12BEITRÄGEOTHMAR HICKINGJudith KerrZu ihrem Leben, ihrem Werk und ihrer BilderweltRetrospektive auf Burg Wissem – Bilderbuchmuseumder Stadt TroisdorfAus Anlass des 40jährigen Erscheinens von When Hitler stole Pink Rabbit (1971; dt.Als Hitler das rosa Kaninchen stahl 1973) führte Ute Wegmann, Redakteurin beimDeutschlandfunk Köln, im Sommer 2011 mit Judith Kerr in deren Haus in Barnes/Englandein längeres Interview, in dem sie u.a. auch über das Zeichnen und die Wort-Bild-Verbindung sprachen. Zum Zeichnen sagte Judith Kerr:So ist es, wenn man Zeichnerin ist. Es ist gar nicht das Zeichnen, es ist das Sehen. ImKopf zeichnet man die ganze Zeit eigentlich. Man geht herum und sieht die Welt unddann, in your head, you rearrange things. Und das ist natürlich an obsession. Wenn maneine Arbeit hat, die man liebt, dann ist das ein Riesenglück und eine Riesenhilfe dagegen,wenn man Unglück hat. Es ist wahrscheinlich so, wie <strong>für</strong> andere Menschen dieReligion. Es ist etwas außerhalb von einem selbst, was wichtiger ist, als alles andere.Und zur Wort-Bild-Verbindung sagte Judith Kerr:Wenn man nämlich einen Reim sucht […] das bringt einen auf Wege, die man niegegangen wäre. A crocodile and a kangaroo sat off on a bicycle made for two. Das warwegen des Reims. Ich habe mich richtig darüber gefreut, das hätte man sonst doch niegeschrieben. Aber als es dazu kam, das zu zeichnen, da dachte ich: What fool wrotethis? – das war wirklich nicht leicht [ …].Die Autorin und Illustratorin Judith Kerr, Tochter des berühmten Theater- und LiteraturkritikersAlfred Kerr (1867–1948) und der Komponistin Julia Kerr, geb. Weismann(18<strong>98</strong>–1965), wird am 14.06.1923 in Berlin geboren. Der Bruder Michael, der später inEngland ein anerkannter Richter wurde, war zwei Jahre zuvor, im März 1921, zur Weltgekommen. Die Familie Kerr ist gut situiert, wohnt in einer Villa im vornehmenBerliner Stadtteil Grunewald und genießt hohes Ansehen, auch über Deutschlandhinaus. Obwohl jüdischer Herkunft, praktizieren die Kerrs ihre Religion nicht –durchaus üblich im Deutschland jener Jahre. Die glücklichen und behüteten Jahre derKindheit, die die Kerr-<strong>Kinder</strong> in Berlin verleben, enden Anfang 1933 abrupt. Zunächstmuss Alfred Kerr, seit langem erklärter und entschiedener Gegner der Nationalsozialisten,Deutschland über Nacht verlassen. Im Februar 1933 flieht er nach Prag. EhefrauJulia und die beiden <strong>Kinder</strong> Judith und Michael verlassen ihre Heimat Berlin im März1933 und flüchten in die Schweiz nach Lugano, wo Alfred Kerr wieder zu ihnen stößt.
Judith Kerr 13Noch 1933 werden die Kerrs von den Nazis ausgebürgert und enteignet. Die Familie istnun staatenlos und ihrer kompletten Besitztümer beraubt, bis auf das wenige, was sieauf die Flucht mitnehmen konnten. Anna, das alter ego von Judith Kerr in ihrem RomanAls Hitler das rosa Kaninchen stahl, erinnert sich an diesen ruchlosen Diebstahlwie folgt:Anna versuchte, es sich vorzustellen. Das Klavier war weg … die Vorhänge imEsszimmer mit dem Blumenmuster … ihr Bett … alle Spielsachen, auch das rosaKaninchen. Es hatte schwarze, aufgestickte Augen – die Glasaugen waren schon vorJahren ausgefallen –, und es sackte so reizend zusammen, wenn man es auf die Pfotenstellte. Das Fell war, obgleich nur noch verwaschen, rosa, so weich und vertrautgewesen.Von der Schweiz aus emigriert die Familie, ständig unter drückender Geldnot leidendund sich finanziell nur durch Gelegenheitsarbeiten mühsam erhaltend, unter vielenEntbehrungen und Nöten über Paris in Frankreich und Oostende in Belgien AnfangMärz 1936 schließlich nach London. England wird <strong>für</strong> die Kerrs nun zur neuen undzweiten Heimat, 1947 erhalten alle Familienmitglieder den britischen Pass.Für Judith Kerr beginnt nach dem Krieg eine Zeit großer Veränderungen undEntwicklungen. Ab 1946 studiert sie <strong>für</strong> drei Jahre an der Londoner Central School ofArts and Crafts Malen und Zeichnen, arbeitet anschließend freiberuflich als Zeichenlehrerinund tritt 1954 eine Lektoratsstelle beim englischen Rundfunksender BBC an,wo sie u.a. auch eigene Drehbücher schreibt. Beim BBC lernt Judith Kerr den AutorThomas Nigel Kneale (gest. 2006) kennen. Beide heiraten schon im Mai 1954, 1958und 1960 werden Tochter Tacy und Sohn Matthew geboren. Die Kerr-Kneale-Familieverlässt London und bezieht im südlichen Londoner Vorort Barnes ein Reihenhaus, indem Judith Kerr bis heute und nun schon über 50 Jahre lebt.Zugunsten der Erziehung der <strong>Kinder</strong> gibt sie das Malen und Zeichnen zunächst aufund widmet sich diesem erst wieder, als Tochter und Sohn die Schule besuchen. 1968erscheint ihr erstes Bilderbuch The Tiger who came to Tea (dt. Ein Tiger kommt zumTee, Ravensburger 1979). Dieses gilt bis heute als eines der beliebtesten englischenBilderbücher aller Zeiten, verkaufte sich weltweit millionenfach und wurde 2012 beiKnesebeck neu aufgelegt. 1970 folgte mit Mog, the forgetful Cat (dt. Mog, der vergeßlicheKater, Ravensburger 1970) das erste von insgesamt 17 Mog-Bilderbüchern,die bis zum letzten Band 2001, in dem Mog stirbt, erschienen und, autobiografischfiktionalisiert, kleine und große Geschichten um den Kater Mog, unverkennbarHauskater-Mitglied der Familie Kerr-Kneale, erzählen. Elf davon wurden ins <strong>Deutsche</strong>übersetzt und sämtlich im Ravensburger Buchverlag veröffentlicht. Neben den Mog-Bänden veröffentlichte Judith Kerr zwischen 1992 und 2010 bei HarperCollins inLondon noch einige wenige weitere Bilderbücher, die bislang jedoch ebenso wenig indeutscher Übersetzung erschienen wie ihre beiden letzten illustrierten Bücher MyHenry (2011), eine surreal-traumhaft anmutende Hommage und Liebeserklärung anihren verstorbenen Ehemann, und The Great Granny Gang (2012), eine Geschichteüber eine Gruppe älterer Damen, die tatkräftig eine Bande junger Diebe in die Fluchtschlägt.
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