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RAUSCH Heft 1/2012 - Dr. Oliver Scheibenbogen

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ausch<strong>Heft</strong> 1·<strong>2012</strong>Wiener Zeitschrift für SuchttherapieThemenschwerpunktGlücksspielsucht


Reinhold AßfalgÜber das Glück –und wie wir esverhindern könnenNeun Strategienzur Förderung desUnglücks176 Seiten, ISBN 978-3-89967-797-3,Preis: 15,- €Alle Menschen suchen das Glück,– sagt man. Doch stimmt das auch?Geht es uns wirklich um dasGlück? Vielleicht ist diese Aussage,auch wenn sie uns noch so plausibelerscheint, falsch.Wir reden und träumen vomGlück, aber wenn es auch nuransatzweise da ist, schauen wirweg. Wir wissen, was wir tun müssten,um ein bisschen glücklicherzu sein, aber wir tun das Gegenteil,um dem Glück ja nicht aufden Leim zu gehen. Das Glück isteine Verheißung, aber im Unglückkennen wir uns aus.PABST SCIENCE PUBLISHERSEichengrund 28D-49525 LengerichTel. ++ 49 (0) 5484-308Fax ++ 49 (0) 5484-550pabst.publishers@t-online.dewww.psychologie-aktuell.comwww.pabst-publishers.deBeschrieben werden neun bewährteStrategien zur Förderung desUnglücks; auch wenn die Vor- undNachteile der einzelnen Strategienund ihre möglichen Nebenwirkungenabzuwägen sind, empfehlensich die entsprechenden Ratschlägeunbedingt der Beherzigung.


Impressumrausch – Wiener Zeitschrift für SuchttherapieHerausgeberPrim. Univ. Prof. <strong>Dr</strong>. Michael Musalekmichael.musalek@api.or.at<strong>Dr</strong>. Martin Poltrummartin.poltrum@api.or.at<strong>Dr</strong>. <strong>Oliver</strong> <strong>Scheibenbogen</strong>oliver.scheibenbogen@api.or.atChefredakteurinMag. Irene Schmuttererirene.schmutterer@api.or.atVerlagPabst Science PublishersEichengrund 28D-49525 LengerichTel. ++49 (0) 5484 - 308Fax ++49 (0) 5484 - 550http://www.pabst-publishers.dehttp://www.psychologie-aktuell.comNachrichtenredaktion, verantw.Wolfgang Pabstwp@pabst-publishers.comErika Wiedenmannwiedenmann@pabst-publishers.comAdministration, Art DirectionArmin Vahrenhorstvahrenhorst@pabst-publishers.comUrheber- und Verlagsrechte: Diese Zeitschrift einschließlichaller ihrer Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzesist ohne Zustimmung des Verlages unzulässigund strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und dieEinspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Haftungsausschluss: Der Inhalt jedes <strong>Heft</strong>es wurde sorgfältigerarbeitet, jedoch sind Fehler nicht vollständig auszuschließen.Aus diesem Grund übernehmen Autoren,Redaktion und Verlag keine Haftung für die Richtigkeitder Angaben, Hinweise und Ratschläge. Die nicht besondersgekennzeichnete Nennung von geschütztenWarenzeichen oder Bezeichnungen lässt nicht denSchluss zu, dass diese nicht marken- oder patentschutzrechtlichenBestimmungen unterliegen. Abbildungendienen der Illustration. Die dargestellten Personen, Gegenständeoder Sachverhalte müssen nicht unbedingtim Zusammenhang mit den im jeweiligen Artikel erwähntenstehen.Für unverlangt eingesandte Texte, Materialien und Fotoswird keine Haftung übernommen. Eine Rücksendungunverlangt eingesandter Beiträge erfolgt nur bei Erstattungder Versandkosten. Die Redaktion behält sich vor,Manuskripte zu bearbeiten, insbesondere zu kürzen,und nach eigenem Ermessen zu ergänzen, zu verändernund zu illustrieren. Zur Rezension übersandte Medienwerden nicht zurück gesandt.Bestellservice und Abonnementrausch erscheint 4 x jährlich und kann direkt über denVerlag oder eine Buchhandlung bezogen werden.Bezugspreise und Bezugsbedingungen:Jahresabonnement: Inland 50,00 €, Ausland 50,00 €;Einzelausgabe: 15,00 € (Preise inkl. Versandkosten undMwSt.).Bestellservice:vahrenhorst@pabst-publishers.comTel. ++49 (0) 5484 / 97234Fax ++49 (0) 5484 / 550Soweit im Abonnementsvertrag nichts anderes vereinbartwurde, verpflichtet der Bezug zur Abnahme einesvollständigen Jahresabonnements (4 Ausgaben). Kündigungdes Abonnements unter Einhaltung einer Frist von30 Tagen jeweils zum Jahresende. Im Falle von Lieferhindernissendurch höhere Gewalt oder Streiks entstehenkeine Rechtsansprüche des Abonnenten an den Verlag.rauschWiener Zeitschrift für Suchttherapie<strong>Heft</strong> 1-<strong>2012</strong>ThemenschwerpunktGlücksspielsuchtInhalt2 Just MarriedWolfgang Pabst3 EditorialMartin Poltrum6 Ein (Glücks)Spiel in 4 Akten – Vom Sinn und Unsinn derGeldverwaltung bei SpielsüchtigenGerlinde Blemenschitz12 Pathologisches Lottospielen – „Ein Traum, der dreimal proWoche zerplatzte“Birgit Oitzinger17 Rien ne vas plus: Dostojewskis SpielsuchtBert Kellermann20 „Player tracking“ und „player control“ – wie kognitiveFehlschlüsse von Spielbetreibern gezielt genutzt werdenAron Kampusch25 Glücksspielwerbung in Österreich – eine Analyse von Inhaltund FormIrene Schmutterer34 Spielsuchtprävention im Spannungsfeld zwischenwirtschaftlichen Interessen und aktivem Spielerschutz<strong>Oliver</strong> <strong>Scheibenbogen</strong>39 Eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse desgewerblichen Geld-Gewinnspiels für die BundesrepublikDeutschlandFranz W. Peren, Reiner Clement, Wiltrud Terlau47 NachrichtenTitelbild: Irene Schmutterer


3EditorialDass „jede Richtung des menschlichen Interessessüchtig zu entarten vermag,“ wie esbei F. E. v. Gebsattel heißt, wusste bereits dieältere Suchtforschung. Damit ist auch dasSpiel, das den Menschen erst eigentlich zumMenschen macht, so steht es zumindest beiSchiller, nicht von der Möglichkeit ausgenommen,dass man sein Leben daran verlierenkann. Von den nicht an eine Substanzeinnahmegebundenen Süchten (z. B. Arbeitssucht,Kaufsucht, Sexsucht, Computersucht)ist das pathologische Spielen oder dieGlücksspielsucht die am längsten bekannteund auch am meisten beforschte Sucht. Derklassische Verlauf ist dabei der, dass dieseAbhängigkeit durch anfängliche Gewinneinduziert und angestachelt wird, spätestensnachdem die ersten größeren Verluste undVerschuldungssituationen entstanden sind,der Versuch, das verlorene Geld zurück zugewinnen das pathologische Spielen aufrechterhältund im Endstadium der GlücksspielsuchtGewinnen oder Verlieren nurmehr eine untergeordnete Rolle spielen undprimär der Kick und Rausch gesucht wird,der das Spiel vermittelt. Wie bei allen Süchten,stellt sich auch hier die Frage nach derindividuellen und kollektiven Verantwortlichkeit.Natürlich wird niemand zumGlücksspiel gezwungen und daher liegt dieprimäre Verantwortung im Falle einer Suchtentwicklungsicher beim Individuum. Dennochist es auch beim Glücksspiel so, dassder Staat durch Steuereinnahmen ähnlichwie im Falle von Alkohol und Tabak nichtunwesentlich mitverdient. Im Bereich desGlücksspiels werden daher die Stimmennach stärkerer Reglementierung und Beschränkungdieses Geschäftszweigs und dieForderung nach Maßnahmen zum Spielerschutzgerade in der letzten Zeit immer lauter.Aus diesem Grund widmen wir die ersteNummer der neu gegründeten bzw. fusioniertenZeitschrift rausch der ganzen Palettedes Phänomens der Glücksspielsucht. VomLeid süchtiger Spieler und deren Angehörigen,den Problemen der Behandlung überdie Analyse der Glücksspielwerbung bis hinzur Kosten Nutzen Kalkulation des Glücksspielsfür die Wohlfahrt reichen dabei dieThemenhorizonte.Eröffnet wird das <strong>Heft</strong> durch drei Fallgeschichten.Am Beginn steht die vergleichendeAnalyse von zwei süchtig gewordenenSpielern durch Gerlinde Blemenschitz, dieals Sozialarbeiterin beruflich u. a. mit derSchuldenberatung von pathologischen Spielernzu tun hat. Anhand der Fallskizze einesvon ihr betreuten, stark verschuldeten Spielersund durch Einblenden und Zitate desum 1800 entstandenen Textes des französischenSchriftstellers Jakob Mauvillon, „DieSpielsucht. Ein Lustspiel in vier Acten“ wirdgezeigt, wie typische Spielsuchtverläufe aussehenkönnen und wie das berufliche undprivate Umfeld der Betroffenen darauf reagiert.Im Beitrag wird aber auch der Fragenachgegangen ob bei extremer Verschuldungdie Vermögensverwaltung durch <strong>Dr</strong>itte(Sachwalterschaft), die in Österreich gesetzlichbeantragt werden kann, z. B. durchAngehörige, eine sinnvolle Intervention darstellt.Auf den Traum vom besseren Leben, der„dreimal pro Woche zerplatzte“, der von einempathologischen Lottospieler geträumtewurde, geht Birgit Oitzinger im Folgebeitragein. Die Entwicklung und der Verlauf derAbhängigkeit wird ebenso dargestellt wiedie stationäre Behandlung des Patienten.Die letzte Fallgeschichte des <strong>Heft</strong>es, die vonBert Kellermann stammt, thematisiertschließlich die Spielsucht Fjodor MichailowitschDostojewskis (1821–1881), die er inseinem Roman „Der Spieler“ literarisch verarbeitete.Dostojewski glaubte in Wiesbaden,wo seine Spielsucht 1863 ihren Anfangnahm, ein Spielsystem entdeckt zu haben,mit dem er sicher gewinnen kann. Eine irrationaleÜberzeugung, die viele Spieler in denRuin treibt. An seinen Bruder schrieb er damals:„Ich habe in Wiesbaden ein Spielsystemerfunden, habe es angewandt und sofort10.000 Franken gewonnen. Am Morgen habeich dieses System in der Aufregung abgewandeltund darauf sofort verloren. AmAbend bin ich wieder mit aller Strenge zudem alten System zurückgekehrt und haberausch 1-<strong>2012</strong>, 3-5


4M. Poltrumohne jede Mühe wiederum ganz schnell 3000Franken gewonnen.” Die irrationale Überzeugung,ein Glücksspiel kontrollieren zukönnen findet sich nicht nur bei Dostojewskiund vielen anderen Spielern, sondern wirdvon Spielbetreibern auch gezielt angesteuert,um Umsätze und Gewinne zu maximieren.Wie diese Überzeugungen bewusst geschürtwerden, beschreibt Aron Kampusch, der, bevorer therapeutisch tätig wurde, 16 Jahrelang als Croupier in nahezu allen Casinos inÖsterreich arbeitete.Mit welchen Lockmitteln und Versprechendie Glückspielwerbung verführt, wird vonunserer Chefredakteurin, Irene Schmuttererbehandelt. Die inhaltsanalytische Untersuchung,welche die Werbestrategien der großenPlayer am österreichischen Glücksspielmarktzum Thema hat, geht u. a. der Fragenach, welche unterschiedlichen sozialenSchichten durch welche Form der Glücksspielwerbungbesonders angesprochen werden.Die öffentliche Debatte um den Spielerschutzhat in Österreich durch die Glückspielgesetz-Novelle 2010 neue Impulse bekommen. EinTeil dieser Novelle sieht vor, dass sich Betreibervon Glücksspielen aktiv um den Spielerschutzkümmern müssen. „Freizeitspieler“,die hin und wieder aus Spaß an der Freudespielen, sollen durch diverse Maßnahmenvon pathologischen Spielern unterschiedenund Letztere vor sich selber geschützt werden.Eine dieser Maßnahmen stellt z. B. dieImplementierung eines Schulungskonzeptesfür Mitarbeiter von Glücksspielanbietern dar,um Basisinformationen zum Thema Sucht zuerhalten und Kompetenzen im Umgang mitpathologischen Spielern zu erwerben.<strong>Oliver</strong> <strong>Scheibenbogen</strong>, Mitherausgeber vonrausch, war und ist konzeptionell an vordersterFront mit einem solchen Projekt betraut.In Zusammenarbeit zwischen dem AntonProksch Institut Wien – der größten europäischenSuchtklinik – und einem österreichischenGlücksspielanbieter wurde dazu einSpielsuchtpräventionskonzept ausgearbeitetund in der Praxis implementiert. Welchepraktischen und ethischen Fragen sich darausergeben, wird im vorletzten Beitrag behandelt.Aus dem Bereich der Alkoholsucht ist bekannt,das belegen viele Untersuchungen,dass ca. 2/3 der alkoholischen Getränke vonsüchtigen und problematischen Trinkernkonsumiert werden. Ähnlich stellen sich dieDinge im Bereich der Spielsucht dar. Auchwenn die Zahl der Freizeitspieler um vieleshöher ist als die Zahl der pathologischenSpieler, stammt der Hauptanteil des wirtschaftlichenErlöses, den Glücksspielindustrieund Staat einnehmen, wahrscheinlichvon problematischen und süchtigen Spielern.Ob man sinnvoll berechnen kann, wieviel dieVolkwirtschaft von der Glücksspielindustrieprofitiert, und was der öffentlichen Handdurch Spielsuchterkrankungen für Kostenund Schäden erwachsen, sei dahingestellt.Ich würde das eher bezweifeln, nicht nur weiles sehr viele intangible Kosten in diesem Bereichgibt, die man nicht berechnen kann unddarf, wie z. B. das persönliche Leid von Betroffenenund Angehörigen, sondern aus einemganz einfachen anderen Grund: Gäbe eskeine Glücksspielindustrie, würde das Geldder Spieler in einen anderen Freizeitbereichinvestiert oder anderweitig ausgegeben werden,damit gäbe es einen anderen Nutzen fürdie Volkswirtschaft. Auf der anderen Seitewürden suchtanfällige Personen, die ihreProbleme über die Spielsucht kanalisieren,diese dann, wenn die Probleme unbewältigtblieben, in irgend einer anderen Form oderSucht ausagieren und damit würden dann indiesem Bereich Kosten für die Volkswirtschaftanfallen. Das Suchtproblem, wennman es psychodynamisch oder systemischdenkt, ist zu komplex, als dass man in Kosten-Nutzen-Kategoriendarüber räsonierenkönnte. Dennoch haben wir für alle Leser, dieeine Vorliebe für Zahlenspiele haben und das„rechnende Denken“ (M. Heidegger) schätzen,und auch um das Phänomen des Glücksspielsmöglichst breit zu thematisieren, denAuszug einer Arbeit abgedruckt, die dasdeutsche Forschungsinstitut für Glücksspielund Wetten, unter der Leitung von Franz W.Peren (Bonn) im Auftrag für die DeutscheAutomatenwirtschaft verfasst hat.Wie immer es auch um das Glücksspiel bestelltsein mag, wir hoffen, dass wir durchdieses <strong>Heft</strong> ein paar Einblicke in den Themenkomplexgeben können und wünschenviel Freude beim Lesen. Darüber hinaus vielGlück und Spaß beim Spiel. Ach ja, im Übrigenkann und soll man das Leben selbst alsSpiel sehen, wie Herman Hesse meinte.„Gerade das ist es ja, das Leben, wenn esschön und glücklich ist, ein Spiel. Natürlichkann man auch alles andere aus ihm machen,eine Pflicht oder einen Krieg oder einGefängnis, aber es wird dadurch nicht schöner.“HerzlichstMartin Poltrumrausch 1-<strong>2012</strong>


