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4. Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS)

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Maturaarbeit Kantonsschule Alpenquai Luzern Biologie<br />

<strong>Das</strong> <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />

Eine lebensbedrohende Erkrankung aus der Sicht von Betroffenen<br />

___________________________________________________________________________<br />

Eingereicht von:<br />

Stephanie Suppiger, 6Rd<br />

Betreut von:<br />

Erhard Fleischer, Lehrperson<br />

Luzern, den 10. Oktober 2009<br />

1/56


Inhaltsverzeichnis<br />

1. Vorwort 3<br />

2. Zusammenfassung 4<br />

3. Einleitung 5<br />

3.1 Motivation und Begründung der Themenwahl 5<br />

3.2 Ziele und Fragestellungen 5<br />

<strong>4.</strong> <strong>Das</strong> <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong> (<strong>GBS</strong>) 7<br />

<strong>4.</strong>1 Definition und Fakten 7<br />

<strong>4.</strong>2 Historischer Hintergrund 8<br />

<strong>4.</strong>3 Ätiologie und Pathogenese 8<br />

<strong>4.</strong>4 Verlauf und Symptomatik 9<br />

<strong>4.</strong>5 Diagnostik 10<br />

<strong>4.</strong>6 Therapie 11<br />

<strong>4.</strong>7 Rehabilitation 13<br />

<strong>4.</strong>8 Prognose 13<br />

5. Methodik 14<br />

6. Resultate 15<br />

6.1 Krankengeschichte von Annabelle 16<br />

6.2 Krankengeschichten weiterer Betroffener 18<br />

6.2.1 Krankengeschichte von Susanne 18<br />

6.2.2 Krankengeschichte von Nadja 19<br />

6.2.3 Krankengeschichte von Irene 20<br />

7. Diskussion und persönliche Interpretation 22<br />

7.1 Gemeinsamkeiten 22<br />

7.1.1 Vor der Krankheit 22<br />

7.1.2 Während der Krankheit 23<br />

7.1.3 Nach der Krankheit 23<br />

7.2 Spezialfall Annabelle 24<br />

8. Schlusswort 27<br />

9. Glossar 29<br />

10. Quellen 33<br />

10.1 Bücher 33<br />

10.2 Internet 33<br />

11. Anhang 35<br />

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1. Vorwort<br />

Als wir im Mai 2005 erfuhren, dass unsere Cousine bzw. Nichte Annabelle (damals<br />

35 Jahre alt) an einem sehr seltenen und relativ unbekannten <strong>Syndrom</strong> erkrankt war,<br />

war dies ein schwerer Schock für die ganze Familie. Wie sich später herausstellte,<br />

nennt man diese Erkrankung <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong> oder kurz: <strong>GBS</strong>.<br />

Niemand in ihrer Familie kannte diese Nervenerkrankung und niemand wusste, was<br />

auf Annabelle zukommen würde.<br />

Sie lebte damals in Holland und wurde dort auch in ein Krankenhaus eingewiesen.<br />

Die geographische Distanz erschwerte die physische und mentale Unterstützung, die<br />

jeder <strong>GBS</strong>-Patient braucht. Sie musste sich mit den wenigen, dafür aber intensiven<br />

Besuchen begnügen. Ihr Mann und ihr damals drei Jahre altes Kind gaben ihr immer<br />

wieder Kraft.<br />

Weil die Krankheit selten vorkommt, aber doch jeden von uns treffen kann, möchte<br />

ich dieses <strong>Syndrom</strong> durch Erfahrungsberichte von Betroffenen genauer analysieren.<br />

Damit soll Betroffenen und Angehörigen Zuversicht und Kraft gegeben werden, um<br />

diese sehr seltene und unheimliche, neurologische Krankheit zu verstehen und zu<br />

akzeptieren.<br />

An dieser Stelle möchte ich folgenden Personen danken:<br />

Den von der Krankheit betroffenen Personen:<br />

Annabelle, da sie mir ihr Vertrauen schenkte und mir tiefen Einblick in ihre<br />

Gefühle gewährte.<br />

Susanne, Nadja und Irene, weil sie sich ebenfalls für meine Arbeit zur Verfügung<br />

gestellt haben und sich Zeit für mich genommen haben.<br />

Herrn Erhard Fleischer, Lehrperson im Fach Biologie, weil er mich stets fachlich<br />

fundiert und kompetent unterstütze und mich während des Prozesses der Arbeit<br />

begleitet hat.<br />

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2. Zusammenfassung<br />

<strong>Das</strong> Ziel meiner Arbeit ist die Gefühle und Ängste jener Menschen zu verstehen, die<br />

Opfer des einschneidenden und seltenen <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong>s geworden sind.<br />

Meine Arbeit soll Angehörigen eine Hilfe sein, sich in dieser schweren Zeit in die<br />

Lage des Betroffenen hineinfühlen und somit besser mit der Situation umgehen zu<br />

können. Ebenso möchte ich die Eindrücke der betroffenen Patienten, sowie die<br />

Ergebnisse meiner Analyse einem weiteren Kreis von interessierten Personen,<br />

insbesondere dem Pflegepersonal, zugänglich machen.<br />

Meine Arbeit ist eine Fallstudie, die sich auf meine Cousine konzentriert, welche von<br />

dieser schweren Erkrankung betroffen war. Durch Interviews mit ihr und drei weiteren<br />

betroffenen Personen, habe ich die verschiedenen Krankheitsgeschichten verglichen<br />

und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet.<br />

Angst ist ein Begleiter aller Betroffenen. Angst davor, was auf sie zukommen wird, ob<br />

sie Langzeitschäden von der Krankheit tragen werden und vielleicht nie wieder ein<br />

normales Leben führen können. Angst vor der Hilflosigkeit und der kompletten<br />

Abhängigkeit von Mitmenschen.<br />

Alle befragten Patienten haben ihre Ängste überwunden und gelernt, mit der<br />

Situation umzugehen. Sie haben das Leben nach ihrer Krankheit neu schätzen<br />

gelernt und achten vor allem aufmerksamer auf Zeichen, die ihnen der Körper<br />

signalisiert. Zeichen können zum Beispiel Müdigkeit, Schmerzen oder<br />

Erkältungssymptome sein, welche uns anweisen, uns zu schonen und auszuruhen.<br />

Ein häufiger Auslöser der Erkrankung ist Stress, psychischer, wie auch physischer<br />

Natur.<br />

Alle Betroffenen wurden aus ihrer damaligen Lebenssituation herausgerissen und<br />

mussten sich nach dem ersten Schock wieder neu orientieren und neue Hoffnung<br />

aufbauen. Jede hat dies auf ihre Weise getan, hat sich ihre nötige Zeit genommen<br />

und die Hilfe ihrer Umwelt dabei sehr geschätzt.<br />

Durch das persönliche Interview mit meiner Cousine Annabelle konnte ich besonders<br />

viele, persönliche Aspekte erfahren, welche mir ermöglichten die Krankheit aus der<br />

Sicht des Betroffenen zu erleben.<br />

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3. Einleitung<br />

3.1 Motivation und Begründung der Themenwahl<br />

Aus Interesse am medizinischen Fachbereich, insbesondere der Humanmedizin,<br />

habe ich dieses Thema gewählt. Meine Cousine Annabelle hatte unter dem seltenen<br />

<strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong> (<strong>GBS</strong>) zu leiden, was die ganze Familie schwer betroffen<br />

machte. Die Krankheit kam überraschend und verschwand nach einigen Monaten<br />

wieder.<br />

Gerne möchte ich die pathophysiologischen Hintergründe der Krankheit kurz<br />

beleuchten und erklären. Speziell will ich die psychischen Aspekte der betroffenen<br />

Person während der lebensbedrohenden Lähmung und während des<br />

Genesungsprozesses untersuchen und festhalten.<br />

<strong>Das</strong> <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong> ist eine Erkrankung der peripheren Nerven, die selten<br />

(ein bis zwei Fälle im Jahr auf 100’000 Einwohner) auftritt und deren Ursache bis<br />

heute nicht bekannt ist. Dies macht das Thema enorm interessant, denn so habe ich<br />

die Möglichkeit in ein relativ unerforschtes Gebiet einzutauchen und neue Dinge zu<br />

entdecken.<br />

3.2 Ziele und Fragestellungen<br />

Im Zentrum dieser Arbeit steht ein ausführlicher Erfahrungsbericht, welcher sich<br />

speziell auf die <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-Erkrankung meiner Cousine bezieht.<br />

Ich möchte die pathophysiologischen Hintergründe darlegen, aber vor allem die<br />

Gefühle und Ängste meiner Cousine festhalten und analysieren.<br />

Zusätzlich zu meiner Cousine, welche persönlich interviewt wurde, sind drei weitere<br />

Betroffene via Mail befragt worden (siehe Anhang).<br />

Die unterschiedlichen Erfahrungen dieser vier Personen werden in dieser Arbeit<br />

verglichen.<br />

<strong>Das</strong> Ziel der Arbeit ist, den Angehörigen die Lage des Betroffenen verständlich zu<br />

machen. Familie und Aussenstehende sollen mit dem Betroffenen mitfühlen können.<br />

Die Arbeit kann auch eine Hilfe für das Pflegepersonal sein, um den Umgang mit<br />

dem Patienten zu erleichtern und zu optimieren.<br />

Ich möchte meine Eindrücke von der Krankheit, gekoppelt mit den Erfahrungen einer<br />

direkt Betroffenen, präsentieren.<br />

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Die Fragestellungen, die mich durch diese Arbeit begleitet haben, sind folgende:<br />

Was fühlt ein Mensch, der eingesperrt ist in seinem eigenen Körper?<br />

Was denkt er?<br />

Was sind seine Bedürfnisse?<br />

Wovor hat er Angst?<br />

Wie kommt diese Person mit diesem Schicksalsschlag zurecht und was verändert<br />

sich in ihrem Leben?<br />

Ich möchte mich in die Betroffenen hineinfühlen können und ich möchte versuchen<br />

zu verstehen, was es heisst, körperlich wie „versteinert“ zu sein, geistig jedoch voll<br />

präsent! Und genau dieses Verständnis möchte ich auch allen, die meine Arbeit<br />

lesen, möglich machen.<br />

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<strong>4.</strong> <strong>Das</strong> <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong> (<strong>GBS</strong>)<br />

<strong>4.</strong>1 Definition und Fakten<br />

<strong>Das</strong> <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong> ist eine Erkrankung der peripheren Nerven (akute<br />

Polyradikulitis), die selten auftritt und deren Ursache bis heute nicht bekannt ist.<br />

Weltweit gibt es nur etwa ein bis zwei Fälle im Jahr auf 100'000 Einwohner (gemäss<br />

www.gbs-portal.de. 13.0<strong>4.</strong>09).<br />

Abb. 1: Peripherer Nerv<br />

Vorangehend ist oft eine virale oder bakterielle Infektion (einige Tage oder Wochen<br />

vor den ersten Symptomen), häufig im Magen-Darm-Trakt oder den oberen<br />

Atemwegen, welche zu allgemeiner Schwäche und zu Lähmungen und<br />

Empfindungsstörungen am ganzen Körper führt. In den meisten Fällen muss der<br />

Patient/die Patientin auf die Intensivstation, um beatmet zu werden.<br />

„Die Paresen bilden sich in der Regel in der umgekehrten Reihenfolge ihres<br />

Auftretens zurück.“ (Mumenthaler. 2006. 252). „Die isolierende Myelinschicht der<br />

peripheren Nervenzellen wird durch eine Autoimmunreaktion, praktisch von<br />

Körpereigenen Abwehrzellen, zerstört.“ (www.deutsche-emphysemgruppe.de.<br />

13.0<strong>4.</strong>09). Dies hat aufsteigende motorische Paresen (vor allem in Beinen und<br />

Armen) und Sensibilitätsstörungen zur Folge.<br />

Ebenfalls betroffen können das vegetative Nervensystem und die Hirnnerven sein,<br />

sowie auch die Atem- und schlimmstenfalls die Herzmuskulatur, weshalb der Patient<br />

schon in einem relativ frühen Stadium auf der Intensivstation behandelt werden<br />

muss.<br />

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Nach Monaten längerer Genesungszeit hat der Patient meist keine<br />

Restbeschwerden mehr. Nur wenige haben noch geringe Langzeitschäden, wie zum<br />

Beispiel Gehstörungen, Gleichgewichtsprobleme oder Ameisenlaufen.<br />

Grundsätzlich kann die Krankheit jeden treffen, Mann und Frau, jung und alt.<br />

Männer tragen ein etwas höheres Risiko (mit 2:3), sowie Menschen zwischen 20-30<br />

und 50-60 Jahren (gemäss www.medicle.org. 13.0<strong>4.</strong>09).<br />

<strong>4.</strong>2 Historischer Hintergrund<br />

„1859 beschrieb Jean B.O. Landry, ein französischer Arzt, eine Nervenstörung, die<br />

Beine, Arme, Nacken und Atemmuskeln des Brustkorbes lähmt.“ (www.gbs-portal.de.<br />

1<strong>4.</strong>0<strong>4.</strong>09). Auch in weiteren Ländern entstanden Berichte über ähnliche Symptome.<br />

Im ersten Weltkrieg wurde das <strong>Syndrom</strong> erstmals an zwei betroffenen Soldaten<br />

beschrieben (gemäss www.wikipedia.org. 1<strong>4.</strong>0<strong>4.</strong>09). Und zwar von Georges Charles<br />

<strong>Guillain</strong>, Jean-Alexandre <strong>Barré</strong> und André Strohl. Der Name <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />

hat sich 1916 schliesslich durchgesetzt, wobei Strohl oft unerwähnt bleibt. Heute ist<br />

Krankheit auch als: „Akute idiopathische Polyradikuloneuritis, Kussmaul-Landry-<br />

<strong>Syndrom</strong>, Landry-<strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-Strohl-<strong>Syndrom</strong> und Polyradikulitis <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>“<br />

(www.medicle.org. 1<strong>4.</strong>0<strong>4.</strong>09) bekannt.<br />

<strong>4.</strong>3 Ätiologie und Pathogenese<br />

Die Ursache der Krankheit ist bis heute ungeklärt bzw. uneinheitlich beschrieben.<br />

„Die Erkrankung wird höchstwahrscheinlich durch einen immunpathologischen<br />

Mechanismus hervorgerufen, indem im Körper Autoantikörper (IgG oder IgM) gegen<br />

Ganglioside oder Myelin bzw. die Zellmembranen der Axone des peripheren<br />

Nervensystems gebildet werden.“ (www.wikipedia.org. 1<strong>4.</strong>0<strong>4.</strong>09). Oder anders<br />

ausgedrückt: der Körper eines Betroffenen bildet Antikörper, welche die eigenen<br />

Membranen der Nerven zerstören. Die dadurch entstandenen Trümmer führen zu<br />

Entzündungen (Autoimmunreaktion).<br />

In zwei von drei Fällen geht der Krankheit ein respiratorischer (in den Atemwegen)<br />

oder gastrointestinaler (im Magen-Darm-Trakt) Infekt voraus (gemäss<br />

www.medicle.org. 13.0<strong>4.</strong>09).<br />

Einen besonders schweren Krankheitsverlauf verursacht, nach Mumenthaler (2006.<br />

252), das campylobacter jejuni, welches für axonale Läsionen verantwortlich ist.<br />

8/56


Die Symptome und schliesslich die Krankheit können aber auch durch eine<br />

gewöhnliche Grippe, Rachenentzündung, eine einfache Erkältung und sogar durch<br />

einen Insektenstich ausgelöst werden.<br />

Ätiologisch (ursächlich) beschrieben aber umstritten sind auch Impfungen, wie zum<br />

Beispiel eine Tetanus-Impfung oder eine Impfung gegen Grippe (gemäss<br />

www.deutsche-emphysemgruppe.de. 13.0<strong>4.</strong>09).<br />

Als mögliche Auslöser nicht ausser Acht lassen sollte man auch chirurgische<br />

Eingriffe sowie Schwangerschaften (www.wikipedia.org 1<strong>4.</strong>0<strong>4.</strong>09).<br />

