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horizonte - der Koordinierungsstelle - Hochschule Mannheim

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<strong>der</strong> Straße und einem Leben „in <strong>der</strong><br />

Gesellschaft“. Das Berberdorf besitzt<br />

durch seine Historie und seinen Ruf,<br />

etwas Beson<strong>der</strong>es zu sein, eine eigene<br />

Identität, bzw. so etwas wie eine Kultur,<br />

mit eigenen Normen und Werten<br />

und Traditionsüberlieferung. Überliefert<br />

wird diese von den langjährigen<br />

o<strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong>kehrenden BewohnerInnen,<br />

die den Mythos Berberdorf<br />

lebendig halten und häufi g von den<br />

früheren wilden Zeiten erzählen.<br />

Werte im Berberdorf<br />

Die Langjährigen, sind wesentlich<br />

beteiligt an <strong>der</strong> Durchsetzung <strong>der</strong> Normen,<br />

wenn auch eher stillschweigend<br />

im Hintergrund. So gehören Solidarität,<br />

Offenheit und Geduld mit Neuen zu<br />

zentralen Werten des Zusammenlebens,<br />

gleichzeitig aber auch Alkoholkonsum<br />

und eine Geringschätzung <strong>der</strong> MitarbeiterInnen,<br />

bzw. eine Abgrenzung zu<br />

diesen. Zeigt sich z.B. ein Bewohner<br />

zu hilfsbereit und aufgeschlossen gegenüber<br />

den Hauptamtlichen und hilft<br />

vielleicht sogar bei anfallenden Reparaturarbeiten,<br />

so droht <strong>der</strong> Ausschluss.<br />

Ausgrenzung<br />

Die Langjährigen und die, die von<br />

ihnen akzeptiert sind und sich entsprechend<br />

verhalten, bilden die entsprechende<br />

Mehrheitsgesellschaft und<br />

haben Macht im Sinne von Ausgrenzungsmöglichkeiten.<br />

Ihnen gegenüber<br />

stehen die, die eher als EinzelgängerInnen<br />

bezeichnet werden können. Entwe<strong>der</strong><br />

aus bewusster Entscheidung und<br />

eigener Abgrenzung o<strong>der</strong> weil sie aktiv<br />

ausgegrenzt werden.<br />

Bedeutung des Dorfs für die BewohnerInnen<br />

Die Art, wie im Dorf Integration hergestellt<br />

wird, hängt auch mit <strong>der</strong> Frage<br />

zusammen, welche Bedeutung das<br />

Dorf für sie hat. Da gibt es zum einen<br />

die immer geringer werdende Zahl <strong>der</strong><br />

Herumziehenden, die bewusst für eine<br />

Zeitlang festmachen, beispielsweise<br />

im Winter, um dann nach einer Weile<br />

weiterzuziehen. Mit dem Rückgang <strong>der</strong><br />

„echten Berber“, wegen Mobilitätseinschränkungen<br />

durch die neue Hartz-IV-<br />

Gesetzgebung etc., werden sie immer<br />

weniger. Stattdessen gibt es immer mehr<br />

Gestrandete, die durch psychische Auffälligkeiten,<br />

Probleme im Elternhaus<br />

o<strong>der</strong> Ähnliches den Halt verlieren und<br />

im Berberdorf „landen“. Sie würden<br />

nicht so weit gehen, das Dorf als ihr<br />

Zuhause zu bezeichnen, haben aber<br />

im Gegensatz zu den Herumziehenden<br />

keine klare Vorstellung davon, wann<br />

und wie es weitergehen soll. Für die<br />

Gestrandeten ist es oft ein zweischnei-<br />

- 56 -<br />

Daten zur Wohnungslosigkeit<br />

(vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.)<br />

diges Schwert, dass sie sich im Dorf<br />

persönlich einrichten können, da sie<br />

so unter Umständen viel Energie darauf<br />

verwenden, es sich schön zu machen,<br />

statt die Einrichtung in ihrer Funktion<br />

als Übergangslösung zu begreifen.<br />

Beobachtete Ambivalenzen<br />

Es kann für manche sehr wichtig<br />

sein, erst einmal wie<strong>der</strong> zu Kräften zu<br />

kommen an einem Ort, an dem sie sich<br />