Editorial 5Wissenschaftliche Herausgeber und Chefredakteurin:Prim. Univ. Prof. <strong>Dr</strong>. Michael MusalekÄrztlicher Direktor des Anton ProkschInstitutsFacharzt für Psychiatrie und Neurologie;Psychotherapeutmichael.musalek@api.or.at<strong>Dr</strong>. Martin PoltrumKoordinator der Akademie des AntonProksch InstitutsPhilosoph und Psychotherapeutwww.philosophiepraxis.commartin.poltrum@api.or.at<strong>Dr</strong>. <strong>Oliver</strong> <strong>Scheibenbogen</strong>Klinischer Psychologe undGesundheitspsychologe,BiofeedbacktherapeutLeitung Bereich Aktivierung,Schwerpunktskoordinator Kreativität undLebensgestaltung des Anton Proksch Institutsoliver.scheibenbogen@api.or.atMag. Irene SchmuttererWissenschaftliche Mitarbeiterin des BereichsSuchtpräventionsforschungund -dokumentation (SucFoDok) am AntonProksch InstitutStudium der Soziologie und der Pharmazieirene.schmutterer@api.or.atrausch 1-<strong>2012</strong>


6Ein (Glücks)Spiel in 4 Akten –Vom Sinn und Unsinn der Geldverwaltungbei SpielsüchtigenGerlinde BlemenschitzIn der Sozialarbeit mit spielsüchtigen Personenist es immer wieder wichtig, die eigeneprofessionelle Haltung und die angewendetenInterventionen zu überprüfen. Geradedas Thema Selbstverantwortung der KlientInnenist dabei ein heikles Thema. MeinesErachtens müssen immer wieder folgendeFragen gestellt werden: Erstens, inwieweitund wann ist es tatsächlich notwendig, in dasLeben der Betroffenen einzugreifen, umselbst- bzw. fremdgefährdendes Verhalten zuverhindern oder Inklusion bei Benachteiligtenzu erreichen. Zweitens, inwiefern bedeutetdieses Eingreifen gleichzeitig auch eineMissachtung der Person und ihrer Wertebzw. Grenzen und hat auf den Beratungsbzw.Behandlungsverlauf langfristig gesehensogar negative Auswirkungen, im Sinne dessen,dass den betroffenen Personen Verantwortungabgenommen wird.Um diese Fragen genauer zu überprüfen,möchte ich auf zwei Fallbeispiele aus unterschiedlichenEpochen eingehen.Im Jahr 1800 schrieb Jacob von Mauvillon 1ein Lustspiel in 4 Akten mit dem Titel „DieSpielsucht“. Es beschreibt auf launige Weiseden Weg eines jungen Soldaten, dem FähnrichMahnuke, hinein ins Glücksspiel undauch wieder hinaus. Die Sache geht gut aus,aber das muss es ja, denn es handelt sichschließlich um ein Lustspiel. Obwohl bereitsüber 200 Jahre alt, hat das Stück inhaltlichnicht an Aktualität verloren, nur dass imwirklichen Leben die Folgen meist schlimmersind.Obwohl bzw. eben weil das Thema Spielsuchtdamals als auch heute Brisanz hat,möchte ich Fähnrich Mahnuke und die anderenDarsteller zwischendurch zu Wort kommenlassen. Die alte Schreibweise habe ichdabei bewusst beibehalten, um die dazwischenliegende Zeitspanne deutlich zu machen.1. AktFähndrich von Mahnuke: „Also hat Rabenschwert(ein Lieutenant; d. Verf.) dreyßig Louisd’or 2 gewonnen. Das ist ein hübscher Coup.Wenn unser einer doch auch dazu käme. Je warumnicht? Man muß probiren: frisch gewagt isthalb gewonnen.“Das hat sich auch Manuel F. (Name ist frei erfunden)ca. 2 Jahrhunderte später gedachtund ging mit Freunden in die Spielhalle. Under gewinnt, so wie auch Fähnrich Mahnukeanfangs gewann. Jetzt ist er 30 und hat Schulden;hohe Schulden: Beim Energielieferanten,bei der Telefongesellschaft, beim Versandhaus,beim Sportverein, bei der Bank, bei seinenEltern, bei seiner Großmutter, bei seinerLebensgefährtin, bei seinem besten Freund.Mittlerweile gefährden seine Geldproblemesogar seine Wohnsituation, das heißt es bestehtdie Gefahr der Zwangsräumung wegenMietrückständen. Seit 4 Monaten hat er bereitskeine Miete mehr bezahlt.Er verdient als Serviceleiter in einem renommiertenHotel monatlich ca. € 1.600,- netto.Eigentlich könnte er sich die monatlichenFixkosten gut leisten. Seit seine Freundin vorzwei Jahren bei ihm eingezogen ist und sichan den Kosten für die Wohnung beteiligt,müsste es umso leichter für ihn sein.Warum also schafft er es nicht mit seinemEinkommen auszukommen? Die Antwort daraufist nicht schwierig, wenn man die Diagnosekennt: F63.0 – Pathologisches Spielen.Manuel F. hat sich schon oft geschworen einfachaufzuhören, nicht mehr in die Spielhallezu gehen. Vergebens. Er kann dem <strong>Dr</strong>ang1Jakob Mauvillon: französischer Schriftsteller 1743-17942Der Louis d’or ist eine alte französische Goldmünze.rausch 1-<strong>2012</strong>, 6-11


Ein (Glücks)Spiel in 4 Akten – Vom Sinn und Unsinn der Geldverwaltung bei Spielsüchtigen 7einfach nicht widerstehen, dieser beherrschtmittlerweile seinen Tagesablauf.Nun hält er aber den Gerichtsbescheid überdie bevorstehende Delogierung 3 , also dieZwangsräumung in seinen Händen. Paniküberkommt ihn. Er kann nicht mehr klardenken. Doch dann entdeckt er ein paar Zeilenin dem Brief. Er soll sich mit einer speziellenBeratungsstelle für Wohnungssicherungin Verbindung setzen. Er schöpft Hoffnung.Vielleicht kann ihm dort geholfen werden.Zu diesem Zeitpunkt ahnt seine Freundinnoch nichts von seiner Spielsucht. Er hat esbisher geschafft ihr vorzutäuschen, dass er inseinem Beruf als Serviceleiter einfach sehrviele Überstunden machen muss und daheroft nicht pünktlich nach Hause kommt. Auchüber seine Schulden weiß sie nicht Bescheid.Er hat sich nur einmal Geld ausgeliehen beiihr, mit der Ausrede, er brauche es, um seinerMutter bei einem kurzfristigen finanziellenEngpass helfen zu können.Auch unser Fähnrich Manuhke baut gemeinsammit seinen Freunden ein Lügengebäudeauf, um vor seinem Hauptmann zu verbergen,dass der Grund für sein Fehlen bei einerParade das Spielen war.Fähndrich Appelbom (Fähndrich MahnukesFreund): Nu: ich wills über mich nehmen. Es istdas erste Mahl, seitdem du hier bist, wenn ich einNasenbluten vorschütze, so wird mans schonglauben; du hast dich doch seither wie ein Philosophbetragen.Fähndrich Mahnuke später zum Hauptmann: Ichdanke ihnen gehorsamst, Herr Hauptmann. Eswar nichts. Eine Erhitzung: just als ich ausgehenwollte, bekam ich heftiges Nasenbluten.2. AktDer Termin in der Beratungsstelle verläuftsehr positiv. Manuel F. kann seine Situationals einmalige unverschuldete Notsituationglaubhaft darstellen und erhält nach einemweiteren Termin Unterstützung durch eineAushilfe aus der Sozialhilfe. Das Delogierungsverfahrenwird eingestellt. Und nochetwas erleichtert ihn sehr: Seine Freundin hatnichts von seinen Mietrückständen mitbekommen.Nach dieser kritischen Situationnimmt er sich fest vor, nie wieder zu spielen.Aus professioneller Sicht erstaunt es möglicherweise,dass Manuel F. so einfach eine finanzielleHilfestellung seitens des Sozialhilfesystemsbekommt. Allerdings treffen hiermehrere Faktoren zusammen: Einerseitszeigt sich Manuel F. aufgrund seiner Suchterkrankungund den damit verbundenen Dynamikenäußerst geübt die wahren Hintergründeseiner Schulden zu verbergen. Andererseitsfehlt es im Sozialhilfesystem häufigan zeitlichen Ressourcen eine genauere sozialeDiagnose zu stellen. Außerdem hat er zumallerersten Mal um Sozialhilfe angesucht undwie bei unserem Fähnrich Mahnuke, der sichbisher wie ein „Philosoph betragen“ hat,kommt Manuel F. nun zugute, dass er bisherkeine Aushilfen benötigt hat. Die Hilfestellungführt dazu, dass der <strong>Dr</strong>uck wieder geringerwird. Er versucht nun erst recht wiedersein Glück im Spiel, da er sich davon erhofft,nun endgültig seine Schulden los zuwerden. Dann würden seine Freundin undseine Familie nichts davon erfahren und ermüsste nie mehr Ängste vor möglichem Aufgedeckt-Werdenausstehen.Die Geldaushilfe hat somit zwar seine akutenGeldsorgen beseitigt, allerdings hat sie langfristigkeinerlei Änderung in seinem Suchtverhaltenbewirkt. Im Gegenteil: die vermeintlichrasche Entspannung der Situationhat es ihm nicht ermöglicht sein eigenes Handelnzu überdenken und beispielsweise professionelleHilfe anzunehmen, sondern hatdie Illusion verstärkt, dass seine Geldproblemeeinfach zu lösen seien. Man könnte ihm –sie erinnern sich an Fähnrich Mahnuke zuBeginn? – „frisch gewagt ist halb gewonnen“als suchtbedingtes Motto unterstellen. DieSuchtspirale beginnt von vorne.Die kurzfristig erlebte Erleichterung währtnicht lange, denn es gibt auch noch andereGläubiger, die zu ihrem Geld kommen wollen.Und so passiert es, dass Manuel F. mitSchrecken bemerkt, dass sein Gehalt von einigenGläubigern plötzlich gepfändet 4 wird.All das könnte er noch vor seiner Freundinverbergen, aber dass nun auch noch derEnergielieferant den Strom abdreht, damithat er nicht gerechnet. Manuels Freundin beginntnun nachzufragen.Auch bei Fähnrich Mahnuke ist sein Hauptmanndahinter gekommen, was hier „gespielt“wird, und stellt ihn nun gemeinsam3Delogierung, ist die in Österreich übliche Bezeichnung für eine gerichtliche Zwangsräumung einer Wohnung4Gehaltspfändungen sind in Österreich sehr einfach möglich. Die Gläubiger müssen lediglich eine Klage bei Gerichteinbringen und können mit dem rechtskräftigen Titel gegen den Schuldner Gehalts-Exekution beantragen.Der Arbeitgeber ist verpflichtet den Pfändungsbetrag zu errechnen und an den Gläubiger zu überweisen.rausch 1-<strong>2012</strong>


8G. Blemenschitzmit dem General zur Rede. Mahnuke versuchtsein Tun anfangs noch zu bagatellisieren:Fähndrich Mahnuke: Ihr Excellenz, ich bitte unterthänigst;verzeihen sie mir einen Fehler, der dererste ist, und gewiß der letzte seyn soll. Ihr Excellenzrichten ihn, wenn ich so sagen darf, strenger,als er es verdient; es ist ein Jugendfehler.Auch Manuel F. versucht zu beschwichtigen,was ihm allerdings nicht gelingt, denn seinerFreundin wird nun vieles klar und sie möchtemit Manuels Eltern sprechen.3. AktAuch Fähnrich Mahnuke hat alle Hände vollzu tun sich seine Gläubiger vom Leib zu halten,die ihn alle bedrängen und ihre Rechnungenbezahlt wissen möchten.Fähndrich Mahnuke: Ach Gott! meine Herrenmachen sie mich nicht unglücklich. Ich bitte sieum Gottes willen; auf den Knieen bitte ich sie, sagensie dem Hauptmann von Ramitz nichts, ichbin sonst ein unglücklicher Mensch. Der schreibtes an meinen Vater, und von dem habe ich denschweresten Zorn zu erwarten. Ach Gott, machensie mich nicht unglücklich! Wenns der Generalerfährt, bin ich unglücklich, so unglücklich wieein Mensch nur seyn kann. Ich schaffe es ihnengewiß in drey, vier Tagen. Ich will bey meinenFreunden borgen.Allerdings gelingt es ihm nicht die Gläubigerzu überzeugen, dem General und demHauptmann seine Schulden zu verschweigen.Fähndrich Mahnuke: Ach wie werde ich aber desalten Generals seine Strafpredigt aushalten können?- Ach ich möchte vergehen! Ich wollte, daßich unter der Erde läge!Auch Manuel F. möchte verhindern, dass seineFreundin mit seinen Eltern spricht, aberauch sie lässt sich nicht abhalten. SeineScham ist groß.In letzter Verzweiflung fragt er noch seinenbesten Freund, bei dem er bereits Schuldenhat, ob er ihm noch einmal etwas borgenkönnte. Mit diesem Geld würde er die Schuldenbei seiner Freundin und dem Energielieferantenbezahlen. Aber der Freund lässt sichnicht mehr darauf ein.Auch unser Fähnrich Mahnuke bittet in letzterNot seine Freunde zu Hilfe:Fähndrich Mahnuke: Ach Gott! liebe Freundeund Brüder, könnt ihr mir nicht helfen? Ich bin inder größten Angst – ich weiß mir meines Leibeskeinen Rath. Helft Freunde helft oder ich werdedesperat.Utin: Ja wo sollten wir dir helfen können? DieSumme ist ein wenig zu stark. Bedauren thu‘ ichdich von Herzen, weiter kann ich nichts. Wer derTeufel wird auch so unbesonnen in den Tag hineinspielen.SuchtberaterInnen wären sehr zufrieden mitder Reaktion der Freunde unserer beidenProtagonisten. Für die Einsicht der beidenjungen Männer in ihre Suchterkrankung wärees nicht zuträglich, ihnen weiterhin finanzielleUnterstützung zu geben.Und auch die Reaktion der Eltern von ManuelF. ist suchttherapeutisch gesehen mustergültig:Als sie sich vom ersten Schrecken erholthaben, beschließen sie gemeinsam mitder Freundin, dass er keinerlei Geldaushilfenmehr von ihnen bekommen wird. Denn umAslan (2005: 16f) zu zitieren: „Die Übernahmeeiner glücksspielbedingten Verschuldung durchdas familiäre Unterstützungssystem bei gleichzeitigemVersprechen des Glücksspielers, das Glücksspieleneinzustellen, kann das weitere Glücksspielverhaltenforcieren. Es entsteht eine suchttypischeEigendynamik, die von dem Versuch bestimmtwird, bestehende Verluste durch erhöhteWetteinsätze auszugleichen, wobei die realenKonsequenzen des Glücksspielverhaltens ausgeblendetwerden, was bei gleichzeitig verstärkterBindung an das Glücksspielverhalten zu einer zunehmendenEinschränkung bestehender Wahlmöglichkeitenführt.“Aber die drei vereinbaren noch etwas, ohneManuel F. einzubeziehen: Ab sofort darf erkeinen Zugang mehr zu seinem Geld haben.Unter Androhung aller möglichen Konsequenzenzwingen die drei Manuel F. seinenArbeitgeber zu bitten, das Gehalt zukünftigauf das Konto seiner Freundin zu überweisen.Er macht dies widerwillig und dieFreundin übernimmt die Zahlungen der Fixkostenund der Schulden beim Energielieferanten.Die Angehörigen ahnen allerdingsnichts von den weiteren Schulden von ManuelF.Für diesen ist nach der anfänglichen Schamund der Wut auf die drei schlagartig der enorme<strong>Dr</strong>uck, der auf ihm lastete, weg und erfühlt sich sehr befreit. Das führt in weitererFolge dazu, dass er die Therapie, die er versprochenhat zu beginnen, nicht anfängt. Zugroß ist die Angst vor der Einsicht sich selbstgegenüber und zu verlockend die Vorstellungdas Leben ab nun wieder im Griff zu haben.Auch unserem Fähnrich Mahnuke widerfährtähnliches. Er wird vom General undHauptmann zur Rede gestellt und auch hierwird die Geldverwaltung nun von letzteremübernommen:rausch 1-<strong>2012</strong>