Man geht davon aus, dass eine molekulare Ähnlichkeit zwischen Antigenen, die<br />

beim <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong> angegriffen werden und jenen, die durch eine virale<br />

bzw. bakterielle Infektion in den Körper gelangen, herrscht.<br />

Unter molekularer Ähnlichkeit, auch Mimikry genannt, versteht man die Ähnlichkeit<br />

von Molekülen auf der Oberfläche von Krankheitserregern und körpereigenen<br />

Molekülen. Manchmal sind die Moleküle sogar identisch. Für den Erreger stellt dies<br />

eine Tarnung gegenüber den immunkompetenten Zellen dar, sodass das Erkennen<br />

von Fremdkörpern erschwert wird. Werden die Moleküle dann vom Immunsystem als<br />

Antigen entlarvt, kann es vorkommen, dass sich die Bekämpfung der Antigene auch<br />

gegen die körpereigenen Gewebe richtet, was die Ursache von<br />

Autoimmunerkrankungen ist und als Kreuzreaktion bezeichnet wird (gemäss<br />

www.wikipedia.org. 1<strong>4.</strong>0<strong>4.</strong>09).<br />

<strong>4.</strong>4 Verlauf und Symptomatik<br />

In der Regel breitet sich die Parese von unten nach oben aus, wobei die Beine meist<br />

stärker betroffen sind als die Arme (gemäss www.deutsche-emphysemgruppe.de.<br />

13.0<strong>4.</strong>09). Es folgen Muskelschmerzen am ganzen Körper, eine stärker werdende<br />

Schwäche, vor allem der Extremitäten und das Gehen wird somit erschwert.<br />

„Dabei sind die zuerst betroffenen Muskeln meist schwerer beeinträchtigt als die<br />

später befallenen.“ (www.wikipedia.org. 13.0<strong>4.</strong>09).<br />

Auch distale Parästhesien (Gefühlsstörungen, wie zum Beispiel das sogenannte<br />

Ameisenlaufen) und Sensibilitätsstörungen können auftreten, wobei diese<br />

„gegenüber den motorischen Ausfällen ganz in den Hintergrund treten.“<br />

(Mumenthaler. 2006. 252).<br />

Üblicherweise sind die Muskeln symmetrisch geschwächt oder gelähmt.<br />

9/56


Nach ungefähr vier Wochen haben die meisten Betroffenen den Höhepunkt ihrer<br />

Paresen erreicht, wobei bis dahin 25 von 100 Patienten bereits auf die Intensivstation<br />

eingeliefert werden mussten, aufgrund der erhöhten Atemlähmungen (gemäss<br />

www.wikipedia.org. 13.0<strong>4.</strong>09).<br />

Diese Ateminsuffizienz ist nach Mumenthaler (2006. 252) auf Schlucklähmung,<br />

beidseitige Fazialparesen und Lähmungen im Halsbereich zurückzuführen.<br />

Die Lähmungserscheinungen sind also sehr variabel, grundsätzlich ist aber eine<br />

reduzierte Nervenleitgeschwindigkeit im ganzen Körper feststellbar.<br />

Ebenfalls bekannt sind sogenannte pathologische Spontanaktivitäten. Da die<br />

peripheren Nerven geschädigt sind haben sie keine richtige Isolierschicht mehr und<br />

Nervenimpulse können auf benachbarte Nerven fehlgeleitet werden. So können zum<br />

Beispiel beim Eindrücken mit einem spitzen Gegenstand auf die Bauchdecke die<br />

Beine heftig zusammenschlagen (gemäss www.deutsche-emphysemgruppe.de.<br />

13.0<strong>4.</strong>09).<br />

Die Lähmungen können lebensgefährliche Folgen haben, wenn auch das autonome<br />

Nervensystem betroffen ist: „Störungen der Blutdruckregulation, des Herzrhythmus,<br />

der zentralen Atemregulation und selten der Blasenfunktion.“ (Mumenthaler. 2006.<br />

252).<br />

<strong>4.</strong>5 Diagnostik<br />

Bei einem Betroffenen ist eine „zytalbuminäre Dissoziation im Liquor“ (Mumenthaler.<br />

2006. 252) festzustellen, das heisst eine starke Eiweissvermehrung im Liquor ohne<br />

gleichzeitige Zellzahlerhöhung. Die Eiweissvermehrung wird durch die<br />

Immunreaktion verursacht. Diese Veränderung manifestiert sich jedoch, nach<br />

Mumenthaler, erst nach zwei oder drei Wochen. Festzustellen ist dieser erhöhte<br />

Eiweissspiegel durch eine sogenannte Lumbalpunktion (siehe Abb. 2). Dabei wird mit<br />

einer Kanüle in Höhe des 3./<strong>4.</strong> oder <strong>4.</strong>/5. Lendenwirbels Liquor aus dem Wirbelkanal<br />

entnommen. Liquor wird nie aktiv herausgesogen oder aspiriert, er wird immer nur<br />

durch das Heraustropfen gewonnen (gemäss www.neuro2<strong>4.</strong>de. 1<strong>4.</strong>0<strong>4.</strong>09).<br />

10/56


Abb. 2: Lumbalpunktion<br />

Eine weitere Möglichkeit zur Messung ist „die elektrische Laufzeitmessung (EMG),<br />

um die Nerven- und Muskelfunktionen zu prüfen.“ (www.gbs-portal.de. 13.0<strong>4.</strong>09).<br />

Die Nervenleitgeschwindigkeit ist, wie im Kapitel ‚Symptomatik’ schon angetönt,<br />

deutlich verlangsamt.<br />

Gemäss der ‚Medicle Organisation’ (www.medicle.org. 13.0<strong>4.</strong>09) kann ein Fehlen<br />

des H-Reflexes in 97% der Fälle festgestellt werden und zwar innerhalb der ersten<br />

Woche. Als Frühzeichen gilt dies als sensitivster Test beim Guillian-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong>.<br />

„Bei der elektophysiologischen Untersuchung lassen sich meist fokale<br />

Demyelinisierung mit Nervenleitungsblöcken nachweisen, seltener axonale<br />

Läsionen.“ (Mumenthaler. 2006. 252). <strong>Das</strong> heisst also die Myelinscheide ist<br />

beschädigt, selten aber das Axon selbst. (Siehe Abb.)<br />

<strong>4.</strong>6 Therapie<br />

Da die Ursache nicht geklärt ist, gibt es keine gezielte Therapieform.<br />

Als Basistherapie, die vor allem bei leichteren Verlaufsformen wirkungsvoll ist, sind<br />

prophylaktische Massnahmen wichtig. Infektionen und Thrombosen sollen verhindert<br />

werden und Krankengymnastik beugt Kontrakturen vor. Vor allem sollen<br />

lebensbedrohliche Situationen verhindert werden. (gemäss www.wikipedia.org.<br />

13.0<strong>4.</strong>09).<br />

11/56


Wenn der Krankheitsverlauf gravierend ist und der Patient nicht mehr fähig ist<br />

selbständig zu atmen, ist „die Gabe von Immunglobulinen, und zwar 0,4 g/kg<br />

Körpergewicht als intravenöse Infusion, an fünf aufeinander folgenden Tagen<br />

notwendig.“ (Mumenthaler. 2006. 252). Dieses Vorgehen kann bei Bedarf nach vier<br />

Wochen wiederholt werden.<br />

Der Mechanismus von Immunglobulin ist nach ‚Medicle Organisation’<br />

(www.medicle.org. 13.0<strong>4.</strong>09) noch unklar. Immunglobuline sind Antikörper, welche<br />

ein ganz bestimmtes Ziel haben. So greifen zum Beispiel Antikörper gegen Grippe-<br />

Viren ausschliesslich Grippe-Viren an. „Diese Antikörper bzw. Immunglobuline<br />

werden dann in das Blut und andere Körperflüssigkeiten abgegeben und dienen dort<br />

der Abwehr von Infektionen.“ (www.med4you.at. 1<strong>4.</strong>0<strong>4.</strong>09)<br />

Auch eine Plasmapherese (Blutreinigung) ist wirksam und „auch bei noch gehfähigen<br />

Patienten zu empfehlen, sofern die Paresen rasch aufsteigen und eine<br />

Ateminsuffizienz droht.“ (Mumenthaler. 2006. 252). Aus eben genannter<br />

Plasmapherese resultieren gemäss ‚Medicle Organisation’ (www.medicle.org.<br />

13.0<strong>4.</strong>09) erhöhte Muskelkraft, frühere Erholung und eine niedrigere Rate<br />

mechanischer Beatmung. Auch die Restitutionsrate (Wiedergenesungsrate) ist<br />

erhöht.<br />

Seit neuerer Zeit ist auch die Immunadsorbtion ein Verfahren, bei welcher „nicht das<br />

gesamte Plasma ausgetauscht wird sondern nur die schädlichen Auto-Antikörper aus<br />

dem Plasma selektiv entfernt werden.“ (www.deutsche-emphysemgruppe.de.<br />

13.0<strong>4.</strong>09). Dies hat den Vorteil, dass keine Probleme durch zugefügtes Fremdplasma<br />

entstehen können und dass der Patient sein eigenes Blut nahezu komplett wieder<br />

erhält.<br />

Im Grossen und Ganzen ist die Gabe von Immunglobulinen kostspieliger, jedoch<br />

schonender und bringt weniger Nebenwirkungen mit sich.<br />

Selbstverständlich ist eine intensiv-medizinische Überwachung nötig.<br />

Bei benignen (gutartigen) Verlaufsformen genügen Allgemeinmassnahmen (zum<br />

Beispiel: Blasenkatheterisierung, Physiotherapie). Ansonsten können<br />

Supportivmassnahmen dem Patienten dazu dienen, diese schwere Zeit etwas<br />

leichter zu überstehen. Solche Massnahmen sind eine gute Pflege und eine<br />

Aufrechterhaltung der Kommunkation (gemäss www.medicle.org. 13.0<strong>4.</strong>09).<br />

12/56


<strong>4.</strong>7 Rehabilitation<br />

Zentral in einem Rehabilitationsprogramm ist nach dem ‚gbs-portal’ (www.gbs-<br />

portal.de. 13.0<strong>4.</strong>09) die Wiederherstellung von Nerven- und Muskelfunktionen, damit<br />

die Muskeln und Gelenke „wieder verfügbar sind, wenn die Nerven ihre Funktion<br />

wieder erfüllen können.“ (www.deutsche-emphysemgruppe.de. 13.0<strong>4.</strong>09).<br />

Dabei spielt die Krankengymnastik, sowie die Physio- und Ergotherapie eine wichtige<br />

Rolle. Bei Bedarf kann eine psychologische Betreuung hinzugezogen werden<br />

(gemäss www.deutsche-emphysemgruppe.de. 13.0<strong>4.</strong>09).<br />

<strong>4.</strong>8 Prognose<br />

Nach Mumenthaler (2006. 252) ist die Prognose grundsätzlich günstig. Die<br />

Symptome bilden sich langsam und „in der umgekehrten Reihenfolge ihres<br />

Auftretens zurück.“ (Mumenthaler. 2006. 252). Die Genesungsphase dauert jedoch<br />

sehr lange (von einigen Wochen bis hin zu Jahren) und kostet den Patienten viel<br />

Geduld und Ausdauer. Auch für die Angehörigen ist es anfangs nicht leicht, mit der<br />

Situation zurechtzukommen, trotzdem ist es äusserst wichtig dem Betroffenen die<br />

volle Unterstützung zu bieten.<br />

Je ausgeprägter die Lähmung ist, desto schlechter die Prognose.<br />

Bei etwa zwei von zehn Menschen, die unter dem <strong>Syndrom</strong> zu leiden hatten, bleiben<br />

Funktionsschäden zurück (gemäss www.wikipedia.org. 13.0<strong>4.</strong>09).<br />

Ungefähr fünf von hundert Betroffenen sterben, meistens wegen lang andauernden<br />

Immobilisation (Pneumonie, Lungenembolie) oder der Beteiligung des autonomen<br />

Nervensystems (Ateminsuffizienz, plötzlicher Herztod) (gemäss Mumenthaler. 2006.<br />

252).<br />

Gemäss ‚Medicle Organisation’ (www.medicle.org. 13.0<strong>4.</strong>09), lässt sich die<br />

Genesungsrate so zusammenfassen:<br />

65% Residualbefunde (Restbefunde, wie zum Beispiel Schwächen, Lähmungen,<br />

Parästhesien etc.) ohne Einschränkungen im Alltag<br />

15% Restitutio ad integrum (Vollständige Erholung)<br />

5 -10% Permanente Behinderung, Gleichgewichtsstörungen, Sensibilitätsverluste<br />

4 - 6% Mortalität trotz Intensivversorgung<br />

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5. Methodik<br />

Die in der Arbeit zitierten Betroffenen haben ihr Einverständnis gegeben, dass ihre<br />

Aussagen für diese Maturaarbeit verwendet werden dürfen. Um die Privatsphäre der<br />

Befragten zu schützen, wurden die Vornamen geändert.<br />

Im Zentrum der Arbeit liegt die konkrete Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbild<br />

von Annabelle. Durch ihre Erfahrungen sollen die Gefühle und Ängste, die Hoffnung<br />

und das Leiden eines am <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong> Erkrankten den Lesenden<br />

verständlich gemacht werden.<br />

Um dies zu erreichen, wird ein Interview mit Annabelle durchgeführt und zwar in<br />

Form eines persönlichen Gespräches.<br />

Damit alles Wesentliche festgehalten werden kann, wird ein elektronisches<br />

Aufzeichnungsgerät während des Gesprächs benutzt, anschliessend wird der Text<br />

niedergeschrieben.<br />

Durch die genaue Beschreibung eines Einzelschicksals kann der Verlauf und das<br />

Erleben der Krankheit besonders gut nachgezeichnet werden. Es können ganz<br />

persönliche Aspekte des Umfeldes oder der psychischen Situation festgehalten<br />

werden.<br />

Zur Ergänzung werden drei weitere Betroffene in die Arbeit mit einbezogen, um<br />

deren Erfahrungen und Emotionen mit jenen von Annabelle zu vergleichen.<br />

Diese drei Personen werden nach persönlicher Kontaktaufnahme durch einen<br />

Fragebogen per e-Mail interviewt. Die im Interview gestellten Fragen, werden am<br />

Ende dieses Kapitels aufgeführt.<br />

Anhand der Fragen im Interview wird geklärt, was ein von <strong>GBS</strong> betroffener Patient in<br />

den verschiedenen Stadien der Krankheit fühlt und wie er denkt. Es lassen sich so<br />

Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede der Betroffenen herauskristallisieren.<br />

Dies wird neben den Erlebnissen von Annabelle in dieser Arbeit festgehalten.<br />

Alle technischen Fachausdrücke sind kursiv geschrieben und werden im Glossar<br />

erklärt (Kapitel 9).<br />

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Folgende Fragen wurden in den Interviews den Betroffenen gestellt:<br />

1. Kannst du mir mitteilen welchen Beruf, welches Alter und welche persönliche<br />

Lebenssituation du vor der Krankheit gehabt hast?<br />

2. Wie hat deine Krankheit begonnen und nach wie langer Zeit wurde die<br />

Diagnose <strong>GBS</strong> gestellt?<br />

3. Wie war dein Krankheitsverlauf? (weitere Symptome, Diagnose,<br />

Spitalaufenthalt oder Aufenthalt in einem Rehabilitationszentrum, Pflege und<br />

Therapie im Spital / Reha-Zentrum, Therapie ambulant, in Stichworten)<br />

<strong>4.</strong> Welches waren deine ersten Gedanken bei den ersten Symptomen, bei der<br />

Diagnose, im Spital?<br />

5. Dein 1. Gedanke überhaupt?<br />

6. Wie war die Reaktion deiner Familie und Freunde?<br />

7. Wie erlebtest du die Ärzte, das Pflegepersonal/die Therapeuten und wie<br />

kamen die Angehörigen mit ihnen zurecht?<br />

8. Welche Gefühle und Ängste hattest du in den verschiedenen Stadien der<br />

Krankheit?<br />

9. Was waren deine Wünsche und Bedürfnisse während der Krankheit?<br />

10. Was hat dir gefehlt?<br />

11. Was hat dir gedient, geholfen?<br />

12. Was gab Hoffnung und Aussicht auf Besserung?<br />

13. Hast du dich oft gefragt, warum gerade „ich“ diese Krankheit erleiden muss?<br />

Hast du eine Antwort darauf gefunden?<br />

1<strong>4.</strong> Hast du in dieser Zeit den Lebensmut verloren? Warst du wütend, traurig oder<br />

hast du dich deinem Schicksal ergeben?<br />

15. Was weißt du über Wiederholungsrisiken, über Dein Risiko?<br />

16. Hast du Angst vor einer Wiederholung?<br />

17. Welche Ratschläge und Empfehlungen kannst du einem Betroffenen auf den<br />

Weg geben?<br />

18. Weitere Anmerkungen?<br />

15/56


6. Resultate<br />

Die folgenden Krankengeschichten wurden gemäss dem Interview (siehe Anhang)<br />

zusammengefasst.<br />

6.1 Krankengeschichte von Annabelle<br />

Es begann im Mai 2005. Es war Freitag der dreizehnte. Meine Cousine war damals<br />

