelsführer <strong>in</strong> Halle bereits um acht Uhr im Besitz dieser<br />

Anweisungen war. Die Agentengruppe <strong>in</strong> Halle hatte aus Sicherheitsgründen ebenfalls sofort<br />

e<strong>in</strong>en Kurier mit e<strong>in</strong>em Motorrad nach Berl<strong>in</strong> geschickt, um festzustellen, „ob dort alles klar<br />

gehe“. Derselbe Kurier ist nach se<strong>in</strong>er Rückkehr nochmals nach Berl<strong>in</strong> gefahren, um dort<br />

über den Stand des Putsches <strong>in</strong> Halle zu berichten und neue Instruktionen zu erhalten.<br />

Die <strong>in</strong> Magdeburg bestehende Agentengruppe –um e<strong>in</strong> weiteres Beispiel zu erwähnen- erhielt<br />

<strong>in</strong> den frühen Morgenstunden des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> durch Kurier Instruktionen für den faschistischen<br />

Putsch, die u. a. dar<strong>in</strong> bestanden, e<strong>in</strong>e Autokolone zus<strong>am</strong>menzustellen und Betriebe <strong>in</strong> und<br />

um Magdeburg zur Beteiligung an dem Putsch aufzurufen, (bzw.) notfalls die Beteiligung mit<br />

Gewalt zu erzw<strong>in</strong>gen. Der Auftrag g<strong>in</strong>g auch dah<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en Demonstrationszug <strong>in</strong> das<br />

Stadt<strong>in</strong>nere zu organisieren, die politischen Häftl<strong>in</strong>ge zu befreien und die Volkspolizei,<br />

erfor<strong>der</strong>lichenfalls unter Anwendung von Gewalt, zu entwaffnen. Von Magdeburg aus wurden<br />

auch die E<strong>in</strong>wohner von Schönbeck an <strong>der</strong> Elbe zum Putsch aufgerufen“. 206<br />

Zu ke<strong>in</strong>er Zeit aber gelang es <strong>der</strong>maßen viele H<strong>in</strong>tergrund<strong>in</strong>formationen zu den Geheimnisvollen Kurieren ans Licht zu<br />

zerren wie im Prozess gegen den CIC-Mitarbeiter Wolfgang Silgradt und Konsorten <strong>am</strong> 10. <strong>Juni</strong> 1954 vor dem<br />

ostdeutschen obersten Gericht <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Um so erstaunlicher s<strong>in</strong>d Frickes Aussagen dazu: „Das Gericht war nicht<br />

imstande, auch nur e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen Emissär aus Westberl<strong>in</strong> konkret zu benennen, <strong>der</strong> an <strong>der</strong><br />

Vorbereitung des Aufstandes beteiligt gewesen wäre“, 207 obwohl Dr. Ernst Melsheimer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Anklageschrift auch die Kurier-Zentrale n<strong>am</strong>entlich erwähnte.<br />

Er wies nach, „dass durch den sogenannten „Forschungsbeirat“ beim Kaiser-M<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong><br />

Bonn, <strong>der</strong> „Tag X“ <strong>in</strong> enger Zus<strong>am</strong>menarbeit mit Bonner Regierungsstellen, westdeutschen<br />

Konzernen und Monopolen sowie den Geheimdiensten <strong>der</strong> Westmächte schon seit Jahren<br />

vorbereitet und schließlich <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 ausgelöst wurde“. 208<br />

Der Angeklagte Werner Mangelsdorf <strong>in</strong>dessen räumte vor Gericht e<strong>in</strong>, „die Zeugen Schles<strong>in</strong>g und Eckste<strong>in</strong><br />

bestätig(t)en: Die Fäden, die die <strong>Provokation</strong>en <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> auslösten, waren lange vorher<br />

geknüpft. E<strong>in</strong> Motorrad mit Beiwagen brachte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht zum <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> aus Westberl<strong>in</strong><br />

Direktiven zum Agenten Fiebelkorn, ehemaliger Kapitänleutnant und Ritterkreuzträger, <strong>der</strong><br />

für den „Raum Bitterfeld“ zuständig war. „Kuriere“ g<strong>in</strong>gen von Bitterfeld nach Meresburg,<br />

205<br />

Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.207<br />

206<br />

Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />

207<br />

Karl Wilhelm Fricke / Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.229<br />

208 Neues Deutschland, Nr.136 vom 13.6.1954


Leuna, Delitzsch, liefen Deckadressen an, gaben das verabredete Signal für den „TagX“. 209<br />

Mangelsdorf wörtlich:<br />

„Im Ostbüro des DGB sagte mir Eva Walther: „Wir haben schon <strong>am</strong> Abend des 16. <strong>Juni</strong> die<br />

ersten Verb<strong>in</strong>dungsleute aufgenommen, die von ihren Vorbereitungen aus <strong>der</strong> Republik<br />

zurückkehrten“. 210<br />

Lediglich die persönlichen Daten <strong>der</strong> Hauptangeklagten wurden von Fricke nicht unterschlagen. Dr. Wolfgang Silgradt<br />

zum Beispiel, floh bereits 1951 nach Westberl<strong>in</strong> und war wie auch Fricke kle<strong>in</strong>laut e<strong>in</strong>räumen musste, danach „für die<br />

Ostbüros von CDU und FDP sowie für die Liga für Menschenrechte tätig, arbeitete<br />

freiberuflich für den RIAS und wurde schließlich Mitarbeiter beim Forschungsbeirat für<br />

Fragen <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung“. 211<br />

Silgrardts Agententätigkeit vor se<strong>in</strong>em Überlaufen, sowie se<strong>in</strong>e Spitzelarbeit für den CIC danach, verschwieg Fricke<br />

allerd<strong>in</strong>gs vornehmlich, obwohl Sigradt vor Gericht se<strong>in</strong>e Zus<strong>am</strong>menarbeit mit dem <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst<br />

selbst zugab. Er räumte außerdem e<strong>in</strong>, „dass er Spionageberichte an den CIC gegeben hat, d<strong>am</strong>it bei<br />

e<strong>in</strong>em militärischen Angriff <strong>der</strong> Westmächte auf die <strong>DDR</strong>, diese „mit allen Örtlichkeiten“<br />

vertraut s<strong>in</strong>d. Für die Neuanwerbug von Agenten erhielt er u. a. e<strong>in</strong> „Kopfgeld“ von 50 D-<br />

Mark“. 212<br />

Ferner ist bekannt:<br />

1.) Bitterfeld bei Dessau/Sachsen-Anhalt<br />

E<strong>in</strong> Arbeiter (Kruger) aus dem Konsumgenossenschaftsunternehmen <strong>in</strong> Bitterfeld wurde <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953,<br />

nachdem er Ausschreitungen zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n versuchte, <strong>der</strong>art misshandelt, „dass er noch (e<strong>in</strong>en Monat<br />

danach)... schwer verletzt im Krankenhaus“ lag. 213 Demonstranten haben außerdem den SED-<br />

Funktionär Rieger (Personalchef e<strong>in</strong>er Konsumzentrale) im Laufe e<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit Arbeitern im<br />

Bereich Karl-Marx-Straße totgeschlagen. 214<br />

Staatliche Stellen h<strong>in</strong>gegen blieben <strong>in</strong> den meisten Fällen passiv, man wollte schließlich<br />

nicht auf eigene Mitbürger o<strong>der</strong> gar auf Arbeiter schießen. Den Demonstranten gelang es<br />

dadurch, selbst MfS-Dienststellen zu stürmen, so auch <strong>in</strong> Bitterfeld, wie Fricke ausnahmsweise ausführlich<br />

darlegte: „Beson<strong>der</strong>s erheblich waren die Verluste <strong>in</strong> Bitterfeld. Hier fehlten nach <strong>der</strong><br />

Erstürmung <strong>der</strong> Dienststelle 95 Personalakten und 103 Arbeitsvorgänge von offiziellen<br />

Mitarbeitern.<br />

Auch <strong>in</strong> Merseburg k<strong>am</strong>en 27 Personalakten und 79 Arbeitsvorgänge von Spitzeln und<br />

sogar e<strong>in</strong> operativer Gruppenvorgang abhanden. Erhebliche Materialien über<br />

<strong>in</strong>offizielle Mitarbeiter verschwanden auch aus <strong>der</strong> Kreisdienststelle Jena. In Görlitz<br />

fehlten ganz unterschiedliche Unterlagen: neben fünf Arbeitsvorgängen über<br />

<strong>in</strong>offizielle Mitarbeiter sechs Leitzordnern zu den volkseigenen Betrieben des Kreises,<br />

Strukturpläne und verschiedene brisante Aufstellungen zu verdächtigen Personen. In<br />

Niesky waren zwar die Spitzelakten rechtzeitig verschlossen worden, dafür g<strong>in</strong>gen Teile<br />

des Schriftverkehrs und <strong>der</strong> Verdächtigtenkartei sowie die ges<strong>am</strong>te Fahndungskartei<br />

verloren. Manches war e<strong>in</strong>fach <strong>der</strong> Zerstörungswut <strong>der</strong> Demonstranten zum Opfer<br />

gefallen, aber e<strong>in</strong>iges wurde sorgs<strong>am</strong> beiseite geschafft und gelangte über Umwege<br />

teilweise nach Westberl<strong>in</strong>, wo man sich anhand <strong>der</strong> Materialien erstmals e<strong>in</strong> genaues<br />

Bild über die Arbeitsweise <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-Geheimpolizei machen konnte. Ausgewählte<br />

Dokumente aus <strong>der</strong> Dienststelle Görlitz wurden dort im Jahre 1955 vom<br />

209<br />

Neues Deutschland, Nr.136 vom 13.6.1954<br />

210<br />

Neues Deutschland, Nr.136 vom 13.6.1954<br />

211<br />

Karl Wilhelm Fricke / Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S. 224<br />

212<br />

Neues Deutschland, Nr.135 vom 12.6.1954<br />

213<br />

Neues Deutschland, Nr.175 vom 29.7.1953<br />

214<br />

Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage


Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen publiziert“. 215<br />

2.) Stadt Brandenburg/ Brandenburg<br />

„Mehrere als Kommunisten erkannte Volkspolizisten“ wurden von Demonstranten <strong>in</strong><br />

Brandenburg <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> geschlagen, darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d „fünf russische Soldaten entwaffnet und<br />

schwer verprügelt“ worden. 216<br />

3.) C<strong>am</strong>burg bei Naumburg/ Thür<strong>in</strong>gen<br />

In C<strong>am</strong>burg schlugen ebenfalls während ihres angeblich friedlichen Protestes, faschistische Störenfried<br />

sämtliches Inventar zus<strong>am</strong>men. Im VEB C<strong>am</strong>burg Mühle, würgten sie den BGL-Vorsitzenden, um danach<br />

randalierend zur FDJ-Bezirksschule zu marschieren. Ob im Heim „Bergklause“, Rathaus o<strong>der</strong> <strong>in</strong> den<br />

Geschäftsräumen des Blättchen Volkswacht, überall verbrannten sie Bücher, Akten etc. Weitere<br />

„Schandtaten führten sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wohnung e<strong>in</strong>es Volkspolizisten... und im Polizeirevier<br />

aus“. 217<br />

4.) Dresden/ Sachsen<br />

E<strong>in</strong> SED-Funktionär aus den Klei<strong>der</strong>werken wird auf dem Industriegelände von Demonstranten<br />

nie<strong>der</strong>geschlagen, weil er es wagte, sie „als westliche Agenten“ zu bezeichnen. 218<br />

5.) Gerbstedt bei Lutherstadt-Eisleben/ Sachsen-Anhalt<br />

In Gerbstedt versuchten Provokateure <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er LPG („Walter Ulbricht“) ihre Kollegen durch Terror zum<br />

Streik zu veranlassen. 219 E<strong>in</strong> gewisser Knack aus dem Otto-Brosowski-Schacht for<strong>der</strong>te gar, „die<br />

randalierenden, faschistischen Elemente <strong>in</strong> Gerbstedt auf, sich die Arbeiter zu merken,<br />

die auf ihre Auffor<strong>der</strong>ungen h<strong>in</strong> nicht mit ihnen marschierten“. 220<br />

6.) Gräfenha<strong>in</strong>ichen bei Lutherstadt-Wittenberg/ Sachsen-Anhalt<br />

In Gräfenha<strong>in</strong>ichen gelang es e<strong>in</strong>igen Faschisten zus<strong>am</strong>men mit großbäuerlichen Elementen durch<br />

Gerüchtemacherei mehrere Traktoristen (MTS-Söllichau) zum Streik aufzuhetzen. 221<br />

Insbeson<strong>der</strong>e e<strong>in</strong> ehemaliger SS-Feldgendarm mit dem N<strong>am</strong>en Pleschke glaubte se<strong>in</strong>e Stunde sei <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />

gekommen. Demonstrativ zeriss er se<strong>in</strong> Parteibuch, „schließlich wollte er, wie mit dem Großbauer<br />

W<strong>in</strong>tersdorf vere<strong>in</strong>bart, Prokurist <strong>in</strong> dem geraubten Masch<strong>in</strong>enhof werden“. 222<br />

7.) Halle/ Sachsen-Anhalt<br />

Nach e<strong>in</strong>em ostdeutschen Polizeibericht, stürmten <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> vorgeblich friedliche Demonstranten im Bezirk<br />

Halle 33 Gebäude. Sie befreiten 487 Häftl<strong>in</strong>ge. Darunter befand sich auch Erna Dorn.<br />

Sie ist sofort <strong>in</strong> den „Führungsstab“ berufen worden, um noch <strong>am</strong> selben Tag auf dem Hallmarkt <strong>in</strong> Halle<br />

große Reden zu schw<strong>in</strong>gen. Dort schnappte sie dann völlig über, mit faschistischen Unterton, for<strong>der</strong>te sie „zur<br />