Ein (Glücks)Spiel in 4 Akten – Vom Sinn und Unsinn der Geldverwaltung bei Spielsüchtigen 9General: Kennen sie die Leute da, Herr Fähndrich?– Nu, was stehen sie da und antworten mirnicht? – Die Leute wollen ihr Geld haben. VonHause ist es ihnen geschickt worden, und statt esihnen, wie sie sollten, zu geben, verspielten sie es.Spielen zwey Tage und zwey Nächte hinter einander;versäumen darum die Parade unter einemschalen Vorwand. – Nein, mein lieber jungerHerr, das ist ein Bischen zu arg und zu früh angefangen.Ich muß darauf bedacht seyn, daß es nichtmehr geschehe, und auch darauf, daß die Leute zuihrem Gelde kommen.Nach längerer Diskussion mischt sich seinHauptmann ein:Hauptmann: Nun wohl! So bitte ich Ihr Excellenz,den Herrn Fähndrich für dieß Mahl die Strafezu schenken. Ich übernehme seine Schulden. Esbleibt dabey, daß mir dagegen sein Zuschuß, dener von Hause bekommt, ausgezahlt wird.4. AktNach einer langen Standpauke, der Auszahlungder Gläubiger, der Aufklärung so mancherHinterlist der Beteiligten und dem Eingeständnisder Besserung durch FähnrichMahnuke ist das Lustspiel zu Ende. Er hataus allem eine Lehre gezogen und versprichtÄnderung.Fähndrich Mahnuke: Ihr Excellenz können versichertseyn, daß ich mein Unrecht fühle, und dergleichennicht mehr thun werde. Es soll mir eineLehre seyn, und ich will doppelte Strafe und IhrExcellenz ganze Ungnade haben, wenn sie nochso etwas von mir hören.Aber ähnlich wie im Märchen, das oft mitdem Satz endet „und sie lebten glücklich bisans Ende ihrer Tage“, gibt es auch hier keinenBeweis dafür, dass Fähnrich Mahnuke seinVersprechen hält. Und so überrascht es nicht,wenn im wahren Leben bei Manuel F. eineZuspitzung der Ereignisse eintritt.Er beginnt wieder zu spielen und da er keineigenes Geld mehr zur Verfügung hat, versuchter dieses auf andere Weise zu beschaffen.Als Serviceleiter hat er täglich mit Geld –also seinem Suchtmittel – zu tun. Irgendwannkann er dem <strong>Dr</strong>uck nicht mehr wiederstehenund nimmt sich Geld aus der Kassa.Selbstverständlich mit dem Gedanken es sichlediglich auszuborgen und mit dem nächstenGewinn wieder zurückzugeben. Er spieltweiter, er verliert weiter und kann das Geldnicht wieder unbemerkt in die Kassa zurücklegen.Zu Hause eskaliert die Situation ebenfalls: Erstreitet heftig mit seiner Freundin und seinenEltern, da er sich völlig seiner Autonomie beraubtfühlt. Professionelle Hilfe hat er ebenfallsnoch nicht in Anspruch genommen, wasdie Konflikte seitens der Angehörigen nochweiter anfacht. Schließlich verlässt ihn seineFreundin und das Geld wird wieder auf seinKonto überwiesen, was dazu führt, dass erein paar Monate später wieder Mietrückständehat, die wiederholt zu einem Zwangsräumungsbescheidführen. Als seine verzweifeltenEltern dies erfahren, regen sie bei Gerichteine gesetzliche Betreuung 5 an.Tatsächlich wird nach einem langwierigenVerfahren einer gesetzlichen Betreuung fürden Bereich der Vermögensverwaltung zugestimmt.Als Betreuer wird sein Vater bestellt,der sich einverstanden erklärt. Die Zwangsräumungwurde durch das Verfahren aufgeschobenund dem Vater gelingt es dieseschlussendlich gänzlich abzuwenden.Für Manuel F. bricht einerseits eine Welt zusammen.Er fühlt sich gänzlich entmündigtund die Konflikte mit seinen Eltern werdenimmer heftiger. Er versteht nicht, warum siediesen Weg eingeschlagen haben und warumer nun wieder wie ein kleines Kind von ihnenbevormundet wird. Auf der anderen Seite ister froh, dass er seine Wohnung noch hat undauch, dass sein Vater ihm nach der Entlassungdurch seinen Arbeitgeber, als er denDiebstahl aus der Kassa bemerkte, bei sämtlichenAnträgen für Arbeitslosengeld usw. geholfenhat.Der Spielsucht hat Manuel F. sich aber nochimmer nicht gestellt. Im Gegenteil: Er überlässtnun ergeben seinem Vater alle Verantwortungen(laufende Zahlungen, Schuldenregulierung,…) und beginnt sich in seinerRolle als kleines Kind wohl zu fühlen. Erübernimmt immer weniger Selbstverantwortungund sieht für sich nur mehr wenig Perspektive,weder im beruflichen noch im privatenBereich: Wer gibt denn jemandem, dereine Entlassung hinter sich hat, noch einenArbeitsplatz und welche Frau möchte eineBeziehung mit einem Mann eingehen, der gesetzlichbetreut wird? Mit jedem bisschenGeld, das er von seinem Vater erhält, versuchter sein Glück in der Spielhalle.5In Österreich heißt die gesetzliche Betreuung „Sachwalterschaft“ und kann von jeder Person für eine anderePerson bei Gericht angeregt werden. Das Gericht überprüft, meist in Zusammenarbeit mit einem Gutachter, obeine Sachwalterschaft und wenn ja, in welchen Bereichen (z.B. Vermögensverwaltung, medizinische Belange,…)sie notwendig ist.rausch 1-<strong>2012</strong>


10G. BlemenschitzSo könnte der vierte Akt im wirklichen Lebenenden.Es stellt sich die Frage, wie man dieses Endeverhindern bzw. wie es möglich sein kann,trotz Spielsucht die Verantwortung für ihrLeben bei Manuel F. oder Fähnrich Mahnukezu belassen? Beide haben sicherlich Ressourcen,die sie verwenden könnten, um sichselbständig mit ihrer Lebenssituation und inweiterer Folge mit ihrem Suchtverhalten auseinanderzu setzen. Bevor sie aber noch dazukommen diese einzusetzen, übernehmen bereitsandere Personen Verantwortung umschlimmeres zu verhindern. Und dadurchwird verhindert, dass die spielsüchtige Persondie Folgen ihres Verhaltens wahrnimmt,wodurch weiters die Auseinandersetzungmit den Problemen und mit ihrem Spielverhaltenblockiert wird (vgl. Horodecki 2004:310f).Es ist für Angehörige und professionelle HelferInnennicht leicht dabei zuzusehen, wie jemandsein Leben zerstört. Es ist egal welcheSuchtform man betrachtet, letztendlich kannjede Sucht in einer Selbstvernichtung enden.Oft bleibt den Außenstehenden nur übrig zuzusehen,wenn die Betroffenen erst spät odernie zur Einsicht kommen. Diese Situationauszuhalten ist schwierig und erfordert einhohes Maß an Selbstbewusstsein, um nichtaufkommenden Schuldgefühlen ausgesetztzu sein, dass man die betroffene Person nichtaktiv unterstützt.Letztendlich ist aber auch die Frage des Zeitpunktesder Unterstützung durch Geldmanagementvon außen diskussionswürdig. Hierbeiist zu unterscheiden, ob sich jemandselbst dazu entschließt Hilfe in dieser Formanzunehmen oder ob es eine Zwangsmaßnahmezur „Umerziehung“ darstellt. Bei letztererhaben die Betroffenen kaum Gelegenheitsich selbstreflexiv mit ihrem Suchtverhaltenauseinanderzusetzen, um diese Maßnahmeletztendlich als tatsächliche Unterstützungzu erleben und sie im Dialog mitdem professionellen Hilfesystem aktiv undautonom mit zu gestalten.Bei der Beratung der Spielsucht muss die Eigenverantwortungder Betroffenen stark imFokus stehen. Sämtliche Kontrollen oder Einschränkungenseitens der Familie oder denprofessionellen HelferInnen sollten nur solange aufrecht bleiben, solange sie tatsächlicherforderlich sind. Kontroll- oder Einschränkungsmaßnahmensind daher kontinuierlichzu hinterfragen (vgl. Meyer et.al. 2005: 188).Als extreme Maßnahme muss hier die gesetzlicheBetreuung bzw. Besachwalterung genanntwerden. Hier sind zwei Aspekte kritischzu hinterfragen: einerseits die bereitsoben diskutierte Komponente der Wegnahmeder Verantwortung von den Betroffenenund die Frage der Möglichkeit sie als vorübergehendeMaßnahme einzusetzen. Eine gesetzlicheBetreuung wieder rückgängig zumachen ist ein schwieriger und langwierigerWeg. Für einen spielsüchtigen Menschen hießedas beweisen zu müssen, dass er es nachhaltigschafft nicht mehr rückfällig zu werden.Andererseits ist der Aspekt zu beachten, dasshäufig Angehörige selbst als gesetzliche BetreuuerInneneingesetzt werden, was die(Konflikt)Dynamik in der Familie unter Umständenbis ins Unerträgliche erhöht.Aus diesem Blickwinkel betrachtet erscheintes mir fast als Sackgasse für die Person selbst,aber auch für eine etwaige Suchttherapie.Interessant finde ich die Tatsache, dass beianderen Abhängigkeitserkrankungen solchrigide Maßnahmen nicht eingesetzt werden.Wie würde sich die obige Maßnahme der gesetzlichenBetreuung beispielsweise bei Esssuchtgestalten? Könnte man den Betroffenennicht einfach rationiert Nahrungsmittel verabreichen,nachdem man ihnen selbstverständlichdie Verantwortung für ihre Finanzenentzogen hat, sodass sie nicht mehr selbständigdarüber entscheiden können, wie vielund wann sie etwas essen? Seit der Psychiatriereformin den 70er Jahren gibt es glücklicherweisenur mehr wenige Zwangsmaßnahmenund es ist wie eingangs schon erwähntim professionellen Kontext unerlässlich laufendseine Interventionen unter obigenAspekten zu reflektieren.Ist die Geldverwaltung bei Spielsucht nunsinnvoll oder nicht? Die Beantwortung dieserFrage ist wohl immer im Einzelfall abzuwägen.Sie macht ein wohlbekanntes Dilemmain der Sozialen Arbeit deutlich, nämlich dasSpannungsfeld zwischen Kontrolle bzw. Eingriffin intimste Lebensbereiche versus Unterstützungbzw. Hilfestellung.LiteraturAslan, M. (2005). Glücks – Spiel – Sucht. Erkenntnisstandund klinische Erfahrungen. SystemischeNotizen, 5 (4), 16-21.Horodecki, I. (2004). Spielsucht. In R. Brosch & R.Mader (2004), Sucht und Suchtbehandlung.Problematik und Therapie in Österreich (S.287-314). Wien: LexisNexisARD Orac Verlag.rausch 1-<strong>2012</strong>


Ein (Glücks)Spiel in 4 Akten – Vom Sinn und Unsinn der Geldverwaltung bei Spielsüchtigen 11Mauvillon, J. von (1800). Die Spielsucht. Ein Lustspielin 4 Acten. Grätz.Meyer, G. & Bachmann, M. (2005). Spielsucht. Ursachenund Therapie. Heidelberg: SpringerMedizin Verlag. 2. Auflage.Ing. DSA Gerlinde Blemenschitz, MADiplomierte Sozialarbeiterin, Coach,SupervisorinLeitung des Sozialen Dienstes des AntonProksch Instituts, WienSelbständige Betriebliche Sozialarbeiteringerlinde.blemenschitz@api.or.atK L I N I K U MA K A D E M I EF O R S C H U N GANTON-PROKSCH-INSTITUTLehrgang Pflege bei SuchterkrankungenDas Anton Proksch Institut ist die größte Suchtklinik Europas und die führendeEinrichtung in der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen. In Zusammenarbeitmit nationalen und internationalen Institutionen werden Standards für dieErforschung und Behandlung von Suchterkrankungen entwickelt und umgesetzt.Auf dieser Basis wird im Rahmen der Akademie des Anton Proksch Institutsein Lehrgang zur Pflege bei Suchterkrankungen angeboten.Modul I: 9./10. November <strong>2012</strong>Theorie und Basiswissen zu:· Suchtbegriff und Überblick über verschiedene Suchtformen· Suchtdiagnostik und Verlaufsformen der Suchterkrankung· Entstehungstheorien und Komorbiditäten der Sucht· Psycho- und Pharmakotherapie der Sucht· Values-based Nursing: Grundprinzipien im Umgang mit SuchtkrankenModul II: 8./9. März 2013· Pflegeinterventionen bei Entzug und Entwöhnung· Pflege bei Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit· Pflege bei Abhängigkeit von illegalen <strong>Dr</strong>ogen· Genderaspekte der Suchtkrankenpflege· Führung durch die Abteilungen des Anton Proksch InstitutsModul III: 7./8. Juni 2013· Gesundheits- und Ressourcenorientierung· Das Orpheusprogramm des Anton Proksch Instituts: Philosophie und Kinotherapie· Pflege bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen (BPS)· Grundlagen, Theorien, Konzepte und Pflegemodelle bei BPS· Pflege bei PatientInnen mit posttraumatischen BelastungsstörungenSeminarortAnton Proksch Institut, 1230 Wien, Gräfin Zichy Straße 6ReferentInnenMag. Ruth Ahrens, DGKSPflegewissenschaftlerinDGKP Ulrike KaesKlientenzentrierte Psychotherapeutin,Stationsleitung Pflege, Abteilung I, Anton Proksch InstitutPrim. <strong>Dr</strong>. Roland MaderFacharzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie,Abteilungsvorstand der Abteilung III des Anton Proksch InstitutsMag. <strong>Dr</strong>. Martin PoltrumDGKP, Philosoph, Pädagoge und Psychotherapeut,Koordinator der Akademie des Anton Proksch InstitutsDPGKS Helga ZimmerStationsleitung Pflege, <strong>Dr</strong>ogenentzugsstation,Anton Proksch InstitutKostenGesamter Lehrgang € 970,-, pro Einzelmodul € 325,-Auskunft und Anmeldung: Linda Plank, Tel. (01) 88010-102 · Fax DW-77 · Email: akademie@api.or.at · weitere Infos unter www.antonprokschinstitut.atrausch 1-<strong>2012</strong>


