| Sc h w e r p u n k t t h e m aenormen finanziellen Ertragsversprechen. WelchesAusmaß, welche Perfidie hinter dem System steckt,hat der 2002 aufgedeckte „Globudent-Skandal“ gezeigt- der Mülheimer Dentalhändler Globudent hatteimportierten Zahnersatz zu überhöhten Preisen inRechnung gestellt und beteiligten Zahnärzten einen„Kick-Back“-Rabatt bar ausgezahlt. Krankenkassenund Patienten waren Schätzungen zufolge allein durchdiesen einen Fall bundesweit um einen dreistelligenMillionen-Betrag geschädigt worden.Trotzdem entwickelte sich der Marktanteil ausländischerzahntechnischer Medizinprodukte zunächst nurmoderat, wie die nachstehende Grafik, erstellt aus denDaten der offiziellen Importstatistik des StatistischenBundesamtes, zeigt. 3 Erst 2005 setzt eine Dynamikein. Die eigentliche Geburtsstunde der ausländischenZahntechnik war der 1. Januar 2005, zu dem das befundorientierteFestzuschusssystem für Zahnersatzdas proportionale Zuschusssystem ablöste.Plausible ErklärungenDie Gründe für die Entwicklung seit dem Jahre 2005scheinen auf der Hand zu liegen. Der gesetzlich angeordneteRückzug der GKV aus der Finanzierungder Zahnersatzkosten, damit verbunden eine weitereÖffnung der Privatisierung der bisher vertragszahnärztlichenVersorgung, haben die Preissensibilität derVersicherten stark erhöht. Die Folge ist eine intensivereBeschäftigung mit dem Wert, also dem Nutzen,und dem Preis einer bzw. alternativer Zahnersatzversorgungen.Das führt im Internet-Zeitalter, insbesonderewenn man von der eigenen Krankenkasse3 Die Importstatistik leidet allerdings unter einer erheblichen Schwäche, weil sie das tatsächlicheImportvolumen in keiner Weise abbildet. Dies liegt daran, dass die Statistikverordnungbeispielsweise die Erfassung von Importlieferungen unter 1 000 EUR nichtvorsieht. Diese dürften jedoch gerade beim Bezug von Zahnkronen und Brücken durchden einzelnen Zahnarzt die dominierende Auftragsgröße sein; mithin wird der größteTeil der Importaufträge tatsächlich nicht erfasst. Dennoch zeigen die Veränderungen,also die Zuwachsraten der offiziellen Statistik, ein Bild der tatsächlichen Entwicklung.noch darauf hingewiesen wird, auf die preislich verlockendenAngebote der Zahnersatzhändler. Sowohldie Importeure als auch Krankenkassen haben sichdazu verstiegen, geprüfte Qualität nach „deutschemStandard“ zu versprechen. So etwas macht auch denkritischsten Patienten interessiert: billiger bei gleicherQualität! Unter diesen Umständen scheint esdurchaus plausibel, dass jeder siebte Bundesbürgermindestens aus Kostengründen darüber nachdenkt,ob sein zahnprothetisches Werkstück nicht aus demAusland kommen soll.Dass die Qualitätsrealität allerdings gänzlich andersaussehen kann, ist dem interessierten Patienten zwischenzeitlichauch zugänglich 4 .In der Sphäre der Zahnärzte bewirkt die (erwünschte)Tatsache, dass die mediokren Regelversorgungendes befundorientierten Festzuschusssystems durchdie Patienten nur durch Zuzahlungen nach der privatenGebührenordnung zu umgehen sind, dass diemehr wirtschaftlich als zahnärztlich-ethisch denkendenZahnärzte in den Handelsmarkt ausländischerzahntechnischer Medizinprodukte gelockt werden: Beigegebenem Budget des Patienten schafft jeder beimzahnprothetischen Werkstück gesparte Euro Raum fürden Steigerungssatz bei den GOZ-Leistungen.Diese plausiblen, aber trivialen Erklärungen für denexorbitanten Zuwachs an Importen verdecken indesden Blick auf die gravierenden immanenten Fehlanreizeeines Festzuschusssystems in der Medizin, hierfür die Zahnersatzversorgung.Die Auswirkungen der FehlanreizeDer verantwortliche Gesetzgeber hat mit der Verabschiedungdes befundorientierten Festzuschusssystemsmindestens vergessen, eine stringente und effizienteQualitätssicherung zu implementieren. Mindestens4 Vgl. nur: http://www.myzahnarzt.com/Zahnersatz_Ausland_Studie.htmlVolumen ausländischer zahntechnischerMedizinprodukte(nur Importlieferungen über1 000 EUR sind erfasst - sieheFußnote 3)26 | <strong>IGZ</strong> Die Al t e r n a t iv e Nr. 2/<strong>2013</strong>
