NotizenErstensDas Gebet soll aus dem Herzen aufsteigen, also aus einem tiefen Bedürfnis einer Personentspringen. Besonders wer regelmäßig und häufig betet, muss darüber wachen, dassdas Gebet nicht zu einer frommen Routine verkommt, in der die Person gar nicht mehrbei den Worten ist, die sie ausspricht. Das kann besonders in religiösen Kreisen undöffentlichen Gottesdiensten geschehen, in denen immer dieselben Sätze auswendigwiederholt werden. Je bekannter und gewohnter das Gebet ist, desto größer ist die Gefahr,dass das Gebet gewohnheitsmäßig und mechanisch wiederholt wird. Das kannauch mit dem Vaterunser geschehen, das oft mehr mit den Lippen als aus vollem Herzengebetet wird, und deshalb von Martin Luther als „größter Märtyrer auf Erden” bezeichnetwurde.Aber über das Kriterium hinaus, dass das christliche Gebet aus vollem Herzen steigensoll, soll es sich auch ausschließlich an Gott wenden, an den Vater, der weiß, was wirnötig haben (Mt 6, 32), ohne weitere Mittler zur Hilfe zu rufen wie Heilige, Madonnen,weitere Verstorbene, denn wir haben schon Jesus im Himmel, unseren „Fürsprecherbeim Vater” (1. Joh 2, 1).ZweitensDas Bewusstsein dafür, selbst nicht würdig zu sein, war in der Reformationszeit sehrausgeprägt, heutzutage ist es eher selten zu finden. Der <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong>spricht nicht von einer moralischen Unwürdigkeit eines Menschen, der ein unehrlichesund loses Leben führt, sondern von der Unwürdigkeit einer Person, die, obwohl sie sichkorrekt verhält, weiß, dass sie weit entfernt ist von der christlichen Vollkommenheit,von der Jesus in der Bergpredigt zu seinen Jüngern spricht: „Darum sollt ihr vollkommensein wie euer Vater im Himmel vollkommen ist” (Mt 5, 48).Heute sprechen wir mit vollem Recht viel von der Menschenwürde, die auf vielerleiWeise mit Füßen getreten wird und daher geschützt werden muss. 5 Wenn er von derUnwürdigkeit des Menschen spricht, dann spricht der <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> demMenschen nicht die Würde ab, die ihm zukommt als einem von Gott nach seinem Ebenbilderschaffenen Wesen. Diese Würde käme noch deutlicher zur Geltung, wenn derMensch seine eigene Unwürdigkeit gegenüber Gott erkennen würde. Zu ihm beten imWissen der eigenen Unwürdigkeit bedeutet, dass wir keine eigenen Verdienste anrechnenlassen können noch Entschädigungen einzufordern haben, sondern nur Gnadeempfangen können.DrittensDas volle Vertrauen darauf, dass Gott das Gebet erhört, ist nicht in der Qualität desGebetes oder der betenden Person begründet, sondern in der Verheißung Gottes undJesu. Wir wissen aber, dass viele Gebete nicht erhört werden, und das treibt die Glaubendenverständlicherweise um. Auch das Gebet Jesu im Garten Getsemani wurdenicht erhört:„Abba, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht wasich will, sondern was du willst!” (Mk 14, 36)Und so viele andere Gebete sind nicht erhört worden, Gott handelt nach seinem Willen,nicht nach unserem; er erfüllt nicht unsere Wünsche, sondern seine Verheißungen.Aber eine der Verheißungen ist es ja, unsere Gebete zu erhören. So bleibt das Problembestehen: die nicht erhörten Gebete sind ein Rätsel, das wir nicht auflösen können.Mehr als einmal wird in der Bibel davon gesprochen, dass der „Himmel verschlossen”sei, und dann und wann, dass Gott sich weigere, Gebete zu erhören. Man hat auchvom „Schweigen Gottes” angesichts von Auschwitz und anderer Tragödien gesprochen.Gott hat jedoch auf verschiedene Weisen gesprochen und durch seinen Sohn JesusChristus: Warum wurde er nicht erhört? Hat er nicht gesprochen, oder haben wir nichtauf ihn gehört?72
NotizenEs bleibt die Tatsache, dass das nicht erhörte Gebet ein Schatten ist, den keine Redevertreiben kann. Was also nun? Also müssen wir beständig bleiben im Gebet und unsnoch mehr auf das konzentrieren, was wir erbitten. Hier gibt uns der Hund von Lutherein Beispiel, der – wie wir in den Tischreden nachlesen können – mit offenem Maul undstarr auf seinen Herrn gerichteten Augen einen Bissen vom Tisch erwartete. Dazu sagteLuther:„Oh, wenn ich doch nur so beten könnte, wie dieser Hund auf das Fleisch schaut! Alleseine Gedanken richten sich auf das Stück Fleisch. Sonst denkt er, wünscht er, hofft ernichts.” 6 Frage 118Was hat uns Gott befohlen, von ihm zu erbitten?AntwortAlles,was wir für unser geistliches und leibliches Leben nötig haben,wie es der Herr Christus in dem Gebet zusammengefasst hat,das er uns selber lehrt.Biblische BelegeAlle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vaterdes Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.(Jak 1, 17)Suchet zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann werden euch alle diese Dingehinzugefügt werden.(Mt 6, 33; weitere Belegstelle: Phil 4, 6)KommentarDie Frage 118 enthält eine wichtige Präzisierung: Das Gebet wird von Gott nicht nurerwünscht und angeraten, sondern auch geboten. Es ist also nicht nur eine Option imchristlichen Leben, die wir unserem guten oder bösen Willen überlassen könnten, esist ein göttliches Gebot, das Gehorsam einfordert.Das bedeutet nicht, dass das Gebet wie eine Last sei, die dem Gewissen auferlegt wird,oder dass es eine Pflicht sei, die man nur widerwillig erfüllt.Das göttliche Gebot bedrückt das Gewissen, das freie Gewissen, nicht. Daher ist dasGebet ein Akt der Freiheit: ich bin nicht dazu verpflichtet zu beten, ich bin frei zubeten. – In welcher Hinsicht? – In der Hinsicht, dass wir, gerechtfertigt aus Glaubendurch das Kreuz Christi, auch „Zugang zur Gnade Gottes” erhalten, das heißt eigentlich:zu Gott selbst, denn Gott ist die Gnade, „in der wir stehen” (Röm 5, 2).Die Freiheit zu beten ist folglich die Freiheit, Zugang zu Gott zu finden, und der Lebensraumdes Gebetes ist die Gnade Gottes.Gott befiehlt uns also zu beten. Aber was befiehlt er uns dabei konkret? Wir würdenvon Gott erwarten, dass er uns anordnet, sein Lob zu singen und seinen Namen zuverherrlichen. Doch denkt Gott nicht an sich selbst, er denkt an uns. Gott ist wederegoistisch noch egozentrisch. Er befiehlt uns nicht zu seinem, sondern zu unserem eigenenVorteil zu beten, er befiehlt uns, für uns selbst zu beten.Das bedeutet nun aber offensichtlich nicht, dass vom Gebet zum Lob und zur VerherrlichungGottes abzuraten sei, aber es bedeutet, dass Gott an uns denkt, bevor wir anihn denken.Was sollen wir also von ihm erbitten? Die Antwort darauf ist klar: „Alles, was wir fürunser geistliches und leibliches Leben nötig haben”.73