12Pathologisches Lottospielen –„Ein Traum, der dreimal pro Wochezerplatzte“Birgit OitzingerDer Traum vom großen Glück und die Vorstellung,mit einem relativ geringen Einsatzeinen hohen Gewinn erzielen zu können,sind zwei Gründe für die enorme Beliebtheitdes Lottospielens, wobei sich daraus aber äußerstselten eine „Lottoabhängigkeit“ entwickelt.Anhand einer Fallbeschreibung werdendie Entwicklung und der Verlauf einer derartigenAbhängigkeit exemplarisch dargestellt,welche mit dem stationären Aufenthalt zurBehandlung einer pathologischen Glücksspielsuchtendet.EinleitungObwohl es sich beim Lotto um das am meistenverbreitete Glücksspiel handelt, treten nurwenige Einzelfälle von „Lottoabhängigkeit“klinisch in Erscheinung. Da es für Österreichbislang eine Studie bezüglich der Nutzungvon Glücksspielen und dem Spielverhaltengibt (Kalke, Buth, Rosenkrnaz, Schütze,Oechsler & Verthein 2011), kann man vergleichenddeutschsprachige Studien (Buth & Stöver,2006; Bühringer, Kraus, Sonntag, Pfeiffer-Gerschel & Steiner 2007; Rumpf, Meyer, Kreuzer& John 2011) heranziehen, welche das Lottospielenals das beliebteste Glücksspiel mitder höchsten „Bevölkerungsattraktivität“ hervorheben.Alledings mangelt es an empirischenStudien bezüglich des Suchtpotentialsvon Lotto, sowohl im internationalen als auchim deutschsprachigen Raum. Dem Lottospielen,als problembehaftete Glücksspielform, sogenannte „lottery addicts“ (Landmann & Petry,2000), wird in diesem Zusammenhangnur eine untergeordnete Rolle zugerechnet(Meyer & Hayer 2005; Bühringer et al. 2007;Kalke et al. 2011), aber keineswegs sollte diesevernachlässigt werden.Unter pathologischen Spielern finden sicham häufigsten Spieler von Geldspielautomaten,gefolgt von Spielern von Sportwettenund Roulette. Lotto stellt nur für 0,1% der Befragtenein Problem dar (Bühringer et al.2007; Kalke et al. 2011). Es wird aufgrund vonbestimmten Merkmalen davon ausgegangen,dass Geldspielautomaten mit großem Abstanddas höchste Suchtpotential aufweisen(Breen & Zimmermann 2002; Meyer, Häfeli,Mörsen & Fiebig 2010). In der folgenden Falldarstellungwerden sowohl die Entwicklungund die Aufrechterhaltung einer Lottospielabhängigkeit,die mit dem Wunsch der Realisierungeines Traums begann, als auch dasSuchtpotential von Lotto näher dargestellt.Situation zu Beginn derSuchtbehandlungDer 43-jährige Wolfgang K. kommt mit derDiagnose pathologisches Glücksspiel zu seinemersten stationären Aufenthalt ins Anton-Proksch-Institut, der größten europäischenSuchtklinik, wobei er ausschließlich Lottound Euromillionen spielt. Herr K. war zuvornach zwei Suizidversuchen, aus Verzweiflungüber sein Spielverhalten, in stationärerpsychiatrischer Behandlung.Zum Zeitpunkt der Aufnahme ist Herr K.noch offiziell bei seiner Ehefrau gemeldet,wobei diese die Scheidung einreichen möchteund der Beziehungsstatus somit unklar ist.Herr K. ist bei einer Baufirma angestellt undhat auch die Möglichkeit nach der Therapiediese Arbeit wiederaufzunehmen. Der Arbeitgeberist über das Suchtproblem informiertund befürwortet eine Therapie. Durchdas Spielen sind massive Schulden entstanden,deren Regelung notwendig ist.Sozialer und familiärer HintergrundHerr K. besuchte die Volksschule, die Hauptschule,ein Jahr Polytechnikum und absolrausch1-<strong>2012</strong>, 12-16


Pathologisches Lottospielen – „Ein Traum, der dreimal pro Woche zerplatzte“ 13vierte anschließend die Koch- und Kellnerlehre.Die Eltern des Patienten sind verheiratet, wobeiHerr K. ein eher angespanntes Verhältniszu ihnen beschreibt. Der Vater hatte nach Angabendes Patienten ein Alkoholproblem undwar darüber hinaus ebenfalls spielsüchtig, jedochspielte er ausschließlich an Geldspielautomaten.Suchtanamnese –Abhängigkeitsentwicklung – ersteSpielphaseDas Leben des Herrn K. ist durch zwei exzessiveSpielphasen geprägt.Herr K. war nach Abschluss seiner Koch- undKellnerlehre im Alter von 20 Jahren in einerDiskothek tätig. In dieser Zeit kam es auch zueinem gesteigerten Alkoholkonsum, u.a. umsich zu entspannen beziehungsweise um denStress in der Arbeit zu bewältigen. In diesemZusammenhang berichtet Herr K. von seinerKindheit, welche von einer strengen Erziehungund der Sucht des Vaters geprägt war.Wenn Herrn K. die Probleme zu Hause zusehr belasteten, flüchtete er auf den benachbartenPferdehof und konnte dort für ein paarStunden die häuslichen Schwierigkeiten vergessenund sich entspannen. Der Pferdehofhatte für den Patienten eine Entspannungsfunktionübernommen, in der er sich sicherund geborgen fühlte. Er beobachtete die Pferdeund half selbst auch bei der Arbeit mit. Darausentwickelte sich sein großer Traum eineneigenen Pferdehof zu besitzen, um diesen angenehmenZustand dauerhaft aufrechterhaltenzu können. Während der Zeit als Kellnerlitt Herr K. sehr unter dem Arbeitsstress unddas Bedürfnis nach Entspannung und Ruhetrat verstärkt auf. Herr K. begann sich wiederan seinen Jugendtraum zu erinnern und sichmit einer möglichen Realisierung auseinanderzusetzen.Zur selben Zeit (1986) wurdedas Lottospiel „6 aus 45“ neu eingeführt, welchesdie Vorstellung vermittelte, mit einemrelativ geringen Einsatz die Möglichkeit aufeinen hohen Gewinn zu haben. Dies führtezur Manifestation des Gedankens, seinenWunschtraum zu realisieren, welcher sichnach den Vorstellungen des Patienten durcheinen Lottogewinn am leichtesten verwirklichenließe und wodurch sich alle Belastungenbeseitigen lassen würden.Auch Stöver (2006) und Meyer & Hayer(2005) konnten in ihren Studien verschiedeneEinflussfaktoren, die die Entwicklung einerLottoabhängigkeit fördern, nachweisen.Demnach neigen Personen mit unterdurchschnittlicherBildung bzw. geringerem Einkommeneher dazu überdurchschnittlich intensivLotto zu spielen (Coups, Haddock &Webley 1998). Einen weiteren wesentlichenAnteil trägt die Werbung, mit der Vermittlungdes Mottos „Alles ist Möglich“, zur Förderungdes Lottospielens bei, was zusätzlichdurch die Bekanntgabe eines Jackpots verstärktwird. Auf den ersten Blick scheint derTraum vom großen Gewinn die treibendeKraft für den Beginn des Lottospielens zusein, die dahinter liegenden Gründe für diesesVerhalten sind ein komplex miteinanderverwobenes Bündel unterschiedlicher psychosozialerFaktoren.Herr K. begann mit einzelnen Tipps, mit seinenso genannten „Glückszahlen“, aber baldschon kam es zum Kontrollverlust bezüglichder Häufigkeit und der Einsätze. In diesemZusammenhang zeigte sich auch eine Toleranzentwicklung,d.h. Herr K. erhöhte dieEinsätze, um die gewünschte Wirkung, dieDistanzierung von den aktuellen Problemenund die Möglichkeit seinen Traum zu leben,zu erzielen. Im Laufe der Woche fuhr Herr K.zu verschiedenen Trafiken und gab dort seineLottoscheine auf (zu dieser Zeit waren dieZiehungen ausschließlich sonntags). Somitbot sich für Herrn K. die Möglichkeit vonMontag bis Sonntagmittag seinen Traum zuleben, der jedoch regelmäßig am Sonntagabendzerplatzte. Im Laufe der nächsten Jahreentwickelten sich bei Herrn K. Verhaltensweisen,die auch von Meyer & Hayer (2005)als charakteristisch für den pathologischenLottospieler genannt werden, wie das Abflacheneiner als positiv erlebten Empfindungim Falle eines Gewinns. Geldgewinne lösenfür pathologische Lottospieler keine anhaltendeFreude mehr aus, da sie nichts anderesbedeuten als die Möglichkeit zum sofortigenWeiterspielen mit dem Ziel, entstandene Verlustewieder auszugleichen (Chasing-Verhalten).Herr K. berichtete gelegentlich kleineGewinne erhalten zu haben, die ihn jedochnicht befriedigten. In Verlustsituationen tratennegative Emotionen wie Niedergeschlagenheitoder Verzweiflung in normabweichenderIntensität auf. Herr K. erhöhte seineEinsätze und letztendlich kam es auch zu Deliktenmit strafrechtlicher Relevanz, um mitdiesen illegalen Einnahmen die Teilnahme anLotterien zu ermöglichen. Herr K. zeigte diein den Studien von Meyer & Hayer (2005) beschriebenenLeitsymptome wie auftretenderausch 1-<strong>2012</strong>


14B. OitzingerEntzugserscheinungen, wenn nicht gespieltwerden konnte, und eine ausschließliche Fokussierungauf das Lottospielen, wobei dieberuflichen und v.a. sozialen Verpflichtungenvernachlässigt wurden.Der ursprüngliche Traum vom Pferdehof, mitdem nach seiner Vorstellung eine Lösung allerProbleme verbunden war, verlor an Bedeutungund suchtaufrechterhaltende Bedingungen,wie u.a. das Chashing-Verhalten,rückten in den Vordergrund.Herrn K. gelang es sein problematisches Lottospielverhaltenvor seiner Umwelt zu verstecken.Herr K. baute sich ein Lügengerüstauf, belog seine Frau, die er drei Jahre zuvorheiratete, machte Schulden und lieh sich vonFreunden Geld, welches er nicht zurückgebenkonnte. Seine Spielproblematik führte zudiesem Zeitpunkt zu einem Schuldenstandvon 600.000 Schilling (ca. 43.600 Euro), erwurde wegen Betrugs zu einer zweimonatigenHaftstrafe verurteilt und war gezwungenseine Frau über seine Spielsucht zu informieren.Die Möglichkeit einer Therapie wurdedem Patienten damals nicht angeboten. Gemeinsammit dem Gericht wurde ein Zahlungsplanerstellt, Herr K. wechselte den Beruf,begann als Maurer seine Schulden abzuarbeiten,sodass er 13 Jahre später wiederschuldenfrei war.Die „spielfreie“ Zeit und die zweiteSpielphaseBis 1995 war Herr K. völlig spielfrei, in dendarauf folgenden Jahren spielte er äußerstselten einen einzigen Lottotipp. Im Jahr 2000begann Herr K. wieder regelmäßig Lotto zuspielen, es änderte sich jedoch seine Spielweise.Herr K. griff auf die Möglichkeit desQuicktipps (die Auswahl der Zahlen wirddem Computer überlassen) zurück. Ein Jahrgeschah dies, laut Angaben von Herrn K., inunproblematischem Umfang.Im Jahr 2001 häuften sich die Schwierigkeitenin der Partnerschaft (Fehlgeburt) und es kamzu einer schweren Krise. Seine Stimmung indieser Zeit beschreibt er als sehr gedrücktund depressiv. Er begann wieder vermehrtLotto zu spielen, erhöhte seine Einsätze underreichte dadurch wiederum eine Distanzierungvon der aktuellen Partnerschaftsproblematik.Zu Beginn wurde ein Schein (12 Tipps) proWoche getippt, immer noch mit dem Gedanken„kontrolliert zu spielen“. 2003 intensiviertesich das Suchtverhalten, alte Verhaltensweisenzur Stressbewältigung wurdenaktiviert und Herr K. versuchte abermals seinenTraum vom Pferdehof, der ihn sein ganzesLeben begleitet, zu realisieren. Seit demJahr 1997 werden auch am Mittwoch Lotto-Ziehungen veranstaltet und zusätzlich wurde2004 freitags die Euromillionenziehungeingeführt. Jede einzelne Woche war von diesen3 Ziehungen geprägt. Am Dienstag nachder Arbeit begann Herr K. seine wöchentliche„Tour“, er fuhr von Trafik zu Trafik undspielte 40-50 Scheine pro Ziehung, je nach finanziellerMöglichkeit, d.h. je nach Verfügbarkeitdes Geldes bis zu 2000 Euro pro Woche.Ein Schein enthielt die eigenen Zahlendes Patienten und der Rest waren Quicktipps.Die Spielproblematik wurde durch dieMöglichkeit zur Realisierung seines Traumsaufrechterhalten, von Montag bis Mittwochlebte Herr K. in seinem Traum, welcher jedochMittwochabend zerplatze, aber schonam Donnerstag wieder aktiviert wurde. Meyer& Hayer (2005) konnten nachweisen, dassproblembehaftete Lottospieler mit einer außergewöhnlichenIntensität am Lottospielfesthalten und den festen Glauben hegen, zukünftigzu gewinnen. Als Konsequenz wirdein Aufhören wegen der aufkommenden Befürchtung,genau dann einen Gewinn zu verpassen,fast unmöglich. Herr K. konnte erstam Morgen nach jeder Ziehung seine Zahlenkontrollieren, da seine Partnerin nichts vonseinem Rückfall in das alte Suchtverhaltenwissen durfte. Diese Situationen waren vonenormer Anspannung und Nervosität geprägt,zusätzlich wurden sie dadurch verstärkt,dass sich Herr K. einen groben Überblicküber die getippten Zahlen verschaffteund somit in etwa wusste, ob ein Gewinn dabeiwar oder nicht. Dieses Verhalten, das Aufrechterhaltender Spannung, wiederum stelltesuchtaufrechterhaltende Faktoren dar.Falls es aufgrund von Geldmangel nichtmöglich war zu spielen, war Herr K., nach eigenenSchilderungen, vor allem gegenüberseiner Familie, äußerst dysphorisch. Herr K.stand oft frühmorgens auf, um seine Zahlenonline zu kontrollieren. In diesen Momenten,bei der Eingabe der Identifikationsnummerdes Scheins, steigerte sich die Anspannungund beim nächsten Klick war klar, ob er gewonnenhat oder nicht. Mit jedem weiterenSchein wurde Herr K. immer weiter aus seinemTraum gerissen und immer mehr in dieRealität, die voller Probleme war, zurückgeholt.Die Konfrontation mit der Realität wurdeals unangenehm erlebt. Im Laufe dernächsten 6 Jahre nahmen sowohl die Belas-rausch 1-<strong>2012</strong>


