Provokation in der DDR am 17. Juni 1953. - GRENZTRUPPEN DER ...
Provokation in der DDR am 17. Juni 1953. - GRENZTRUPPEN DER ...
Provokation in der DDR am 17. Juni 1953. - GRENZTRUPPEN DER ...
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Mit Erlaubnis des Autors Javier Rojas, <strong>der</strong> die Ereignisse um den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 recherchiert und<br />
dokumentiert hat, wird zum <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 2009 se<strong>in</strong> Manuskript wie folgt veröffentlicht:<br />
<strong>Provokation</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> –Chronologie <strong>der</strong> E<strong>in</strong>mischung.<br />
Die Massendemonstration und <strong>Provokation</strong> f<strong>in</strong>g mit Ostberl<strong>in</strong>er Protesten gegen die Normerhöhung an.<br />
Am Freitag, den 12. <strong>Juni</strong> 1953 wurden auf Entscheidung des Politbüros per Regierungsbeschluss jedoch alle tariflichen<br />
Normerhöhungen sofort rückgängig gemacht. Nach dem Wochenende, <strong>am</strong> Montag, den 15. <strong>Juni</strong> 1953, ist die Resolution<br />
erstmals veröffentlicht worden. Otto Grotewohl hat dieselbe <strong>am</strong> 16. <strong>Juni</strong> auf e<strong>in</strong>er Großkundgebung <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> sogar<br />
ausdrücklich wie<strong>der</strong>holt. 1 Dennoch for<strong>der</strong>ten Berl<strong>in</strong>er Bauarbeiter <strong>am</strong> 15. <strong>Juni</strong>, „dass von dieser<br />
Normerhöhung auf unserer Baustelle Abstand genommen“ werden sollte, obwohl man höchstoffiziell<br />
gerade dabei war genau dies zu tun.<br />
Am 16. <strong>Juni</strong> g<strong>in</strong>gen Berl<strong>in</strong>er Bauarbeiter dazu über, mit Straßendemonstrationen ihren längst zugesagten For<strong>der</strong>ungen<br />
Nachdruck zu verleihen. Sie taten das deshalb, weil „als die(selben) Arbeiter <strong>am</strong> Morgen des 16. <strong>Juni</strong><br />
ihre Arbeitsstätten erreichten... sie die noch druckfeuchte „Tribüne“ (FDGB-Organ) zur<br />
Hand nehmen (konnten), aus <strong>der</strong> sie erfuhren, dass es gelte, die Beschlüsse des M<strong>in</strong>isterrates<br />
über die Normerhöhung durchzuführen“. 2 Das aber war falsch, denn die Normerhöhungen wurden<br />
rückgängig gemacht. Autor des Artikels war e<strong>in</strong> Gewerkschaftsfunktionär. 3 Im Vergleich zum ursprünglichen<br />
Tarifstreik, wurden an diesem Nachmittag (12.00 Uhr) auch gleich „freie und geheime Wahlen“ gefor<strong>der</strong>t, also<br />
politische an Stelle von tariflichen Vor<strong>der</strong>ungen gestellt.<br />
E<strong>in</strong> MfS-Mitarbeiter dazu <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht: „Beim Streik <strong>der</strong> Bauarbeiter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stal<strong>in</strong>allee stellte ich<br />
fest, dass <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Arbeiter gar nicht wusste, wofür er streikte. Sie fielen von e<strong>in</strong>em<br />
Extrem <strong>in</strong>s an<strong>der</strong>e, z. B. wurde die Normerhöhung gar nicht mehr diskutiert, son<strong>der</strong>n sie<br />
sprachen teilweise von HO-Preissenkungen, Freien Wahlen, Generalstreik und von den<br />
Intelligenzlern, die viel Geld bekämen und nicht genug arbeiten“. 4<br />
E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er MfS-Mitarbeiter: „Der Zug wurde gelenkt von Menschen <strong>in</strong> Zivilkleidung, während die<br />
Bauarbeiter <strong>in</strong> Arbeitskleidung waren“, bzw. e<strong>in</strong> Transparent trugen mit den Worten: „Wir Bauarbeiter<br />
for<strong>der</strong>n Normensenkung“. 5<br />
Währenddessen waren <strong>in</strong> den Abendstunden vom 16. auf den 17 <strong>Juni</strong> 1953 des selben Tages, wie sich e<strong>in</strong> Augenzeuge<br />
(Walter M.) er<strong>in</strong>nert, <strong>in</strong> Nähe des Brandenburger Tors, nahezu unmerklich bereits jugendliche „westliche<br />
Agenten“ unterwegs, „die hatten e<strong>in</strong> Handgeld bekommen“ um vor dem Museum für Deutsche<br />
Geschichte zu randalieren“. 6<br />
Den Abend darauf (<strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953) konnten die Behörden <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> dazu bereits offiziell melden: „Es ist<br />
festgestellt worden, dass die Streiks, die gestern (<strong>am</strong> 16. <strong>Juni</strong> 1953) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Betrieben<br />
stattgefunden haben, und auch die provokatorischen Ausschreitungen e<strong>in</strong>zelner Gruppen<br />
faschistischer Agenten <strong>in</strong> den Straßen des demokratischen Sektors Berl<strong>in</strong>s nach e<strong>in</strong>em<br />
1 Internet, he<strong>in</strong>rich-hertz-gymnasium 2004<br />
2 Hans-He<strong>in</strong>z Gatow, Vertuschte SED-Verbrechen. E<strong>in</strong>e Spur von Blut und Tränen, Trümer-Verlag Berg 1990, S. 106,<br />
Autor des Artikels war e<strong>in</strong> Gewerkscahftsfunktionär.<br />
3 Internet, http://www.berl<strong>in</strong>ische monatsschrift.de/ 2005<br />
4 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003<br />
5 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003<br />
6 Internet http://he<strong>in</strong>richt-hertz-gymansium. Cids/ 2004
e<strong>in</strong>heitlichen, <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> ausgearbeiteten und im gegebenen Moment durchzuführenden<br />
Plan sich abspielten“. 7<br />
In den Morgenstunden des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 setzte sich dann erstmals auch Gehlen-Mitarbeiter Ernst Scharnowski im<br />
Diversionssen<strong>der</strong> →RIAS für e<strong>in</strong>e Demonstration <strong>am</strong> Strausberger Platz e<strong>in</strong>.<br />
Se<strong>in</strong> Aufruf „Straußberger Plätze überall“ aufzusuchen, s<strong>in</strong>d <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 um 5.36 Uhr, 6.40 Uhr sowie<br />
7.20 Uhr wie<strong>der</strong>holt gesendet worden. 8 Wie Eleanor Dulles nachträglich selbst zugab, hatte Scharnowski dafür von<br />
e<strong>in</strong>em Gremium den Segen bekommen, dessen Mitglie<strong>der</strong> <strong>am</strong> 16. <strong>Juni</strong> darüber berieten, ob man ihm erlauben sollte,<br />
„über den Rundfunk, die Arbeiter im Osten aufzurufen, sich gegen das kommunistische<br />
Regime zu erheben“. An den geheimen Besprechungen nahmen Eleanor Dulles, Missions-Chef Cecil Lyon, US-<br />
General Timberman und politische sowie militärische „Beratern <strong>der</strong> Franzosen und Briten“ teil. Letztendlich<br />
erhielt Scharnowski für den nächsten Tag, „die Erlaubnis, im RIAS e<strong>in</strong>e kurze Ansprache zu halten,<br />
war aber <strong>in</strong> dem, was er sagen konnte, sehr stark e<strong>in</strong>geschränkt“, so Eleanor Dulles wörtlich. 9<br />
E<strong>in</strong>e Stunde nach dem letzten Radioaufruf Scharnowskis um 7.20 Uhr, befanden sich bereits 25.000 Berl<strong>in</strong>er auf den<br />
Straßen, allerd<strong>in</strong>gs „waren es immer wie<strong>der</strong> dieselben Gruppen..., die e<strong>in</strong>en zustande<br />
gekommenen Demonstrationszug führten, bis er von selbst lief, nachher zum Strausberger<br />
Platz zurückkehrten und neue Demonstrationstrupps auf die Be<strong>in</strong>e brachten... wichtig ist<br />
auch... dass Hun<strong>der</strong>te und aber Hun<strong>der</strong>te von westberl<strong>in</strong>er Achtgroschenjungen mit ihren<br />
Fahrrä<strong>der</strong>n durch die Gegend flitzten, <strong>in</strong> Betrieben und auf Baustellen erschienen und zur<br />
Arbeitsnie<strong>der</strong>legung und Demonstration auffor<strong>der</strong>ten. Wichtig ist es (ferner) zu wissen, dass<br />
durch f<strong>in</strong>gierte Telefonanrufe oft Arbeitsnie<strong>der</strong>legungen und Demonstrationen „angeordnet“<br />
wurden“. 10<br />
Im Volkseigenem Kabelwerk Köpenick (KWK) versuchten Konterrevolutionäre sogar e<strong>in</strong>e Arbeitsnie<strong>der</strong>legung mit<br />
Gewalt zu erzw<strong>in</strong>gen. Herr Klütz e<strong>in</strong> ehemaliger Wehrmachtsleutnant, hat dort wie eigene Arbeiteruntersuchungen vor<br />
Ort ergaben, obwohl er „ständig gegen die Regierung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> hetzte... se<strong>in</strong>e Stellung <strong>in</strong><br />
Westberl<strong>in</strong>, wo er 650 D-Mark verdiente, aufgegeben und mit e<strong>in</strong>em Monatsgehalt von 383<br />
DM im volkseigenen Kabelwerk angefangen. In <strong>der</strong> Belegschaftsvers<strong>am</strong>mlung... konnte Klütz<br />
für die Beweggründe zu diesem Stellungswechsel ke<strong>in</strong>e glaubhafte Erklärung geben.<br />
Offensichtlich wurde er von Agentenzentralen dazu veranlasst. Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> hatte Klütz<br />
(jedenfalls) die Arbeiter zum Teil gewalts<strong>am</strong> auf die Straße getrieben. Gegen den Maler Kurt<br />
Lange z. B. <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Arbeit fortsetzen wollte, wurde Klütz tätlich“. 11<br />
Von Interesse s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang auch offen e<strong>in</strong>gestandene Fehle<strong>in</strong>schätzungen aus dem SED-Machtbereich<br />
selbst. Ihrer Beurteilung nach g<strong>in</strong>gen nach 1945 „viele nichtproletarische Elemente aus dem Bürgertum,<br />
darunter nicht wenige faschistische Elemente, ehemalige Staatsbe<strong>am</strong>te und Unternehmer . . .<br />
als „Arbeiter“ <strong>in</strong> die Betriebe“. Außerdem wurde im ZK-Bericht weiter berichtet, trug man „nicht <strong>der</strong><br />
Tatsache Rechnung, dass breite Teile auch <strong>der</strong> Arbeiterschaft nach zwölfjähriger<br />
faschistischer Diktatur stark von <strong>der</strong> Naziideologie vergiftet waren“. 12 Das ehemalige NSDAP<br />
Mitglied (politischer Leiter) Friedrich Hapel zum Beispiel war <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> mit se<strong>in</strong>esgleichen tätig. 13<br />
Nicht erwähnt worden s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs jüngste Untersuchungen, denen nach bis kurz vor dem Zus<strong>am</strong>menbruch 1989,<br />
„Zehntausende ehemalige NSDAP-Mitglie<strong>der</strong> . . . den Weg <strong>in</strong> die SED gefunden“ hätten. 14<br />
7 Kees<strong>in</strong>g´s Archiv <strong>der</strong> Gegenwart vom 19.<strong>Juni</strong> 1953, S.4040, Siegler & Co.KG, Verlag für Zeitarchive<br />
8 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003<br />
9 Wolfgang Strauß, Aufstand für Deutschland. Der <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, Druffel Verlag 1982<br />
10 Neues Deutschland, Nr.172 vom 25.7.1953<br />
11 Neues Deutschland, Nr.217 vom 16.9.1953<br />
12 Hg. DKP, Imperialistische Konterrevolution, 1981<br />
13 Neues Deutschland, Nr.135 vom 12.6.1955<br />
14 die tageszeitung, Nr.4101 vom 2.9.1993
Was natürlich so e<strong>in</strong>iges erklärt, obwohl es zweifelsohne auch unzählige friedliche Massendemonstrationen gab,<br />
allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d diese, eben <strong>in</strong> nicht wenigen Fällen durch Geheimdienstmitarbeiter erst <strong>in</strong>itiiert worden, wie e<strong>in</strong> ZK-<br />
Beschluss vom 21.<strong>Juni</strong> 1953 bestätigte: „Der Gegner benutzte zur Auslösung se<strong>in</strong>er <strong>Provokation</strong>en die<br />
Missstimmung e<strong>in</strong>iger Teile <strong>der</strong> Bevölkerung, die durch Folgen unserer Politik im letzten Jahr<br />
entstanden war. Er organisierte unter dem Vorwand e<strong>in</strong>er D<strong>am</strong>pferpartie <strong>der</strong><br />
Betriebsangehörigen des VEB Industriebau Berl<strong>in</strong>, unter H<strong>in</strong>zuziehung se<strong>in</strong>er Agenten aus<br />
e<strong>in</strong>zelnen Großbetrieben, <strong>am</strong> Sonnabend, dem 13. <strong>Juni</strong> 1953, den Streik <strong>der</strong> Bauarbeiter und<br />
bestimmte Dienstag, den 16.<strong>Juni</strong> 1953, als Term<strong>in</strong> für die <strong>Provokation</strong>.<br />
Er warf gleichzeitig se<strong>in</strong>e mit Schwefel-, Phosphor- und Benz<strong>in</strong>flaschen sowie mit Waffen<br />
ausgerüsteten Banditenkolonnen über die Sektorengrenzen mit <strong>der</strong> Aufgabe, die<br />
Arbeitsnie<strong>der</strong>legung ehrlicher Bauarbeiter durch Hetzlosungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Demonstration gegen<br />
die Regierung umzufälschen und dieser Demonstration durch Brandstiftungen, Plün<strong>der</strong>ungen<br />
und Schießereien den Charakter e<strong>in</strong>es Aufruhrs zu geben.<br />
Zugleich gab er se<strong>in</strong>en Agentengruppen an e<strong>in</strong>igen an<strong>der</strong>en Stellen <strong>der</strong> Republik die<br />
Anweisung, <strong>am</strong> nächsten Tage –<strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Orten <strong>am</strong> übernächsten Tage- ähnliche Aktionen<br />
zu organisieren. Die von Westberl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geschleuste und von dort dirigierte faschistische Brut<br />
organisierte Überfälle auf Lebensmittellager, Lehrl<strong>in</strong>gsheime, Klubhäuser, Verkaufsstellen<br />
sowie Mordüberfälle auf Funktionäre <strong>der</strong> Partei, <strong>der</strong> Massenorganisationen und des<br />
Staatsapparates, die mutig unsere demokratische Ordnung verteidigten“. 15<br />
Auch Volkspolizist Willi Schwager (Oberstleutnant a. D.) bestätigte den enormen E<strong>in</strong>fluss westdeutscher Agenten<br />
<strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong>: „Unter den Demonstranten stellten wir angebliche Arbeiter o<strong>der</strong><br />
Handwerker fest. Schmiede mit nagelneuem Le<strong>der</strong>schurz und neuen Schmiedhämmer auf<br />
den Schultern tragend. Bäcker <strong>in</strong> neuer Berufsbekleidung, Maurer, die ihre Kelle und<br />
Wasserwaage bei sich hatten, sogar e<strong>in</strong> Schornste<strong>in</strong>feger war darunter mit e<strong>in</strong>er Arbeitskluft,<br />
die kaum gebraucht war. Es waren alles gestellte Provokateure, welche die empörte<br />
Arbeiterklasse vortäuschen sollten und auch entsprechende Hetzlosungen brüllten. Man<br />
staunt, für wie dumm die Menschen gehalten wurden, um so etwas nicht sofort zu<br />
begreifen“. 16<br />
All dies waren durchaus ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelfälle. Beweise dafür gibt es genügend<br />
1.) Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> gegen 9.30 Uhr vormittags, stiegen etwa 150 westberl<strong>in</strong>er Jungendliche „auf dem<br />
Bahnhoff Zoo <strong>in</strong> die S-Bahn... und (fuhren) zum Alexan<strong>der</strong>platz... um an den<br />
<strong>Provokation</strong>en teilzunehmen. Die Jugendlichen hatten sich Arbeitskleidung<br />
angezogen, um nicht aufzufallen“. 17<br />
2.) Werner Kalkowski aus dem <strong>am</strong>erikanischen Sektor Westberl<strong>in</strong>s, nahm <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> zus<strong>am</strong>men mit<br />
weiteren 90 Mann aus dem selben Bezirk an den Ausschreitungen <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong> teil. 18 Vor Gericht<br />
räumte er e<strong>in</strong>: „Wir erhielten den Auftrag, die Regierungsgebäude zu überfallen,<br />
Brände zu legen, Läden zu plün<strong>der</strong>n, Volkspolizisten umzulegen und überhaupt<br />
mit <strong>der</strong> Waffe gegen die Organe vorzugehen“.<br />
Auf Frage des Richters wer ihn den Auftrag erteilte, antwortete er: „Der Amerikaner Hiwer,<br />
<strong>der</strong> <strong>in</strong> Uniform war. Er hatte Achselstücke mit zwei Sternen“. Mehr noch: <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Gruppe „hätten 20 Mann Flaschen mit Benz<strong>in</strong>“ gehabt, „die sie zur Brandlegung an<br />
Gebäuden auf <strong>der</strong> Potsd<strong>am</strong>er Brücke von <strong>am</strong>erikanischen Lastwagen erhalten<br />
15 Hg. Autorenkollektiv: Greese Karl u. a., Die Militär- und Sicherheitspolitik <strong>der</strong> SED 1945-1988, S.132<br />
16 Hg. M<strong>in</strong>isterium des Innern, Geschichte erlebt und mitgestaltet, M<strong>in</strong>isterium des Innern, Publikationsabteilung 1984<br />
17 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />
18 Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953
hatten“. 19<br />
3.) Werner Rieger aus e<strong>in</strong>em westberl<strong>in</strong>er Flüchtl<strong>in</strong>gslager (Awo) <strong>in</strong> Alt-Re<strong>in</strong>ickendorf (Flottenstraße)<br />
nahm ebenfalls zus<strong>am</strong>men mit Günter Engel an den Ausschreiungen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 teil. Rieger<br />
durchlief aktenkundig „die verschiedensten Spionagezentralen des englischen und<br />
<strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes“. Nach Angaben bei<strong>der</strong> vor dem Stadtgericht Berl<strong>in</strong>,<br />
„wurden sämtliche Insassen des Lagers <strong>in</strong> den frühen Morgenstunden des <strong>17.</strong><br />
<strong>Juni</strong> von den Lagerleitern Triebusch und Schnei<strong>der</strong> angewiesen, <strong>in</strong> Gruppen<br />
von 40 bis 60 Mann <strong>in</strong> den demokratischen Sektor e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen und bestimmte<br />
Gewalttaten zu begehen.<br />
Mit Kabelenden, Gummiknüppeln, Fahrradschläuchen und an<strong>der</strong>en Hieb- und<br />
Schlagwaffen begaben sich mehrere Gruppen von etwa je 60 Rowdys über die<br />
unweit des Lagers gelegene Sektorengrenze zur HO-Baracke <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Hauptstraße. Während sich e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> aufgehetzten Provokateure an <strong>der</strong><br />
Kontrollstelle des Amtes für Kontrolle des Warenverkehrs zu schaffen machte,<br />
versuchte e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e starke Gruppe die HO-Verkaufsstelle zu demolieren und<br />
zu plün<strong>der</strong>n. In dieser Schlägerkolonne befand sich auch <strong>der</strong> Angeklagte<br />
Werner Rieger....Auch Günter Engel war an diesem Überfall maßgeblich<br />
beteiligt. Mit Ste<strong>in</strong>en schlug er die Fensterscheiben e<strong>in</strong> und schlug e<strong>in</strong>e 57<br />
jährige Frau brutal nie<strong>der</strong>“. 20<br />
4.) Augenzeugen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 konnten berichten, wie sich „junge Männer, die im<br />
Arbeits<strong>am</strong>t Schlossstrasse (britischer Sektor) ihre Arbeitslosenunterstützung<br />
abholen wollten, vorher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bestimmten Zimmer melden (mussten). Nach<br />
kurzer Zeit verließen sie laut johlend <strong>in</strong> mehreren Gruppen dieses Zimmer und<br />
verschwanden nach eigenen Angaben <strong>in</strong> Richtung Potsd<strong>am</strong>er Platz“, 21 wo im<br />
Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> Randalierer „die Sektorengrenzen“ nie<strong>der</strong>rissen. 22<br />
5.) In e<strong>in</strong>em Flüchtl<strong>in</strong>gslager <strong>in</strong> Tempelhof (USA-Sektor) fuhr <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> „e<strong>in</strong> Lastkraftwagen<br />
vor, <strong>der</strong> die Anschrift „Wollankstraße“ trug, also zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Übergänge <strong>in</strong><br />
den demokratischen Sektor fahren sollte. Auf diesem Lastwagen befanden sich<br />
etwa 20 junge Burschen“. 23<br />
6.) Auch im Flüchtl<strong>in</strong>gslager <strong>am</strong> Askanienr<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Spandau (britischer Sektor) wurden Republikflüchtige<br />
für <strong>Provokation</strong>en im Demokratischen Sektor angeworben. Werner Reuß, e<strong>in</strong> Arbeitsloser aus<br />
Spandau brüstete sich dementsprechend im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> d<strong>am</strong>it, aktiv an Zerstörungen von Kiosken im<br />
demokratischen Sektor beteiligt gewesen zu se<strong>in</strong>. 24<br />
7.) Am Morgen des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> „erschien an <strong>der</strong> Westseite des Potsd<strong>am</strong>er Platzes drei<br />
Kraftfahrzeuge vom Verlag des Kriegshetzerblattes „Telegraf“. Junge Burschen<br />
im Alter von 17 bis 18 Jahren sprangen herunter und drangen <strong>in</strong> den<br />
demokratischen Sektor e<strong>in</strong>, wo sie sich an <strong>Provokation</strong>en und Brandstiftungen<br />
beteiligten“. 25<br />
8.) Wie westberl<strong>in</strong>er Pressemedien versicherten, s<strong>in</strong>d etwa „80 erwerbslose Männer im Alter<br />
von 18 bis 40 Jahren... <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>, vormittags 10 Uhr, im Volkshaus<br />
Tiergarten, Perlebergstraße (brit. Sektor) zus<strong>am</strong>mengezogen“ worden. Die<br />
Arbeitslosen wurden von uniformierten Zollbe<strong>am</strong>ten <strong>in</strong> Gruppen e<strong>in</strong>geteilt und<br />
19 Neues Deutschland, Nr.159 vom 10.7.1953<br />
20 Neues Deutschland, Nr.156 vom 7.7.1953<br />
21 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />
22 Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong> –Aufstand. Dokumente und Berichte über den<br />
Volksaufstand <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong> und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sowjetzone<br />
23 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />
24 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />
25 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953
<strong>in</strong> den demokratischen Sektor e<strong>in</strong>geschleust, um dort an den <strong>Provokation</strong>en<br />
teilzunehmen.<br />
Ähnliches wird aus dem Bezirk Tempelhof (USA-Sektor) gemeldet, wo ebenfalls<br />
vom Zolldienst Erwerbslose zus<strong>am</strong>mengefasst und <strong>in</strong> den demokratischen<br />
Sektor gebracht worden s<strong>in</strong>d“. 26<br />
9.) Günter-Alois Niemetz aus dem <strong>am</strong>erikanischen Sektor von Berl<strong>in</strong>, musste sich ebenfalls nach dem er<br />
mehrere Gewaltverbrechen im demokratischen Sektor von Berl<strong>in</strong> beg<strong>in</strong>g vor Gericht verantworten.<br />
Se<strong>in</strong>e Aussagen wörtlich laut Protokoll: „Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> um 8. Uhr früh, habe ich me<strong>in</strong>e<br />
Wohnung verlassen... <strong>am</strong> Magdeburger Platz angekommen, sah ich dort e<strong>in</strong>en<br />
<strong>am</strong>erikanischen Militärwagen. Neben ihm standen e<strong>in</strong> <strong>am</strong>erikanischer Offizier<br />
<strong>in</strong> Uniform mit e<strong>in</strong>em Sergeanten <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanischen Armee und e<strong>in</strong><br />
Amerikaner <strong>in</strong> Zivil.<br />
Um die Amerikaner und ihren Wagen war e<strong>in</strong>e Gruppe von etwa 30 bis 50<br />
Personen vers<strong>am</strong>melt. Der <strong>am</strong>erikanische Offizier sagte zu den Vers<strong>am</strong>melten,<br />
dass die Arbeiter im demokratischen Sektor e<strong>in</strong>en Streik durchführen, <strong>der</strong> von<br />
den Bewohnern <strong>der</strong> Westsektoren unterstützt werden müsse. Der <strong>am</strong>erikanische<br />
Offizier sprach etwa fünf M<strong>in</strong>uten lang. Nach ihm ergriff <strong>der</strong> Herr <strong>in</strong> Zivil das<br />
Wort, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>em Akzent nach zu urteilen e<strong>in</strong> Amerikaner war. Er rief alle<br />
Anwesenden auf, sich <strong>in</strong> den demokratischen Sektor Berl<strong>in</strong>s zu begeben, sich<br />
dort unter die Bevölkerung zu mischen und zur Herbeiführung von Unruhen<br />
Losungen zu rufen, die wie er sich ausdrückte, die Durchführung freier Wahlen<br />
und den Sturz <strong>der</strong> bestehenden Regierung for<strong>der</strong>ten.<br />
Nach dem Amerikaner <strong>in</strong> Zivil sprach <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanische Sergeant. Er rief<br />
ebenfalls die Vers<strong>am</strong>melten auf, <strong>in</strong> den demokratischen Sektor von Berl<strong>in</strong> zu<br />
gehen, um dort Pogrome und Brandstiftungen zu verüben. Der Sergeant<br />
for<strong>der</strong>te uns auf, an <strong>der</strong> Organisierung dieser verbrecherischen Handlungen<br />
aktiv mitzuwirken und versprach uns dafür e<strong>in</strong>e Geldprämie, e<strong>in</strong><br />
Lebensmittelpaket und e<strong>in</strong>en längeren Erholungsaufenthalt. Der Amerikaner<br />
sagte, dass wir, wenn nötig, vor <strong>der</strong> Anwendung von Waffen gegen sowjetische<br />
Militärangehörige nicht zurückschrecken sollten“. 27<br />
10.) Danach begab sich Niemetz <strong>in</strong> Nähe des Breitenbachplatzes. Se<strong>in</strong>e Aussagen dazu vor Gericht wörtlich:<br />
„Dort sah ich e<strong>in</strong>e ähnliches Bild. Bei e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en <strong>am</strong>erikanischen Lastwagen<br />
stand e<strong>in</strong> <strong>am</strong>erikanischer Offizier mit zwei Soldaten. Der <strong>am</strong>erikanische<br />
Offizier sprach zu e<strong>in</strong>er Gruppe von etwa 50 bis 60 Personen, die vorwiegend<br />
aus Jugendlichen bestand. Er rief die Vers<strong>am</strong>melten dazu auf, <strong>in</strong> den<br />
demokratischen Sektor von Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen und sich dort an <strong>der</strong><br />
Organisierung von Unruhen zu beteiligen... (Danach for<strong>der</strong>te er) alle<br />
diejenigen, die zu diesem verbrecherischen Handlungen bereit waren, auf, sich<br />
von ihn registrieren zu lassen... ich... erklärte mich bereit... Der <strong>am</strong>erikanische<br />
Offizier schrieb me<strong>in</strong>en N<strong>am</strong>en <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Notizbuch, gab mir zwei Benz<strong>in</strong>flaschen<br />
und schickte mich mit e<strong>in</strong>er Gruppe von neuen Mann <strong>in</strong> den demokratischen<br />
Sektor von Berl<strong>in</strong>.<br />
Die übrigen Anwesenden wurden ebenfalls <strong>in</strong> Gruppen aufgeteilt und <strong>in</strong> den<br />
demokratischen Sektor von Berl<strong>in</strong> geschickt... Sofort, nachdem wir im<br />
demokratischen Sektor von Berl<strong>in</strong> angekommen waren, setzte e<strong>in</strong>e Gruppe von<br />
Provokateuren, unter denen ich mich befand, etwa 10 Uhr morgens das<br />
Aufklärungslokal <strong>der</strong> Nationalen Front auf dem Potsd<strong>am</strong>er Platz <strong>in</strong> Brand. Mir<br />
26 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />
27 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953
fiel hierbei die Aufgabe zu, mit den vom <strong>am</strong>erikanischen Offizier erhaltenen<br />
Benz<strong>in</strong>flaschen e<strong>in</strong>en Teil des Gebäudes zu begießen. An<strong>der</strong>e Teilnehmer <strong>der</strong><br />
Gruppe taten das gleiche. Dann hat e<strong>in</strong>er von uns das Aufklärungslokal<br />
angezündet, wonach es nie<strong>der</strong>brannte“. Niematz stritt es zwar ab, aber e<strong>in</strong> Augenzeuge sah,<br />
wie er außerdem e<strong>in</strong>e „Benz<strong>in</strong>flasche <strong>in</strong> das Gebäude des HO-Kaufhauses <strong>am</strong><br />
Potsd<strong>am</strong>er Platz“ warf. 28<br />
11.) E<strong>in</strong> Augenzeuge (Herr E. B. aus Charlottenburg) wörtlich über Vorgänge <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> vor<br />
dem Flüchtl<strong>in</strong>gslager <strong>am</strong> Karlsbad: „Vor <strong>der</strong> Tür stand e<strong>in</strong>e Horde von 15. bis 16.<br />
Halbwüchsigen, die allem Ansche<strong>in</strong> nach auf etwas warteten... Nach kurzer Zeit<br />
k<strong>am</strong> e<strong>in</strong>e große Limous<strong>in</strong>e mit e<strong>in</strong>er KB-Nummer... <strong>am</strong> Steuer e<strong>in</strong> uniformierter<br />
Ami... Der Zivilist öffnete die Tür, w<strong>in</strong>kte die Jugendlichen heran und verteilte<br />
aus dem Koffer Ami-Zigaretten... (dem Anführer übergab er) e<strong>in</strong> Bündel<br />
Geldsche<strong>in</strong>e... Der Vorgang hat mir ganz klar gezeigt, dass die Amerikaner die<br />
H<strong>in</strong>termänner des faschistischen Putschversuches s<strong>in</strong>d. Ob das Geld und die<br />
Zigaretten Vorschuss o<strong>der</strong> Lohn für begangene Mord- o<strong>der</strong> Schandtaten waren,<br />
das ist egal. Fest steht, dass dieses Ges<strong>in</strong>del zu Tausenden <strong>in</strong> den<br />
demokratischen Sektor zog. Raubte und plün<strong>der</strong>te und sogar vor Morden nicht<br />
zurückschreckte. Je<strong>der</strong> Mensch muss das erfahren und wissen. Darum habe ich<br />
diese Zeilen geschrieben“. 29<br />
12.) Helene Orthmann (FDP-Bezirksvorsitzende) bereitete im Auftrag ihrer Partei für den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />
Flüchtl<strong>in</strong>ge aus dem Lager <strong>in</strong> Neuköln vor. 30<br />
13.) Mitglie<strong>der</strong> des Terrortrupps KgU trafen sich wie aus den Akten des 1.Strafsenats des<br />
Stadtgerichtes Berl<strong>in</strong> hervorg<strong>in</strong>g, <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> nahe des Grenzüberganges Friedrichsstrasse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Lokal (Kochstraße) um danach im demokratischen Sektor geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong> zu randalieren. Unter an<strong>der</strong>em<br />
überfielen sie den VEB Bauprojektierung Berl<strong>in</strong>. „Das Inventar des Betriebes wurde kurz<br />
und kle<strong>in</strong> geschlagen“. 31<br />
14.) Georg Riediger, seit 1932 NSDAP-Mitglied nahm wie sich vor dem Groß-Berl<strong>in</strong>er<br />
Stadtgericht herausstellte an den Ausschreitungen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> teil. Er g<strong>in</strong>g im Bereich Stal<strong>in</strong>allee<br />
(heute Karl-Marx-Allee) gegen Jugendliche vor. „Als von <strong>am</strong>erikanischen Flugzeugen<br />
Flugblätter abgeworfen wurden, bemühte sich e<strong>in</strong>e Reihe von FDJlern, diese<br />
e<strong>in</strong>zus<strong>am</strong>meln. Riediger g<strong>in</strong>g mit an<strong>der</strong>en Rowdys brutal gegen die FDJler vor.<br />
Mit Fußtritten und faschistischen Schlägermethoden wollte er verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, dass<br />
die fortschrittlichen Jugendlichen die Hetzblätter e<strong>in</strong>s<strong>am</strong>meln konnten“. 32<br />
15.) E<strong>in</strong> Volkspolizist <strong>am</strong> Brandenburger Tor berichtet <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 um 9.15 Uhr se<strong>in</strong>er<br />
Zentrale, wie e<strong>in</strong> Demonstrationszug von ca. 1000 Personen von Westberl<strong>in</strong> aus, durchs<br />
Brandenburger Tor <strong>in</strong> Richtung Potsd<strong>am</strong>er Platz (über Friedrich-Ebert-Str.) marschierte. Dort<br />
wie<strong>der</strong>um meldete e<strong>in</strong> weiterer Volkspolizist um 9.53 Uhr wie „sämtliche Holzbuden <strong>am</strong><br />
Potsd<strong>am</strong>er Platz auf ostsektoralem Gebiet von Demonstranten <strong>in</strong> Brand<br />
gesetzt“ worden s<strong>in</strong>d.<br />
Noch um 20.30 Uhr gab e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Volkspolizist se<strong>in</strong>er vorgesetzten Stelle darüber Auskunft, wie<br />
sich „auf ostsektoraler Seite, h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Voposperre <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Scharnhorststraße...(noch) ca. 1000 Westberl<strong>in</strong>er (befanden), die die Sperre<br />
nicht mehr passieren“ konnten. 33<br />
28 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />
29 Neues Deutschalnd, Nr.149 vom 28.6.1953<br />
30 Neues Deutschland, Nr.148 vom 27.6.1953<br />
31 Neues Deutschland, Nr.253 vom 28.6.1953<br />
32 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />
33 Internet: http://www. <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 53.de, Meldungen anlässlich <strong>der</strong> Demonstrationen im Ostsektor <strong>am</strong> <strong>17.</strong>6.1953
Westberl<strong>in</strong>er Konterrevolutionäre <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong>. -Operation <strong>DDR</strong><br />
As kanienr<strong>in</strong>g<br />
Berl<strong>in</strong>-West<br />
60<br />
X<br />
Breitenbachplatz<br />
50<br />
X<br />
150X<br />
Magdeburger Platz<br />
16<br />
X<br />
120X<br />
Bahnhof Zoo<br />
90<br />
X<br />
11<br />
Flottens traße<br />
Schloss strasse<br />
1000 X<br />
<strong>Provokation</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> –Geheimdienste.<br />
Karlsbad<br />
15<br />
Brandenburger Tor<br />
80<br />
20<br />
X<br />
X<br />
13<br />
Berl<strong>in</strong>-Ost<br />
Zahlreiche westeuropäische Geheimdienste nahmen an <strong>der</strong> <strong>Provokation</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 teil. N<strong>am</strong>entlich u. a.:<br />
-Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen<br />
-Counter Intelligence Corps (CIC)<br />
-Dienststelle Blank<br />
-Secret Intelligence Service (SIS)<br />
-Organisation Gehlen (ORG)<br />
Potsd<strong>am</strong>er Platz<br />
Kochstraße<br />
Tempelhof<br />
12<br />
Neuköln<br />
Perlebergstraße<br />
14<br />
14<br />
Staatsgrenze <strong>DDR</strong><br />
Stadtgrenze Berl<strong>in</strong>-Ost<br />
Westdeutsche Konterrevolutionäre<br />
<strong>in</strong> Ost-<br />
Berl<strong>in</strong><br />
Flüchtl<strong>in</strong>gslager<br />
Amerikanisches<br />
Flugzeug<br />
Über 586 Konterrevolutionäre<br />
aus Westberl<strong>in</strong><br />
1000 Westberl<strong>in</strong>er<br />
Demonstranten<br />
<strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong>
-Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen<br />
Das Kaiser M<strong>in</strong>isterium arbeitete seit Anfang an mit den westeuropäischen Geheimdiensten und deutschen<br />
Geheimdiensthilfsorganisationen zus<strong>am</strong>men. Das war notwendig, um durch künstlich erzeugte wirtschaftliche<br />
Schwierigkeiten e<strong>in</strong>en Putschversuch wie <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 vorzubereiten, bzw. erst auslösen zu können, was noch<br />
heute, über 50 Jahre später wie e<strong>in</strong> Staatsgeheimnis gehütet wird. Des<strong>in</strong>formation gehört dabei durchaus mit zum<br />
Inventar, obwohl bereits im OG-Urteil vom 14. <strong>Juni</strong> 1954 (unter an<strong>der</strong>em gegen Silgradt) erstmals E<strong>in</strong>zelheiten über<br />
gezielte Vorarbeiten des →Bundes<strong>in</strong>isteriums für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen für den Putsch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953<br />
veröffentlicht worden s<strong>in</strong>d.<br />
Unter an<strong>der</strong>em seien seit 1951 im westberl<strong>in</strong>er Bundeshaus <strong>in</strong> Wilmersdorf regelmäßig Vertreter „<strong>der</strong> Ostbüros <strong>der</strong><br />
FDP, CDU, SPD sowie <strong>der</strong> KgU und <strong>der</strong> VPO vom Kaiser-M<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Abständen von etwa<br />
zwei Monaten, bei beson<strong>der</strong>en politischen Ereignissen auch außerturnusmäßig, zu<br />
geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong>en Besprechungen zus<strong>am</strong>mengerufen (worden)... <strong>in</strong> denen Vertreter des Kaiser-<br />