Ermordung von Angehörigen <strong>der</strong> Volkspolizei“ auf. Ihrem <strong>in</strong> Westdeutschland lebenden Vater<br />

215<br />

Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen, S.116<br />

216<br />

Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage, Deutscher Bundesverlag Bonn, ohne<br />

Ersche<strong>in</strong>ungsjahr!<br />

217<br />

Neues Deutschland, Nr.157 vom 8.7.1953<br />

218<br />

Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage, Deutscher Bundesverlag Bonn, ohne<br />

Ersche<strong>in</strong>ungsjahr!<br />

219 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />

220 Neues Deutschland, Nr.206 vom 3.9.1953, S.6<br />

221 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />

222 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953


schrieb sie begeistert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief: „Es ist soweit. Wir ziehen die alten geliebten SS-<br />

Uniformen wie<strong>der</strong> an“!<br />

Man darf sich also ernsthaft Fragen, wer hier den Vogel abgeschossen hat, ob Dorn o<strong>der</strong> Fricke. Letzterer<br />

behauptete allen Ernstes, Dorn sei „die Frau, <strong>der</strong>en Identität letztendlich ungeklärt blieb“. 223<br />

Obwohl auch Dorns Vater unter Hitler aktenkundig für die gefürchtete Gestapo <strong>in</strong> Tilsit arbeitete. „Er sorgte<br />

dafür, dass se<strong>in</strong>e Tochter, die bereits von 1934 bis 1936 bei <strong>der</strong> Politischen Polizei <strong>der</strong><br />

Nazis tätig war, ab 1936 ebenfalls zur Gestapo nach Tilsit k<strong>am</strong>. Dort „arbeitete“ die<br />

Dorn bis 1941, zuletzt als Krim<strong>in</strong>alkommissar.<br />

Anschließend trieb sie als SS-Kommandeuse im Konzentrationslager Ravensbrück ihr<br />

Unwesen. Dorn hat dort unter an<strong>der</strong>em wie<strong>der</strong>holt an Erschießungen weiblicher<br />

Antifaschisten teilgenommen“, wie sie selbst vor Gericht zugab: Es seien „höchstens 80 bis 90“<br />

Personen gewesen.<br />

Nach dem Zus<strong>am</strong>menbruch tauchte Dorn mit falschen Personalpapieren <strong>in</strong> Halle unter, behauptete sogar sie<br />

gehöre zu den politisch Verfolgten. 1950 wurde sie wegen Betrugs, 1951 dann auf Grund schweren Diebstahls<br />

bestraft, um letztendlich wie an<strong>der</strong>e Massenmör<strong>der</strong> zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt zu werden. Vor Gericht<br />

machte sie daraus selbst ke<strong>in</strong>en Hehl:<br />

„Vorsitzen<strong>der</strong>: Sie haben bei <strong>der</strong> Gestapo gearbeitet. Welche Arbeiten haben sie<br />

ausgeführt?<br />

Angeklagte: Ich habe Ermittlungen durchgeführt und Haussuchungen, vor allem bei<br />

Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> KPD und SPD“ usw. 224<br />

Dennoch nahmen was nicht vergessen, zum<strong>in</strong>dest aber nicht mit den faschistischen Provokateuren verwechselt<br />

werden darf, 94 Betriebe aus Halle <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 an den Streiks teil. 225 Währenddessen aber,<br />

ermordeten Faschisten nicht nur e<strong>in</strong>en Volkspolizisten, 226 son<strong>der</strong>n auch den studierenden FDJler<br />

Gerhard Schmidt. Er „war <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> an <strong>der</strong> Strafanstalt <strong>am</strong> Kirchtor <strong>in</strong> Halle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Menge faschistischer Provokateure h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geraten... (Sie) versuchten die Strafanstalt zu<br />

stürmen... Unerschrocken trat er (ihnen)... entgegen... Dabei schossen ihn die<br />

bewaffneten Banditen nie<strong>der</strong>“. 227 Zu den n<strong>am</strong>entlich bekannt gewordenen, <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />

mitdemonstrierenden Mitglie<strong>der</strong>n westdeutscher Agentenzentralen, gehörte neben dem Ostbüro-Agent Zobel<br />

aus dem Otto-Brosowski-Schacht, 228 auch e<strong>in</strong> gewisser Herr Bock aus den Leuna-Werk <strong>in</strong> Halle. Dort selbst<br />

arbeitende Werktätige überführten ihn „als Agent des IG-Farben-Konzerns und... (ehemaliges)<br />

Mitglied des Stahlhelms“. 229<br />

E<strong>in</strong>en Tag nach dem Umsturzversuch, <strong>am</strong> 18. <strong>Juni</strong> „nahmen Organe <strong>der</strong> Volkspolizei <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

e<strong>in</strong>en Agenten e<strong>in</strong>es ausländischen Staates fest, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Voruntersuchung aussagte,<br />

dass er zus<strong>am</strong>men mit vier an<strong>der</strong>en Agenten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht zum <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

<strong>am</strong>erikanischen Flugzeug <strong>in</strong> den Raum von Sangerhausen (45 Kilometer westlich von<br />

Halle) gebracht und dort mit e<strong>in</strong>em Fallschirm abgesetzt wurde.<br />

Die Agenten waren mit Waffen und e<strong>in</strong>em Sendegerät ausgerüstet, die sie im Walde<br />

verbargen. Bald darauf gelang es den Organen <strong>der</strong> Volkspolizei mit Hilfe <strong>der</strong><br />

Bevölkerung, zwei weitere Fallschirmjäger festzunehmen. Die Verhafteten gestanden,<br />

dass sie den Auftrag hatten, die Bevölkerung zum Aufruhr aufzuwiegeln und<br />

persönlich aktiv an ihm teilzunehmen wofür ihnen e<strong>in</strong>e Belohnung versprochen<br />

worden war“. 230<br />

223<br />

Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.15<br />

224<br />

Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />

225<br />

Thorsten Diedrich, Der <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1991<br />

226<br />

Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />

227<br />

Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />

228<br />

Neues Deutschland, Nr.206 vom 3.9.1953<br />

229<br />

Neues Deutschland, Nr.217 vom 16.9.1953<br />

230<br />

Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953


Wie Julius Ma<strong>der</strong> versichert, s<strong>in</strong>d später auch über Thür<strong>in</strong>gen Fallschirmagenten abgesetzt worden: „Um die<br />

Verluste <strong>der</strong> Agentengruppen auszugleichen, wurden auf dem Land- und Luftweg<br />

weitere konterrevolutionäre Ka<strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschleust. In <strong>der</strong> zweiten und dritten<br />

<strong>Juni</strong>dekade setzten zum Beispiel ausländische Flugzeuge über Thür<strong>in</strong>gen und Sachsen-<br />

Anhalt Fallschirmagenten ab, die mit Waffen und Funkgeräten ausgerüstet waren.<br />

Auch auf <strong>der</strong> Autobahn Leipzig-Berl<strong>in</strong> wurden Lastkraftwagen mit Waffen entdeckt<br />

und sichergestellt“. 231 Dies alles geschah noch vor dem 21.6.<strong>1953.</strong> 232<br />

8.) Höhnstedt bei Halle/ Sachsen-Anhalt<br />

Zu den übelsten Krakeelern <strong>in</strong> Höhnstedt gehörte auch Hermann Thieme e<strong>in</strong> ehemaliger SA-Schläger. 233 Er<br />

hielt <strong>am</strong> <strong>17.</strong> und 18. <strong>Juni</strong> nicht nur aufrührerische Reden, son<strong>der</strong>n sang auch lauthals<br />

faschistische Lie<strong>der</strong>. In se<strong>in</strong>er Scheune hatte Thieme e<strong>in</strong> eigenes Waffenlager mit drei Pistolen,<br />

e<strong>in</strong>em Karab<strong>in</strong>er, e<strong>in</strong>em Tesch<strong>in</strong>g, größere Menge Munition, Gasmasken und Feldfernsprecher angelegt, um<br />

<strong>am</strong> „Tag X“ mit Waffengewalt gegen fortschrittliche Kräfte vorgehen zu können. Dazu k<strong>am</strong> es nicht, da e<strong>in</strong>e<br />

Arbeiter-Selbstschutztruppe den wild um sich schießenden Thieme mit se<strong>in</strong>en Komplicen noch <strong>am</strong> selben <strong>17.</strong><br />

<strong>Juni</strong> 1953 vorzeitig festnahm. 234 Bereits unter Hitler war das SA-Mitlglied Thieme an terroristischen<br />

Handlungen „gegen Funktionäre <strong>der</strong> Arbeiterbewegung und gegen Juden“ beteiligt. 235<br />

9.) Jena/ Thür<strong>in</strong>gen<br />

Kurt Unbehauen aus Magdeburg wurde vom Bezirksgericht Jena wegen Boykott, Mordhetze und faschistischer<br />

Umtriebe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schnellverfahren zu e<strong>in</strong>er lebenslänglichen Zuchthausstrafe verurteilt. Den Gerichtsakten<br />

nach war er maßgeblich an den Gewaltausschreitungen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> beteiligt. „Unbehauen gehörte<br />

bereits 1934 <strong>der</strong> faschistischen SA und dem NSKK an“. Schon d<strong>am</strong>als war er an Terrorakten<br />

beteiligt. 236<br />

Im Jahr 1952 flüchtete Unbehauen unter Mitnahme von 1000 DM Genossenschaftseigentums nach Westberl<strong>in</strong>,<br />

um sich dort „bei e<strong>in</strong>er Agentenzentrale <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kuno-Fischer-Straße zu melden“. 237 Nach<br />

dem Regierungserlass, welches allen Republikflüchtigen e<strong>in</strong>e Rückkehr erlaubte, kehrte Unbehauen <strong>in</strong>s<br />

demokratische Deutschland zurück.<br />

Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 fuhr Unbehauen aktenkundig „mit e<strong>in</strong>em gestohlenen Personenkraftwagen<br />

zum Rat des Kreises Jena. Er drang gewalts<strong>am</strong> <strong>in</strong> die Diensträume e<strong>in</strong>, schlug im<br />

Hausflur e<strong>in</strong>e Angestellte <strong>der</strong> Abteilung Staatliches Eigentum brutal zu Boden und<br />

erbrach die Tür zum Vorsitzenden des Rates, den er ebenfalls nie<strong>der</strong>schlagen wollte.<br />

Vorher hatte <strong>der</strong> faschistische Provokateur bereits e<strong>in</strong>en Volkspolizisten überwältigt<br />

und ihm die Dienstpistole entwendet, um mit Waffengewalt gegen Staatsfunktionäre<br />

vorgehen zu können“. 238<br />

Währenddessen sangen auf dem Holzmarkt <strong>in</strong> Jena, an<strong>der</strong>e Provokateure den SA-Schlager Horst-Wessel. Bei<br />

ihrem gewalttätigen Umtrieben machten sie selbst vor e<strong>in</strong>fachen Fußgängern nicht halt. Über 40 Passanten<br />

mussten zum Teil schwer verletzt <strong>in</strong>s Krankenhaus e<strong>in</strong>geliefert werden. 239<br />

Noch übler erg<strong>in</strong>g es den MfS-Mitarbeitern <strong>in</strong> ihrer Kreisdienststelle Jena. „Immer neue Wellen von<br />

Demonstranten drangen <strong>in</strong> das Gebäude e<strong>in</strong>. Die MfS-Mitarbeiter wurden dabei<br />

231 Ma<strong>der</strong> Julius, Nicht länger geheim, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1977<br />

232 In <strong>der</strong> „Erklärung des Zentralkomitees <strong>der</strong> SED: Über die Lage und die unmittelbaren Aufgaben <strong>der</strong> Partei“ vom 21. <strong>Juni</strong> 1953 hieß es dazu<br />

wörtlich: „In <strong>der</strong> Republik herrscht Ruhe... Aber die Ruhe ist noch ke<strong>in</strong>eswegs endgültig gesichert. Der Fe<strong>in</strong>d setzt se<strong>in</strong>e Wühlarbeit fort.<br />

Ausländische Flugzeuge setzen, wie bereits <strong>in</strong> den vergangenen Tagen über Thür<strong>in</strong>gen, Sachsen-Anhalt usw. durch Fallschirme Gruppen ab.<br />

Lastwagen mit Waffen für noch nicht entdeckte Gruppen wurden an <strong>der</strong> Autobahn Leipzig-Berl<strong>in</strong> abgefangen. Der Gegner geht zu großen<br />

Sabotageakten über... / Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953<br />

233 Neues Deutschland, Nr.135 vom 12.6.1955<br />

234 Neues Deutschland, Nr.152 vom 2.7.1953<br />

235 Neues Deutschland, Nr.144 vom <strong>17.</strong>6.1956<br />

236 Neues Deutschland, Nr.144 vom <strong>17.</strong>6.1956<br />

237 Neue Justiz, Nr.15 vom 5.8.1953<br />

238 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />

239 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953


teilweise wüst verprügelt. Den Kreisdienststellenleiter zerrte man zum Markt, wo er<br />

mehrmals nie<strong>der</strong>geschlagen und mit Fußtritten traktiert wurde. Er erlitt dabei<br />

erhebliche <strong>in</strong>nere Verletzungen und war für e<strong>in</strong>ige Monate arbeitsunfähig. Schlecht<br />

erg<strong>in</strong>g es auch e<strong>in</strong>em Oberfeldwebel, <strong>der</strong> die Hände <strong>in</strong> Handschellen auf dem Rücken,<br />

zum Markt geführt und dort auf e<strong>in</strong>en Brunnenrand gestellt wurde. Man unterzog ihn<br />

e<strong>in</strong>em regelrechten Verhör, und er offenbarte verängstigt unter an<strong>der</strong>em die Höhe<br />

se<strong>in</strong>es Gehaltes, die N<strong>am</strong>en <strong>der</strong> für die Jena-Werke zuständigen Sachbearbeiter und<br />

sogar Anschriften se<strong>in</strong>er Kollegen“. 240<br />

10.) Karl-Marx Stadt (Seit 1990 Chemnitz)/ Sachsen<br />

In e<strong>in</strong>er MfS-Analyse „über die Entwicklung und Auswirkungen <strong>der</strong> faschistischen<br />