wohlfühlen, für an<strong>der</strong>e trägt dies aber<br />

eher zur Verfestigung <strong>der</strong> Situation bei.<br />

Neben diesen beiden Gruppen gibt es<br />

die Langfristigen, die sich eingerichtet<br />

haben und sich auch bewusst für das<br />

Berberdorf als Zuhause entschieden<br />

haben. Diese sind teilweise schon Jahre<br />

dort, was nur möglich ist, da die Befristung<br />

von sechs Monaten, die in an<strong>der</strong>en<br />

Aufnahmehäusern gilt, im Berberdorf<br />

nicht als harte Grenze gehandhabt<br />

wird. Ob das besser wäre, ist eine an<strong>der</strong>e<br />

Frage, da oft Anschlusshilfen fehlen,<br />

sowohl was betreutes Wohnen betrifft,<br />

als auch im sozialen Wohnungsmarkt,<br />

ganz zu schweigen vom regulären<br />

Wohnungsmarkt, auf dem die meisten<br />

überhaupt keine Chance mehr hätten.<br />

Unterschiedliche Zukunftsszenarios bei<br />

den MitarbeiterInnen<br />

Die Visionen reichen von einer Einrichtung,<br />

die sich als strikte Zwischenlösung<br />

versteht und Befristungen konsequenter<br />

durchsetzt, über einen dauerbetreuten<br />

Ort des Zur-Ruhe-Kommens,<br />

bis hin zu einem von sesshaften BewohnerInnen<br />

weitgehend selbstverwalteten<br />

Dorf, das ab und zu von SozialarbeiterIinnen<br />

aufgesucht wird.<br />

Idyllische Naturlandschaft erweist sich<br />

als trügerisch<br />

Für einige BewohnerInnen, die beispielsweise<br />

sehr lang auf <strong>der</strong> Straße<br />

gelebt haben, bedeutet es eine gewisse<br />

Niedrigschwelligkeit, da sie nicht ohne<br />

weiteres in klassischen Aufnahmeein-<br />

richtungen unterkommen würden, weil<br />

die Naturnähe fehlt. Für an<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um<br />

kann auch dies ein Verfestigungsrisiko<br />

darstellen. Gleichzeitig entsteht<br />

für Außenstehende schnell ein Bild des<br />

„Die haben‘s doch ganz gut“, das bestehende<br />

Probleme wie Ausgrenzung,<br />

Stigmatisierung, Alkoholabhängigkeit<br />

etc. verharmlost und über die Unannehmlichkeiten<br />

des Ortes hinwegsehen<br />

lässt, dass es z.B. nur eine Dusche, nur<br />

einige wenige Gemeinschaftsklos im<br />

Freien gibt etc.<br />

Fazit<br />

Das Berberdorf stellt eine wi<strong>der</strong>sprüchliche<br />

Zwischenwelt dar, die einerseits<br />

helfende und stabilisierende<br />

Strukturen schafft, die an<strong>der</strong>erseits im<br />

Rahmen von Hilfsinterventionen <strong>der</strong><br />

Sozialen Arbeit Ausgrenzungsbedingungen<br />

etabliert, da den BewohnerInnen<br />

die Rückkehr in ein selbstständiges<br />

Leben trotz <strong>der</strong> Unterstützung nicht<br />

gelingt. Vielleicht stößt das Berberdorf<br />

deswegen auf breite Akzeptanz bei <strong>der</strong><br />

Esslinger Bevölkerung, da das Berberdorf<br />

als Einrichtung dafür sorgt, dass die<br />

Berber im städtischen Leben nicht auffallen.<br />

Integrationsbemühungen im Sinne<br />

einer Inklusion <strong>der</strong> Berber in die Gesellschaft<br />

werden dadurch verhin<strong>der</strong>t.<br />

Literaturverzeichnis<br />

Böhnisch, Lothar, 2008, Sozialpädagogik<br />

<strong>der</strong> Lebensalter: eine Einführung,<br />

Weinheim u. München.<br />

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen,<br />

http://www.dhs.de/datenfakten/alkohol.html,<br />

[20.12.2011].<br />

Kontakt: Prof. Dr. Ulrike Zöller, <strong>Hochschule</strong><br />

Esslingen, Fakultät Soziale Arbeit,<br />

Gesundheit und Pfl ege, E-Mail:<br />

Ulrike.Zoeller@hs-esslingen.de<br />

<strong>horizonte</strong> 40/ September 2012

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