M<strong>in</strong>isteriums über die politische Situation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik<br />
referier(t)en.<br />
Außerdem (s<strong>in</strong>d)... auf diesen Besprechungen Richtl<strong>in</strong>ien für die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen<br />
Demokratischen Republik und im demokratischen Sektor von Groß-Berl<strong>in</strong> durchzuführende<br />
Zersetzungs- und Agententätigkeit erteilt (worden), ebenso für die Arbeit <strong>der</strong> von den<br />
Agenten zu erfragenden Spionageangaben, für den Ihnhalt <strong>der</strong> Befragung republikflüchtiger<br />
Personen sowie für die Art und den Inhalt <strong>der</strong> zu verbreitenden Zweckgerüchte, <strong>der</strong><br />
Flugblattaktionen und an<strong>der</strong>er Hetzmaterialien“. 34<br />
Rudi Beckert behauptet sogar dort Anwesende wären sich e<strong>in</strong>ig gewesen, „dass die Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung nur<br />
durch e<strong>in</strong>en organisierten Putsch erfolgen könne“. 35 Dortige „Referate wurden teils von<br />
Staatssekretär Thedieck und teils von dem Leiter <strong>der</strong> westberl<strong>in</strong>er Filiale des Kaiser-<br />
M<strong>in</strong>isteriums, Dr. Karl Magen, gehalten, die den Anwesenden auch die entsprechenden<br />
Richtl<strong>in</strong>ien vermittelten.<br />
Dasselbe wurde Silgardt im Dezember 1953 auch von dem Leiter <strong>der</strong> „Deutschen Liga für<br />
Menschenrechte“, Götze, mitgeteilt, <strong>der</strong> <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang noch erklärte, dass alle<br />
Organisationen, die sich mit <strong>der</strong> „Ostarbeit“ beschäftigen, f<strong>in</strong>anzielle Zuschüsse vom Kaiser-<br />
M<strong>in</strong>isterium erhalten“ würden. 36<br />
Silgradt selbst nahm an solchen Treffen teil, bei denen man auch über „die Stimmung unter <strong>der</strong><br />
Bevölkerung“ sprach. Auch e<strong>in</strong>e Kartei über fortschrittliche Bürger wurde geführt, d<strong>am</strong>it man sie später zur<br />
Rechenschaft ziehen könne. 37 Kaisers Verb<strong>in</strong>dungsmann Karl-He<strong>in</strong>z Naase bestätigte 1952 se<strong>in</strong>en FDP-Ostbüro-<br />
Mitglie<strong>der</strong>n gegenüber ebenfalls frei heraus, „dass die „Ostarbeit“ <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Ostbüros und die <strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en Organisationen koord<strong>in</strong>iert worden sei“. 38<br />
E<strong>in</strong>träge über solche alle zwei Monate durchgeführte Treffen des Kaiser-M<strong>in</strong>isteriums im westberl<strong>in</strong>er Bundeshaus mit<br />
den zahlreichen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 teilnehmenden Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO) sucht man bei e<strong>in</strong>em so<br />
unzweideutigen Experten wie Fricke allerd<strong>in</strong>gs vergeblich, sie existieren nicht. Wohl deshalb, weil dasselbe<br />
Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen d<strong>am</strong>als auch se<strong>in</strong>e Schriften (1964) veröffentlichte. 39<br />
Fricke behauptet zwar gegenteiliges, aber imperialistische Geheimdienste hatten zweifelsohne zus<strong>am</strong>men mit ihren<br />
unzähligen Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO) <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 ihren großen Tag. An den m<strong>in</strong>uziösen<br />
Umsturzvorbereitungen mit Hilfe zahlreicher Geheimdiensthilfsorganisationen, schon Monate vor dem Großereignis,<br />
können e<strong>in</strong>fach ke<strong>in</strong>e Zweifel mehr bestehen, zumal Kaiser selbst, noch Ende März 1953 vor zahlreichen<br />
rechtsstehenden Organisationsleitern <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (Bundesallee 216/18) ankündigte, „<strong>der</strong> Tag X werde vielleicht<br />
34 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />
35 Rudi Beckert, Die erste und letzte Instanz, Keip Verlag Goldbach 1995, S.264<br />
36 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />
37 Rudi Beckert, Die erste und letzte Instanz, Keip Verlag Goldbach 1995, S.264<br />
38 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />
39 Kalr Wilhelm Fricke, Bonner Berichte aus Mittel- und Ostdeutschland, Bundesm<strong>in</strong>isterium für ges<strong>am</strong>tdeutsche<br />
Fragen 1964
ascher anbrechen, als manche Skeptiker me<strong>in</strong>en“. 40<br />
Auch „Der Abend“, e<strong>in</strong>e Wiener Zeitung bestätigte, dass dem Putschversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>, die Reise nach<br />
Wash<strong>in</strong>gton des „westberl<strong>in</strong>er Oberbürgermeisters Ernst Reuter im März (1953)“ vorausg<strong>in</strong>g. Er<br />
habe dort mit dem <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstleiter Allen Dulles E<strong>in</strong>zelheiten besprochen. Nach se<strong>in</strong>er Rückkehr<br />
konferierte Reuter mit Adenauer und auch mit dem M<strong>in</strong>ister für ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen: Jakob Kaiser über die dort<br />
getroffenen Vere<strong>in</strong>barungen. 41<br />
Tatsächlich war es so, das Adenauers Staatssekretär im Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen Franz Thedieck,<br />
<strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 eigens von Bonn nach Westberl<strong>in</strong> eilte, „um von hier aus persönlich die <strong>in</strong> den<br />
demokratischen Sektor e<strong>in</strong>geschleusten Provokateure und Agenten bei ihren Ausschreitungen<br />
anzuleiten“. 42 Ihm zur Seite stand Oberregierungsrat Dr. Kunisch, ebenfalls vom Bundesm<strong>in</strong>isterium für<br />
Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, „<strong>der</strong> die Organisierung verbrecherischer Agenturen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> zu se<strong>in</strong>er<br />
Spezialität machte“. 43 Jakob Kaiser selbst nahm <strong>am</strong> Tag X an Besprechungen (Etatberatungen) im Bonner<br />
Bundestag teil. Er flog erst <strong>am</strong> Abend des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> nach Berl<strong>in</strong> zurück. 44<br />
Die Beteiligung des Kaiser M<strong>in</strong>isteriums an <strong>der</strong> <strong>Provokation</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 können somit nicht abgestritten werden,<br />
zumal dafür <strong>am</strong> 24. März 1952 auch eigens e<strong>in</strong> Forschungsbeirat gegründet wurde. Mit aktiver <strong>am</strong>erikanischer<br />
Unterstützung aufgebaut, stellte er e<strong>in</strong>en speziellen „Stab für Diversions- und Bürgerkriegsakte… (dar),<br />
dem Millionen Mark aus den Geheimfonds aus- und <strong>in</strong>ländischer Imperialisten zuflossen“. 45<br />
D<strong>am</strong>it stand dem Kaiser-M<strong>in</strong>isterium, das bereits zuvor e<strong>in</strong> politische Spionageorganisation darstellte, nunmehr e<strong>in</strong>e<br />
eigens auf Spionage spezialisierte Unterabteilung zur Verfügung.<br />
Und nur weil auf den Sitzungen des Forschungsbeirates <strong>in</strong> den folgenden Jahren „immer neue Pläne und<br />
Varianten zum Sturz <strong>der</strong> sozialistischen Ordnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> ausgearbeitet“ wurden, 46 dürfen<br />
auch Hans Tellers Schlussfolgerungen geson<strong>der</strong>t hervorgehoben werden: „Der <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> zeigte sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>DDR</strong>-Hauptstadt sowie e<strong>in</strong>er Reihe von an<strong>der</strong>en Orten als zentral <strong>in</strong>szenierte und gelenkte<br />
Aktion <strong>der</strong> imperialistischen Geheimdienste“. 47<br />
Im Wohnhaus des Oberbürgermeisters Reuter, k<strong>am</strong> Eleanor Dulles jedenfalls noch vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> mit Mitarbeitern<br />
des „Forschungsbeirates für Fragen <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung Deutschlands“ zus<strong>am</strong>men. Dort<br />
beriet sie sich mit den Leitern <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>gruppen des BDJ und <strong>der</strong> NJD, mit führenden<br />
Funktionären pronazistischer und rechtsstehen<strong>der</strong> Organisationen, die offiziell im Dienste <strong>der</strong><br />
Amerikaner (standen)...<br />
Während ihres Berl<strong>in</strong>er Aufenthaltes übergab Eleanor Dulles außerordentliche große<br />
Summen aus dem Fonds <strong>der</strong> Rockerfeller-Stiftung und des Erdöltrusts Standard Oil of Jersey<br />
an die westberl<strong>in</strong>er Gruppen des „Stahlhelms“, des „Werwolf“, <strong>der</strong> „Adolf-Hitler-Tradition“<br />
und an<strong>der</strong>er militaristischer Organisationen, darunter Tillich und Hildebrandt. Alle diese<br />
Organisationen und ihre Leiter (traten)... für (e<strong>in</strong>e) gewalts<strong>am</strong>e E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung<br />
Ostdeutschlands <strong>in</strong> die Bundesrepublik e<strong>in</strong> und (s<strong>in</strong>d)... schon seit langem von den<br />
<strong>am</strong>eikanischen Behörden ausgehalten“ worden. 48<br />
Von deutscher Seite traf im Vorfeld des Putsches <strong>am</strong> 14. <strong>Juni</strong> 1953 Adenauers <strong>in</strong>nenpolitischer Staatssekretär Dr. Otto<br />
Lenz höchstselbst <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>. Er sollte „die Lage prüfen“. Dementsprechend nahm Lenz auch sofort<br />
Besprechungen mit dem Vorsitzenden des „Forschungsbeirates“ Dr. Friedrich Ernst, sowie dem Leiter des AEG-<br />
Konzerns Friedrich Spennrath auf. 49<br />
Letztendlich waren vom <strong>17.</strong> auf den 18. <strong>Juni</strong> 1953 sämtliche Mitglie<strong>der</strong> des „Forschungsbeirates“ <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong><br />
40 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />
41 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />
42 Neues Deutschland, Nr.157 vom 8.7.1953<br />
43 Neues Deutschland, Nr.42 vom 19.2.1955<br />
44 http://www.luise-berl<strong>in</strong>.de/ 2005<br />
45 Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953<br />
46 He<strong>in</strong>z Vosske, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, H.5/ 1970, S.242<br />
47 Hans Teller, Jahrbuch für Geschichte, Berl<strong>in</strong> 1977, S.317<br />
48 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />
49 Neues Deutschland, Nr.159 vom 10.7.1953
vers<strong>am</strong>melt, um ihren Beitrag für den auf <strong>am</strong>erikanische Anweisung ausgelösten Putschversuch zu leisten. 50<br />
-Counter Intelligence Corps (CIC)<br />
Ke<strong>in</strong>em Geheimdienst k<strong>am</strong> e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>maßen klare organisatorische Führungsrolle <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 zu, wie dem<br />
militärischen <strong>am</strong>erikanischen Spionageabwehrkorps CIC.<br />
Warum darüber <strong>in</strong> den bürgerlichen Medien bis heute ke<strong>in</strong>e Informationen vorliegen ist klar, denn auf <strong>DDR</strong>-<br />
Hoheitsgebiet standen dem <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst noch im Januar 1954 nicht e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> zwei, son<strong>der</strong>n laut Otto<br />
Nuschke gleich mehrere zentrale Spionageorgane <strong>in</strong> Westdeutschland zur Verfügung, wie:<br />
1. Das →Military Intelligence Department (MID)<br />
2. E<strong>in</strong>e Spionageabteilung im Berl<strong>in</strong>er Militärverwaltungsapparat (Gebäude G).<br />
3. E<strong>in</strong>e Aufklärungsabteilung des Stabes des „Europa-Kommandos“: Intelligencedivision EUCOM mit<br />
Sitz <strong>in</strong> Heidelberg.<br />
4. Die <strong>am</strong>erikanische „Aufklärungsbehörde“ des US-State Department: 51 →Bureau of Intelligence and<br />
Research (BIR).<br />
5. Der US-Kriegsmar<strong>in</strong>e Geheimdienst: →Navy Intelligence.<br />
6. Der US-Luftwaffengeheimdienst: →Air Force Intelligence.<br />
7. Das →Office of Policy Coord<strong>in</strong>ation (OPC).<br />
8. Die so genannten →Amerika Häuser.<br />
9. Die →Organisation Gehlen (ORG) und<br />
10. Der Diversionssen<strong>der</strong> →RIAS.<br />
Neben all diesen zentralen <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstbehörden machte Nuschke noch auf 16 weitere Dienststellen<br />
gleichen Charakters aufmerks<strong>am</strong>, sprich auf ihre Filialen. Nicht zu verwechseln mit den unzähligen<br />
Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO), angefangen bei KgU bis UfJ usw., obwohl auch sie, wie W. Swjetal<strong>in</strong><br />
versicherte, vom CIA angeleitete worden s<strong>in</strong>d, genau genommen von ihrer Haupt-„Abteilung I“. 52<br />
Dieselbe CIA hat seit dem 20. <strong>Juni</strong> 1952, „das Geld für Spionagetätigkeit auch aus Fonds<br />
(entnommen)... die, für Maßnahmen <strong>der</strong> Nordatlantikpaktgeme<strong>in</strong>schaft (NATO) bestimmt“<br />
waren. 53 Zwei Sätze von denen deutsche Medien bis heute nicht e<strong>in</strong> Sterbenswörtchen schrieben, obwohl sie wichtige<br />
Bauste<strong>in</strong>e dieser dunklen, geheim gehaltenen Geschichte des NATO-Nachrichtendienstes s<strong>in</strong>d.<br />
Otto Nuschke wie<strong>der</strong>um bestätigte: „Das uns vorliegende umfassende Material beweist, dass diese<br />
westdeutschen und westberl<strong>in</strong>er Untergrundorganisationen von <strong>am</strong>erikanischen Behörden<br />
f<strong>in</strong>anziert werden, geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong>e Aktionen mit den <strong>am</strong>erikanischen Geheimdiensten<br />
durchführen und dem <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst Agenten direkt zur Verfügung stellen,<br />
bzw. umgekehrt. Die Zus<strong>am</strong>menarbeit des <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes mit den<br />
bekannten westdeutschen Terrororganisationen geschieht vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form <strong>der</strong><br />
<strong>am</strong>erikanischen Kontrolle über <strong>der</strong>en Tätigkeit...<br />
Das wird auch dadurch bestätigt, dass die Sicherheitsorgane <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei krim<strong>in</strong>ellen<br />
Elementen <strong>der</strong> genannten Art <strong>am</strong>erikanische Funkgeräte sowie Waffen, Sprengstoffe und<br />
Anweisungen zur Durchführung von Diversionsakten vorgefunden haben, die den<br />
Verbrechern von <strong>am</strong>erikanischen Dienststellen <strong>in</strong> Westdeutschland ausgehändigt worden<br />
waren“. 54<br />
50 Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953<br />
51 Neues Deutschland, Nr.10 vom 13.1.1954<br />
52 Neues Deutschland, Nr.271 vom 18.11.1953<br />
53 Neues Deutschland, Nr.271 vom 18.11.1953<br />
54 Neues Deutschland, Nr.10 vom 13.1.1954
Später wiesen NATO-Führungsgremien auf ihrer NATO-Ratstagung <strong>am</strong> 24. <strong>Juni</strong> 1953 selbst darauf h<strong>in</strong>, an den<br />
Ereignissen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 führend beteiligt gewesen zu se<strong>in</strong>. Dafür aber hatten MfS-Mitarbeiter se<strong>in</strong>erzeit noch<br />
ke<strong>in</strong>e stichhaltigen Beweise, deshalb also musste Wollweber auf e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternen Dienstkonferenz vor leitenden<br />
Geheimdienstka<strong>der</strong>n <strong>am</strong> 11./12. November 1953 auch zugeben, man habe noch nicht „nach dem Auftrag des<br />
Politbüros die H<strong>in</strong>termänner und Organisatoren des Putsches vom <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>“ festgestellt. 55 Klar<br />
aber war seit 1950, das die CIA im NATO-Nachrichtendienst den Ton angab.<br />
Wie auch immer, Otto Grotewohl jedenfalls bestätigte auf dem 15. SED-Tagungstreffen des Zentralkomitees vom 24.<br />
bis 26.7.1953 wörtlich: „Der Auslösung des Putsches g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e jahrelange, von den USA-<br />
Spionagestellen ausgehende systematisch und gut f<strong>in</strong>anzierte Vorbereitung psychologischer,<br />
agitatorischer und organisatorischer Art voraus“. 56<br />
Tatsächlich war es so, „dass die Organisation e<strong>in</strong>er <strong>Provokation</strong> gegen die Regierung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>,<br />
bereits anlässlich <strong>der</strong> Reise des westberl<strong>in</strong>er Oberbürgermeisters Ernst Reuter im März<br />
(1953) <strong>in</strong> Wash<strong>in</strong>gton besprochen wurde. In <strong>der</strong> Villa des Leiters des <strong>am</strong>erikanischen<br />
Nachrichtendienstes Allen Dulles im Wash<strong>in</strong>gtoner Stadtteil Georgetown k<strong>am</strong> Reuter<br />
wie<strong>der</strong>holt mit leitenden Funktionären des <strong>am</strong>erikanischen Spionagedienstes, darunter<br />
General (Willi<strong>am</strong>) Donovan und e<strong>in</strong>igen an<strong>der</strong>en Persönlichkeiten, wie Außenm<strong>in</strong>ister John<br />
Foster Dulles zus<strong>am</strong>men.<br />
Nach se<strong>in</strong>er Rückkehr berichtete Reuter über se<strong>in</strong>e Besprechungen <strong>in</strong> den USA <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Sitzung, an <strong>der</strong> Adenauer, <strong>der</strong> M<strong>in</strong>ister für ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, und die<br />
Führer e<strong>in</strong>iger rechtsstehen<strong>der</strong> neonazistischer Organisationen teilnahmen. Unmittelbar nach<br />
diesen Besprechungen begannen die beschleunigten Vorarbeiten für den „Tag X“ <strong>in</strong><br />
Westberl<strong>in</strong>“. 57<br />
Ende Mai/ Anfang <strong>Juni</strong> 1953 besuchte dann erstmals e<strong>in</strong>e „Son<strong>der</strong>kommission des Außenm<strong>in</strong>isteriums <strong>der</strong><br />
USA unter Führung von Tracy Voorhees, an <strong>der</strong> sich auch General Donovan beteiligte,<br />
Westberl<strong>in</strong>. Donovan hielt praktisch e<strong>in</strong>e Truppenschau ab, die sich auf die Vorbereitung des<br />
„Tages X“ bezog. Insbeson<strong>der</strong>e leitete er die Ausarbeitung des Planes zur Koord<strong>in</strong>ierung <strong>der</strong><br />
Aktionen <strong>am</strong>erikanischer Truppen und <strong>der</strong> westberl<strong>in</strong>er Polizei sowie <strong>der</strong> sogenannten<br />
„freiwilligen Gruppen“, die aus allen möglichen dunklen Elementen zus<strong>am</strong>mengestellt waren.<br />
Sechs Tage vor <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er <strong>Provokation</strong> (11. <strong>Juni</strong>) k<strong>am</strong> die Schwester von John Foster Dulles,<br />
Eleanor Dulles, e<strong>in</strong>e Sachverständige des USA-Außenm<strong>in</strong>isteriums für deutsche Fragen, <strong>in</strong><br />
Westdeutschland an...“. 58<br />
Im Wohnhaus des Oberbürgermeisters Reuter, k<strong>am</strong> dieselbe mit Mitarbeitern des „Forschungsbeirates für<br />
Fragen <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung Deutschlands“ zus<strong>am</strong>men. Dort beriet sie sich mit den Leitern<br />
<strong>der</strong> Son<strong>der</strong>gruppen des BDJ und <strong>der</strong> NJD, mit führenden Funktionären pronazistischer und<br />
rechtsstehen<strong>der</strong> Organisationen, die offiziell im Dienste <strong>der</strong> Amerikaner“ standen. 59<br />
Zwei Tage später, <strong>am</strong> 13. <strong>Juni</strong> 1953 traf auch ihr Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> USA-Spionagechef: Allan Dulles, <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>, 60 um<br />
mit ihr zus<strong>am</strong>men „die letzten Vorbereitungen für den faschistischen Putschversuch zu<br />
treffen“. 61 Eleanor Dulles hat noch <strong>am</strong> selben Tag Berl<strong>in</strong>er Flüchtl<strong>in</strong>gslager besichtigt. 62<br />
Am 14. <strong>Juni</strong> 1953 beriet sie sich „mit leitenden Offizieren des Abwehrdienstes des <strong>am</strong>erikanischen<br />
Hochkommissariats <strong>in</strong> Westdeutschland und den Leitern des <strong>am</strong>erikanischen Abwehrdienstes<br />
<strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong>, die die Tätigkeit <strong>der</strong> westberl<strong>in</strong>er „Son<strong>der</strong>formationen“ lenkten. 63<br />
55 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.231<br />
56 Neues Deutschland, Nr.176 vom 30.7.1953<br />
57 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />
58 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />
59 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />
60 Neues Deutschland, Nr.178 vom 1.8. 1953<br />
61 Neues Deutschland, Nr.178 vom 1.8. 1953<br />
62 Neues Deutschland, Nr.135 vom 12.6.1955<br />
63 Neues Deutschland, Nr.178 vom 1.8. 1953
Am 16. <strong>Juni</strong> besichtigte sie abermals „Flüchtl<strong>in</strong>gslager“, um faschistische Elemente für den E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> und im demokratischen Sektor zu s<strong>am</strong>meln“. 64 Es war auch Eleanor Dulles, die während des<br />
<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 „direkt den E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanischen Offiziere <strong>in</strong> Zivil und <strong>in</strong> Uniform vom<br />
Westberl<strong>in</strong>er <strong>am</strong>erikanischen Hauptquartier <strong>in</strong> Zehlendorf aus“ lenkte. 65<br />
Tatsächlich berichtete im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> auch „l´Humanité“, „<strong>der</strong> faschistische Putsch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong> (sei) auf direkte Anweisung und unter Anleitung (des <strong>am</strong>erikanischen Spionagechefs)...<br />
Allen Dulles und se<strong>in</strong>er Schwester <strong>in</strong>szeniert worden“. 66<br />
Eigentlich ist je<strong>der</strong> Versuch den Umsturzversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 isoliert vom <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst und<br />
d<strong>am</strong>it des NATO-Nachrichtendienstes zu betrachten, e<strong>in</strong>fach nicht seriös, zumal →Eleanor Dulles entsprechende<br />
Geldbeträge dafür, auch dem 100. Millionen Dollar-Fonds entnahm.<br />
Bereits <strong>am</strong> 10. Oktober 1951 ist im US-Kongreß <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang das berüchtigte „Gesetz zur<br />
gegenseitigen Sicherung“ erlassen worden, um <strong>am</strong>erikanischen Spionen, Saboteuren o<strong>der</strong> Diversanten <strong>in</strong> fremden<br />
Län<strong>der</strong>n mit 100 Millionen Dollar den Rücken zu stärken. Am 22. <strong>Juni</strong> 1952 wurden mit Hilfe e<strong>in</strong>es weiteren Gesetzes<br />
zusätzliche Beträge für selbe Zwecke zur Verfügung gestellt.<br />
E<strong>in</strong>en Monat vor dem Umsturzversuch, <strong>am</strong> 5. Mai 1953, haben <strong>am</strong>erikanische Abgeordnete erneut mit dem „Gesetz<br />
zur militärischen Hilfe für das Ausland im kommenden F<strong>in</strong>anzjahr“, weitere Summen für Spionage,<br />
Sabotage sowie Diversion genehmigt. Kurz vor den <strong>Provokation</strong>en, <strong>am</strong> 13. <strong>Juni</strong> 1953 meldete schlussendlich auch<br />
„United Press, „das wie<strong>der</strong>um <strong>in</strong> aller Stille neue Mittel zur „F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong><br />
antikommunistischen Untergrundbewegung“ bereitgestellt wurden“. 67 Eleanor Dulles reiste demnach<br />
nicht mit leeren Händen nach Westberl<strong>in</strong>.<br />
-Dienststelle Blank<br />
E<strong>in</strong>en Monat vor dem faschistischen Putschversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, wurden acht Agenten des MAD-Vorläufers<br />
→Dienststelle Blank“ auf <strong>DDR</strong>-Hoheitsgebiet überwältigt.<br />
Ihr überwiegend auf Militärspionage ausgerichtetes Agentennetz bereitete sich d<strong>am</strong>als zweifelsohne auf e<strong>in</strong>en Umsturz<br />
vor, wie auch alle Zeugenaussagen vor dem Stadtgericht Berl<strong>in</strong> deutlich demonstrierten. Ihrem Filiale-Leiter, dem<br />
ehemaligen Polizeioberst Bockelberg alias Hartmann, k<strong>am</strong> es deshalb beson<strong>der</strong>s darauf an, „Berichte und<br />
Informationen aus volkseigenen Großbetrieben zu erhalten“. 68<br />
E<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Agenten, Herbert Jantzen zum Beispiel, mit dem Deckn<strong>am</strong>en Jürgen Jago, „arbeitete als Ingenieur<br />
im berl<strong>in</strong>er Werk für Fernmeldewesen HF. Er berichtete <strong>der</strong> „Dienststelle Blank“ über die<br />
fe<strong>in</strong>dliche E<strong>in</strong>stellung e<strong>in</strong>zelner Belegschaftsmitglie<strong>der</strong>, machte Angaben über die Zahl <strong>der</strong><br />
Werktätigen, und zwar aufgeschlüsselt nach Angehörigen <strong>der</strong> schaffenden Intelligenz,<br />
Arbeitern und Angestellten“.<br />
Peter Borchert aus Berl<strong>in</strong>-Adlershof dagegen, e<strong>in</strong> Konstrukteur <strong>in</strong> den ÈAW Stal<strong>in</strong>, lieferte se<strong>in</strong>em Vorgesetzten<br />
Hartmann „Berichte über die personelle Besetzung im Werk, N<strong>am</strong>en von Ingenieuren, Meistern<br />
und Abteilungsleitern“. 69<br />
Interessant war auch ihre Zus<strong>am</strong>menarbeit mit dem Diversionssen<strong>der</strong>: →RIAS <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> Der ehemalige Agent<br />
des Amtes Blank: Arm<strong>in</strong> Zopf alias „Graul“ aus Bad Tennstedt (bei Erfurt/ Thür<strong>in</strong>gen), e<strong>in</strong>st SS-Scharführer im<br />
KZ-Flossenbürg, sagte dazu vor dem I. Strafsenat des Bezirksgerichts Magdeburg ausführlich aus. Wie Zopf berichtete,<br />
hatte ihm se<strong>in</strong>e Dienststelle noch vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 nicht nur e<strong>in</strong>e Kenn-Nr.313 zugeteilt, son<strong>der</strong>n auch den Auftrag<br />
gegeben, doch bitte so genannte „technische Nachrichten“ des RIAS aufmerks<strong>am</strong> zu hören. Zopf wörtlich:<br />
„Nach dem Nachrichtendienst gab <strong>der</strong> RIAS technische Nachrichten für die Agentengruppen<br />
64 Neues Deutschland, Nr.178 vom 1.8. 1953<br />
65 Hg. Ausschuss für Deutsche E<strong>in</strong>heit, Wer zog die Drähte? Der <strong>Juni</strong>-Putsch 1953 und se<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>tergründe, S.42<br />
66 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />
67 Neue Justiz, Nr.22 vom 20.11.1954, S.649<br />
68 Neues Deutschland, Nr.117 vom 20.5.1954<br />
69 Neues Deutschland, Nr.117 vom 20.5.1954
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> durch. Ich hatte die Kenn-Nr.313. Wenn me<strong>in</strong>e Nummer mit dem Buchstaben A<br />
davor durchgesagt wurde, so hieß das: Sofort <strong>in</strong> Sicherheit br<strong>in</strong>gen. Der Buchstabe B<br />
bedeutete: Koffer packen und langs<strong>am</strong> verschw<strong>in</strong>den. C hieß: Sofort nach Berl<strong>in</strong> kommen“. 70<br />
Zopf sollte außerdem Luftlande- sowie Abwurfplätze <strong>in</strong> Nähe von Bad-Tennstedt erkunden. Diese Freiflächen benötigte<br />
man um Geräte, Hetzmaterial, Waffen, Munition aber auch Fallschirmspr<strong>in</strong>ger absetzen zu können. Den gleichen<br />
Auftrag hatte e<strong>in</strong> Dienststelle-Blank Agent aus Wittenberg (bei Dessau/ Sachsen-Anhalt) mit dem N<strong>am</strong>en Flemm<strong>in</strong>g<br />
erhalten.<br />
Nach dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 sollten Zopf und Seifert den Rädelsführern zur Flucht nach Westberl<strong>in</strong> verhelfen. Deswegen<br />
stand ihr Agent aus Kle<strong>in</strong> Machow (bei Berl<strong>in</strong>) Rudi Müller auch treu zur Regierung, um sich so noch besser tarnen zu<br />
können. 71<br />
All dies will Fricke natürlich nicht gelten lassen, dafür aber erwähnt er ausführlich den Fall des e<strong>in</strong>stigen Waffen-SS<br />
Mannes Friedrich Schorn, e<strong>in</strong> Doppelagent den sich Walter Ulbricht im Zus<strong>am</strong>menhang mit dem Umsturzversuch, auf<br />
dem 15. Plenum des ZK <strong>am</strong> 26.7.1953 persönlich vornahm: „Das klassische Beispiel ist doch so: Der<br />
Organisator <strong>der</strong> <strong>Provokation</strong>en war e<strong>in</strong> SS-Mann. Der SS-Mann wurde von <strong>der</strong><br />
Staatssicherheit <strong>in</strong> die Leitung und Verwaltung vom Leuna-Werk e<strong>in</strong>gesetzt, und er ist<br />
gepflegt worden, und nachdem man seit Anfang 1952 mit ihm gearbeitet hatte, hatte er alles<br />
so gut gefasst, dass er exakt <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> die <strong>Provokation</strong> organisieren konnte. Das ist<br />
politischer Fakt... Das ist... die Tatsache, die ich selbst untersucht habe“. 72<br />
Mangelsdorf dazu vor Gericht wörtlich: „Schorn war wegen se<strong>in</strong>er Verbrechen als SS-Führer vier Jahre <strong>in</strong>terniert gewesen, fuhr nach<br />
se<strong>in</strong>er Entlassung aus dem Lager sofort nach Westberl<strong>in</strong> und nahm Verb<strong>in</strong>dung mit den Amerikanern auf. Später hatte er auch Kontakt zu<br />
se<strong>in</strong>en früheren Freunden, die jetzt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dienststelle Blank tätig s<strong>in</strong>d und hatte mehrere Treffs im westberl<strong>in</strong>er Cafe „Seehund“. 73<br />
-Organisation Gehlen (ORG)<br />
Wie zwei Spiegel-Redakteure versicherten, flog e<strong>in</strong> erster V-Mann Gehlens bereits 1946 <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> auf. Gerhard<br />
Pickert hatte d<strong>am</strong>als <strong>in</strong> Sachsen und Thür<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong> Agentennetz aufgezogen. 74 Gehlen hatte demnach ganze sieben<br />
Jahre Zeit, um se<strong>in</strong> Agentenapparat für den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> aufzurüsten.<br />
E<strong>in</strong> weiterer Gehlen-Führungsoffizier: Wolfgang Paul Höher, sagte Ende 1953 vor dem obersten Gericht (<strong>DDR</strong>) <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong> aus, man könne sagen, „dass ungefähr Ende 1950 <strong>der</strong> Aufbau <strong>der</strong> Organisation Gehlen als abgeschlossen<br />
angesehen werden kann“. 75<br />
Höher gehörte seit Januar 1951 zu den leitenden Mitarbeitern Gehlens, zuletzt war er stellvertretener Leiter e<strong>in</strong>er<br />
Untervertretung <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong>. 76 Er bestätigte außerdem, was für e<strong>in</strong> Verständnis d<strong>am</strong>aliger Zus<strong>am</strong>menhänge äußerst<br />
wichtig ist, es sei nämlich Gehlens Absicht gewesen, „mit se<strong>in</strong>er Organisation <strong>in</strong> <strong>der</strong> aufzubauenden deutschen<br />
Wehrmacht den Abwehrdienst und den Ic-Apparat zu übernehmen“. 77<br />
Deshalb also, befassten sich Gehlens Agenten im entscheidenden Jahr 1953 überwiegend mit Militärspionage, wofür<br />
e<strong>in</strong>e ganze Reihe sogenannter Kriegsfunker bereit standen. Im Spionage-Prozess <strong>in</strong> Halle <strong>am</strong> 12. November 1954<br />
räumte jedenfalls e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Mitarbeiter Stiedenroth e<strong>in</strong>, er habe seit 1952 <strong>in</strong>sges<strong>am</strong>t se<strong>in</strong>en Auftraggebern <strong>in</strong><br />
Westberl<strong>in</strong> „38 Spionageberichte über die Stärke und Bewaffnung <strong>der</strong> sowjetischen<br />
Truppene<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen“ übergeben. Auch dem Angeklagten Franke konnte e<strong>in</strong>e Zus<strong>am</strong>menarbeit mit<br />
Gehlen seit 1952 nachgewiesen werden. Er lieferte „30 Spionageberichte über sowjetische Truppen im<br />
Raum von Gera und Altenburg“. 78<br />
Zwar verzichtete Gehlen nie ganz auf die von ihm so bezeichnete „klassische“ Nachrichtengew<strong>in</strong>nung. Im<br />
70<br />
Neues Deutschland, Nr.295 vom <strong>17.</strong>12.1953<br />
71<br />
Neues Deutschland, Nr.295 vom <strong>17.</strong> 12.1953<br />
72<br />
Karl Wilhelm Fricke / Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.174<br />
73<br />
Neues Deutschland, Nr.136 vom 13.6.1954<br />
74<br />
Hermann Zoll<strong>in</strong>g/ He<strong>in</strong>z Höhne, Pullach <strong>in</strong>tern, Hoffmann und C<strong>am</strong>pe Verlag, S.199<br />
75<br />
Neues Deutschland, Nr.301 vom 24.12.1953<br />
76<br />
Neues Deutschland, Nr.301 vom 24.12.1953<br />
77<br />
Neues Deutschland, Nr.279 vom 28.11.1953<br />
78<br />
Neues Deutschland, Nr.268 vom 14.11.1954
Nachkriegsdeutschland aber war se<strong>in</strong> halblegaler Status bis zur offiziellen Legalisierung <strong>am</strong> 1.4.1956 nicht dazu<br />
geeignet, mit geheimdienstpolitischen Nazimethoden öffentliches Aufsehen zu erregen, zumal auch e<strong>in</strong>e ganze Menge<br />
Kriegsverbrecher im BND-Vorläufer mitarbeiteten.<br />
An<strong>der</strong>erseits war Gehlens Organisation zur fraglichen Zeit, <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, noch fachdienstlich dem <strong>am</strong>erikanischen<br />
Geheimdienst unterstellt, dem mehr daran lag, e<strong>in</strong> funktionierendes Spionagenetz für den Krieg zu unterhalten. Gehlen<br />
k<strong>am</strong> nicht zuletzt auch aus dem von Amerika resultierenden weltweiten Führungsanspruch, bewusst e<strong>in</strong>e zweitrangige<br />
Leitungsrolle zu. Er sollte sich vorerst mit e<strong>in</strong>er Art zweitrangiger, helfen<strong>der</strong> Kontrollfunktion über die<br />
Agentenzentralen zufrieden geben, wofür ebenfalls die <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> stationierten, so genannten Kriegsfunker herhalten<br />
mussten.<br />
Aus weiter oben genannten politischen Gründen, stand deshalb Kaisers Spionagem<strong>in</strong>isterium mit se<strong>in</strong>em<br />
geheimnisvollen „Forschungsbeirat“ jahrelang bei den eigentlichen politisch brisanten Spionageaufträgen offiziell im<br />
Vor<strong>der</strong>grund.<br />
Gehlen verzichtete deshalb natürlich nicht automatisch auf politisch Diversion, hielt sich aber sehr wohl zurück. Nur<br />
se<strong>in</strong>e erfahrensten, zuverlässigsten Agenten, war es erlaubt auf diesem Feld zu arbeiten. O<strong>der</strong> wie sich Friecke mit<br />
se<strong>in</strong>en nur zur Hälfte zugänglichen Informationen im Zus<strong>am</strong>menhang mit dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 ausdrückte: „Die V-<br />
Leute <strong>der</strong> Organisation waren aus Sicherheitsgründen dazu angehalten, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen<br />
Situation passiv zu verhalten, was sie auch taten“. 79<br />
Zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> überwiegen<strong>der</strong> Teil müsste man zu Frickes BND genehmen Informationen h<strong>in</strong>zufügen, denn Gehlens<br />
Hauptagent Raupach durfte tatsächlich, wie vor dem Bezirksgericht Cottbus, im Verfahren gegen e<strong>in</strong>e Gruppe von<br />
Gehlen-Agenten bestätigt worden ist, lediglich nach e<strong>in</strong>er gründlichen Überprüfung, bzw. erst nachdem er jahrelang<br />
Kurierarbeiten verrichtete, Spionageaufträge von politischer Bedeutung, wie sie eben die Vorarbeiten für den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />
1953 darstellten, übernehmen.<br />
Gehlens Diversions-Agenten sollten sich, eben möglichst nicht aus den selben weiter oben genannten Gründen<br />
kompromittieren. E<strong>in</strong>e vorausgehende Bewährungszeit war angesagt, wie ostdeutsche Gerichte im Zus<strong>am</strong>menhang mit<br />
den <strong>Provokation</strong>en unzweideutig im Fall Raupach feststellten. Erst: „nach Überprüfung <strong>der</strong> Zuverlässigkeit<br />
durch se<strong>in</strong>e Auftraggeber erhielt er selbst Spionageaufträge und war an <strong>der</strong> Vorbereitung und<br />
Durchführung <strong>der</strong> faschistischen <strong>Provokation</strong>en <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 beteiligt“. 80<br />
Im Fall des BND-Agenten Vitalis Dalchau, „von 1936 bis 1942... Mitglied des faschistischen<br />
„Jungvolks“ und <strong>der</strong> Hitlerjugend“ war es ganz genauso, auch er mußte vorerst politisch nicht brisantes<br />
Material weiterleiten, bevor er politische Diversionsaufträge übernehmen durfte. Das stand auch mit <strong>der</strong> üblichen<br />
Unterteilung <strong>der</strong> westdeutschen Agenten <strong>in</strong> „erprobt“, „zuverlässig“ und „unzuverlässig“ nicht <strong>in</strong> Wi<strong>der</strong>spruch. 81<br />
Seit Herbst 1952 im Dienste Gehlens, lieferte Dalchau se<strong>in</strong>em Führungsoffizier wie vere<strong>in</strong>bart, <strong>am</strong> Anfang nur<br />
wirtschaftsrelevante Informationen. Erst später dann auch Auskünfte über etwa 10 bis 12 leitende Mitarbeiter se<strong>in</strong>es<br />
Betriebes (Elektro-Apparate-Werk J. W. Stal<strong>in</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Treptow). „Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 beteiligte sich<br />
Dalchau an dem Putschversuch; er trat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Abteilung für die sofortige<br />
Arbeitsnie<strong>der</strong>legung e<strong>in</strong> und nahm auch an dem provokatorischen Marsch zum Haus <strong>der</strong><br />
M<strong>in</strong>isterien teil. Das Missl<strong>in</strong>gen des Putsches bedauerte er häftig“. 82<br />
Wie den Akten des Obersten Gerichts <strong>in</strong> Sachen Werner Haase entnomen werden konnte, war es letztendlich tatsächlich<br />
so, dass es den übergeordneten Stellen <strong>der</strong> Gehlen-Organisation <strong>in</strong> Ausnahmefällen durchaus möglich war, beson<strong>der</strong>s<br />
bedeuts<strong>am</strong>e „Untervertretungen“, „Filialen“ und Agenten direkt anzuleiten“.<br />
Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 wurde offensichtlich reichlich auf solche Ausnahmefälle zurückgegriffen. Ernst Wollweber räumte<br />
nachträglich jedenfalls e<strong>in</strong>: “Wir haben h<strong>in</strong>reichend Beweise, dass dieser Putsch organisiert wurde“. Für den<br />
Umsturz habe man laut des d<strong>am</strong>aligen höchsten Chef im Staatssekretariat für Staatssicherheit (SfS) „die Agenturen <strong>der</strong><br />
verschiedensten verbrecherischen Agenturen mobilisiert. Das gilt für alle, für die Agenturen <strong>der</strong> Gehlen<br />
Organisation... die Ostbüros und an<strong>der</strong>er“. 83<br />
Spätere Prozesse werden Wollwebers Aussagen bestätigen. Vor dem I. Strafsenat des K<strong>am</strong>mergerichts von Groß-Berl<strong>in</strong><br />
79<br />
Karl Friedrich Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Themen 2003, S.77<br />
80<br />
Neues Deutschland, Nr.259 vom 4.11.1953<br />
81<br />
Wilhelm von Schr<strong>am</strong>m, Geheimdienst im Zweiten Weltkrieg. –Organisationen, Methoden, Erfolge, Mit e<strong>in</strong>em<br />
Nachwort von Leo Hepp, Generalleutnant a. D., 4. erweiterte Auflage, Ulste<strong>in</strong> Verlag Frankfurt <strong>am</strong> Ma<strong>in</strong> 1986, S.<br />
394<br />
82<br />
Neue Justiz, Heft 22 vom 20.11.1954 (Beilage, S.7)<br />
83 Neues Deutschland, Nr.87 vom 13.4. 1954
egann 1954 e<strong>in</strong> <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht sehr aufschlussreicher Prozess gegen vier Gehlen Agenten, 84 denen man neben ihrer<br />
seit 1950 <strong>in</strong> Angriff genommenen Wirtschaftsspionage, ab <strong>Juni</strong> 1953, also unmittelbar vor dem Umsturzversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong><br />
<strong>Juni</strong> 1953 auch noch Wirtschaftssabotage nachweisen konnte.<br />
Da sie außerdem für den <strong>am</strong>erikanischen CIC spionierten, dürfte ihre Mitarbeit im M<strong>in</strong>isterium für Masch<strong>in</strong>enbau e<strong>in</strong>e<br />
beson<strong>der</strong>e Rolle <strong>in</strong> den Plänen bei<strong>der</strong> Geheimdienste gespielt haben. Zus<strong>am</strong>men entwendeten sie „regelmäßig<br />
vertrauliche und geheime Dokumente über Bestände an Engpassmaterialien und<br />
Planauflagen“, für ihre Auftraggeber.<br />
Ab <strong>Juni</strong> 1953 langte dies aber schon nicht mehr aus. Jetzt erst gaben sie „bewusst falsche Anordnungen und<br />
verzögerten wichtige Maßnahmen, um die wirtschaftlichen Grundlagen (des) ... Staates zu<br />
untergraben. Sie haben Betriebe, die wichtige Export- und Regierungsaufträge auszuführen<br />
hatten, entwe<strong>der</strong> überhaupt nicht mit Engpassmaterialien beliefert o<strong>der</strong> die Belieferung<br />
verzögert. Statt dessen wiesen sie solchen Betrieben Materialien zu, die dafür ke<strong>in</strong>e<br />
Verwendung hatten“. 85 Wirtschafts-Spionage und –Sabotage trug demnach zur Vorbereitung des Putsches, ebenso<br />
wie danach für den Versuch e<strong>in</strong>er neuen <strong>Provokation</strong>, im erheblichen Maße bei.<br />
Völlig daneben können Wollwebers Enthüllungen also gar nicht gelegen haben, auch deshalb nicht, weil <strong>der</strong> Prozess vor<br />
dem obersten Gericht (<strong>DDR</strong>) gegen sieben Gehlen Agenten Ende 1953 gleichfalls bestätigte: „Außer dieser<br />
Militär- und Wirtschaftsspionage hatten die Agenten Anweisungen, über die Lage <strong>in</strong> den<br />
demokratischen Parteien und Massenorganisationen, über die Stimmung <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
usw. Informationen zu geben“. 86<br />
Um ke<strong>in</strong>e Zweifel aufkommen zu lassen, hieß es im <strong>am</strong>tlichen Anklagetext dazu wörtlich: „Die Untersuchungen<br />
im Ermittlungsverfahren haben ergeben,... dass die Agenturen Gehlens im Auftrage ihrer<br />
vorgesetzten Geheimdienststellen aktiven Anteil an <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> faschistischen<br />
<strong>Provokation</strong>en vom <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 im demokratischen Sektor von Berl<strong>in</strong> und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen<br />
Demokratischen Republik genommen haben“. 87<br />
Dennoch blieb <strong>der</strong> Schwerpunkt des überwiegenden Teils <strong>der</strong> Gehlenagenten weitgehend auf den möglichen<br />
militärischen Konflikt, dem sogenannten Ernstfall (E-Fall) ausgerichtet. Gehlen baute dafür e<strong>in</strong> weitverzweigtes<br />
Funknetz auf, dessen Mitglie<strong>der</strong> sich nach den konzentrierten Schlägen des SfS aber nicht lange halten konnten. Ihre<br />
Aufgabe war es, dem Gehlen-Apparat alle möglichen Informationen zu übermitteln, um ihn so weitgehend auf den<br />
neuesten Stand zu halten. Zwar versicherte e<strong>in</strong> überwiegen<strong>der</strong> Teil verhafteter Agenten, sie sollten ihr Gerät erst im E-<br />
Fall benutzen, Gehlens-Funknetzführer Karl He<strong>in</strong>z Schmidt aber, e<strong>in</strong> Gehlen Mitarbeiter seit 1952, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />
dreiwöchige spezielle Funkausbildung h<strong>in</strong>ter sich brachte, bestätigte nach Nachbohren des Vorsitzenden vor dem<br />
obersten Gericht wörtlich:<br />
„Vorsitzen<strong>der</strong>: Trat dieser Fall (E-Fall) schon e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>?<br />
Schmidt: Ja, <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> (1953). Wir wollten Funken, haben aber ke<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung<br />
bekommen“. 88<br />
Ähnliches g<strong>in</strong>g aus e<strong>in</strong>en sichergestellten schriftlichen Agentenauftrag hervor, datiert auf den <strong>17.</strong> Juli <strong>1953.</strong> Inhaltlich<br />
g<strong>in</strong>g es um den Funke<strong>in</strong>satz dieses Agenten „bei den Unruhen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> und später“. Ausdrücklich<br />
wurden <strong>in</strong> dem Schreiben Verhaltensanweisungen nahegelegt „falls sich Unruhen o<strong>der</strong> Ausnahmezustand<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ostzone wie<strong>der</strong>holen“ sollten. 89<br />
E<strong>in</strong> weiteres gutes Beispiel dafür war Gehlen Mitarbeiter Bruno Panzer. Er stellte sich selbst. Auch ihn bildete man zum<br />
Funker aus. Er gab allerd<strong>in</strong>gs im Gegensatz zu mehreren Aussagen verhafteter Kriegsfunker offen zu, nicht nur im E-<br />
Fall gefunkt zu haben. Panzer wörtlich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er schriftlichen Erklärung vom 13.11.1953: „Tretner (me<strong>in</strong><br />
Führungsoffizier) sagte mir, dass ich nach Beendigung me<strong>in</strong>er Ausbildung wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die<br />
Deutsche Demokratiche Republik zurückkäme und e<strong>in</strong> Funkgerät erhalten würde. Ich sollte<br />
von an<strong>der</strong>en Leuten, die mit Tretner <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehen, verschiedene Informationen holen<br />
84<br />
Angeklagt waren die Gehlen-Agenten Paul Riegel, Rudolf Klare, Hildegard Büttner und Karl Richter.<br />
85<br />
Neues Deutschland, Nr.188 vom 13.8.1954<br />
86<br />
Neues Deutschland, Nr.300 vom 23.12.1953<br />
87<br />
Neues Deutschland, Nr. 297 vom 19.12.1953<br />
88<br />
Neues Deutschland, Nr.301 vom 24.12.1953, Neue Justiz, Nr.1, 5.1.1954<br />
89<br />
Neues Deutschland, Nr.260 vom 5.11.1953
und nach Westdeutschland senden, wo sich die Zentrale <strong>der</strong> Spionageorganisation“ befand. 90<br />
Dieser Arbeitsbereich westdeutscher Kriegsfunker wurde auch <strong>in</strong> den Untersuchungsprotokollen des Gehlen-Agenten<br />
Walter Schnei<strong>der</strong> aktenkundig. Schnei<strong>der</strong>, von 1938 bis 1945 HJ-Mitglied, 91 brachte es bis zum Oberreferent im<br />
M<strong>in</strong>isterium für Aufbau/ Hauptverwaltung Bau<strong>in</strong>dustrie. Er hatte laut Gerichtsurteil vom 21.12.1953 vor dem Obersten<br />
Gericht wörtlich: „<strong>in</strong> Abständen von drei Wochen Treffs mit den Agenten <strong>der</strong><br />
Spionageorganisation Gehlen durchgeführt und zwar <strong>in</strong>sges<strong>am</strong>t etwa zwölf Treffs. Se<strong>in</strong>e<br />
Berichte waren so umfassend, dass die Spionageorganisation daraus e<strong>in</strong> vollständiges Bild<br />
über das M<strong>in</strong>isterium für Aufbau und die Bau-Unionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Republik erhielt. Er nahm<br />
ferner Schreibübungen mit Geheimt<strong>in</strong>te vor, um eventuell se<strong>in</strong>e Berichte schriftlich<br />
übersenden zu können. Im übrigen lieferte er aus drei Städten <strong>der</strong> Deutschen Demokratichen<br />
Republik, und zwar aus Wernigerode, Halle und Leipzig, Berichte über den Verlauf <strong>der</strong><br />
<strong>Provokation</strong>en des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> (1953) nach West-Berl<strong>in</strong>. Ebenso übermittelte er e<strong>in</strong>e Reihe von<br />
Stimmungsberichten aus <strong>der</strong> Bevölkerung. Se<strong>in</strong>e Berichte waren für den Geheimdienst<br />
beson<strong>der</strong>s wertvoll“. 92<br />
Es ist also nicht nötig auf den bei Gehlen seit 1952 arbeitenden ehemaligen SS-Unterscharführer Hans-Joachim Koch, 93<br />
näher e<strong>in</strong>zugehen, obwohl auch er „als Leiter e<strong>in</strong>es sogenannten Funkkopfes“ im Raum von Berl<strong>in</strong><br />
Spionage<strong>in</strong>formationen an Banden sowie Agentengruppen, sprich Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO)<br />
weiterleiten sollte, „die von <strong>der</strong> Gehlen-Organisation <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> e<strong>in</strong>gesetzt werden sollten...<br />
Dann k<strong>am</strong> <strong>der</strong> Tag des faschistischen Putschversuches im <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> Bezeichnen<strong>der</strong>weise<br />
hatte <strong>der</strong> Agentenfunker Koch bereits vorher für diesen Tag den Auftrag bekommen, e<strong>in</strong>e<br />
„Probefunkverb<strong>in</strong>dung“ mit se<strong>in</strong>er Funkleitstelle herzustellen. Die Gehlen-Organisation<br />
wusste also, was <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> geschehen sollte. Und ihr Agentenfunker Koch alias Schubert<br />
bewies, dass er selbstständig zu arbeiten verstand. Fünfmal nahm er <strong>in</strong> diesen Tagen<br />
Verb<strong>in</strong>dung auf und berichtete über Truppenbewegungen <strong>der</strong> Sowjetarmee, wie er es gelernt<br />
hatte“. 94 Koch erhielt dafür, „für die Herstellung <strong>der</strong> Funkverb<strong>in</strong>dung <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953“ e<strong>in</strong>e<br />
beson<strong>der</strong>e Belohnung <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>maligen Zuwendung. 95<br />
E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Gehlen Mitarbeiter mit dem N<strong>am</strong>en Bruno Siegfried Kranz bestätigte ebenfalls im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> vor dem<br />
obersten Gericht, e<strong>in</strong> Spionageleiter habe ihm persönlich erklärt, „dass <strong>der</strong> „Tag X“, <strong>der</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>, <strong>der</strong><br />
„Polterabend“ war und dass im März die „Hochzeit“ folgen sollte, dass diese aber „besser“<br />
vorbereitet se<strong>in</strong> müsse als <strong>der</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>“. 96<br />
Demnach war Gehlens Spionageorganisation tatsächlich wie Wollweber bestätigte, sehr wohl an den Geschehnissen <strong>am</strong><br />
<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 aktiv <strong>in</strong>volviert, was noch immer streng geheim gehalten wird, wie e<strong>in</strong> bewusst mit halben Wahrheiten<br />
vollgestopftes Rundschreiben Gehlens zur „Politischen Ges<strong>am</strong>tlage <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>“ vom 20. <strong>Juni</strong> 1953 beweist.<br />
Inhaltlich wurden wie schon im zuvor sichergestellten „Generellen Auftrag für ALLE“, gezielt für den<br />
Nichte<strong>in</strong>geweihten wirre Aussagen gemacht.<br />
Näher betrachtet aber war dies zur d<strong>am</strong>aligen Zeit tatsächlich Gehlens politisch offizieller Standpunkt. An<strong>der</strong>erseits<br />
zeigt sich d<strong>am</strong>it eigentlich nur wie<strong>der</strong>holt die Bereitschaft, im gegebenen Fall auch eigene Mitarbeiter zu<br />
Dess<strong>in</strong>formieren. Nur so war <strong>der</strong> Gehlen-H<strong>in</strong>weis, sämtliche Handlungen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> wären <strong>in</strong> Wirklichkeit „von<br />
östlicher Seite <strong>in</strong>szenierte Aktionen“ gewesen, zu verstehen. 97<br />
In e<strong>in</strong>em weiteren Schreiben „an den Leiter <strong>der</strong> Filiale 120/ A zu Erfahrungen und<br />
Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953“ sagten sie es dann auch erstmals selbst:<br />
Zum<strong>in</strong>dest „III-mäßige Spitzenquellen“, sprich Mitarbeiter aus ihrer Hauptabteilung III „Abwehr und<br />
Gegenspionage“ standen unter beson<strong>der</strong>em Schutz:<br />
90<br />
Neues Deutschland, Nr. 274 vom 22.11.1953<br />
91<br />
Neue Justiz, Nr.1, 5.1.1954<br />
92<br />
Hg. Oberstes Gericht, Entscheidungen des Obersten Gerichts <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, 3. Band, VEB Deutscher Zentralverlag Berl<strong>in</strong> 1954, S.52<br />
93<br />
Neues Deutschland, Nr.134 vom 11.6.1955<br />
94<br />
Neues Deutschland, Nr.135 vom 12.6.1955<br />
95<br />
Neue Justiz, Nr.13 vom 5.7.1955, S.398<br />
96<br />
Neues Deutschland, Nr.299 vom 22.12.1953<br />
97<br />
Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003, S.269
„Über die Absichten und Entschlüsse im Voraus kann letzten Endes nur e<strong>in</strong>e Elite von<br />
politischen (ZK <strong>der</strong> SED, Sowjetische Hochkommission, Regierungsstellen) und III-mäßigen 98<br />
(MWD und SSD) Spitzenquellen berichten“. 99<br />
Weiter vorn wurde im selben Dokument sogar erstmals offen auf Gehlens wahrgenommene Kontrollfunktion <strong>am</strong> <strong>17.</strong><br />
<strong>Juni</strong> 1953 kritisch näher e<strong>in</strong>gegangen, auch BND-„Son<strong>der</strong>verb<strong>in</strong>dungen bei KgU, UfJ, VPO, Ost-Büros,<br />
Gewerkschaften usw.“ zu den Agentenzentralen wurden erstmals n<strong>am</strong>entlich erwähnt. 100<br />
Neben den erstmals selbst erwähnten „Son<strong>der</strong>verb<strong>in</strong>dungen“ zu den unzähligen Geheimdiensthilfsorganisationen<br />
(GHO) liefen Gehlens geknüpfte Kontakte zum Kaiser M<strong>in</strong>isterium, „und über den ehemaligen<br />
Nazigeneraloberst Lutz zum Bonner Kriegsm<strong>in</strong>isterium Blank“ im entscheidenden Zeitpunkt natürlich<br />
ebenfalls reibungslos. 101<br />
Über 400 verhaftete Gehlen Agenten auf <strong>DDR</strong>-Hoheitsgebiet <strong>in</strong> den Jahren 1953/54 zeigen auf gleiche Weise, wie<br />
immens dieser nachrichtendienstliche E<strong>in</strong>fluss auf diese Ereignisse zum<strong>in</strong>dest von westdeutscher Seite aus gewesen<br />
se<strong>in</strong> muss.<br />
Den meisten Verhafteten gelang es vor Gericht nicht, ihre faschistische Vergangenheit zu verbergen. Siegfried Altkrüger<br />
zum Beispiel, seit Mitte 1951 Gehlen-Mitarbeiter, „gehörte von 1933 bis 1936 <strong>der</strong> Hitlerjugend an“. 102 Der<br />
Gehlen-Mitarbeiter seit März 1952, Walter Rennert, „gehörte von 1932 bis März 1933 <strong>der</strong> NSDAP und<br />
<strong>der</strong> SA an“. 103 Auch Helmut Schwenk, seit Ende August 1953 im Dienste Gehlens, marschierte zum<strong>in</strong>dest bis 1936 <strong>in</strong><br />
den Reihen des „faschistischen Deutschen Jungvolk und später <strong>der</strong> Hitlerjugend“ mit. 104<br />
Die Spione Gehlens waren noch dazu zur fraglichen Zeit, wie Ma<strong>der</strong> versichert, bei den Akten „des <strong>in</strong>dividuellen<br />
und Massenterrors... die treibenden Kräfte“. 105 Obwohl sich deutsche Agenten nach eigenen Angaben<br />
zurückhielten, führten sie für Sabotagezwecke <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> BND Generaldirektion (GD) sogar e<strong>in</strong> eigenes Ressort<br />
(Abteilung II) dessen Führungsoffiziere sich überwiegend mit Wirtschaftssabotage beschäftigten. 106<br />
Gehlens leiten<strong>der</strong> Mitarbeiter seit Januar 1951, Wolfgang Paul Höher, sagte dazu vor Gericht unzweideutig aus,<br />
nämlich, „dass die aus <strong>der</strong> Wirtschaft bei <strong>der</strong> Gehlen-Zentrale e<strong>in</strong>laufenden<br />
Spionagemeldungen sofort für die Organisierung von Sabotage ausgewertet werden“. 107<br />
******************XXXXXXXXX<br />
Ergebnise aus Gehlens berüchtigter Militärspionage dienten ebenfalls <strong>in</strong> nicht unbedeutendem Maße<br />
Sabotage-Zwecken. Sie sollten aber erst nach dem sogenannten E-Fall voll zum Tragen kommen. E<strong>in</strong> eigenes<br />
Sabotageorgan („Technische Nothilfe“) befand sich dafür unter <strong>der</strong> Leitung des früheren SS-Generals Somann <strong>in</strong><br />
Augsburg. Ihre Agenten sollten vor, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aber nach Ausbruch des Krieges „<strong>in</strong> Gruppen zum Zwecke<br />
<strong>der</strong> Sabotage zus<strong>am</strong>mengefasst werden“. 108<br />
D<strong>am</strong>it ist es erwiesen, Gehlens Militärspionage stand mit Sabotage sowie Diversion im engen Zus<strong>am</strong>menhang, wie<br />
auch se<strong>in</strong> ehemaliger Mitarbeiter: Mart<strong>in</strong> Klotz, im November 1954 <strong>in</strong> Leipzig vor Gericht deutlich hervorhob.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e den Sabotageakten auf Eisenbahn- o<strong>der</strong> Straßen-brücken habe man e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Beachtung gewidmet,<br />
zumal verschiedene Agentenzentralen, bereits <strong>in</strong> Friedenszeiten Brücken mit Sprengstoffen zerstören wollten.<br />
Mitglie<strong>der</strong> des Verbandes unter Leitung von Janke + Vogelsang zum Beispiel, versuchten <strong>in</strong> den Gebieten von<br />
Magdeburg, bzw. Ankl<strong>am</strong> e<strong>in</strong>e solche Tat auszuführen. 109 An<strong>der</strong>e, diesmal KgU-Agenten, hatten vor im Oktober 1953<br />
e<strong>in</strong>e Eisenbahnbrücke <strong>in</strong> Kaputh zu sprengen. 110 In Leipzig versuchten Terroristen aus dem selben Verband e<strong>in</strong>e größere<br />
98<br />
III steht für Abwehr und Gegenspionage –gemäß <strong>der</strong> Zuständigkeit <strong>der</strong> Hauptabteilung III <strong>der</strong> Pullacher Zentrale. III-Quellen= Infiltration und<br />
Irreführung (mit Spielmaterial) ausländischer Geheimdienste und Aufklärungsorgane. / J. Ma<strong>der</strong>, Nicht länger geheim, 1978, S.286<br />
99<br />
Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003, S. 280<br />
100<br />
Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003, S. 280<br />
101<br />
Neues Deutschland, Nr.264 vom 10.11.1953<br />
102<br />
Neue Justiz, Nr.1, 5.1.1954<br />
103<br />
Neue Justiz, Nr.1, 5.1.1954<br />
104<br />
Neue Justiz, Nr.1, 5.1.1954<br />
105<br />
Ma<strong>der</strong> Julius, Nicht länger geheim, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1977<br />
106<br />
Neue Justiz, Nr.22 vom 20.11.1954, S.652<br />
107<br />
Neues Deutschland, Nr.260 vom 5.11.1954<br />
108<br />
Neue Justiz, Nr.22 vom 20.11.1954, S.652<br />
109<br />
Neues Deutschland, Nr.1 vom 1.1.1953<br />
110<br />
Neues Deutschland, Nr.266 vom 7. 11.1953
För<strong>der</strong>brücke des Komb<strong>in</strong>ats Otto Grotewohl mit selben Mitteln zu zerstören. 111<br />
Mart<strong>in</strong> Klotz, seit 1951 Gehlen-Mitarbeiter, hat außerdem nach eigenen Angaben vor Gericht, „im Dezember 1952<br />
den Auftrag erhalten, im Umfeld von Leipzig geeignete Abwurfplätze zu erkunden, die im<br />
Kriegsfall von USA-Flugzeugen angeflogen und wo Agentengruppen <strong>der</strong> Gehlen-Organisation<br />
mit Sprengstoff, Waffen, technischen Ausrüstungen und Lebensmitteln versorgt werden<br />
sollten. Den Agentengruppen war die Aufgabe gestellt, wichtige Eisenbahn- und<br />
Autobahnknotenpunkte, Straßen- und Eisenbahnbrücken zu sprengen um so das<br />
Versorgungsnetz <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> zu stören und ihre Verteidigungsfähigkeit zu untergraben“. 112<br />
Primär- o<strong>der</strong> Ausgangs<strong>in</strong>formationen dafür lieferten wie<strong>der</strong>um, entwe<strong>der</strong> mit dem Auslandsnachrichtendienst <strong>in</strong><br />
Verb<strong>in</strong>dung stehende Agentenzentralen o<strong>der</strong> eigene, so genannte Ü-Quellen. Gehlen Mitarbeiter Karl Julius Wilhelm<br />
Bandelow war e<strong>in</strong>er von ihnen. Er saß im Rang e<strong>in</strong>es Hauptreferenten ohne behelligt zu werden, jahrelang im<br />
„Staatssekretariat für Kraftverkehr und Straßenwesen“ <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>.<br />
Deswegen fiel es Bandelow auch leicht, „genaue Pläne (<strong>am</strong>tliche Brückenbücher) über das<br />
Straßennetz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik, <strong>in</strong> denen sämtliche Eisenbahn- und<br />
Flussbrücken sowie Über- und Unterquerungen von Hauptstraßen maßstabsgerecht<br />
e<strong>in</strong>gezeichnet waren (zu liefern).<br />
Über die Neuprojektierung von Straßen, Eisenbahn- und Flussbrücken sowie über an<strong>der</strong>e<br />
verkehrstechnische Objekte (h<strong>in</strong>gegen) lieferte die Beschuldigte (Gehlen Agent<strong>in</strong> Käthe) Dorn<br />
die <strong>am</strong>tlichen Unterlagen“. 113<br />
Gehlen <strong>in</strong>teressierte sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für Straßenüberquerungen, weil Brücken im Krieg e<strong>in</strong>e bedeutende Rolle spielen,<br />
sie s<strong>in</strong>d wichtig für e<strong>in</strong>e genaue Ausarbeitung von detaillierten Angriffsplänen. Aber auch um e<strong>in</strong>en Krieg<br />
vorzubereiten. 114 Deshalb wollte er „die Tragfähigkeit <strong>der</strong> Straßenbrücken“ wissen.<br />
Frage des Vorsitzenden: „Wieso <strong>in</strong>teressierte man sich für die Tragfähigkeit“?<br />
Bandelows Antwort: „Der Fe<strong>in</strong>d sollte Kenntnis erhalten, welche Lasten den Brücken zuzumuten<br />
war und wie viel Sprengstoff man für die Sprengung benötigte“. 115<br />
Zus<strong>am</strong>mengetragene Informationen über ostdeutsche Bahnl<strong>in</strong>ien dienten ganz genau den selben Zwecken, wie e<strong>in</strong><br />
<strong>DDR</strong>-Sachverständiger se<strong>in</strong>erzeit vor Gericht erläuterte. Er legte dar, „dass schon vor dem 1. Weltkrieg und<br />
noch mehr vor dem 2. Weltkrieg <strong>der</strong> große Generalstab sich für die Be- und Entladungen, für<br />
Langs<strong>am</strong>fahrtstellen, für Buch- und Bildfahrpläne ganz beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>teressiert hat“, 116 denn<br />
Autobahnstrecken, Eisenbahnnetze, Verkehrsknotenpunkte bis h<strong>in</strong> zu Wasserstraßen spielten seit jeher e<strong>in</strong>e bedeutende<br />
Rolle für e<strong>in</strong>en reibungslosen Angriffskrieg. 117<br />
-Secret Intelligence Service (SIS)<br />
Noch im selben <strong>Juni</strong> 1953 gelang es den ostdeutschen Sicherheitsbehörden den englischen Agenten Arthur Näser aus<br />
Gärtiz (bei Döben/ Sachsen) festzunehmen. Bereits 1951 überfiel er e<strong>in</strong> SED-Mitglied, um danach nach Westberl<strong>in</strong><br />
zu flüchten. „Dort suchte er den <strong>am</strong>erikanischen und den britischen Spionagedienst auf, um<br />
ihnen gegen Geld Angaben über die Deutsche Demokratische Republik zu machen. Bei dieser<br />
Gelegenheit wurde Näser (von ihnen) als Agent zur ständigen Mitarbeit... geworben. Mit<br />
Aufträgen <strong>der</strong> Agentenzentralen versehen, kehrte er nach e<strong>in</strong>iger Zeit nach Rärtiz zurück...<br />
Näser versuchte im Ort Unfrieden zwischen den E<strong>in</strong>wohnern zu stiften... und Anhänger für<br />
se<strong>in</strong>e Spionagetätigkeit zu gew<strong>in</strong>nen. E<strong>in</strong>ige Zeit vor dem „Tag X“ trat er mit immer<br />
aggressiveren Äußerungen auf, erklärte, dass er „zur gegebenen Zeit aufräumen“, bzw.<br />
111 Neues Deutschland, Nr.5, 7.1.1953<br />
112 Neues Deutschland, Nr.259 vom 4.11.1954<br />
113 Neues Deutschland, Nr.257 vom 2.11.1954<br />
114 Neues Deutschland, Nr.259 vom 4.11.1954<br />
115 Neues Deutschland, Nr. 258 vom 3.11.1952<br />
116 Neue Justiz, Nr.22 vom 20.11.1954, S.651<br />
117 Unsere Zeit (UZ) ,UZ-Spezial, Autorenkollektiv, Der 13.August 1961, CommPress Verlag Essen 2001, S.10
Funktionäre ermorden wolle usw. Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 verbreitete er dann Regierungsumsturzparolen. Zugleich<br />
„for<strong>der</strong>te Näser die Bauern auf, ke<strong>in</strong>e landwirtschaftlichen Produkte mehr abzuliefern, um so<br />
die Versorgung <strong>der</strong> städtischen Bevölkerung zu sabotieren und unter den Arbeitern<br />
Unzufriedenheit hervorzurufen“. 118<br />
E<strong>in</strong> weiterer Agent des englischen Geheimdienstes konnte <strong>in</strong> Nordhausen (Thür<strong>in</strong>gen) entlarvt werden. Es handelte sich<br />
um e<strong>in</strong>en im Betrieb ABUS tätigen Herr Reckstatt, e<strong>in</strong>st Oberfeldwebel unter Hitler. Nach dem Zus<strong>am</strong>menbruch k<strong>am</strong> er<br />
<strong>in</strong> englische Kriegsgefangenschaft. „Auf <strong>der</strong> englischen Spionageschule <strong>in</strong> Wilton Park“ erhielt Reckstatt<br />
dann se<strong>in</strong>e Anweisungen zur Spionage, bzw. Sabotage. Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 gehörte er zu den Rädelsführern <strong>in</strong><br />
Nordhausen. 119<br />
Als im Oktober 1953 vor dem I. Strafsenat <strong>in</strong> Magdeburg, mehrere KgU-Agenten vor Gericht standen, befand sich auch<br />
Kurt Groß unter ihnen. Se<strong>in</strong>en Mitstreitern viel es zu, den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 vor Ort vorzubereiten. Groß hatte u. a. den<br />
Auftrag „Güterzüge <strong>in</strong> Brand zu stecken und die große Turb<strong>in</strong>e“ des Filmwerks Wolfen <strong>in</strong> Bitterfeld<br />
(bei Dessau/ Sachsen-Anhalt) stillzulegen.<br />
„Seit 1931 war Groß Mitglied <strong>der</strong> SA und <strong>der</strong> Nazipartei... (Man setzte ihn) als Bewachung im<br />
Konzentrationslager <strong>in</strong> Zörbig e<strong>in</strong>...<br />
Von 1944 bis 1947 weilte er als Kriegsgefangener <strong>in</strong> England und erhielt dort <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Lagern se<strong>in</strong>e Agentenausbildung“. 1948 trat er zur Tarnung <strong>der</strong> SED bei, ließ sich 1949 <strong>in</strong> die<br />
BGL wählen und wurde 1951 BGL-Vorsitzen<strong>der</strong>“. 120<br />
Zur reibungslosen Informationsübermittlung aus <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> hatten englische Geheimdienstoffiziere natürlich noch vor<br />
dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> eigene Kurierdienste e<strong>in</strong>gerichtet. Ihr Agent Friedrich He<strong>in</strong>e war e<strong>in</strong>er dieser Kuriere. Er ließ sich im Mai<br />
1953 bei e<strong>in</strong>em Besuch <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong>, von dem Hauptagenten Albrecht alias Günter für den englischen Geheimdienst<br />
anwerben. „Er erhielt den Deckn<strong>am</strong>en „Kurt Weber“ und beför<strong>der</strong>te als Kurier<br />
Spionageberichte“. 121<br />
<strong>Provokation</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> –Geheimdiensthilfsorganisationen.<br />
An <strong>der</strong> Massendemonstration, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aber an <strong>der</strong> <strong>Provokation</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 nahmen zahlreiche<br />
→Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO) teil.<br />
Während die CIA den Kopf <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> NATO und das Kaiserm<strong>in</strong>isterium das Leitungsorgan des Unternehmens:<br />
„Operation <strong>DDR</strong>“ darstellten, gehörten die nationalen westeuropäischen Geheimdienste zum rechten und die<br />
zahlreichen →Geheimdiensthilforganisationen (GHO) zweifelsohne zum l<strong>in</strong>ken Standbe<strong>in</strong> des Unternehmens.<br />
Dabei g<strong>in</strong>gen durchaus nicht alle Agentenzentralen ausschließlich gegen die <strong>DDR</strong> vor, vielmehr bearbeiteten<br />
ausländische Geheimdiensthilfsorganisation für die →<strong>Provokation</strong> nicht selten e<strong>in</strong> ganz spezifisches<br />
volksdemokratisches Land. Die <strong>in</strong> Deutschland aktiven Untergrundorganisationen vom Schlage des<br />
→Antibolschewistischen Blocks <strong>der</strong> Nationen (ABN) zum Beispiel, werden daher <strong>in</strong> <strong>der</strong> anschließenden Aufzählung<br />
nicht erwähnt. 122<br />
Dafür aber werden die mit dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> Zus<strong>am</strong>menhang stehenden 39 deutschen<br />
Geheimdiensthilfsorganisationen ausführlich beschrieben. Es geht darum, e<strong>in</strong>en ersten Überblick über faschistoide, mit<br />
dem Geheimdienst kooperierenden Agentenzentralen zu geben.<br />
Ob man sie „freiwillige Gruppen“, Kreise, Gesellschaften, Son<strong>der</strong>organisationen, Subversionszentralen,<br />
Geheimorganisationen, Zubr<strong>in</strong>gerorgane, Agenturen, Untergrundorganisationen, Agentenzentralen o<strong>der</strong> treffend<br />
Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO) nennt, spielt <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang ke<strong>in</strong>e Rolle, denn ihre<br />
Handlangerdienste <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> vor wie während des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 im Rahmen „Operation <strong>DDR</strong>“ s<strong>in</strong>d<br />
aktenkundig. Fricke aber behauptet doch tatsächlich allen ernstes: „E<strong>in</strong> Beweis, das <strong>der</strong> Aufstand von<br />
westlichen Agentenzentralen (mit)geplant, (mit)vorbereitet und (mit)gesteuert worden war,<br />
ist... <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Strafprozess gegen Akteure des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> erbracht worden. Er existiert<br />
nicht“. 123<br />
118 Neues Deutschland, Nr.151 vom 1.7. 1953<br />
119 Neues Deutschland, Nr.173 vom 26.7.1953<br />
120 Neues Deutschland, Nr.234 vom 6.10.1953<br />
121 Neues Deutschland, Nr.194 vom 20.8.1954<br />
122 ABN= Anti-Bolshevist Bloc of Nations<br />
123 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.230
E<strong>in</strong>e solche Aussage muss natürlich überraschen, denn <strong>in</strong> Wirklichkeit standen auch ausländische<br />
Geheimdiensthilfsorganisationen vor Gericht, weil sie an den Vorbereitungen des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> beteiligt waren. Der<br />
ehemalige russische M<strong>in</strong>isterpräsident und d<strong>am</strong>alige Führer <strong>der</strong> „Vere<strong>in</strong>igung russischer<br />
Wi<strong>der</strong>standskämpfer gegen den Bolschewismus“: Alexan<strong>der</strong> Kerenski, rühmte sich jedenfalls „nach<br />
dem Putsch, <strong>in</strong> Beise<strong>in</strong> des Angeklagten Mangelsdorf..., zur Vorbereitung des Putsches<br />
beigetragen zu haben“. 124<br />
E<strong>in</strong>leitend muss deshalb auf den allen Ansche<strong>in</strong> <strong>am</strong> schwersten zu wie<strong>der</strong>legenden Vorwurf Frickes, es würden<br />
nirgendwo, <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Strafprozess Beweise für den von westlichen Agentenzentralen „(mit)geplanten,<br />
(mit)vorbereitet und (mit)gesteuerte(n)“ Putsch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 existieren, näher e<strong>in</strong>gegangen werden.<br />
Vorweg, denn im Gerichtsverfahren vor dem Strafsenat 1b des Stadtgerichtes Berl<strong>in</strong> Ende August 1953, gegen e<strong>in</strong>e<br />
Gruppe des Gladio-Vorläufers BDJ konnten sämtliche Behauptungen Frickes e<strong>in</strong>wandfrei wie<strong>der</strong>legt werden.<br />
Die vor Gericht stehende, beson<strong>der</strong>s brutale, berl<strong>in</strong>er Franktion des BDJ wurde selbst laut „National-Zeitung“<br />
(Berl<strong>in</strong>, 14.Januar 1951) vom <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst CIC aufgebaut. Ihre Leiter waren zuvor entwe<strong>der</strong><br />
ehemalige SS-Offiziere o<strong>der</strong> haupt<strong>am</strong>tliche HJ-Mitarbeiter. Viele von ihnen s<strong>in</strong>d nach 1945 <strong>in</strong> <strong>am</strong>erikanischen<br />
Gefangenenlagern für ihre Spionageaufgaben vorbereitet worden.<br />