<strong>Provokation</strong>en vom 16.-24.6.1953 im Bezirk Karl-Marx-Stadt“, wurde zwar e<strong>in</strong>geräumt,<br />

„dass es im Wesentlichen ruhig blieb und es ke<strong>in</strong>e Ausschreitungen, Streikbewegungen<br />

o<strong>der</strong> <strong>Provokation</strong>en größerer Art gab“. Weshalb aber <strong>in</strong> den Kreisen Freiberg sowie Werdau<br />

dennoch Streiks ausbrachen, konnte nicht plausibel erklärt werden. Man hielt allerd<strong>in</strong>gs daran fest: „Die<br />

For<strong>der</strong>ungen waren anfangs ökonomischer Art und schlugen <strong>in</strong> politische um. Diese<br />

Aktionen des Klassenfe<strong>in</strong>des <strong>in</strong> den beiden Kreisen s<strong>in</strong>d von außen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen<br />

worden. In Werdau durch die Bergarbeiter von Gera und <strong>in</strong> Freiberg durch das<br />

angrenzende Dresden. Weiterh<strong>in</strong> hat <strong>der</strong> Rias beim Entstehen <strong>der</strong> Situation auf die<br />

schwankenden und fe<strong>in</strong>dlich e<strong>in</strong>gestellten Kräfte gewirkt“. 241<br />

Insges<strong>am</strong>t konnten dennoch vom 16. bis zum 25. <strong>Juni</strong> 1953 im Bezirk Karl-Marx-Stadt 34 Personen<br />

festgenommen werden. Fünf <strong>am</strong>erikanische Spione standen allerd<strong>in</strong>gs erst im Sept. 1953 vor dem dortigen<br />

Kriegsgericht. Sie hatten seit 1951 systematisch Spionage sowie Wühlarbeit betrieben. 242 Mit e<strong>in</strong>em Funkgerät<br />

sollte ihr Spionagematerial nach Westberl<strong>in</strong> übermittelt werden. 243<br />

Am 10.11.1954 fand erneut <strong>in</strong> Karl-Marx-Stadt e<strong>in</strong> weiterer Prozess vor dem 4. Strafsenat des Bezirksgerichtes<br />

statt. Abermals standen fünf Agenten des <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes vor Gericht. 244<br />

11.) Kirchmöser bei Brandenburg/ Brandenburg<br />

Den Demonstranten Wi<strong>der</strong>stand leistende Werkpolizisten wurden von den Streikenden <strong>in</strong> Kirchmöser <strong>am</strong> 18.<br />

<strong>Juni</strong> „<strong>in</strong> das Verwaltungsgebäude zurückgedrängt, verprügelt und entwaffnet. Die<br />

Waffen wurden von verschiedenen Arbeitern aus dem Werk entfernt“. 245<br />

12.) Leipzig/ Sachsen<br />

In Leipzig versuchten SPD-Ostbüro-Agenten <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> nachweislich unter den Arbeitern faschistische<br />

Losungen zu verbreiten o<strong>der</strong> Streiks zu organisieren. 12 Gebäude haben Konterrevolutionäre nach<br />

Polizeiangaben gestürmt. Dabei s<strong>in</strong>d auch Polizisten verprügelt worden. 246 28 Betriebe standen im Ausstand. 247<br />

So e<strong>in</strong>ige Agenten tarnten sich wie sich im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> herausstellte mit Schlosseranzügen, um so auf noch<br />

effektivere Weise, „die werktätigen Massen durch demagogische Losungen und<br />

For<strong>der</strong>ungen irrezuführen“. 248<br />

Für weietere Beispiele dieser Art, s<strong>in</strong>d Vorkommnisse im VEB Bodenbearbeitungswerk Leipzig mit über 2.000<br />

Beschäftigten beson<strong>der</strong>s geeignet, denn dort versuchten gleich mehrere Provokateure <strong>am</strong> <strong>17.</strong> und 18. <strong>Juni</strong> 1953<br />

240<br />

Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.112<br />

241<br />

Neues Deutschland, Nr. 244 vom <strong>17.</strong>10.1953<br />

242<br />

Neues Deutschland, Nr.230 vom 1.10.1953<br />

243<br />

Neues Deutschland, Nr. 244 vom <strong>17.</strong>10.1953<br />

244<br />

Neues Deutschland, Nr.265 vom 11.11.1954<br />

245<br />

Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage, Deutscher Bundesverlag Bonn, ohne<br />

Ersche<strong>in</strong>ungsjahr!<br />

246<br />

Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage, Deutscher Bundesverlag Bonn, ohne<br />

Ersche<strong>in</strong>ungsjahr!<br />

247<br />

Thorsten Diedrich, Der <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1991<br />

248<br />

Neues Deutschland, Nr.190 vom 15.8.1953


ihre Belegschaftsmitglie<strong>der</strong> aufzuwiegeln. Natürlich nahmen auch sie an den Ausschreitungen mit Vorarbeiter<br />

Saballa an vor<strong>der</strong>ster Spitze teil. „1951 hatte Saballa erstmalig den <strong>am</strong>erikanischen<br />

Geheimdienst <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Wansee aufgesucht, wo er als Agent geworben wurde. Er<br />

erhielt von den Spionagezentralen regelmäßig e<strong>in</strong> Monatsgehalt von 500 Westmark für<br />

se<strong>in</strong>e Sabotage- und Diversionstätigkeit...<br />

Im Bunde mit Saballa befanden sich die ehemaligen Belegschaftsmitglie<strong>der</strong> Richard<br />

Behrendt, Paul Behrend und Fritz Kralick, die mit weiteren Betriebsangehörigen <strong>am</strong><br />

<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> die so genannte Streikleitung bildeten und sich <strong>der</strong> Verantwortung durch die<br />

Flucht nach Westdeutschland entzogen haben.<br />

Bei se<strong>in</strong>er Vernehmung gab <strong>der</strong> <strong>in</strong>zwischen verhaftete Saballa an, dass die genannten<br />

ebenfalls im Dienste <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanischen Imperialisten standen. Sie hatten den Auftrag,<br />

die Vorbereitungen dafür zu treffen, dass <strong>der</strong> volkseigene Betrieb dem früheren<br />

Besitzer Sack wie<strong>der</strong> zurückgegeben werden konnte“. 249<br />

Nachdem aber alles schief g<strong>in</strong>g, än<strong>der</strong>ten daran beteiligte auf Anweisung ihrer Führung, ihre Me<strong>in</strong>ung um 180<br />

Grad, schließlich wollte man „die Restteile des Agentennetzes... retten und erneut E<strong>in</strong>fluss<br />

auf Teile <strong>der</strong> Arbeiterschaft... gew<strong>in</strong>nen“. Plötzlich trafen deshalb auch so e<strong>in</strong>ige Mitglie<strong>der</strong> aus den<br />

Agentenzentralen „als eifrige Rufer zu hohen Produktionserfolgen auf, o<strong>der</strong> predigten<br />

sche<strong>in</strong>heilig „Ruhe und Ordnung“. 250<br />

13.) Magdeburg/ Sachsen-Anhalt<br />

In Magdeburg randalierten <strong>in</strong> den Morgenstunden des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 gleich mehrere Gruppen. Nach<br />

Polizeiangaben stürmten sie im Bezirk Magdeburg 45 Gebäude. 251 Dabei versuchten auch e<strong>in</strong>ige von ihnen<br />

arbeitende Werktätige an ihrer Arbeit mit Gewalt zu h<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Danach g<strong>in</strong>g es mit dem ehemaligen NSDAP-<br />

Mitglied Schellhase an vor<strong>der</strong>ster Spitze, 252 <strong>in</strong> Richtung Haftanstalt Magdeburg-Sudenburg, wo Gerhard<br />

Römer mit e<strong>in</strong>em Karab<strong>in</strong>er schoss, „<strong>der</strong> vorher e<strong>in</strong>em Angehörigen <strong>der</strong> Volkspolizei geraubt<br />

worden war... Die dazugehörigen Patronen hätten ihm laut Gerichtsprotokoll<br />

„Unbekannte <strong>in</strong> die Tasche gesteckt“. 308 Häftl<strong>in</strong>ge konnten befreit werden. 253<br />

Da ihr Treiben letztendlich aber e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e Entwicklung nahm wie beabsichtigt, veröffentlichte Römer<br />

zur Tarnung <strong>am</strong> 22. <strong>Juni</strong> 1953 e<strong>in</strong>e Stellungnahme im Kreisblättchen „Volksstimme“. Er bereue es<br />

„mitgelaufen zu se<strong>in</strong>“, hieß es dort, weil dies „ke<strong>in</strong>e Demonstration, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e <strong>Provokation</strong><br />

war“. Vor Gericht versuchte Römer sogar drei regierungstreue Arbeiter anzuschwärzen, ihn zum Schießen<br />

aufgefor<strong>der</strong>t zu haben. Nachdem diese unschuldig drei Wochen <strong>in</strong> Haft waren, nahm er allerd<strong>in</strong>gs se<strong>in</strong>e<br />

verlogenen Behauptungen wie<strong>der</strong> zurück. 254<br />

Vor dem Strafvollzug Sudenburg ermordete dieselbe Meute von Faschisten drei Be<strong>am</strong>te, den MfS-<br />

Oberfeldwebel Hans Waldbach, den VP-Oberwachtmeister Georg Gaidzik und den VP-Unterwachtmeister<br />

Georg Händler. 255 „Als faschistische Gangster, die auf Befehl <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanischen<br />

Agentenzentralen ihre <strong>Provokation</strong>en vom Zaune brachen, entpuppten sich ebenfalls<br />

<strong>der</strong> 32 jährige Waege und <strong>der</strong> 17 Jahre alte Achim Roloff, die <strong>am</strong> Abend des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />

e<strong>in</strong>en 55jährigen Funktionär, <strong>der</strong> auf dem Wege zur Arbeit war, überfielen“. 256<br />

Von e<strong>in</strong>er demokratischen Volkserhebung ohne Hilfe verschiedenster Agentenzentralen, kann was Magdeburg<br />

betrifft e<strong>in</strong>fach nicht gesprochen werden, zumal Werner Knoll vom CIC aus dem Georgi-Dimitroff-Werk <strong>in</strong><br />

Magdeburg aktenkundig Spionageberichte lieferte, Schlupfw<strong>in</strong>kel für flüchtende Verbrecher auskundschaftete,<br />

weitere Agenten zu werben versuchte, und worauf es ankommt, sich <strong>am</strong> Putschversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> aktiv<br />

beteiligte, bzw. im Georgi-Dimitroff-Werk Diversionsakte ausführte. Knoll soll auch für Gehlen sowie den<br />

249 Neues Deutschland, Nr.198 vom 25.8.1953<br />

250 Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953<br />

251 Thorsten Diedrich, Der <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1991<br />

252 Neues Deutschland, Nr.171 vom 24.7.1953<br />

253 Thorsten Diedrich, Der <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1991<br />

254 Neues Deutschland, Nr.198 vom 25.8.1953<br />

255 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003<br />

256 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953


RIAS Aufträge ausgeführt haben. 257 Er war seit 1930 NSDAP-Mitglied, 1931 wechselte er zur SS um<br />

letztendlich ab 1936 im RSHA zu dienen. 258<br />

Solche Fälle mit mehreren Auftraggebern waren d<strong>am</strong>als nicht selten. In Schwer<strong>in</strong> zum Beispiel, musste sich<br />

Walter Bauer Ende 1954 vor dem Bezirksgericht verantworten. „Er wurde des Versuchs <strong>der</strong><br />

Sabotage und Militärspionage im Auftrag des Kaiser-M<strong>in</strong>isteriums und des<br />

<strong>am</strong>erikanischen CIC überführt. Bauer hatte den Auftrag, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neptumwerft Rostock<br />

Konstrucktionspläne und Zeichnungen zu entwenden. Auf Kosten des Kaiser-<br />

M<strong>in</strong>isteriums wurde er <strong>in</strong> den Opel-Werken <strong>in</strong> Rüsselheim und später bei Blohm &<br />

Voß <strong>in</strong> H<strong>am</strong>burg ausgebildet, um Fachkenntnisse zu erwerben“. 259<br />

14.) Merseburg bei Halle/ Sachsen-Anhalt<br />

In Merseburg nahmen Demonstranten <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> nicht nur Listen von Friedenskundschaftern bei ihrer<br />

Erstürmung des MfS-Gebäudes <strong>in</strong> Besitz, son<strong>der</strong>n versuchten auch durch Sabotage e<strong>in</strong> reguläres weiterarbeiten<br />

im Buna-Werk zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, nachdem sowjetiche Besatzungstruppen mit e<strong>in</strong>er großen Anzahl Panzer- und<br />

Artilleriegeschützen ihren Betrieb besetzten. Wie es <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Broschüre des Kaiser-M<strong>in</strong>isteriums hieß, fiel<br />

daraufh<strong>in</strong> im Werk „<strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht vom Donnerstag zu Freitag (19.6.1953)... <strong>der</strong><br />

Transformator des Karbid-Ofens I aus. Er soll an verschiedenen Stellen gerissen<br />

se<strong>in</strong>“. 260<br />

15.) Niesky bei Görlitz/ Sachsen<br />

Vor dem Bezirksgericht <strong>in</strong> Dresden mussten sich gleich mehrere ehemalige Nazis vor Gericht verantworten.<br />