Pathologisches Lottospielen – „Ein Traum, der dreimal pro Woche zerplatzte“ 15tungen durch die Suchtproblematik als auchdie partnerschaftlichen Probleme zu. Herr K.berichtet, dass er nie über seinen Traum vomPferdehof mit seiner Ehefrau gesprochen hat.Die Situation drohte zu eskalieren und HerrK. sah keinen anderen Ausweg mehr undversuchte sich im Mai 2009 mit einer ÜberdosisSchlaftabletten das Leben zu nehmen. Dererste Suizidversuch misslang, aber die Situationblieb für Herrn K. aussichtslos und somitkam es zum zweiten Versuch. Herr K. wurderechtzeitig von seiner Frau gefunden und ineine psychiatrische Abteilung gebracht. Nacheinem dreiwöchigen stationären Aufenthalt,kam Herr K. ins Anton-Proksch-Institut zurBehandlung der Spielproblematik.TherapieFür jeden Patienten wird zu Beginn des stationärenAufenthalts ein individuell zugeschnittenerTherapieplan erstellt. Herr K.sollte sowohl an Einzel- und allgemeinenGruppentherapien als auch an spielsuchtzentriertenGruppen teilnehmen. In den allgemeinenGruppen befinden sich neben denpathologischen Spielern auch Alkohol- undMedikamentenabhängige. Einen wesentlichenAnteil zur Umgestaltung des abstinentenLebens übernimmt das Orpheusprogramm.Das Orpheusprogramm soll durchunterschiedlichste Module zur Neu- undWiederentdeckung der eigenen Lebenskräftebeitragen. Darunter sind Module wie z.B. eineMal- und Gestalttherapie, Kinotherapie,Bewegungstherapie und vieles mehr zu verstehen(vgl. www.api.or.at).In den glücksspielzentrierten Gruppentherapienstellte sich Herr K. sofort als „Rarität“dar, da ein Großteil der Patienten Geldspielautomatenspielen. Diesbezüglich war zu Beginnder Behandlung eine Verwunderungvon Seiten der Mitpatienten wegen dieser Artder Abhängigkeit zu findenIm Laufe der Therapie werden verschiedenesuchtspezifische Themen besprochen, wiedie verzerrten Realitätswahrnehmungen vonSpielern. Mayer & Hayer (2005) haben diesespeziell für Lottospieler zusammengefasst.Dementsprechend tendieren Lottospielereher dazu nach Zufall aussehende Zahlenkombinationenanzukreuzen und wenigerzufällig erscheinende Abfolgen (z.B. ankreuzenbenachbarter Zahlen) zu vermeiden. DerTrugschluss der Glücksspieler basiert auf derfehlerbehafteten Verknüpfung von tatsächlichunabhängigen Zufallsereignissen. Spielteilnehmervermuten fälschlicherweise, dassdie Wahrscheinlichkeit eines Spielausgangsverringert wird, wenn dieses Ereignis erstkürzlich eingetreten ist. Der Gedanke an dasAuslassen einer Ziehung erzeugt Unbehagen,da die Befürchtung auftritt, gerade danneinen großen Gewinn zu verpassen. Diesführte bei Herrn K. zu den oben beschriebenenEntzugserscheinungen. Herr K. spieltestets einen Schein mit seinen Glückszahlen.Es werden objektiv unhaltbare Beziehungenzwischen dem eigenen Handeln und demEintreten bestimmter Umweltereignisse hergestellt(„illusory correlation“). Unter demVerfügbarkeitsfehler ist die Tendenz, die Realisierungeines subjektiv relevanten Ereignissesfür umso wahrscheinlicher zu halten, jeleichter oder schneller es aus dem Gedächtnisabrufbar ist, zu verstehen (Tversky & Kahnemann1973). Somit wird die Aufmerksamkeitder Bevölkerung auf den Lottogewinner gelenkt,damit nachhaltig der Eindruck entsteht,dass entsprechend prägnante Ereignisseetwas Alltägliches darstellen.Während der Therapie wurden in den Gruppenauch Themen wie der Umgang mit Risikosituationenund die Entwicklung von Copingstrategienbesprochen: aktive Freizeitgestaltung,u.a. mit Hilfe des oben erwähntenOrpheus-Programms, soziales Kompetenztrainingim Zusammenhang mit einer Selbstwertproblematik.Bei Patienten, die ein massivesCraving schildern, kommt Naltrexon,ein Anti-Craving-Medikament, zum Einsatz,wie dies auch bei Herrn K. der Fall war.TherapieendeNach zwölf Wochen wurde Herr K. in einempsychisch stabilen Zustand und gut motiviertentlassen. Die suchtspezifische Nachbetreuungwird Herr K. in der Ambulanz des AntonProksch Instituts besuchen.Während des Aufenthalts kam es zur Scheidung,die er gut bewältigen konnte, wobeiHerr K. nach wie vor die Hoffnung auf einegemeinsame Zukunft hegt. Herr K. wirdkünftig bei seiner Schwester wohnen, abersich langfristig eine eigene Wohnung suchen.Bezüglich der Schulden ist Herr K. bei derSchuldnerberatung in Betreuung und versuchteinen Privatkonkurs zu erreichen. Fallsdies nicht möglich ist, wird es zu einem Abschöpfungsverfahrenkommen. Herr K. hatauch gelernt, wie er Stress frühzeitig erkennenund somit die Risikosituationen andersbewältigen kann. Damit zusammenhängendrausch 1-<strong>2012</strong>


16B. Oitzingerwurde mit Herrn K. eine geeignete Rückfallprophylaxeerarbeitet. Seinen Traum vomPferdehof versucht Herr K. langfristig mitHilfe von Förderungen zu realisieren, wobeimittelfristig die Regulierung der Schulden alsZiel formuliert wurde.LiteraturLandmann, J. & Petty, R. (2000). „It could havebeen you”: How states exploit counterfactualthought to market lotteries. Psychology & Marketing,17, 299-321.Becker T. (2007). Gefährdungspotential vonGlücksspielen für den Spieler und die Gesellschaft.Universität Hohenheim.Breen, R. B. & Zimmerman, M. (2002). Rapid Onsetof Pathological Gambling, in: Machine Gamblers.Journal of Gambling Studies, 18 (1), 31-43.Buth, S. & Stöver, H. (2008). Glücksspielteilnahmeund Glücksspielprobleme, in: Deutschland: Ergebnisseeiner bundesweiten Repräsentativbefragung.Suchttherapie, 9, 3-11.Michael Musalek, Martin Poltrum (Hrsg.)Ars Medica. Zu einer neuenÄsthetik in der MedizinSchaut man auf die europäische Geistesgeschichte, dann zeigt sichschnell: Das Schöne ist heilsam — es ist das Antidepressivum und Weckamindes Seins. Eine Sozialästhetik als Wissenschaft des Schönen inden zwischenmenschlichen Beziehungen kann somit ein Wissen zurVerfügung stellen, das in die medizinische Praxis Eingang findet.Themen, die es hier wissenschaftlich zu bearbeiten und klinisch umzusetzengilt, sind z.B. die Kultivierung von Patientenkontakten und -interaktionen,die Dekonstruktion von Interaktionsgrenzen, das Schaffenvon angstfreien und gesundheitsfördernden Atmosphären, das Einführenvon Humanität in leere Patientenrituale, die Eleganz der Diagnostik,die Attraktivität von Behandlungsformen, die Sensibilisierung fürWahrnehmungen und Erfahrungen des Schönen und das Eröffnen vonästhetischen Zukunftsperspektiven. Der Band versammelt grundlegendeTexte zu einer solchen neuen Ästhetik in der Medizin.332 Seiten, ISBN 978-3-89967-670-9, Preis: 30,- €PABST SCIENCE PUBLISHERSEichengrund 28, D-49525 LengerichTel. ++ 49 (0) 5484-308, Fax -550pabst.publishers@t-online.dewww.psychologie-aktuell.com, www.pabst-publishers.deBühringer, G., Kraus, L., Sonntag, D., Pfeiffer-Gerschel,T. & Steiner, S. (2007). PathologischesGlücksspiel in Deutschland: Spiel- und Bevölkerungsrisiken.Sucht, 53 (5), 296-308.Güsser, S. M. & Albrecht, U. (2007). Rien ne va plus– wenn Glücksspiele Leiden schaffen. Bern:Verlag Hans Huber.Kalke, J., Buth, S., Rosenkranz, M., Schütze, C.,Oechsler, H. & Verthein, U. (2011). Glücksspielund Spielerschutz in Österreich. Freiburg:Lambertus.Meyer, G. & Hayer, T. (2005). Das Gefährdungspotentialvon Lotterien und Sportwetten – EineUntersuchung von Spielern aus Versorgungseinrichtungen.Abschlußbericht. Ministeriumfür Arbeit. Gesundheit und Soziales des LandesNordrhein-Westfalen.Meyer, G., Häfeli, J., Mörsen, C. & Fiebig, M.(2010). Die Einschätzung des Gefährdungspotentialsvon Glücksspielen: Ergebnisse einerDelphi-Studie und empirische Validierung derBeurteilungsmerkmale. Sucht, 56, 405-414.Rumpf, H. C., Meyer, C., Kreuzer, A. & John, U.(2011). Epidemiologische Ergebnisse der PA-GE-Studie zur Prävalenz und Komorbiditätdes pathologischen Glücksspielens.Petry, J. (2003). Pathologisches Glücksspielverhalten.Geesthacht: Neuland.Stöver, H. (2006). Empirische Befunde zum problematischenLottospielverhalten. UniversitätBremen.Coups, E. Haddock, G. & Webley, P. (1998). Corrlatesand Predictors of Lottery Play in the UnitedKingdom. Journal of Gambling Studies, 14,285-303.Tversky, A. & Kahnemann, D. (1973). Availability:A heuristic of judging frequency and probability.Cognitive Psychology, 5, 207-233.Mag. Birgit OitzingerKlinische- und Gesundheitspsychologin,Psychotherapeutin in Ausbildung unterSupervision, Koordinatorin fürGlücksspielsucht/Online- undComputerspielsucht am Anton ProkschInstitut, Wienbirgit.oitzinger@api.or.atrausch 1-<strong>2012</strong>


17Rien ne vas plus: Dostojewskis SpielsuchtBert KellermannVor 30 Jahren war in Deutschland dasGlückspielangebot überschaubar; dementsprechendwurde kaum ein Bürger spielsüchtig.Dennoch war das Krankheitsbild bekannt:Viele Leute hatten nämlich DostojewskisRoman „Der Spieler“ gelesen – undsein Autor wusste, wovon er schrieb.Der russische Schriftsteller Fjodor MichailowitschDostojewski (1821 bis 1881) war einsüchtiger Glücksspieler. Er geriet durch dasverlockende, zeitgenössische Glücksspielangebotin Deutschland in diese Abhängigkeit.Während es in Russland keine Spielcasinosgab, existierten in Deutschland damals Casinosin fünf mondänen Kurbädern. Hauptsächlichwurde dort Roulette gespielt, als Unterhaltungfür die vermögenden, insbesondereausländischen Kurgäste.Die Reise mit Polina1863 plante der damals 42-jährige Dostojewskimit seiner Freundin, der Studentin Polina,eine Reise von Paris nach Italien. Polinastudierte in Paris. Dostojewski, der oft inGeldnöten war, machte auf der Fahrt zu ihreinen Abstecher nach Wiesbaden zum Roulettespielenim dortigen Casino. Bei diesemersten Casinobesuch war dem Autor das fataleAnfängerglück hold. Die Reise mit Polinaführte – bestimmt nicht zufällig – von Pariszunächst wieder nach Wiesbaden und dannnach Baden-Baden, ebenfalls ein Casino-Ort.Dort schrieb Polina in ihr Tagebuch: „Erspielt fortwährend Roulette ...“ Offenbar verlorDostojewski auch, denn die beiden musstensich Geld leihen, um ihre Reise fortzusetzen.Nachdem sein Bruder Michail ihm in einemBrief Vorwürfe gemacht hatte („hör um Gotteswillenauf zu spielen, wo soll das hinführen“),schrieb Dostojewski ihm über seineVerluste beim Roulette: „Wir zitterten jedenAugenblick, dass uns im Hotel die Rechnungpräsentiert werde und wir ohne einen Groschensein könnten. Ein Skandal, die Polizeidrohte ... Scheußlich! Meine Uhr habe ichnoch in Genf ... versetzt ... Polina hat einenRing versetzt ... Mischa, in Wiesbaden habeich ein Spielsystem erfunden ... habe zehntausendFrancs gewonnen! ... NB. Von meinerLage erzähle niemandem. Meine Spielverlustesollen ein Geheimnis bleiben.“Nach der Reise mit Polina fuhr Dostojewskinicht nach Russland zurück, sondern zunächstzum Casino in Homburg. Kurz danachvertraute Polina ihrem Tagebuch an,Dostojewski habe sie gebeten, wegen seinerSpielverluste eine Uhr und eine Kette zu versetzen.Der Reinfall von WiesbadenZwei Jahre später, im Juli 1865 wollte Dostojewskimehrere Monate mit Polina in Parisverbringen. Er reiste jedoch zunächst nur bisWiesbaden, Polina folgte ihm dorthin. Innerhalbvon nur fünf Tagen verlor er sein gesamtesGeld einschließlich das für die Hotelkostensowie die Weiter- und Rückreise vorgesehene.Er schrieb: „Ich bin pleite bis aufs letzteHemd – sogar meine Uhr habe ich verspielt,und im Hotel schulde ich Geld.“ Alsein Freund ihm endlich Bargeld schickte,nahm es der Hotelwirt gleich an sich; er hatteDostojewski bereits mit einer Anzeige beider Polizei gedroht.Neuer VersuchDostojewskis „Der Spieler“ basiert auf seinenRoulette-Erlebnissen in Wiesbaden und Baden-Baden.Für das Romanprojekt ließ er sichvon einem Verleger – wie üblich – einen Vorschussgeben. Zu Beginn der Niederschriftdes Romans 1866 stand Dostojewski bereitsunter massivem Zeitdruck: Wenn er den vereinbartenAbgabetermin nicht einhaltenkonnte, hätte dies durch den Verlagsvertragbittere Konsequenzen gehabt. Diesmal hatteer wirkliches Glück: Anna trat in sein Leben.Sie war ihm empfohlen worden als tüchtigerausch 1-<strong>2012</strong>, 17-19