Alle Angeklagten des Berl<strong>in</strong>er BDJ nahmen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 an den Gewaltausschreitungen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> teil. Am<br />
Alexan<strong>der</strong>platz haben sie e<strong>in</strong>en später <strong>in</strong> Brand gesetzten Regierungswagen überfallen, dessen Insassen sie<br />
misshandelten. Die Gewaltausschreitungen waren geplant und <strong>der</strong> BDJ <strong>in</strong> den Planungen mite<strong>in</strong>gebunden, wie auch die<br />
Aussagen zweier e<strong>in</strong>facher Mitläufer (Hans-Ulrich Blaeske und Gerhard Müller) vor Gericht bestätigten. In den<br />
Gerichtsakten stand dazu wörtlich:<br />
Blaske „wurde e<strong>in</strong>ige Wochen vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> von e<strong>in</strong>er Prostituierten aus <strong>der</strong> Barnimstraße<br />
mit nach Westberl<strong>in</strong> genommen und dort mit e<strong>in</strong>em Mann, <strong>der</strong> sich „Klabunde“ nannte, <strong>in</strong><br />
Verb<strong>in</strong>dung gebracht. Dieser Klabunde stellte sich Blaske offen als Agent des englischen<br />
Geheimdienstes vor und <strong>in</strong>struierte Blaske ebenfalls für bevorstehende „Überraschungen <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Ostzone“. Nach Aussagen <strong>der</strong> Ehefrau erschien Klabunde kurz vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> noch<br />
e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wohnung des Angeklagten. Blaeske ließ sich aus Furcht verleugnen“. 125<br />
Gerhard Müller dagegen gab vor Gericht zu, „wenige Tage vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> gewesen und<br />
dort mit e<strong>in</strong>em Mann <strong>in</strong>s Gespräch gekommen zu se<strong>in</strong>, <strong>der</strong> sich als Mitglied <strong>der</strong> berüchtigten<br />
„K<strong>am</strong>pfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ ausgab. Auch Müller erhielt dadurch Mitteilung<br />
von bevorstehenden „Unruhen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ostzone“ und verabredete mit dem Mann e<strong>in</strong>e neue<br />
Zus<strong>am</strong>menkunft“. 126<br />
Insbeson<strong>der</strong>e aber das BDJ-Mitglied: Horst Hertel ließ an denen von westdeutschen Geheimdiensthilfsorganisationen<br />
(GHO) mitgeplanten, mitvorbereiteten und mitgesteuerten Umsturzversuch ke<strong>in</strong>e Zweifel aufkommen. Laut Gerichts-<br />
Protokoll äußerte er wörtlich:<br />
„Frage: Wo hielten Sie sich <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 auf?<br />
Antwort: Den ganzen Tag über war ich im demokratischen Sektor Berl<strong>in</strong>s... Ich b<strong>in</strong> seit<br />
ungefähr November/ Dezember 1952 Mitglied des „Bundes Deutscher Jugend“ <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong>.<br />
Seitdem ich Mitglied b<strong>in</strong>, besuche ich regelmäßig die Gruppenabende des „Bundes Deutscher<br />
Jugend“ im <strong>am</strong>erikanischen Sektor... Unsere Gruppe umfasste ungefähr 30 Personen...<br />
Frage: Worüber wurde <strong>in</strong> den von Ihnen als Gruppenabende bezeichneten Vers<strong>am</strong>mlungen<br />
gesprochen?<br />
Antwort:... Uns wurde e<strong>in</strong>geredet, dass wir gegen die Deutsche Demokratische Republik<br />
kämpfen sollen und dabei ke<strong>in</strong>erlei Mittel scheuen dürfen. Zu diesem Zweck wurden wir an<br />
Schusswaffen ausgebildet. Ich selbst habe an zwei solchen Zus<strong>am</strong>menkünften teilgenommen,<br />
bei denen unsere Gruppe von „Toska“ an Sportgewehren <strong>am</strong>erikanischer Herkunft<br />
ausgebildet wurde. Uns wurde das Gewähr erklärt, wie man es ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> nimmt, wie man<br />
zielt und so weiter. Am Schluss dieser Zus<strong>am</strong>menkünfte wurden jeweils Aufträge an die<br />
124 Neue Justiz (Zeitschrift für Recht und Rechtswisenschaft), Nr.16 vom 20. August 1984, Berl<strong>in</strong>/<strong>DDR</strong>, S.463<br />
125 Neues Deutschland, Nr.200 vom 27.8.1953<br />
126 Neues Deutschland, Nr.200 vom 27.8.1953
e<strong>in</strong>zelnen Mitglie<strong>der</strong> verteilt. Die Mitglie<strong>der</strong> wurden bei diesen Vers<strong>am</strong>mlungen beauftragt,<br />
Flugblätter mitzunehmen und im demokratischen Sektor zu verbreiten.<br />
Frage: Wann nahmen Sie das letzte Mal an e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>artigen Zus<strong>am</strong>menkunft des „Bundes<br />
Deutscher Jugend „ teil?<br />
Antwort: Am 13. <strong>Juni</strong> 1953 wurde unsere Gruppe zu e<strong>in</strong>er Zus<strong>am</strong>menkunft e<strong>in</strong>berufen. Die<br />
Zus<strong>am</strong>menkunft k<strong>am</strong> für uns alle überraschend, weil wir erst kurze Zeit vorher zus<strong>am</strong>men<br />
waren... Die Anführer sagten, dass es nun so weit ist, dass die Regierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen<br />
Demokratischen Republik zus<strong>am</strong>menbricht... „Toska“ sowie „Catcher“ erklärten, dass im<br />
demokratischen Sektor und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik Unruhen organisiert<br />
würden und dass es unsere Aufgabe wäre, zu diesem Zeitpunkt im demokratischen Sektor zu<br />
provozieren. Unruhe zu stiften. Transparente herunterzureißen und tätlich gegen alle<br />
diejenigen vorzugehen, die uns bei <strong>der</strong> Durchführung dieser Aufträge h<strong>in</strong><strong>der</strong>n sollten.<br />
Frage: Sagen Sie darüber ausführlicher aus!<br />
Antwort: Der Amerikaner „Toska“ unterrichtete uns, dass es im demokratischen Sektor und<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik Unruhen geben wird. Wer diese Unruhen<br />
organisiert und an welchem Tage die Unruhen ausbrechen werden, sagte er uns nicht. Er<br />
verlangte jedoch von uns, dass wir als organisierte Mitglie<strong>der</strong> des „Bundes Deutscher Jugend“<br />
zu dem Zeitpunkt, wenn die Unruhen ausbrechen, selbst sofort losschlagen, auf die Straße<br />
gehen, provozieren und schlagen sowie Transparente herunterreißen sollten, um d<strong>am</strong>it selbst<br />
Unruhen zu stiften und die Unruhen auszubreiten. Auch <strong>in</strong> dieser letzten Zus<strong>am</strong>menkunft<br />
wurden wir nochmals an <strong>der</strong> Schusswaffe ausgebildet. Bevor wir ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> g<strong>in</strong>gen,<br />
bek<strong>am</strong>en alle Teilnehmer an <strong>der</strong> Zus<strong>am</strong>menkunft –so auch ich- e<strong>in</strong>e größere Menge<br />
Flugblätter und dazu den Auftrag, diese auf <strong>der</strong> Heimfahrt im demokratischen Sektor zu<br />
verbreiten“. 127<br />
D<strong>am</strong>it ist unzweideutig belegt, wie Geheimdiensthilfsorganisationen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> nicht nur mitprovozierten, son<strong>der</strong>n<br />
auch auf ihre Weise, im Vorfeld dazu beitrugen den Umsturzversuch vorzubereiten. Wahr dagegen ist, nicht allen<br />
Agentenzentralen konnte e<strong>in</strong>e Beteiligung an den Geschehnissen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 vor Ort nachgewiesen werden, wie<br />
zum Beispiel e<strong>in</strong>er im Norden Berl<strong>in</strong>s etablierten „Dienststelle Nord“, 128 o<strong>der</strong> dem berüchtigten<br />
„Informationsbüro West“ (IBW). Wenn dieselben Organisationen aber nicht gerade <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />
spionierten, dann taten sie es <strong>in</strong> aller Regel im westdeutschen H<strong>in</strong>terland. Was ebenfalls zur Kriegsvorbereitung beitrug.<br />
Ihre gespielte Rolle im Rahmen d<strong>am</strong>aliger NATO-Kriegsvorbereitungen, hatte demnach, was e<strong>in</strong>fach nicht geleugnet<br />
o<strong>der</strong> übersehen werden darf, e<strong>in</strong>en festen Platz <strong>in</strong>nerhalb d<strong>am</strong>aliger historischer Entwicklungen. Soweit geht Fricke<br />
natürlich nicht. E<strong>in</strong> Blick auf dieselbe West- wie Ost-Arbeitsweise diverser Geheimdiensthilfsorganisationen würde<br />
schließlich se<strong>in</strong>e demokratisch antikommunistische Denkweise, bzw. jene staatlicher Stellen, was auf dasselbe<br />
h<strong>in</strong>ausläuft, sofort <strong>in</strong> Frage stellen. Deshalb also s<strong>in</strong>d Informationen über Inlandsaufklärung unterschiedlichster auch<br />
gegen die <strong>DDR</strong> arbeiten<strong>der</strong> Geheimdiensthilfsorganisationen jahrelang systematisch unterschlagen worden, obwohl alle<br />
Ostbüros bis h<strong>in</strong> zur KgU, VOS, VVF o<strong>der</strong> BDJ den <strong>in</strong>nenpolitischen Gegnern <strong>in</strong> Westdeutschland h<strong>in</strong>terherspionierten.<br />
Im Progr<strong>am</strong>m des „K<strong>am</strong>pfbundes gegen den Bolschewismus“ sah es nicht an<strong>der</strong>s aus, auch sie boten <strong>in</strong><br />
„streng vertraulichen“ Briefen den Unternehmern an, „im Betrieb die Überwachung „radikaler<br />
Elemente“ zu übernehmen“. 129<br />
Selts<strong>am</strong> ist auch, das man <strong>in</strong> Westdeutschland immerzu nur vom BDJ sprach, selbst <strong>in</strong> L<strong>in</strong>ken Zeitungen, obwohl<br />
Agentenzentralen sich seit 1950 nicht verr<strong>in</strong>gerten, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> den darauffolgenden Jahren quantitativ ständig<br />
zunahmen. Zus<strong>am</strong>menfassend fällt außerdem auf, dass e<strong>in</strong> überwiegen<strong>der</strong> <strong>am</strong> Umsturzversuch beteiligter Teil<br />
westdeutscher Geheimdiensthilfsorganisationen, unter Anleitung des <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes, sprich, den<br />
eigentlichen Drahtziehern <strong>in</strong>nerhalb des NATO-Nachrichtendienstes agierte. Abteilung I des CIA diente aktenkundig<br />
als Koord<strong>in</strong>ationsabteilung sämtlicher Agentenzentralen.<br />
Dennoch mischten nicht alle faschistischen Organisationen im geheimen Krieg gegen das demokratische Deutschland<br />
mit, was schließlich selbst für den <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst zuviel des Guten gewesen wäre. E<strong>in</strong> eigenständiges<br />
127 Neues Deutschland, Nr.150 vom 30.6.1953<br />
128 Die Welt, Montag 26. Juli 1954<br />
129 Neues Deutschland, Nr.231 vom 2.10.1955
Handeln deutscher Faschisten war e<strong>in</strong>fach nicht vorgesehen. Deswegen waren zum Beispiel, sämtliche stark besetzten,<br />
militaristischen Soldatenverbände auch nur „als Reservoir gedacht, aus dem die westberl<strong>in</strong>er<br />
Agentenzentralen ihre... Bestände an Agenten und Spionen“ auffüllten. 130<br />
Seit 1948 bediente man sich nachweislich solcher Methoden. Stahlhelm-Mitglied Erhard Geese aus Berl<strong>in</strong> zum<br />
Beispiel, führte mit Wissen des CIC aktenkundig „bewährte“ Faschisten dem KgU-Terrortrupp zu. Solche<br />
„Agentenschlepper“ fand man d<strong>am</strong>als <strong>in</strong> nahezu jedem militaristischen Soldatenverband vor. Mitarbeiter des CIC<br />
sahen dafür „ständig die sorgfältig geführten Mitglie<strong>der</strong>karteien <strong>der</strong> Traditionsverbände e<strong>in</strong> und<br />
(ließen)... sich mit Mitglie<strong>der</strong>n, die für die Durchführung ihrer schmutzigen Pläne geeignet<br />
(erschienen)... bekannt machen.<br />
Die <strong>am</strong>erikanischen Agentenzentralen hatten auch zu dem von den Berl<strong>in</strong>er Werktätigen<br />
zerschlagenen „Reichstreffen“ <strong>der</strong> „Bärendivision“ führende Mitarbeiter entsandt, um aus<br />
den Reihen <strong>der</strong> Teilnehmer des Faschistentreffens neue Agenten zu werben. Auch an den<br />
monatlichen Zus<strong>am</strong>mentreffen <strong>der</strong> Bärenfreunde im Sturmlokal „Cottbusser Klause“ <strong>am</strong><br />
Cottbusser D<strong>am</strong>m (nahmen)... Mitarbeiter imperialistischer Geheimdienste teil, die sich vor<br />
allem für die „Neuaufnahmen“ <strong>in</strong>teressier(t)en.<br />
Das gleiche (traf)... für die Zus<strong>am</strong>menkünfte <strong>der</strong> HIAG... des „Kyffhäuserbundes“, des<br />
„Bundes Deutscher Fallschirmjäger“ und <strong>der</strong> übrigen militaristischen und faschistischen<br />
Traditionsverbände zu“. 131<br />
So ähnlich verfuhr man mit den zahlenmäßig recht starken Landsmannschaften <strong>der</strong> so genannten<br />
→Emigrantenverbände, von <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> sehr viele zur Bundeswehr g<strong>in</strong>gen. Es wäre viel zu gefährlich gewesen,<br />
den se<strong>in</strong>erzeit rund 100 Emigrantenorganisationen <strong>in</strong> Westdeutschland, 132 wie bei den an<strong>der</strong>en Agentenzentralen freie<br />
Hand zu lassen. Schließlich bildeten über acht Millionen Umsiedler aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten ihre<br />
Basis. 133<br />
Im nachrichtendienstlichem Bereich baute man deshalb, nach Vorbild deutscher Soldatenverbände, beson<strong>der</strong>e<br />
Strukturen nachrichtendienstlichen Missbrauchs auf. Was den ostdeutschen Sicherheitsbehörden e<strong>in</strong>fach nicht entgehen<br />
konnte, zumal „e<strong>in</strong>ige Personen aus <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, die mit solchen <strong>in</strong> westberl<strong>in</strong>er „Landsmannschaften“ tätigen<br />
Agenten Kontakt aufnahmen, Spionageaufträge ausführten und ihnen weitere Personen <strong>in</strong> die Hände spielten,...<br />
von den Organen für Staatssicherheit (1956) festgenommen und den Gerichten übergeben worden (s<strong>in</strong>d).<br />
So lieferte <strong>der</strong> 58 jährige Adolf Jahnel aus Erfurt (aktenkundig) ... an den <strong>in</strong> <strong>der</strong> „sudetendeutschen<br />
Landsmannschaft“ tätigen <strong>am</strong>erikanischen Agenten Franz Wächter <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Dahlem... die Personalien und Adressen<br />
von zahlreichen Umsiedlern, die als Spione angeworben werden sollten. Jahnel legte von solchen Anschriften<br />
e<strong>in</strong>e ganze Kartei an“, was ihm nicht weiter schwer fiel, war er doch selbst seit 1947 Mitglied des<br />
sudetendeutschen Landsmannschaft-Verbandes“. 134<br />
Jahnel spielte aber nicht nur den Agentenschlepper, son<strong>der</strong>n durfte <strong>in</strong>nerhalb des <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes selbst<br />
e<strong>in</strong>e Spionagegruppe aus Umsiedlern organisieren, dies wohl deshalb, weil er bereits seit 1947 für den <strong>am</strong>erikanischen<br />
Geheimdienst arbeitete. Die Spionagegruppe aus Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> sudetendeutschen Landsmannschaft war, um es noch<br />
e<strong>in</strong> Mal deutlich hervorzuheben, ke<strong>in</strong>e Unterorganisation <strong>der</strong> sudetendeutschen Landsmannschaft son<strong>der</strong>n nur e<strong>in</strong>e<br />
Spionagegruppe des <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes aus Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Landsmannschaft.<br />
In an<strong>der</strong>en Landsmannschaften sah dieser nachrichtendienstliche Missbrauch nicht an<strong>der</strong>s aus. Auch dort gab es<br />
Agentenschlepper im Dienste des <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes. „Von <strong>der</strong> stellvertretenden Vorsitzenden<br />
<strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Trachenberger <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Landsmannschaft Schlesien“, Helene Schaffer (zum<br />
Beispiel), wurde <strong>der</strong> 53 jährige Josef Würz aus Berl<strong>in</strong>-Bohnsdorf... an die zwei<br />
130 Neues Deutschland, Nr.143 vom 22.6.1955<br />
131 Neues Deutschland, Nr.143 vom 22.6.1955<br />
132 Neues Deutschland, Nr.48 vom 24.4.1957<br />
133 Siegfried Thomas, Der Weg <strong>in</strong> die NATO. Zur Integrations- und Remilitarisierungspolitik <strong>der</strong> BRD 1949-1955, Dietz Verlag<br />
Berl<strong>in</strong> 1978, S.266<br />
134 Neues Deutschland, Nr.214 vom 7.9.1956
<strong>am</strong>erikanischen Hauptagenten Förster und Köhler <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> vermittelt“. 135<br />
Am Ende war es so, das alle Geheimdiensthilfsorganisationen im Vorfeld, entwe<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkt an den Vorbereitungen des<br />
<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 o<strong>der</strong> aber <strong>am</strong> Umsturzversuch selbst beteiligt waren.<br />
Zu denen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 direkt beteiligte Geheimdiensthilfsorganisationen gehörten:<br />
1.) Adolf-Hitler-Tradition (Westberl<strong>in</strong>)<br />
So provozierend ihr Organisationsn<strong>am</strong>e auch kl<strong>in</strong>gen mag, ihre Leitung erhielt dennoch von den <strong>am</strong>erikanischen<br />
Behörden Gel<strong>der</strong> zugesteckt, so auch von Eleanor Dulles sechs Tage vor dem Stichtag <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> 136<br />
2.) Bund Deutscher Jugend (BDJ)<br />
Der Gladio-Vorläufer BDJ wurde von Innenm<strong>in</strong>ister Lehr auf Anweisung Amerikas bereits 1950 gegründet. 137 Ihre<br />
Mitglie<strong>der</strong> erhielten im Vergleich zu an<strong>der</strong>en Agentenzentralen, für den von langer Hand vorbereiteten „Tag X“ e<strong>in</strong>e<br />
ausgiebige Ausbildung. Auch wenn Historiker wie Fricke bezüglich des Tages X gegenteiliges behaupten.<br />
In e<strong>in</strong>em ganzen Abschnitt bemüht er sich zu beweisen, was es <strong>in</strong> Wirklichkeit mit dem „Tag X“ auf sich hatte. Er sei<br />
nämlich <strong>in</strong> Wahrheit nur jener „Tag, an dem die deutsche E<strong>in</strong>heit wie<strong>der</strong>hergestellt sei“, sonst nichts.<br />
Selbstverständlich habe man „we<strong>der</strong> an e<strong>in</strong>en Aufstand <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> noch an e<strong>in</strong>en Putsch<br />
gedacht“. 138<br />
Empört stellte Fricke fest: „Den agitatorisch zugespitzten Topos vom „Tag X“ als Synonym für den<br />
<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 (zu gebrauchen) war vom historischen Verlauf ke<strong>in</strong>eswegs zu begründen“, 139<br />
vielmehr sei „die Legende vom „Tag X“ e<strong>in</strong>e SED-Erf<strong>in</strong>dung gewesen, denen selbst ostdeutsche unabhängige<br />
Gerichte auf den Leim gegangen seien. „Die Richter... waren... auf die parteilich dekretierte<br />
Sprachregelung zum <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> als „Tag X“ e<strong>in</strong>geschworen. Das manipulative Zus<strong>am</strong>menspiel<br />
von Politbürokratie und Justiz lag auf <strong>der</strong> Hand“. 140<br />
Auch hier irrt sich Fricke gewaltig, denn se<strong>in</strong> „Tag X“ ist we<strong>der</strong> auf dem Mist des SED-Politbüros gewachsen, noch<br />
auf ostdeutsche Gerichte zurückzuführen, vielmehr tauchte e<strong>in</strong> sogenannter „Plan X“ bereits im März 1948 <strong>in</strong> den<br />
USA auf. Für ihn waren lauf „US News and World Report“ wörtlich folgende Mittel vorgesehen: „Spionage,<br />
Sabotage, Anwendung von Waffen und –falls notwendig- auch die Ermordung von<br />
hervorragenden Kommunisten“. 141<br />
Vier Jahre später standen <strong>am</strong> 20. Februar 1952 dann erstmals BDJ-Mitglie<strong>der</strong> im demokratischen Deutschland vor dem<br />
Obersten Gerichtshof. Laut stenografischen Protokoll sprachen alle drei Angeklagten Schulz, Fischer und Hensel,<br />
erstmals ohne von staatlicher Seite irgendwelche Worte <strong>in</strong> den Mund gelegt zu bekommen frei heraus vom „Tag X“.<br />
Wörtlich:<br />
„Schulz:... Dann sprach (Paul Egon) Lüth über die Methoden des K<strong>am</strong>pfes und über die Ziele<br />
des illegalen K<strong>am</strong>pfes. Er hob dabei vier Grade des illegalen Wi<strong>der</strong>standes hervor, <strong>der</strong> erste<br />
Grad war die S<strong>am</strong>mlung von Informationen, also Spionage. Der zweite Grad war<br />
Gegenpropaganda. Der dritte war Organisierung von Sabotage und <strong>der</strong> vierte die Bildung<br />
von bewaffneten Banden. Er betonte dabei, dass man möglichst schnell zu dem vierten Grad<br />
des illegalen K<strong>am</strong>pfes kommen müsse, um eben e<strong>in</strong>en gewalts<strong>am</strong>en Umsturz <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
herbeizuführen...<br />
Er (Lüth) sprach ziemlich offen über diesen vierten Grad, dass dieser das Ziel sei und<br />
135 Neues Deutschland, Nr.214 vom 7.9.1956<br />
136 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />
137 Neues Deutschland, Nr.149 vom 28.6.1953 + Nr. 172 vom 25.7.1953<br />
138 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.20<br />
139 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.19<br />
140 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.22<br />
141 Neues Deutschland, Nr.149 vom 28.6.1953
möglichst schnell erreicht werden müsse. Er empfahl uns die Anwerbung von Militaristen und<br />
Faschisten... Lüth sprach beson<strong>der</strong>s über die Vorbereitung zum Tag X und über die Störung<br />
<strong>der</strong> Weltfestspiele...<br />
Vorsitzen<strong>der</strong>: Der Tag X war also e<strong>in</strong> Tag, worunter sich je<strong>der</strong> etwas genaues dachte?<br />
Schulz: Für Lüth war das <strong>der</strong> Tag des Beg<strong>in</strong>ns des K<strong>am</strong>pfes zwischen Ost und West.<br />
Vorsitzende: Schön! Vom Tag X wird gesprochen, mit ihm rechnet man, auf ihn wartet man.<br />
Für ihn bereitet man sich vor, mit dem Partisanengruppen, die bewaffnet werden.<br />
Schulz: Ja, diese Bewaffnung <strong>der</strong> Partisanengruppen sollte aus <strong>der</strong> Luft mit Hilfe <strong>der</strong><br />
<strong>am</strong>erikanischen Besatzungsmächte geschehen. Diese wollten dann Waffen abwerfen. Ich habe<br />
später noch von Kaufmann erfahren, dass Peters den Auftrag hatte, bereits genaue Orte und<br />
Lageplätze anzugeben, wo <strong>am</strong>erikanische Luftlandetruppen und Flugzeuge im Falle e<strong>in</strong>es<br />
Krieges landen könnten...<br />
Fischer: Als Ziel des Wi<strong>der</strong>standskreises stellte Lüth h<strong>in</strong>, <strong>in</strong> jedem Kreis <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Gruppe von drei Mann zu haben, Diese sollten dann erst später organisatorisch<br />
zus<strong>am</strong>mengefasst werden und vermittels Funkapparaten e<strong>in</strong>e ständige Verb<strong>in</strong>dung nach<br />
Westberl<strong>in</strong> bzw. nach Westdeutschland haben. Er sprach auch davon, diese Gruppe dann<br />
bewaffnet e<strong>in</strong>zusetzen.<br />
Vorsitzende: Wo sollten denn die Waffen herkommen, o<strong>der</strong> hatten Sie sie schon?<br />
Fischer: Ne<strong>in</strong>, wir hatten noch ke<strong>in</strong>e Waffen...<br />
Vorsitzende:... Wie sollten die Waffen kommen?<br />
Fischer: Ich nehme an durch Flugzeugabwurf...<br />
Vorsitzende: Ist darüber gesprochen worden?<br />
Fischer: Gesprochen wurde darüber.<br />
Vorsitzende: Von wem?<br />
Fischer: Von Lüth.<br />
Vorsitzende: Also die Bewaffnung dieser Partisanengruppen sollte durch <strong>am</strong>erikanische<br />
Flugzeuge aus <strong>der</strong> Luft erfolgen. Wann?<br />
Fischer: Am Tag X...<br />
Hensel: Es war uns gesagt worden, dass ke<strong>in</strong>e neuen Mitglie<strong>der</strong> direkt für den Bund<br />
geworben werden sollten, da er sonst zu groß und die Arbeit zu gefährlich würde. Wir sollten,<br />
wie Lüth sich äußerte, für den Tag X nur Leute sicher haben. Er verstand darunter Bekannte<br />
und Verwandte und Leute, die eben mit dem System nicht e<strong>in</strong>verstanden waren, auf unsere<br />
Seite zu br<strong>in</strong>gen aber aus Sicherheitsgründen nicht anzuwerben, son<strong>der</strong>n für den<br />
entsprechenden Tag bereit zu halten.<br />
Vorsitzende: Wie wollte man das machen? Wie wollte man die bereithalten? Da musste man<br />
doch mit Ihnen sprechen, musste mit ihnen zus<strong>am</strong>men kommen, musste sie laufend<br />
orientieren.<br />
Hensel: Man sollte sich mit ihnen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gespräch e<strong>in</strong>lassen.<br />
Vorsitzende: Sollte ihnen Flugblätter und Zeitschriften geben?<br />
Hensel: Davon weiß ich nichts. Man sollte sie nur erst e<strong>in</strong>mal auf die Seite bekommen und<br />
ihnen <strong>am</strong> entscheidenden Tage sagen. Komm, du bist dafür, hier hast du e<strong>in</strong>e Pistole, es kann
losgehen“. 142<br />
Mit dem so genannten „Tag X“ konnten aber nicht nur Mitglie<strong>der</strong> des deutschen Gladio-Vorläufers BDJ o<strong>der</strong> Jakob<br />
Kaiser selbst etwas anfangen, denn auch <strong>in</strong>nerhalb des BND sprach man <strong>in</strong>tern noch 1954 wörtlich vom „Tag X“ wie<br />
Prozessunterlagen aus dem Urteil des Obersten Gericht vom 18. April 1966 –1 Zst (I) 2/66 belegen.<br />
Franz Pankraz seit Anfang 1953 Mitarbeiter des BND war den Akten nach seit Ende 1954 wörtlich „als<br />
„Schweigefunker e<strong>in</strong>gesetzt. Se<strong>in</strong> genereller Hauptauftrag g<strong>in</strong>g dah<strong>in</strong>, erst nach beson<strong>der</strong>er<br />
Auffor<strong>der</strong>ung durch den BND o<strong>der</strong> <strong>am</strong> „Tag X“ tätig zu werden. Der „Tag X“ war häufig<br />
Gesprächsstoff von „Greif“ (dem BND-Führungsoffizier von Pankraz) und wurde wie<strong>der</strong>holt<br />
als <strong>der</strong> Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es bewaffneten Überfalls auf die <strong>DDR</strong> bezeichnet“. 143 So steht es <strong>in</strong> den Akten.<br />
Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 g<strong>in</strong>g es dann tatsächlich wie Fischer vor Gericht vorankündigte, extrem brutal zu, wobei <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong><br />
mehrheitlich BDJ o<strong>der</strong> KgU-Mitglie<strong>der</strong> randalierten. 144 Ihre Spezial-Ausbildung für den Tag X auf <strong>DDR</strong>-Hoheitsgebiet<br />
erhielten westdeutsche BDJ-Agenten auf e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Nähe von Siegburg (NRW) gelegenen Burg, 145 während Westberl<strong>in</strong>er<br />
Anhänger unter dem N<strong>am</strong>en “K<strong>am</strong>pfbund Deutscher Jugend“ (BDJ/KDJ) seit Januar 1953 im französischen<br />
Sektor (Konradshöhe) e<strong>in</strong>e eigene Spionageschule mit Unterstützung Reuters aufbauten. Natürlich arbeitete auch „<strong>der</strong><br />
BDJ/KDJ“... eng mit den an<strong>der</strong>en Terror-, Spionage- und Sabotagezentralen zus<strong>am</strong>men, die<br />
ebenfalls auf <strong>am</strong>erikanische Anweisung <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Leben gerufen wurden“. 146<br />
3.) K<strong>am</strong>pfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)<br />
Die im Februar 1948 gegründete Geheimdiensthilfsorganisation →K<strong>am</strong>pfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU)<br />
arbeitete seit Anfang an für den <strong>am</strong>erikansichen Geheimdienst. Pflegte aber auch Kontakte zum BND,<br />
Verfassungsschutz und zum Kaisier-M<strong>in</strong>isterium.<br />
Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 hatte sie ihren schon seit längerem vorbereiteten großen Tag. Die ehemalige Mitarbeiter<strong>in</strong> Eva<br />
Breitmann sagte dazu vor dem 1. Strafsenat des Stadtgerichtes Berl<strong>in</strong> nachträglich so e<strong>in</strong>iges aus. Mitunter soll <strong>der</strong><br />
ehemalige KgU-Anleiter: He<strong>in</strong>z Kle<strong>in</strong> bereits <strong>am</strong> 14. <strong>Juni</strong> 1953 e<strong>in</strong> Treffen mit ihr vere<strong>in</strong>bart haben. „Dort erzählte<br />
er ihr von bevorstehenden Unruhen im Ostsektor und von <strong>Provokation</strong>en sowie<br />
Terroraktionen, die <strong>in</strong> Kürze im Ostsektor steigen sollten“. 147<br />
Am 15. <strong>Juni</strong> 1953 teilte man ihr im KgU-Quartier Körtstraße 23/25 (Jugendheim) mit, „dass es bald „so weit“ sei“. 148<br />
Am 16. <strong>Juni</strong> wird e<strong>in</strong> Term<strong>in</strong> für den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> ausgemacht, von dort (Kochstraße) zog dann „die ganze Bande...<br />
<strong>in</strong> den demokratischen Sektor und beteiligte sich an den Überfällen und Plün<strong>der</strong>ungen von<br />
volkseigenen Betrieben“. 149<br />
Vor dem I. Strafsenat des Bezirksgerichtes Leipzig, gegen sieben KgU-Mitglie<strong>der</strong>, unter ihnen auch<br />
He<strong>in</strong>z Grichtel, stellte sich heraus das letzterer bereits vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 „Listen von Mitglie<strong>der</strong>n<br />
demokratischer Parteien und Organisationen (zus<strong>am</strong>mengestellt hatte)... Se<strong>in</strong>e mitangeklagte<br />
Ehefrau fertigte mit e<strong>in</strong>em Druckstempel Mord- und Drohbriefe an, die an Friedenskämpfer<br />
verschickt wurden. Grichtel hatte den Auftrag, beson<strong>der</strong>s <strong>am</strong> Vorabend des „Tages X“,<br />
Hetzbriefe <strong>in</strong> großem Umfange zu vertreiben“.<br />
Auch den angeklagten Walter Schöbe (KgU) kündigte se<strong>in</strong> Vorgesetzter Thal bereits <strong>am</strong> 9. Mai 1953 <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> an,<br />
„dass sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik „bald e<strong>in</strong>iges ereignen würde“. Die<br />
Sache würde <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> beg<strong>in</strong>nen und dann auf die ges<strong>am</strong>te <strong>DDR</strong> ausgedehnt werden. Schöbe<br />
war als Leiter <strong>der</strong> faschistischen Untergrundorganisation im Bezirk Leipzig vorgesehen. Er<br />
142 Neues Deutschland, Nr.149 vom 28.6.1953<br />
143 Neue Justiz, Nr.9, 1. Maiheft 1966<br />
144 Neues Deutschland, Nr.165 vom <strong>17.</strong>7.1953<br />
145 Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953<br />
146 Neues Deutschland, Nr.18 vom 22.1.1953<br />
147 Neues Deutschland, Nr.253 vom 28.10.1953<br />
148 Neues Deutschland, Nr.253 vom 28.10.1953<br />
149 Neues Deutschland, Nr.253 vom 28.10.1953
sollte an e<strong>in</strong>er Agentenschule <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> teilnehmen. Deshalb erhielt er von Thal den<br />
Auftrag, sich an den Aktionen des faschistischen Putschversuches nicht zu beteiligen, jedoch<br />
alles aufmerks<strong>am</strong> zu beobachten und sofort nach Westberl<strong>in</strong> zu berichten“. 150<br />
4.) Liga für Menschenrechte<br />
Die Geheimdiensthilfsorganisation →Deutsche Liga für Menschenrechte wurde vom <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst<br />
f<strong>in</strong>anziert und gelenkt. Ihre Mitarbeiter wie Dr. Wolfgang Silgradt nahmen <strong>am</strong> Putschversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 aktiv<br />
teil. Sigradts führende Rolle während des faschistischen Umsturzversuches <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 ist erwiesen. Bei se<strong>in</strong>er<br />
Vernehmung 1954 gab <strong>der</strong>selbe selbst an, „seit Jahren haupt<strong>am</strong>tlicher Agent <strong>der</strong> Spionageorganisation<br />
„Liga für Menschenrechte“ zu se<strong>in</strong>, die vom <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst f<strong>in</strong>anziert und<br />
gelenkt“ wurde. 151<br />
5.) Ostbüro <strong>der</strong> FDP<br />
Das für das Kaiser-M<strong>in</strong>isterium und den <strong>am</strong>erikanischen sowie deutschen Geheimdienst arbeitende, 1948 gegründete<br />
→Ostbüro <strong>der</strong> FDP war ebenfalls <strong>am</strong> Umsturzversuch aktiv beteiligt.<br />
Im Vergleich zu den an<strong>der</strong>en Ostbüro-Drahtziehern, fiel dem ehemaligen Gestapomitarbeiter und FDP-Ostbüro<br />
Grün<strong>der</strong>: Schwennicke, im Zus<strong>am</strong>menhang mit dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 sogar e<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>funktion zu. Im Auftrag von Ernst<br />
Reuter, unterhielt er im N<strong>am</strong>en aller westberl<strong>in</strong>er Parteien enge Verb<strong>in</strong>dungen zu den verschiedensten<br />
Naziorganisationen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, von denen Anfang 1953 bereits über 30 existierten. 152<br />
Bundesweit hatten FDP-„Jungdemokraten“ bereits Mitte Februar 1953 den BDJ-Terroristen „ihr volle<br />
Unterstützung zugesagt und sich d<strong>am</strong>it offiziell mit den Aufgaben und Zielen des BDJ<br />
identifiziert“. 153 E<strong>in</strong> BDJ-Chef aus Nordrhe<strong>in</strong>westfalen rief im Gegenzug dafür, se<strong>in</strong>e Mitstreiter noch vor dem <strong>17.</strong><br />
<strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Rundschreiben dazu auf, wie er selbst, den „Jungdemokraten“ beizutreten. 154<br />
Solche Beispiele <strong>in</strong>direkter Verb<strong>in</strong>dungen vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 ließen sich fortsetzen. Im Mai 1953 zum Beispiel gab<br />
es e<strong>in</strong>e Flugblattaktion mittels Ballons, „an <strong>der</strong> die FDP maßgeblich beteiligt war. Das Material<br />
st<strong>am</strong>mte aus dem Bundes<strong>am</strong>t für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, war mit den an<strong>der</strong>en Ostbüros, <strong>der</strong><br />
KgU, dem UfJ, <strong>der</strong> VPO sowie mit Rundfunkstationen abgestimmt. Die Ballonaktionen<br />
wurden später fortgesetzt, und man organisierte direkte Verteilungen von<br />
Propagand<strong>am</strong>aterial <strong>in</strong> mehreren Städten <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>“. 155<br />
Das FDP-Ostbüro war im Vorfeld des Umsturzversuches organisatorisch für denselben aktiv. Die FDP-<br />
Bezirksverordnete <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> Helene Orthmann hat nachweislich Provokateure für den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 rekrutiert.<br />
„Am 11. <strong>Juni</strong> (1953) empf<strong>in</strong>g sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Stadtschenke“, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bodd<strong>in</strong>straße, drei solcher<br />
Agenten, die ihr N<strong>am</strong>en von Elementen meldeten, die an <strong>der</strong> Stal<strong>in</strong>allee arbeiteten und bereit<br />
waren, „etwas zu tun“. 156 Am selben Tag konnte sie auch dementsprechend auf e<strong>in</strong>er FDP-<br />
Mitglie<strong>der</strong>vers<strong>am</strong>mlung erklären, „dass die „geplante Sache bald losgehe“. 157<br />
Sie handelte im Auftrag des westberl<strong>in</strong>er FDP-Vorstandes, und hat die Betreuung des Neuköllner<br />
„Flüchtl<strong>in</strong>gslagers“ übernommen. Dort selbst hat sie „gegen Bezahlung Agenten für Sabotageakte <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong>“ angeworben. Sie nahm an „<strong>der</strong> faschistischen <strong>Provokation</strong>en <strong>am</strong> 16. und <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>“ teil. Fakt<br />
ist ferner, das an<strong>der</strong>e Mitglie<strong>der</strong> des FDP-Ostbüros <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 e<strong>in</strong>e Flugblattaktion organisierten, „bei <strong>der</strong><br />
150 Neues Deutschland, Nr.232 vom 3.10.1953<br />
151 Neues Deutschland, Nr.93 vom 22.4.1954<br />
152 Neues Deutschland, Nr.18 vom 22.1.1953<br />