Alle zus<strong>am</strong>men nahmen an den Ausschreitungen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, unter an<strong>der</strong>em gegen e<strong>in</strong>e MfS-Dienststelle<br />

teil. Zu den Haupträdelsführern gehörte Lothar Makwirth, seit 1933 SA-Mitglied, außerdem nachweislich<br />

Agent e<strong>in</strong>er westberl<strong>in</strong>er Agentenzentrale, mit <strong>der</strong>en Führung er aktenkundig brieflich <strong>in</strong> Kontakt stand.<br />

Auch Johannes Prietzel gehörte zu den Randalierern. Er trat 1931 „<strong>der</strong> nazistischen Partei und 1933<br />

<strong>der</strong> SA bei... Der Großbauer Herbert Stübner gehörte während des faschistischen<br />

Krieges als Freiwilliger <strong>der</strong> Waffen-SS an. Der Gastwirt He<strong>in</strong>rich W<strong>in</strong>kler war<br />

Naziblockwart. (Helmut) Seifert trat noch im Jahr 1944 <strong>in</strong> die Nazi-Partei e<strong>in</strong>.<br />

Kretzschmar war von 1934 bis 1945 bei dem RAD, zuletzt als Unterfeldmeister.<br />

(Viktor) Piegsa gehörte seit 1934 dem faschistischen NSKK an und bekleidete<br />

verschiedene Funktionen“. 261<br />

Alle Zus<strong>am</strong>men hatten <strong>in</strong> Niesky drei MfS-Mitarbeiter entwaffnet „und nach typisch faschistischer<br />

Manier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Hundezw<strong>in</strong>ger gesperrt. Mit vorgehaltener Pistole verlangte<br />

Markwirth, dass sie Hundefutter essen sollten!“. An<strong>der</strong>e schlug man e<strong>in</strong>fach grundlos zus<strong>am</strong>men.<br />

E<strong>in</strong> Betroffener: „Ich musste auf Grund <strong>der</strong> Misshandlungen 14 Tage liegen. Ich habe<br />

Kopfverletzungen und Blutergüsse“. 262<br />

16.) Rathenow bei Brandenburg/ Brandenburg<br />

Den ehemaligen MfS-Mitarbeiter Wilhelm Hagedorn, e<strong>in</strong>en bewährten Arbeiterfunktionär, werden<br />

Rowdys <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>in</strong> Rathenow bestialisch ermorden. Nur weil er sich den Randalierern <strong>in</strong> den Weg stellte,<br />

schlugen sie dem im Werkschutz mitarbeitenden Tod. E<strong>in</strong>e Augenzeug<strong>in</strong> er<strong>in</strong>nert sich: „Schlagt ihn tot,<br />

den Hund, o<strong>der</strong> hängt ihn auf!“. So hatten sie, faschistische Rowdys gerufen. E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er brüllte:<br />

„Wir werden ihn ersäufen!“. Ganz weiß im Gesicht erzählt sie weiter: „Durch die Straßen<br />

257 Neues Deutschland, Nr.267 vom 13.11.1954<br />

258 Neues Deutschland, Nr.210 vom 8.9.1954<br />

259 Neues Deutschland, Nr.271 vom 19.11.1954<br />

260 Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage, Deutscher<br />

Bundesverlag Bonn, ohne Ersche<strong>in</strong>ungsjahr!<br />

261 Neues Deutschland, Nr.169 vom 22.7.1953<br />

262 Neues Deutschland, Nr.169 vom 22.7.1953


haben sie ihn auf dem Pflaster entlanggeschleift. Er muss schon tot gewesen se<strong>in</strong>, da<br />

traten sie ihn noch mit den Füßen <strong>in</strong> den Leib. Es war entsetzlich. Das waren ke<strong>in</strong>e<br />

Menschen mehr“. 263<br />

<strong>17.</strong>) Schwer<strong>in</strong>/ Mecklenburg-Vorpommern<br />

Auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Städten im Bezirk Schwer<strong>in</strong> traten laut Schwer<strong>in</strong>er Volkszeitung (Nr.145 vom 19.6.1953)<br />

„e<strong>in</strong>zelne Provokateure und Agenten“ auf. 264<br />

18.) Suhl/ Thür<strong>in</strong>gen<br />

Fritz Wenk ist e<strong>in</strong> weiteres Beispiel von vielen. Er wurde vom CIC noch Anfang April 1953 angeworben. Se<strong>in</strong><br />

Auftrag: Er sollte <strong>in</strong> den Simson-Werken Suhl/ Thür<strong>in</strong>gen durch Wühlarbeit mithelfen den lange geplanten Tag<br />

X vorzubereiten. Mit falschen Papieren ausgerüstet, sollte Wenk, wie man ihm sagte, „die Stimmung <strong>der</strong><br />

Belegschaft feststellen. N<strong>am</strong>en und Angaben über die führenden Funktionäre des<br />

Betriebes und Angehörige <strong>der</strong> Intelligenz s<strong>am</strong>meln und Produktionsteile entwenden...<br />

Im Übrigen solle er versuchen, möglichst viele Leute zur Mitarbeit zu gew<strong>in</strong>nen“. 265<br />

19.) Zöllnitz bei Jena/ Thür<strong>in</strong>gen<br />

Auch <strong>in</strong> Zöllnitz bildete sich <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 e<strong>in</strong>e Schlägergruppe aus Provokateuren. Zu ihnen gehörte e<strong>in</strong><br />

gewisser Herr „Dechau, <strong>der</strong> seit 1937 Mitglied <strong>der</strong> NSDAP war, o<strong>der</strong> Rudi Drillhose,<br />

ebenfalls e<strong>in</strong> ehemaliges begeistertes NSDAP-Mitglied... Diese Elemente... waren es, die<br />

den Vorsitzenden <strong>der</strong> SED überfielen und schlugen, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Wohnung e<strong>in</strong>drangen, alle<br />

Unterlagen <strong>der</strong> SED herausholten, Bil<strong>der</strong> zerschlugen, Schil<strong>der</strong> demolierten,<br />

Schaukästen umstürzten und verbrannten. In <strong>der</strong> gleichen Weise g<strong>in</strong>gen sie gegen den<br />

Bürgermeister vor. Diese Rotte, die schon <strong>am</strong> Nachmittag faschistische Lie<strong>der</strong><br />

gesungen hatte, for<strong>der</strong>te offen „diesen Hund von <strong>der</strong> SED totzuschlagen“. 266<br />

20.) Zwickau/ Sachsen<br />

Arbeitern aus dem Hochwerk Zwickau, gelang es bei e<strong>in</strong>er von unzähligen <strong>in</strong> ganz Ostdeutschland<br />

durchgeführten Arbeitervers<strong>am</strong>mlungen mit anschließen<strong>der</strong> Diskussion, e<strong>in</strong>en Provokateur zu entlarven. „Es<br />

handelt(e) sich um den ehemaligen SS-Mann Menz... Im Betriebsfragebogen hatte<br />

Menz se<strong>in</strong>e Mitgliedschaft zur SS bisher verschwiegen... Den Putsch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> hatte<br />

er –wie e<strong>in</strong>ige Kollegen sagen- schon vorher angekündigt und Drohungen<br />

ausgesprochen, die gegen... Partei und Regierung gerichtet waren. Dementsprechend<br />

hat er sich <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> auch betätigt“. 267<br />

263 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />

264 Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage, Deutscher<br />

Bundesverlag Bonn, ohne Ersche<strong>in</strong>ungsjahr!<br />

265 Neues Deutschland, Nr.190 vom 15. 8. 1953<br />

266 Neues Deutschland, Nr.157 vom 8.7.1953<br />

267 Neues Deutschland, Nr.205 vom 2.9.1953


Die “ Operation <strong>DDR</strong>” <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Städten <strong>der</strong> Republik<br />

17<br />

Schwer<strong>in</strong><br />

Mecklenburg-<br />

Vorpommern<br />

Brandenburg<br />

16 Rathenow<br />

Sachsen- 2 Brandenburg<br />

Anhalt<br />

Krichmöser 11 Berl<strong>in</strong><br />

13<br />

Magdeburg<br />

Gerbstedt Gräfenha<strong>in</strong>ichen<br />

5 6<br />

Höhnstedt 8<br />

Bitterfeld<br />

1<br />

Halle 7<br />

<strong>17.</strong>6.1953<br />

Merseburg<br />

14<br />

12<br />

Leipzig Sachsen<br />

Niesky 15<br />

C<strong>am</strong>burg 3<br />

4 Dresden<br />

Jena 9<br />

Thür<strong>in</strong>gen<br />

Zöllnitz 19<br />

10 Karl-Marx-Stadt<br />

20 Zwickau<br />

18 Suhl<br />

<strong>17.</strong>6.1953<br />

<strong>17.</strong>6.1953<br />

<strong>17.</strong>6.1953<br />

<strong>17.</strong>6.1953<br />

16.6.1953<br />

<strong>17.</strong>6.1953<br />

Legende<br />

<strong>17.</strong> Und 16. <strong>Juni</strong> 1953<br />

Kuriere<br />

Ortschaft mit<br />

Ausschreitungen<br />

<strong>Provokation</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> –NATO-Kriegsvorbereitung.<br />

Vom militärischen Standpunkt aus betrachtet, k<strong>am</strong> dem NATO-Nachrichtendienst während <strong>der</strong> versuchten <strong>Provokation</strong><br />

<strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 im Vergleich zu den regulären Boden-, Luft- o<strong>der</strong> Mar<strong>in</strong>ee<strong>in</strong>heiten, natürlich e<strong>in</strong>e weitaus größere<br />

Bedeutung zu. An dieser Erkenntnis hat sich auch bis heute nichts geän<strong>der</strong>t, zumal es nicht zu e<strong>in</strong>er Ausweitung <strong>der</strong><br />

<strong>Provokation</strong>, nämlich über den subversiven Krieg bis h<strong>in</strong> zur dritten Phase des regulären Krieges k<strong>am</strong>, dennoch hatte<br />

man wie Robert Allertz e<strong>in</strong>en sowjetischen Geheimbericht zitierend versicherte, bereits zuvor „<strong>in</strong> den NATO<br />

Gremien <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang auch das militärische Eskalationspotential <strong>der</strong><br />

„deutschen Frage“ unmittelbar thematisiert“. 268<br />

Man habe laut Allerts, „<strong>in</strong> <strong>der</strong> NATO darauf spekuliert, von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren Schwäche e<strong>in</strong>es<br />

„Fe<strong>in</strong>dstaates“ profitieren zu können. Falls das nicht genügte, hätte man –wie <strong>in</strong> vielen<br />

an<strong>der</strong>en Fällen vorher und später praktiziert- gern nachgeholfen. Die Sowjetunion begriff:<br />

Sie durfte die <strong>DDR</strong> aus eben diesem Grund nicht preisgeben. Ihr Militärkommandant rief<br />

(deshalb <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> mittags) den Ausnahmezustand aus und setzte Militär zur Herstellung<br />

von Ruhe und Ordnung e<strong>in</strong>“. 269<br />

Wer an Allerts Aussagen zweifelt, braucht nur jene bereits zitierte Stellungnahme von Us-Generalstabschef Omar<br />

Bradley vor dem <strong>am</strong>erikanischen Senat <strong>am</strong> 23. 6.1953 o<strong>der</strong> John Hughes Rede vor dem NATO-Rat <strong>am</strong> 24. 6.1953<br />

nachlesen. Bradley bestätigte gerade Mal 6 Tage nach dem Umsturzversuch offiziell, „dass Westberl<strong>in</strong> <strong>in</strong> den<br />

<strong>am</strong>erikanischen Kriegsplänen die Rolle e<strong>in</strong>es Brückenkopfes und Brandherdes zugedacht<br />

war“. 270 Auch Hughes darauffolgende Rede vor dem ständigen NATO-Rat <strong>am</strong> 24. <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> Paris, bewies<br />

nachträglich diesen Sachverhalt: „Die jüngsten Ereignisse <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und <strong>in</strong> Ostdeutschland haben<br />

unsere Hoffnungen enttäuscht“, so Hughes, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Funktion als ständiger <strong>am</strong>erikanischer Vertreter im<br />

NATO-Rat wörtlich.<br />

Er gab außerdem zu verstehen, „dass sich die USA-Imperialisten mit ihrer Nie<strong>der</strong>lage <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und<br />

<strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik nicht zufrieden geben wollen und e<strong>in</strong>e<br />

Wie<strong>der</strong>holung ihres missglückten Abenteuers planen, „Solange es noch e<strong>in</strong>e Hoffnung gibt,<br />

dürfen wir ke<strong>in</strong>e Gelegenheit vorübergehen lassen“, erklärte Hughes. Fügte sogar h<strong>in</strong>zu, Präsident<br />

Dwight D. Eisenhower würde im Falle „unerwarteter“ <strong>in</strong>ternationaler Ereignisse wie <strong>in</strong> Deutschland o<strong>der</strong> Korea,<br />

268 Robert Allertz, Im Visier die <strong>DDR</strong>. E<strong>in</strong>e Chronik, edition ost 2002<br />

269 Robert Allertz, Im Visier die <strong>DDR</strong>. E<strong>in</strong>e Chronik, edition ost 2002<br />

270 Neues Deutschland,Nr.144 vom 23.6.1953


künftig über unbeschränkte Vollmachten zur Bereitstellung von Mitteln verfügen. 271<br />

Weitere E<strong>in</strong>zelheiten zu den Kriegsvorbereitungen stehen sicherlich auch im nie<strong>der</strong>sächsischen KPD-Blättchen „Die<br />