Sc h w e r p u n k t t h e m a |deshalb, weil nämlich zu befürchten steht, dass einsolches Qualitätsregime in der Realität gar nicht zuverwirklichen ist. Das will heißen, der Gesetzgeberhätte nie und nimmer für den Gesundheitsbereich„Zahnersatz“ ein Festzuschusssystem wie vorliegendeinführen dürfen. Aus den rechtlichen Gegebenheitenund den ökonomischen Gesetzen war die Entwicklungvorprogrammiert.Vertrag über ZahnersatzversorgungBei dem zwischen Patient und Zahnarzt geschlossenenZahnersatzversorgungsvertrag, also zahnärztlicheBehandlung und zahntechnische Leistungen,handelt es sich um einen sogenannten Dienstvertraghöherer Art. Dabei schuldet der Zahnarzt dieversprochenen Dienste, der Patient das vereinbarteEntgelt. Der Zahnarzt schuldet nicht den Erfolg,sondern die kunstgerechte (lege artis) Durchführungder Behandlung. Dieser Dienstvertrag umfasst auchdie zahntechnischen Leistungen, die für die Zahnersatzversorgungbenötigt werden. Das zahntechnischeMedizinprodukt wird rechtlich als uneigenständigbehandelt, es ist der zahnärztlichen Tätigkeit untergeordnetund unterliegt ausschließlich der Dispositiondes Zahnarztes, ebenso wie etwa die Auswahlder Diamantbohrer, des Abdruckmaterials oder desAnästhesie- oder Nahtmaterials. Der Dienstvertragkennt keine Gewährleistung. Der Zahnarzt haftet fürdie folgenden Pflichtverletzungen: Behandlungsfehler(„Kunstfehler“), Diagnosefehler, fehlerhafte Aufklärungund sonstige Pflichtverletzungen. Der Patienthat nur Anspruch auf Schadensersatz.Zwar räumt die Rechtsprechung bezogen auf herausnehmbarenZahnersatz dem Patienten werkvertraglicheMängelrechte ein, nicht aber für festsitzendenZahnersatz. Der Zahnarzt handelt hier schuldhaft nur,wenn er einen sichtbaren Mangel ignoriert. Mängel,die infolge technisch fehlerhafter Prozesse währendder Herstellung im zahntechnischen Medizinproduktenthalten sind, kann der Zahnarzt nicht erkennen;dafür haftet er auch nicht. 5Adverse Selektion führt zum ZitronenmarktDie Rechtslage stellt sich also so dar, dass es demZahnarzt gänzlich gleich sein kann, wie das zahntechnischeMedizinprodukt entstanden ist: Hauptsache,äußerlich weist es keinen Mangel auf.An dieser Stelle wird man uns entgegenhalten, dasswir doch nicht behaupten wollen, dass ein Zahnarztum eines schnöden Honorarvorteils willen in Kaufnimmt, möglicherweise schlechtere, geschweige dennschlechte Qualität zu akzeptieren. Nein, das wollenwir keinem Zahnarzt unterstellen, aber die ökonomi-5 Dieser rechtliche Sachverhalt relativiert den Begriff „Gesamtverantwortung des Zahnarztes“.schen Wechselwirkungen eines Festzuschusssystemswirken in diese Richtung. Es würde den Rahmen diesesArtikels sprengen, würde man die ökonomischenErklärungen, die seit über 40 Jahren erforscht sind,im Detail darstellen. 6 Daher skizzieren wir in der gebotenenKürze nur die Wirkungsweise:Im befundorientierten Festzuschusssystem sind dieRegelversorgungsbefunde durch zahnärztliche Leistungen,die BEMA-Nummern mit Festpreisen (Gebühren),determiniert. Über die Regelversorgungenhinausgehende zahnärztliche Leistungen sind nachder GOZ, also ebenfalls mit Gebühren zu berechnen.Variabel sind allein die Preise für zahntechnischeMedizinprodukte. Da weder der Patient, allenfallsDie Forderung kann daher nur lauten, dasbefundorientierte Festzuschusssystem sozu modifizieren, dass es zur adversen Selektionerst gar nicht kommen kann.erst nach Jahren, noch der Zahnarzt die Preiswürdigkeitzahntechnischer Medizinprodukte einschätzenkann und gerade letzterer, wie wir oben gezeigthaben, auch gar nicht muss, sind die Voraussetzungender adversen Selektion gegeben: Die mittlerenQualitäten verdrängen die guten, die wiederum diesehr guten Qualitäten vom Markt verschwinden lassen.Die schlechten Qualitäten verdrängen die nichtso ganz schlechten, die wiederum die mittleren Qualitätenverdrängen. 7Der Anstieg der Importe billigen Zahnersatzes unmittelbarmit der Einführung des Festzuschusssystemsbeweist freilich noch nicht, dass der Markt fürzahntechnische Medizinprodukte sich zum „Zitronenmarkt“entwickelt, denn die Qualitäten der Importesind weitgehend unbekannt. Zwingen aber dieImporte billiger zahntechnischer Leistungen den inländischenMarkt, also das Zahntechniker-Handwerk,dazu, auf diesen Preiswettbewerb einzugehen, dannist das bei gegebenen inländischen Produktionskostennur über einen Qualitätsverfall möglich. 8Die Forderung kann daher nur lauten, das befundorientierteFestzuschusssystem so zu modifizieren, dasses zur adversen Selektion bis hin zum Zitronenmarkterst gar nicht kommen kann.6 Vgl. hierzu die Arbeiten von: Akerlof, G. A. The Market for „Lemons“: Quality UncertaintyAnd The Market Mechanism, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 84, 1970, S. 488ff.; Schmoranz I.: Makroökonomische Analyse des Informationssektors, 1980, S. 132 ff.;Kunz, H.: Marktsystem und Information, 1985, S. 48; Heidreich, H.: Konsumentenwissenund Wettbewerb, Freiburg i.Br., 1981.7 Akerlof, G. A., aaO., S. 490.8 Vgl. dazu: Ungern-Sternberg, Th. R. v.: Zur Analyse von Märkten mit unvollständigerNachfragerinformation, Berlin, 1984, S. 58.<strong>IGZ</strong> Die Al t e r n a t iv e Nr. 2/<strong>2013</strong> | 27