153 Neues Deutschland, Nr.66 vom 19.3.1953<br />
154 Neues Deutschland, Nr.66 vom 19.3.1953<br />
155 Rudi Beckert, Die erste und letzte Instanz, Keip Verlag Goldbach 1995<br />
156 Neues Deutschland, Nr.148 vom 27.6.1953<br />
157 Neues Deutschland, Nr.148 vom 27.6.1953
Hetzflugblätter im demokratischen Sektor zur Verteilung gelangten“. 158<br />
Deswegen ist Wolfgang Gottsch<strong>in</strong>g <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong> auch verhaftet worden, nachdem er sich weigerte zwei<br />
MfS-Mitarbeitern se<strong>in</strong>en Ausweis zu zeigen, dabei habe er außerdem laut Werner Kukelski (MfS) „umstehende<br />
Straßenpasanten“ aufgehetzt sowie zum aushalten aufgerufen: „Jetzt schaffen sie es nicht mehr, da müssen<br />
die Russen e<strong>in</strong>greifen“. 159<br />
Außerdem stand er nicht nur <strong>in</strong> enger Verb<strong>in</strong>dung mit dem FDP-Ostbüro Grün<strong>der</strong> selbst, son<strong>der</strong>n nahm darüber h<strong>in</strong>aus<br />
auch noch kurz vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 an e<strong>in</strong>er Zus<strong>am</strong>menkunft mit Schwennicke teil. 160<br />
6.) Ostbüro <strong>der</strong> SPD<br />
Das 1946 gegründete und für das Kaiser-M<strong>in</strong>isterium, den <strong>am</strong>erikanischen, englischen und deutschen Geheimdienst<br />
arbeitende →Ostbüro <strong>der</strong> SPD war maßgeblich <strong>am</strong> Umsturzversuch <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong> beteiligt. Willy Brandt, ebenso wie<br />
Herbert Wehner, beide führend im SPD-Ostbüro tätig, 161 sollen zur Schmach, sogar geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong> „an <strong>der</strong> Vorbereitung des<br />
faschistischen Putsches gegen die <strong>DDR</strong> aktiv“ mitgewirkt haben.<br />
Beide gehörten zu den Mitarbeitern des Bonner Verschwörungskreises. Wehner saß gar direkt im Forschungsbeirat. Er<br />
gehörte zu den „Spezialisten für die Anstiftung von Unruhen“. 162 Zus<strong>am</strong>men nahmen sie auch an e<strong>in</strong>er von<br />
Adenauer <strong>am</strong> 24.6.1953 anlässlich des fehlgeschlagenen Putsches e<strong>in</strong>berufenen vertraulichen Konferenz mit Erich<br />
Ollenhauer teil. 163<br />
Im Juli 1953 berichtete Herbert Wehner (politischer Vorsitzen<strong>der</strong> des Ostbüros) vor führenden westdeutschen<br />
Schwer<strong>in</strong>dustriellen des Rhe<strong>in</strong>-Rhur-Clubs im Hotel Kaiserhof (Düsseldorf) detailliert „über die speziellen<br />
Aufgaben und die Tätigkeit dieser Agentenzentrale. Beson<strong>der</strong>s ausführlich g<strong>in</strong>g er dabei auf<br />
den Anteil des Ostbüros bei <strong>der</strong> Vorbereitung und Durchführung des „Tages X“ e<strong>in</strong>, <strong>der</strong><br />
bekanntlich <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> scheiterte“. 164<br />
Dem Angeklagten Werner Mangelsdorf gegenüber hat e<strong>in</strong> weiteres Mitglied des SPD-Ostbüros aktenkundig bestätigt,<br />
„dass <strong>der</strong> Tag X überstürzt auf dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 angesetzt worden ist... ursprünglich (sei)<br />
<strong>der</strong> Tag X für e<strong>in</strong>en späteren Zeitpunkt vorgesehen gewesen... <strong>der</strong> neue Kurs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deutschen<br />
Demokratischen Republik aber (habe dazu) Veranlassung gegeben... mit den „V-Männern“ zu<br />
beraten und die sofortige Durchführung des Tages X zu beschließen. Dieser Mitarbeiter<br />
bemerkte hierbei noch, dass das Zustandekommen des Putsches <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> das beson<strong>der</strong>e<br />
Verdienst des Ostbüros <strong>der</strong> SPD gewesen sei“. 165<br />
Am 26. <strong>Juni</strong> des selben Jahres gaben Vertreter des SPD-Ostbüros sogar selbst offiziell zu, <strong>am</strong> Umsturzversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong><br />
<strong>Juni</strong> teilgenommen zu haben. Stolz teilten sie mit, „dass „illegale Flugblätter“ <strong>in</strong> Betrieben <strong>der</strong><br />
Deutschen Demokratischen Republik und Ostberl<strong>in</strong>s von Agenten des Ostbüros verteilt<br />
wurden“, <strong>der</strong>en Inhalt auch dementsprechend zu den „Losungen“ <strong>der</strong> Putschisten wurden“. 166<br />
E<strong>in</strong> Volkspolizist <strong>am</strong> Potsd<strong>am</strong>er Platz konnte sogar <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, um 14.25 Uhr vor Ort melden, wie e<strong>in</strong> SPD-<br />
Lautsprecherwagen dortige Vopos auffor<strong>der</strong>te, ihre „Waffen nie<strong>der</strong>zulegen und überzulaufen“. Danach<br />
erfolgte e<strong>in</strong> Aufruf <strong>in</strong> russischer Sprache. 167<br />
Auch <strong>in</strong> Magdeburg, bzw. Leipzig verbreiteten Agenten des SPD-Ostbüros faschistische Losungen o<strong>der</strong> organisierten<br />
Streiks. 168 In Halle drangen Agenten des SPD-Ostbüros sogar <strong>in</strong> leitende Funktionen des Leuna-Werkes vor, um so <strong>am</strong><br />
<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 noch effektiver zu provozieren. Bereits zuvor versuchten sie durch gezielte „Unterdrückung <strong>der</strong> Kritik<br />
158<br />
Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />
159<br />
Karl Wilhelm Fricke, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003<br />
160<br />
Karl Wilhelm Fricke, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003<br />
161<br />
Neues Deutschland, Nr.150 vom 30.6.1953<br />
162<br />
Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />
163<br />
Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />
164<br />
Neues Deutschland, Nr.160 vom 12.7.1953<br />
165<br />
Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />
166<br />
Neues Deutschland, Nr.150 vom 30.6.1953<br />
167<br />
Internet 2005: http://www. 17juni53.de, Meldungen anlässlich <strong>der</strong> Demonstrationen im Ostsektor <strong>am</strong> <strong>17.</strong>6.1953<br />
168 Neues Deutschland, Nr.190 vom 15.8.1953
<strong>der</strong> Arbeiter, die Arbeiter- und Bauernmacht zu untergraben und aufs schwerste zu schädigen“. 169<br />
Ähnliche Aufträge im Vorfeld des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 übernahm Fritz Frohs aus Zwickau. Er stand seit 1948 mit dem SPD-<br />
Ostbüro <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung. Mit Wissen des SPD-Ostbüroleiters Peter Wandel, nahm er auch Befehle des <strong>am</strong>erikanischen<br />
Geheimdienstes <strong>in</strong> Empfang. Unter an<strong>der</strong>em sollte er im Gebiet Zwickau Funkstellen für Spionagezwecke vorbereiten.<br />
Vom RIAS erhielt Frohs daraufh<strong>in</strong> 30 gefälschte Lebensmittelkarten, „die er <strong>in</strong> Umlauf brachte, mit <strong>der</strong> Absicht,<br />
Versorgungsschwierigkeiten herbeizuführen“. 170 Dem SPD-Ostbüro selbst übermittelte er monatlich se<strong>in</strong>e Berichte.<br />
In ihrem Auftrag suchte sich Frohs zuguterletzt auch jene „Helfershelfer für se<strong>in</strong>e Tätigkeit und schuf e<strong>in</strong>e<br />
Spionagegruppe aus vier Personen. Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 führte er diese Gruppe beim faschistischen Putsch an“. 171<br />
7.) Ostbüro des DGB<br />
Das mit maßgeblicher Unterstützung von Ernst Scharnowski, Anfang 1951 gegründete und für das Kaiser-M<strong>in</strong>isterium<br />
und den deutschen sowie <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst arbeitende →Ostbüro des DGB, war führend <strong>am</strong><br />
Umsturzversuch im <strong>Juni</strong> 1953 beteiligt. 172<br />
Wie auch Erich Mielke <strong>am</strong> 1. Juli 1953 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Dienstanweisung Nr.19/53 deutlich darlegte, gehörten so e<strong>in</strong>ige<br />
Mitarbeiter des DGB-Ostbüros zu den Organisatoren des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, „da diese fe<strong>in</strong>dliche Agentenzentrale<br />
nicht nur Untergrundgruppen bildet(e) und Hetzmaterial verbreitet(e), son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> den<br />
Gewerkschaftsorganisationen Schädl<strong>in</strong>gsarbeit und <strong>in</strong> V(olks) E(igenen) Betrieben Sabotage<br />
organisiert(e) und vor allem D<strong>in</strong>gen Spionage“ betrieb. 173<br />
Das DGB-Ostbüro erfasste tatsächlich, wie selbst Fricke zugeben musste, „Informationen aus östlichen<br />
Betrieben, Daten über die wirtschaftliche und soziale Lage, die auch propagandistisch genutzt<br />
wurden, zum Beispiel <strong>in</strong> <strong>der</strong> viel gehörten RIAS-Sendung „Werktag <strong>der</strong> Zone“. Insoweit<br />
mochte se<strong>in</strong>e Arbeit e<strong>in</strong> wenig dazu beigetragen haben, dass im Vorfeld des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> unter den<br />
Belegschaften östlicher Betriebe kritische bis regierungsfe<strong>in</strong>dliche Stimmungen aufk<strong>am</strong>en,<br />
e<strong>in</strong>e latente Protesthandlung, die zuletzt zur Streikbereitschaft heranreifte“. 174<br />
Bei Fricke natürlich nicht erwähnt werden MfS-Untersuchungsergebnisse, <strong>der</strong>en Inhalt den <strong>am</strong>erikanischen und<br />
deutschen Geheimdienst, sprich dem NATO-Nachrichtendienst schwer belasten. Scharnowski zum Beispiel, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>st<br />
für die Gestapo als Spitzel <strong>in</strong> Pommern arbeitete, 175 stand nach dem Krieg im Dienste Gehlens. 176 Er war außerdem e<strong>in</strong><br />
bezahlter Agent des Kaiser-M<strong>in</strong>isteriums. Scharnowski empf<strong>in</strong>g laufend große Summen aus dem berüchtigten<br />
Geheimfonds des Kaiser-M<strong>in</strong>isteriums mit dem „Titel 300“. E<strong>in</strong>em Etat den niemand kontrollierte. Außerdem will<br />
Scharnowski nach eigenen Angaben 100.000 DM von den Amerikanern erhalten haben.<br />
Tatsächlich ist nach MfS Untersuchungen aus dem Jahr 1953, „das „Ostbüro“ <strong>der</strong> Gewerkschaft <strong>der</strong><br />
Bauarbeiter <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> im Auftrage <strong>am</strong>erikanischer und westdeutscher Spionageorgane<br />
mit dem Ziel geschaffen (worden), gegen die Deutsche Demokratische Republik gerichtete<br />
<strong>Provokation</strong>en vorzubereiten und durchzuführen. Der zweite Vorsitzende <strong>der</strong> Gewerkschaft<br />
Bau, Ste<strong>in</strong>e, Erden im westberl<strong>in</strong>er DGB, Köppchen (zum Beispiel) <strong>der</strong> gleichzeitig Leiter des<br />
„Ostbüros“ <strong>der</strong> Gewerkschaft <strong>der</strong> Bauarbeiter ist, hat (Kurt) Sprokhof für fe<strong>in</strong>dliche<br />
Tätigkeit gegen die <strong>DDR</strong> angeworben“. 177<br />
Somit kann von nachrichtendienstlich freien, völlig unabhängigen Arbeiterprotesten <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 nicht mehr<br />
gesprochen werden, denn alles, auch <strong>der</strong> gerechtfertigte friedliche Tarifstreik, nahm eben mit Bauarbeiterprotestesten <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Stal<strong>in</strong>allee se<strong>in</strong>en Anfang.<br />
Wie SfS-Stellen noch Ende Oktober 1953 bestätigten, hatten Kurt Sprokhof, Kurt Demut, Gertrud Jus und Werner<br />
Klage nachweislich eben „auf <strong>der</strong> Baustelle Stall<strong>in</strong>allee (ohne genau Zeitangabe) e<strong>in</strong>e illegale<br />
169<br />
Neues Deutschland, Nr.25 vom 30.1.1956<br />
170<br />
Neues Deutschland, Nr.110 vom 6.5.1956<br />
171<br />
Neues Deutschland, Nr.110 vom 6.5.1956<br />
172<br />
Neues Deutschland, Nr.208 vom 5.9.1954<br />
173<br />
Karl Wilhelm Fricke / Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003<br />
174<br />
Karl Wilhelm Fricke / Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003<br />
175<br />
Neues Deutschland, Nr.77 vom 1.4.1953 sowie 18. und 19.2.1953<br />
176<br />
Neues Deutschand, Nr.233 vom 5.10.1956<br />
177<br />
Neues Deutschland, Nr.254 vom 29.10.1953
Gruppe geschaffen, die sich d<strong>am</strong>it befasste, Spionagenachrichten e<strong>in</strong>zuholen,<br />
antidemokratische Literatur zu verbreiten und Agenten für die Durchführung faschistischer<br />
<strong>Provokation</strong>en anzuwerben“. 178<br />
Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 selbst, unterstützte „das Ostbüro des DGB... im demokratischen Sektor die<br />
randalierenden Provokateure <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form, dass es durch an den Sektorengrenzen aufgestellte<br />
Lautsprecherwagen zu weiteren <strong>Provokation</strong>en auffor<strong>der</strong>te, Hetzmaterial verteilte und die<br />
Provokateure mit Genussmittel versorgte“. 179<br />
Im Jahr darauf wurden fünf weitere DGB-Ostbüro-Mitglie<strong>der</strong> 180 unter ihnen auch Emmy Kayser wegen Spionage, bzw.<br />
aus Gründen ihrer aktiven Teilnahme <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> vor dem ersten Senat des Bezirksgerichtes Halle verurteilt. Alle<br />
Angeklagten trieben <strong>in</strong> den Jahren 1952 bis 1954 fortgesetzt, <strong>in</strong> mehreren volkseigenen Großbetrieben des Bezirkes<br />
Halle politische sowie wirtschaftliche Spionage. „Kayser hielt sich seit September 1952 <strong>in</strong> Halle auf und<br />
überbrachte se<strong>in</strong>en Auftraggebern Betriebszeitungen, Betriebskollektivverträge und an<strong>der</strong>e<br />
Informationen, die ihm die Mitangeklagten übermittelten. Kayser betätigte sich ebenso wie<br />
se<strong>in</strong>e Komplicen aktiv <strong>am</strong> Putschversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953“. 181<br />
8.) Radio im <strong>am</strong>erikanischen Sektor (RIAS)<br />
Den Ende 1945 errichteten Radiosen<strong>der</strong> →RIAS, 182 darf man zu den regulären US-Spionageorganen rechnen.<br />
Ostdeutsche Publizisten aber stempelten ihn zu e<strong>in</strong>er simplen Agentenzentrale, obwohl sich vor, ebenso wie <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />
1953 Entgegengesetztes zeigte. Bereits <strong>am</strong> 14. Januar 1953 erhielt RIAS <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue leistungsstarke 300kW-Sendeanlage<br />
„und große f<strong>in</strong>anzielle Mittel aus den USA und von <strong>der</strong> BRD-Regierung“. 183<br />
Pläne um <strong>am</strong> Tag X unter allen Umständen funktionsfähig zu bleiben waren nicht nur technisch o<strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziell<br />
abgesichert, son<strong>der</strong>n auch vom organisatorischem Standpunkt längst ausgearbeitet.<br />
Ostdeutsche Gerichtsakten belegen es, „dass <strong>der</strong> RIAS sowohl vor als auch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> erheblichem Maße<br />
an <strong>der</strong> Organisierung und Durchführung“ des faschistischen Putschversuches beteiligt war. Durch die dem Gericht<br />
vorliegende, von RIAS-Direktor Gordon Ew<strong>in</strong>g gezeichnete Anweisung wurden bereits <strong>am</strong> 8. <strong>Juni</strong> 1953 die<br />
haupt<strong>am</strong>tlichen Agenten des RIAS organisatorisch auf mögliche Abspermaßnahmen vorbereitet. Der RIAS wollte<br />
weiter Hetzen. Die Anleitung für den bevorstehenden Umsturzversuch sah wie folgt aus:<br />
„An Verteiler Z. 25<br />
Es wird gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass im Falle möglicher Absperrmaßnahmen seitens <strong>der</strong> Vopo, an den<br />
Zonenübergangsstellen eigene VM anwesend s<strong>in</strong>d, um Berichte entgegen zu nehmen, bzw. Anweisungen zu<br />
übermitteln.<br />
Als Hauptübermittlungsstelle wurde festgelegt:<br />
Glienicker Brücke.<br />
Nähere Anweisung folgt bei Bedarf.<br />
Die VM s<strong>in</strong>d beson<strong>der</strong>s darauf h<strong>in</strong>zuweisen, dass schnellste Übermittlung über den Stand <strong>der</strong> Arbeiterschaft und<br />
<strong>der</strong> Wirks<strong>am</strong>keit <strong>der</strong> RIAS-Sendungen, von großer Bedeutung ist. VM aus den Betrieben <strong>der</strong> Zone s<strong>in</strong>d über<br />
obrige Auffangstelle zu unterrichten.<br />
Gez. G. A. Ew<strong>in</strong>g“. 184<br />
Insbeson<strong>der</strong>e aber Karl-Eduard von Schnitzler machte dazu se<strong>in</strong>erzeit weitere Nägel mit Köpfen: „Ich b<strong>in</strong> als<br />
Sachverständiger vor Gericht über die Rolle befragt worden, die <strong>der</strong> RIAS im allgeme<strong>in</strong>en und <strong>in</strong> den Tagen um<br />
den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> herum im beson<strong>der</strong>en gespielt hat.<br />
Er<strong>in</strong>nern wir uns: Schon <strong>am</strong> 13. <strong>Juni</strong> 1953 hatte <strong>der</strong> RIAS auf Anweisung des <strong>in</strong> jenen Tagen „zufällig“ <strong>in</strong><br />
Westberl<strong>in</strong> weilenden <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstchefs, Allen Dulles, geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong> mit <strong>der</strong> d<strong>am</strong>aligen<br />
westberl<strong>in</strong>er Redaktion des britisch-lizenzierten Nordwestdeutschen Rundfunks e<strong>in</strong>e Argumentation „für<br />
Sendungen anlässlich von Unruhen <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong>“ ausgearbeitet. In den Vormittagsstunden des 16. <strong>Juni</strong>, noch ehe<br />
178 Neues Deutschland, Nr.254 vom 29.10.1953<br />
179 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />
180 Verurteil wurden Kalr-He<strong>in</strong>z Kayser, Paul Götter, Paul Philipp und Emmy Kayser<br />
181 Neues Deutschland, Nr.208 vom 5.9.1954<br />
182 Georg Grasnick u. a., Kreuzzug gegen die Koexistenz. –Psychologische Kriegführung heute, Staatverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>,<br />
Berl<strong>in</strong> 1975, S.146<br />
183 Arsenal, Band 5, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1948, S.29<br />
184 Neue Justiz, Nr.14 vom 20.7.1955, S.429
es zur ersten <strong>Provokation</strong> gekommen war, bildeten die führenden Mitarbeiter des RIAS e<strong>in</strong>en „K<strong>am</strong>pfstab“, <strong>der</strong><br />
unter <strong>der</strong> Leitung des eigens zu diesem Zweck aus Amerika herbeigeeilten CIC-Agenten Trimble stand.<br />
Vom Mittag des 16. <strong>Juni</strong> an gab <strong>der</strong> RIAS, zu e<strong>in</strong>em großen Teil chiffriert, ununterbrochen Anweisungen und<br />
Treffpunkte für Agenten und Provokateure durch und sandte gefälschte Lageberichte mit dem Zweck, die von<br />
ihm verbreitete und geschürte <strong>Provokation</strong> auszuweiten und als „Revolution“ als „Befreiungsbewegung <strong>der</strong><br />
unterdrückten Arbeiter“ h<strong>in</strong>zustellen“. 185<br />
Auch während „<strong>der</strong> ganzen Nacht vom 16. zum <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>“ und danach, gab RIAS ununterbrochen<br />
„Anweisungen über Stellplätze und Treffpunkte für die <strong>am</strong>erikanischen Agenten durch“. 186<br />
Eben deshalb, weil von Schnitzler mit deutlichen Worten den RIAS scharf kritisierte, wurde er <strong>am</strong> 18.1.1957 von<br />
westberl<strong>in</strong>er Polizisten wi<strong>der</strong>rechtlich verhaftet. Später sickerte durch, wie von den Amerikanern bezahlte<br />
Agentenorganisationen „Zeugen“ aufboten, „die bekunden sollten, dass er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vor den ordentlichen<br />
Gerichten <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> geführten Prozess gegen Agenten des Rias als Sachverständiger Tatsachen dargelegt habe,<br />
die den Rias als Spionage- und Sabotage-zentrale entlarvten“. 187<br />
Empört stellte von Schnitzler daraufh<strong>in</strong> klar: „Ke<strong>in</strong>e Silbe me<strong>in</strong>er Feststellungen habe ich zu revidieren... Der Rias<br />
ist e<strong>in</strong> Schmutzkübel... (Er) ist und bleibt e<strong>in</strong> Hetzsen<strong>der</strong>. Das beweist auch die Presse des Lagers, dem er selbst<br />
angehört.<br />
In <strong>der</strong> Nacht vom <strong>17.</strong> zum 18. <strong>Juni</strong> 1953 kabelte <strong>der</strong> ständige Berl<strong>in</strong>-Korrespondent <strong>der</strong> „New York Times“,<br />
Walter Sullivan, se<strong>in</strong>er Zeitung e<strong>in</strong>en Lagebericht, <strong>in</strong> dem es hieß: „Es wäre niemals zu den Unruhen gekommen,<br />
wären nicht die Sendungen des Rias gewesen“. Er stellte ferner fest, „dass <strong>der</strong> Propagandasen<strong>der</strong> <strong>der</strong> USA <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
<strong>am</strong> Mittwoch (<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>) von 5 Uhr morgens an für alle Teile Ostdeutschlands detaillierte Anweisungen verbreitet<br />
hat“, die den Provokateuren als Richtl<strong>in</strong>ie für ihre Verbrechen dienen sollten“. 188<br />
Gordon Ew<strong>in</strong>g, d<strong>am</strong>aliger RIAS-Progr<strong>am</strong>mdirektor gab, was Schnitzler nicht erwähnte, noch <strong>am</strong> selben <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er BRD-Fernsehsendung höchstselbst zu, „dass die angeblich von Arbeitern aus <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> st<strong>am</strong>menden<br />
Losungen und Streikaufrufe vom 16. und <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> <strong>der</strong> „RIAS“-Redaktion <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> formuliert<br />
worden waren“. 189<br />
Im Oktober 1953 bestätigte dann auch noch „New York Herald Tribune“: „Der Rias verfügt wahrsche<strong>in</strong>lich als<br />
e<strong>in</strong>ziger unter den größeren Rundfunksen<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Erde über e<strong>in</strong>en eigenen Spionagedienst“. 190<br />
Von Schnitzler ebenfalls nicht erwähnt worden ist Wanfried Sch<strong>in</strong>k aus Hartenste<strong>in</strong>, im Landkreis Zwickau. Er hatte seit<br />
1950 fortgesetzt Spionagematerial an westliche Geheimdienste geliefert. Sch<strong>in</strong>k räumte vor Gericht (1.Strafsenat des<br />
Bezirksgerichtes Karl-Marx Stadt) selbst e<strong>in</strong>, im Jahr 1950 gegen Bezahlung „im RIAS und im NWDR<br />
Gräuelmärchen über das Internierungslager Bautzen verbreitet zu haben, wo er zuvor <strong>in</strong>haftiert war“. Am Stichtag<br />
des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 nahm Sch<strong>in</strong>k aktiv an den faschistischen <strong>Provokation</strong>en teil. 191<br />
Unerwähnt blieben auch „vom RIAS und se<strong>in</strong>en Agenten organisierte Angste<strong>in</strong>käufe“ während wie nach dem <strong>17.</strong><br />
<strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> 192 Solche primitiven Mittel waren es auch, mit denen e<strong>in</strong>fache Bürger aufgeputscht werden sollten. E<strong>in</strong><br />
Zeitzeuge des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 er<strong>in</strong>nert sich: „Der RIAS, um das auch noch zu sagen, brachte e<strong>in</strong>e Sendung ständig,<br />
das g<strong>in</strong>g immer: „Bu-bu-bu-bum, Bu-bu-bu-bum, Bu-bu-bu-bum. Wir warnen. Wir warnen vor Walter M., tätig<br />
als Referent für Lehrerbildung. Herr M. arbeitet für die Staatssicherheit“. Soweit ich mich er<strong>in</strong>nere ist das drei<br />
Mal passiert, obwohl das gar nicht wahr war. Und so wurde eben versucht, <strong>in</strong>nerhalb des Kollegiums Misstrauen zu<br />
säen“. 193<br />
Oberstleutnant Roland Fischer bestätigte ebenfalls, RIAS habe seit dem 16. <strong>Juni</strong> abends, alle zehn M<strong>in</strong>uten von<br />
angeblichen Demonstrationen berichtet. Er soll ständig se<strong>in</strong>e Parolen wie<strong>der</strong>holt haben „und sendete se<strong>in</strong>en „RIAS-<br />
Warndienst“.<br />
185 Neues Deutschland, Nr.18 vom 20.1.1957<br />
186 Hg. Ausschuss für Deutsche E<strong>in</strong>heit, Wer zog die Drähte? Der <strong>Juni</strong>-Putsch 1953 und se<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>tergründe, S.42<br />
187 Neues Deutschland, Nr.17 vom 19.1.1957<br />
188 Neues Deutschland, Nr.148 vom 27.6.1953<br />
189 Arsenal, Band 5, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1984, S.31<br />
190 Neues Deutschland, Nr.18 vom 20.1.1957<br />
191 Neues Deutschland, Nr.72 vom 23.3.1954<br />
192 Neues Deutschland, Nr.158 vom 9.7.1953<br />
193 Internet, he<strong>in</strong>rich-hertz-gymnasium.de /2004
Mit diesem „Warndienst“ g<strong>in</strong>g es dem Klassenfe<strong>in</strong>d darum, mittels Verleumdungen und Hetze zielgerichtet<br />
Funktionäre und Persönlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> von <strong>der</strong> Bevölkerung zu isolieren<br />
und politisch zu erpressen. Sie wurden als „Spitzel des SED-Regimes“ o<strong>der</strong> „SSD-Agenten“ bezeichnet. Man<br />
wollte Unruhe unter den Werktätigen verbreiten und viele zur Republikflucht drängen. Dann g<strong>in</strong>g <strong>der</strong> „RIAS-<br />
Warndienst“ dazu über, offene Boykott- und Mordhetze gegen Bürger <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> zu betreiben“. 194 Wilhelm<br />
Hagedorn war e<strong>in</strong>s dieser Opfer des RIAS-Warndienstes. Konterrevolutionäre haben ihn <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 bestialisch<br />
erschlagen. RIAS „warnte“ im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> noch mehrmals vor ihm, obwohl Hagedorn längst Tod war. 195<br />
9.) Stahlhelm (Westberl<strong>in</strong>)<br />
Die Leitung des →Stahlhelms machte sich zweifelsohne schon Jahre vor dem Umsturzversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, für<br />
e<strong>in</strong>e gewalts<strong>am</strong>e E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> an den Westen stark. Auch er ist von den <strong>am</strong>erikanischen Behörden f<strong>in</strong>anziert<br />
worden. Da Eleanor Dulles, nachweisliche Organisator<strong>in</strong> des Putsches <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, noch sechs Tage vor den<br />
Ereignissen, den Stahlhelmführern <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> größere Summen übergab, dürften ihre Mitglie<strong>der</strong> ebenfalls an den<br />
<strong>Provokation</strong>en aktiv teilgenommen haben. 196<br />
10.) Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen (UfJ)<br />
Dem Spiegel zufolge, führte Theo Friedenaus 1949 gegründete und für den <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst arbeitende<br />
Organisation: →Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen (UfJ) bereits 1952 rund 12.000 Vertrauensleute, also<br />
Spitzel im deutschen Osten. Die Führung des UfJ bestand überwiegend aus ehemaligen Nazis. Ihre Agenten hatten die<br />
SED durchsetzt und gaben regelmäßig Informationen für ihre eigene schwarze Liste an die Zentrale weiter.<br />
Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 nahmen selbstverständlich auch ihre Anhänger an den <strong>Provokation</strong>en <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> teil. Wie „Agence<br />
France Presse“ meldete, haben UfJ-Mitglie<strong>der</strong> d<strong>am</strong>als <strong>in</strong> den Straßen des sowjetischen Sektors von Berl<strong>in</strong><br />
Hetzflugblätter verbreitet. 197<br />
In demselben S<strong>in</strong>ne fielen auch Theo Friedenaus Aussagen im September 1953 aus. Er gab auf e<strong>in</strong>er Pressekonferenz <strong>in</strong><br />
Kopenhagen offen zu, „dass er eng mit dem USA-Spionagedienst <strong>in</strong> Deutschland<br />
zus<strong>am</strong>menarbeite. Er teilte ferner mit, „dass <strong>der</strong> „Untersuchungsausschuss freiheitlicher<br />
Juristen“, von den Amerikanern großzügige Hilfe erhält und von Amerikanern geleitet wird...<br />
Während früher die Amerikaner nur e<strong>in</strong>en persönlichen Kontakt mit Friedenau und se<strong>in</strong>en<br />
Helfershelfern aufrechterhielten, wurden im <strong>Juni</strong> (1953) <strong>in</strong> das Büro des<br />
„Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen“ e<strong>in</strong>ige Offiziere aus den Spionageorganen<br />
<strong>der</strong> USA abkommandiert“. 198 Weitere E<strong>in</strong>zelheiten über ihre Rolle <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 verriet er allerd<strong>in</strong>gs nicht.<br />
11.) Vere<strong>in</strong>igung Politischer Ostflüchtl<strong>in</strong>ge (VPO)<br />
Die VPO wurde 1948 von Funktionären <strong>der</strong> Adenauer-CDU gegründet und arbeitete für das Kaiser-M<strong>in</strong>isterium den<br />
deutschen, englischen sowie <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst. Von beson<strong>der</strong>em Interesse dabei aber bleibt ihre<br />
aktenkundige, direkte Verb<strong>in</strong>dung zum „NATO-Generalstab SHAPE“, denn ihr aus Ostdeutschland<br />
zus<strong>am</strong>mengetragenes Spionagematerial hat man nachweislich auch für darauf aufbauende <strong>DDR</strong>-Hetze verwendet.<br />
Im Schnitt s<strong>in</strong>d etwa 5 bis 6 Millionen Flugblätter monatlich <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> gedruckt worden. Dasselbe Hetzmaterial hat<br />
man „zum Teil durch V-Leute <strong>in</strong> das Gebiet <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> e<strong>in</strong>geschleust, zum Teil (aber auch) durch<br />
Ballons abgeworfen“. 199<br />
194 Arsenal, Band 5, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1984, S.32<br />
195 Arsenal, Band 5, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1984, S.32<br />
196 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953<br />
197 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />
198 Neues Deutschland, Nr.208 vom 5.9.1953<br />
199 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1958, S.575
Ihre direkte Verb<strong>in</strong>dung zum NATO-Generalstab, im Gegensatz zu an<strong>der</strong>en Agentenzentralen, <strong>der</strong>en Verb<strong>in</strong>dung zum<br />
NATO-Nachrichtendienst entwe<strong>der</strong> über den CIA o<strong>der</strong> diverse nationale Geheimdienste lief, ist auch deshalb von<br />
Belang, weil ihre V-Leute <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 „mit Sprengsätzen und Hetzflugblättern ausgerüstet <strong>in</strong> den<br />
demokratischen Sektor von Groß-Berl<strong>in</strong> und <strong>in</strong> die <strong>DDR</strong> geschickt (worden s<strong>in</strong>d), um den<br />
faschistischen Putschversuch unterstützen zu helfen. Nach <strong>der</strong> Erledigung ihres Auftrages<br />
mussten sie“ dem VPO-Geschäftsführer Otto K<strong>in</strong>tzel persönlich berichten. 200<br />
12.) Vere<strong>in</strong>igung russischer Wi<strong>der</strong>standskämpfer gegen den Bolschewismus<br />
Die Leitung <strong>der</strong> Agentenzentrale →Vere<strong>in</strong>igung russischer Wi<strong>der</strong>standskämpfer gegen den Bolschewismus, lag <strong>in</strong><br />
Händen von Alexan<strong>der</strong> Kerenski. Er rühmte sich nach dem Putschversuch, <strong>in</strong> Beise<strong>in</strong> des später vor e<strong>in</strong>em ostdeutschen<br />
Gericht Angeklagten Mangelsdorf, an den Ausschreitungen teilgenommen zu haben. „Er und se<strong>in</strong>e Mitarbeiter<br />
seien <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> mit e<strong>in</strong>em Flugzeug von Nürnberg nach Berl<strong>in</strong> geflogen und hätten vom<br />
Potsd<strong>am</strong>er Platz aus über Ultrakurzwellenfunk die Besatzungen <strong>der</strong> sowjetischen Panzer<br />
aufgefor<strong>der</strong>t, sich mit den Provokateuren zu verbünden“. 201<br />
13.) Volksbund für Frieden und Freiheit (VFF)<br />
Die Geheimdiensthilfsorganisation →Volksbund für Frieden und Freiheit wurde im August 1950 mit Unterstützung des<br />
Bundesm<strong>in</strong>isteriums für ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen gegründet. Leiter des „Volksbundes“ 202 war e<strong>in</strong> ehemaliger<br />
NSDAP-Experte im Bereich psychologischer Kriegführung, geme<strong>in</strong>t ist Eberhardt Taubert. Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 dirigierte<br />
Franz Thedieck, Bonner Staatssekretär im Kaiser M<strong>in</strong>isterium, persönlich den Volksbund. 203 Ihre Teilnahme an den<br />
Ausschreiungen können daher kaum abgestritten werden.<br />
14.) Werwolf (Westberl<strong>in</strong>)<br />
Dem <strong>in</strong> Ostdeutschland beson<strong>der</strong>s brutal wütenden →Werwolf, übergab Eleanor Dulles ebenfalls enorme Geldsummen.<br />
E<strong>in</strong>e aktive Teilnahme ihrer Mitglie<strong>der</strong> an den Gewaltausschreitungen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> s<strong>in</strong>d deshalb auf ke<strong>in</strong>en Fall<br />
auszuschließen. 204<br />
Zu denen im Vorfeld gegen die <strong>DDR</strong> mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitenden Geheimdiensthilfsorganisationen<br />
(GHO), und deshalb <strong>in</strong>dikret <strong>am</strong> Umsturzversuch des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 beteiligten Agentenzentralen gehörten:<br />
15.) →Amerikanisches Komitee für die Befreiung vom Bolschewismus (ACLB)<br />
16.) →Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft demokratischer Kreise (ADK)<br />
<strong>17.</strong>) →Bru<strong>der</strong>hilfe Ost<br />
18.) →Büro Hoffmann<br />
19.) →Evangelische Bahnhofsmissionen<br />
20.) →Gruppe Dert<strong>in</strong>ger<br />
21.) →Gruppe Janke/Vogelsang<br />
22.) →Gruppe Max Gräf<br />
23.) →Informationsbüro West (IBW)<br />
24.) →K<strong>am</strong>pfbund zur Befreiung <strong>der</strong> Völker Russlands (SBONR)<br />
25.) →Befreiungskomitee für die Opfer totalitärer Willkür<br />
26.) →Nationale Arbeitsunion (NTS)<br />
27.) →Nationales K<strong>am</strong>pfkomitee für e<strong>in</strong> freies Europa<br />
200 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1958, S.575<br />
201 Neue Justiz (Zeitschrift für Recht und Rechtswisenschaft), Nr.16 vom 20. August 1984, Berl<strong>in</strong>/<strong>DDR</strong>, S.463<br />
202 Kurt Hirsch, Rechts von <strong>der</strong> Union. Personen, Organisationen, Parteien seit 1945, Verlag Knesbeck & Schuler 1989<br />
203 Neus Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />
204 Neues Deutschland, Nr.189 vom 14.8.1953
28.) →Ostbüro <strong>der</strong> Evangelischen Studentengeme<strong>in</strong>de<br />
29.) →Ostbüro <strong>der</strong> CDU<br />
30.) →Sparvere<strong>in</strong> Südost<br />
31.) →Telegraf-Redaktion<br />
32.) →Vere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Opfer des Stal<strong>in</strong>ismus (VOS)<br />
33.) →Zentrale Vere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Nachkriegsemigranten (ZOPE)<br />
Nach all diesen nur oberflächlich zus<strong>am</strong>mengetragenen Informationen ergibt sich <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Diagr<strong>am</strong>s letztendlich<br />
folgendes Bild für 1953:
Legende<br />
Militarismus nach außen<br />
Militarismus nach <strong>in</strong>nen<br />
Zuträgerdienste für den <strong>17.</strong><strong>Juni</strong> 1953<br />
und a ktive Teilna hme.<br />
Militarismus nach <strong>in</strong>nen.<br />
Stand: <strong>17.</strong><strong>Juni</strong> 1953<br />
Agentenzentralen im Dienste <strong>der</strong> NATO 1953<br />
Dillge r<br />
+<br />
Asen do rf<br />
Horst Ga lu hn<br />
+<br />
He rr K<strong>in</strong> ze l<br />
Ernst<br />
Scharnowski<br />
CIA-Abteilung I<br />
Stahlhelm<br />
Stahlhelm<br />
Werwolf Werwolf<br />