Wahrheit“, dessen Redakteur Leo He<strong>in</strong>emann zu über 1 Jahr Gefängnis sowie zwei Jahre Berufsverbot verurteilt worden ist,<br />

weil er „<strong>in</strong> den Jahren 1952 und 1953 <strong>in</strong> Artikeln die Kriegspolitik Adenauers und se<strong>in</strong><br />

Terrorregime“ entlarvte. 272<br />

Noch heute hat sich an dieser Situation nichts geän<strong>der</strong>t, zwar wird nicht mehr <strong>in</strong> dem Maße zensiert<br />

o<strong>der</strong> verhaftet wie früher, Informationen über NATO-Kriegspläne o<strong>der</strong> zur <strong>in</strong>neren Struktur des NATO-<br />

Nachrichtendienstes aber, werden nach wie vor zurückgehalten, ganz zu schweigen von entsprechenden Diagr<strong>am</strong>men.<br />

E<strong>in</strong>e Abteilung aber muss die im NATO-Hauptquartier SHAPE untergebrachte Son<strong>der</strong>struktur des NATO-<br />

Nachrichtendienstes: Gladio bereits d<strong>am</strong>als angeleitete haben. E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Abteilung o<strong>der</strong> Referat dagegen hat<br />

zweifelsohne wie bereits dargestellt, den zivilen Verb<strong>in</strong>dungen o<strong>der</strong> wie sich Commandant J. Hodgar <strong>in</strong><br />

„Wehrkunde“ ausdrückte dem „politischen Netz“, sprich: den 33 Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO)<br />

Weisungen gegeben.<br />

Auch jene nachweisbare Zus<strong>am</strong>menarbeit des NATO-Nachrichtendienstpersonals mit dem<br />

weitgehend eigenständigen Verbänden für psychologische Kriegführung, bedurfte e<strong>in</strong>er zentralen<br />

Führung, zum<strong>in</strong>dest aber Koord<strong>in</strong>ation. So genannte NATO-Verb<strong>in</strong>dungsoffiziere alle<strong>in</strong>, können diese Arbeit wohl<br />

kaum bewerkstelligt haben. E<strong>in</strong> gewisser Professor Hüttel aus dem westdeutschen „Amt für psychologische<br />

Kriegführung“ zum Beispiel hielt gegenüber BDJ-Mitglie<strong>der</strong>n noch vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 auf ihrer<br />

Partisanenschule im Waldmichelsbach „ideologische Schulungskurse“ ab. 273<br />

Im vom NATO-Nachrichtendienst kontrollierten BDJ selbst, existierte im Übrigen auch für den E<strong>in</strong>satz im eigenen<br />

Land e<strong>in</strong> Referat „für psychologische Bee<strong>in</strong>flussung <strong>der</strong> Bevölkerung“. 274 Ganz zu schweigen von den<br />

NATO-Diversionssen<strong>der</strong>n wie →RIAS o<strong>der</strong> →Radio Freies Europa (RFE) zu <strong>der</strong>en Mitarbeiter, Führungsoffiziere des<br />

NATO-Nachrichtendienstes ebenfalls Verb<strong>in</strong>dung gehalten haben müssen. NVA-General He<strong>in</strong>z Hoffmann er<strong>in</strong>nert sich:<br />

„Wir haben es <strong>in</strong> Zeiten <strong>der</strong> konterrevolutionären Aktionen 1953 und 1956 erlebt, wie RIAS<br />

und „Sen<strong>der</strong> Freies Europa“ jahrelang durch „harmlose“ Unterhaltungssendungen Hörer an<br />

die schwarze Welle gewöhnten, um sie dann <strong>in</strong> Krisen- und Spannungszeiten massiert durch<br />

Lügen, Falschmeldungen und Verleumdungen zu desorientieren und mit detaillierten<br />

Anweisungen gegen ihren eigenen Staat aufzuputschen“. 275<br />

Beide Diversionssen<strong>der</strong> gehörten, was Hoffmann vergaß zu erwähnen, zur NATO-Struktur dazu. Von wem sie vor Ort<br />

ihre Anweisungen erhielten ist ja allseits bekannt, es war dieselbe CIA, <strong>der</strong>en Führungsoffiziere auch im NATO-<br />

Nachrichtendienst tonangebend waren. Für alle NATO-Ausschüsse wie<strong>der</strong>um, ist die von CIA-Chef Allen Dulles <strong>am</strong><br />

11.12.1956 vor dem NATO-Rat beschriebene erste Phase ihres Ges<strong>am</strong>tplanes verb<strong>in</strong>dlich gewesen. „Dulles stellte<br />

<strong>in</strong> den Mittelpunkt se<strong>in</strong>er Rede die For<strong>der</strong>ung, „jede Form moralischen Druckes<br />

anzuwenden, um die antisowjetischen Kräfte im Osten zu unterstützen und den<br />

Kommunismus sowjetisch-ch<strong>in</strong>esischer Prägung auszuhöhlen“. Aushöhlung <strong>der</strong> Arbeiter-und-<br />

Bauern-Macht soll(te) <strong>der</strong> erste Schritt se<strong>in</strong>“. 276<br />

Bei Hoffmann ebenfalls nicht erwähnt, wurden „<strong>am</strong>erikanische Flugzeuge, die (<strong>am</strong> <strong>17.</strong><strong>Juni</strong> 1953) über<br />

Berl<strong>in</strong> und dem Territorium <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> flogen“, um provokatorische Flugblätter abzuwerfen. 277<br />

Tatsächlich existierte im NATO-Oberkommando Europa e<strong>in</strong> Ges<strong>am</strong>tplan <strong>in</strong> drei Stufen, dessen Inhalt erst im Oktober<br />

1957, <strong>in</strong> groben Zügen, im offiziellen NATO-Blättchen „Allgeme<strong>in</strong>e Militärrundschau“ 278 veröffentlicht<br />

wurde:<br />

„Die Ereignisse <strong>in</strong> Ungarn“ f<strong>in</strong>g ihr detailliertes Progr<strong>am</strong>m an „beleuchte(te)n klar die Probleme, die<br />

jede Volksbewegung aufwirft, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Frage <strong>der</strong> Leitung e<strong>in</strong>er solchen Erhebung...<br />

Der Staatsstreich braucht e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehende Vorbereitung, d<strong>am</strong>it er nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Bürgerkrieg<br />

271 Neues Deutschland, Nr.148 vom 27.6.1953<br />

272 Neues Deutschland, Nr. 241 vom 14.10.1955<br />

273 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />

274 Neues Deutschland, Nr.34 vom 10.2.1953<br />

275 He<strong>in</strong>z Hoffmann, Sozialistische Landesverteidigung, <strong>DDR</strong> 1971, S.706<br />

276 Neues Deutschland, Nr.297 vom 14.12.1956<br />

277 Der Wi<strong>der</strong>standskämpfer, Nr.2/ 1953<br />

278 Allgeme<strong>in</strong>e Militärrundschau, Nr.8, Oktober 1957, S.338


ausartet. Die Soldaten vernachlässigen zu sehr das Studium dieser Verfahren, denn die<br />

Gewaltmethoden werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft e<strong>in</strong>e immer größere Rolle spielen... Man kann bei<br />

dem Vorgang drei Phasen unterscheiden: die vorbereitende Phase vom ersten Komplott bis zu<br />

den ersten Schüssen, dann die Phase des Angriffs, bis die Macht <strong>in</strong> neue Hände übergegangen<br />

ist und schließlich die Phase <strong>der</strong> Konsolidierung.<br />

Die Vorbereitung: Diese Phase ist gewiss die gefährlichste und auch die schwierigste. Sie<br />

kennt kaum feste Regeln, doch weist sie e<strong>in</strong>ige allgeme<strong>in</strong>gültige Grundsätze auf:<br />

-zunächst die Herstellung <strong>der</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit <strong>der</strong> Öffentlichkeit gegen<br />

die Regierung, <strong>in</strong>dem gewisse gut ausgewählte Maßnahmen <strong>der</strong> Regierung im<br />

schlechtesten Licht dargestellt werden; man führt e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> zwei Ermordungen<br />

durch; die Diktatur erledigt das übrige...<br />

-H<strong>in</strong><strong>der</strong>liche Persönlichkeiten s<strong>in</strong>d auszuschalten, <strong>am</strong> besten durch den Tod,<br />

und zwar als erste Vorsichtsmaßnahme;<br />

-Besetzung <strong>der</strong> Regierungsgebäude, <strong>der</strong> Polizeie<strong>in</strong>richtungen und <strong>der</strong> Arsenale;<br />

-Verteilung von Waffen an die mit Führern versehene Bevölkerung.<br />

Der Angriff hat zum Ziel, <strong>in</strong> kürzester Frist e<strong>in</strong>e vollkommene Desorganisierung<br />

herbeizuführen: die beiden ersten Stunden s<strong>in</strong>d ausschlaggebend. Daher muss<br />

die Erhebung über all mit Gewalt erfolgen. Wenn ausländische Truppen<br />

vorhanden s<strong>in</strong>d, die <strong>der</strong> Regierung voraussichtlich beistehen (Warschauer-<br />

Pakt), so wäre es töricht, zu handeln, ohne sich <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong><br />

nationalen Streitkräfte sicher zu se<strong>in</strong>.<br />

Konsolidierung –Vorsicht anschließend vor dem Gegenangriff, für den e<strong>in</strong>e sichere<br />

militärische Abwehr organisiert werden muss... Auf militärischem Gebiet<br />

bleiben zwei Aufgaben: die Verfolgung <strong>der</strong> anwesenden o<strong>der</strong> flüchtigen Gegner<br />

(schwarze Listen)... sowie e<strong>in</strong>e schnelle Mobilisierung <strong>der</strong> Armee“. 279<br />

Natürlich besitzt e<strong>in</strong> solcher Artikel nicht automatisch Weisungscharakter für NATO-Verbündete, obwohl<br />

Bundeswehrgeneral Gerd Schmückle 280 Jahre später auf se<strong>in</strong>em Posten im Führungsstab <strong>der</strong> NATO-Streitkräfte <strong>in</strong><br />

Europa genau dies for<strong>der</strong>te: „Es muss sich bei den Soldaten herumsprechen, dass zum Beispiel e<strong>in</strong> Artikel des<br />

General<strong>in</strong>spekteurs, <strong>der</strong> unter se<strong>in</strong>em N<strong>am</strong>en <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeitung ersche<strong>in</strong>t, denselben Weisungscharakter besitzt,<br />

wie wenn <strong>der</strong>selbe Text die Kompanien auf Amtspapier erreichen würde“. 281 Wie auch immer, Herausgeber des<br />

NATO-Heftchen „Allgeme<strong>in</strong>e Militärrundschau“, <strong>in</strong> dem jener so aufschlussreiche Ges<strong>am</strong>tplan <strong>in</strong> drei Stufen<br />

erschien, waren jedenfalls hohe NATO-Offiziere, wie zum Beispiel ihr leiten<strong>der</strong> Redakteur<br />

-Armeegeneral M. Carpentier, zuletzt NATO-Befehlshaber „<strong>der</strong> Landstreitkräfte Europa Mitte“.<br />

–Zum „Comité de Patronage“ gehörte „<strong>der</strong> oberste NATO-Befehlshaber für Europa“ (seit Juli<br />

1953) General Alfred B. Gruenther (USA) ebenso dazu<br />

-wie se<strong>in</strong> Nachfolger seit November 1956: General Lauris Norstad (USA).<br />

Fazit: Für ihre auf e<strong>in</strong>e militärische Intervention orientierte dritte Phase (1.Phase: Konterrevolutionäre<br />

Stimmungsmache (Vorbereitung); 2.Phase: Konterrevolutionärer Putsch) sah man also sehr wohl e<strong>in</strong>e<br />

NATO-Truppen<strong>in</strong>tervention vor. „Sowohl das strategische Kernwaffenkommando <strong>der</strong> USA als auch<br />

die NATO-Kont<strong>in</strong>gente“ versichert Ma<strong>der</strong>, „waren seit 1953 systematisch auf diese offen<br />

militärische Phase des konterrevolutionären Operationsplanes vorbereitet worden. Dem<br />

dienten unter an<strong>der</strong>em solche NATO-Manöver wie „Grand Repulse“ und „Monte Carlo“<br />

279 Allgeme<strong>in</strong>e Militärrundschau, Nr.8, Oktober 1957<br />

280 Schmückle war von 1957-62 Pressereferent des d<strong>am</strong>aligen Bundesverteidigungsm<strong>in</strong>isters Strauß. Ab 1963 bis 1968 diente er im<br />

N ATO-Defence College <strong>in</strong> Paris um letztendlich erst 1970 zum Führungsstab NATO-Streitkräfte Europa aufzusteigen.<br />

281 Hg. Politische Hauptverwaltung <strong>der</strong> Nationalen Volksarmee, Militärpolitische Informationen, Nr.12/ 1971


(1953)... Im Mittelpunkt standen <strong>der</strong> massive Schlag mit Kernwaffen –deklariert als<br />

Gegenschlag-, begleitet von Angriffshandlungen <strong>der</strong> Luftwaffe und <strong>der</strong> Panzertruppen <strong>der</strong><br />

NATO“. 282<br />

Zur Er<strong>in</strong>nerung: Gladio war laut Erich Schmidt-Eenboom „auch zu Ende <strong>der</strong> 80er Jahre bei allen großen<br />

NATO-Übungen dabei: und zwar nicht nur bei <strong>der</strong> zweijährigen Stabsrahmenübung<br />

WINTEX-CIMEX, son<strong>der</strong>n auch bei allen größeren Gefechtsübungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik“. 283<br />