18B. KellermannAbbildung 1Dostojewski 1863Die Hochzeitsreise führte zunächst wiedernach Deutschland. Geplant war eine Reisedauervon wenigen Monaten, sie kehrten jedocherst nach vier Jahren zurück – kurz bevor1871/72 in Deutschland alle Casinos geschlossenwurden. Es sind Briefe von Dostojewskiaus diesen vier Jahren und ebenso Annasin Stenografie geführtes Tagebuch erhalten.Letzteres ist ein erschütterndes Dokument,aus dem sich unmittelbar und eindringlichmiterleben lässt, wie ein süchtig gewordenerMensch wie Dostojewski seinerAbhängigkeit ausgeliefert ist, und wie sehrdadurch seine Nächsten leiden. Dostojewskikam offensichtlich nicht los vom Roulette,trotz aller negativen Erfahrungen, trotz allerbestimmt ehrlich gemeinten Vorsätze.Abbildung 2Neun Jahre später (1872)Stenografin. Mit ihrer Hilfe schaffte er es innerhalbvon 24 Tagen tatsächlich, den „Spieler“zu diktieren und den Abgabetermin –wenn auch knapp – einzuhalten.Man kann wohl sagen, dass die 20-jährigeAnna – sie wude Dostojewskis zweite Fraunicht nur in seiner aktuellen Notsituation,sondern für sein weiteres Leben sein großesund wirkliches Glück war. Sie wurde zunehmenddie Managerin des ziemlich schlechtorganisierten Dichters und schaffte es imLaufe der Zeit, dass er nach und nach ausdem ständigen Schuldendruck herauskam.Dostojewski in HomburgAus Dostojewskis Sicht war mehr denn je einfetter Gewinn beim Roulette seine einzigeChance, seine hohen Schulden zurückzahlenzu können. Aus dieser (kranken) Logik herausließ er seine junge Ehefrau bereits dreiWochen nach der Ankunft in <strong>Dr</strong>esden alleinzurück und fuhr nach Homburg zum Casino.Er wollte eigentlich nur zwei bis Tage wegbleiben,kam jedoch erst nach acht Tagen zurück.Aus Homburg schrieb Dostojewskinach <strong>Dr</strong>esden an seine Frau liebevolle Briefe,in denen er auch über sein Verhalten reflektierte.Noch war er zeitweilig fähig zur rationalenDistanzierung vom Roulette, aber bereitskaum mehr zum rationalen Handeln.„Die ganze Nacht habe ich von Dir geträumt... Aber da war das Spiel, von dem ich michnicht losreißen konnte.“Dostojewski spielte – das wird aus seinenBriefen deutlich – immer noch in der Überzeugung,mithilfe seines Systems einen großenGewinn erzielen zu können. Seine Briefezeigen: Das Glücksspiel ist für ihn kein Freizeitvergnügen,sondern eher eine lästige undanstrengende Arbeit, die er erledigen muss.Dostojewski hatte seine Uhr versetzt, um seineHeimfahrt finanzieren zu können, verspieltedas Geld jedoch und gewann einenTeil davon zurück. Doch am Morgen ging erwieder ins Casino und verspielte alles, sodasser kein Geld mehr für die Heimfahrt und dieHotelrechnung hatte. Er schwankte zwischendem <strong>Dr</strong>ang zum Glücksspielen und derSehnsucht nach seiner Frau hin und her.Doch das Verlangen zu Spielen war stärker.Aus Annas Tagebuch-Notizen wird deutlich,wie sehr sie in dieser Zeit gelitten hat.rausch 1-<strong>2012</strong>


Rien ne vas plus: Dostojewskis Spielsucht 19Dostojewski und seine Frau inBaden-BadenNachdem Ende Juni 1867 eine größere Geldsendungeingetroffen war, konnten die Dostojewskisweiterreisen, zunächst bezeichnenderweisenach Baden-Baden. Dort blieben siewesentlich länger als geplant. In Baden-Badenbekommt Anna nun unmittelbar mit, wieDostojewski spielt. Klugerweise übernahmsie die Verwaltung des Geldes.Aus Annas Memoiren: „Wir hatten verhältnismäßigwenig Geld und keinerlei Möglichkeit,im Falle eines Misserfolgs welches zubekommen. Innerhalb einer knappen Wochehatte Fjodor Michailowitsch alles Bargeldverspielt, und nun begannen die Aufregungen,woher neues beschaffen, um weiterspielenzu können. Man musste Sachen versetzen.Aber auch jetzt konnte mein Mann nichtan sich halten und verspielte mitunter alles,was er soeben für einen versetzten Gegenstanderhalten hatte. Bisweilen verspielte erbeinahe den letzten Taler, plötzlich war dasGlück wieder auf seiner Seite, und er brachteeinige Dutzend Friedrichsdor nach Hause ...Doch dieses Geld blieb nicht lange in unserenHänden ... Erneut folgten Verpfändungen,aber da wir wenig wertvolle Dinge besaßen,versiegten diese Quellen bald. Indessenwuchsen die Schulden und wurden spürbar,da wir bei der Wohnungswirtin Schuldenmachen mussten, einer zänkischen Frau.“Anna litt damals unter Schwangerschaftsbeschwerdenwie Erbrechen. Noch wesentlichmehr litt sie durch die Sucht ihres Mannes.Aus ihren Tagebuchaufzeichnungen gehthervor, dass sie zeitweilig präsuizidal war:„Er war furchtbar verstört. Mir war sofortklar, dass er wohl die 10 Goldstücke verspielthatte ... Er bat mich um weitere 5, die ich ihmsofort gab. Er dankte mir überschwänglich,als ob ich ihm eine Wohltat erwiesen hätte ...Er sagte mir, dass er ... an die vierhundertFranken gewonnen habe, dass er aber nochmehr habe gewinnen wollen und sich nichtrechtzeitig vom Spiel losgerissen habe. Dasquälte ihn sehr. Ich versuchte ihn zu trösten... Armer Fedja, wie leid tat er mir!!“„Heute morgen hatten wir noch 20 Goldstücke– eine allzu geringe Ressource, aber vielleichtgeht es ja wieder aufwärts ... Als erdann schließlich auftauchte, hatte er auchdiese Goldstücke verspielt und bat mich nun,ihm sofort Gegenstände zum Verpfänden zugeben. Ich nahm meine Ohrringe und meineBrosche ab und sah sie mir lange, lange an,als sähe ich sie zum letzten Mal. Das war mirsehr schmerzlich, da Fedja sie mir geschenkthat und sie mir so teuer sind. Fedja sagte mir,es tue ihm weh und er schäme sich ... Er sagtemir, dass er alles verspielt hatte, sogar dasGeld, das er für die verpfändeten Ohrringebekommen hatte ... Heute morgen, als wirnoch 20 Goldstücke hatten, hätten wir ausBaden-Baden abreisen sollen.“„Ich war überglücklich, dass wir endlich dieseverfluchte Stadt verließen, ich bin sicher,dass ich nie mehr hierher kommen werde.Auch meinen Kindern werde ich verbieten,nach Baden-Baden zu fahren, soviel Kummerhat mir diese Stadt gebracht.“RückfälleIn den folgenden Jahren hatte Dostojewskifünf Rückfälle. 1871 wurden in Deutschland– wie vorher schon in Frankreich – wegen derglücksspielbedingten psychosozialen Problemealle Casinos geschlossen. Dostojewskikehrte mit seiner Familie nach Russland zurück.Später war er noch einigemale wegenseiner Raucherbronchitis (er war auch nikotinsüchtig)in einem deutschen Kurbad.Rückfällig in seine Glücksspielsucht wurdeer nicht: Er hatte gar keine Möglichkeit dazu.Durch das Verbot von Glücksspielen mit hohemSucht- und Schadenspotenzial wurdenin Deutschland nur noch sehr wenige Menschenglücksspielsüchtig, bis vor etwa 30 Jahren.Frühere Generationen haben Suchtproblemewirksamer bewältigt als wir. Habenwir gegenüber der Suchtepidemie unsererZeit resigniert?Literatur beim Verfasser<strong>Dr</strong>. Bert KellermannPsychiater i.R., war 20 Jahre lang Chefarzt derSuchtabteilung im Krankenhaus Hamburg-Ochsenzoll und engagiert sich bei der„Aktiven Suchthilfe e.V.“ und „Der Brücke e.V.“BertKellermann@gmx.derausch 1-<strong>2012</strong>


20„Player tracking“ und „player control“ –wie kognitive Fehlschlüsse vonSpielbetreibern gezielt genutzt werdenAron KampuschZu Beginn dieses Artikels möchte ich gernemeinen eigenen, für einen Psychologen sehrspeziellen Zugang zum Thema Glücksspielbeschreiben und die wirtschaftliche wie auchepidemiologische Dimension der Problematikaufzeigen, bevor ich die beiden Begriffedes „player tracking“ und „player control“definiere. Der Weg führt dann weiter überdie, wie ich hoffe, anschauliche Darstellungspezifischer Denkfehler wie sie beim Glücksspielenimmer wieder auftreten. Schließlichsoll gezeigt werden, wie diese Denkfehlergezielt von Spielbetreibern angesteuert werden,um Umsätze und Gewinne zu maximieren.Meine Glücksspiel-Vita begann nicht erst mitmeinem Dienstantritt im Anton Proksch InstitutWien im Jahr 2007, ihr Anfang ist vielfrüher datiert, im Jahr 1989 in Seefeld in Tirol,wo ich von einem internationalen Glücksspielkonzernzum Croupier ausgebildet wurde.Meine Karriere dauerte 16 Jahre, in welchenich in beinahe allen österreichischen Casinosdes Konzerns tätig war. Die Herausgeberdieses Magazins schlugen mir vor, fürdiese Ausgabe einen Artikel zu verfassen, indem ich aus psychologischer Sicht die Mechanismendarstelle, die das Spiel forcieren,wie diese von der Seite der Glücksspielbetreibereingesetzt werden und wie das SystemSpielbank funktioniert. So wage ich nun alsoden Versuch, antrainierte „skills“ in Worte zufassen, zu systematisieren und einer wissenschaftlichenReflexion zu unterziehen.Der österreichischeGlücksspielmarkt und seineGefahrenWerfen wir einen ersten Blick auf die Sachlage.Wirtschaftlich geht es beim Glücksspiel inÖsterreich für die diversen Anbieter vonGlücksspielautomaten, Roulette, Black Jack,Poker, Rubbellosen, Lotto, Sportwetten etc.um einen Brutto-Spielertrag von ca. 1,4 MilliardenEuro (vgl. Kreutzer, Fischer & Partner,2011, S. 2). Dabei muss bedacht werden, dassdie in Österreich angebotenen Spiele eine unterschiedlichhohe Gefahr in sich bergen, daran„hängen“ zu bleiben. Das größte Suchtpotentialbergen Glücksspielautomaten inSpielhallen und Automatencasinos, die gesetzlichnicht einem vorgeschriebenen Zugangs-Kontroll-Systemunterliegen, gefolgtvon jenen Automaten, welche sich in Einrichtungenbefinden, die zu einer Zutrittskontrolleverpflichtet sind. Dann folgt das Internet-Poker,die Internet-Sportwette, Roulette,life-Sportwetten und Rubellose. Am ungefährlichstenerscheinen die diversen Lotterien(vgl. Meyer et. al., 2010, S. 411). EineMöglichkeit Glücksspiele von anderen Spielenund auch untereinander zu unterscheidenbesteht darin sich anzusehen, ob derAusgang des Spiels vom Zufall oder abervom Können des Spielers bzw. der Spielerinabhängt. Bei manchen Spielen scheiden sichdie Geister, sie scheinen ein Grenzfall zwischenGlücks- und Kompetenzspiel zu sein.Vergleicht man im Bereich der Sportwettendie gewetteten Ergebnisse von Profis undUnkundigen aus einer Distanz von 3 Wochenvor dem Match, so zeigt sich kein Unterschiedin der Treffergenauigkeit. Aus einergeringeren zeitlichen Distanz heraus (3 Tage)ist jedoch ein kleiner, aber statistisch signifikanterVorteil der Profis von 13% zu sehen(vgl. Glöckner & Towfigh, 2010, S. 5). Die Autorendieser Studie plädieren ohnehin dazu,die staatliche Regulierung von Spielen nichtvom Faktor Zufall sondern einzig und alleinevon ihrer Gefährlichkeit abhängig zu machen(vgl. Glöckner & Towfigh, 2010, S. 8). Bei derDelphi Studie von Meyer et. al. wurden auchdie Faktoren erforscht, die ein Spiel attraktivbzw. gefährlich werden lassen. Am bedeurausch1-<strong>2012</strong>, 20-24


„Player tracking“ und „player control“ – wie kognitive Fehlschlüsse von Spielbetreibern gezielt genutzt werden 21tendsten zeigt sich hier die sogenannte Ereignisfrequenz,gefolgt von multiplen Spiel- undEinsatzgelegenheiten, der Gewinnwahrscheinlichkeit,Ton- und Lichteffekten, einervariablen Einsatzhöhe, der zeitlichen Verfügbarkeitdes Spiels, der Möglichkeit von Jackpots,dem Auszahlungsintervall, den Fast-Gewinnen und der Kontinuität des Spiels(vgl. Meyer et. al., 2010, S. 409). Das Forschungsinstitutfür Glücksspiel und Wettenbescheinigt der Online-Variante des Pokerns(Texas Hold´em No Limit) ein hohes Maß anKomponenten der Geschicklichkeit und stuftdessen Gefährlichkeit auf jene der Sportwettenein (vgl. Peren & Clement, <strong>2012</strong>, S. 4).Geregelt wird das österreichische Glücksspielim Glücksspielgesetz, die letzte Novellestammt aus dem Jahr 2010 und wurde vonvielen Seiten heftigst kritisiert, da die Einflussnahmeder beiden großen österreichischenGlücksspielkonzerne auf den Gesetzestextzu deutlich ans Tageslicht trat. Manchein geheimes Strategiepapier fand auch denWeg in die Öffentlichkeit, wo Begriffe wie„dirty campaigning“ und auch gezieltes Lobbyingbei politischen Entscheidungsträgerndezidiert als Maßnahmen beschrieben werden.Maßnahmen, die im Rahmen der Konzessions-Neu-Vergabefür die Glücksspielkonzessionenin Österreich <strong>2012</strong> eingesetztwerden sollen (vgl. Format Nr. 29/2009).Betrachtet man die psychologische Dimensiondes Glücksspiels, so kommt man nichtumhin, die Studie von Jens Kalke zu erwähnen,welche folgende, interessante Ergebnissezu bieten hat (vgl. Kalke et. al., 2011):Insgesamt wird die Gesamtanzahl der pathologischenGlücksspieler in Österreich auf insgesamt64.000 Personen geschätzt. Überdurchschnittlichhoch ist der Studie zufolgedabei der Anteil an Männern zwischen 18und 35 Jahren, mit lediglich einem Pflichtschulabschluss,Migrationshintergrund wieauch gering Verdienende und Arbeitslose. ImDetail betrachtet finden sich auch durchausexplosive Aussagen wie z.B. jene, dass 47%der Nutzer des Automatenspiels in einerSpielhalle die DSM-IV Kriterien einer pathologischenGlücksspielsucht erfüllen, jedoch„lediglich“ 15% der Automaten-Spieler in einemmonopolisierten Casino, was wiederumdie Frage nach der Handhabung wie auchden gesetzlichen Vorgaben für den Spielerschutzvon Betreiber- als auch staatlicher Seitenach sich zieht. Auffällig wird hier die Teilnahmeam Automatenspiel in Wien dargestellt,welche mit 2,8% wesentlich höher als inden restlichen Bundesländern ist (0,1-1,4%).Das Anton Proksch Institut Wien blickt für2010 auf 121 stationär aufgenommene Patientenmit der Diagnose „Glücksspielsucht“ zurück,im ambulanten Setting wurden 280 Patientenmit dieser Störung in Gruppen- undEinzeltherapien behandelt. Generell spiegelnsich die Ergebnisse der Studie von Kalke etal. in der Praxis insofern wider, als der Anteilan Patienten und Patientinnen mit einem Automatenspielproblemin Kombination mit einemMigrationshintergrund merklich ansteigt.Kreutzer, Fischer & Partner schreiben in ihrerjährlichen Analyse des österreichischenGlücksspielmarktes für 2011, dass der Marktgesättigt sei und Wachstum nur mehr durcheine höhere Spielfrequenz oder einen höherenSpieleinsatz möglich wäre (vgl. Kreutzer,Fischer & Partner, 2011, S. 2). Es liegt nun anden Betreibern, das Maximum aus einemMarkt heraus zu holen, welcher an seineGrenzen gekommen zu sein scheint. Hilfreichdabei ist das genaue Beobachten derspielenden Gäste, das „player tracking“.Player Tracking – nichts bleibt beimSpiel unbeobachtetBetritt man ein Casino, so bleibt ab diesemZeitpunkt kein Schritt, kein Spiel und keineGeldwechslung mehr unbeobachtet. Es beginntschon beim „check in“. Um die Identifikationeines Spielers im Casino zu erleichtern,wird dieser mit einem „skipname“ ausgestattet,erfreut man sich eines auffällig gezwirbeltenBartes, wird aus Georg Müller(Name frei erfunden) „Kaiser Franz“, verfügtJanine Pogatschnig (Name ebenfalls frei erfunden)über andere, ins Auge stechende Attribute,wird sie eben zu „Marilyn“. Somit istes ein Leichtes, bevorzugte Spielautomaten,Spieltische, Spielkombinationen, die Trinkgeldfreudigkeit,Rückwechslungen von Jetonsetc. letztendlich in Form einer GewinnundVerlusttabelle zu erfassen und unter denwachsamen Angestellten zu verbreiten. Dieeuropäische Casino Association bietet ihrenzahlungskräftigen Mitgliedern auch Seminarean, die sich mit Problemstellungen der Datensammlungbefassen, wie man Mystery-Jackpots am besten als Marketing Instrumentverwendet „um unter dem Strich das Ergebniseines Casinos zu erhöhen“ (slot summit<strong>2012</strong>) und wie man die Macht von Geruch,Klang, Farbe, Temperatur und anderen haptischenElementen in Form eines „multi sensorymarketings“ verwendet, um, und ich kürerausch 1-<strong>2012</strong>