35 Jahre alt, verheiratet, hatte ein 17 Monate altes Kind und lebte in Holland.<br />

Die ersten Symptome waren extrem starke Rücken- und Kopfschmerzen. Sie<br />

verspürte eine allgemeine Erschöpfung und Schwäche im ganzen Körper, anfangs<br />

vor allem in den Beinen. Dies führte dazu, dass sie, als keine Besserung eintrat, das<br />

Universitätsspital aufsuchte, wo sie jedoch nach einigen Tests mit der Erklärung, sie<br />

habe eine Blasenentzündung, entlassen wurde.<br />

Da sich die anfängliche Schwäche zu konkreten Lähmungserscheinungen<br />

entwickelte, suchte sie ein zweites Mal eine Ärztin auf. Die Lähmungen<br />

verschlimmerten sich rapide und innerhalb von 48 Stunden lag Annabelle mit der<br />

Diagnose <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong> auf der Intensivstation, angeschlossen an einer<br />

Beatmungsmaschine.<br />

Es folgten sogleich weitere Tests und die Gabe von Immunglobulin. In ihrem Fall<br />

kamen die Lähmungen des gesamten Körpers (von unten nach oben) schnell und<br />

heftig, sind aber nach einer Phase der Stagnation relativ rapide wieder abgeklungen.<br />

Nach sieben Wochen auf der Intensivstation, konnte sie wieder selber atmen,<br />

schlucken und essen und wurde in die Rehabilitationsabteilung verlegt.<br />

Als meine Cousine die Diagnose <strong>GBS</strong> erhielt, war dies ein Schock, auch für alle<br />

Angehörigen. Ihre ersten Gedanken waren geprägt von furchtbarer Angst und sie<br />

wusste nicht, was auf sie zukommen würde.<br />

Spezielle Panik verursachte bei ihr das Alleinsein. Wenn kein Besuch da war, keine<br />

Schwester, die ihr etwas verabreichte oder sie pflegte, wenn einfach nichts zu hören<br />

war. Deshalb war sie unglaublich dankbar für die häufigen Besuche ihres<br />

Ehemannes und ihrer Freunde und Familie. In dieser Zeit, findet sie im Nachhinein,<br />

sieht man, welches die wahren Freunde sind, wer wirklich zu einem steht.<br />

Zweifel kamen in ihr auf, ob sie wirklich wieder ganz genesen würde.<br />

<strong>Das</strong> Schlimmste war die Gefangenschaft im eigenen Körper. Der Geist kriegt alles<br />

mit, kann sich aber nicht mitteilen, oder nur unter äusserst erschwerten<br />

16/56


Bedingungen. Alle Bedürfnisse, Wünsche oder Ängste meiner Cousine konnten von<br />

ihrer Umwelt nur durch Augenzwinkern und eventuell mit Hilfe einer Buchstabentafel<br />

oder einer Zeichentafel wahrgenommen bzw. „entschlüsselt“ werden.<br />

Besondere Bedürfnisse von ihr waren zum Beispiel fliessendes Wasser zu spüren<br />

oder in Gesellschaft zu sein, auch wenn der Besucher nur da gesessen hat, ohne<br />

viel zu reden, aber dafür vielleicht auch einmal geweint hat. Dadurch sah sie, dass es<br />

auch ihrer Umwelt nahe geht.<br />

Mit der Zeit, so sagt sie, verspüre man nicht einmal mehr Langeweile, tausend<br />

Gedanken jagen einem durch den Kopf und man ergibt sich seinem Schicksal.<br />

Eine Zeit lang quälten sie Depressionen und sie musste realisieren, dass der<br />

dreijährige Sohn seine Mutter auf der Intensivstation nicht als solche erkannte, was<br />

ihr sehr weh tat.<br />

Geholfen in dieser trostlosen Zeit haben ihr der routinemässige Tagesablauf, der<br />

häufige Besuch und vor allem die kleinen Erfolgserlebnisse, welche Aussicht auf<br />

Besserung gaben. Erfolgserlebnisse für Annabelle waren zum Beispiel das Anheben<br />

eines Fingers oder das Bewegen der Zehen.<br />

Auch Körperkontakt hat ihr persönlich gut getan und zwar weil sie wusste, dass sich<br />

jemand um sie kümmerte und sich Zeit für sie nahm.<br />

Auf die Frage, warum gerade sie mit dieser Krankheit konfrontiert wurde, gab sie<br />

folgende Erklärung: Vielleicht konnte der frühe und noch nicht verarbeiteten Verlust<br />

ihrer beider Elternteile und die dadurch resultierende psychische Belastung ein<br />

möglicher Auslöser gewesen sein.<br />

Zurückblickend sagt sie, habe ihr die Krankheit insofern etwas gebracht, dass sie nun<br />

ihr Leben bewusster lebt und für jeden Tag dankbar ist, an welchem die ganze<br />

Familie gesund ist.<br />

17/56


6.2 Krankengeschichten weiterer Betroffener<br />

6.2.1 Krankengeschichte von Susanne<br />

Susanne war zum Zeitpunkt ihrer ersten Symptome 31 Jahre alt, lebte alleine und<br />

trieb in ihrer Freizeit viel Sport oder unternahm etwas mit Freunden. Seit elf Jahren<br />

arbeitete sie auf der Intensivstation als Krankenschwester, seit 2005 im Paraplegiker<br />

Zentrum in Nottwil (SPZ).<br />

Ihre Krankheitssymptome begannen mit einem Taubheitsgefühl am rechten grossen<br />

Zeh und nach zwei Tagen folgten Lähmungen bis zum Knie.<br />

Innerhalb von vier Tagen war ihr ganzer Körper komplett gelähmt und sie lag für drei<br />

Wochen auf der Intensivstation mit Beatmung. Die Diagnose <strong>GBS</strong> konnte sehr<br />

schnell gestellt werden. Sie war insofern darauf vorbereitet, da sie als<br />

Krankenschwester im Paraplegikerzentrum ähnliche Fälle bereits begleitet hatte. Sie<br />

konnte also auch ihre Familie auf das Schlimmste vorbereiten und schloss eine<br />

Patientenverfügung ab. Ein dauerndes Leben an der Beatmungsmaschine kam für<br />

sie nämlich nicht in Frage. Aufgrund ihres Berufes hatte sie das nötige Fachwissen<br />

und konnte ruhig und überlegt handeln.<br />

Therapeutisch wurden bei ihr eine Cortisontherapie, eine Eiweisstherapie, sowie<br />

sechs Mal eine Plasmapherese durchgeführt.<br />

Relativ schnell ging es wieder bergauf und innerhalb von drei Wochen konnte sie<br />

wieder laufen und nach insgesamt fünf Monaten war sie wieder im Arbeitsleben.<br />

Sie hat sich also verhältnismässig sehr schnell erholt, denn sie hat auch mit einer<br />

unglaublichen Energie gekämpft, immer mit dem Gedanken im Hinterkopf möglichst<br />

schnell wieder fit zu werden und keine Langzeitschäden von der Krankheit zu tragen.<br />

Weil sie so ehrgeizig und mit aller Kraft gegen die Krankheit gekämpft hat, hat sie es<br />

ein wenig versäumt, sich die nötige Zeit zu nehmen, auf die Ratschläge anderer zu<br />

hören. Immer hat sie mitreden wollen und manchmal waren ihr der ganze Terminplan<br />

und der Besuch einfach zu viel.<br />

Es gibt keine offensichtliche Ursache, welche bei ihr für das <strong>GBS</strong> verantwortlich sein<br />

könnte, ein Auslöser jedoch sei vermutlich der körperliche Stress gewesen. Susanne<br />

hat ihren Körper oft gefordert, indem sie sehr viel Sport trieb und immer unterwegs<br />

war.<br />

Sie gibt an, früher auch schon Schicksalsschläge (psychischer Stress) erlitten zu<br />

haben. Im Nachhinein sieht sie all die Zeichen, welche ihr der Körper vor der<br />

Krankheit gegeben hat ganz deutlich. Als Zeichen oder Warnung sieht sie zwei<br />

18/56


Bandscheibenvorfälle und einen sehr schweren Autounfall, bei welchem sie sich mit<br />

einem offenen Cabriolet mehrmals auf der Autobahn überschlagen hat.<br />

Nur hat sie diese Zeichen damals ignoriert und nicht auf ihren Körper gehört.<br />

Schlussendlich ist sie dankbar für diese Krankheit, denn sie hat die Familie näher<br />

zusammengebracht und Susanne als Mensch verändert. Sie hört jetzt besser auf<br />

ihren Körper und nimmt sich die Zeit, die sie braucht.<br />

6.2.2 Krankengeschichte von Nadja<br />

Nadja, damals 26 Jahre alt, erkrankte im Juli 2001, nachdem sie vier Jahre als<br />

Lehrkraft gearbeitet hatte. Ihr Leben war „gerade im Umbruch“, sie hatte ihren<br />

jetzigen Mann kennengelernt und wollte mit ihm am 8. Juli 2001 eine einjährige<br />

Weltreise antreten.<br />

Die Symptome zeigten sich wie folgt: Kribbeln in den Fingern und Zehenspitzen, ein<br />

Unwohlsein wie bei einer Grippe und Rückenschmerzen.<br />

Dies war am Montag, am Donnerstag konnte sie die Arme nicht mehr hochheben<br />

und ihr Mann fuhr sie ins Spital. Dort wurden sie etwas unfreundlich und mit einer<br />

falschen Diagnose abgewiesen. Ständiges Einknicken beim Gehen und eine<br />

gelähmte Gesichtshälfte, führten sie erneut ins Spital und sie bekamen die Diagnose<br />

<strong>GBS</strong>. Als Ursache gelten die Impfungen, die sie als Vorbereitungen auf ihre<br />

Weltreise gemacht hat. Im Krankenhaus folgten eine Lumbalpunktion und eine<br />

zehntägige Immunglobulintherapie. Am darauffolgenden Dienstag (10. Juli) hatte ihr<br />

Krankheitsverlauf den Tiefpunkt erreicht, wobei Beatmung nicht notwendig gewesen<br />

war. Nach unzähligen Stunden in der Logopädie, Ergo- und Physiotherapie konnte<br />

sie am 1. August den Umzug in die Rehaklinik Bellikon antreten.<br />

Dort verbrachte sie die Zeit mit verschiedenen Therapien, bis sie am 15. März 2002<br />

endlich entlassen wurde. Bis heute geht sie regelmässig in die Physiotherapie.<br />

Die Diagnose <strong>GBS</strong> war für die ganze Familie ein Schock und sie waren mit der<br />

Situation überfordert, da es an Erklärungen und Unterstützung der Ärzte mangelte.<br />

„Aus der Verzweiflung folgte Wut, Resignation, Lebenswille und schliesslich<br />

Akzeptanz!“<br />

Für sie persönlich waren ihre Freunde und Familie sehr wichtig, aber auch Zeiten der<br />

Ruhe, in denen sie sich erholen konnte.<br />

Zudem hat es ihr geholfen sich mit anderen <strong>GBS</strong>-Patienten auszutauschen.<br />

19/56


In gewissen Zeiten, in welchen keine Fortschritte oder Erfolge zu sehen waren,<br />

durchlitt sie Depressionen, welche sie nur mit viel Geduld überwand. Geduld sei<br />

ohnehin sehr wichtig, sowie auch der Austausch mit anderen Betroffenen und der<br />

Familie. Für sie war die Krankheit ein Wegweiser, sie lebt bewusster, nimmt ihren<br />

Körper besser wahr und ist dankbar für jeden Tag.<br />

6.2.3 Krankengeschichte von Irene<br />

Irene, eine damals 13 jährige Gymnasiastin, lebt mit ihrer Familie in Reussbühl, trieb<br />

vor der Krankheit sehr viel Sport und engagierte sich sozial. In den Sommerferien<br />

2004 verbrachte sie zwei Wochen mit der Familie und der besten Freundin auf einem<br />

Campingplatz in Vallorb. Alle von ihnen erkrankten dort unglücklicherweise an einem<br />

Magen-Darm-Grippevirus. Irene konnte aber trotzdem eine Woche später das neue<br />

Schuljahr beginnen und zwar besuchte sie die zweite Klasse der Kantonsschule<br />

Reussbühl. Nach einer Woche konnte sie nicht mehr richtig gehen und auch das<br />

Gleichgewicht zu halten bereitete ihr grosse Mühe. Sie fühlte sich schwach, hatte<br />

Probleme beim Treppensteigen und konnte schliesslich nicht mehr in die Hocke<br />

gehen und ihre Zehen nicht mehr bewegen. Als sie am nächsten Tag (30.08.04) den<br />

Arzt aufsuchte, wurde sie ins Spital geschickt und dort wurde nach mehreren Tests<br />

die Diagnose <strong>GBS</strong> gestellt. Als Ursache wurde der Magen-Darm-Grippevirus,<br />

welcher eine Autoimmunreaktion ausgelöst hatte, herangezogen.<br />

Es folgten fünf Tage Immunglobulintherapie und der Tiefpunkt ihrer Krankheit:<br />

Fusshebeschwäche, sie konnte ihre Zehen nicht bewegen und ihre Finger nicht<br />

strecken. Weil sie Mühe mit dem Gleichgewicht hatte, konnte sie nicht selbständig<br />

gehen. Nach einer Woche Spitalaufenthalt wurde sie frühzeitig wegen<br />

Krankenhausdepressionen entlassen. Die Depressionen wurden nicht medikamentös<br />

behandelt. Von nun an ging sie ein halbes Jahr lang drei bis vier Mal wöchentlich zur<br />

Physiotherapie, dann zwei weitere Jahre nur noch ein bis zwei Mal in der Woche.<br />

Anbei machte sie ein Jahr lang Feldenkraistherapie zur Entspannung und Lockerung<br />

der Muskeln.<br />

Viele in ihrem Familienkreis waren geschockt, als sie von ihrer Krankheit erfuhren,<br />

zudem hatte sie stark abgenommen und litt wie erwähnt an Gehschwierigkeiten. Die<br />

Gehschwierigkeiten machten ihr am Anfang schwer zu schaffen, ihr war<br />

unangenehm, was andere über sie denken mochten und sie litt teilweise unter<br />

gemeinen Kommentaren. Zu diesem Leiden kamen auch Ängste, die sie vorher nie<br />

20/56


kannte, nämlich Dinge auszuprobieren, die sie früher mit Leichtigkeit gemeistert hat,<br />

wie zum Beispiel ein Rad schlagen.<br />

Es war anfangs schwer für sie nicht mehr ein „Gewinnertyp“ zu sein.<br />

Gefehlt während dieser schweren Zeit hat ihr neben Sport und Aktivsein auch eine<br />

gute Führung der Therapiebehandlung durch die Ärzte.<br />

Geholfen haben ihr dafür die Gespräche über ihre Wünsche und Gefühle, die sie mit<br />

ihrer Feldenkraistherapeutin, ihrer Familie oder ihrer besten Freundin führen konnte.<br />

Nach zwei Jahren konnte sie ihre Zehen wieder bewegen, aber nicht auf den<br />

Zehenspitzen gehen und auch nicht normal laufen, obwohl ihr Krankheitsverlauf<br />

anfangs sehr vielversprechend ausgesehen hat.<br />

Inzwischen kommt sie mit ihren kleinen Handicaps gut zurecht und ist zufrieden mit<br />

ihrem Leben und ihrem Körper. Sie hat das Leben mehr schätzen gelernt und hat<br />

durch die Krankheit viel an Lebenserfahrung gewonnen.<br />

Ganz nach dem Motto: „Schliesst sich eine Tür, öffnet sich irgendwo eine andere!“<br />

21/56


7. Diskussion und persönliche Interpretation<br />

7.1 Gemeinsamkeiten<br />

7.1.1 Vor der Krankheit<br />

Bei allen von mir befragten Betroffenen, ist anzunehmen, dass ein gewisser Stress<br />

der Krankheit vorangegangen ist. Sei es nun psychischer Stress, wie unverarbeitete<br />