Seit 1949 stand <strong>der</strong> weltumspannende Aggressionsplan DROPSHOT ausgearbeitet zur Verfügung. Im Oktober 1953<br />

wurden aus Mangel an Indiskretion nochmals geheime Dokumente des <strong>am</strong>erikanischen Generalstabes publik. Es g<strong>in</strong>g<br />

auch hier um nichtöffentliche Kriegsvorbereitungen, ausgearbeitet von „<strong>der</strong> Abteilung Planung und<br />

Berechnung des Amtes für Militärspionage“ im Generalstab. Wörtlich:<br />

„Im Kriege wird das Ziel <strong>der</strong> Bundesgenossen dar<strong>in</strong> bestehen, den sowjetischen Streitkräften<br />

e<strong>in</strong>e Nie<strong>der</strong>lage beizubr<strong>in</strong>gen, die Kontrolle <strong>der</strong> Sowjetregierung zu schwächen und e<strong>in</strong>e<br />

wirks<strong>am</strong>e Verwaltung <strong>in</strong> den besetzten Gebieten e<strong>in</strong>zurichten“. Man g<strong>in</strong>g sogar soweit, dafür <strong>in</strong> Fort<br />

Knighe (State Maryland) e<strong>in</strong>e Spezialschule zu schaffen, wo <strong>am</strong>erikanische „Spione, Polizisten und<br />

Diplomaten Ka<strong>der</strong> für die Verwaltung <strong>der</strong> Gebiete Osteuropas... ausbildeten“. 284<br />

D<strong>am</strong>it s<strong>in</strong>d selbst von <strong>am</strong>erikanischen Presseorganen, jene immer wie<strong>der</strong> nicht wahrgenommenen Kriegspläne bestätigt<br />

worden. In denen Umsturzversuche wie <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 sehr wohl e<strong>in</strong>e Rolle spielten. 285<br />

Deutsche Generale <strong>in</strong>dessen, f<strong>in</strong>gen im <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong>nerhalb des Amtes Blank d<strong>am</strong>it an, den „Kern e<strong>in</strong>es Obersten<br />

Generalstabes <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abteilung II (so genannte militärische Abteilung) <strong>in</strong> aller Stille zu<br />

reorganisieren“. 286<br />

Deutsche Offiziere waren also sehr wohl, für e<strong>in</strong>en Konflikt bestens vorbereitet. Noch kurz vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, im<br />

April des selben Jahres hatte „das Hauptquartier <strong>der</strong> Alantikpakt-Streitkräfte (sogar)... e<strong>in</strong>e Reihe<br />

von Offizieren <strong>der</strong> ehemaligen Hitler-Wehrmacht über die Dienststelle Blank zur Teilnahme<br />

an e<strong>in</strong>em Kursus über bakteriologische, chemische und Atomkriegsführung angefor<strong>der</strong>t“. 287<br />

United Press, e<strong>in</strong>e <strong>am</strong>erikanische Nachrichtenagentur, gab später selbst zu, bis <strong>Juni</strong> 1953 seien von den USA 3.537<br />

Flugzeuge, 1.545.880 Masch<strong>in</strong>engewehre und Masch<strong>in</strong>enpistolen, 24.543 Panzer, 5.796 Geschütze, 493 Kriegsschiffe<br />

<strong>in</strong>klusive 720.387.000 Schuss Munition an Westdeutschland sowie an<strong>der</strong>e Alantikpakt-Län<strong>der</strong> geliefert worden. 288<br />

Insges<strong>am</strong>t standen dem NATO-Hauptquartier im kritischen Jahr 1953 darüber h<strong>in</strong>aus „e<strong>in</strong> Mannschaftsbestand<br />

von 3,3 Millionen, 5.100 Flugzeuge(n), 125 Flugplätze(n), Radarstationen, Ölleitungen und<br />

das ganze System <strong>der</strong> „Informationsstruktur“ zur Verfügung. 289 Insbeson<strong>der</strong>e aus den USA k<strong>am</strong>en ständig<br />

Truppenverstärkungen nach Europa. Unterstanden dem NATO-Generalstab 1950 gerade Mal 100.000 <strong>am</strong>erikanische<br />

Soldaten, so waren es 1953 bereits 427.000. 290<br />

Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> selbst, s<strong>in</strong>d zusätzlich, sämtliche auf westdeutschen Boden unter USA-Kommando stehende so genannte<br />

Arbeitskompanien (Dienstgruppen= DG) <strong>in</strong> Alarmbereitschaft gestellt worden. 291<br />

Nicht immer lief allerd<strong>in</strong>gs alles so reibungslos wie vorgesehen. In Ettl<strong>in</strong>gen (bei Karlsruhe/ Baden-Württemberg) zum<br />

Beispiel „haben <strong>am</strong> Tag des faschistischen Putschversuches 75 Prozent <strong>der</strong> Soldaten von zwei<br />

westdeutschen Arbeitskompanien ihren <strong>am</strong>erikanischen Offizieren den Gehors<strong>am</strong> verweigert.<br />

Die im <strong>am</strong>erikanischen Dienst stehenden deutschen E<strong>in</strong>heiten sollten <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />

feldmarschmäßig nach <strong>der</strong> Demarkationsl<strong>in</strong>ie abrücken. Sie weigerten sich jedoch,<br />

282<br />

Albrecht Charisius/ Julius Ma<strong>der</strong>, Nicht länger geheim. Entwicklung, System und Arbeitsweise des imperialistischen<br />

deutschen Geheimdienstes, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1978, S.539<br />

283<br />

Erich Schmidt-Eenboom, Der BND, Knaur Verlag 1993<br />

284<br />

Neues Deutschland, Nr.244 vom <strong>17.</strong>10.1953<br />

285<br />

Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953<br />

286<br />

Neues Deutschland, Nr.265 vom 11.1.1955<br />

287<br />

Neues Deutschland, Nr.88 vom 16.4.1953<br />

288<br />

Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />

289<br />

Karl Bittel, Atlantikpakt o<strong>der</strong> kollektive Sicherheit für Europa, Karl Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1954, S.35<br />

290<br />

Lorenz Knorr, NATO.Geschichte-Strategie-Atomkriegsplanung, Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt <strong>am</strong> Ma<strong>in</strong> 1985, S.79<br />

291 Neues Deutschland, Nr.159 vom 10.7.1953


anzutreten, scharfe Munition zu empfangen und nach Osten abzumarschieren. Als alle<br />

Überredungskünste <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanischen Offiziere fehlschlugen, wurden die Deutschen wegen<br />

„Unzuverlässigkeit <strong>in</strong> entscheiden<strong>der</strong> Situation“ aus dem Dienst entlassen“. 292<br />

Jahre später (1956) schrieb <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang <strong>der</strong> BND-Mitarbeiter Adelbert We<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> mit hervorragenden<br />

Kontakten zu alten Wehrmachtskreisen, auf unerhörte Weise, noch immer besorgt se<strong>in</strong>en viel beachteten Brief: „Die<br />

Angehörigen dieser Dienste<strong>in</strong>heiten“ so We<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> seien „durchweg nicht mehr als deutsche<br />

Soldaten zu betrachten... Durch den langen Dienst bei den Besatzungsmächten seien sie „ohne<br />

jegliche traditionelle B<strong>in</strong>dung“ und „geistig und materiell korrumpiert“. 293 Wie viele deutsche<br />

Soldaten aus den Dienstgruppen (DG) zuguterletzt <strong>am</strong> Grenzverlauf <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 aufmarschierten ist nicht bekannt.<br />

Amerikanische Panzer allerd<strong>in</strong>gs fuhren zur fraglichen Zeit „an <strong>der</strong> Staatsgrenze zur <strong>DDR</strong> <strong>in</strong> Bayern und<br />

Hessen sowie Westberl<strong>in</strong> auf“. 294 Bewohner aus dem nie<strong>der</strong>bayerischen Deggendorf berichteten, „dass die<br />

<strong>am</strong>erikanischen Panzer, die durch ihre Stadt fuhren, scharfe Munition gefasst hatten“. 295<br />

Neben den westdeutschen bewaffneten Kräften 296 g<strong>in</strong>gen <strong>am</strong> sogenannten „Tag X“ (<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953) natürlich auch<br />

an<strong>der</strong>e US-Streitkräfte-Gruppierungen „an <strong>der</strong> Staatsgrenze zur <strong>DDR</strong>... <strong>in</strong> Stellung“. 297 Während man den<br />

von Bonn zur NATO gerechneten Bundesgrenzschutz (BGS) 298 <strong>am</strong> ges<strong>am</strong>ten Grenzverlauf alarmierte, 299 s<strong>in</strong>d zeitgleich<br />

auch BDJ-Son<strong>der</strong>formationen, von e<strong>in</strong>em Flugzeug unbekannter Nationalität, vom Rhe<strong>in</strong>-Ma<strong>in</strong>-Flughafen <strong>in</strong> Frankfurt<br />

nach Westberl<strong>in</strong> geflogen worden. KPD-Mitglied Schabrod (Landtagsabgeordneter von NRW) enthüllte außerdem,<br />

„dass auch vom Flughafen Düsseldorf-Lohhausen 27 BDJler bereits drei Tage vor Beg<strong>in</strong>n des<br />

Putsches, <strong>am</strong> 14. <strong>Juni</strong>, nach Westberl<strong>in</strong> gebracht wurden“. 300<br />

In Berl<strong>in</strong> selbst warf e<strong>in</strong> <strong>am</strong>erikanisches Flugzeug Flugblätter über Ostberl<strong>in</strong> ab, während <strong>am</strong>erikanische, <strong>am</strong><br />

Grenzübergang postierte Lautsprecher, <strong>am</strong> Tag X zum Aufruhr aufwiegelten. 301 „Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Unruhen“<br />

tauchten laut „Prawda“ sogar „mit Benz<strong>in</strong>flaschen zur Inbrandsetzung von Gebäuden beladene<br />

<strong>am</strong>erikanische Lastwagen an den Grenzen des sowjetischen Sektors von Berl<strong>in</strong>“ auf. Manchen<br />

<strong>am</strong>erikanischen Offizier sah man d<strong>am</strong>als agitatorisch „<strong>in</strong>mitten <strong>der</strong> faschistischen Banden, die <strong>in</strong><br />

Ostberl<strong>in</strong> ihr Unwesen trieben“. 302 Amerikanische Polizisten nahmen „an <strong>der</strong> Entführung des<br />

Stellvertreters des M<strong>in</strong>isterpräsidenten <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik, Otto<br />

Nuschke“ teil, 303 während an<strong>der</strong>enorts e<strong>in</strong> später verhafteter Altfaschist, noch <strong>am</strong> selben <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 gegenüber<br />

Demonstranten, um den E<strong>in</strong>druck zu erwecken, man habe den antifaschistischen, demokratischen Regierungsblock<br />

gesprengt, über e<strong>in</strong>e angebliche Flucht Nuschkes faselte. 304 „In <strong>der</strong> Gegend <strong>der</strong> Warschauer Brücke wurde<br />

vom <strong>am</strong>erikanischen Sektor aus <strong>in</strong> das Gebiet des demokratischen Sektors (sogar)<br />

geschossen“. 305<br />

Noch drei Tage nach dem Putschversuch, <strong>am</strong> 20. <strong>Juni</strong> 1953 sahen mehrere Augenzeugen wie „Insassen des<br />

Kraftwagens Nr.27, <strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanischen Militärmission gehört(e)... <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt Potsd<strong>am</strong><br />

Plakate mit dem Befehl des sowjetischen Militärkommandanten (abrissen)... die <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Friedrich-Ebert Staße Ecke Alleestraße ausgehängt waren“. 306<br />

Wann die so genannte „Operation <strong>DDR</strong>“ letztendlich offiziell endete, kann demnach auch heute noch aus Mangel<br />

an Informationen nicht klar festgelegt werden. Fakt aber ist: CIA-Chef Allen W. Dulles <strong>in</strong>spizierte höchstselbst im <strong>Juni</strong><br />

1953 zus<strong>am</strong>men mit dem obersten NATO-Befehlshaber <strong>in</strong> Europa, USA-General Matthew. B. Ridgeway, noch vor dem<br />

292 Neues Deutschland, Nr.155 vom 5.7.1953<br />

293 Neues Deutschland, Nr.2 vom 3.1.1956<br />

294 Hg. Institut für Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus beim ZK <strong>der</strong> SED, Geschichte <strong>der</strong> deutschen Arbeiterbewegung, Band 7, Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1966, S.233<br />

295 Neues Deutschland, Nr.154 vom 4.7.1953<br />

296 Hg. Institut für Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus beim ZK <strong>der</strong> SED, Geschichte <strong>der</strong> deutschen Arbeiterbewegung, Band 7, Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1966, S.235<br />

297 Albrecht Charisius/ Julius Ma<strong>der</strong>, Nicht länger geheim, Mililtärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1978, S.531<br />

298 Neues Deutschland, Nr.204 vom 1.9.1955<br />

299 Hg. Autorenkollektiv: Re<strong>in</strong>hard Brühl u. a., Armee für Frieden und Sozialismus, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1985, S.63<br />

300 Neues Deutschland, Nr.154 vom 4.7.1953<br />

301 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />

302 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />

303 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />

304 Neue Justiz, Nr.1, 5.1.1954, S.73<br />

305 Neues Deutschland, Nr.150 vom 30.6.1953<br />

306 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953


entscheidenden Tag ihre „Operation <strong>DDR</strong>“ von Westberl<strong>in</strong> aus. 307<br />

Für e<strong>in</strong>en vom NATO-Pakt d<strong>am</strong>als <strong>in</strong> Aussicht gestellten größeren, geplanten Krieg, sprechen auch unzählige, kurz vor<br />

dem Umsturzversuch verstärkte Agentenumtriebe <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en sozialistischen Nachbarstaaten.<br />

