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RAUSCH Heft 1/2012 - Dr. Oliver Scheibenbogen

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Rien ne vas plus: Dostojewskis Spielsucht 19Dostojewski und seine Frau inBaden-BadenNachdem Ende Juni 1867 eine größere Geldsendungeingetroffen war, konnten die Dostojewskisweiterreisen, zunächst bezeichnenderweisenach Baden-Baden. Dort blieben siewesentlich länger als geplant. In Baden-Badenbekommt Anna nun unmittelbar mit, wieDostojewski spielt. Klugerweise übernahmsie die Verwaltung des Geldes.Aus Annas Memoiren: „Wir hatten verhältnismäßigwenig Geld und keinerlei Möglichkeit,im Falle eines Misserfolgs welches zubekommen. Innerhalb einer knappen Wochehatte Fjodor Michailowitsch alles Bargeldverspielt, und nun begannen die Aufregungen,woher neues beschaffen, um weiterspielenzu können. Man musste Sachen versetzen.Aber auch jetzt konnte mein Mann nichtan sich halten und verspielte mitunter alles,was er soeben für einen versetzten Gegenstanderhalten hatte. Bisweilen verspielte erbeinahe den letzten Taler, plötzlich war dasGlück wieder auf seiner Seite, und er brachteeinige Dutzend Friedrichsdor nach Hause ...Doch dieses Geld blieb nicht lange in unserenHänden ... Erneut folgten Verpfändungen,aber da wir wenig wertvolle Dinge besaßen,versiegten diese Quellen bald. Indessenwuchsen die Schulden und wurden spürbar,da wir bei der Wohnungswirtin Schuldenmachen mussten, einer zänkischen Frau.“Anna litt damals unter Schwangerschaftsbeschwerdenwie Erbrechen. Noch wesentlichmehr litt sie durch die Sucht ihres Mannes.Aus ihren Tagebuchaufzeichnungen gehthervor, dass sie zeitweilig präsuizidal war:„Er war furchtbar verstört. Mir war sofortklar, dass er wohl die 10 Goldstücke verspielthatte ... Er bat mich um weitere 5, die ich ihmsofort gab. Er dankte mir überschwänglich,als ob ich ihm eine Wohltat erwiesen hätte ...Er sagte mir, dass er ... an die vierhundertFranken gewonnen habe, dass er aber nochmehr habe gewinnen wollen und sich nichtrechtzeitig vom Spiel losgerissen habe. Dasquälte ihn sehr. Ich versuchte ihn zu trösten... Armer Fedja, wie leid tat er mir!!“„Heute morgen hatten wir noch 20 Goldstücke– eine allzu geringe Ressource, aber vielleichtgeht es ja wieder aufwärts ... Als erdann schließlich auftauchte, hatte er auchdiese Goldstücke verspielt und bat mich nun,ihm sofort Gegenstände zum Verpfänden zugeben. Ich nahm meine Ohrringe und meineBrosche ab und sah sie mir lange, lange an,als sähe ich sie zum letzten Mal. Das war mirsehr schmerzlich, da Fedja sie mir geschenkthat und sie mir so teuer sind. Fedja sagte mir,es tue ihm weh und er schäme sich ... Er sagtemir, dass er alles verspielt hatte, sogar dasGeld, das er für die verpfändeten Ohrringebekommen hatte ... Heute morgen, als wirnoch 20 Goldstücke hatten, hätten wir ausBaden-Baden abreisen sollen.“„Ich war überglücklich, dass wir endlich dieseverfluchte Stadt verließen, ich bin sicher,dass ich nie mehr hierher kommen werde.Auch meinen Kindern werde ich verbieten,nach Baden-Baden zu fahren, soviel Kummerhat mir diese Stadt gebracht.“RückfälleIn den folgenden Jahren hatte Dostojewskifünf Rückfälle. 1871 wurden in Deutschland– wie vorher schon in Frankreich – wegen derglücksspielbedingten psychosozialen Problemealle Casinos geschlossen. Dostojewskikehrte mit seiner Familie nach Russland zurück.Später war er noch einigemale wegenseiner Raucherbronchitis (er war auch nikotinsüchtig)in einem deutschen Kurbad.Rückfällig in seine Glücksspielsucht wurdeer nicht: Er hatte gar keine Möglichkeit dazu.Durch das Verbot von Glücksspielen mit hohemSucht- und Schadenspotenzial wurdenin Deutschland nur noch sehr wenige Menschenglücksspielsüchtig, bis vor etwa 30 Jahren.Frühere Generationen haben Suchtproblemewirksamer bewältigt als wir. Habenwir gegenüber der Suchtepidemie unsererZeit resigniert?Literatur beim Verfasser<strong>Dr</strong>. Bert KellermannPsychiater i.R., war 20 Jahre lang Chefarzt derSuchtabteilung im Krankenhaus Hamburg-Ochsenzoll und engagiert sich bei der„Aktiven Suchthilfe e.V.“ und „Der Brücke e.V.“BertKellermann@gmx.derausch 1-<strong>2012</strong>

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