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horizonte - der Koordinierungsstelle - Hochschule Mannheim

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Daten zum Berberdorf<br />

(vgl. Interne Statistik des Berberdorfes 2010)<br />

hältnisse sorgen dafür, dass Menschen<br />

sich an<strong>der</strong>e Wege suchen, um Teilhabe,<br />

Sinnstiftung und <strong>der</strong> Ausdruck <strong>der</strong> eigenen<br />

Persönlichkeit sichern zu können.<br />

Sie stecken sich erreichbare Konsumziele<br />

im Gegensatz zum unerreichbaren<br />

Arbeitsplatz. Konsum tritt an die Stelle<br />

von Erwerbsarbeit. Man ist, was man<br />

besitzt. (vgl. Böhnisch 2008, S. 214)<br />

Viele <strong>der</strong> BewohnerInnen haben mit<br />

ihren HartzIV-Bezügen allerdings kaum<br />

die Möglichkeit, sich eine Teilhabe<br />

an <strong>der</strong> Gesellschaft durch Konsum zu<br />

sichern. Der Techniker meint hierzu:<br />

„Die würden vielleicht auch gerne in<br />

<strong>der</strong> Stadt mal ins Café sitzen etc., und<br />

mal in einer ganz an<strong>der</strong>en Atmosphäre<br />

ihr Bier trinken. Aber das ist gar nicht<br />

machbar und irgendwann kommt auch<br />

<strong>der</strong> Frust, dass man nicht mehr zur Arbeit<br />

geht und das verlorene Selbstwertgefühl.<br />

Sie trauen sich ja gar nicht mehr<br />

aus dem Berberdorf raus, in die normale<br />

- in Anführungsstrichen - Welt”.<br />

Von echten Berbern und Milchbubis<br />

mit Rollköfferchen<br />

Hartz IV hat noch ganz an<strong>der</strong>e Auswirkungen<br />

auf das Leben von Wohnungslosen.<br />

Das erfahren wir von Kalle.<br />

Mit Hartz IV sei das Leben schwerer<br />

geworden. Vor allem die Lebensmittel<br />

würden immer teurer, aber <strong>der</strong> Regelsatz<br />

bleibe <strong>der</strong> Gleiche. Die Hartz-Reformen<br />

seien auch <strong>der</strong> Grund dafür,<br />

dass es heute kaum noch „echte Berber<br />

“gebe und die meisten „festmachen”,<br />

sich also nie<strong>der</strong>lassen, statt sich für ein<br />

umherziehendes Leben auf <strong>der</strong> Straße<br />

zu entscheiden. Vor den Gesetzesän<strong>der</strong>ungen<br />

war es möglich, in einer Stadt<br />

unbürokratisch Tagessätze zu erhalten.<br />

Heute ist meist ein vor Ort gemeldeter<br />

Wohnsitz notwendig. Deswegen ist<br />

selbst ein Umsiedeln von Esslingen ins<br />

angrenzende Stuttgart mit hohem Aufwand<br />

verbunden. Sachleistungen wie<br />

z.B. Fernseher, die früher unkompliziert<br />

beantragt werden konnten, gibt es<br />

nicht mehr. Die hat man verkauft, um<br />

weiterreisen zu können.<br />

Er erzählt auch von den wilden Anfängen<br />

des Berberdorfs, das sich aus einer<br />

Ansammlung von selbst errichteten<br />

Notunterkünften entwickelt hat und<br />

anschließend in ein betreutes Hilfsangebot<br />

mit SozialarbeiterInnen vor Ort<br />

umgewandelt worden ist. Diese Beson<strong>der</strong>heit<br />

hat das Dorf weit über die<br />

Region hinaus bekannt gemacht. Seine<br />

Geschichten handeln von Stacheldrahtzäunen,<br />

abgestecktem Revier,<br />

Wegzoll, Angriffen aus <strong>der</strong> Esslinger<br />

Bevölkerung und deswegen aufgestellten<br />

Wachposten. Statt den echten Berbern<br />

wie ihm, kämen heute in erster<br />

Linie „Milchbubis” mit ihren Rollköfferchen<br />

ins Dorf, die zu Hause rausgefl<br />

ogen sind o<strong>der</strong> „irgendwie Scheiße<br />

gebaut haben, Gestrandete eben”.<br />

Versorgt - entsorgt?<br />