Verluste bzw. Schicksalsschläge oder die Nervosität und Aufregung auf einen<br />

bevorstehenden „Ausbruch“ aus der gewohnten Umgebung oder körperlicher Stress,<br />

welcher durch eine Überbeanspruchung des Körpers hervorgerufen wurde.<br />

Aus diesen Hinweisen kann ich ableiten, dass die psychische Belastung in der<br />

Entwicklung dieser Erkrankung eine wichtige Rolle spielen kann. Denn die Psyche<br />

steht im ständigen Zusammenspiel mit dem Immunsystem und der körperlichen<br />

Leistung (Netzwerk Mensch. 1991. 22). Wenn man unruhig und ständig gestresst ist,<br />

wirkt sich das verschieden aus. Man kann nicht mehr richtig essen und schlafen, was<br />

zu einer Schwächung des Körpers führt und somit zu einer Schwächung der<br />

Fähigkeit, sich gegen Infektionen wehren zu können.<br />

Aufgrund dieser steten gegenseitigen Beeinflussung stehen die obigen drei Aspekte<br />

in enormer Abhängigkeit. (siehe Abb. 3)<br />

Immunsystem<br />

Abb. 3: Zusammenspiel und gegenseitige Beeinflussung von der Psyche, der körperlichen Leistung<br />

und dem Immunsystem.<br />

Psyche<br />

Eine weitere Gemeinsamkeit der Befragten ist, dass die Frage nach der Ursache<br />

nicht abschliessend geklärt werden konnte. Also sind Auslöser und Ursache offenbar<br />

zwei verschiedene Faktoren, die es zur Krankheitsentstehung braucht.<br />

Vor allem beim Beantworten der Warum-gerade-ich-Frage greifen alle auf<br />

vorangegangenen psychischen oder körperlichen Stress zurück. Die Hälfte der<br />

22/56<br />

Körperliche<br />

Leistung


Befragten räumen ein, nicht auf die Zeichen (Schmerzen, Müdigkeit, Kraftlosigkeit,<br />

etc.) des Körpers gehört zu haben.<br />

Bei Annabelle und Susanne finden sich keine körperlichen, bekannten<br />

Vorinfektionen. Es scheinen hier die psychischen Auslöser im Vordergrund gewesen<br />

zu sein. Bei den anderen zwei Befragten standen körperliche Auslöser (Infektion und<br />

Impfung) im Vordergrund.<br />

7.1.2 Während der Krankheit<br />

Ein häufiger Begleiter dieser nicht leicht fassbaren und den meisten Menschen<br />

unbekannten Krankheit ist die Angst. Angst vor den Dingen, die auf einen zukommen<br />

werden und denen man völlig ausgeliefert ist. Mit Ausnahme von einer der Befragten,<br />

welcher die Krankheit bereits bekannt war, waren alle überrumpelt von der Diagnose<br />

und erfüllt von Angst. Aussicht auf Besserung gaben den Patientinnen die kleinen<br />

Erfolgserlebnisse, wie zum Beispiel das wieder Bewegen können eines Fingers.<br />

Diese traten zwar bei weitem nicht täglich auf, waren aber immer Grund für einen<br />

erneuten Motivationsschub, welcher sie die Krankheit überwinden liess.<br />

In Zeiten der „Pause“, also in Phasen, in denen keine Fortschritte zu erkennen<br />

waren, kämpfte die Hälfte der Befragten gegen Depressionen an.<br />

Den ständigen Sprüchen wie „Es wird schon alles wieder gut…“, schenkten sie<br />

keinen Glauben mehr, denn in dieser Situation ist es schwer, sich dies vorstellen zu<br />

können. Glücklicherweise nahmen die seelischen Tiefen mit den steigenden Erfolgen<br />

ab und das Leben wurde wieder lebenswert.<br />

7.1.3 Nach der Krankheit<br />

Ganz spannend und zentral finde ich wie sich die Lebensansicht der befragten<br />

Patientinnen nach der Krankheit verändert hat.<br />

Auch wenn sie nicht alle eine spezifische Antwort auf die Frage, warum gerade sie<br />

die Krankheit treffen musste, gefunden haben, sind sie heute mit ihrem Schicksal im<br />

Reinen. Sie haben die Krankheit akzeptiert und sind verändert und gestärkt daraus<br />

hervorgegangen.<br />

Im Nachhinein bewerten die Befragten die Krankheit insofern als positiv, dass sie<br />

ihnen geholfen hat, vermehrt mit offenen Augen durch das Leben zu gehen.<br />

Sie haben die Tage, an denen sie und ihre Familien gesund sind schätzen gelernt<br />

und sind allgemein dem Leben gegenüber dankbarer. Obwohl man wieder in das alte<br />

23/56


Muster zurückfällt und sich wieder über Kleinigkeiten aufregt, hat die Krankheit ihnen<br />

gezeigt, wie wertvoll das Leben ist und dass „wenn sich irgendwo eine Türe schliesst,<br />

sich eine andere dafür öffnet.“<br />

An in Zukunft Betroffene möchten sie folgende Tipps geben:<br />

Geduld ist das A und O. Es braucht unglaublich viel Geduld die Krankheit zu<br />

überstehen.<br />

Zudem ist es sehr wichtig, mit jemandem über die Ängste und Gefühle zu sprechen,<br />

sobald es einem möglich ist natürlich.<br />

Eine wertvolle Unterstützung ist auch die Hilfe, die Zuneigung und das Mitgefühl,<br />

welche einem das Umfeld gibt.<br />

In der Literatur existieren Erfahrungsberichte von Betroffenen, welche die Erlebnisse<br />

vom Ausbruch der Krankheit bis zur Phase der Rehabilitation beschreiben. Dabei<br />

wird eine „Spannung spürbar zwischen der Erfahrung der Ungewissheit und der<br />

Rückschläge, sowie der Zuversicht auf allmähliche Besserung“ (Handelmann. 1998.<br />

9). Es wird in den Beschreibungen ebenfalls deutlich, wie viel Geduld den Patienten<br />

durch diese Krankheit abverlangt wird. Die „Zeit zum Nachdenken“ (Handelmann.<br />

1998. 9) bietet den Patienten die Möglichkeit den Lebensweg bis zur Erkrankung<br />

nachzuzeichnen und einschneidender Lebenssituationen bewusst zu werden.<br />

7.2 Spezialfall Annabelle<br />

Ich möchte im Folgenden einige Aspekte aufzeigen, welche sich speziell auf meine<br />

Cousine beziehen und im persönlichen Gespräch mit ihr hervorgegangen sind.<br />

Es sind Dinge, welche mir aufgefallen sind und die nun in Zukunft Betroffenen und<br />

vor allem ihren Angehörigen helfen sollen, die schwierige Situation zu meistern und<br />

gegenseitiges Verständnis aufzubringen. Ich möchte aber betonen, dass die<br />

folgenden Beispiele nicht als Regeln gelten und durchaus Abweichungen auftreten<br />

können.<br />

Meine Cousine mochte es gar nicht, wenn ihr jemand Kopfhörer in die Ohren<br />

„gepresst“ hat. Ihr Mann brachte ihr manchmal Hörspiele mit, denn sie konnte sich ja<br />

nicht bewegen und ihre Sehstärke war auch beeinträchtigt. Sobald ihr aber jemand<br />

24/56


Kopfhörerstöpsel in die Ohren schob, geriet sie in Panik, denn dann konnte sie kaum<br />

mehr wahrnehmen, was um sie herum geschah.<br />

Ein weiterer spannender Aspekt ist, dass Annabelle überhaupt nicht wahrgenommen<br />

und realisiert hat, dass ihre Mimik während der Erkrankung völlig starr war. Sie<br />

konnte also weder verbal noch nonverbal kommunizieren! Wenn jemand aus ihrem<br />

Umfeld nicht verstanden hat, was ihr Bedürfnis war, wurde sie manchmal etwas<br />

wütend, weil sie dachte, dass es doch nicht so schwer sein konnte, ihr „den Wunsch<br />

von den Augen bzw. vom Gesicht abzulesen“. Ihre Wut konnte sie natürlich auch<br />

nicht ausdrücken, ebenso wenig wie die Freude über einen Besuch.<br />

An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass es für die Besucher eine<br />

Herausforderung ist, einen Menschen zu begleiten, bei welchem auch die nonverbale<br />

Kommunikation nicht möglich war. Kein Handzeichen, kein Lächeln, überhaupt keine<br />

Reaktion auf irgendeine Bemerkung. Von den Angehörigen kann dies teils als pure<br />

Langeweile und Desinteresse verstanden werden. Genau an diesem Punkt ist es<br />

also wichtig, die Eigenart und den Verlauf der Krankheit zu kennen, einander<br />

Verständnis und Geduld entgegen zu bringen und die Zuversicht nicht zu verlieren!<br />

Für meine Cousine, ihre Angehörigen und auch alle anderen Betroffenen ist es<br />

unglaublich wichtig gewesen, korrekt und ausführlich vom Pflegepersonal und von<br />

den Ärzten über ihre momentane Situation unterrichtet zu werden. Sie waren<br />

dankbar für jede Erklärung, denn alle waren völlig hilflos mit dieser neuen<br />

Gegebenheit.<br />

Einmal ist eine solche Erklärung bei meiner Cousine völlig „untergegangen“. Und<br />

zwar war sie keineswegs darüber informiert worden, dass nach einer Intubation das<br />

Sprechen nicht mehr möglich ist. Hätte sie dies gewusst, hätte sie ihrem Mann<br />

vielleicht noch ein paar Worte sagen wollen. Deshalb ist es wichtig, dass auch<br />

Massnahmen, die für die medizinischen Fachleute völlig selbstverständlich sind, dem<br />

Betroffenen verständlich mitgeteilt werden.<br />

Neben den ausführlichen Informationen war meine Cousine auch für jegliche Pflege<br />

sehr dankbar. Also zu Beispiel, das Eincremen ihrer Beine oder das Haare Waschen<br />

genoss sie immer, denn dies zeigte ihr, dass sich jemand Zeit für sie nahm.<br />

25/56


Auch wenn es anfangs so scheint, als ob es in dem problematischen Zustand, in<br />

welchem sich die Patienten befinden, nun wirklich wichtigeres gäbe als das Rasieren<br />

eines Beines, fühlte sich meine Cousine danach wohler und gut aufgehoben!<br />

Ein weiterer Punkt, welcher meiner Cousine durch die schwere Zeit geholfen hat, war<br />

der routinierte Tagesablauf. Dadurch war ihrem ungewollten Alleinsein stets und<br />

immer zur gleichen Zeit ein Ende gesetzt und sie konnte sich auf die Abwechslung<br />

freuen. Sie hat sich auch nur schon gefreut, wenn eine Schwester ins Zimmer kann,<br />

um ihr eine Spritze zu verabreichen. Nicht auf die Spritze selbst hat sie sich gefreut,<br />

sondern darauf, dass wieder etwas los war und sie nicht mehr alleine sein musste.<br />

So war also zum Beispiel eine solche Spritze der Höhepunkt vom Tag!<br />

Um das Gefühl eines komplett gelähmten <strong>GBS</strong>-Patienten nachvollziehen zu können,<br />

ist folgender Vergleich passend:<br />

Man ist wie eine Gefangene im eigenen Körper! <strong>Das</strong> heisst also, man kriegt alles mit,<br />

kann sich aber unter keinen Umständen einmischen und mitteilen, was die eigenen<br />

Wünsche, Bedürfnisse, Ängste und Gefühle sind. Man ist völlig hilflos und komplett<br />

auf die Unterstützung der Mitmenschen angewiesen!<br />

26/56


8. Schlusswort<br />

An dieser Stelle möchte ich mich nochmals bei allen bedanken, die mich bei meiner<br />

Arbeit unterstützt haben.<br />

Ich war positiv überrascht, wie offen die Leute auf meine Anfrage bezüglich der<br />

Mitwirkung an meiner Maturaarbeit reagierten. Alle Betroffenen, die ich im Verlauf<br />

meines Arbeitsprozesses kennengelernt habe, haben mir versichert, gerne Auskunft<br />

zu geben, falls ich etwas wissen möchte. Diese Kooperation habe ich sehr zu<br />

schätzen gewusst!<br />

Ich habe durch meine Arbeit unheimlich viel gelernt und Erfahrungen gesammelt.<br />

Auf der einen Seite hatte ich die Möglichkeit selbständig zu arbeiten und mir meine<br />

Zeit und Termine selber einzuteilen. Ich habe diese Selbständigkeit sehr genossen<br />

und verspüre auch einen gewissen Stolz.<br />

Auf der anderen Seite habe ich durch die Befragung der Betroffenen gelernt, was es<br />

heisst, völlig hilflos zu sein. Auf jegliche Hilfe der Mitmenschen angewiesen zu sein<br />

und sich wie eine Gefangene im eigenen Körper zu fühlen.<br />

Ich habe gesehen, wie viel Zuversicht und Geduld bedeuten und wie wichtig es ist,<br />

nicht die Hoffnung zu verlieren. In solch schweren Zeiten zählen nur noch die<br />

Menschen, welche dich unterstützen und dir beistehen und es wird einem wieder<br />

bewusst, über welche Nichtigkeiten wir uns im Alltag manchmal aufregen. Man<br />

beginnt das Leben von einer neuen Seite anzuschauen; Und dies ist eine Chance!<br />

Ich wurde angefragt, meine vorliegende Arbeit auf der Homepage der <strong>GBS</strong>-<br />

Selbsthilfegruppe (www.gbsinfo.ch) zu veröffentlichen. Es freut und ehrt mich sehr,<br />

dass ich mit meiner Arbeit einen Beitrag zum Verständnis dieser Krankheit leisten<br />

durfte!<br />

27/56


Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und nur unter<br />

Benutzung der angegebenen Quellen verfasst habe, dass ich auf eventuelle Mithilfe<br />

Dritter in der Arbeit ausdrücklich hinweise, dass ich vorgängig die Schulleitung und<br />

die betreuende Lehrperson informiere, wenn ich diese Maturaarbeit bzw. Teile oder<br />

Zusammenfassungen davon veröffentlichen werde sowie Kopien dieser Arbeit zu<br />

weiteren Verbreitung an Dritte aushändigen werde.<br />

28/56


9. Glossar<br />

Die folgenden Begriffe basieren auf dem klinischen Wörterbuch ‚Pschyrembel’<br />

(Pschyrembel. 1990).<br />

akute Polyradikulitis:<br />

akut (lat. acutus: scharf, bedrohlich): plötzlich auftretend, schnell, heftig verlaufend<br />

Polyradikulitis (gr. poly: viel, zahlreich; lat. radicula: kleine Wurzel; lat. -itis:<br />

Entzündung): Entzündung der Wurzeln der Rückenmarknerven<br />

Ateminsuffizienz:<br />

(lat. in: un-; lat. sufficiens: hinreichend, genügend): Schwäche, ungenügende<br />

Leistung der Lunge<br />

Axone:<br />

(gr. axon: Achse): Achsenzylinder. <strong>Das</strong> Axon ist der lange, faserartige Fortsatz einer<br />

Nervenzelle, der elektrische Nervenimpulse vom Zellkörper wegleitet.<br />

(http://de.wikipedia.org/wiki/Axon 16.09.09)<br />

Axonale Läsionen:<br />

(lat. laesio: Verletzung): Schädigung, Verletzung oder Störung eines Axons.<br />

(www.wikipedia.org 16.09.09)<br />

Campylobacter jejuni:<br />

(gr. kampylos: gekrümmt: gr. Bakt-: Wortteil mit der Bedeutung Stab, Stock): Gattung<br />

von mono- oder bipolar begeisselten, beweglichen, mehrfach gewundenen<br />

Stäbchenbakterien. Der Mensch kann sich durch Einnahme von tierischen<br />

Nahrungsmitteln, Trinkwasser infizieren, oder durch den Kontakt mit erkrankten<br />

Tieren oder direkt von Mensch zu Mensch.<br />

29/56


Distale Parästhesien:<br />

(distalis: weiter vom Rumpf entfernte Teile der Extremitäten (Ggs. proximal); lat.<br />

paraisthese: wörtlich „daneben, daran vorbei“ Wahrnehmung): Missempfindung in<br />

den Extremitäten, welche nicht schmerzhaft ist und im Versorgungsgebiet eines<br />