Ado lf-Hitle r Tra dition<br />
Adolf-Hitler Tradition<br />
NTS<br />
ZOPE<br />
Gruppe Dert<strong>in</strong>ger Otto Lenz<br />
Na tionales K<strong>am</strong>p fkomitee<br />
für e<strong>in</strong> freies Europa<br />
Deutsches Büro von<br />
Harold Esche<br />
Weiße Legion Dr. Von Me rka tz<br />
NATO<br />
Nato-Nachrichtendienst<br />
Amerikanischer Geheimdienst<br />
Forschungsbe ira t<br />
Gruppe Dert<strong>in</strong>ger<br />
Deutsches Büro von<br />
Harold Esche<br />
Büro des Herrn<br />
Vockel<br />
Genera lo berst Lutz<br />
Orga nisation<br />
Gehlen (ORG)<br />
Son<strong>der</strong>verb <strong>in</strong>dungen<br />
<strong>der</strong> ORG<br />
NTS<br />
Liga für Menschenrechte Liga für Menschenrechte<br />
Liga für Menschenrechte<br />
Amt Blank<br />
Abteilung<br />
“Militärische Ab wehr”<br />
(Dienststelle Bla nk)<br />
Institut für Betriebshygiene<br />
<strong>der</strong> Freien Unive rsität-Berl<strong>in</strong><br />
(Dienststelle Blank)<br />
Westphal<br />
Ro be rt<br />
+<br />
KgU Tillm ann s KgU Bockelberg KgU<br />
Ernst<br />
Sch arn owski<br />
Herbert<br />
Ostbüro <strong>der</strong> SPD Wehner Ostbüro <strong>der</strong> SPD Ostbüro <strong>der</strong> SPD<br />
Ostbüro <strong>der</strong> CDU Ostbüro <strong>der</strong> CDU<br />
Ostbüro <strong>der</strong> CDU Baldauf Ostbüro <strong>der</strong> CDU<br />
Ostbüro <strong>der</strong> CDU<br />
Komitee zur Befreiung <strong>der</strong><br />
Opfer totalitärer Willkür<br />
Gruppe Janke/<br />
Vogelsang<br />
Büro Hoffmann<br />
Wern er Jöhre n<br />
+<br />
Ho rst Galuhn<br />
Franz<br />
Thed iec k<br />
+<br />
M <strong>in</strong>isterialra t Baron<br />
v on Dell<strong>in</strong>gshausen<br />
Ernst<br />
Scharnowski<br />
Lud wig<br />
Ro senb e rg<br />
Erste Legion<br />
Ru d olf Sc hm id t<br />
+<br />
Loth a r Loh risc h<br />
Gehlen Agent Albert<br />
Gerhard<br />
Haas<br />
RIAS<br />
Secret Intelligence<br />
Service (SIS)<br />
Kronika<br />
Gruppe Dert<strong>in</strong>ger<br />
Dr. Von Merkatz<br />
BDJ +<br />
BDJ<br />
F. Thedieck BDJ BDJ<br />
BDJ<br />
Ostbüro des DGB<br />
Ostbüro des DGB<br />
KgU KgU<br />
Ostbüro des DGB<br />
Ostbüro <strong>der</strong> FDP Ostbüro <strong>der</strong> FDP Ostbüro <strong>der</strong> FDP<br />
Ve re<strong>in</strong>igung politischer<br />
Ostflüchtl<strong>in</strong>ge (VPO)<br />
Ve re<strong>in</strong>igung politischer<br />
Ostflüchtl<strong>in</strong>ge (VPO)<br />
Volksbund für Frieden<br />
und Freiheit (VFF)<br />
Informationsbüro<br />
West (IBW)<br />
Bru<strong>der</strong>hilfe Ost<br />
Eva ngelische<br />
Ba hnhofsmissionen<br />
Ka mpfbund ge ge n<br />
den Bolsc hewismus<br />
Ve re<strong>in</strong>igung politischer<br />
Ostflüchtl<strong>in</strong>ge (VPO)<br />
Informationsbüro<br />
West (IBW)<br />
Telegraf-Redaktion<br />
Ostbüro des DGB<br />
Ostbüro <strong>der</strong> SPD Ostbüro <strong>der</strong> SPD Ostbüro <strong>der</strong> SPD<br />
UfJ UfJ UfJ UfJ UfJ<br />
Gruppe Max Gräf<br />
Ame rika n isch e s Ko mite e fü r d ie<br />
Be freiu n g vo m Bolsc h ewismu s ( AC LB)<br />
K<strong>am</strong>p fbu nd zur Befreiu ng <strong>der</strong><br />
Völker Russland s (SBONR)<br />
Spa rvere<strong>in</strong> Südost<br />
NJD<br />
Bundesm<strong>in</strong>isterium für<br />
ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen<br />
Refe rat Ost/<br />
SS-Obe rgru ppe nführe r<br />
Koc h<br />
Ostbüro <strong>der</strong> Evangelischen<br />
Studentengeme<strong>in</strong>de<br />
Vere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Opfer<br />
de s Stal<strong>in</strong>ismus (VOS)<br />
Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />
Demokratischer Kreise (ADK)<br />
Technisches<br />
Hilfswerk<br />
Vere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Opfer<br />
de s Stal<strong>in</strong>ismus (VOS)<br />
Vere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Opfer<br />
de s Stal<strong>in</strong>ismus (VOS)<br />
Arbeitsg eme<strong>in</strong>sc haft<br />
Demokratisc her Kreise (ADK)<br />
Ve re<strong>in</strong>igung politischer<br />
Ostflüchtl<strong>in</strong>ge (VPO)<br />
Vere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Opfer<br />
de s Stal<strong>in</strong>ismus (VOS)<br />
Se rvice de Dokumenta tion<br />
Extrérieur et de Contre-<br />
Espiona ge (SDECE)<br />
Inge<br />
Krüge r<br />
Informationsbüro<br />
West (IWE)<br />
Nato-<br />
Nachrichtendienst<br />
Westgeheimdienste<br />
Hilfsorganisationen <strong>der</strong><br />
Westgeheimdienste<br />
<strong>Provokation</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> –E<strong>in</strong>mischung <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Städten <strong>der</strong> Republilk<br />
In den an<strong>der</strong>en ostdeutschen Städten sah <strong>der</strong> Massenprotest und die versuchte <strong>Provokation</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 ähnlich<br />
wie <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> aus, auch dort spielten imperialistische Nachrichtendienste mit ihren Geheimdienstmethoden s<strong>am</strong>t
Agentenzentralen e<strong>in</strong>e wichtige Rolle, wie ehemalige Nazis o<strong>der</strong> terroristische Vorgehensweisen bis h<strong>in</strong> zu Mord<br />
belegen. Solche Fakten 50 Jahre danach noch immer abzustreiten ist e<strong>in</strong> Fehler. Fricke aber tut genau dies <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
geheimdiensthistorischen Standartwerk zum <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong>, obwohl auch er den Bericht des hohen Kommissars Wladimir<br />
Semjonow zitiert: „Insges<strong>am</strong>t s<strong>in</strong>d zum 5. Oktober durch Gerichte <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1.240 Teilnehmer <strong>der</strong><br />
<strong>Provokation</strong>en verurteilt worden... Unter den verurteilten Organisatoren und Anstiftern <strong>der</strong><br />
<strong>Provokation</strong>en (befanden sich) 138 ehemalige Mitglie<strong>der</strong> nazistischer Organisationen und 23<br />
E<strong>in</strong>wohner Westberl<strong>in</strong>s“. 205<br />
Wie viele Bürger aus den Westen <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en Städten provozierten ist aus diesen Angaben zwar nicht ersichtlich, im<br />
NATO-Pakt e<strong>in</strong>gebundene Geheimdienste s<strong>am</strong>t ihrer Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO) aber haben auch <strong>in</strong> den<br />
an<strong>der</strong>en Orten Unruhen <strong>in</strong>szeniert, dafür s<strong>in</strong>d genügend Beweise vorhanden. Auch dort nahm alles bereits <strong>am</strong> 16. <strong>Juni</strong><br />
se<strong>in</strong>en Anfang, wie <strong>DDR</strong>-Gerichtsakten belegen: „So wurden bereits <strong>am</strong> 16. <strong>Juni</strong> 1953 z. B. von<br />
Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) aus zwei Kuriere mit e<strong>in</strong>em Motorrad nach Westberl<strong>in</strong> geschickt,<br />
um konkrete Anweisungen für die Durchführung des Putsches <strong>in</strong> Bitterfeld e<strong>in</strong>zuholen. Diese<br />
Kuriere k<strong>am</strong>en <strong>in</strong> den frühen Morgenstunden des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> von Westberl<strong>in</strong> mit dem Auftrag<br />
zurück, sofort zum „Generalstreik“ aufzurufen, Verb<strong>in</strong>dungen zu Agentengruppen <strong>in</strong> Halle<br />
und Delitzsch aufzunehmen und an diese den Auftrag zur Ausrufung des Generalstreiks<br />
weiterzuleiten.<br />
Den Agenten <strong>in</strong> Halle wurde weiter mitgeteilt, dass sie für die Weitergabe des Auftrages an die<br />
Leuna- und Bunawerke sowie nach Leipzig verantwortlich seien. Diese Aufträge wurden so<br />
rechtzeitig durchgeführt, dass <strong>der</strong> Rädelsführer <strong>in</strong> Halle bereits um acht Uhr im Besitz dieser<br />
Anweisungen war. Die Agentengruppe <strong>in</strong> Halle hatte aus Sicherheitsgründen ebenfalls sofort<br />
e<strong>in</strong>en Kurier mit e<strong>in</strong>em Motorrad nach Berl<strong>in</strong> geschickt, um festzustellen, „ob dort alles klar<br />
gehe“. Derselbe Kurier ist nach se<strong>in</strong>er Rückkehr nochmals nach Berl<strong>in</strong> gefahren, um dort<br />
über den Stand des Putsches <strong>in</strong> Halle zu berichten und neue Instruktionen zu erhalten.<br />
Die <strong>in</strong> Magdeburg bestehende Agentengruppe –um e<strong>in</strong> weiteres Beispiel zu erwähnen- erhielt<br />
<strong>in</strong> den frühen Morgenstunden des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> durch Kurier Instruktionen für den faschistischen<br />
Putsch, die u. a. dar<strong>in</strong> bestanden, e<strong>in</strong>e Autokolone zus<strong>am</strong>menzustellen und Betriebe <strong>in</strong> und<br />
um Magdeburg zur Beteiligung an dem Putsch aufzurufen, (bzw.) notfalls die Beteiligung mit<br />
Gewalt zu erzw<strong>in</strong>gen. Der Auftrag g<strong>in</strong>g auch dah<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en Demonstrationszug <strong>in</strong> das<br />
Stadt<strong>in</strong>nere zu organisieren, die politischen Häftl<strong>in</strong>ge zu befreien und die Volkspolizei,<br />
erfor<strong>der</strong>lichenfalls unter Anwendung von Gewalt, zu entwaffnen. Von Magdeburg aus wurden<br />
auch die E<strong>in</strong>wohner von Schönbeck an <strong>der</strong> Elbe zum Putsch aufgerufen“. 206<br />
Zu ke<strong>in</strong>er Zeit aber gelang es <strong>der</strong>maßen viele H<strong>in</strong>tergrund<strong>in</strong>formationen zu den Geheimnisvollen Kurieren ans Licht zu<br />
zerren wie im Prozess gegen den CIC-Mitarbeiter Wolfgang Silgradt und Konsorten <strong>am</strong> 10. <strong>Juni</strong> 1954 vor dem<br />
ostdeutschen obersten Gericht <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Um so erstaunlicher s<strong>in</strong>d Frickes Aussagen dazu: „Das Gericht war nicht<br />
imstande, auch nur e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen Emissär aus Westberl<strong>in</strong> konkret zu benennen, <strong>der</strong> an <strong>der</strong><br />
Vorbereitung des Aufstandes beteiligt gewesen wäre“, 207 obwohl Dr. Ernst Melsheimer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Anklageschrift auch die Kurier-Zentrale n<strong>am</strong>entlich erwähnte.<br />
Er wies nach, „dass durch den sogenannten „Forschungsbeirat“ beim Kaiser-M<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong><br />
Bonn, <strong>der</strong> „Tag X“ <strong>in</strong> enger Zus<strong>am</strong>menarbeit mit Bonner Regierungsstellen, westdeutschen<br />
Konzernen und Monopolen sowie den Geheimdiensten <strong>der</strong> Westmächte schon seit Jahren<br />
vorbereitet und schließlich <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 ausgelöst wurde“. 208<br />
Der Angeklagte Werner Mangelsdorf <strong>in</strong>dessen räumte vor Gericht e<strong>in</strong>, „die Zeugen Schles<strong>in</strong>g und Eckste<strong>in</strong><br />
bestätig(t)en: Die Fäden, die die <strong>Provokation</strong>en <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> auslösten, waren lange vorher<br />
geknüpft. E<strong>in</strong> Motorrad mit Beiwagen brachte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht zum <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> aus Westberl<strong>in</strong><br />
Direktiven zum Agenten Fiebelkorn, ehemaliger Kapitänleutnant und Ritterkreuzträger, <strong>der</strong><br />
für den „Raum Bitterfeld“ zuständig war. „Kuriere“ g<strong>in</strong>gen von Bitterfeld nach Meresburg,<br />
205<br />
Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.207<br />
206<br />
Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />
207<br />
Karl Wilhelm Fricke / Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.229<br />
208 Neues Deutschland, Nr.136 vom 13.6.1954
Leuna, Delitzsch, liefen Deckadressen an, gaben das verabredete Signal für den „TagX“. 209<br />
Mangelsdorf wörtlich:<br />
„Im Ostbüro des DGB sagte mir Eva Walther: „Wir haben schon <strong>am</strong> Abend des 16. <strong>Juni</strong> die<br />
ersten Verb<strong>in</strong>dungsleute aufgenommen, die von ihren Vorbereitungen aus <strong>der</strong> Republik<br />
zurückkehrten“. 210<br />
Lediglich die persönlichen Daten <strong>der</strong> Hauptangeklagten wurden von Fricke nicht unterschlagen. Dr. Wolfgang Silgradt<br />
zum Beispiel, floh bereits 1951 nach Westberl<strong>in</strong> und war wie auch Fricke kle<strong>in</strong>laut e<strong>in</strong>räumen musste, danach „für die<br />
Ostbüros von CDU und FDP sowie für die Liga für Menschenrechte tätig, arbeitete<br />
freiberuflich für den RIAS und wurde schließlich Mitarbeiter beim Forschungsbeirat für<br />
Fragen <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung“. 211<br />
Silgrardts Agententätigkeit vor se<strong>in</strong>em Überlaufen, sowie se<strong>in</strong>e Spitzelarbeit für den CIC danach, verschwieg Fricke<br />
allerd<strong>in</strong>gs vornehmlich, obwohl Sigradt vor Gericht se<strong>in</strong>e Zus<strong>am</strong>menarbeit mit dem <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienst<br />
selbst zugab. Er räumte außerdem e<strong>in</strong>, „dass er Spionageberichte an den CIC gegeben hat, d<strong>am</strong>it bei<br />
e<strong>in</strong>em militärischen Angriff <strong>der</strong> Westmächte auf die <strong>DDR</strong>, diese „mit allen Örtlichkeiten“<br />
vertraut s<strong>in</strong>d. Für die Neuanwerbug von Agenten erhielt er u. a. e<strong>in</strong> „Kopfgeld“ von 50 D-<br />
Mark“. 212<br />
Ferner ist bekannt:<br />
1.) Bitterfeld bei Dessau/Sachsen-Anhalt<br />
E<strong>in</strong> Arbeiter (Kruger) aus dem Konsumgenossenschaftsunternehmen <strong>in</strong> Bitterfeld wurde <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953,<br />
nachdem er Ausschreitungen zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n versuchte, <strong>der</strong>art misshandelt, „dass er noch (e<strong>in</strong>en Monat<br />
danach)... schwer verletzt im Krankenhaus“ lag. 213 Demonstranten haben außerdem den SED-<br />
Funktionär Rieger (Personalchef e<strong>in</strong>er Konsumzentrale) im Laufe e<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit Arbeitern im<br />
Bereich Karl-Marx-Straße totgeschlagen. 214<br />
Staatliche Stellen h<strong>in</strong>gegen blieben <strong>in</strong> den meisten Fällen passiv, man wollte schließlich<br />
nicht auf eigene Mitbürger o<strong>der</strong> gar auf Arbeiter schießen. Den Demonstranten gelang es<br />
dadurch, selbst MfS-Dienststellen zu stürmen, so auch <strong>in</strong> Bitterfeld, wie Fricke ausnahmsweise ausführlich<br />
darlegte: „Beson<strong>der</strong>s erheblich waren die Verluste <strong>in</strong> Bitterfeld. Hier fehlten nach <strong>der</strong><br />
Erstürmung <strong>der</strong> Dienststelle 95 Personalakten und 103 Arbeitsvorgänge von offiziellen<br />
Mitarbeitern.<br />
Auch <strong>in</strong> Merseburg k<strong>am</strong>en 27 Personalakten und 79 Arbeitsvorgänge von Spitzeln und<br />
sogar e<strong>in</strong> operativer Gruppenvorgang abhanden. Erhebliche Materialien über<br />
<strong>in</strong>offizielle Mitarbeiter verschwanden auch aus <strong>der</strong> Kreisdienststelle Jena. In Görlitz<br />
fehlten ganz unterschiedliche Unterlagen: neben fünf Arbeitsvorgängen über<br />
<strong>in</strong>offizielle Mitarbeiter sechs Leitzordnern zu den volkseigenen Betrieben des Kreises,<br />
Strukturpläne und verschiedene brisante Aufstellungen zu verdächtigen Personen. In<br />
Niesky waren zwar die Spitzelakten rechtzeitig verschlossen worden, dafür g<strong>in</strong>gen Teile<br />
des Schriftverkehrs und <strong>der</strong> Verdächtigtenkartei sowie die ges<strong>am</strong>te Fahndungskartei<br />
verloren. Manches war e<strong>in</strong>fach <strong>der</strong> Zerstörungswut <strong>der</strong> Demonstranten zum Opfer<br />
gefallen, aber e<strong>in</strong>iges wurde sorgs<strong>am</strong> beiseite geschafft und gelangte über Umwege<br />
teilweise nach Westberl<strong>in</strong>, wo man sich anhand <strong>der</strong> Materialien erstmals e<strong>in</strong> genaues<br />
Bild über die Arbeitsweise <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-Geheimpolizei machen konnte. Ausgewählte<br />
Dokumente aus <strong>der</strong> Dienststelle Görlitz wurden dort im Jahre 1955 vom<br />
209<br />
Neues Deutschland, Nr.136 vom 13.6.1954<br />
210<br />
Neues Deutschland, Nr.136 vom 13.6.1954<br />
211<br />
Karl Wilhelm Fricke / Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S. 224<br />
212<br />
Neues Deutschland, Nr.135 vom 12.6.1954<br />
213<br />
Neues Deutschland, Nr.175 vom 29.7.1953<br />
214<br />
Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage
Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen publiziert“. 215<br />
2.) Stadt Brandenburg/ Brandenburg<br />
„Mehrere als Kommunisten erkannte Volkspolizisten“ wurden von Demonstranten <strong>in</strong><br />
Brandenburg <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> geschlagen, darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d „fünf russische Soldaten entwaffnet und<br />
schwer verprügelt“ worden. 216<br />
3.) C<strong>am</strong>burg bei Naumburg/ Thür<strong>in</strong>gen<br />
In C<strong>am</strong>burg schlugen ebenfalls während ihres angeblich friedlichen Protestes, faschistische Störenfried<br />
sämtliches Inventar zus<strong>am</strong>men. Im VEB C<strong>am</strong>burg Mühle, würgten sie den BGL-Vorsitzenden, um danach<br />
randalierend zur FDJ-Bezirksschule zu marschieren. Ob im Heim „Bergklause“, Rathaus o<strong>der</strong> <strong>in</strong> den<br />
Geschäftsräumen des Blättchen Volkswacht, überall verbrannten sie Bücher, Akten etc. Weitere<br />
„Schandtaten führten sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wohnung e<strong>in</strong>es Volkspolizisten... und im Polizeirevier<br />
aus“. 217<br />
4.) Dresden/ Sachsen<br />
E<strong>in</strong> SED-Funktionär aus den Klei<strong>der</strong>werken wird auf dem Industriegelände von Demonstranten<br />
nie<strong>der</strong>geschlagen, weil er es wagte, sie „als westliche Agenten“ zu bezeichnen. 218<br />
5.) Gerbstedt bei Lutherstadt-Eisleben/ Sachsen-Anhalt<br />
In Gerbstedt versuchten Provokateure <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er LPG („Walter Ulbricht“) ihre Kollegen durch Terror zum<br />
Streik zu veranlassen. 219 E<strong>in</strong> gewisser Knack aus dem Otto-Brosowski-Schacht for<strong>der</strong>te gar, „die<br />
randalierenden, faschistischen Elemente <strong>in</strong> Gerbstedt auf, sich die Arbeiter zu merken,<br />
die auf ihre Auffor<strong>der</strong>ungen h<strong>in</strong> nicht mit ihnen marschierten“. 220<br />
6.) Gräfenha<strong>in</strong>ichen bei Lutherstadt-Wittenberg/ Sachsen-Anhalt<br />
In Gräfenha<strong>in</strong>ichen gelang es e<strong>in</strong>igen Faschisten zus<strong>am</strong>men mit großbäuerlichen Elementen durch<br />
Gerüchtemacherei mehrere Traktoristen (MTS-Söllichau) zum Streik aufzuhetzen. 221<br />
Insbeson<strong>der</strong>e e<strong>in</strong> ehemaliger SS-Feldgendarm mit dem N<strong>am</strong>en Pleschke glaubte se<strong>in</strong>e Stunde sei <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />
gekommen. Demonstrativ zeriss er se<strong>in</strong> Parteibuch, „schließlich wollte er, wie mit dem Großbauer<br />
W<strong>in</strong>tersdorf vere<strong>in</strong>bart, Prokurist <strong>in</strong> dem geraubten Masch<strong>in</strong>enhof werden“. 222<br />
7.) Halle/ Sachsen-Anhalt<br />
Nach e<strong>in</strong>em ostdeutschen Polizeibericht, stürmten <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> vorgeblich friedliche Demonstranten im Bezirk<br />
Halle 33 Gebäude. Sie befreiten 487 Häftl<strong>in</strong>ge. Darunter befand sich auch Erna Dorn.<br />
Sie ist sofort <strong>in</strong> den „Führungsstab“ berufen worden, um noch <strong>am</strong> selben Tag auf dem Hallmarkt <strong>in</strong> Halle<br />
große Reden zu schw<strong>in</strong>gen. Dort schnappte sie dann völlig über, mit faschistischen Unterton, for<strong>der</strong>te sie „zur<br />
Ermordung von Angehörigen <strong>der</strong> Volkspolizei“ auf. Ihrem <strong>in</strong> Westdeutschland lebenden Vater<br />
215<br />
Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen, S.116<br />
216<br />
Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage, Deutscher Bundesverlag Bonn, ohne<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsjahr!<br />
217<br />
Neues Deutschland, Nr.157 vom 8.7.1953<br />
218<br />
Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage, Deutscher Bundesverlag Bonn, ohne<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsjahr!<br />
219 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />
220 Neues Deutschland, Nr.206 vom 3.9.1953, S.6<br />
221 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />
222 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953
schrieb sie begeistert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief: „Es ist soweit. Wir ziehen die alten geliebten SS-<br />
Uniformen wie<strong>der</strong> an“!<br />
Man darf sich also ernsthaft Fragen, wer hier den Vogel abgeschossen hat, ob Dorn o<strong>der</strong> Fricke. Letzterer<br />
behauptete allen Ernstes, Dorn sei „die Frau, <strong>der</strong>en Identität letztendlich ungeklärt blieb“. 223<br />
Obwohl auch Dorns Vater unter Hitler aktenkundig für die gefürchtete Gestapo <strong>in</strong> Tilsit arbeitete. „Er sorgte<br />
dafür, dass se<strong>in</strong>e Tochter, die bereits von 1934 bis 1936 bei <strong>der</strong> Politischen Polizei <strong>der</strong><br />
Nazis tätig war, ab 1936 ebenfalls zur Gestapo nach Tilsit k<strong>am</strong>. Dort „arbeitete“ die<br />
Dorn bis 1941, zuletzt als Krim<strong>in</strong>alkommissar.<br />
Anschließend trieb sie als SS-Kommandeuse im Konzentrationslager Ravensbrück ihr<br />
Unwesen. Dorn hat dort unter an<strong>der</strong>em wie<strong>der</strong>holt an Erschießungen weiblicher<br />
Antifaschisten teilgenommen“, wie sie selbst vor Gericht zugab: Es seien „höchstens 80 bis 90“<br />
Personen gewesen.<br />
Nach dem Zus<strong>am</strong>menbruch tauchte Dorn mit falschen Personalpapieren <strong>in</strong> Halle unter, behauptete sogar sie<br />
gehöre zu den politisch Verfolgten. 1950 wurde sie wegen Betrugs, 1951 dann auf Grund schweren Diebstahls<br />
bestraft, um letztendlich wie an<strong>der</strong>e Massenmör<strong>der</strong> zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt zu werden. Vor Gericht<br />
machte sie daraus selbst ke<strong>in</strong>en Hehl:<br />
„Vorsitzen<strong>der</strong>: Sie haben bei <strong>der</strong> Gestapo gearbeitet. Welche Arbeiten haben sie<br />
ausgeführt?<br />
Angeklagte: Ich habe Ermittlungen durchgeführt und Haussuchungen, vor allem bei<br />
Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> KPD und SPD“ usw. 224<br />
Dennoch nahmen was nicht vergessen, zum<strong>in</strong>dest aber nicht mit den faschistischen Provokateuren verwechselt<br />
werden darf, 94 Betriebe aus Halle <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 an den Streiks teil. 225 Währenddessen aber,<br />
ermordeten Faschisten nicht nur e<strong>in</strong>en Volkspolizisten, 226 son<strong>der</strong>n auch den studierenden FDJler<br />
Gerhard Schmidt. Er „war <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> an <strong>der</strong> Strafanstalt <strong>am</strong> Kirchtor <strong>in</strong> Halle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Menge faschistischer Provokateure h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geraten... (Sie) versuchten die Strafanstalt zu<br />
stürmen... Unerschrocken trat er (ihnen)... entgegen... Dabei schossen ihn die<br />
bewaffneten Banditen nie<strong>der</strong>“. 227 Zu den n<strong>am</strong>entlich bekannt gewordenen, <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />
mitdemonstrierenden Mitglie<strong>der</strong>n westdeutscher Agentenzentralen, gehörte neben dem Ostbüro-Agent Zobel<br />
aus dem Otto-Brosowski-Schacht, 228 auch e<strong>in</strong> gewisser Herr Bock aus den Leuna-Werk <strong>in</strong> Halle. Dort selbst<br />
arbeitende Werktätige überführten ihn „als Agent des IG-Farben-Konzerns und... (ehemaliges)<br />
Mitglied des Stahlhelms“. 229<br />
E<strong>in</strong>en Tag nach dem Umsturzversuch, <strong>am</strong> 18. <strong>Juni</strong> „nahmen Organe <strong>der</strong> Volkspolizei <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
e<strong>in</strong>en Agenten e<strong>in</strong>es ausländischen Staates fest, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Voruntersuchung aussagte,<br />
dass er zus<strong>am</strong>men mit vier an<strong>der</strong>en Agenten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht zum <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
<strong>am</strong>erikanischen Flugzeug <strong>in</strong> den Raum von Sangerhausen (45 Kilometer westlich von<br />
Halle) gebracht und dort mit e<strong>in</strong>em Fallschirm abgesetzt wurde.<br />
Die Agenten waren mit Waffen und e<strong>in</strong>em Sendegerät ausgerüstet, die sie im Walde<br />
verbargen. Bald darauf gelang es den Organen <strong>der</strong> Volkspolizei mit Hilfe <strong>der</strong><br />
Bevölkerung, zwei weitere Fallschirmjäger festzunehmen. Die Verhafteten gestanden,<br />
dass sie den Auftrag hatten, die Bevölkerung zum Aufruhr aufzuwiegeln und<br />
persönlich aktiv an ihm teilzunehmen wofür ihnen e<strong>in</strong>e Belohnung versprochen<br />
worden war“. 230<br />
223<br />
Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.15<br />
224<br />
Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />
225<br />
Thorsten Diedrich, Der <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1991<br />
226<br />
Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />
227<br />
Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />
228<br />
Neues Deutschland, Nr.206 vom 3.9.1953<br />
229<br />
Neues Deutschland, Nr.217 vom 16.9.1953<br />
230<br />
Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953
Wie Julius Ma<strong>der</strong> versichert, s<strong>in</strong>d später auch über Thür<strong>in</strong>gen Fallschirmagenten abgesetzt worden: „Um die<br />
Verluste <strong>der</strong> Agentengruppen auszugleichen, wurden auf dem Land- und Luftweg<br />
weitere konterrevolutionäre Ka<strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschleust. In <strong>der</strong> zweiten und dritten<br />
<strong>Juni</strong>dekade setzten zum Beispiel ausländische Flugzeuge über Thür<strong>in</strong>gen und Sachsen-<br />
Anhalt Fallschirmagenten ab, die mit Waffen und Funkgeräten ausgerüstet waren.<br />
Auch auf <strong>der</strong> Autobahn Leipzig-Berl<strong>in</strong> wurden Lastkraftwagen mit Waffen entdeckt<br />
und sichergestellt“. 231 Dies alles geschah noch vor dem 21.6.<strong>1953.</strong> 232<br />
8.) Höhnstedt bei Halle/ Sachsen-Anhalt<br />
Zu den übelsten Krakeelern <strong>in</strong> Höhnstedt gehörte auch Hermann Thieme e<strong>in</strong> ehemaliger SA-Schläger. 233 Er<br />
hielt <strong>am</strong> <strong>17.</strong> und 18. <strong>Juni</strong> nicht nur aufrührerische Reden, son<strong>der</strong>n sang auch lauthals<br />
faschistische Lie<strong>der</strong>. In se<strong>in</strong>er Scheune hatte Thieme e<strong>in</strong> eigenes Waffenlager mit drei Pistolen,<br />
e<strong>in</strong>em Karab<strong>in</strong>er, e<strong>in</strong>em Tesch<strong>in</strong>g, größere Menge Munition, Gasmasken und Feldfernsprecher angelegt, um<br />
<strong>am</strong> „Tag X“ mit Waffengewalt gegen fortschrittliche Kräfte vorgehen zu können. Dazu k<strong>am</strong> es nicht, da e<strong>in</strong>e<br />
Arbeiter-Selbstschutztruppe den wild um sich schießenden Thieme mit se<strong>in</strong>en Komplicen noch <strong>am</strong> selben <strong>17.</strong><br />
<strong>Juni</strong> 1953 vorzeitig festnahm. 234 Bereits unter Hitler war das SA-Mitlglied Thieme an terroristischen<br />
Handlungen „gegen Funktionäre <strong>der</strong> Arbeiterbewegung und gegen Juden“ beteiligt. 235<br />
9.) Jena/ Thür<strong>in</strong>gen<br />
Kurt Unbehauen aus Magdeburg wurde vom Bezirksgericht Jena wegen Boykott, Mordhetze und faschistischer<br />
Umtriebe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schnellverfahren zu e<strong>in</strong>er lebenslänglichen Zuchthausstrafe verurteilt. Den Gerichtsakten<br />
nach war er maßgeblich an den Gewaltausschreitungen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> beteiligt. „Unbehauen gehörte<br />
bereits 1934 <strong>der</strong> faschistischen SA und dem NSKK an“. Schon d<strong>am</strong>als war er an Terrorakten<br />
beteiligt. 236<br />
Im Jahr 1952 flüchtete Unbehauen unter Mitnahme von 1000 DM Genossenschaftseigentums nach Westberl<strong>in</strong>,<br />
um sich dort „bei e<strong>in</strong>er Agentenzentrale <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kuno-Fischer-Straße zu melden“. 237 Nach<br />
dem Regierungserlass, welches allen Republikflüchtigen e<strong>in</strong>e Rückkehr erlaubte, kehrte Unbehauen <strong>in</strong>s<br />
demokratische Deutschland zurück.<br />
Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 fuhr Unbehauen aktenkundig „mit e<strong>in</strong>em gestohlenen Personenkraftwagen<br />
zum Rat des Kreises Jena. Er drang gewalts<strong>am</strong> <strong>in</strong> die Diensträume e<strong>in</strong>, schlug im<br />
Hausflur e<strong>in</strong>e Angestellte <strong>der</strong> Abteilung Staatliches Eigentum brutal zu Boden und<br />
erbrach die Tür zum Vorsitzenden des Rates, den er ebenfalls nie<strong>der</strong>schlagen wollte.<br />
Vorher hatte <strong>der</strong> faschistische Provokateur bereits e<strong>in</strong>en Volkspolizisten überwältigt<br />
und ihm die Dienstpistole entwendet, um mit Waffengewalt gegen Staatsfunktionäre<br />
vorgehen zu können“. 238<br />
Währenddessen sangen auf dem Holzmarkt <strong>in</strong> Jena, an<strong>der</strong>e Provokateure den SA-Schlager Horst-Wessel. Bei<br />
ihrem gewalttätigen Umtrieben machten sie selbst vor e<strong>in</strong>fachen Fußgängern nicht halt. Über 40 Passanten<br />
mussten zum Teil schwer verletzt <strong>in</strong>s Krankenhaus e<strong>in</strong>geliefert werden. 239<br />
Noch übler erg<strong>in</strong>g es den MfS-Mitarbeitern <strong>in</strong> ihrer Kreisdienststelle Jena. „Immer neue Wellen von<br />
Demonstranten drangen <strong>in</strong> das Gebäude e<strong>in</strong>. Die MfS-Mitarbeiter wurden dabei<br />
231 Ma<strong>der</strong> Julius, Nicht länger geheim, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1977<br />
232 In <strong>der</strong> „Erklärung des Zentralkomitees <strong>der</strong> SED: Über die Lage und die unmittelbaren Aufgaben <strong>der</strong> Partei“ vom 21. <strong>Juni</strong> 1953 hieß es dazu<br />
wörtlich: „In <strong>der</strong> Republik herrscht Ruhe... Aber die Ruhe ist noch ke<strong>in</strong>eswegs endgültig gesichert. Der Fe<strong>in</strong>d setzt se<strong>in</strong>e Wühlarbeit fort.<br />
Ausländische Flugzeuge setzen, wie bereits <strong>in</strong> den vergangenen Tagen über Thür<strong>in</strong>gen, Sachsen-Anhalt usw. durch Fallschirme Gruppen ab.<br />
Lastwagen mit Waffen für noch nicht entdeckte Gruppen wurden an <strong>der</strong> Autobahn Leipzig-Berl<strong>in</strong> abgefangen. Der Gegner geht zu großen<br />
Sabotageakten über... / Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953<br />
233 Neues Deutschland, Nr.135 vom 12.6.1955<br />
234 Neues Deutschland, Nr.152 vom 2.7.1953<br />
235 Neues Deutschland, Nr.144 vom <strong>17.</strong>6.1956<br />
236 Neues Deutschland, Nr.144 vom <strong>17.</strong>6.1956<br />
237 Neue Justiz, Nr.15 vom 5.8.1953<br />
238 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />
239 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953
teilweise wüst verprügelt. Den Kreisdienststellenleiter zerrte man zum Markt, wo er<br />
mehrmals nie<strong>der</strong>geschlagen und mit Fußtritten traktiert wurde. Er erlitt dabei<br />
erhebliche <strong>in</strong>nere Verletzungen und war für e<strong>in</strong>ige Monate arbeitsunfähig. Schlecht<br />
erg<strong>in</strong>g es auch e<strong>in</strong>em Oberfeldwebel, <strong>der</strong> die Hände <strong>in</strong> Handschellen auf dem Rücken,<br />
zum Markt geführt und dort auf e<strong>in</strong>en Brunnenrand gestellt wurde. Man unterzog ihn<br />
e<strong>in</strong>em regelrechten Verhör, und er offenbarte verängstigt unter an<strong>der</strong>em die Höhe<br />
se<strong>in</strong>es Gehaltes, die N<strong>am</strong>en <strong>der</strong> für die Jena-Werke zuständigen Sachbearbeiter und<br />
sogar Anschriften se<strong>in</strong>er Kollegen“. 240<br />
10.) Karl-Marx Stadt (Seit 1990 Chemnitz)/ Sachsen<br />
In e<strong>in</strong>er MfS-Analyse „über die Entwicklung und Auswirkungen <strong>der</strong> faschistischen<br />
<strong>Provokation</strong>en vom 16.-24.6.1953 im Bezirk Karl-Marx-Stadt“, wurde zwar e<strong>in</strong>geräumt,<br />
„dass es im Wesentlichen ruhig blieb und es ke<strong>in</strong>e Ausschreitungen, Streikbewegungen<br />
o<strong>der</strong> <strong>Provokation</strong>en größerer Art gab“. Weshalb aber <strong>in</strong> den Kreisen Freiberg sowie Werdau<br />
dennoch Streiks ausbrachen, konnte nicht plausibel erklärt werden. Man hielt allerd<strong>in</strong>gs daran fest: „Die<br />
For<strong>der</strong>ungen waren anfangs ökonomischer Art und schlugen <strong>in</strong> politische um. Diese<br />
Aktionen des Klassenfe<strong>in</strong>des <strong>in</strong> den beiden Kreisen s<strong>in</strong>d von außen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen<br />
worden. In Werdau durch die Bergarbeiter von Gera und <strong>in</strong> Freiberg durch das<br />
angrenzende Dresden. Weiterh<strong>in</strong> hat <strong>der</strong> Rias beim Entstehen <strong>der</strong> Situation auf die<br />
schwankenden und fe<strong>in</strong>dlich e<strong>in</strong>gestellten Kräfte gewirkt“. 241<br />
Insges<strong>am</strong>t konnten dennoch vom 16. bis zum 25. <strong>Juni</strong> 1953 im Bezirk Karl-Marx-Stadt 34 Personen<br />
festgenommen werden. Fünf <strong>am</strong>erikanische Spione standen allerd<strong>in</strong>gs erst im Sept. 1953 vor dem dortigen<br />
Kriegsgericht. Sie hatten seit 1951 systematisch Spionage sowie Wühlarbeit betrieben. 242 Mit e<strong>in</strong>em Funkgerät<br />
sollte ihr Spionagematerial nach Westberl<strong>in</strong> übermittelt werden. 243<br />
Am 10.11.1954 fand erneut <strong>in</strong> Karl-Marx-Stadt e<strong>in</strong> weiterer Prozess vor dem 4. Strafsenat des Bezirksgerichtes<br />
statt. Abermals standen fünf Agenten des <strong>am</strong>erikanischen Geheimdienstes vor Gericht. 244<br />
11.) Kirchmöser bei Brandenburg/ Brandenburg<br />
Den Demonstranten Wi<strong>der</strong>stand leistende Werkpolizisten wurden von den Streikenden <strong>in</strong> Kirchmöser <strong>am</strong> 18.<br />
<strong>Juni</strong> „<strong>in</strong> das Verwaltungsgebäude zurückgedrängt, verprügelt und entwaffnet. Die<br />
Waffen wurden von verschiedenen Arbeitern aus dem Werk entfernt“. 245<br />
12.) Leipzig/ Sachsen<br />
In Leipzig versuchten SPD-Ostbüro-Agenten <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> nachweislich unter den Arbeitern faschistische<br />