Irland<br />

England<br />

Holland<br />

Dänemark<br />

Norwegen<br />

Schweden<br />

BRD Polen<br />

<strong>DDR</strong><br />

5<br />

Belgien<br />

Tschechos-<br />

4<br />

lowakei<br />

4<br />

13<br />

Schweiz Österreich<br />

Frankreich<br />

Ungarn<br />

Italien<br />

8<br />

Jugoslawien<br />

F<strong>in</strong>nland 8<br />

Verstärkte imperialistische Agententätigkeit 1953<br />

Rumänien 3<br />

Bulgarien 1<br />

2<br />

Albanien Griechenland<br />

Türkei<br />

NATO-Hauptfe<strong>in</strong>d UdSSR 9<br />

Syrien<br />

Libanon<br />

Israel<br />

7<br />

Ziellän<strong>der</strong> NATO Hauptfe<strong>in</strong>d<br />

Ch<strong>in</strong>a 6<br />

Nord-<br />

Korea<br />

Im nachrichtendienstlichen Bereich zogen dieselben Kriegsbrandstifter tatsächlich <strong>in</strong>nerhalb an<strong>der</strong>er<br />

volksdemokratischer Staaten alle Register. E<strong>in</strong>e verstärkte Agententätigkeit machte sich 1953 <strong>in</strong> →Albanien,<br />

→Bulgarien, →Ch<strong>in</strong>a, →Polen, →Rumänien, →Sowjetunion, →Tschechoslowakei und →Ungarn bemerkbar.<br />

<strong>Provokation</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> –Vorbereitung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>mischung<br />

Die versuchte <strong>Provokation</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 („Operation <strong>DDR</strong>“) wurde gründlich vorbereitet. Sie f<strong>in</strong>g mit <strong>der</strong> auf<br />

Betreiben <strong>der</strong> NATO organisierten Säuberung des BRD-Be<strong>am</strong>tenapparates 1952 an. Ihr folgte die angekündigten und<br />

durchgeführten Terrrormaßnahmen des Innenm<strong>in</strong>isters Robert Lehr gegenüber <strong>der</strong> KPD im Januar <strong>1953.</strong> Im April 1953<br />

folgten weitere Maßnahmen gegen Friedensaktivisten. Der CIC f<strong>in</strong>anzierte zeigleich zunehmend wesdeutsche<br />

Zeitungen im Rahmen des kalten Krieges und <strong>der</strong> Kriegsvorbereitung.<br />

Die Zunahme <strong>der</strong> Diversion und Saboatage gegen die <strong>DDR</strong> Ende 1952/ Anfang 1953 ist ebenfalls aktenkundig. Die<br />

zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 im Zus<strong>am</strong>menhang mit <strong>der</strong> →Aktion Vulkan des<br />

BND und den gefälschten Lebensmittelkarten des <strong>am</strong>erikansichen Geheimdienstes im April 1953 gehören ebenfalls<br />

dazu. Auch die verbreiteten Gerüchte des →RIAS im Vorfeld und die zunehmende Abwerbung von <strong>DDR</strong>-Bürgern,<br />

sowie die kurz davor organisierte Flüchtl<strong>in</strong>gs-Psychose gehörten zu den Vorbereitungen. Bliebe also nur noch die<br />

Amnestie ehemaliger Faschisten im April 1953 zu erwähnen, die ebenfalls zur Vorarbeit des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 gerechnet<br />

werden darf.<br />

Kopf des ges<strong>am</strong>ten Unternehmens war die CIA <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> NATO. Die Vorbereitungen für die operative Leitung vor<br />

Ort fiel dem Kaiserm<strong>in</strong>isterium mit Hilfe zahlreicher westeuropäischer Geheimdienste und<br />

Geheimdiensthilfsorganisationen zu.<br />

Frieckes Behauptung „die Berl<strong>in</strong>er CIA-Verantwortlichen wurden nach eigenen Angaben“ von den<br />

Ereignissen des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 „kalt erwischt“ 308 ist folglich falsch.<br />

Se<strong>in</strong>e Aussage, „zum<strong>in</strong>dest für die Organisation Gehlen ist jegliche Beteiligung an den<br />

Ereignissen des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> def<strong>in</strong>itiv auszuschließen“, ist ebenso an den Haaren herbeigezogen, wie die<br />

307 Hg. Autorenkollektiv: Albrecht Charisius u. a., Weltgendarm USA, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1983, S.97<br />

308 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.75<br />

Nord-<br />

Vietn<strong>am</strong><br />

Süd-<br />

Vietn<strong>am</strong><br />

Süd-Korea Japan<br />

Taiwan


Feststellung: „Auch <strong>in</strong> den USA waren sich State Department und CIA <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schätzung<br />

zunächst e<strong>in</strong>ig, das die Unruhen des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> „e<strong>in</strong> spontanes Ergebnis“ e<strong>in</strong>er von den Sowjets<br />

„galanten Demonstration“ vom Vortage waren“. 309<br />

Wie zwei so bekannte Historiker zu solchen Trugschlüssen gelangen konnten, ist mit den Informationsunterdrückungen<br />

zum NATO-Nachrichtendienst schnell erklärt, sie gaben schließlich den fehlenden Zugang zu den entsprechenden<br />

Dokumenten selbst zu: „Soweit entsprechende Dokumente zugänglich s<strong>in</strong>d, ist zu erkennen, dass<br />

sie (westdeutsche Geheimdienste) nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage waren, das Geschehen richtig zu<br />

deuten“. 310 Fricke hat nicht e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Dokument zum NATO-Nachrichtendienst ausgewertet, geschweige denn<br />

jemals zu Gesicht bekommen. Es ist vielmehr noch heute so, das auch se<strong>in</strong>em Auftraggeber, dem<br />

„Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes <strong>der</strong> ehemaligen <strong>DDR</strong>“,<br />

es nach wie vor verboten ist, deutschen Forschern Unterlagen über westliche Geheimdienste herauszugeben. Auch „die<br />

Archive <strong>der</strong> Central Intelligence Agency und des Intelligence Service... werden für immer<br />

verschlossen bleiben“. 311<br />

Alle Versuche ostdeutscher Publizisten, bereits <strong>in</strong> den 50er Jahren kritische Literatur zu den Geschehnissen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />

1953 <strong>in</strong> Westdeutschland an den Mann zu br<strong>in</strong>gen scheiterten ebenfalls an e<strong>in</strong>er wüsten Zensur, zumal „die<br />

Organisatoren des Putsches eifrig bemüht (waren), ihre Vorbereitungen für den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953<br />

nicht bekannt werden zu lassen. Die nach Westberl<strong>in</strong> entkommenen Provokateure wurden<br />

daher angewiesen, bei Vernehmungen über ihre Beteiligung an dem Putsch alles zu<br />

verschweigen, was auf die Tatsache <strong>der</strong> Organisiertheit des Putsches durch die westberl<strong>in</strong>er<br />

Agentenzentralen auch nur h<strong>in</strong>deuten könnte. Der Angeklagte Silgardt, <strong>der</strong> im Auftrage des<br />

Leiters des Westberl<strong>in</strong>er Büros <strong>der</strong> „Liga“ Anfang Juli 1953 Berichte <strong>der</strong> geflüchteten<br />

Provokateure über die Aktion als Material für e<strong>in</strong> geplantes Weißbuch über den<br />

„Volksaufstand <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953“ aufnahm, erhielt die Anweisung, die hierüber zu fertigende<br />

Nie<strong>der</strong>schrift so abzufassen, dass sich aus ihr nichts über die organisierten Vorbereitungen<br />

des Putsches durch die Agenten- und Sabotagezentralen ergebe“. 312<br />

Mehr noch, dieselben Provokateure s<strong>in</strong>d zweifelsohne auch im Vorfeld angewiesen worden, jegliches Fotografieren <strong>am</strong><br />

<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> mit Gewalt zu unterb<strong>in</strong>den. Rowdys jedenfalls stürzten sich <strong>am</strong> Tag X aktenkundig gezielt auf<br />

Strassenpassanten, <strong>der</strong>en Absicht dar<strong>in</strong> bestand, sie zu fotografieren. Man verprügelte sie. „Die Photoapparate<br />

wurden von den Angeklagten und <strong>der</strong> übrigen Meute zertreten“, hieß es dazu <strong>in</strong> den Gerichtsakten.<br />

Deshalb kann Frickes zwar nicht ausgesprochene, aber doch geme<strong>in</strong>te Ansicht: Quod non est <strong>in</strong> actis, non est <strong>in</strong> mundo.<br />

(Was sich nicht <strong>in</strong> den Akten bef<strong>in</strong>det, ist auch nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt), gar nicht stichhaltig se<strong>in</strong>. Beide, Fricke wie<br />

Engelmann g<strong>in</strong>gen ihren NATO-Freunden aber nicht nur weil „entsprechende Dokumente“ noch nicht<br />

zugänglich s<strong>in</strong>d auf den Leim, denn darauf können sie noch lange warten, vielmehr haben sie es versäumt, den BND<br />

und die CIA im NATO-Rahmen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aber im historischen Kontext zu betrachten. In dem nachweisbare<br />

Kriegsvorbereitungen, mit entsprechenden Aufträgen für Gehlen nicht e<strong>in</strong>fach weggelassen werden können.<br />

Hätten sie sich kritischer mit den Geheimdiensten des Nordatlantikpaktes ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gesetzt, dann wären ihnen auch<br />

ganz bestimmt <strong>der</strong> Prozess gegen drei Agenten des NATO-Geheimdienstes im <strong>Juni</strong> 1955 nicht entgangen. E<strong>in</strong>em von<br />

ihnen: Wilhelm Lehmann, hatten se<strong>in</strong>e Vorgesetzte bereits d<strong>am</strong>als Son<strong>der</strong>aufgaben übertragen. Im Urteil des Obersten<br />

Gerichts vom 13. <strong>Juni</strong> 1955 –I Zst (I) 3/55 hieß es dazu wörtlich: „Anlässlich des faschistischen<br />

Putschversuches vom <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 wurde ihm (Lehmann) die Son<strong>der</strong>aufgabe gestellt, die<br />

Verlegung und den Verbleib sowjetischer Panzere<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> auf dem Arnswal<strong>der</strong> Platz<br />

und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wuhlheide festzustellen“. 313<br />

Pläne e<strong>in</strong>er totalen Spionage, mit e<strong>in</strong>em eng geknüpften Spitzelnetz im eigenen Land, ebenso wie auf <strong>DDR</strong>-<br />

Hoheitsgebiet waren ebenfalls bereits Jahre vor dem Umsturzversuch sehr wohl real. Sie stellten e<strong>in</strong>en nicht<br />

unwesentlichen Teil gezielter NATO-Kriegsvorbereitung dar. Sämtliche im Text erwähnten Methoden, Handlungen<br />

sowie Direktiven, aller größeren Westgeheimdienste, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aber schwarze Listen ihrer Agentenzentralen, Jahre<br />

vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 belegen zu Genüge, wie ernst NATO-Geheimdienstoffiziere, ihr totales Spionagekonzept<br />

nahmen.<br />

309 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S. 77<br />

310 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.80<br />

311 Stewart Steven, Sprengsatz. Die Operation Spl<strong>in</strong>ter Factor <strong>der</strong> CIA, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1975<br />

312 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />

313 Neue Justiz, Nr.13 vom 5.7.1955


Siegmund Neumann vom →SPD-Ostbüro zum Beispiel, hatte bereits 1947 <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne mit e<strong>in</strong>er<br />

Zus<strong>am</strong>menstellung von Listen vertrauenswürdiger SPD-Genossen <strong>in</strong> Ostdeutschland begonnen. Im →FDP-Ostbüro<br />

g<strong>in</strong>g man im Dezember 1948, unter Leitung Dr. Englers dazu über, e<strong>in</strong>e Karteiaufstellung, über alle aus dem Osten<br />

geflüchteten LDPD-Mitglie<strong>der</strong>n anzulegen. E<strong>in</strong> Jahr später richteten sie ihre berüchtigte „Zentrale West- und<br />

Ostkartei“ e<strong>in</strong>. Womit zugleich auch ihre nachrichtendienstliche Arbeit <strong>in</strong> Westdeutschland selbst besiegelt worden<br />

ist. Unter an<strong>der</strong>em g<strong>in</strong>gen FPD-Ostbüro Mitarbeiter dazu über, Personen festzustellen, „die sich<br />

verfassungsfe<strong>in</strong>dlich“ betätigten., <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auf Kommunisten hatten sie es abgesehen.<br />

Im →CDU-Ostbüro sah es nicht an<strong>der</strong>s aus, Jöhren versuchte dort seit 1951 e<strong>in</strong>e bessere „karteimäßige<br />

Erfassung von Personen durchzuführen, als dies vorher <strong>der</strong> Fall war“. Karteien führte man unter<br />

an<strong>der</strong>em über, „Verb<strong>in</strong>dungsleute, Mitarbeiter <strong>der</strong> Staatssicherheit, Flüchtl<strong>in</strong>ge, Orte <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

SBZ/<strong>DDR</strong>, Handwerker, Häftl<strong>in</strong>ge etc.“.<br />

Alle aber legten wie Buschfort versicherte, jene „nach Orten und Straßen geordnete Kartei <strong>der</strong> SBZ<br />

an“, <strong>in</strong> welcher zuverlässige Flüchtl<strong>in</strong>ge mit ihren ehemaligen Wohnorten im Osten verzeichnet wurden. Zus<strong>am</strong>men<br />

mit den Listen über fe<strong>in</strong>dlich ges<strong>in</strong>nte SED-Politiker, Christdemokraten, Sozialdemokraten o<strong>der</strong> Liberale, hatten die mit<br />

ihnen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehende Geheimdienste, <strong>der</strong>en Steuerung <strong>in</strong>nerhalb des NATO-Nachrichtendienst dem CIA zufiel,<br />

dadurch natürlich e<strong>in</strong>en idealen E<strong>in</strong>blick, für ihre angestrebte totale Überwachung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. Letztendlich spielten<br />

dieselben schwarzen Listen auch für Umsturzversuche wie <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, bzw. danach e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Dafür<br />

gibt es, dargestellt <strong>am</strong> Fallbeispiel des →SPD-Ostbüros, unwi<strong>der</strong>legbare Beweise.<br />