Hautnervs ausgelöst wird. Es ist kein adäquater oder physikalischer Reiz erkennbar<br />

und wird von Betroffenen meist als Kribbeln, Ameisenlaufen, Pelzigkeit, Jucken, etc.<br />

beschrieben. (www.wikipedia.org 16.09.09)<br />

Fazialparesen: siehe facialis<br />

(lat. facies: Gesicht): Inkomplette Lähmungen im Gesicht. Zum Beispiel, Störung der<br />

mimischen Muskulatur .<br />

Feldenkraistherapie:<br />

Form der Körpertherapie zur Verbesserung der Körperwahrnehmung und indirekt der<br />

gesamten Selbstwahrnehmung.<br />

Ganglioside:<br />

(gr. gangl-: Wortteil mit der Bedeutung Überbein, Nervenknoten): Werden auch<br />

Sphingolipide genannt und sind am Aufbau der Zellmembran beteiligt. Sie kommen<br />

vor allem in der grauen Substanz des Gehirns und in Zellmembranen vor.<br />

H-Reflex:<br />

(lat. reflectere, reflexus: Wortteil mit der Bedeutung zurückbiegen): Kurzbezeichnung<br />

für Hoffmann-Reflex, welcher durch einen elektrischen Reiz eines peripheren Nerven<br />

ausgelöst wird und die Antwort als Muskelaktionspotential gemessen wird.<br />

(www.wikipedia.org 16.09.09).<br />

Immunpathologisch: siehe Immunopathien<br />

(lat. immunis: frei, verschont, unberührt, rein: unempfänglich gegenüber Infektionen;<br />

gr. –pathie: Wortteil mit der Bedeutung Schmerz, Krankheit): durch Störungen des<br />

Immunsystems bzw. durch Immunreaktionen verursachte Krankheiten; z.B.<br />

Autoimmunkrankheiten<br />

30/56


Intubation:<br />

(lat. In-: Wortteil mit der Bedeutung in, hinein; lat. tubus: Röhre): Einführen eines<br />

Spezialtubus (Kunststoffschlauch) in die Trachea (Luftröhre) oder einen<br />

Hauptbronchus.<br />

Krankenhausdepressionen:<br />

Depressionen bzw. ein Unwohlsein, welches sich im Krankenhaus entwickelt.<br />

Dies zeigt sich zum Beispiel in Form von Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, etc.<br />

Liquor:<br />

(lat. liquor: Flüssigkeit): verschiedene klare Flüssigkeiten des Körpers, zum Beispiel<br />

die Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis). (www.wikipedia.org<br />

16.09.09).<br />

Parese:<br />

(gr. paresis: Erschlaffung): inkomplette Lähmung<br />

pathologische Spontanaktivitäten:<br />

(gr. patho-: Wortteil mit der Bedeutung Schmerz, Krankheit; gr. –log: Wortteil mit der<br />

Bedeutung Wort, Lehre): krankhafte „Eigenaktivität der Muskelfasern ohne Anstoß<br />

durch erregende Nervenpulse“ (www.wikipedia.org 16.09.09).<br />

peripheren Nervenzellen:<br />

peripher (gr. peripheres: kreisförmig um einen Punkt): aussen, am Rande, weg oder<br />

fern vom Zentrum.<br />

Also Nervenzellen, welche sich nicht in der Nähe vom Körperzentrum befinden.<br />

Thrombosen:<br />

(gr. thromb-: Wortteil mit der Bedeutung dicker Tropfen, Blutpfropf):<br />

Blutpfropfenbildung meist in Venen, aber auch Arterien.<br />

31/56


vegetatives Nervensystem:<br />

vegetativ (lat. vegetare: beleben, anreizen): Jener Teil des Nervensystems, der für<br />

die Aufrechterhaltung der unwillkürlich ablaufenden lebensnotwendigen Vorgänge<br />

zuständig ist, also Atmung, Kreislauf, Verdauung u.s.w.<br />

(http://www.fachbegriffe-medizin.de/ 11.09.09)<br />

zytalbuminäre Dissoziation:<br />

(gr. cyt-: Wortteil mit der Bedeutung Zelle, Höhlung; lat. albumen: Wortteil mit der<br />

Bedeutung das Weiße, Eiweiß; frz.-lat. dissociatio: Spaltung, Trennung): starke<br />

Eiweisserhöhung bei geringgradiger oder fehlender Zellvermehrung im Liquor.<br />

32/56


10. Quellen<br />

10.1 Bücher<br />

Ann K. Brandt (2002): Learning to Walk Again<br />

New York. iUniverse<br />

Albert Handelmann (1998): Zeit zum Nachdenken<br />

Hildesheim. Eigenverlag<br />

Brian S. Langton (2002): A first step – understanding <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong> syndrome<br />

Victoria, Canada. Trafford Publishing<br />

Gaby Miketta (1991): Netzwerk Mensch<br />

Stuttgart. Trias Thieme Hippokrates Enke Verlag<br />

Marco Mumenthaler und Heinrich Mattle (2006): Kurzlehrbuch Neurologie<br />

Stuttgart. Georg Thieme Verlag<br />

Willibald Pschyrembel (1990): Pschyrembel, klinisches Wörterbuch (256. Auflage)<br />

Berlin. Walter de Gruyter Verlag<br />

10.2 Internet<br />

Wulf Schwick: Die <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong> Seite<br />

http://www.deutsche-emphysemgruppe.de/gbs/gbs-krankheit.htm. 13.0<strong>4.</strong>09<br />

Daniel Zihlmann: <strong>GBS</strong> und CIDP Initiative. Menschen helfen Menschen<br />

http://www.gbsinfo.ch/. 12.0<strong>4.</strong>09<br />

<strong>GBS</strong> Initiative: <strong>GBS</strong> – CIDP Portal<br />

http://www.gbs-portal.de/index.htm. 13.0<strong>4.</strong>09<br />

Manuel Anhold: <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong> (erstellt am 16.01.2004)<br />

http://de.medicle.org/inhalt/4233/artikel/480/TALL. 13.0<strong>4.</strong>09<br />

33/56


Wolfgang Hübl: Immunglobuline (Antikörper) - Übersicht<br />

http://www.med4you.at/laborbefunde/lbef_immunglobuline.htm. 1<strong>4.</strong>0<strong>4.</strong>09<br />

Karl C. Mayer: Lumbalpunktion<br />

http://www.neuro2<strong>4.</strong>de/ (Suchbegriff Lumbalpunktion eingeben). 1<strong>4.</strong>0<strong>4.</strong>09<br />

Wikipedia: <strong>Guillain</strong>-<strong>Barré</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />

http://de.wikipedia.org/wiki/<strong>Guillain</strong>-Barr%C3%A9-<strong>Syndrom</strong>. 1<strong>4.</strong>0<strong>4.</strong>09<br />

Bilder aus dem Internet<br />

Abbildung Titelblatt:<br />

Wikipedia: Darstellung des peripheren Nervensystems von Andreas Vesalius (1543)<br />

http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Vesalius_Fabrica_p332.jpg&filetimest<br />

amp=20051223230106. 0<strong>4.</strong>10.09<br />

Abb.1:<br />

Neurochirurgie Uniklinik Tübingen: peripherer Nerv<br />

http://www.neurochirurgie-tuebingen.de/website/files/spc_peripherer_nerven.gif.<br />

20.08.09<br />

Abb. 2:<br />

MS – Lexikon: Lumbalpunktion<br />

http://www.ms-lexikon.de/html/lumbalpunktion.gif. 20.08.09<br />

Abb. 3:<br />

Selber erstellt, gemäss ‘Netzwerk Mensch’ (1991. 22)<br />

34/56


11. Anhang<br />

Interview mit Annabelle<br />

1. Kannst du mir mitteilen, welchen Beruf, welches Alter und welche<br />

persönliche Lebenssituation du vor der Krankheit gehabt hast?<br />

Ich war 35 Jahre alt. War verheiratet. Mein Kind war 17 Monate alt. War zur<br />

Zeit Hausfrau. Lebte in Holland.<br />

2. Wie hat deine Krankheit begonnen und nach wie langer Zeit wurde die<br />

Diagnose <strong>GBS</strong> gestellt?<br />

Wie war dein Krankheitsverlauf? (in Stichworten)<br />

War extrem müde. Hatte sehr stark Rückenschmerzen und Kopfschmerzen.<br />

Wenn ich mit meinem Kind gespielt habe, lag ich auf einer Decke, hatte nicht<br />

mehr genug Kraft immer zum Sitzen.<br />

Ging in die Rückenmassage.<br />

Hörte auf zu stillen, dachte all die Symptome kämen von dieser<br />

Hormonumstellung.<br />

Massage nützte nichts. Kopfwehtablette auch nicht.<br />

Ging zur Hausärztin, diese nahm mich jedoch nicht richtig ernst, meinte ich sei<br />

wegen dem Stillen und wegen dem Kind so müde, mein Ehemann soll doch in<br />

der Nacht auch einmal zum Kind gehen und es beruhigen wenn es weinte.<br />

Ich persönlich dachte es sei wegen der Hormonumstellung.<br />

Um einmal ein bisschen Tapetenwechsel zu haben, sind wir nach Wien<br />

gegangen. Aber auch dort war ich immer völlig erschöpft und ging immer früh<br />

schlafen.<br />

Wieder zurück zu Hause, riefen wir meine Schwiegermutter an, ob sie nicht<br />

ein paar Tage nach Holland kommen könnte, damit ich mich ein wenig<br />

ausruhen konnte. Schwiegermutter kam zum Glück sofort.<br />

Konnte sie nicht einmal vom Flughafen abholen, war zu schwach um Auto zu<br />

fahren.<br />

Dann wurde es immer schlimmer. Es war ein bisschen so, als ob ich mich,<br />

jetzt wo meine Schwiegermutter da war, „ergeben“ konnte. Am Tag nach der<br />

Ankunft meiner Schwiegermutter rief ich meinen Mann im Büro an, es ging<br />

einfach nicht mehr. Sofort brachen wir ins Universitätsspital von Amsterdam<br />

35/56


auf. Dort musste ich mich mehreren Tests unterziehen, verschiedene Ärzte<br />

untersuchten mich und entnahmen mir vom Rückenmark.<br />

Am Schluss jedoch waren die Ärzte ratlos und meinten, ich habe eine leichte<br />

Blasenentzündung und schickten mich wieder nach Hause.<br />

Wir gingen also wieder nach Hause, mein Mann musste mich mit dem<br />

Rollstuhl bis zum Auto fahren,weil ich nicht mehr laufen konnte.<br />

In dieser Nacht wollte ich auf die Toilette und brach auf dem Weg dorthin<br />

zusammen, weil ich einfach keine Kraft mehr in den Beinen hatte.<br />

Am nächsten Morgen gingen wir gleich zu einer Ärztin, die Notfalldienst hatte.<br />

Ich musste auf dem Hosenboden die Treppe runter weil ich nicht mehr laufen<br />

konnte. Die Ärztin war wirklich gut und wusste bald, um was es sich handelte.<br />

Ich sollte meinen Zeigefinger zu meiner Nase führen…aber traf einfach nicht.<br />

Und dort dacht ich zum ersten Mal, jetzt stimmt etwas nicht mehr. Die Ärztin<br />

liess sich nicht viel anmerken und überwies mich wieder ins Universitätsspital,<br />

in die Neurologie. Dort musste ich wieder verschiedene Tests machen und<br />

bekam sogleich Immunglobulin. Dies war am 13. Mai 2005.<br />

Vom Zusammenbruch bis zu dem Zeitpunkt wo ich an die<br />

Beatmungsmaschine angeschlossen wurde vergingen lediglich 48 Stunden.<br />

Während ich auf der Neurologie lag, spürte ich dann wirklich, wie die Lähmung<br />

langsam von unten nach oben kam und mich schliesslich ganz einnahm. Als<br />

ich Atembeschwerden bekam und schliesslich künstlich beatmet werden<br />

musste, erklärten mir die Ärzte, dass dies normal sei und ich wurde in ein<br />

anderes Spital verlegt, um dort in der Intensivstation überwacht zu werden.<br />

7 Wochen lang lag ich auf der Intensivstation. Verhältnismässig kam die<br />

Krankheit, also die Lähmungen relativ schnell, dann war wie eine Zeit lang<br />

nichts mehr, Pause sozusagen, und dann habe ich mich, im Vergleich zu<br />

anderen Fällen wieder relativ schnell erholt. Die Krankheit kam also ziemlich<br />

überraschend heftig und stark, ist dann aber auch wieder eher schnell<br />

abgeklungen.<br />

Als ich wieder selber atmen konnte, wurde ich in die Reha verlegt. Ich konnte<br />

auch schon wieder selbst schlucken und essen, war aber ansonsten immer<br />

noch gelähmt.<br />

Ich hatte ein Ziel vor Augen: den 1<strong>4.</strong> September. Dann war unser<br />

Hochzeitstag und wir wollten in die Schweiz fliegen.<br />

36/56


Am 21. August 2005 wurde ich aus der Reha entlassen. Nun musste ich nur<br />

noch zwei Mal in der Woche zur Therapie in der Reha.<br />

3. Welches waren deine ersten Gedanken als du von der Diagnose <strong>GBS</strong><br />

erfahren hast?<br />

Ich hatte Angst, furchtbare Angst, denn du weißt überhaupt nicht, was mit dir<br />

passiert. Alle sagen: <strong>Das</strong> wird schon wieder, es wird alles wieder gut.<br />

Aber du kannst das in dieser Situation einfach nicht glauben und denkst: die<br />

haben gut reden…<br />

Eine mir sehr nahestehende Freundin heiratete damals in 3 Wochen und ich<br />

lag gelähmt im Spital, war aber überzeugt und entschlossen, bei der Hochzeit<br />

dabei sein zu können. Ich war im Spital und somit in guten Händen und<br />

erwartete, dass mir die Ärzte irgendetwas geben konnten, damit ich bald<br />

wieder auf den Beinen war und an der Hochzeit dabei sein konnte. Aber das<br />

ging natürlich nicht. Im Gegenteil, mir ging es immer schlechter.<br />

Es war anfangs sehr schwer einzusehen, dass ich, obwohl ich umgeben war<br />

von Fachleuten, Geduld brauchte und dass die Ärzte mir auch nicht so einfach<br />

helfen konnten.<br />

<strong>4.</strong> Wie war die Reaktion deiner Familie und Freunde auf diese Diagnose?<br />

Von meinem Ehemann habe ich unglaublich Unterstützung bekommen. Er hat<br />

alles organisiert, auch wann welche Besucher kommen sollten, damit nicht alle<br />

auf einmal da waren. Er hat mich ungefähr zwei Mal am Tag besucht, was mir<br />

ungeheuer viel Kraft gegeben hat und mir geholfen hat, das ganze<br />

durchzustehen. Ich glaube, in dieser Zeit hat er einfach nur noch funktioniert,<br />

hat sich aber auch verändert. Er ist jetzt längst nicht mehr so ein Workoholic<br />

wie früher, heute nimmt er sich öfter und bewusster Zeit für seine Familie.<br />

Er sah oft alles positiv, war sich sicher, dass alles wieder gut kommt, aber für<br />

ihn war es wirklich auch eine schwere Zeit. An ihm hatte ich eine riesige<br />

Stütze. Unseren Sohn hat er eher selten mitgenommen, anfangs wollte ich<br />

das einfach nicht und als er dann einmal zu Besuch kam, konnte ich ihn gar<br />

nicht richtig begrüssen. Ich konnte weder mit ihm sprechen, noch ihn<br />

anfassen…Ich glaube, er hat mich gar nicht richtig erkannt. Er wollte auch gar<br />

nicht auf mein Bett gesetzt werden und das hat mich schon sehr schwer<br />

getroffen. Erst als es mir etwas besser ging, kam er dann öfters zu Besuch.<br />

Als ich dann in der Rehabilitation war, zwar im Rollstuhl sass, den Oberkörper<br />