Losungen zu verbreiten o<strong>der</strong> Streiks zu organisieren. 12 Gebäude haben Konterrevolutionäre nach<br />
Polizeiangaben gestürmt. Dabei s<strong>in</strong>d auch Polizisten verprügelt worden. 246 28 Betriebe standen im Ausstand. 247<br />
So e<strong>in</strong>ige Agenten tarnten sich wie sich im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> herausstellte mit Schlosseranzügen, um so auf noch<br />
effektivere Weise, „die werktätigen Massen durch demagogische Losungen und<br />
For<strong>der</strong>ungen irrezuführen“. 248<br />
Für weietere Beispiele dieser Art, s<strong>in</strong>d Vorkommnisse im VEB Bodenbearbeitungswerk Leipzig mit über 2.000<br />
Beschäftigten beson<strong>der</strong>s geeignet, denn dort versuchten gleich mehrere Provokateure <strong>am</strong> <strong>17.</strong> und 18. <strong>Juni</strong> 1953<br />
240<br />
Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.112<br />
241<br />
Neues Deutschland, Nr. 244 vom <strong>17.</strong>10.1953<br />
242<br />
Neues Deutschland, Nr.230 vom 1.10.1953<br />
243<br />
Neues Deutschland, Nr. 244 vom <strong>17.</strong>10.1953<br />
244<br />
Neues Deutschland, Nr.265 vom 11.11.1954<br />
245<br />
Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage, Deutscher Bundesverlag Bonn, ohne<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsjahr!<br />
246<br />
Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage, Deutscher Bundesverlag Bonn, ohne<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsjahr!<br />
247<br />
Thorsten Diedrich, Der <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1991<br />
248<br />
Neues Deutschland, Nr.190 vom 15.8.1953
ihre Belegschaftsmitglie<strong>der</strong> aufzuwiegeln. Natürlich nahmen auch sie an den Ausschreitungen mit Vorarbeiter<br />
Saballa an vor<strong>der</strong>ster Spitze teil. „1951 hatte Saballa erstmalig den <strong>am</strong>erikanischen<br />
Geheimdienst <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Wansee aufgesucht, wo er als Agent geworben wurde. Er<br />
erhielt von den Spionagezentralen regelmäßig e<strong>in</strong> Monatsgehalt von 500 Westmark für<br />
se<strong>in</strong>e Sabotage- und Diversionstätigkeit...<br />
Im Bunde mit Saballa befanden sich die ehemaligen Belegschaftsmitglie<strong>der</strong> Richard<br />
Behrendt, Paul Behrend und Fritz Kralick, die mit weiteren Betriebsangehörigen <strong>am</strong><br />
<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> die so genannte Streikleitung bildeten und sich <strong>der</strong> Verantwortung durch die<br />
Flucht nach Westdeutschland entzogen haben.<br />
Bei se<strong>in</strong>er Vernehmung gab <strong>der</strong> <strong>in</strong>zwischen verhaftete Saballa an, dass die genannten<br />
ebenfalls im Dienste <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanischen Imperialisten standen. Sie hatten den Auftrag,<br />
die Vorbereitungen dafür zu treffen, dass <strong>der</strong> volkseigene Betrieb dem früheren<br />
Besitzer Sack wie<strong>der</strong> zurückgegeben werden konnte“. 249<br />
Nachdem aber alles schief g<strong>in</strong>g, än<strong>der</strong>ten daran beteiligte auf Anweisung ihrer Führung, ihre Me<strong>in</strong>ung um 180<br />
Grad, schließlich wollte man „die Restteile des Agentennetzes... retten und erneut E<strong>in</strong>fluss<br />
auf Teile <strong>der</strong> Arbeiterschaft... gew<strong>in</strong>nen“. Plötzlich trafen deshalb auch so e<strong>in</strong>ige Mitglie<strong>der</strong> aus den<br />
Agentenzentralen „als eifrige Rufer zu hohen Produktionserfolgen auf, o<strong>der</strong> predigten<br />
sche<strong>in</strong>heilig „Ruhe und Ordnung“. 250<br />
13.) Magdeburg/ Sachsen-Anhalt<br />
In Magdeburg randalierten <strong>in</strong> den Morgenstunden des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 gleich mehrere Gruppen. Nach<br />
Polizeiangaben stürmten sie im Bezirk Magdeburg 45 Gebäude. 251 Dabei versuchten auch e<strong>in</strong>ige von ihnen<br />
arbeitende Werktätige an ihrer Arbeit mit Gewalt zu h<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Danach g<strong>in</strong>g es mit dem ehemaligen NSDAP-<br />
Mitglied Schellhase an vor<strong>der</strong>ster Spitze, 252 <strong>in</strong> Richtung Haftanstalt Magdeburg-Sudenburg, wo Gerhard<br />
Römer mit e<strong>in</strong>em Karab<strong>in</strong>er schoss, „<strong>der</strong> vorher e<strong>in</strong>em Angehörigen <strong>der</strong> Volkspolizei geraubt<br />
worden war... Die dazugehörigen Patronen hätten ihm laut Gerichtsprotokoll<br />
„Unbekannte <strong>in</strong> die Tasche gesteckt“. 308 Häftl<strong>in</strong>ge konnten befreit werden. 253<br />
Da ihr Treiben letztendlich aber e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e Entwicklung nahm wie beabsichtigt, veröffentlichte Römer<br />
zur Tarnung <strong>am</strong> 22. <strong>Juni</strong> 1953 e<strong>in</strong>e Stellungnahme im Kreisblättchen „Volksstimme“. Er bereue es<br />
„mitgelaufen zu se<strong>in</strong>“, hieß es dort, weil dies „ke<strong>in</strong>e Demonstration, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e <strong>Provokation</strong><br />
war“. Vor Gericht versuchte Römer sogar drei regierungstreue Arbeiter anzuschwärzen, ihn zum Schießen<br />
aufgefor<strong>der</strong>t zu haben. Nachdem diese unschuldig drei Wochen <strong>in</strong> Haft waren, nahm er allerd<strong>in</strong>gs se<strong>in</strong>e<br />
verlogenen Behauptungen wie<strong>der</strong> zurück. 254<br />
Vor dem Strafvollzug Sudenburg ermordete dieselbe Meute von Faschisten drei Be<strong>am</strong>te, den MfS-<br />
Oberfeldwebel Hans Waldbach, den VP-Oberwachtmeister Georg Gaidzik und den VP-Unterwachtmeister<br />
Georg Händler. 255 „Als faschistische Gangster, die auf Befehl <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanischen<br />
Agentenzentralen ihre <strong>Provokation</strong>en vom Zaune brachen, entpuppten sich ebenfalls<br />
<strong>der</strong> 32 jährige Waege und <strong>der</strong> 17 Jahre alte Achim Roloff, die <strong>am</strong> Abend des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />
e<strong>in</strong>en 55jährigen Funktionär, <strong>der</strong> auf dem Wege zur Arbeit war, überfielen“. 256<br />
Von e<strong>in</strong>er demokratischen Volkserhebung ohne Hilfe verschiedenster Agentenzentralen, kann was Magdeburg<br />
betrifft e<strong>in</strong>fach nicht gesprochen werden, zumal Werner Knoll vom CIC aus dem Georgi-Dimitroff-Werk <strong>in</strong><br />
Magdeburg aktenkundig Spionageberichte lieferte, Schlupfw<strong>in</strong>kel für flüchtende Verbrecher auskundschaftete,<br />
weitere Agenten zu werben versuchte, und worauf es ankommt, sich <strong>am</strong> Putschversuch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> aktiv<br />
beteiligte, bzw. im Georgi-Dimitroff-Werk Diversionsakte ausführte. Knoll soll auch für Gehlen sowie den<br />
249 Neues Deutschland, Nr.198 vom 25.8.1953<br />
250 Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953<br />
251 Thorsten Diedrich, Der <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1991<br />
252 Neues Deutschland, Nr.171 vom 24.7.1953<br />
253 Thorsten Diedrich, Der <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1991<br />
254 Neues Deutschland, Nr.198 vom 25.8.1953<br />
255 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, edition Temmen 2003<br />
256 Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953
RIAS Aufträge ausgeführt haben. 257 Er war seit 1930 NSDAP-Mitglied, 1931 wechselte er zur SS um<br />
letztendlich ab 1936 im RSHA zu dienen. 258<br />
Solche Fälle mit mehreren Auftraggebern waren d<strong>am</strong>als nicht selten. In Schwer<strong>in</strong> zum Beispiel, musste sich<br />
Walter Bauer Ende 1954 vor dem Bezirksgericht verantworten. „Er wurde des Versuchs <strong>der</strong><br />
Sabotage und Militärspionage im Auftrag des Kaiser-M<strong>in</strong>isteriums und des<br />
<strong>am</strong>erikanischen CIC überführt. Bauer hatte den Auftrag, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neptumwerft Rostock<br />
Konstrucktionspläne und Zeichnungen zu entwenden. Auf Kosten des Kaiser-<br />
M<strong>in</strong>isteriums wurde er <strong>in</strong> den Opel-Werken <strong>in</strong> Rüsselheim und später bei Blohm &<br />
Voß <strong>in</strong> H<strong>am</strong>burg ausgebildet, um Fachkenntnisse zu erwerben“. 259<br />
14.) Merseburg bei Halle/ Sachsen-Anhalt<br />
In Merseburg nahmen Demonstranten <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> nicht nur Listen von Friedenskundschaftern bei ihrer<br />
Erstürmung des MfS-Gebäudes <strong>in</strong> Besitz, son<strong>der</strong>n versuchten auch durch Sabotage e<strong>in</strong> reguläres weiterarbeiten<br />
im Buna-Werk zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, nachdem sowjetiche Besatzungstruppen mit e<strong>in</strong>er großen Anzahl Panzer- und<br />
Artilleriegeschützen ihren Betrieb besetzten. Wie es <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Broschüre des Kaiser-M<strong>in</strong>isteriums hieß, fiel<br />
daraufh<strong>in</strong> im Werk „<strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht vom Donnerstag zu Freitag (19.6.1953)... <strong>der</strong><br />
Transformator des Karbid-Ofens I aus. Er soll an verschiedenen Stellen gerissen<br />
se<strong>in</strong>“. 260<br />
15.) Niesky bei Görlitz/ Sachsen<br />
Vor dem Bezirksgericht <strong>in</strong> Dresden mussten sich gleich mehrere ehemalige Nazis vor Gericht verantworten.<br />
Alle zus<strong>am</strong>men nahmen an den Ausschreitungen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, unter an<strong>der</strong>em gegen e<strong>in</strong>e MfS-Dienststelle<br />
teil. Zu den Haupträdelsführern gehörte Lothar Makwirth, seit 1933 SA-Mitglied, außerdem nachweislich<br />
Agent e<strong>in</strong>er westberl<strong>in</strong>er Agentenzentrale, mit <strong>der</strong>en Führung er aktenkundig brieflich <strong>in</strong> Kontakt stand.<br />
Auch Johannes Prietzel gehörte zu den Randalierern. Er trat 1931 „<strong>der</strong> nazistischen Partei und 1933<br />
<strong>der</strong> SA bei... Der Großbauer Herbert Stübner gehörte während des faschistischen<br />
Krieges als Freiwilliger <strong>der</strong> Waffen-SS an. Der Gastwirt He<strong>in</strong>rich W<strong>in</strong>kler war<br />
Naziblockwart. (Helmut) Seifert trat noch im Jahr 1944 <strong>in</strong> die Nazi-Partei e<strong>in</strong>.<br />
Kretzschmar war von 1934 bis 1945 bei dem RAD, zuletzt als Unterfeldmeister.<br />
(Viktor) Piegsa gehörte seit 1934 dem faschistischen NSKK an und bekleidete<br />
verschiedene Funktionen“. 261<br />
Alle Zus<strong>am</strong>men hatten <strong>in</strong> Niesky drei MfS-Mitarbeiter entwaffnet „und nach typisch faschistischer<br />
Manier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Hundezw<strong>in</strong>ger gesperrt. Mit vorgehaltener Pistole verlangte<br />
Markwirth, dass sie Hundefutter essen sollten!“. An<strong>der</strong>e schlug man e<strong>in</strong>fach grundlos zus<strong>am</strong>men.<br />
E<strong>in</strong> Betroffener: „Ich musste auf Grund <strong>der</strong> Misshandlungen 14 Tage liegen. Ich habe<br />
Kopfverletzungen und Blutergüsse“. 262<br />
16.) Rathenow bei Brandenburg/ Brandenburg<br />
Den ehemaligen MfS-Mitarbeiter Wilhelm Hagedorn, e<strong>in</strong>en bewährten Arbeiterfunktionär, werden<br />
Rowdys <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>in</strong> Rathenow bestialisch ermorden. Nur weil er sich den Randalierern <strong>in</strong> den Weg stellte,<br />
schlugen sie dem im Werkschutz mitarbeitenden Tod. E<strong>in</strong>e Augenzeug<strong>in</strong> er<strong>in</strong>nert sich: „Schlagt ihn tot,<br />
den Hund, o<strong>der</strong> hängt ihn auf!“. So hatten sie, faschistische Rowdys gerufen. E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er brüllte:<br />
„Wir werden ihn ersäufen!“. Ganz weiß im Gesicht erzählt sie weiter: „Durch die Straßen<br />
257 Neues Deutschland, Nr.267 vom 13.11.1954<br />
258 Neues Deutschland, Nr.210 vom 8.9.1954<br />
259 Neues Deutschland, Nr.271 vom 19.11.1954<br />
260 Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage, Deutscher<br />
Bundesverlag Bonn, ohne Ersche<strong>in</strong>ungsjahr!<br />
261 Neues Deutschland, Nr.169 vom 22.7.1953<br />
262 Neues Deutschland, Nr.169 vom 22.7.1953
haben sie ihn auf dem Pflaster entlanggeschleift. Er muss schon tot gewesen se<strong>in</strong>, da<br />
traten sie ihn noch mit den Füßen <strong>in</strong> den Leib. Es war entsetzlich. Das waren ke<strong>in</strong>e<br />
Menschen mehr“. 263<br />
<strong>17.</strong>) Schwer<strong>in</strong>/ Mecklenburg-Vorpommern<br />
Auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Städten im Bezirk Schwer<strong>in</strong> traten laut Schwer<strong>in</strong>er Volkszeitung (Nr.145 vom 19.6.1953)<br />
„e<strong>in</strong>zelne Provokateure und Agenten“ auf. 264<br />
18.) Suhl/ Thür<strong>in</strong>gen<br />
Fritz Wenk ist e<strong>in</strong> weiteres Beispiel von vielen. Er wurde vom CIC noch Anfang April 1953 angeworben. Se<strong>in</strong><br />
Auftrag: Er sollte <strong>in</strong> den Simson-Werken Suhl/ Thür<strong>in</strong>gen durch Wühlarbeit mithelfen den lange geplanten Tag<br />
X vorzubereiten. Mit falschen Papieren ausgerüstet, sollte Wenk, wie man ihm sagte, „die Stimmung <strong>der</strong><br />
Belegschaft feststellen. N<strong>am</strong>en und Angaben über die führenden Funktionäre des<br />
Betriebes und Angehörige <strong>der</strong> Intelligenz s<strong>am</strong>meln und Produktionsteile entwenden...<br />
Im Übrigen solle er versuchen, möglichst viele Leute zur Mitarbeit zu gew<strong>in</strong>nen“. 265<br />
19.) Zöllnitz bei Jena/ Thür<strong>in</strong>gen<br />
Auch <strong>in</strong> Zöllnitz bildete sich <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 e<strong>in</strong>e Schlägergruppe aus Provokateuren. Zu ihnen gehörte e<strong>in</strong><br />
gewisser Herr „Dechau, <strong>der</strong> seit 1937 Mitglied <strong>der</strong> NSDAP war, o<strong>der</strong> Rudi Drillhose,<br />
ebenfalls e<strong>in</strong> ehemaliges begeistertes NSDAP-Mitglied... Diese Elemente... waren es, die<br />
den Vorsitzenden <strong>der</strong> SED überfielen und schlugen, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Wohnung e<strong>in</strong>drangen, alle<br />
Unterlagen <strong>der</strong> SED herausholten, Bil<strong>der</strong> zerschlugen, Schil<strong>der</strong> demolierten,<br />
Schaukästen umstürzten und verbrannten. In <strong>der</strong> gleichen Weise g<strong>in</strong>gen sie gegen den<br />
Bürgermeister vor. Diese Rotte, die schon <strong>am</strong> Nachmittag faschistische Lie<strong>der</strong><br />
gesungen hatte, for<strong>der</strong>te offen „diesen Hund von <strong>der</strong> SED totzuschlagen“. 266<br />
20.) Zwickau/ Sachsen<br />
Arbeitern aus dem Hochwerk Zwickau, gelang es bei e<strong>in</strong>er von unzähligen <strong>in</strong> ganz Ostdeutschland<br />
durchgeführten Arbeitervers<strong>am</strong>mlungen mit anschließen<strong>der</strong> Diskussion, e<strong>in</strong>en Provokateur zu entlarven. „Es<br />
handelt(e) sich um den ehemaligen SS-Mann Menz... Im Betriebsfragebogen hatte<br />
Menz se<strong>in</strong>e Mitgliedschaft zur SS bisher verschwiegen... Den Putsch <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> hatte<br />
er –wie e<strong>in</strong>ige Kollegen sagen- schon vorher angekündigt und Drohungen<br />
ausgesprochen, die gegen... Partei und Regierung gerichtet waren. Dementsprechend<br />
hat er sich <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> auch betätigt“. 267<br />
263 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />
264 Hg. Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>am</strong>tdeutsche Fragen, <strong>Juni</strong>-Aufstand, Zweite erweiterte Auflage, Deutscher<br />
Bundesverlag Bonn, ohne Ersche<strong>in</strong>ungsjahr!<br />
265 Neues Deutschland, Nr.190 vom 15. 8. 1953<br />
266 Neues Deutschland, Nr.157 vom 8.7.1953<br />
267 Neues Deutschland, Nr.205 vom 2.9.1953
Die “ Operation <strong>DDR</strong>” <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Städten <strong>der</strong> Republik<br />
17<br />
Schwer<strong>in</strong><br />
Mecklenburg-<br />
Vorpommern<br />
Brandenburg<br />
16 Rathenow<br />
Sachsen- 2 Brandenburg<br />
Anhalt<br />
Krichmöser 11 Berl<strong>in</strong><br />
13<br />
Magdeburg<br />
Gerbstedt Gräfenha<strong>in</strong>ichen<br />
5 6<br />
Höhnstedt 8<br />
Bitterfeld<br />
1<br />
Halle 7<br />
<strong>17.</strong>6.1953<br />
Merseburg<br />
14<br />
12<br />
Leipzig Sachsen<br />
Niesky 15<br />
C<strong>am</strong>burg 3<br />
4 Dresden<br />
Jena 9<br />
Thür<strong>in</strong>gen<br />
Zöllnitz 19<br />
10 Karl-Marx-Stadt<br />
20 Zwickau<br />
18 Suhl<br />
<strong>17.</strong>6.1953<br />
<strong>17.</strong>6.1953<br />
<strong>17.</strong>6.1953<br />
<strong>17.</strong>6.1953<br />
16.6.1953<br />
<strong>17.</strong>6.1953<br />
Legende<br />
<strong>17.</strong> Und 16. <strong>Juni</strong> 1953<br />
Kuriere<br />
Ortschaft mit<br />
Ausschreitungen<br />
<strong>Provokation</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> –NATO-Kriegsvorbereitung.<br />
Vom militärischen Standpunkt aus betrachtet, k<strong>am</strong> dem NATO-Nachrichtendienst während <strong>der</strong> versuchten <strong>Provokation</strong><br />
<strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 im Vergleich zu den regulären Boden-, Luft- o<strong>der</strong> Mar<strong>in</strong>ee<strong>in</strong>heiten, natürlich e<strong>in</strong>e weitaus größere<br />
Bedeutung zu. An dieser Erkenntnis hat sich auch bis heute nichts geän<strong>der</strong>t, zumal es nicht zu e<strong>in</strong>er Ausweitung <strong>der</strong><br />
<strong>Provokation</strong>, nämlich über den subversiven Krieg bis h<strong>in</strong> zur dritten Phase des regulären Krieges k<strong>am</strong>, dennoch hatte<br />
man wie Robert Allertz e<strong>in</strong>en sowjetischen Geheimbericht zitierend versicherte, bereits zuvor „<strong>in</strong> den NATO<br />
Gremien <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang auch das militärische Eskalationspotential <strong>der</strong><br />
„deutschen Frage“ unmittelbar thematisiert“. 268<br />
Man habe laut Allerts, „<strong>in</strong> <strong>der</strong> NATO darauf spekuliert, von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren Schwäche e<strong>in</strong>es<br />
„Fe<strong>in</strong>dstaates“ profitieren zu können. Falls das nicht genügte, hätte man –wie <strong>in</strong> vielen<br />
an<strong>der</strong>en Fällen vorher und später praktiziert- gern nachgeholfen. Die Sowjetunion begriff:<br />
Sie durfte die <strong>DDR</strong> aus eben diesem Grund nicht preisgeben. Ihr Militärkommandant rief<br />
(deshalb <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> mittags) den Ausnahmezustand aus und setzte Militär zur Herstellung<br />
von Ruhe und Ordnung e<strong>in</strong>“. 269<br />
Wer an Allerts Aussagen zweifelt, braucht nur jene bereits zitierte Stellungnahme von Us-Generalstabschef Omar<br />
Bradley vor dem <strong>am</strong>erikanischen Senat <strong>am</strong> 23. 6.1953 o<strong>der</strong> John Hughes Rede vor dem NATO-Rat <strong>am</strong> 24. 6.1953<br />
nachlesen. Bradley bestätigte gerade Mal 6 Tage nach dem Umsturzversuch offiziell, „dass Westberl<strong>in</strong> <strong>in</strong> den<br />
<strong>am</strong>erikanischen Kriegsplänen die Rolle e<strong>in</strong>es Brückenkopfes und Brandherdes zugedacht<br />
war“. 270 Auch Hughes darauffolgende Rede vor dem ständigen NATO-Rat <strong>am</strong> 24. <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong> Paris, bewies<br />
nachträglich diesen Sachverhalt: „Die jüngsten Ereignisse <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und <strong>in</strong> Ostdeutschland haben<br />
unsere Hoffnungen enttäuscht“, so Hughes, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Funktion als ständiger <strong>am</strong>erikanischer Vertreter im<br />
NATO-Rat wörtlich.<br />
Er gab außerdem zu verstehen, „dass sich die USA-Imperialisten mit ihrer Nie<strong>der</strong>lage <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und<br />
<strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik nicht zufrieden geben wollen und e<strong>in</strong>e<br />
Wie<strong>der</strong>holung ihres missglückten Abenteuers planen, „Solange es noch e<strong>in</strong>e Hoffnung gibt,<br />
dürfen wir ke<strong>in</strong>e Gelegenheit vorübergehen lassen“, erklärte Hughes. Fügte sogar h<strong>in</strong>zu, Präsident<br />
Dwight D. Eisenhower würde im Falle „unerwarteter“ <strong>in</strong>ternationaler Ereignisse wie <strong>in</strong> Deutschland o<strong>der</strong> Korea,<br />
268 Robert Allertz, Im Visier die <strong>DDR</strong>. E<strong>in</strong>e Chronik, edition ost 2002<br />
269 Robert Allertz, Im Visier die <strong>DDR</strong>. E<strong>in</strong>e Chronik, edition ost 2002<br />
270 Neues Deutschland,Nr.144 vom 23.6.1953
künftig über unbeschränkte Vollmachten zur Bereitstellung von Mitteln verfügen. 271<br />
Weitere E<strong>in</strong>zelheiten zu den Kriegsvorbereitungen stehen sicherlich auch im nie<strong>der</strong>sächsischen KPD-Blättchen „Die<br />
Wahrheit“, dessen Redakteur Leo He<strong>in</strong>emann zu über 1 Jahr Gefängnis sowie zwei Jahre Berufsverbot verurteilt worden ist,<br />
weil er „<strong>in</strong> den Jahren 1952 und 1953 <strong>in</strong> Artikeln die Kriegspolitik Adenauers und se<strong>in</strong><br />
Terrorregime“ entlarvte. 272<br />
Noch heute hat sich an dieser Situation nichts geän<strong>der</strong>t, zwar wird nicht mehr <strong>in</strong> dem Maße zensiert<br />
o<strong>der</strong> verhaftet wie früher, Informationen über NATO-Kriegspläne o<strong>der</strong> zur <strong>in</strong>neren Struktur des NATO-<br />
Nachrichtendienstes aber, werden nach wie vor zurückgehalten, ganz zu schweigen von entsprechenden Diagr<strong>am</strong>men.<br />
E<strong>in</strong>e Abteilung aber muss die im NATO-Hauptquartier SHAPE untergebrachte Son<strong>der</strong>struktur des NATO-<br />
Nachrichtendienstes: Gladio bereits d<strong>am</strong>als angeleitete haben. E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Abteilung o<strong>der</strong> Referat dagegen hat<br />
zweifelsohne wie bereits dargestellt, den zivilen Verb<strong>in</strong>dungen o<strong>der</strong> wie sich Commandant J. Hodgar <strong>in</strong><br />
„Wehrkunde“ ausdrückte dem „politischen Netz“, sprich: den 33 Geheimdiensthilfsorganisationen (GHO)<br />
Weisungen gegeben.<br />
Auch jene nachweisbare Zus<strong>am</strong>menarbeit des NATO-Nachrichtendienstpersonals mit dem<br />
weitgehend eigenständigen Verbänden für psychologische Kriegführung, bedurfte e<strong>in</strong>er zentralen<br />
Führung, zum<strong>in</strong>dest aber Koord<strong>in</strong>ation. So genannte NATO-Verb<strong>in</strong>dungsoffiziere alle<strong>in</strong>, können diese Arbeit wohl<br />
kaum bewerkstelligt haben. E<strong>in</strong> gewisser Professor Hüttel aus dem westdeutschen „Amt für psychologische<br />
Kriegführung“ zum Beispiel hielt gegenüber BDJ-Mitglie<strong>der</strong>n noch vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 auf ihrer<br />
Partisanenschule im Waldmichelsbach „ideologische Schulungskurse“ ab. 273<br />
Im vom NATO-Nachrichtendienst kontrollierten BDJ selbst, existierte im Übrigen auch für den E<strong>in</strong>satz im eigenen<br />
Land e<strong>in</strong> Referat „für psychologische Bee<strong>in</strong>flussung <strong>der</strong> Bevölkerung“. 274 Ganz zu schweigen von den<br />
NATO-Diversionssen<strong>der</strong>n wie →RIAS o<strong>der</strong> →Radio Freies Europa (RFE) zu <strong>der</strong>en Mitarbeiter, Führungsoffiziere des<br />
NATO-Nachrichtendienstes ebenfalls Verb<strong>in</strong>dung gehalten haben müssen. NVA-General He<strong>in</strong>z Hoffmann er<strong>in</strong>nert sich:<br />
„Wir haben es <strong>in</strong> Zeiten <strong>der</strong> konterrevolutionären Aktionen 1953 und 1956 erlebt, wie RIAS<br />
und „Sen<strong>der</strong> Freies Europa“ jahrelang durch „harmlose“ Unterhaltungssendungen Hörer an<br />
die schwarze Welle gewöhnten, um sie dann <strong>in</strong> Krisen- und Spannungszeiten massiert durch<br />
Lügen, Falschmeldungen und Verleumdungen zu desorientieren und mit detaillierten<br />
Anweisungen gegen ihren eigenen Staat aufzuputschen“. 275<br />
Beide Diversionssen<strong>der</strong> gehörten, was Hoffmann vergaß zu erwähnen, zur NATO-Struktur dazu. Von wem sie vor Ort<br />
ihre Anweisungen erhielten ist ja allseits bekannt, es war dieselbe CIA, <strong>der</strong>en Führungsoffiziere auch im NATO-<br />
Nachrichtendienst tonangebend waren. Für alle NATO-Ausschüsse wie<strong>der</strong>um, ist die von CIA-Chef Allen Dulles <strong>am</strong><br />
11.12.1956 vor dem NATO-Rat beschriebene erste Phase ihres Ges<strong>am</strong>tplanes verb<strong>in</strong>dlich gewesen. „Dulles stellte<br />
<strong>in</strong> den Mittelpunkt se<strong>in</strong>er Rede die For<strong>der</strong>ung, „jede Form moralischen Druckes<br />
anzuwenden, um die antisowjetischen Kräfte im Osten zu unterstützen und den<br />
Kommunismus sowjetisch-ch<strong>in</strong>esischer Prägung auszuhöhlen“. Aushöhlung <strong>der</strong> Arbeiter-und-<br />
Bauern-Macht soll(te) <strong>der</strong> erste Schritt se<strong>in</strong>“. 276<br />
Bei Hoffmann ebenfalls nicht erwähnt, wurden „<strong>am</strong>erikanische Flugzeuge, die (<strong>am</strong> <strong>17.</strong><strong>Juni</strong> 1953) über<br />
Berl<strong>in</strong> und dem Territorium <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> flogen“, um provokatorische Flugblätter abzuwerfen. 277<br />
Tatsächlich existierte im NATO-Oberkommando Europa e<strong>in</strong> Ges<strong>am</strong>tplan <strong>in</strong> drei Stufen, dessen Inhalt erst im Oktober<br />
1957, <strong>in</strong> groben Zügen, im offiziellen NATO-Blättchen „Allgeme<strong>in</strong>e Militärrundschau“ 278 veröffentlicht<br />
wurde:<br />
„Die Ereignisse <strong>in</strong> Ungarn“ f<strong>in</strong>g ihr detailliertes Progr<strong>am</strong>m an „beleuchte(te)n klar die Probleme, die<br />
jede Volksbewegung aufwirft, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Frage <strong>der</strong> Leitung e<strong>in</strong>er solchen Erhebung...<br />
Der Staatsstreich braucht e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehende Vorbereitung, d<strong>am</strong>it er nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Bürgerkrieg<br />
271 Neues Deutschland, Nr.148 vom 27.6.1953<br />
272 Neues Deutschland, Nr. 241 vom 14.10.1955<br />
273 Neues Deutschland, Nr.145 vom 24.6.1953<br />
274 Neues Deutschland, Nr.34 vom 10.2.1953<br />
275 He<strong>in</strong>z Hoffmann, Sozialistische Landesverteidigung, <strong>DDR</strong> 1971, S.706<br />
276 Neues Deutschland, Nr.297 vom 14.12.1956<br />
277 Der Wi<strong>der</strong>standskämpfer, Nr.2/ 1953<br />
278 Allgeme<strong>in</strong>e Militärrundschau, Nr.8, Oktober 1957, S.338
ausartet. Die Soldaten vernachlässigen zu sehr das Studium dieser Verfahren, denn die<br />
Gewaltmethoden werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft e<strong>in</strong>e immer größere Rolle spielen... Man kann bei<br />
dem Vorgang drei Phasen unterscheiden: die vorbereitende Phase vom ersten Komplott bis zu<br />
den ersten Schüssen, dann die Phase des Angriffs, bis die Macht <strong>in</strong> neue Hände übergegangen<br />
ist und schließlich die Phase <strong>der</strong> Konsolidierung.<br />
Die Vorbereitung: Diese Phase ist gewiss die gefährlichste und auch die schwierigste. Sie<br />
kennt kaum feste Regeln, doch weist sie e<strong>in</strong>ige allgeme<strong>in</strong>gültige Grundsätze auf:<br />
-zunächst die Herstellung <strong>der</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit <strong>der</strong> Öffentlichkeit gegen<br />
die Regierung, <strong>in</strong>dem gewisse gut ausgewählte Maßnahmen <strong>der</strong> Regierung im<br />
schlechtesten Licht dargestellt werden; man führt e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> zwei Ermordungen<br />
durch; die Diktatur erledigt das übrige...<br />
-H<strong>in</strong><strong>der</strong>liche Persönlichkeiten s<strong>in</strong>d auszuschalten, <strong>am</strong> besten durch den Tod,<br />
und zwar als erste Vorsichtsmaßnahme;<br />
-Besetzung <strong>der</strong> Regierungsgebäude, <strong>der</strong> Polizeie<strong>in</strong>richtungen und <strong>der</strong> Arsenale;<br />
-Verteilung von Waffen an die mit Führern versehene Bevölkerung.<br />
Der Angriff hat zum Ziel, <strong>in</strong> kürzester Frist e<strong>in</strong>e vollkommene Desorganisierung<br />
herbeizuführen: die beiden ersten Stunden s<strong>in</strong>d ausschlaggebend. Daher muss<br />
die Erhebung über all mit Gewalt erfolgen. Wenn ausländische Truppen<br />
vorhanden s<strong>in</strong>d, die <strong>der</strong> Regierung voraussichtlich beistehen (Warschauer-<br />
Pakt), so wäre es töricht, zu handeln, ohne sich <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong><br />
nationalen Streitkräfte sicher zu se<strong>in</strong>.<br />
Konsolidierung –Vorsicht anschließend vor dem Gegenangriff, für den e<strong>in</strong>e sichere<br />
militärische Abwehr organisiert werden muss... Auf militärischem Gebiet<br />
bleiben zwei Aufgaben: die Verfolgung <strong>der</strong> anwesenden o<strong>der</strong> flüchtigen Gegner<br />
(schwarze Listen)... sowie e<strong>in</strong>e schnelle Mobilisierung <strong>der</strong> Armee“. 279<br />
Natürlich besitzt e<strong>in</strong> solcher Artikel nicht automatisch Weisungscharakter für NATO-Verbündete, obwohl<br />
Bundeswehrgeneral Gerd Schmückle 280 Jahre später auf se<strong>in</strong>em Posten im Führungsstab <strong>der</strong> NATO-Streitkräfte <strong>in</strong><br />
Europa genau dies for<strong>der</strong>te: „Es muss sich bei den Soldaten herumsprechen, dass zum Beispiel e<strong>in</strong> Artikel des<br />
General<strong>in</strong>spekteurs, <strong>der</strong> unter se<strong>in</strong>em N<strong>am</strong>en <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeitung ersche<strong>in</strong>t, denselben Weisungscharakter besitzt,<br />
wie wenn <strong>der</strong>selbe Text die Kompanien auf Amtspapier erreichen würde“. 281 Wie auch immer, Herausgeber des<br />
NATO-Heftchen „Allgeme<strong>in</strong>e Militärrundschau“, <strong>in</strong> dem jener so aufschlussreiche Ges<strong>am</strong>tplan <strong>in</strong> drei Stufen<br />
erschien, waren jedenfalls hohe NATO-Offiziere, wie zum Beispiel ihr leiten<strong>der</strong> Redakteur<br />
-Armeegeneral M. Carpentier, zuletzt NATO-Befehlshaber „<strong>der</strong> Landstreitkräfte Europa Mitte“.<br />
–Zum „Comité de Patronage“ gehörte „<strong>der</strong> oberste NATO-Befehlshaber für Europa“ (seit Juli<br />
1953) General Alfred B. Gruenther (USA) ebenso dazu<br />
-wie se<strong>in</strong> Nachfolger seit November 1956: General Lauris Norstad (USA).<br />
Fazit: Für ihre auf e<strong>in</strong>e militärische Intervention orientierte dritte Phase (1.Phase: Konterrevolutionäre<br />
Stimmungsmache (Vorbereitung); 2.Phase: Konterrevolutionärer Putsch) sah man also sehr wohl e<strong>in</strong>e<br />
NATO-Truppen<strong>in</strong>tervention vor. „Sowohl das strategische Kernwaffenkommando <strong>der</strong> USA als auch<br />
die NATO-Kont<strong>in</strong>gente“ versichert Ma<strong>der</strong>, „waren seit 1953 systematisch auf diese offen<br />
militärische Phase des konterrevolutionären Operationsplanes vorbereitet worden. Dem<br />
dienten unter an<strong>der</strong>em solche NATO-Manöver wie „Grand Repulse“ und „Monte Carlo“<br />
279 Allgeme<strong>in</strong>e Militärrundschau, Nr.8, Oktober 1957<br />
280 Schmückle war von 1957-62 Pressereferent des d<strong>am</strong>aligen Bundesverteidigungsm<strong>in</strong>isters Strauß. Ab 1963 bis 1968 diente er im<br />
N ATO-Defence College <strong>in</strong> Paris um letztendlich erst 1970 zum Führungsstab NATO-Streitkräfte Europa aufzusteigen.<br />
281 Hg. Politische Hauptverwaltung <strong>der</strong> Nationalen Volksarmee, Militärpolitische Informationen, Nr.12/ 1971
(1953)... Im Mittelpunkt standen <strong>der</strong> massive Schlag mit Kernwaffen –deklariert als<br />
Gegenschlag-, begleitet von Angriffshandlungen <strong>der</strong> Luftwaffe und <strong>der</strong> Panzertruppen <strong>der</strong><br />
NATO“. 282<br />
Zur Er<strong>in</strong>nerung: Gladio war laut Erich Schmidt-Eenboom „auch zu Ende <strong>der</strong> 80er Jahre bei allen großen<br />
NATO-Übungen dabei: und zwar nicht nur bei <strong>der</strong> zweijährigen Stabsrahmenübung<br />
WINTEX-CIMEX, son<strong>der</strong>n auch bei allen größeren Gefechtsübungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik“. 283<br />
Seit 1949 stand <strong>der</strong> weltumspannende Aggressionsplan DROPSHOT ausgearbeitet zur Verfügung. Im Oktober 1953<br />
wurden aus Mangel an Indiskretion nochmals geheime Dokumente des <strong>am</strong>erikanischen Generalstabes publik. Es g<strong>in</strong>g<br />
auch hier um nichtöffentliche Kriegsvorbereitungen, ausgearbeitet von „<strong>der</strong> Abteilung Planung und<br />
Berechnung des Amtes für Militärspionage“ im Generalstab. Wörtlich:<br />
„Im Kriege wird das Ziel <strong>der</strong> Bundesgenossen dar<strong>in</strong> bestehen, den sowjetischen Streitkräften<br />
e<strong>in</strong>e Nie<strong>der</strong>lage beizubr<strong>in</strong>gen, die Kontrolle <strong>der</strong> Sowjetregierung zu schwächen und e<strong>in</strong>e<br />
wirks<strong>am</strong>e Verwaltung <strong>in</strong> den besetzten Gebieten e<strong>in</strong>zurichten“. Man g<strong>in</strong>g sogar soweit, dafür <strong>in</strong> Fort<br />
Knighe (State Maryland) e<strong>in</strong>e Spezialschule zu schaffen, wo <strong>am</strong>erikanische „Spione, Polizisten und<br />
Diplomaten Ka<strong>der</strong> für die Verwaltung <strong>der</strong> Gebiete Osteuropas... ausbildeten“. 284<br />
D<strong>am</strong>it s<strong>in</strong>d selbst von <strong>am</strong>erikanischen Presseorganen, jene immer wie<strong>der</strong> nicht wahrgenommenen Kriegspläne bestätigt<br />
worden. In denen Umsturzversuche wie <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 sehr wohl e<strong>in</strong>e Rolle spielten. 285<br />
Deutsche Generale <strong>in</strong>dessen, f<strong>in</strong>gen im <strong>Juni</strong> 1953 <strong>in</strong>nerhalb des Amtes Blank d<strong>am</strong>it an, den „Kern e<strong>in</strong>es Obersten<br />
Generalstabes <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abteilung II (so genannte militärische Abteilung) <strong>in</strong> aller Stille zu<br />
reorganisieren“. 286<br />
Deutsche Offiziere waren also sehr wohl, für e<strong>in</strong>en Konflikt bestens vorbereitet. Noch kurz vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, im<br />
April des selben Jahres hatte „das Hauptquartier <strong>der</strong> Alantikpakt-Streitkräfte (sogar)... e<strong>in</strong>e Reihe<br />
von Offizieren <strong>der</strong> ehemaligen Hitler-Wehrmacht über die Dienststelle Blank zur Teilnahme<br />