22A. Kampuschdiesen Ausdruck als Suchttherapeut hiermitzum Unwort meines noch jungen Jahres<strong>2012</strong>, die „customer loyality“ zu verstärken.Anhand von „performance analysis“ wirddie Beliebtheit diverser Spiele rechnerisch ermitteltund das Potential von Neuerscheinungenauf dem Markt eingeschätzt. Man haterkannt, dass Onlinegaming sich kannibalisierendauf den Offlinemarkt auswirkt (vgl.Kreuzter, Fischer & Partner, 2011, S. 4), es gibtauch Vorträge, „wie beides zusammen funktionierenkann und Synergieeffekte erschafft,anstatt gegeneinander anzutreten“ (slot summit<strong>2012</strong>).Kurzum dreht sich beim „player tracking“ allesum folgende Frage: „Wer spielt was, wielange, in wessen Begleitung, wann, wie oftund innerhalb welches Einsatzspektrums“?Player control – wo kühle Statistikund künstlich erzeugter Stress Handin Hand gehenSind die Betreiber durch Beobachtung nunim Besitz dieser Daten, kann gezielt an eineBeeinflussung des Spielverhaltens gedachtwerden. Nehmen wir nun ein Beispiel ausdem lifegame, das Roulette: Beobachtet mandas Spielgeschehen, so bemerkt man, dassder Croupier das Spiel beschleunigt, wenndas Spiel am Tisch höher wird. Er tut dies auseinem statistischen Grund heraus, je mehrSpiele er abwickelt, desto wahrscheinlicherist es, dass der sogenannte Hausvorteil zuschlägt.Als Hausvorteil bezeichnet man denVorteil des Spielanbieters gegenüber demSpieler, welcher sich von ca. 2,7% beim Roulette,6% beim Black Jack bis hin zu den 30%bei Automaten bewegen kann. Glücksspielist für den Betreiber kaltes Kalkül, was der„hold“ bezeugt. Für jeden Spieltisch gibt eseine Kennzahl, welche „hold“ genannt wirdund die den prognostischen Gewinn über dieOffenhaltezeit des Spieltisches oder Automatenangibt. Tische unterhalb des hold werdenbeschleunigt, ist er erreicht, kann man eineSperre für den Spieltag ins Auge fassen. AmEnde eines Spieltages wird das Spiel nocheinmal künstlich erhitzt, indem man für vieleSpieler nur mehr wenige Tische anbietet. EinMittel zur Einflussnahme auf die Spielhöhebietet sich durch ein sogenanntes Auszahlungsmanagementan. Hierbei werden demSpieler im Gewinnfalle Jetons der nächst höherenGattung ausbezahlt, durch eine Forcierungder Ereignisfrequenz bleibt keine Zeitmehr, diese zu wechseln. Der Spieler stehtnun vor dem Dilemma: „lasse ich in diesemSpiel die bewährten Glückszahlen der „MitziTant´“ aus oder riskiere ich das Doppeltemeines Standardeinsatzes“? Gewinnt derSpieler mit dem erhöhten Einsatz, bleibt erauch dabei, setzt er aus und die Zahlen kommen,fügt er sich (nach einem mehr oder minderintensiven Verlust der verbalen Impulskontrolle)ebenfalls.Beim Automatenspiel kann der Betreiberdurch die Wahl der Stückelung der Geldscheineauch großen Einfluss auf das Spielverhaltennehmen. Nehmen wir an, Sie hätten€ 510,- gewonnen und ließen sich dies ander Kasse auszahlen. Im Sinne eines „playercontrols“ wäre es sinnvoll, Sie mit 3 Hundertern,2 Fünfzigern, 2 Zwanzigern und 7 Zehnernauf den Weg von der Kassa, die üblicherweiseim hinteren Teil des Automatenbereichssteht, quer durch den Automatenspielsaalhin zum Ausgang zu schicken. AlsGlücksspielbetreiber gibt man Ihnen somitdie Möglichkeit, quasi im Vorbeigehen nochein paar Scheine zu setzten um den „hold“ zupolieren.Magisches Denken – wie kognitiveVerzerrungen gezielt genutztwerdenWer wird nicht gerne hofiert? Vor allem,wenn man sich dabei in Gesellschaft befindet,ist es eine immense Befriedigung unserernarzisstischen Anteile, wenn uns die Angestelltennamentlich begrüßen, unsere Namenkennen, unsere bevorzugten Spielautomatenfür uns frei gehalten haben, einen <strong>Dr</strong>ink aufsHaus spendieren und uns hochrechnen, wieviel wir mit unserem präferierten Roulette-System heute schon gewonnen hätten bzw.wie hoch der Jackpot war, den uns jemandanderer vor der Nase weg geschnappt hat,wären wir nur eine Stunde früher gekommen.Ebenso schmerzhaft gestaltet sich dannauch das Erleben des Liebesentzuges, wennsie mit dem Trinkgeld geizen, sich dem„player tracking“ entziehen oder, Gott bewahre,wirklich substanzielle Gewinne mitnach Hause nehmen. Dann ändert sich dasKlima schlagartig und im sozialen UterusSpielhalle bzw. Casino wird es plötzlich einwenig kühler.Hand aufs Herz, sind sie nicht auch ein bisschenabergläubisch? Haben Sie ein Kleeblattvom Silvester in Ihrer Brieftasche, einen Ro-rausch 1-<strong>2012</strong>


„Player tracking“ und „player control“ – wie kognitive Fehlschlüsse von Spielbetreibern gezielt genutzt werden 23senkranz an ihrem Rückspiegel hängen odergar einen Teddybären aus Kindertagen alsheimlichen Beschützer in Ihrem Schlafzimmer?Psychologisch gesehen handelt es sichbei diesem Phänomen um einen Bereich, denman „magisches Denken“ nennt. Diesen Dingenwerden übernatürliche, magische Eigenschaftenzugesprochen. Für Spieler hat dasmagische Denken einen hohen Stellenwert –fällt der nächste Jackpot wieder an einem„book of Ra“-Automaten, welcher Croupiergibt heute zu meiner Glücksstunde an meinemGewinnertisch die Kugel, wird mir dasBubenpaar als Startkarte beim Pokern wiederGlück bringen? Der Spieler tendiert - unterstütztvon der Glücksspielindustrie - dazu,den Ausgang eines Spieles mit Umweltfaktorenin Verbindung zu bringen und damit Zusammenhängezu konstruieren, die objektivnicht existieren. Seit es Casinos und Spielsalonsgibt, arbeiten diese mit den kognitivenVerzerrungen, die das Spiel umgeben. Im Casinojargonist die Bezeichnung dafür zwar eineAndere, der Verständlichkeit halber verwendeich aber folgende Typologie, wie sie indiverser, zugänglicher Literatur auch oftmalsbeschrieben wird. Ein anschauliches Beispieldafür ist beispielsweise die Sirene, welcheausgelöst wird, wenn ein Automat einenJackpot auszahlt. Der Gewinner weiß ja ohnehin,dass er gewonnen hat, vielmehr richtetsich die Sirene an all die anderen Spieler, welchedamit dem sogenannten „Verfügbarkeitsfehler“unterliegen. Man schätzt die eigenenGewinnchancen höher ein, wenn man Anderebeim Gewinnen beobachtet, und verliertdie Übersicht über die eigenen realen bisherigenVerluste. Der „clustering illusion“ verfälltder Spieler, wenn er sich beispielsweisein einem Casino sogenannte „permanencen“kauft. Das sind Aufzeichnungen beim Roulette,die von jedem beliebigen Spieltisch zujeder beliebigen Zeit die gekommenen Zahlendarstellt. In diesem Datensalat sucht mandann nach einem Muster. Interessant ist, dassein Großrechner des Spielbetreibers diesauch tut – würde es ein Muster geben, wäreder Roulettezylinder schon längst ausgetauschtworden. Der Umstand, dass ein Casinoeine Permanenz anbietet, bedeutet also,dass darin kein Muster zu finden ist. Diemenschliche Psyche ist nun aber in einer Artgestrickt, dass sie Muster braucht und solcheauch notfalls selber generiert. Je mehr Einflusswir auf die Höhe des Einsatzes habenoder die Spielautomaten, Zahlen und Chancenbewusst auswählen können, desto eherneigen wir dazu, der „Kontroll-Illusion“ zuverfallen, jener Illusion, dass wir durch Auswahleinen Einfluss auf den Zufall bekommen.Das „Gesetz der großen Zahlen“ kann imSpielbereich wie folgt dargestellt werden: angenommen,auf einem Spieltisch fallen vielmehr rote als schwarze Zahlen, wird Schwarzim Lauf der Zeit nachziehen? Nein, es kanndurchaus eine Delle in der Verteilung bleiben,Schwarz zu forcieren wäre statistisch gesehengenauso sinnvoll wie auf Rot zu setzen.Zu guter Letzt kommen wir noch zu drei spezifischenDenkfehlern, genannt „Spielerfehlschluss1 bis 3“: Spielerfehlschluss Nummer1 sagt uns, dass ein zufälliges Ereignis nichtwahrscheinlicher wird, nur weil es längereZeit NICHT eingetreten ist, SpielerfehlschlussNummer 2 besagt, dass ein zufälligesEreignis nicht wahrscheinlicher wird, nurWEIL es gerade eingetreten ist. Spielerfehlschluss3 bedeutet, dass ein zufälliges Ereignisnicht unwahrscheinlicher wird, weil eslängere Zeit NICHT eingetreten ist. DennFakt ist: ein Roulettezylinder, Spielkartenoder Würfel haben kein Gehirn und könnensich deshalb nicht an die vorhergegangenen„outcomes“ erinnern.Um Sie vollends zu verwirren, berichte ichIhnen noch vom „umgekehrten Spielerfehlschluss“- da ein unwahrscheinliches Ereignisvorliegt, nimmt man als Spieler an, dass esdazu einer Reihe von vorhergegangenen Ereignissenbedurfte, was ebenso unrichtig ist.Ein guter Spielbetreiber unterstützt seineKunden möglichst hochfrequent in allen Bereichendes magischen Denkens und der kognitivenDenkverzerrungen, erfasst die Bedürfnisseund kleinen menschlichen Schwächenseiner Kunden mittels des „player trackings“und nutzt die Erkenntnisse, um mitHilfe des „player controls“ lenkend in dieSpielprozesse einzugreifen, damit letztendlicheine ausgeprägte „customer loyality“den hold glänzen lassen kann.Für <strong>2012</strong> rechnet das Anton Proksch Institutmit einer 20%igen Steigerung der ambulantenSpielsucht-Patienten.LiteraturEuropean Casino Association – Slot Summit <strong>2012</strong>:Konferenz Programm für den 19. bis 23.03.<strong>2012</strong> in Hannover.Glöckner, A. & Towfigh, E. (2010). GeschicktesGlücksspiel. Die Sportwette als Grenzfall desGlücksspielrechts, JZ 21/2010, S. 1027-1035.rausch 1-<strong>2012</strong>


24A. KampuschKalke, J., Buth, S., Rosenkranz, M., Schütze, C.,Oechsler, H. & Vertheim, U. (2011). Glücksspielund Spielerschutz in Österreich. EmpirischeErkenntnisse zum Spielverhalten der Bevölkerungund zur Prävention der Glücksspielsucht.Lambertus Verlag.Kreutzer, Fischer & Partner (2011). Glücksspiel &Sportwetten in Österreich 2011, Zahlen, Daten,Fakten. Handout zur Pressekonferenz vom 6.September 2011.Meyer, G., Häfeli, J., Mörsen, C. & Fiebig, M. (2010).Die Einschätzung des Gefährdungspotentialsvon Glücksspielen. Sucht, 56 (6), 405-414.Peren, F. & Clement, R. (<strong>2012</strong>). Messung und Bewertungdes Suchtgefährdungspotentials des OnlinepokerspielsTexas Hold´em No Limit. WirtschaftswissenschaftlichesGutachten des Forschungsinstitutesfür Glücksspiel und Wetten.Sankholkar, A. (2009). Die geheime Casino-Akte.Format, 29/2009.Mag. <strong>Dr</strong>. Aron KampuschSuchttherapeut am Anton Proksch Institut,WienKlinischer Psychologe undGesundheitspsychologe, Psychotherapeut(VT), Kommunikationswissenschafter,16 Jahre lang als Croupier tätigaron.kampusch@api.or.atPeter OrlikSprachspiele und LebensformenKritische Untersuchungen zur Philosophie und Psychologie der MenschenkenntnisDer Autor legt eine Methodenkritik wissenschaftlicher Menschenkenntnis vor, die einen Brückenschlag zwischenPhilosophie und Psychologie nötig macht.Psychologen übersehen allzuleicht, dass zwischenmenschliches Verstehen und Verstandenwerden begriffliche Fertigkeitenvoraussetzt, die bestimmten (sprach-)logischen Kriterien genügen müssen. So liegt die Forderung nahe,dass der Psychodiagnostiker künftig dem richtigen Gebrauch psychologischer Begriffe ebenso viel Sorgfalt zuwendensollte, wie seit jeher der Beherrschung seines empirischen Handwerks.Worauf es dabei ankommt, lehrt die Auseinandersetzung mit der Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins und dessenKritik an den in Alltag und Wissenschaft weit verbreiteten Fehldeutungen von Begriffen über "Psychisches" (wiez.B. "Denken", "Unbewusstes", "Hoffnung", usw.). Diese, so seine Hauptthese, verdanken ihre Bedeutung nicht etwa,wie gerne behauptet wird, "inneren" Erlebnissen, sondern ihrer Verwendung in Sprachspielen innerhalb allgemeinverbindlicher Lebensformen. Die psychologischen Konsequenzen dieser Position werden in diesem Buch, pro undcontra, ausführlich behandelt.Der thematische Bogen der siebzehn Kapitel ist weit gespannt. Er reicht von der Gegenüberstellung literarischer,handlungstheoretischer, philosophischer und biologischer Analysen des Spiel-Begriffs über Wittgensteins Philosophieder Psychologie bis hin zur Frage nach den Legitimationskriterien "computergestützter" Psychodiagnostik undmündet schließlich in den Modellentwurf eines Verfahrens zur Analyse psychodiagnostischer Sprachspiele vom Typder Selbstauskunft.Eine CD mit EDV-Programmen zur Erhebung und Auswertung von Selbstauskünften ist integraler Bestandteil desBuchs.536 Seiten + CD-ROM, ISBN 978-3-89967-302-9, Preis: 50,- €PABST SCIENCE PUBLISHERSEichengrund 28, D-49525 Lengerich, Tel. ++ 49 (0) 5484-308, Fax -550pabst.publishers@t-online.de, www.psychologie-aktuell.com, www.pabst-publishers.derausch 1-<strong>2012</strong>