37/56


aber schon besser bewegen konnte, ist er auf mich zugerannt und hat<br />

gerufen: Mama! Es war, also ob wir uns nach enorm langer Zeit endlich wieder<br />

sehen würden. Und da konnte ich auch wieder das erste Mal weinen. Ich habe<br />

mich so gefreut, ihn endlich wieder in meine Arme schliessen zu können.<br />

Wenn ich ihn jetzt frage, weiss er nichts mehr von all dem, ich glaube das ist<br />

nicht einmal so schlecht.<br />

Meine Schwiegereltern sind mir auch sehr zur Seite gestanden. Meine<br />

Schwiegermutter beispielsweise ist gar nicht mehr nach Hause gegangen und<br />

aus geplanten 4 Tagen babysitten wurde dann ein halbes Jahr, in dem sie sich<br />

um mein Kind kümmerte.<br />

Es war für mich eine unglaublich Erleichterung, mein Kind in guten Händen zu<br />

wissen.<br />

Einige haben auch täglich E-Mails geschrieben, die mein Mann mir dann<br />

vorgelesen hat, da ich nicht mehr so klar und scharf sehen konnte.<br />

In dieser Zeit merkt man schon, welche Freunde und Verwandte zu einem<br />

stehen. Eine sehr gute Freundin hat mich in dieser Zeit enttäuscht und der<br />

Kontakt zwischen uns ist seit dem abgebrochen. Es ist verletzend solche<br />

Reaktionen zu erfahren, zu spüren, dass Freunde nicht zu einem stehen.<br />

Ein Kollege meines Mannes hat ganz deutlich gesagt, er könne mit der<br />

Situation nicht umgehen, werde ihn daher auch nichts fragen und möchte<br />

auch gar nichts wissen.<br />

Dies habe ich als fair empfunden, es war eine ehrliche Aussage.<br />

Grundsätzlich habe ich so ziemlich alle Reaktionen erlebt. Positive, wie auch<br />

negative.<br />

5. Wie erlebtest du die Ärzte, das Pflegepersonal/die Therapeuten und wie<br />

kamen die Angehörigen mit ihnen zurecht?<br />

<strong>Das</strong> Pflegepersonal war wirklich sehr gut. Es gab zwar 2, 3 Schwestern, die<br />

ich nicht ausstehen konnte, aber da gab ich einfach zu verstehen, dass ich<br />

von ihnen lieber nicht behandelt werden mochte. Aber ansonsten war das<br />

Pflegepersonal äusserst liebenswürdig und aufmerksam. Einmal kam ein<br />

Pfleger und fragte mich, ob er mir meine Beine rasieren soll. Zuerst dachte<br />

ich, dass es ja nun wirklich wichtigeres gäbe, war dann aber sehr erfreut über<br />

die nette Geste.<br />

38/56


Auch mein Mann hat das Pflegepersonal und die Ärzte sehr geschätzt, denn<br />

sie haben ihm immer alles erklärt und erzählt.<br />

Eine Woche nachdem ich ins Spital eingeliefert wurde, hatte ich Geburtstag<br />

und als Geburtstagsgeschenk wurde ich in ein Einzelzimmer verlegt und hatte<br />

eine Schwester, die immer für mich da war, da ich stets beobachtet werden<br />

musste.<br />

Ich denke, ich war auch eine eher spezielle Patientin für das Pflegepersonal.<br />

Ich war verhältnismässig jung, hatte ein kleines Kind und war über eine relativ<br />

lange Zeit dort. Die meisten anderen Patienten waren älter und verliessen das<br />

die Intensivstation nach ca. 3 Tagen wieder.<br />

Sie haben mich also sozusagen auch ein bisschen in ihr Herz geschlossen<br />

und der Kontakt wurde mit der Zeit sehr eng und persönlich.<br />

6. Welche Gefühle und Ängste hattest du in den verschiedenen Stadien der<br />

Krankheit?<br />

Anfangs hatte ich totale Panik, ich wusste nicht was mit mir geschieht.<br />

Es fiel mir sehr schwer glauben, was mir so viele einreden wollten: alles wird<br />

gut, du wirst schon sehen, das kommt schon wieder…<br />

Einmal kam dann eine Betroffene, sie hatte das <strong>GBS</strong> ungefähr vor 20 Jahren<br />

und hat mir gut zugeredet. Doch das hat mir nicht wirklich viel gebracht. Denn<br />

ich hatte meine Zweifel, dass es bei mir gleich verlaufen würde wie bei ihr. Es<br />

könnte doch sein, dass bei mir etwas anders abläuft und ich nicht mehr<br />

gesund werde. Ich glaube, meinem Mann und meiner Schwiegermutter hat es<br />

mehr geholfen, dass sie gekommen ist, als mir.<br />

Eine Zeit lang war ich also wirklich beinahe depressiv!<br />

Du bist eine Gefangene in deinem eigenen Körper. Du liegst da, hörst alles,<br />

kriegst alles mit, aber du kannst dich nicht mitteilen, du kannst nichts machen.<br />

Du bist völlig hilflos und darauf angewiesen, dass die anderen merken, dass<br />

du etwas möchtest bzw. nicht möchtest.<br />

7. Was waren deine Wünsche und Bedürfnisse während der Krankheit?<br />

Der grösste Wunsch war natürlich schnell wieder gesund zu werden.<br />

Auch ein grosses Bedürfnis war wieder einmal duschen oder baden zu gehen.<br />

<strong>Das</strong> Bedürfnis nach fliessendem Wasser. Ich liebte es zum Beispiel wenn sie<br />

(das Pflegepersonal) mir die Haare gewaschen haben. Es war zwar sehr<br />

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umständlich, aber unglaublich angenehm wieder einmal frisch gewaschene<br />

Haare zu haben.<br />

Eine Zeit lang hatte ich enorme Lust nach Coca Cola. Obwohl ich sonst nicht<br />

so gerne Cola trinke und ich ja eigentlich keinen Durst verspürte, da ich<br />

Infusionen hatte, hätte ich sehr vieles gegeben um eine Cola zu trinken.<br />

Deshalb habe ich es auch nicht ausgehalten, wenn jemand in meinem Zimmer<br />

etwas trank und habe den Besuchern zu verstehen gegeben, draussen zu<br />

trinken.<br />

8. Was hat dir gefehlt?<br />

Also zum Beispiel hat mir gefehlt, dass mich niemand „warnte“, dass man<br />

nicht mehr sprechen kann wenn man intubiert ist. Hätte ich das vorher<br />

gewusst, hätte ich meinem Mann vielleicht noch etwas sagen wollen.<br />

Ich bin also einfach aufgewacht am nächsten Morgen und brachte keinen Ton<br />

raus. <strong>Das</strong> war schon ein Schock.<br />

Ansonsten hat mir natürlich die Sprach gefehlt. Vermutlich wäre alles nicht so<br />

schlimm gewesen, wenn ich hätte reden können.<br />

Auch sehen konnte ich nicht mehr so gut. Mein Mann organisierte mir zwar<br />

einen Fernseher, doch ich sah die Filme nur verschwommen.<br />

Mein Mann brachte mir auch verschiedene Hörspiele, doch hatte ich grosse<br />

Panik davor, etwas, in diesem Fall die Kopfhörer, auf den Ohren zu tragen,<br />

denn dann hörte ich auch nichts mehr. Also wollte ich immer, dass man die<br />

Kopfhörer auf Kissen legt, ganz nah bei meinem Ohr.<br />

Um mich zu verständigen hatte ich eine Tafel mit Buchstaben drauf, die dann<br />

das Pflegepersonal oder der Besucher systematisch durchgegangen ist, um<br />

herauszufinden, was ich sagen wollte. Manchmal wurde ich richtig wütend,<br />

wenn mein Mann dann nicht sogleich wusste, was ich meinte. Ich dachte mir,<br />

dass das doch nun nicht so schwer sein könne, mich zu verstehen. Aber ich<br />

konnte meine Wut natürlich weder zeigen, noch rauslassen.<br />

Mir selbst war gar nicht bewusst, dass ich überhaupt keine Mimik mehr hatte,<br />

dass mein Gesicht starr war.<br />

9. Was hat dir gedient, geholfen?<br />

Gedient hat mir sicher, dass ich die holländische Sprache beherrschte.<br />

Obwohl ich ja nicht sprechen konnte, konnte ich zuhören, auch die Gespräche<br />

zwischen Arzt und Schwestern.<br />

40/56


Ansonsten war sicher mein Mann eine riesige Unterstützung. Er kam vor der<br />

Arbeit, nach der Arbeit und organisierte alles.<br />

Ich war ihm sehr dankbar, dass er mich so oft besuchte, denn das Schlimmste<br />

war, alleine zu sein.<br />

Irgendeinmal verspürst du auch keine Langeweile mehr, du liegst einfach da<br />

und ergibst dich deinem Schicksal. In deinem Kopf sind so viele Gedanken<br />

und am liebsten wäre mir manchmal gewesen, wenn mir jemand mit einem<br />

Gummihammer eins übergezogen hätte.<br />

Verrückt ist ja, dass ich mich immer wahnsinnig gefreut habe, wenn jemand<br />

gekommen ist, um mir z.B. eine Spritze zu verabreichen. Nicht wegen der<br />

Spritze habe ich mich so gefreut, sondern weil jemand zu mir kam und endlich<br />

wieder einmal etwas los war. So waren also eine solche Spritze oder das<br />

tägliche Waschen, der Höhepunkt vom Tag.<br />

Geholfen hat mir auch, dass ich einen routinierten Tag hatte, sprich ich wurde<br />

immer zur selben Zeit gewaschen, hatte zur selben Zeit Mittagsruhe.<br />

Mein Mann durfte abends bleiben so lange er wollte, was ja in einem Spital<br />

auch nicht selbstverständlich war.<br />

Am schlimmsten waren dann die Nächte, du bist alleine, kannst natürlich nicht<br />

schlafen, denn du hast ja schon den ganzen Tag im Bett verbracht. Du hörst<br />

auch überhaupt nichts, alles ist still und es passiert einfach nichts. Dann hab<br />

ich immer sehnlichst auf meinen Mann gewartet, der immer vor der Arbeit kurz<br />

vorbei kam.<br />

Ich war wirklich gar nicht gerne alleine. Es war mir auch nicht so wichtig, dass<br />

die gelegentlichen Besucher immer redeten, es war mir viel wichtiger, dass<br />

einfach jemand da war. Ich habe es auch sehr geschätzt, wenn jemand seine<br />

Gefühle zeigen konnte und vielleicht einfach mal an meinem Bett geweint hat.<br />

10. Was gab Hoffnung und Aussicht auf Besserung?<br />

Ich hatte einen sehr guten Physiotherapeuten. Er kam schon ziemlich bald,<br />

um mit mir Übungen zu machen und nach gewisser Zeit sah ich jeden Tag<br />

neue, wenn auch nur ganz kleine Fortschritte.<br />

Ich hatte also beinahe jeden Tag ein kleines Erfolgserlebnis.<br />

Diese Erfolgserlebnisse konnte ich dann immer am Abend meinem Mann<br />

vorführen.<br />

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11. a) Hast du dich oft gefragt, warum gerade „ich“ diese Krankheit erleiden<br />

muss? Hast du eine Antwort darauf gefunden?<br />

Ja, gefragt hab ich mich dies natürlich. Aber eine Antwort habe ich keine<br />

gefunden. Ich denke schon, dass es etwas Psychisches sein könnte.<br />

Körperlich war ich ja fit. <strong>Das</strong>s ich den frühen Verlust meiner Eltern<br />

verdrängt habe könnte schon einen Einfluss gehabt haben.<br />

b) Hat dich die Frage: ‚Warum immer/gerade ich?’ speziell beschäftigt,<br />

da die Krankheit nicht dein erster Schicksalsschlag war?<br />

Ja, ich habe mich gefragt, warum ich jetzt auch DAS noch erleiden muss.<br />

Oft habe ich auch mit meinen Eltern im Himmel „geschimpft“, ich war der<br />

Meinung, dass sie besser auf mich aufpassen müssten.<br />

Im Nachhinein denke ich, sie haben mir dabei geholfen so schnell wieder<br />

gesund zu werden und keine Langzeitschäden von der Krankheit zu<br />

tragen.<br />

12. Hast du in dieser Zeit den Lebensmut verloren? Warst du wütend, traurig<br />

oder hast du dich deinem Schicksal ergeben?<br />

Wütend war ich eigentlich nie, ausser auf meine Eltern und alle, die im Himmel<br />

waren, dass sie nicht besser auf mich aufgepasst haben.<br />

Ich war sehr verzweifelt. Einmal kam eine Psychologin zu mir, zu diesem<br />

Zeitpunkt war ich wirklich auf der Kippe, ich konnte einfach nicht mehr. Man<br />

könnte sich übrigens nicht einmal selber umbringen, man kann sich ja<br />

überhaupt nicht bewegen.<br />

Aber diese Psychologin hat mir eigentlich auch nicht weiter geholfen, da<br />

natürlich kein Gespräch zustande kommen konnte.<br />

In der Reha hatte ich noch mal psychologische Hilfe, da hat es mehr genützt.<br />

Manchmal gab es wirklich so Phasen, wo du einfach schwarz siehst und dir<br />

überlegst was du eigentlich hier machst.<br />

13. Hast du Angst vor einer Wiederholung?<br />

Hat deine Angst abgenommen oder schwankt dieses Gefühl?<br />

Ja, ich habe Angst. Die Angst ist zwar immer da, aber natürlich nicht immer<br />

voll präsent. Einmal, als wir in Singapoor lebten, hatte ich ganz starke<br />

Rückenschmerzen, ungefähr zwei Tage lang.<br />

Und da hatte ich natürlich schon Angst, oh Gott jetzt beginnt es wieder.<br />

42/56


Ich bin also sogleich zu einem Osteopath gegangen, welcher wirklich sehr gut<br />

war und mich beruhigte. Es war dann also auch kein <strong>GBS</strong>.<br />

Vor allem mein Mann sorgt sich immer sofort, wenn ich sage, dass ich<br />

irgendwo schmerzen habe. Ich denke allgemein war die Zeit, in der ich im<br />

Spital war, für ihn beinahe schlimmer. Denn er konnte einfach nichts tun.<br />

1<strong>4.</strong> Was weißt du über Wiederholungsrisiken, über Dein Risiko?<br />

So viel ich weiss, also das hab irgendwo mal gelesen, haben solche, die<br />

schon einmal betroffen waren die grösseren Chancen nochmals <strong>GBS</strong> zu<br />

bekommen.<br />

Aber das heisst jetzt nicht, dass ich Tag für Tag Angstzustände habe.<br />

Klar habe ich meinen Lebensstil etwas geändert, wenn ich zum Beispiel müde<br />

bin, dann setze ich mich hin und mache eine Pause. Oder wenn ich abends<br />

gerne schlafen gehen würde, aber noch eine Wäsche machen sollte, geh ich<br />

ins Bett, um mich auszuruhen. Früher hätte ich das nicht gemacht, früher hab<br />

oft viel zu viel gemacht und nicht richtig auf meinen Körper gehört.<br />

Vorsichtiger bin ich nun auch zum Beispiel bei den Impfungen. Diese Zecken-<br />

oder Grippenimpfung würde ich heute nie machen, denn es ist bekannt, dass<br />

solch eine Impfung <strong>GBS</strong> auslösen kann.<br />

Auf solche Sachen haben wir früher natürlich nicht geachtet.<br />

15. Welche Ratschläge und Empfehlungen kannst du einem Betroffenen auf<br />

den Weg geben?<br />

Wichtig ist, dass man die Betroffenen nicht alleine lässt!<br />

<strong>Das</strong>s nah stehende Angehörige dem Betroffenen helfen diese schwere Zeit<br />

durchzustehen.<br />

Wichtig ist auch, dass sie Gefühle zeigen können. <strong>Das</strong>s die Besucher an dein<br />