an e<strong>in</strong>em Kursus über bakteriologische, chemische und Atomkriegsführung angefor<strong>der</strong>t“. 287<br />
United Press, e<strong>in</strong>e <strong>am</strong>erikanische Nachrichtenagentur, gab später selbst zu, bis <strong>Juni</strong> 1953 seien von den USA 3.537<br />
Flugzeuge, 1.545.880 Masch<strong>in</strong>engewehre und Masch<strong>in</strong>enpistolen, 24.543 Panzer, 5.796 Geschütze, 493 Kriegsschiffe<br />
<strong>in</strong>klusive 720.387.000 Schuss Munition an Westdeutschland sowie an<strong>der</strong>e Alantikpakt-Län<strong>der</strong> geliefert worden. 288<br />
Insges<strong>am</strong>t standen dem NATO-Hauptquartier im kritischen Jahr 1953 darüber h<strong>in</strong>aus „e<strong>in</strong> Mannschaftsbestand<br />
von 3,3 Millionen, 5.100 Flugzeuge(n), 125 Flugplätze(n), Radarstationen, Ölleitungen und<br />
das ganze System <strong>der</strong> „Informationsstruktur“ zur Verfügung. 289 Insbeson<strong>der</strong>e aus den USA k<strong>am</strong>en ständig<br />
Truppenverstärkungen nach Europa. Unterstanden dem NATO-Generalstab 1950 gerade Mal 100.000 <strong>am</strong>erikanische<br />
Soldaten, so waren es 1953 bereits 427.000. 290<br />
Am <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> selbst, s<strong>in</strong>d zusätzlich, sämtliche auf westdeutschen Boden unter USA-Kommando stehende so genannte<br />
Arbeitskompanien (Dienstgruppen= DG) <strong>in</strong> Alarmbereitschaft gestellt worden. 291<br />
Nicht immer lief allerd<strong>in</strong>gs alles so reibungslos wie vorgesehen. In Ettl<strong>in</strong>gen (bei Karlsruhe/ Baden-Württemberg) zum<br />
Beispiel „haben <strong>am</strong> Tag des faschistischen Putschversuches 75 Prozent <strong>der</strong> Soldaten von zwei<br />
westdeutschen Arbeitskompanien ihren <strong>am</strong>erikanischen Offizieren den Gehors<strong>am</strong> verweigert.<br />
Die im <strong>am</strong>erikanischen Dienst stehenden deutschen E<strong>in</strong>heiten sollten <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />
feldmarschmäßig nach <strong>der</strong> Demarkationsl<strong>in</strong>ie abrücken. Sie weigerten sich jedoch,<br />
282<br />
Albrecht Charisius/ Julius Ma<strong>der</strong>, Nicht länger geheim. Entwicklung, System und Arbeitsweise des imperialistischen<br />
deutschen Geheimdienstes, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1978, S.539<br />
283<br />
Erich Schmidt-Eenboom, Der BND, Knaur Verlag 1993<br />
284<br />
Neues Deutschland, Nr.244 vom <strong>17.</strong>10.1953<br />
285<br />
Neues Deutschland, Nr.144 vom 23.6.1953<br />
286<br />
Neues Deutschland, Nr.265 vom 11.1.1955<br />
287<br />
Neues Deutschland, Nr.88 vom 16.4.1953<br />
288<br />
Neues Deutschland, Nr.147 vom 26.6.1953<br />
289<br />
Karl Bittel, Atlantikpakt o<strong>der</strong> kollektive Sicherheit für Europa, Karl Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1954, S.35<br />
290<br />
Lorenz Knorr, NATO.Geschichte-Strategie-Atomkriegsplanung, Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt <strong>am</strong> Ma<strong>in</strong> 1985, S.79<br />
291 Neues Deutschland, Nr.159 vom 10.7.1953
anzutreten, scharfe Munition zu empfangen und nach Osten abzumarschieren. Als alle<br />
Überredungskünste <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanischen Offiziere fehlschlugen, wurden die Deutschen wegen<br />
„Unzuverlässigkeit <strong>in</strong> entscheiden<strong>der</strong> Situation“ aus dem Dienst entlassen“. 292<br />
Jahre später (1956) schrieb <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang <strong>der</strong> BND-Mitarbeiter Adelbert We<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> mit hervorragenden<br />
Kontakten zu alten Wehrmachtskreisen, auf unerhörte Weise, noch immer besorgt se<strong>in</strong>en viel beachteten Brief: „Die<br />
Angehörigen dieser Dienste<strong>in</strong>heiten“ so We<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> seien „durchweg nicht mehr als deutsche<br />
Soldaten zu betrachten... Durch den langen Dienst bei den Besatzungsmächten seien sie „ohne<br />
jegliche traditionelle B<strong>in</strong>dung“ und „geistig und materiell korrumpiert“. 293 Wie viele deutsche<br />
Soldaten aus den Dienstgruppen (DG) zuguterletzt <strong>am</strong> Grenzverlauf <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 aufmarschierten ist nicht bekannt.<br />
Amerikanische Panzer allerd<strong>in</strong>gs fuhren zur fraglichen Zeit „an <strong>der</strong> Staatsgrenze zur <strong>DDR</strong> <strong>in</strong> Bayern und<br />
Hessen sowie Westberl<strong>in</strong> auf“. 294 Bewohner aus dem nie<strong>der</strong>bayerischen Deggendorf berichteten, „dass die<br />
<strong>am</strong>erikanischen Panzer, die durch ihre Stadt fuhren, scharfe Munition gefasst hatten“. 295<br />
Neben den westdeutschen bewaffneten Kräften 296 g<strong>in</strong>gen <strong>am</strong> sogenannten „Tag X“ (<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953) natürlich auch<br />
an<strong>der</strong>e US-Streitkräfte-Gruppierungen „an <strong>der</strong> Staatsgrenze zur <strong>DDR</strong>... <strong>in</strong> Stellung“. 297 Während man den<br />
von Bonn zur NATO gerechneten Bundesgrenzschutz (BGS) 298 <strong>am</strong> ges<strong>am</strong>ten Grenzverlauf alarmierte, 299 s<strong>in</strong>d zeitgleich<br />
auch BDJ-Son<strong>der</strong>formationen, von e<strong>in</strong>em Flugzeug unbekannter Nationalität, vom Rhe<strong>in</strong>-Ma<strong>in</strong>-Flughafen <strong>in</strong> Frankfurt<br />
nach Westberl<strong>in</strong> geflogen worden. KPD-Mitglied Schabrod (Landtagsabgeordneter von NRW) enthüllte außerdem,<br />
„dass auch vom Flughafen Düsseldorf-Lohhausen 27 BDJler bereits drei Tage vor Beg<strong>in</strong>n des<br />
Putsches, <strong>am</strong> 14. <strong>Juni</strong>, nach Westberl<strong>in</strong> gebracht wurden“. 300<br />
In Berl<strong>in</strong> selbst warf e<strong>in</strong> <strong>am</strong>erikanisches Flugzeug Flugblätter über Ostberl<strong>in</strong> ab, während <strong>am</strong>erikanische, <strong>am</strong><br />
Grenzübergang postierte Lautsprecher, <strong>am</strong> Tag X zum Aufruhr aufwiegelten. 301 „Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Unruhen“<br />
tauchten laut „Prawda“ sogar „mit Benz<strong>in</strong>flaschen zur Inbrandsetzung von Gebäuden beladene<br />
<strong>am</strong>erikanische Lastwagen an den Grenzen des sowjetischen Sektors von Berl<strong>in</strong>“ auf. Manchen<br />
<strong>am</strong>erikanischen Offizier sah man d<strong>am</strong>als agitatorisch „<strong>in</strong>mitten <strong>der</strong> faschistischen Banden, die <strong>in</strong><br />
Ostberl<strong>in</strong> ihr Unwesen trieben“. 302 Amerikanische Polizisten nahmen „an <strong>der</strong> Entführung des<br />
Stellvertreters des M<strong>in</strong>isterpräsidenten <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik, Otto<br />
Nuschke“ teil, 303 während an<strong>der</strong>enorts e<strong>in</strong> später verhafteter Altfaschist, noch <strong>am</strong> selben <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 gegenüber<br />
Demonstranten, um den E<strong>in</strong>druck zu erwecken, man habe den antifaschistischen, demokratischen Regierungsblock<br />
gesprengt, über e<strong>in</strong>e angebliche Flucht Nuschkes faselte. 304 „In <strong>der</strong> Gegend <strong>der</strong> Warschauer Brücke wurde<br />
vom <strong>am</strong>erikanischen Sektor aus <strong>in</strong> das Gebiet des demokratischen Sektors (sogar)<br />
geschossen“. 305<br />
Noch drei Tage nach dem Putschversuch, <strong>am</strong> 20. <strong>Juni</strong> 1953 sahen mehrere Augenzeugen wie „Insassen des<br />
Kraftwagens Nr.27, <strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>am</strong>erikanischen Militärmission gehört(e)... <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt Potsd<strong>am</strong><br />
Plakate mit dem Befehl des sowjetischen Militärkommandanten (abrissen)... die <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Friedrich-Ebert Staße Ecke Alleestraße ausgehängt waren“. 306<br />
Wann die so genannte „Operation <strong>DDR</strong>“ letztendlich offiziell endete, kann demnach auch heute noch aus Mangel<br />
an Informationen nicht klar festgelegt werden. Fakt aber ist: CIA-Chef Allen W. Dulles <strong>in</strong>spizierte höchstselbst im <strong>Juni</strong><br />
1953 zus<strong>am</strong>men mit dem obersten NATO-Befehlshaber <strong>in</strong> Europa, USA-General Matthew. B. Ridgeway, noch vor dem<br />
292 Neues Deutschland, Nr.155 vom 5.7.1953<br />
293 Neues Deutschland, Nr.2 vom 3.1.1956<br />
294 Hg. Institut für Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus beim ZK <strong>der</strong> SED, Geschichte <strong>der</strong> deutschen Arbeiterbewegung, Band 7, Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1966, S.233<br />
295 Neues Deutschland, Nr.154 vom 4.7.1953<br />
296 Hg. Institut für Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus beim ZK <strong>der</strong> SED, Geschichte <strong>der</strong> deutschen Arbeiterbewegung, Band 7, Dietz Verlag Berl<strong>in</strong> 1966, S.235<br />
297 Albrecht Charisius/ Julius Ma<strong>der</strong>, Nicht länger geheim, Mililtärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1978, S.531<br />
298 Neues Deutschland, Nr.204 vom 1.9.1955<br />
299 Hg. Autorenkollektiv: Re<strong>in</strong>hard Brühl u. a., Armee für Frieden und Sozialismus, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1985, S.63<br />
300 Neues Deutschland, Nr.154 vom 4.7.1953<br />
301 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />
302 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />
303 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953<br />
304 Neue Justiz, Nr.1, 5.1.1954, S.73<br />
305 Neues Deutschland, Nr.150 vom 30.6.1953<br />
306 Neues Deutschland, Nr.146 vom 25.6.1953
entscheidenden Tag ihre „Operation <strong>DDR</strong>“ von Westberl<strong>in</strong> aus. 307<br />
Für e<strong>in</strong>en vom NATO-Pakt d<strong>am</strong>als <strong>in</strong> Aussicht gestellten größeren, geplanten Krieg, sprechen auch unzählige, kurz vor<br />
dem Umsturzversuch verstärkte Agentenumtriebe <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en sozialistischen Nachbarstaaten.<br />
Irland<br />
England<br />
Holland<br />
Dänemark<br />
Norwegen<br />
Schweden<br />
BRD Polen<br />
<strong>DDR</strong><br />
5<br />
Belgien<br />
Tschechos-<br />
4<br />
lowakei<br />
4<br />
13<br />
Schweiz Österreich<br />
Frankreich<br />
Ungarn<br />
Italien<br />
8<br />
Jugoslawien<br />
F<strong>in</strong>nland 8<br />
Verstärkte imperialistische Agententätigkeit 1953<br />
Rumänien 3<br />
Bulgarien 1<br />
2<br />
Albanien Griechenland<br />
Türkei<br />
NATO-Hauptfe<strong>in</strong>d UdSSR 9<br />
Syrien<br />
Libanon<br />
Israel<br />
7<br />
Ziellän<strong>der</strong> NATO Hauptfe<strong>in</strong>d<br />
Ch<strong>in</strong>a 6<br />
Nord-<br />
Korea<br />
Im nachrichtendienstlichen Bereich zogen dieselben Kriegsbrandstifter tatsächlich <strong>in</strong>nerhalb an<strong>der</strong>er<br />
volksdemokratischer Staaten alle Register. E<strong>in</strong>e verstärkte Agententätigkeit machte sich 1953 <strong>in</strong> →Albanien,<br />
→Bulgarien, →Ch<strong>in</strong>a, →Polen, →Rumänien, →Sowjetunion, →Tschechoslowakei und →Ungarn bemerkbar.<br />
<strong>Provokation</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> <strong>1953.</strong> –Vorbereitung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>mischung<br />
Die versuchte <strong>Provokation</strong> <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 („Operation <strong>DDR</strong>“) wurde gründlich vorbereitet. Sie f<strong>in</strong>g mit <strong>der</strong> auf<br />
Betreiben <strong>der</strong> NATO organisierten Säuberung des BRD-Be<strong>am</strong>tenapparates 1952 an. Ihr folgte die angekündigten und<br />
durchgeführten Terrrormaßnahmen des Innenm<strong>in</strong>isters Robert Lehr gegenüber <strong>der</strong> KPD im Januar <strong>1953.</strong> Im April 1953<br />
folgten weitere Maßnahmen gegen Friedensaktivisten. Der CIC f<strong>in</strong>anzierte zeigleich zunehmend wesdeutsche<br />
Zeitungen im Rahmen des kalten Krieges und <strong>der</strong> Kriegsvorbereitung.<br />
Die Zunahme <strong>der</strong> Diversion und Saboatage gegen die <strong>DDR</strong> Ende 1952/ Anfang 1953 ist ebenfalls aktenkundig. Die<br />
zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 im Zus<strong>am</strong>menhang mit <strong>der</strong> →Aktion Vulkan des<br />
BND und den gefälschten Lebensmittelkarten des <strong>am</strong>erikansichen Geheimdienstes im April 1953 gehören ebenfalls<br />
dazu. Auch die verbreiteten Gerüchte des →RIAS im Vorfeld und die zunehmende Abwerbung von <strong>DDR</strong>-Bürgern,<br />
sowie die kurz davor organisierte Flüchtl<strong>in</strong>gs-Psychose gehörten zu den Vorbereitungen. Bliebe also nur noch die<br />
Amnestie ehemaliger Faschisten im April 1953 zu erwähnen, die ebenfalls zur Vorarbeit des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 gerechnet<br />
werden darf.<br />
Kopf des ges<strong>am</strong>ten Unternehmens war die CIA <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> NATO. Die Vorbereitungen für die operative Leitung vor<br />
Ort fiel dem Kaiserm<strong>in</strong>isterium mit Hilfe zahlreicher westeuropäischer Geheimdienste und<br />
Geheimdiensthilfsorganisationen zu.<br />
Frieckes Behauptung „die Berl<strong>in</strong>er CIA-Verantwortlichen wurden nach eigenen Angaben“ von den<br />
Ereignissen des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 „kalt erwischt“ 308 ist folglich falsch.<br />
Se<strong>in</strong>e Aussage, „zum<strong>in</strong>dest für die Organisation Gehlen ist jegliche Beteiligung an den<br />
Ereignissen des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> def<strong>in</strong>itiv auszuschließen“, ist ebenso an den Haaren herbeigezogen, wie die<br />
307 Hg. Autorenkollektiv: Albrecht Charisius u. a., Weltgendarm USA, Militärverlag <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> 1983, S.97<br />
308 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.75<br />
Nord-<br />
Vietn<strong>am</strong><br />
Süd-<br />
Vietn<strong>am</strong><br />
Süd-Korea Japan<br />
Taiwan
Feststellung: „Auch <strong>in</strong> den USA waren sich State Department und CIA <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schätzung<br />
zunächst e<strong>in</strong>ig, das die Unruhen des <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> „e<strong>in</strong> spontanes Ergebnis“ e<strong>in</strong>er von den Sowjets<br />
„galanten Demonstration“ vom Vortage waren“. 309<br />
Wie zwei so bekannte Historiker zu solchen Trugschlüssen gelangen konnten, ist mit den Informationsunterdrückungen<br />
zum NATO-Nachrichtendienst schnell erklärt, sie gaben schließlich den fehlenden Zugang zu den entsprechenden<br />
Dokumenten selbst zu: „Soweit entsprechende Dokumente zugänglich s<strong>in</strong>d, ist zu erkennen, dass<br />
sie (westdeutsche Geheimdienste) nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage waren, das Geschehen richtig zu<br />
deuten“. 310 Fricke hat nicht e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Dokument zum NATO-Nachrichtendienst ausgewertet, geschweige denn<br />
jemals zu Gesicht bekommen. Es ist vielmehr noch heute so, das auch se<strong>in</strong>em Auftraggeber, dem<br />
„Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes <strong>der</strong> ehemaligen <strong>DDR</strong>“,<br />
es nach wie vor verboten ist, deutschen Forschern Unterlagen über westliche Geheimdienste herauszugeben. Auch „die<br />
Archive <strong>der</strong> Central Intelligence Agency und des Intelligence Service... werden für immer<br />
verschlossen bleiben“. 311<br />
Alle Versuche ostdeutscher Publizisten, bereits <strong>in</strong> den 50er Jahren kritische Literatur zu den Geschehnissen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong><br />
1953 <strong>in</strong> Westdeutschland an den Mann zu br<strong>in</strong>gen scheiterten ebenfalls an e<strong>in</strong>er wüsten Zensur, zumal „die<br />
Organisatoren des Putsches eifrig bemüht (waren), ihre Vorbereitungen für den <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953<br />
nicht bekannt werden zu lassen. Die nach Westberl<strong>in</strong> entkommenen Provokateure wurden<br />
daher angewiesen, bei Vernehmungen über ihre Beteiligung an dem Putsch alles zu<br />
verschweigen, was auf die Tatsache <strong>der</strong> Organisiertheit des Putsches durch die westberl<strong>in</strong>er<br />
Agentenzentralen auch nur h<strong>in</strong>deuten könnte. Der Angeklagte Silgardt, <strong>der</strong> im Auftrage des<br />
Leiters des Westberl<strong>in</strong>er Büros <strong>der</strong> „Liga“ Anfang Juli 1953 Berichte <strong>der</strong> geflüchteten<br />
Provokateure über die Aktion als Material für e<strong>in</strong> geplantes Weißbuch über den<br />
„Volksaufstand <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953“ aufnahm, erhielt die Anweisung, die hierüber zu fertigende<br />
Nie<strong>der</strong>schrift so abzufassen, dass sich aus ihr nichts über die organisierten Vorbereitungen<br />
des Putsches durch die Agenten- und Sabotagezentralen ergebe“. 312<br />
Mehr noch, dieselben Provokateure s<strong>in</strong>d zweifelsohne auch im Vorfeld angewiesen worden, jegliches Fotografieren <strong>am</strong><br />
<strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> mit Gewalt zu unterb<strong>in</strong>den. Rowdys jedenfalls stürzten sich <strong>am</strong> Tag X aktenkundig gezielt auf<br />
Strassenpassanten, <strong>der</strong>en Absicht dar<strong>in</strong> bestand, sie zu fotografieren. Man verprügelte sie. „Die Photoapparate<br />
wurden von den Angeklagten und <strong>der</strong> übrigen Meute zertreten“, hieß es dazu <strong>in</strong> den Gerichtsakten.<br />
Deshalb kann Frickes zwar nicht ausgesprochene, aber doch geme<strong>in</strong>te Ansicht: Quod non est <strong>in</strong> actis, non est <strong>in</strong> mundo.<br />
(Was sich nicht <strong>in</strong> den Akten bef<strong>in</strong>det, ist auch nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt), gar nicht stichhaltig se<strong>in</strong>. Beide, Fricke wie<br />
Engelmann g<strong>in</strong>gen ihren NATO-Freunden aber nicht nur weil „entsprechende Dokumente“ noch nicht<br />
zugänglich s<strong>in</strong>d auf den Leim, denn darauf können sie noch lange warten, vielmehr haben sie es versäumt, den BND<br />
und die CIA im NATO-Rahmen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aber im historischen Kontext zu betrachten. In dem nachweisbare<br />
Kriegsvorbereitungen, mit entsprechenden Aufträgen für Gehlen nicht e<strong>in</strong>fach weggelassen werden können.<br />
Hätten sie sich kritischer mit den Geheimdiensten des Nordatlantikpaktes ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gesetzt, dann wären ihnen auch<br />
ganz bestimmt <strong>der</strong> Prozess gegen drei Agenten des NATO-Geheimdienstes im <strong>Juni</strong> 1955 nicht entgangen. E<strong>in</strong>em von<br />
ihnen: Wilhelm Lehmann, hatten se<strong>in</strong>e Vorgesetzte bereits d<strong>am</strong>als Son<strong>der</strong>aufgaben übertragen. Im Urteil des Obersten<br />
Gerichts vom 13. <strong>Juni</strong> 1955 –I Zst (I) 3/55 hieß es dazu wörtlich: „Anlässlich des faschistischen<br />
Putschversuches vom <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 wurde ihm (Lehmann) die Son<strong>der</strong>aufgabe gestellt, die<br />
Verlegung und den Verbleib sowjetischer Panzere<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> auf dem Arnswal<strong>der</strong> Platz<br />
und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wuhlheide festzustellen“. 313<br />
Pläne e<strong>in</strong>er totalen Spionage, mit e<strong>in</strong>em eng geknüpften Spitzelnetz im eigenen Land, ebenso wie auf <strong>DDR</strong>-<br />
Hoheitsgebiet waren ebenfalls bereits Jahre vor dem Umsturzversuch sehr wohl real. Sie stellten e<strong>in</strong>en nicht<br />
unwesentlichen Teil gezielter NATO-Kriegsvorbereitung dar. Sämtliche im Text erwähnten Methoden, Handlungen<br />
sowie Direktiven, aller größeren Westgeheimdienste, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aber schwarze Listen ihrer Agentenzentralen, Jahre<br />
vor dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 belegen zu Genüge, wie ernst NATO-Geheimdienstoffiziere, ihr totales Spionagekonzept<br />
nahmen.<br />
309 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S. 77<br />
310 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.80<br />
311 Stewart Steven, Sprengsatz. Die Operation Spl<strong>in</strong>ter Factor <strong>der</strong> CIA, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1975<br />
312 Neue Justiz, Nr.16 vom 20.8.1954<br />
313 Neue Justiz, Nr.13 vom 5.7.1955
Siegmund Neumann vom →SPD-Ostbüro zum Beispiel, hatte bereits 1947 <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne mit e<strong>in</strong>er<br />
Zus<strong>am</strong>menstellung von Listen vertrauenswürdiger SPD-Genossen <strong>in</strong> Ostdeutschland begonnen. Im →FDP-Ostbüro<br />
g<strong>in</strong>g man im Dezember 1948, unter Leitung Dr. Englers dazu über, e<strong>in</strong>e Karteiaufstellung, über alle aus dem Osten<br />
geflüchteten LDPD-Mitglie<strong>der</strong>n anzulegen. E<strong>in</strong> Jahr später richteten sie ihre berüchtigte „Zentrale West- und<br />
Ostkartei“ e<strong>in</strong>. Womit zugleich auch ihre nachrichtendienstliche Arbeit <strong>in</strong> Westdeutschland selbst besiegelt worden<br />
ist. Unter an<strong>der</strong>em g<strong>in</strong>gen FPD-Ostbüro Mitarbeiter dazu über, Personen festzustellen, „die sich<br />
verfassungsfe<strong>in</strong>dlich“ betätigten., <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auf Kommunisten hatten sie es abgesehen.<br />
Im →CDU-Ostbüro sah es nicht an<strong>der</strong>s aus, Jöhren versuchte dort seit 1951 e<strong>in</strong>e bessere „karteimäßige<br />
Erfassung von Personen durchzuführen, als dies vorher <strong>der</strong> Fall war“. Karteien führte man unter<br />
an<strong>der</strong>em über, „Verb<strong>in</strong>dungsleute, Mitarbeiter <strong>der</strong> Staatssicherheit, Flüchtl<strong>in</strong>ge, Orte <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
SBZ/<strong>DDR</strong>, Handwerker, Häftl<strong>in</strong>ge etc.“.<br />
Alle aber legten wie Buschfort versicherte, jene „nach Orten und Straßen geordnete Kartei <strong>der</strong> SBZ<br />
an“, <strong>in</strong> welcher zuverlässige Flüchtl<strong>in</strong>ge mit ihren ehemaligen Wohnorten im Osten verzeichnet wurden. Zus<strong>am</strong>men<br />
mit den Listen über fe<strong>in</strong>dlich ges<strong>in</strong>nte SED-Politiker, Christdemokraten, Sozialdemokraten o<strong>der</strong> Liberale, hatten die mit<br />
ihnen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehende Geheimdienste, <strong>der</strong>en Steuerung <strong>in</strong>nerhalb des NATO-Nachrichtendienst dem CIA zufiel,<br />
dadurch natürlich e<strong>in</strong>en idealen E<strong>in</strong>blick, für ihre angestrebte totale Überwachung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. Letztendlich spielten<br />
dieselben schwarzen Listen auch für Umsturzversuche wie <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953, bzw. danach e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Dafür<br />
gibt es, dargestellt <strong>am</strong> Fallbeispiel des →SPD-Ostbüros, unwi<strong>der</strong>legbare Beweise.<br />
Gerade bei dieser, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für den gewöhnlichen SPD-Anhänger so harmlos wirkenden, nachrichtendienstlichen<br />
Arbeitsweise. In Wirklichkeit aber Kern des totalen konterrevolutionären Konzeptes, zeigte sich wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Mal mehr,<br />
wie ahnungslos e<strong>in</strong>fache SPD-Ostbüromitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Sachen Geheimdienstfragen <strong>in</strong> Wirklichkeit waren. Auch technisch<br />
waren viele von ihnen bis zuletzt, eben nicht geheimdienstlich ausgebildete Berufsagenten. E<strong>in</strong> Opfer des NATO-<br />
Nachrichtendienstes wollte dennoch ke<strong>in</strong>er von ihnen se<strong>in</strong>. Kurzum, sie waren <strong>in</strong> ihrer Mehrheit gar nicht fähig, ihre<br />
eigene nachrichtendienstliche Arbeit strategisch im NATO-Rahmen e<strong>in</strong>zuordnen.<br />
Inhaftierte SPD-Ostbüro Spitzel gaben es selbst zu, zum<strong>in</strong>dest diejenigen, denen an e<strong>in</strong>em Sozialismus <strong>in</strong> Freiheit<br />
wirklich etwas lag, sich deshalb auch mit dieser Thematik <strong>in</strong>tensiv ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen, wie SPD-Osbüro Agent<br />
Christoph Engel zum Beispiel. Wörtlich: „Ich war (seit 1952) Agent des Ostbüros <strong>der</strong> SPD.... Ich hatte ke<strong>in</strong><br />
Vertrauen zur <strong>DDR</strong>, hegte überall Misstrauen und verstand auch nicht die Arbeit <strong>der</strong> Organe des M<strong>in</strong>isteriums<br />
für Staatssicherheit. Veröffentlichungen über Agententätigkeit <strong>in</strong> den Zeitungen habe ich nicht gelesen...<br />
Während me<strong>in</strong>er Haftzeit (aber) ist mir klargeworden, dass dieses Agententätigkeit ob bewusst o<strong>der</strong> unbewusst<br />
geleistet, <strong>der</strong> Vorbereitung e<strong>in</strong>es neuen Krieges dient“. 314<br />
An<strong>der</strong>e Sozialdemokraten, denen im Vorfeld mit Ausstellungen wie <strong>in</strong> Schwer<strong>in</strong>: „Agenten, Spione, Saboteure<br />
entlarvt“, Möglichkeiten gegeben worden s<strong>in</strong>d, sich über westdeutsche Agentenumtriebe <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> ausgiebig zu<br />
<strong>in</strong>formieren, setzten sich im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> nachweislich für e<strong>in</strong> Verbot aller Agentenzentralen e<strong>in</strong>. 315 Schließlich lag e<strong>in</strong>e<br />
Reduzierung ausgebauter Strukturen des totalen Überwachungsstaates <strong>in</strong> Ost wie West auch <strong>in</strong> ihrem Interesse, zumal<br />
Daten über e<strong>in</strong>fache Friedensaktivisten im Westen ebenfalls ges<strong>am</strong>melt worden s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Reihen sehr viele<br />
Sozialdemokraten mitarbeiteten.<br />
Innenm<strong>in</strong>ister Wilhelm Hoegner (SPD) 316 behauptete sogar westdeutsche Polizisten hätten bereits im Oktober 1953<br />
angefangen auch Akten e<strong>in</strong>facher westdeutscher Bürger anzulegen. 317 Deutsche Spione gaben demnach wie<strong>der</strong><br />
Informationen über alles und jeden weiter, aus dem fe<strong>in</strong>dlichen Lager ebenso, wie erstaunlicherweise auch aus den<br />
eigenen Reihen.<br />
Verfassungsschutzpräsident Otto John zum Beispiel, sollte aktenkundig mit wissen Globkes den Ges<strong>am</strong>tdeutschen<br />
M<strong>in</strong>ister Jakob Kaiser höchstselbst bespitzeln. 318 Was natürlich letztendlich nur e<strong>in</strong> weiterer Bauste<strong>in</strong> des totalen<br />
Überwachungsstaates darstellte.<br />
Dr. Menzel (SPD), <strong>der</strong> Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Verfassungsschutz, bestätigte <strong>am</strong> Mittwoch den<br />
13.4.1955 <strong>in</strong> diesem Zus<strong>am</strong>menhang sogar e<strong>in</strong> gegenseitiges Ausspitzeln staatlicher Behörden. In jedem M<strong>in</strong>isterium<br />
des Bonner Bundeshauses würden Sicherungsgruppen des Bundeskrim<strong>in</strong>al<strong>am</strong>tes sitzen, <strong>der</strong>en Aufgabe mitunter dar<strong>in</strong><br />
314 Neues Deutschland, Nr.124 vom 25.5.1956<br />
315 Neues Deutschland, Nr.131 vom 2.6.1956<br />
316 Wilhelm Hoegner beschäfftigte sich bereits <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Werk „Die verraten Republik. Geschichte <strong>der</strong> Gegenrevolution, Isar Verlag<br />
München 1958“ sehr ausgiebig mit <strong>der</strong> konterrevolutionären Rolle d<strong>am</strong>aliger staatlicher Behörden mit unter auch <strong>der</strong><br />
Geheimdienste.<br />
317 Neues Deutschland, Nr.232 vom 3.10.1953<br />
318 Neues Deutschland, Nr.273 vom 15.1.1956
estand, sich gegenseitig auszuspionieren. 319 E<strong>in</strong>e illegale Überwachung von Parl<strong>am</strong>entariern also. Worüber sich im<br />
Westen aber niemand son<strong>der</strong>lich aufregte. Im demokratischen Deutschland <strong>in</strong>dessen, ließen demokratische Publizisten<br />
kaum e<strong>in</strong>e Gelegenheit aus, um den totalen Überwachungsstaat bloß zu stellen.<br />
Zu dieser Art totaler Kontrolle gehörte außerdem auch e<strong>in</strong>e schwarze Liste über Mitglie<strong>der</strong> konterrevolutionärer<br />
Berl<strong>in</strong>er Agentenzentralen selbst, wie Generalmajor Fruck vom Staatssekretariat für Staatssicherheit (SfS) <strong>am</strong> 24.5.1955<br />
vor ostdeutschen Werktätigen deutlich darlegte: „Den Staatssicherheitsorganen unserer Republik liegen<br />
Beweise darüber vor, dass sich auf den Revieren <strong>der</strong> Stumm-Polizei Listen bef<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> denen<br />
so genannte gefährdete Personen registriert s<strong>in</strong>d. Diese gefährdeten Personen s<strong>in</strong>d Menschen,<br />
die fe<strong>in</strong>dliche Tätigkeit gegen die <strong>DDR</strong> o<strong>der</strong> die Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Volksdemokratie durchführen. Es<br />
s<strong>in</strong>d Menschen, die Agentenorganisationen o<strong>der</strong> solchen Verbrecherorganisationen wie <strong>der</strong><br />
KgU o<strong>der</strong> UfJ angehören.<br />
Im Streifenplan <strong>der</strong> Stupofunkwagen s<strong>in</strong>d die N<strong>am</strong>en und Straßen dieser Agenten<br />
verzeichnet, und die Funkwagen s<strong>in</strong>d verpflichtet, <strong>in</strong> regelmäßigen Zeitabständen die<br />
Wohnungen <strong>der</strong> Agenten zu kontrollieren... (d<strong>am</strong>it) dem e<strong>in</strong>zelnen Agenten <strong>der</strong> Schlaf<br />
gesichert ist“. 320 Je<strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Wachpolizist wie<strong>der</strong>um, ist von den Nachrichtendiensten im geheimen politisch<br />
überprüft worden. 321 Im übergeordneten NATO-Pakt selbst koord<strong>in</strong>ierte, bzw. überwachte wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong> sogenanntes<br />
„Sicherheits<strong>am</strong>t“ (Sicherheitsbüro) sämtliche „Sicherheitsmaßnahmen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> NATO“. 322<br />
All dies dürfte für den westdeutschen Leser recht neu se<strong>in</strong>. In <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> dagegen wusste man schon spätestens seit dem<br />
spektakulären Prozess von 1950 gegen die →Zeugen Jehovas welche Rolle schwarze Listen und an<strong>der</strong>e, eben nicht<br />
demokratische nachrichtendienstliche Arbeitsweisen im NATO-Ges<strong>am</strong>tplan spielten.<br />
Die Zeugen Jehovas trugen tatsächlich wie sämtliche Ostbüros zur totalen Überwachung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bei. Das Wesen<br />
<strong>der</strong> totalen Spionage wurde erst Jahre später im offiziellen NATO-Nachrichtendienst nahe stehenden Wehrmagaz<strong>in</strong><br />
Wehrkunde (Siehe 1957) näher beschrieben. Hohe NATO-Offiziere sprachen dort erstmals offen über ihre schon längst<br />
im Aufbau begriffene →totale Spionage:<br />
-Commandant J. Hodgar aus Paris : „Wenn die Aufstandsbewegung, sei sie nun kommunistisch o<strong>der</strong><br />
nicht, die ges<strong>am</strong>te Bevölkerung unter Kontrolle hat, ist ihr <strong>der</strong> Sieg gewiss und die Macht<br />
entgleitet unweigerlich den rechtmäßigen Behörden“. (Heft 10/ 1957)<br />
-Commandant J. Hodgar aus Paris: „Wir sehen, dass die Macht des Aufstandes darauf beruht, dass er<br />
sich <strong>der</strong> Überwachung <strong>der</strong> Bevölkerung versichert, und dass diese Überwachung mittels e<strong>in</strong>es<br />
lückenlosen politischen Netzes ausgeübt wird. Ohne die Allgegenwart dieses Netzes wäre es<br />
unmöglich, die Volksmassen zu beherrschen und zu benutzen und militärische E<strong>in</strong>heiten<br />
auszuheben und e<strong>in</strong>zusetzen...“. (Heft 11/ 1957)<br />
Wem dies immer noch nicht langt, da ke<strong>in</strong> direkter Bezug zu den Ereignissen <strong>am</strong> <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 bestehen, kann je<strong>der</strong>zeit<br />
auch auf Prozessunterlagen vor dem 2. Strafsenat des Bezirksgerichtes Potsd<strong>am</strong> zurückgreifen, <strong>in</strong> denen ähnliche<br />
Arbeitsweisen von zwei im Dienste des <strong>am</strong>erikanischen Imperialismus tätigen Agenten beschrieben wurden. Willi Ste<strong>in</strong>,<br />
seit 1933 NSDAP-Mitglied, warf man d<strong>am</strong>als im Februar 1953 vor, zur Verwirklichung se<strong>in</strong>er Ziele unter an<strong>der</strong>em e<strong>in</strong>e<br />
beson<strong>der</strong>e Kartei geführt zu haben. Sie wies fast den ges<strong>am</strong>ten Wohnraum des Angeklagten (Kle<strong>in</strong>-Machow bei Berl<strong>in</strong>)<br />
auf. „Bezeichnend hierbei war <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e, „dass <strong>in</strong> diese Kartei auch Angaben über die<br />
persönlichen Verhältnisse <strong>der</strong> Bewohner enthalten“ waren. Mehr noch, gemachte Erfahrungen aus den<br />
d<strong>am</strong>aligen großen Prozessen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> lehrten, „dass sich auch die (an<strong>der</strong>en) westlichen Agenten<br />
solcher Karteien bedien(t)en“. Ste<strong>in</strong> jedenfalls „ergänzt(e) und vervollkommnet(e)“ sie ständig. 323<br />
Es ist also nötig im Zus<strong>am</strong>menhang mit dem <strong>17.</strong> <strong>Juni</strong> 1953 e<strong>in</strong>ige Fakten noch e<strong>in</strong> Mal hervorzuheben, <strong>der</strong>en Inhalte<br />
eben nichts, mit dem „Ideologie- und Me<strong>in</strong>ungsmonopol <strong>der</strong> SED“ 324 geme<strong>in</strong> hatten, wie Fricke behauptete,<br />
schließlich gehörte um nur e<strong>in</strong>en kompetenten Nicht-Kommunisten zu erwähnen, auch Otto John zu jenen Kreisen, „die<br />
(zum Beispiel) <strong>der</strong> Organisation Gehlen e<strong>in</strong>en wesentlichen Anteil an den Geschehnissen <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong> und <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>DDR</strong> zuschrieben“. 325<br />
319 Neues Deutschland, Nr.86 vom 14.4.1955<br />
320 Neues Deutschland, Nr.120 vom 25.5.1955<br />
321 Neues Deutschland, Nr.136 vom 14.6.1955<br />
322 Hg. NATO-Brüssel, NATO-Handbuch/ 2001, S.251<br />
323 Neues Deutschland, Nr.35 vom 11.2.1953<br />
324 Karl Wilhelm Fricke/ Roger Engelmann, Der „Tag X“ und die Staatssicherheit, Edition Temmen 2003, S.7<br />
325 Hans Fre<strong>der</strong>ik, Das Ende e<strong>in</strong>er Legende, Verlag dpa 1971, S. 142
Quelle: Javier Rojas, Geheimdienste & Rechtsextremismus. -Theorie, Geschichte, Enzyklopädie-,<br />
unveröffentichtes Manusukript.<br />
Voraussichtlich künftiger Ersche<strong>in</strong>ungsort und Verlag: "Eulenspielgelverlagsgruppe Berl<strong>in</strong>"