Gerade bei dieser, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für den gewöhnlichen SPD-Anhänger so harmlos wirkenden, nachrichtendienstlichen<br />

Arbeitsweise. In Wirklichkeit aber Kern des totalen konterrevolutionären Konzeptes, zeigte sich wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Mal mehr,<br />

wie ahnungslos e<strong>in</strong>fache SPD-Ostbüromitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Sachen Geheimdienstfragen <strong>in</strong> Wirklichkeit waren. Auch technisch<br />

waren viele von ihnen bis zuletzt, eben nicht geheimdienstlich ausgebildete Berufsagenten. E<strong>in</strong> Opfer des NATO-<br />

Nachrichtendienstes wollte dennoch ke<strong>in</strong>er von ihnen se<strong>in</strong>. Kurzum, sie waren <strong>in</strong> ihrer Mehrheit gar nicht fähig, ihre<br />

eigene nachrichtendienstliche Arbeit strategisch im NATO-Rahmen e<strong>in</strong>zuordnen.<br />

Inhaftierte SPD-Ostbüro Spitzel gaben es selbst zu, zum<strong>in</strong>dest diejenigen, denen an e<strong>in</strong>em Sozialismus <strong>in</strong> Freiheit<br />

wirklich etwas lag, sich deshalb auch mit dieser Thematik <strong>in</strong>tensiv ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen, wie SPD-Osbüro Agent<br />

Christoph Engel zum Beispiel. Wörtlich: „Ich war (seit 1952) Agent des Ostbüros <strong>der</strong> SPD.... Ich hatte ke<strong>in</strong><br />

Vertrauen zur <strong>DDR</strong>, hegte überall Misstrauen und verstand auch nicht die Arbeit <strong>der</strong> Organe des M<strong>in</strong>isteriums<br />

für Staatssicherheit. Veröffentlichungen über Agententätigkeit <strong>in</strong> den Zeitungen habe ich nicht gelesen...<br />

Während me<strong>in</strong>er Haftzeit (aber) ist mir klargeworden, dass dieses Agententätigkeit ob bewusst o<strong>der</strong> unbewusst<br />

geleistet, <strong>der</strong> Vorbereitung e<strong>in</strong>es neuen Krieges dient“. 314<br />

An<strong>der</strong>e Sozialdemokraten, denen im Vorfeld mit Ausstellungen wie <strong>in</strong> Schwer<strong>in</strong>: „Agenten, Spione, Saboteure<br />

entlarvt“, Möglichkeiten gegeben worden s<strong>in</strong>d, sich über westdeutsche Agentenumtriebe <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> ausgiebig zu<br />

<strong>in</strong>formieren, setzten sich im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> nachweislich für e<strong>in</strong> Verbot aller Agentenzentralen e<strong>in</strong>. 315 Schließlich lag e<strong>in</strong>e<br />

Reduzierung ausgebauter Strukturen des totalen Überwachungsstaates <strong>in</strong> Ost wie West auch <strong>in</strong> ihrem Interesse, zumal<br />

Daten über e<strong>in</strong>fache Friedensaktivisten im Westen ebenfalls ges<strong>am</strong>melt worden s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Reihen sehr viele<br />

Sozialdemokraten mitarbeiteten.<br />

Innenm<strong>in</strong>ister Wilhelm Hoegner (SPD) 316 behauptete sogar westdeutsche Polizisten hätten bereits im Oktober 1953<br />

angefangen auch Akten e<strong>in</strong>facher westdeutscher Bürger anzulegen. 317 Deutsche Spione gaben demnach wie<strong>der</strong><br />

Informationen über alles und jeden weiter, aus dem fe<strong>in</strong>dlichen Lager ebenso, wie erstaunlicherweise auch aus den<br />

eigenen Reihen.<br />

Verfassungsschutzpräsident Otto John zum Beispiel, sollte aktenkundig mit wissen Globkes den Ges<strong>am</strong>tdeutschen<br />

M<strong>in</strong>ister Jakob Kaiser höchstselbst bespitzeln. 318 Was natürlich letztendlich nur e<strong>in</strong> weiterer Bauste<strong>in</strong> des totalen<br />

Überwachungsstaates darstellte.<br />

Dr. Menzel (SPD), <strong>der</strong> Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Verfassungsschutz, bestätigte <strong>am</strong> Mittwoch den<br />

13.4.1955 <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang sogar e<strong>in</strong> gegenseitiges Ausspitzeln staatlicher Behörden. In jedem M<strong>in</strong>isterium<br />

des Bonner Bundeshauses würden Sicherungsgruppen des Bundeskrim<strong>in</strong>al<strong>am</strong>tes sitzen, <strong>der</strong>en Aufgabe mitunter dar<strong>in</strong><br />

314 Neues Deutschland, Nr.124 vom 25.5.1956<br />

315 Neues Deutschland, Nr.131 vom 2.6.1956<br />

316 Wilhelm Hoegner beschäfftigte sich bereits <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Werk „Die verraten Republik. Geschichte <strong>der</strong> Gegenrevolution, Isar Verlag<br />

München 1958“ sehr ausgiebig mit <strong>der</strong> konterrevolutionären Rolle d<strong>am</strong>aliger staatlicher Behörden mit unter auch <strong>der</strong><br />

Geheimdienste.<br />

317 Neues Deutschland, Nr.232 vom 3.10.1953<br />

318 Neues Deutschland, Nr.273 vom 15.1.1956


estand, sich gegenseitig auszuspionieren. 319 E<strong>in</strong>e illegale Überwachung von Parl<strong>am</strong>entariern also. Worüber sich im<br />

Westen aber niemand son<strong>der</strong>lich aufregte. Im demokratischen Deutschland <strong>in</strong>dessen, ließen demokratische Publizisten<br />

kaum e<strong>in</strong>e Gelegenheit aus, um den totalen Überwachungsstaat bloß zu stellen.<br />

Zu dieser Art totaler Kontrolle gehörte außerdem auch e<strong>in</strong>e schwarze Liste über Mitglie<strong>der</strong> konterrevolutionärer<br />

Berl<strong>in</strong>er Agentenzentralen selbst, wie Generalmajor Fruck vom Staatssekretariat für Staatssicherheit (SfS) <strong>am</strong> 24.5.1955<br />

vor ostdeutschen Werktätigen deutlich darlegte: „Den Staatssicherheitsorganen unserer Republik liegen<br />

Beweise darüber vor, dass sich auf den Revieren <strong>der</strong> Stumm-Polizei Listen bef<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> denen<br />

so genannte gefährdete Personen registriert s<strong>in</strong>d. Diese gefährdeten Personen s<strong>in</strong>d Menschen,<br />

die fe<strong>in</strong>dliche Tätigkeit gegen die <strong>DDR</strong> o<strong>der</strong> die Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Volksdemokratie durchführen. Es<br />

s<strong>in</strong>d Menschen, die Agentenorganisationen o<strong>der</strong> solchen Verbrecherorganisationen wie <strong>der</strong><br />

KgU o<strong>der</strong> UfJ angehören.<br />

Im Streifenplan <strong>der</strong> Stupofunkwagen s<strong>in</strong>d die N<strong>am</strong>en und Straßen dieser Agenten<br />

verzeichnet, und die Funkwagen s<strong>in</strong>d verpflichtet, <strong>in</strong> regelmäßigen Zeitabständen die<br />

Wohnungen <strong>der</strong> Agenten zu kontrollieren... (d<strong>am</strong>it) dem e<strong>in</strong>zelnen Agenten <strong>der</strong> Schlaf<br />

gesichert ist“. 320 Je<strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Wachpolizist wie<strong>der</strong>um, ist von den Nachrichtendiensten im geheimen politisch<br />

überprüft worden. 321 Im übergeordneten NATO-Pakt selbst koord<strong>in</strong>ierte, bzw. überwachte wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong> sogenanntes<br />

„Sicherheits<strong>am</strong>t“ (Sicherheitsbüro) sämtliche „Sicherheitsmaßnahmen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> NATO“. 322<br />

All dies dürfte für den westdeutschen Leser recht neu se<strong>in</strong>. In <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> dagegen wusste man schon spätestens seit dem<br />

spektakulären Prozess von 1950 gegen die →Zeugen Jehovas welche Rolle schwarze Listen und an<strong>der</strong>e, eben nicht<br />

demokratische nachrichtendienstliche Arbeitsweisen im NATO-Ges<strong>am</strong>tplan spielten.<br />

Die Zeugen Jehovas trugen tatsächlich wie sämtliche Ostbüros zur totalen Überwachung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei. Das Wesen<br />

<strong>der</strong> totalen Spionage wurde erst Jahre später im offiziellen NATO-Nachrichtendienst nahe stehenden Wehrmagaz<strong>in</strong><br />

Wehrkunde (Siehe 1957) näher beschrieben. Hohe NATO-Offiziere sprachen dort erstmals offen über ihre schon längst<br />

im Aufbau begriffene →totale Spionage:<br />

-Commandant J. Hodgar aus Paris : „Wenn die Aufstandsbewegung, sei sie nun kommunistisch o<strong>der</strong><br />

nicht, die ges<strong>am</strong>te Bevölkerung unter Kontrolle hat, ist ihr <strong>der</strong> Sieg gewiss und die Macht<br />

entgleitet unweigerlich den rechtmäßigen Behörden“. (Heft 10/ 1957)<br />

-Commandant J. Hodgar aus Paris: „Wir sehen, dass die Macht des Aufstandes darauf beruht, dass er<br />

sich <strong>der</strong> Überwachung <strong>der</strong> Bevölkerung versichert, und dass diese Überwachung mittels e<strong>in</strong>es<br />

lückenlosen politischen Netzes ausgeübt wird. Ohne die Allgegenwart dieses Netzes wäre es<br />

unmöglich, die Volksmassen zu beherrschen und zu benutzen und militärische E<strong>in</strong>heiten<br />

auszuheben und e<strong>in</strong>zusetzen...“. (Heft 11/ 1957)<br />

Wem dies immer noch nicht langt, da ke<strong>in</strong> direkter Bezug zu den Ereignissen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 bestehen, kann je<strong>der</strong>zeit<br />

auch auf Prozessunterlagen vor dem 2. Strafsenat des Bezirksgerichtes Potsd<strong>am</strong> zurückgreifen, <strong>in</strong> denen ähnliche<br />

Arbeitsweisen von zwei im Dienste des <strong>am</strong>erikanischen Imperialismus tätigen Agenten beschrieben wurden. Willi Ste<strong>in</strong>,<br />

seit 1933 NSDAP-Mitglied, warf man d<strong>am</strong>als im Februar 1953 vor, zur Verwirklichung se<strong>in</strong>er Ziele unter an<strong>der</strong>em e<strong>in</strong>e<br />

beson<strong>der</strong>e Kartei geführt zu haben. Sie wies fast den ges<strong>am</strong>ten Wohnraum des Angeklagten (Kle<strong>in</strong>-Machow bei Berl<strong>in</strong>)<br />

auf. „Bezeichnend hierbei war <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e, „dass <strong>in</strong> diese Kartei auch Angaben über die<br />

persönlichen Verhältnisse <strong>der</strong> Bewohner enthalten“ waren. Mehr noch, gemachte Erfahrungen aus den<br />

d<strong>am</strong>aligen großen Prozessen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> lehrten, „dass sich auch die (an<strong>der</strong>en) westlichen Agenten<br />

solcher Karteien bedien(t)en“. Ste<strong>in</strong> jedenfalls „ergänzt(e) und vervollkommnet(e)“ sie ständig. 323<br />

Es ist also nötig im Zus<strong>am</strong>menhang mit dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 e<strong>in</strong>ige Fakten noch e<strong>in</strong> Mal hervorzuheben, <strong>der</strong>en Inhalte<br />

eben nichts, mit dem „Ideologie- und Me<strong>in</strong>ungsmonopol <strong>der</strong> SED“ 324 geme<strong>in</strong> hatten, wie Fricke behauptete,<br />

schließlich gehörte um nur e<strong>in</strong>en kompetenten Nicht-Kommunisten zu erwähnen, auch Otto John zu jenen Kreisen, „die<br />

(zum Beispiel) <strong>der</strong> Organisation Gehlen e<strong>in</strong>en wesentlichen Anteil an den Geschehnissen <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong> und <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>DDR</strong> zuschrieben“. 325<br />

319 Neues Deutschland, Nr.86 vom 14.4.1955<br />

320 Neues Deutschland, Nr.120 vom 25.5.1955<br />

321 Neues Deutschland, Nr.136 vom 14.6.1955<br />

322 Hg. NATO-Brüssel, NATO-Handbuch/ 2001, S.251<br />

323 Neues Deutschland, Nr.35 vom 11.2.1953<br />

324 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.7<br />

325 Hans Fre<strong>der</strong>ik, Das Ende e<strong>in</strong>er Legende, Verlag dpa 1971, S. 142


Quelle: Javier Rojas, Geheimdienste & Rechtsextremismus. -Theorie, Geschichte, Enzyklopädie-,<br />

unveröffentichtes Manusukript.<br />

Voraussichtlich künftiger Ersche<strong>in</strong>ungsort und Verlag: "Eulenspielgelverlagsgruppe Berl<strong>in</strong>"

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