Bett kommen und weinen, denn dann siehst du, wie nah es ihnen geht.<br />

Wenn man da ist für den Betroffenen hilft ihm das sehr viel. Wenn man ihn<br />

zum Beispiel wäscht…oder ich mochte es, wenn mir jemand die Hände oder<br />

Füsse massiert hat. Mir persönlich hat der Körperkontakt gut getan.<br />

Es war schön zu wissen, dass sich jemand um mich kümmerte und sich Zeit<br />

für mich nahm.<br />

43/56


16. Weitere Anmerkungen?<br />

Ja, ich hätte da noch was, was irgendwie witzig und auch interessant ist.<br />

Ich wurde ja am 13. Mai 2005 (es war übrigens Freitag der 13. !!!) ins Spital<br />

eingeliefert und genau ein Jahr später, genau wieder am 13. Mai, wurde<br />

unsere Tochter gezeugt.<br />

Man sieht also, das Leben geht weiter. 2005 ist ein schrecklicher Tag, nichts<br />

geht, es geht mir furchtbar schlecht. Und ein Jahr später wird ein neues<br />

Leben, ein gesundes Kind gezeugt.<br />

Nach der Krankheit lebt man alles wieder bewusster, man ist dankbar für alles<br />

und wenn etwas ärgerlich ist, regt man sich nicht so auf, sondern besinnt sich<br />

wieder: Hauptsache wir sind alle gesund.<br />

Aber mit der Zeit, man kann gar nichts tun, fällt man wieder in die alten Muster<br />

zurück und man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass wir dankbar<br />

sein können, gesund zu sein.<br />

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Interview mit Susanne<br />

1. Kannst du mir mitteilen welchen Beruf, welches Alter und welche<br />

persönliche Lebenssituation du vor der Krankheit gehabt hast?<br />

War 31 Jahre alt, arbeitete seit 11 Jahren auf der Intensivstation.<br />

Seit 2005 in Nottwil. Davor in Deutschland. Lebte alleine in einer<br />

2-Zimmerwohnung und genoss meine Freizeit. Fuhr Motorrad, ging klettern,<br />

tanzen, unternahm viel mit Freunden. Hatte aber schon einige<br />

Schicksalsschläge (unter anderem einen sehr schweren Autounfall) hinter mir.<br />

2. Wie hat deine Krankheit begonnen und nach wie langer Zeit wurde die<br />

Diagnose <strong>GBS</strong> gestellt?<br />

Mein <strong>GBS</strong> begann mit einem Taubheitsgefühl am rechten grossen Zeh. Ich<br />

war zu diesem Zeitpunkt auf einem Anästhesiekongress in Bremen. Innerhalb<br />

von 2 Tagen stieg die Lähmung bis zu den Knien. Da wusste ich selber, dass<br />

es entweder ein <strong>GBS</strong> oder MS sein musste. Am dritten Tag wurde ich ins<br />

Universitätsspital Mainz gebracht und wir hatten die Diagnose innerhalb von<br />

30min.<br />

3. Wie war dein Krankheitsverlauf? (in Stichworten)<br />

-innerhalb 4 Tagen von Taubheitsgefühl bis zur kompletten Lähmung<br />

-Beatmung und Intensivstation für 3 Wochen<br />

-Cortisontherapie, Eiweisstherapie und 6 mal Plasmapharese<br />

-dann schnelle Besserung<br />

-Verlegung nach Nottwil<br />

-lernte innerhalb 3 Wochen Rollstuhl fahren und laufen<br />

-sehr schnelle Erholung<br />

-nach 5 Monaten stand ich wieder im Arbeitsleben<br />

<strong>4.</strong> Welches waren deine ersten Gedanken als du von der Diagnose <strong>GBS</strong><br />

erfahren hast?<br />

Oh Gott bitte nicht so wie Frau L. (eine Patienten, die ich lange<br />

betreut habe). Es wird wohl nicht so schlimm kommen. War ganz ruhig und<br />

überlegt. Bereitete mich und meine Familie auf das Schlimmste vor.<br />

5. Wie war die Reaktion deiner Familie und Freunde auf diese Diagnose?<br />

Zuerst haben sie nur Bahnhof verstanden, ich erzählte von einer<br />

neurologischen Erkrankung, dann erkundigten sich alle bis ins kleinste Detail<br />

über die Erkrankung. Echt irre was mein Umfeld alles darüber wusste.<br />

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6. Wie erlebtest du das Pflegepersonal und wie kamen die Angehörigen mit<br />

dem Pflegepersonal zurecht?<br />

Hatte bis auf eine kleine (für mich ganz grosse) schlechte, nur gute<br />

Erfahrung mit dem Pflegepersonal. Fühlte mich überwiegend verstanden und<br />

ernst genommen. Meine Eltern waren sehr positiv überrascht vom Pflege-<br />

personal auf der IPS, es waren teilweise Freunde von mir. Sie waren ja<br />

völlig ausgeliefert und mussten ihnen komplett vertrauen. Sie fühlten<br />

sich sehr gut aufgehoben.<br />

7. Welche Gefühle und Ängste hattest du in den verschiedenen Stadien der<br />

Krankheit?<br />

Zuerst dachte ich, dass es nicht so schlimm kommen würde und wollte nicht<br />

intubiert werden, als es mir aber schlechter ging, liess ich es über<br />

mich ergehen. Verfasste aber mit dem Anästhesisten noch eine<br />

Patientenverfügung, die ich vorher schon hatte.<br />

Wollte nicht als Pflegefall enden. Dann lieber sterben.<br />

8. Was waren deine Wünsche und Bedürfnisse während der Krankheit?<br />

Wollte einfach nur ganz schnell wieder fit werden und habe gekämpft,<br />

wie eine Irre. Wollte ernst genommen werden und mitreden, wie es weiter<br />

geht. Wollte keine bleibenden Schäden behalten.<br />

Ein Leben im Rollstuhl hätte ich mir vorstellen können, dass war nicht<br />

das Schlimmste. Für mich war eine dauerhafte Beatmung die Grenze zum<br />

nicht mehr leben wollen.<br />

9. Was hat dir gefehlt?<br />

Mir hat gefehlt, dass ich mir selbst keine Zeit gegeben habe, dass ich<br />

nicht auf andere gehört habe. Manchmal war der Therapieplan und der ganze<br />

Besuch zu viel, konnte mich kaum erholen.<br />

10. Was hat dir gedient, geholfen?<br />

Gedient haben mir mein Wissen und all die netten Menschen, die mir geholfen<br />

haben. Freunde und Familie sind ganz wichtig in dieser Phase, aber auch die<br />

Zeit, die man für sich alleine hat.<br />

11. Was gab Hoffnung und Aussicht auf Besserung?<br />

Die schnelle Erholung war eine grosse Hoffnung, konnte zusehen, wie<br />

alles wieder kam. Mein Alter gab mir auch Hoffnung, dass ich Chancen auf<br />

eine komplette Erholung habe.<br />

46/56


12. Hast du dich oft gefragt, warum gerade „ich“ diese Krankheit erleiden<br />

muss? Hast du eine Antwort darauf gefunden?<br />

Nein, dass habe ich mich nie gefragt, wusste sofort warum ich es be-<br />

kommen musste. Die ganzen Warnungen, die ich Jahre vorher erhalten<br />

habe, nahm ich nicht ernst. Die Warnungen waren zwei Bandscheibenvorfälle,<br />

ein sehr schwerer Autounfall, habe mich mit einem offenen Carpriolet auf der<br />

Autobahn mehrmals überschlagen...und habe immer einfach voll Power weiter<br />

gemacht. Ich hörte einfach nicht auf meinen Körper,<br />

der schon lange sagte, ich kann nicht mehr, pass auf mich auf.<br />

13. Hast du in dieser Zeit den Lebensmut verloren? Warst du wütend, traurig<br />

oder hast du dich deinem Schicksal ergeben?<br />

War nie wütend oder traurig, packte vom ersten Moment die Situation<br />

an und machte einfach das Beste daraus. War einfach nur am kämpfen.<br />

1<strong>4.</strong> Hast du Angst vor einer Wiederholung?<br />

Hatte ich am Anfang schon, auch heute wenn ich immer mal wieder<br />

Gefühlsstörungen habe, denke ich mal kurz daran. Angst ist es aber nicht.<br />

Wenn ich es heute noch mal durchmachen müsste, würde ich einige Dinge<br />

anders machen.<br />

15. Welche Ratschläge und Empfehlungen kannst du einem Betroffenen auf<br />

den Weg geben?<br />

Hör auf Deinen Körper, er spricht mit Dir. Gib dir Zeit und lass den<br />

Kopf nicht hängen. Der Körper nimmt sich die Zeit, die er braucht.<br />

Eine solche Erkrankung geht nicht spurlos an einem vorbei, man wird<br />

sich verändern und nie wieder der alte Mensch sein.<br />

Was aber auch Vorteile hat, möchte gar nicht mehr so sein, wie früher.<br />

16. Weitere Anmerkungen?<br />

Alles ist für irgendwas gut. So eine Krankheit muss man nicht unbedingt<br />

erleben, hat aber auch ganz viel positive Seiten.<br />

Für einen selber und es bringt die Familie näher zusammen und macht<br />

einen Menschen nachdenklicher. Bin dankbar dafür.<br />

47/56


Interview mit Nadja<br />

1. Kannst du mir mitteilen welchen Beruf, welches Alter und welche<br />

persönliche Lebenssituation du vor der Krankheit gehabt hast?<br />

Ich habe vor meiner Krankheit als Lehrerin gearbeitet (100% Pensum) und<br />

war 26 Jahre alt. Erkrankt bin ich im Juli 2001, nach vierjähriger Tätigkeit als<br />

Lehrperson. Meine Lebenssituation war gerade im Umbruch: Ich hatte im<br />

Dezember 2000 meinen jetzigen Mann kennen gelernt, mich Kopf über Hals<br />

verliebt und hätte am 8. Juli eine einjährige Weltreise antreten sollen.<br />

2. Wie hat deine Krankheit begonnen und nach wie langer Zeit wurde die<br />

Diagnose <strong>GBS</strong> gestellt?<br />

Die Krankheit begann mit den typischen Symptomen: Kribbeln in den Finger-<br />

und Zehenspitzen, Unwohlsein (grippeähnliche Symptome) und zum ersten<br />

Mal überhaupt Rückenschmerzen. Am Montag begannen die ersten<br />

Anzeichen. Am Mittwoch ging ich in eine Apotheke und erhielt Berocca. Am<br />

Donnerstagabend wollte ich mich für die Schulschlussfeier umziehen und<br />

stellte fest, dass ich meine Arme nicht heben konnte. Mein Mann brachte mich<br />

in die Notaufnahme des Kantonsspitals Baden. Wir befürchteten einen<br />

Zeckenstich, da wir in der Woche zuvor mit meiner Klasse im Jura zelten<br />

waren. Der Oberarzt (jung und arrogant) meinte, ich sei wegen der<br />

bevorstehenden Weltreise aufgeregt und würde zu schnell atmen, dadurch<br />

würden sich meine Muskeln zusammenziehen; der Grund warum ich meine<br />

Arme nicht heben könnte. Er verschrieb mir Temesta (ein Beruhigungsmittel,<br />

das in der Psychiatrie abgegeben wird). Der letzte Schultag am Freitag war<br />

schlimm; meine Beine knickten beim Gehen ein. Als ich am Samstagmorgen<br />

mit einer halbseitigen Gesichtslähmung aufwachte, gingen wir zum Notfallarzt,<br />

der mich in das Universitätsspital Zürich einwies, mit Verdacht auf Hirnschlag.<br />

3. Wie war dein Krankheitsverlauf? (wie etwa: erste Symptome, Diagnose,<br />

Spitalaufenthalt oder Aufenthalt in einem Rehabilitationszentrum, Pflege<br />

und Therapie im Spital / Reha-Zentrum, Therapie ambulant � in<br />

Stichworten)<br />

Montag, 2. Juli 2001: erste Anzeichen<br />

Mittwoch, <strong>4.</strong> Juli: Gang zur Apotheke<br />

Donnerstag, 5. Juli: Notaufnahme Spital Baden<br />

48/56


Samstag, 7. Juli: Notfallarzt, Einweisung in Universitätsspital Zürich, sofortige<br />

Diagnose eines deutschen Oberarztes, der zufällig dort auf Besuch war.<br />

Lombalpunktion und Beginn der Immunoglobulintherapie (10 Tage)<br />

Dienstag, 10. Juli: Tiefpunkt erreicht, Beatmung wurde diskutiert, zum Glück<br />

aber ganz knapp nicht notwendig. Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie.<br />

1. August 2001: Eintritt in die Rehaklinik Bellikon. Ergotherapie,<br />

Physiotherapie, Maltherapie, Schwimmtherapie.<br />

Austritt am 15. März 2002. Danach bis heute ambulante Physiotherapie.<br />

<strong>4.</strong> Welches waren deine ersten Gedanken bei den ersten Symptomen, bei<br />

der Diagnose, im Spital?<br />

Als Erstes dachte ich, dass ich am Freitag (13. Juli) den Flug nicht verpassen<br />

wollte, da meine Freundin in Indonesien auf mich wartete. Danach ging es mir<br />

so schlecht, dass mir ziemlich alles egal war. Ich verstand nicht, was<br />

passierte, ausser dass ich langsam die Kontrolle über meinen Körper verlor.<br />

Kein Arzt hat mir erklärt, was mit mir passiert bzw. passieren würde.<br />

5. Dein 1. Gedanke überhaupt?<br />

Scheisse (�). Hoffentlich kann ich am Freitag fliegen.<br />

6. Wie war die Reaktion deiner Familie und Freunde?<br />

Bestürzung, Ungewissheit und Angst. War mit der Situation und der<br />

mangelnden Erklärungen der Ärzte überfordert.<br />

7. Wie erlebtest du die Ärzte, das Pflegepersonal/die Therapeuten und wie<br />

kamen die Angehörigen mit ihnen zurecht?<br />

Die Ärzte wurden ihrem Ruf als „Unnahbare im weissen Kittel“ gerecht.<br />

Schade! Sie versäumten es, uns über die Krankheit zu informieren, die <strong>GBS</strong>-<br />

Website (damals nur von Deutschland) anzugeben, uns auf die zukünftige,<br />

schwierige Zeit vorzubereiten. Ein Oberarzt kam zu mir und meinte, meine<br />

Beatmung würde bald ausfallen, dass 5% an dieser Krankheit sterben und<br />

dass er mir ein Bett in der Intensivstation reserviert hätte…<br />

Bei meinem Eintritt in der Reha meinte der Neurologe, ich könne in drei<br />

Wochen nach Hause. Wie oben geschrieben, weilte ich 8 Monate (!!!) in der<br />

Reha.<br />

<strong>Das</strong> Pflegepersonal in der Reha übte ihre Macht aus („Machen Sie es doch<br />

selber, das können Sie schon“; und klatschten pseudomässig bei etwas<br />

49/56


Gelungenem in die Hände). Die Physio- und Ergotherapeutinnen waren sehr<br />

kompetent.<br />

8. Welche Gefühle und Ängste hattest du in den verschiedenen Stadien der<br />

Krankheit?<br />

Zuerst war die Angst (was geschieht mit mir?). Dann folgte die Verzweiflung<br />

und Wut (warum ich?), dann die Resignation (das schaffe ich nie), gefolgt<br />

(zum Glück) vom Lebenswillen (das schaffe ich) hin zur Akzeptanz (das wird<br />

schon einen Grund haben, ich nehme es an und mache das Beste daraus,<br />

was ergeben sich für neue Wege?).<br />

9. Was waren deine Wünsche und Bedürfnisse während der Krankheit?<br />

Viel Ruhe. Freunde, die mich unterstützen, keine dummen Sprüche wie:<br />

„Schau mal, es könnte viel schlimmer sein“ (für mich war es das Schlimmste).<br />

Anrufen, bevor man vorbei kommt (ist nett gemeint, kann aber wirklich zu viel<br />

sein, nach einem ganzen Tag Therapie).<br />

10. Was hat dir gefehlt?<br />

Ganzheitliche Behandlungsformen in der Reha (Fussreflex, Massagen,<br />

Akupunktur, Bioresonanz usw), gesunde Ernährung!<br />

11. Was hat dir gedient, geholfen?<br />

Mein Mann, meine Freunde, die Bezugspersonen der Ergo- und<br />

Physiotherapie. Briefe und Päckli zu bekommen, der Austausch mit <strong>GBS</strong>-<br />

Betroffenen.<br />

12. Was gab Hoffnung und Aussicht auf Besserung?<br />

Die sehr kleinen Erfolge, zum Beispiel dass ich plötzlich mit dem Rollator zwei<br />

Meter weiter kam, dass die Augenklappen nach einem Monat nicht mehr<br />

notwendig waren, da ich von selber meine Augen schliessen konnte, als nach<br />

1,5 Jahren das lästige Kribbeln im ganzen Körper aufhörte und ich nicht wie<br />

ein Brett auf dem Rücken liegen musste…<br />

13. Hast du dich oft gefragt, warum gerade „ich“ diese Krankheit erleiden<br />

muss? Hast du eine Antwort darauf gefunden?<br />

Ja, ich denke schon. Für mich war die Krankheit ein Wegweiser. Ich lernte, auf<br />

meinen Körper zu hören, nehme mich besser wahr, bin jeden Tag dankbar,<br />

lebe bewusster und tue nichts, das ich nicht tun will. Ich sehe die Schnecken<br />

am Wegrand und freue mich über schöne Schneeflocken. Ich pflege meine<br />

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Beziehungen und bin ehrlich und konsequent. Ich bin überzeugt, dass solche<br />

