Zehn Tage die England veranderten - Wildcat
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uch der Familie und der Laxheit der Eltem zu. Es ist wahr, dag sich <strong>die</strong><br />
Familienbeziehungen lockern, auch in eng verschworenen Arbeiterfamilien,<br />
aber <strong>die</strong> wachsende Distanz zwischen Eltern und Kindern hielt <strong>die</strong> Eltern<br />
nicht davon ab, an der Seite ihrer Kinder am Aufruhr mitzumachen.<br />
warten, dag es endlich dunkel wird. Was wird als Nachstes passieren? Ein<br />
Kid, das Nachmittags aus der Schule abhaut, ruft anderen laut etwas zu. War<br />
das das Zeichen, dag es gleich losgeht? Wer weig. Die Erwachsenen dachten's,<br />
aber da waren sie nicht richtig im Bild. DHey, Junge, wo geht's denn<br />
heute nacht ab?. .Kilburn(, kam <strong>die</strong> Antwort. Und fiinf Stunden spater<br />
machte <strong>die</strong> Polizei sich fur <strong>die</strong> Schlacht von Kilburn fertig, <strong>die</strong> dann iiberhaupt<br />
nicht kam. ein paar eingeschmissene Scheiben, em n Kleiderstander geklaut<br />
— aber <strong>die</strong> Sinn Fein verkaufte immer noch ungeriihrt ihr Zeugs in den<br />
Pubs.<br />
Viele altere Leute, elektrisiert und hellwach, schlossen sich mit Vergniigen<br />
dem Aufruhr an — besonders in den Stadten des Nordens. Falls sie erwischt<br />
wurden, hatten sie von den Gerichten keine Milde zu erwarten, und etliche<br />
von ihnen wurden zu hohen Gefangnisstrafen verurteilt. Aber auf einer eher<br />
allgemeinen und alltaglichen Ebene waren <strong>die</strong> Auswirkungen der Unruhen<br />
am deutlichsten zu spiiren. Sie zwangen <strong>die</strong> Leute, <strong>die</strong> Augen aufzumachen<br />
und zur Ken.ntnis zu nehmen, was ablief.<br />
Wahrend vergangener proletarischer Aufstande (z. B. der Three Day Week,<br />
dem Winter of discontent) wurde der Alltag derjenigen, <strong>die</strong> nicht direkt beteiligt<br />
waren, gerade hinreichend gestort, dag sie sich iiber <strong>die</strong> Ursachen Gedanken<br />
machten. Diesmal gab's einen ungeheuren Schlag in <strong>die</strong> Magengrube.<br />
Plotzlich war eine unendliche Masse Gesprachsstoff vorhanden. Das<br />
Unerhorte der Geschehnisse loschte eine Zeitlang <strong>die</strong> oberflachlichen und<br />
vorurteilSgeladenen Reaktionen fast vollig aus. Die Schlacht auf den Stragen<br />
offnete iiberall <strong>die</strong> verschlossenen, <strong>die</strong> leichtsinnigen, <strong>die</strong> modebewugten<br />
und <strong>die</strong> verzweifelten Geister. Vor den Augen der Menschen offnete sich auf<br />
unvergegliche Weise eine neue Ebene der Realitat und em n Traum von fernen<br />
Utopien verwandelte sich schlagartig in eine greifbare Moglichkeit.<br />
In den Kneipen gab es nur noch em n einziges Gesprachsthema. Trivialitaten<br />
wie das Tennistumier in Wimbledon, das Freundschaftsspiel oder <strong>die</strong> bevorstehende<br />
konigliche Hochzeit wurden kaum noch erwahnt, da sich <strong>die</strong><br />
Gesprache nur noch urn <strong>die</strong> Ereignisse auf der Strage drehten. Es gab wohl<br />
wirklich keinen, der sich irgendwelche Hollywood-Schinken, <strong>die</strong> Liigen und<br />
Halbwahrheiten von Fernsehdokumentationen ansehen, oder der noch<br />
Musik horen wollte. In London schlossen 13 Kinos wegen fallender Profite.<br />
Wen juckt's? Augen und Ohren klebten an den Nachrichtenme<strong>die</strong>n. Dag<br />
<strong>die</strong>se nur eine verdrehte Version der Ereignisse durchgaben, war vorhersehbar:<br />
aber das bedeutete noch lange nicht, dag sie <strong>die</strong> KOpfe der Leute unter<br />
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