Alle BewohnerInnen haben in ihrer<br />

Vorgeschichte einen Bruch und heute<br />

ein ganzes Paket von Schwierigkeiten.<br />

Neben ihrer Wohnungslosigkeit sind<br />

das z.B. „Arbeitslosigkeit, Drogenabhängigkeit,<br />

psychische Probleme, gescheiterte<br />

Beziehungen, Schwierigkeiten<br />

mit dem Umgang mit Behörden,<br />

Schwierigkeiten soziale Kontakte zu<br />

knüpfen o<strong>der</strong> zu halten“, erzählt uns<br />

<strong>der</strong> Sozialarbeiter vor Ort. Bis auf einige<br />

Ausnahmen entscheiden sich die<br />

meisten dabei nicht bewusst für das<br />

Leben im Berberdorf, son<strong>der</strong>n bekommen<br />

den Platz über die Beratungsstelle<br />

in Esslingen zugewiesen.<br />

Das durch die Naturnähe erzeugte<br />

Campingplatzidyll ist ein Aushängeschild,<br />

das trügt. Es lässt nämlich<br />

vergessen, in welch problematischer<br />

Lage sich die BewohnerInnen befi nden.<br />

Ausgrenzung, mangelndes Selbstwertgefühl,<br />

Alkoholabhängigkeit etc.,<br />

treten vor <strong>der</strong> schönen Kulisse <strong>der</strong><br />

Rosenstöcke kurz in den Hintergrund.<br />

Der scheinbare Erholungscharakter des<br />

Ortes sorgt bei manchen Bürgern für<br />

Missgunst, erklärt <strong>der</strong> technische Mitarbeiter.<br />

„Wenn sie am Bahnhof o<strong>der</strong><br />

sonstwo sind, da sind das dann diese<br />

Typen da. Aber wenn man dann dahinter<br />

noch die Fassade mit schönen<br />

Rosenstöcken, die Gartenlaubenmentalität<br />

sieht, dann kriegt das einen perversen,<br />

negativen Touch. Also hey, wir<br />

zahlen Steuern und die schaffen nix,<br />

trinken Bier, also Geld für Bier haben<br />

sie ja immer, und haben es hier auch<br />

noch schön“. Auch die Unannehmlichkeiten<br />

des Dorfl ebens z.B. eine<br />

Dusche für 25 Personen, zu <strong>der</strong> man<br />

im Winter durch die Kälte laufen muss,<br />

werden vergessen. Die Sensibilisierung<br />

<strong>der</strong> PolitikerInnen und etwaiger Geldgeber<br />

für die Probleme falle dementsprechend<br />

auch schwer.<br />

Das Berberdorf genießt bei <strong>der</strong> Stadtverwaltung<br />

hohe Akzeptanz und hat<br />

anscheinend großen Rückhalt in <strong>der</strong><br />

Esslinger Bevölkerung. Das zumindest<br />

schließt <strong>der</strong> Bereichsleiter <strong>der</strong> Aufnahmehäuser<br />

<strong>der</strong> Evangelischen Gesellschaft<br />

Esslingen, aus den Reaktionen<br />

vieler BürgerInnen auf einen Zeitungsartikel.<br />

Darin hatte sich ein Politiker<br />

kritisch zum Dorf geäußert. In LeserInnenbriefen<br />

hätte man das Dorf in<br />

Schutz genommen und gefor<strong>der</strong>t, die<br />

Menschen dort in Ruhe zu lassen.<br />

Woher kommt die Zustimmung? Ist<br />

es den EsslingerInnen wichtig, dass die<br />

Wohnungslosen eine Einrichtung haben,<br />

in <strong>der</strong> sie wie<strong>der</strong> Kraft sammeln<br />

können, um nächste Schritte zu gehen?<br />

O<strong>der</strong> schätzen sie einfach, dass die<br />

Menschen nicht nur versorgt, son<strong>der</strong>n<br />

auch entsorgt werden, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite <strong>der</strong> Brücke, eingekeilt zwischen<br />

Bundesstraße und Neckar?<br />

Zusammenfassung <strong>der</strong> Erkenntnisse<br />

Das Berberdorf als Zwischenwelt<br />

Das Berberdorf stellt eine Zwischenwelt<br />

dar, zwischen einem Leben auf<br />

<strong>horizonte</strong> 40/ September 2012 - 55 -

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