Schicksalsschläge einem etwas aufzeigen wollen.<br />

1<strong>4.</strong> Hast du in dieser Zeit den Lebensmut verloren? Warst du wütend, traurig<br />

oder hast du dich deinem Schicksal ergeben?<br />

Ja, eine Zeitlang im Spital und zu Beginn in der Reha wäre es mir gleich<br />

gewesen, am nächsten Morgen nicht aufzuwachen. Ich hätte mir nie etwas<br />

antun können, aber wenn eine kleine Fee mir einen Zaubertrank gegeben<br />

hätte, hätte ich ihn getrunken. Ich war manchmal etwas depressiv, vor allem in<br />

Zeiten wo keine Fortschritte sichtbar waren.<br />

15. Was weißt du über Wiederholungsrisiken, über Dein Risiko?<br />

Es besteht die Möglichkeit, diese ist aber gering. Aber auch <strong>GBS</strong> zu<br />

bekommen, ist gering! Ich kenne zwei Männer, einer hatte vier Mal <strong>GBS</strong>, der<br />

andere zwei Mal; innert wenigen Jahren.<br />

16. Hast du Angst vor einer Wiederholung?<br />

Zu Beginn viel mehr als jetzt nach acht Jahren. Als ich mich früher<br />

überforderte, kam das Kribbeln zurück und damit auch die Angst, weil dies die<br />

ersten Anzeichen waren. Heute denke ich, dass ich viel besser informiert<br />

wäre. Es wäre nicht weniger schlimm, aber ich hätte ein breites Netz (<strong>GBS</strong><br />

Initiative Schweiz).<br />

17. Welche Ratschläge und Empfehlungen kannst du einem Betroffenen auf<br />

den Weg geben?<br />

Geduld, Geduld, Geduld! Konsequent die Therapien durchführen, mit<br />

Betroffenen reden und sich austauschen. Ängste ansprechen, mit dem Partner<br />

und der Familie darüber reden. Gefühle zulassen.<br />

18. Weitere Anmerkungen?<br />

Keine.<br />

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Interview mit Irene<br />

1. Kannst du mir mitteilen welchen Beruf, welches Alter und welche<br />

persönliche Lebenssituation du vor der Krankheit gehabt hast?<br />

Ich heisse Iris Ammann und bin am 8.Januar 1990 in Reussbühl (LU) geboren.<br />

Ich bin die älteste von drei Töchtern und lebe mit meinen Eltern und zwei<br />

Katzen in Reussbühl. Nach sechs Jahren Primarschule, besuche ich nun die<br />

Kantonsschule in Reussbühl und lege diesen Sommer die Maturaprüfungen<br />

ab. Vor meiner Krankheit machte ich viel Sport. Ich war aktiv im Judo und Jiu<br />

Jitsu, Mitglied bei der Jubla, der Help (Jungsamariterverein) und bei den<br />

Ministranten, nahm Sologesangunterricht und machte gemeinsam mit meiner<br />

Familie viele Kletter- und Wanderausflüge. Heute betreibe ich eindeutig<br />

weniger Hobbies, bin aber immer noch mit Leidenschaft Jubla- und<br />

Helpleiterin.<br />

2. Wie hat deine Krankheit begonnen und nach wie langer Zeit wurde die<br />

Diagnose <strong>GBS</strong> gestellt?<br />

Ich verbrachte im Sommer 2004 mit meiner Familie und meiner besten<br />

Freundin zwei Wochen Zeltferien in Vallorb. Dort erkrankten wir alle an einem<br />

Magen-Darm-Grippevirus. Die meisten klagten über Kopfschmerzen, Übelkeit<br />

und Erbrechen. Ich war ca. 2-3 Tage krank, konnte aber die darauf folgende<br />

Woche völlig gesund das neue Schuljahr (2.Kanti) starten. Am darauf<br />

folgenden Wochenende litt ich sehr an Muskelkater (wegen des harten<br />

Trainings) und dachte mir darum nichts als ich an diesem Sonntag kaum recht<br />

gehen konnte und die geplante Wanderung mit meinen Eltern frühzeitig<br />

beendete. Ich machte mir erst Sorgen, als ich am Montagmorgen auf dem<br />

Schulweg nicht mehr richtig Fahrradfahren konnte (konnte das Gleichgewicht<br />

nicht halten) und etwa das Dreifache der Zeit braucht um in die Schule<br />

zugelangen. In der Schule fiel mir das Treppensteigen und das Schreiben sehr<br />

schwer und ich fühlte mich einfach nur schwach. Zuhause, bemerkte ich dann<br />

bei meinen Dehnübungen, dass ich nicht mehr die Hocke machen konnte,<br />

geschweige dann meine Zehen bewegen. Am nächsten Morgen ging ich dann<br />

zum Arzt, welcher mich sofort in das Kinderspital in Luzern einlieferte. Dort<br />

wurde nach vielen Tests die Diagnose <strong>GBS</strong> gestellt. Die Ursache war<br />

wahrscheinlich der Magen-Darmgrippevirus der eine Autoimmunreaktion<br />

ausgelöst hat. Zum Höhepunkt meiner Krankheit konnte ich nicht meine Zehen<br />

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und meinen Fussheber (Fusshebeschwäche) bewegen, meine Finger nicht<br />

strecken und nicht selbständig Gehen, weil ich das Gleichgewicht nicht halten<br />

konnte.<br />

3. Wie war dein Krankheitsverlauf? (wie etwa: erste Symptome, Diagnose,<br />

Spitalaufenthalt oder Aufenthalt in einem Rehabilitationszentrum, Pflege<br />

und Therapie im Spital / Reha-Zentrum, Therapie ambulant � in<br />

Stichworten)<br />

o 30.08.2004 Einlieferung in das Kinderspital des Kanton Luzerns.<br />

o Fünf Tage Immunglobulintherapie<br />

o Nach einer Woche Spitalaufenthalt wurde ich frühzeitig entlassen,<br />

wegen „Krankenhausdepressionen“. (Ich konnte nicht Schlafen, wegen<br />

den Medikamenten, den zu kleinen Betten im Kinderspital, den<br />

Muskelkrämpfen und der fremden Umgebung. Ich konnte auch nichts<br />

Essen, weil ich einfach keinen Hunger hatte und mich immer wieder<br />

Übergeben musste. Ich konnte nicht mal Fernsehen oder Gamen, weil<br />

ich auf nichts mehr Lust hatte. Aus diesen Gründen durfte ich nach<br />

Hause, musste aber täglich zum Untersuch und zur Therapie. Ich<br />

bekam aber keine Tabletten gegen die Depressionen.)<br />

o Ein halbes Jahr intensiv Physiotherapie (drei- bis viermal wöchentlich).<br />

o Dann weitere zwei Jahre Physiotherapie (nur noch einmal oder zweimal<br />

in der Woche)<br />

o Begleitend machte ich noch ein Jahr lang Feldenkraistherapie zur<br />

Entspannung und Lockerung der Muskeln<br />

<strong>4.</strong> Welches waren deine ersten Gedanken bei den ersten Symptomen, bei<br />

der Diagnose, im Spital?<br />

Ja, wenn ich wieder Zuhause bin ist wieder alles gut.<br />

5. Dein 1. Gedanke überhaupt?<br />

Dito<br />

6. Wie war die Reaktion deiner Familie und Freunde?<br />

Viele waren zuerst geschockt, weil ich nicht mehr richtig gehen konnte und<br />

sehr viel abgenommen hatte. Aber alle unterstützen mich, vor allem aber<br />

meine beste Freundin, die mich faste ein Jahr lang immer in die Physio<br />

begleitet hat. Meine jüngere Schwester hatte am Anfang ein Problem damit,<br />

dass meine Eltern viel Zeit im Spital verbrachten und sie sich viel um mich<br />

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kümmerten. Aber mit der Zeit wurde ich immer selbständiger und meine<br />

Schwester lernte auch wie sie mit meiner Krankheit umgehen musste.<br />

7. Wie erlebtest du die Ärzte, das Pflegepersonal/die Therapeuten und wie<br />

kamen die Angehörigen mit ihnen zurecht?<br />

Eigentlich waren alle sehr hilfsbereit und freundlich, aber dass änderte auch<br />

nichts daran dass ich mich im Spital nicht wohlgefühlt habe.<br />

8. Welche Gefühle und Ängste hattest du in den verschiedenen Stadien der<br />

Krankheit?<br />

Am Anfang hatte ich ein Problem damit, dass mich alle auf der Strasse so<br />

dumm angesehen haben, weil ich nicht richtig laufen konnte. Auch machte ich<br />

mir immer Gedanken, was andere über mich denken. <strong>Das</strong>s solche Sachen<br />

gesagt werden wie „ Schau dort, ein Invalider“ oder „ Ach, die Arme ist<br />

behindert“. Ich wünschte mir manchmal einfach einen Gips oder irgendetwas,<br />

das den Leuten zeigte, dass ich nicht geistig Behindert bin, sondern nur für<br />

eine gewisse Zeit körperlich eingeschränkt.<br />

Ich hatte auch Angst Sachen wieder auszuprobieren, welche ich früher mit<br />

Leichtigkeit gemeistert hatte (zum Beispiel das Snowboarden, ein Rad<br />

schlagen oder Schlittschuh laufen). Früher war ich einfach gut im Sport und<br />

musste nicht viel dafür machen und heute muss ich üben und mich immer<br />

wieder aufs Neue dazu überwinden. Oftmals hab ich heute beim Sport den<br />

Gedanken „Man Irene, wieso stellst du dich so dumm an, früher wäre dass<br />

kein Problem gewesen“. Es war Anfangs einfach schwierig für mich, nicht<br />

mehr ein“ Gewinnertyp“ zu sein, aber heute weiss ich wo meine anderen<br />

Stärken liegen.<br />

9. Was waren deine Wünsche und Bedürfnisse während der Krankheit?<br />

Am Anfang hat mir sehr der Sport gefehlt und es war bitter den anderen beim<br />

Turnunterricht zu zusehen. Auch dass ich sehr gehinkt habe war als 15-<br />

Jährige nicht immer leicht. Ich wünschte mir damals irgendein Mittel oder eine<br />

Gehhilfe, damit ich mich wieder einigermassen normal Fortbewegen konnte<br />

und ich in der Masse nicht so auffiel.<br />

10. Was hat dir gefehlt?<br />

Gefehlt hat mir einen genauen Rat der Ärzte. Es hiess immer „Ja machen sie<br />

die Therapie, die ihnen gut tut.“ Ich musste immer wieder selber entscheiden<br />

wie viel Physiotherapie ich machen will, welche Therapien evt. nützlich sind<br />

54/56


und wie ich meine Genesung gestalten möchte. Man fragt sich dann halt oft<br />

„Sollte man mehr machen?“ oder „Überfordere ich mich?“. Aber die Tatsache<br />

ist halt, dass man selber nicht mal so viel machen kann, sondern abwarten<br />

muss und schauen wie weit sich der Körper von dieser Krankheit erholen<br />

kann.<br />

11. Was hat dir gedient, geholfen?<br />

Nützlich ist auf jeden Fall, wenn man mit einem Aussenstehenden über all<br />

seine Sorgen und Ängste sprechen kann. Meine Feldenkraistherapeutin hat<br />

mit mir viel über die Krankheit, meine Gefühle und Wünsche gesprochen und<br />

hat mir so nicht nur körperlich, sondern auch seelisch sehr geholfen.<br />

12. Was gab Hoffnung und Aussicht auf Besserung?<br />

Mein Krankheitsverlauf war Anfangs sehr viel versprechend und man sprach<br />

davon, dass ich in ca. einem Jahr wieder vollständig gesund sein könnte.<br />

Nach zwei Jahren konnte ich zwar meine Zehen wieder bewegen, jedoch nicht<br />

auf den Zehenspitzen gehen und normal laufen. Ich war immer vollkommen<br />

davon überzeugt davon, dass ich wieder ganz gesund werde, bis zum<br />

Zeitpunkt an dem mir der Arzt nach zwei Jahren gesagt hat, dass die<br />

Aussichten auf eine vollständige Genesung sehr klein sind und ich mich<br />

vielleicht nach „Gehhilfen für Behinderte“ umsehen sollte. <strong>Das</strong>s war wie ein<br />

Schlag in Gesicht! Ich holte dann eine zweite Meinung ein und dieser Arzt<br />

meinte es bestehe immer noch die Möglichkeit auf eine Besserung, aber sie<br />

wird von Jahr zu Jahr kleiner. Und Tatsächlich, heute kann ich einige Meter<br />

auf den Zehenspitzen gehen und spüre im Alttag kaum noch etwas von<br />

meiner Krankheit. Klar kann ich nicht mehr den Sport betreiben, den ich früher<br />

betrieben habe, aber es geht schon so gut, damit ich zufrieden leben kann.<br />

Meine Hoffnung, dass es jetzt noch mal besser wird ist sehr klein, aber der<br />

Gedanke, mit diesen kleinen Handicaps den Rest meines Lebens zu<br />

verbringen, stört mich nicht mehr sehr.<br />

13. Hast du dich oft gefragt, warum gerade „ich“ diese Krankheit erleiden<br />

muss? Hast du eine Antwort darauf gefunden?<br />

Ja, vor allem am Anfang. „ Wieso gerade ich und nicht jemand der eh nur zu<br />

Hause vor dem TV sitzt?“, „Wären wir nicht nach Vallorb in die Ferien, dann<br />

wäre ich heute gesund“ oder „ Wieso habe ich gerade das <strong>GBS</strong> bekommen<br />

und nicht jemand anders der diese Magen-Darmgrippe auch hatte?“ solche<br />

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Fragen stellt man sich sehr viele. Aber heute sehe ich auch die positiven<br />

Seiten der Krankheit. Durch das <strong>GBS</strong> habe ich auch meinen jetzigen Freund<br />

kennen gelernt und viel Lebenserfahrungen und wahre Freunde gewonnen.<br />

Auch habe ich gelernt das Leben viel mehr zu schätzen, weil ich jetzt weiss,<br />

was es bedeutet einen Teil nicht mehr davon zu haben (Man weiss erst was<br />

man hat, wenn man es nicht mehr hat!).<br />

1<strong>4.</strong> Hast du in dieser Zeit den Lebensmut verloren? Warst du wütend, traurig<br />

oder hast du dich deinem Schicksal ergeben?<br />

Ja, als der Arzt mir gesagt hat ich sollte mich vielleicht nach „Behinderten-<br />

Gehhilfen“ umsehen, war ich für zwei bis drei Tag total am Boden zerstört. Ich<br />

machte mir erstmals Gedanken darüber wie mein Leben in der Zukunft mit<br />

einer solchen Behinderung aussehen könnte. Jedoch fing ich mich dann<br />

wieder und gab die Hoffnung nicht auf.<br />

15. Hast du Angst vor einer Wiederholung?<br />

Nein, eigentlich nicht. Ich denke die Chancen sind ziemlich klein, dass ich<br />

nochmals einen „sechser im Lotto habe“. Aber klar ich bin mir bewusst, dass<br />

es mich nochmals wie jeden anderen treffen könnte. Aber ich mache mir<br />

deswegen keine Sorgen.<br />

16. Welche Ratschläge und Empfehlungen kannst du einem Betroffenen auf<br />

den Weg geben?<br />

Ich denke wichtig ist es, dass man mit jemandem über seine Gefühle und<br />

Ängste sprechen kann, damit man nie die Hoffnung verliert und nicht an<br />

Selbstzweifel und unbeantwortbaren Fragen seine wertvolle Zeit „verlöfflet“ ;-)<br />

Mir persönlich hat es sehr geholfen die positiven Seiten der Krankheit zu<br />

sehen. Seien es einfache Dinge wie „Ja wenn ich gesund wäre müsste ich<br />

mich jetzt durch den einstündigen Lauf im Sportunterricht quälen“ oder „Durch<br />

die Krankheit habe ich erkannt, wer meine wahren Freunde sind“.<br />

Schliesst sich eine Tür, dann öffnet sich irgendwo eine Andere.<br />

17. Weitere Anmerkungen?<br />

Keine.<br />

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