25Glücksspielwerbung in Österreich –eine Analyse von Inhalt und FormIrene SchmuttererWarum spielt ein gutes Fünftel der österreichischenBevölkerung regelmäßig Lotto 1 , wobeijede einzelne Person mit an Sicherheitgrenzender Wahrscheinlichkeit damit rechnenkann, dass sie ihr Lebtag keinen Millionengewinnerzielen wird? Was treibt Leutewiederholt an den Roulettetisch oder vor denGlücksspielautomaten, wobei von vornhereinklar ist – auch wenn hier die Auszahlungsquotengar nicht so schlecht sind 2 –,letzten Endes gewinnt immer die Bank? Umder Faszination Glücksspiel näher zu kommen,werden im folgenden Beitrag Inhaltesowie Formen der Gestaltung von Glücksspielwerbungin den Focus der Betrachtunggestellt. Die zentrale Frage lautet: Wer wirdwie verführt? Und welche Gründe lassen sichdaraus für das rege Interesse am Glücksspiel,welche Hinweise auf mögliche Ursachen fürden pathologischen Gebrauch erschließen?Dabei wird nicht angestrebt, das Rad neu zuerfinden oder so zu tun. Das derzeitige Problemder Geistes- und Sozialwissenschaften –vielleicht sogar der Wissenschaften allgemein– ist ja eher das Vergessen von bereitsErforschtem. Vielmehr sollen daher durchgezielte Analyse von Lockrufen der Glücksspielbetreibenden Firmen sowie deren Politurenzur Imagepflege aufgegriffene Themenherausgefiltert und in Bezug zu vorhandenenwissenschaftlichen Theorien gesetzt werden.Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedenerGlücksspielanbieter sowie angesprocheneZielgruppen sollen herausgearbeitetund mit aktuellen Ergebnissen zur Epidemiologievon Glücksspielenden bzw. Glücksspielsüchtigenverglichen werden. Es geht alsoeher darum, einzelne Speichen des Radesin Erinnerung zu rufen, um Denkanstöße fürtherapeutische, politische und ethische Überlegungenzu liefern. Darüber hinaus könnendie folgenden Betrachtungen natürlich auchals Grundlage für politische Entscheidungenüber inhaltliche Werberegulierung imGlücksspielbereich dienlich sein.Spiele gibt es viele – was soll alsGlücksspiel zählen?1Laut einer in dem Buch „Glücksspiel und Spielerschutz in Österreich“ (Kalke et al. 2011) veröffentlichten Repräsentativbefragungder in Österreich in Privathaushalten lebenden Bevölkerung zwischen 14 und 65 Jahren haben23,2% der Befragten im letzten Monat an einem Lotteriespiel teilgenommen.2Während die Auszahlungsquoten beim Lotto nur 50% betragen, werden beim Roulette 97% der Einsätze wiederausgezahlt. Bei Glücksspielautomaten beträgt die Auszahlungsquote über 90% (Kalke et al. 2011).Ludwig Wittgenstein bezeichnete den Begriff„Spiel“ als einen „Begriff mit verschwommenenRändern“ (Wittgenstein 1953/2003, S. 60).Die Vorgänge, die „Spiel“ genannt werden,sind mannigfaltig. Das Glücksspiel ist einevon vielen Arten des Spiels, von dem es wiederumeine Palette von Formen und Variantengibt. Nur ein Teil davon gilt in Österreichauch gesetzlich als Glücksspiel und wiederumnur ein Teil davon fällt unter das Glücksspielgesetz.Ein Mittel zur Definition vonGlücksspiel, dessen sich das ÖsterreichischeGlücksspielgesetz bedient, ist die Zufälligkeitdes Spielergebnisses. Hängt die Entscheidungüber ein Spielergebnis ausschließlichbzw. vorwiegend vom Zufall ab (und nichtvon Wissen, Können oder Geschicklichkeit),spricht das dafür, dass es sich um ein Glücksspielhandelt. Ein weiterer Aspekt derGlücksspieldefinition sind die Waren, meistGeld, um die gespielt wird. Sogenannte„Ausspielungen“ zeichnen sich dadurch aus,dass den SpielerInnen für eine vermögensrechtlicheLeistung eine vermögensrechtlicheGegenleistung in Aussicht gestellt wird. Allesetwas unpräzise Eingrenzungen des Begriffs.Das Glücksspielgesetz zählt daher noch bestimmteGlücksspiele, die es erfasst, namentlichauf; so z.B. Lotterien (wie Lotto, Toto,Klassenlotterie und Bingo), Roulette, Poker,Black Jack sowie diverse Varianten des Baccarat.Glücksspielautomaten werden vom Gerausch1-<strong>2012</strong>, 25-33


26I. Schmutterersetz prinzipiell als Glücksspiel gewertet, fallenaber nur zum Teil unter das Glücksspielgesetz– abhängig von Mindesteinsatz- undMaximalgewinnhöhe pro Spieleinheit. Sportwettenwerden, mit Ausnahme von Toto,nicht als Glücksspiel im Sinne des Glücksspielgesetzesdefiniert (GlücksspielgesetzBGBl. Nr. 620/1989 i.d.F. BGBl. I Nr. 76/2011).Regulierung für Glücksspielwerbungin ÖsterreichWerbung für Glücksspiel unterliegt in Österreichden gleichen Rahmenbedingungen wieWerbung im Allgemeinen. Darüber hinausfindet sich im Glücksspielgesetz ein Paragraphzu Werbung alle durch das Gesetz geregeltenGlücksspiele betreffend, in dem diePflicht zur Wahrung eines verantwortungsvollenMaßstabs bei Werbeauftritten festgeschriebenwird. Wie so ein verantwortungsvollerMaßstab genau aussieht, bzw. wannvon so einem nicht mehr die Rede sein kann,wird im Gesetz nicht präzisiert. Dafür gibt esnoch einen Absatz, der Werbungen von Spielbankenaus Mitgliedsstaaten der EU undStaaten des EWR – sprich die Werbung derInternetanbieter – regelt. Für diese gilt dergleiche Grundsatz zur Wahrung eines verantwortungsvollenMaßstabs, sie dürfen allerdingsnur dann Werbung in Österreich betreiben,wenn sie sich vorher eine entsprechendeBewilligung beim Bundesminister fürFinanzen geholt haben. Das Erteilen dieserBewilligung soll von der Art der Konzessionder Spielbank und den für sie geltenden Spielerschutzbestimmungenabhängen (GlücksspielgesetzBGBl. Nr. 620/1989 i.d.F. BGBl. INr. 76/2011, §56: Zulässige Werbung).Glücksspiel ein boomender Markt?Bei Fragen der Werbebeschränkung immerwesentlich ist die Annahme über den Sättigungsgradeines Marktes. Analysen derösterreichischen Glücksspielstudie (Kalke etal. 2011) zufolge – die allerdings nur bis 2008reichen – stieg der Umsatz im österreichischenGlücksspiel- und Wettenmarkt von2002 bis 2008 um das 2,5fache von 4,6 auf 13,6Millionen Euro. Nach einer ebenfalls in derGlücksspielstudie zitierten Studie des Institutsfür Höhere Studien (IHS) gilt der Umsatzanstiegnicht für alle Marktbeteiligten.Während Glücksspielanbieter mit Lotterien,terrestrischen Sportwetten und dem Lebend-Kasinospiel 3 keine Umsatzsteigerungen seitdem Jahr 2005 verzeichnen konnten, hättensich die Umsätze der Onlineglücksspiele undder Glücksspielautomaten seit dem Jahr 2005mehr als verdoppelt (Felderer et al. 2010 zit.nach Kalke et al. 2011). Es scheint also zumindestein Teil des Marktes gerade gesättigt zusein. Nachfragen können sich natürlich ändern,besonders wenn es wirtschaftlich bergaufoder -ab geht. Dem Glückspiel wird nachgesagt,dass es besonders in Krisenzeiten anBeliebtheit zunimmt.Wer spielt? – Wer spieltpathologisch?Mindestens einmal im letzten Jahr an einemGlücksspiel teilgenommen haben laut einerRepräsentativbefragung der in Österreich lebendenBevölkerung zwischen 14 und 65 Jahren4 von Kalke et al. (2011) insgesamt 42%.Unter diesen SpielerInnen befinden sich etwasmehr Männer als Frauen. Betrachtet mandie Gruppe derjenigen, die im letzten Monatmindestens an einem Glücksspiel teilgenommenhaben, so nimmt der Geschlechtsunterschiedzu. Die Monatsprävalenz zeigt deutlichmehr Männer als Frauen, die spielen. Bezüglichdes Alters der Spielenden offenbartdie Studie, dass mit Ausnahme der Jugend(14-17-Jährige), die sich vergleichsweise mäßigam Glücksspiel beteiligt, alle Altersgruppenin ähnlichem Ausmaß Glücksspielbeteiligungzeigen 5 . Auffallend ist hier die Gruppeder 18-35-Jährigen, die im Schnitt etwa doppeltso viel Geld für Glücksspiele ausgibt alsdie über 35-Jährigen und etwa viermal so vielwie die unter 18-Jährigen. Außerdem legenMittelwert und Median nahe, dass es bei derGruppe der 18-35-Jährigen einige wenigeSpielerInnen gibt, die sehr hohe Beträge fürGlücksspiel ausgeben, während die Ausgabenpro SpielerIn in den restlichen Altersgruppenweniger differieren. Das Durchschnittsaltervon Personen, die in den letzten3Die Bezeichnung „Lebend-Kasinospiel“ mag etwas seltsam klingen, gemeint sind damit Kasinospiele, die nichtam Automaten oder im Internet gespielt werden.4Mir ist hier etwas unklar, warum Personen über 65 nicht mehr befragt wurden, aber das scheint mir bei Befragungeneine Art Norm geworden zu sein, die u.U. einmal in Frage gestellt werden sollte.5Jede/r 10te 14-17-Jährige gibt an im letzten Jahr an einem Glücksspiel teilgenommen zu haben. Bei den restlichenAltersgruppen (18-35 Jahre, 36-49 Jahre, 50 Jahre und älter) gibt dies nahezu jede/r 2te an.rausch 1-<strong>2012</strong>


Glücksspielwerbung in Österreich – eine Analyse von Inhalt und Form 2730 Tagen mindestens einmal gespielt haben,ist Anfang bis Mitte 40. Mit Abstand am beliebtestensind die Lotteriespiele. Rund 20%der Befragten haben in den letzten 30 Tagenzumindest an einer Art von Lotteriespiel teilgenommen.Rund 2% haben angegeben, inden letzten 30 Tagen Sportwetten gemacht zuhaben, ebenfalls an die 2% haben gesagt, dasssie in dem Zeitraum klassische Kasinospielegespielt haben. Rund 0,5% gaben an, in denletzten 30 Tagen Automatenspiele gespielt zuhaben. Gemessen an der Jahresprävalenz derTeilnahme zeigt sich, dass in allen abgefragtenBereichen des Glücksspiels mit Ausnahmedes Rubbelloses mehr Männer als Frauenzu finden sind. Beim Rubbellos finden sichgleich viele Männer wie Frauen. Bei den Lotterienist das Verhältnis Männer zu Frauen4:3, bei Kasinospielen 7:3, bei Automatenspielen3:1 und bei Sportwetten 10:1. Bezüglichdes Bildungsgrades 6 zeigen sich anhandder Jahresprävalenz der Teilnahme folgendeVerteilungen: Lotterien sind bei Personen mitLehrabschluss bzw. Abschluss einer mittlerenSchule am beliebtesten. Rubbellose sind beiPersonen mit Hauptschul- oder Lehrabschluss,Matura oder Abschluss einer mittlerenSchule am beliebtesten. Sportwetten setzenam liebsten Personen mit Pflichtschulabschluss,gefolgt von Personen mit Matura.Kasinospiele sind bei Personen mit Maturaam gefragtesten. Automatenspiele werdenam liebsten von Personen mit Pflichtschulabschlussgespielt. Die HochschulabsolventInnenliegen mit Ausnahme von Sportwettenund Automatenspielen, die sie nur mäßig interessieren,bei allen gefragten Glücksspielartenim oberen Mittelfeld. Bezüglich des Alterszeigt sich anhand der Monatsprävalenzder Teilnahme, dass die LotteriespielerInnenam ältesten sind, gefolgt von den KasinospielerInnen,den AutomatenspielerInnen undschließlich den SportwettenspielerInnen. Ersteresind im Schnitt 46,7 Jahre, letztere 38,3Jahre alt (Kalke et al. 2011).Pathologisch spielende Personen dürftenüberwiegend Männer sein. Aufzeichnungenvon österreichischen ambulanten und stationärenEinrichtungen für Spielsüchtige zufolgesind an die 90% ihrer spielsüchtigen KlientInnenmännlich. An die 90% der Hilfesuchendensind – wenig überraschend – verschuldet,häufig gibt es komorbide Störungsbilder.Zum Zeitpunkt des Aufsuchens derHilfseinrichtung sind die SpielerInnen imDurchschnitt um die 40 Jahre alt und weiseneine im Schnitt bereits 8 Jahre dauerndeSpielproblematik auf. Die am häufigsten problematischgespielte Form des Glücksspielsdürfte mit Abstand das Automatenspiel sein.An die 80% der befragten süchtigen KlientInnenhaben die Hilfseinrichtung aufgrund vonProblemen mit Glücksspielautomaten aufgesucht.Jeweils um die 20% weisen Problememit Wetten, Kartenspiel und/oder Rouletteauf. Im Schnitt haben ca. 8% Probleme mit Internetglücksspielen,ca. 4% mit Lotteriespielen.Bezüglich der bevorzugten Spielortewird von Spielsüchtigen an erster Stelle dieSpielhalle mit 51% genannt, gefolgt vom Kaffeehausmit 33%, dem Wettbüro mit 27%,dem Spieltop mit 25%, dem Kasino mit 22%,dem Internet mit 14%, der Trafik mit 4% undder Pferderennbahn mit 1% (Kalke et al.2011).Die Werbung auf demÖsterreichischen GlücksspielmarktDa die wirklich großen und einflussreichenPlayer am Österreichischen Glücksspielmarktschnell aufgezählt sind, beschränktsich das Werbeaufgebot auch auf wenige Unternehmen.Es gibt die beiden staatlich lizensiertenGlücksspielbetreiber, nämlich dieÖsterreichischen Lotterien und die CasinosAustria 7 , die seit Jahrzehnten mit allen möglichenFormen der Werbung von Plakatenüber TV-Spots bis zu Anzeigen in Printmedienauffallen. Daneben hat sich in den letztenJahren der private Unternehmer Novomatic,der hauptsächlich Spielautomaten herstellt,aber auch Sportwetten (Admiral Sportwetten)und Automatenspiele in als Kasinobezeichneten Automatensalons (Admiral Casino)anbietet, mittels breit gefächerten Sponsoringseinen Namen gemacht. Dazu kommen,als jüngster Zuwachs im BereichGlücksspielwerbung, Internetanbieter wie„win2day“, „bwin“, „bet-at-home“, „WilliamHill“ oder „Mr. Green“, die sich vor allemmittels TV-Spots, aber auch durch Werbeauftritteim Internet und auf Plakaten vorstellenund am Markt positionieren.Im Folgenden sollen – aufgrund ihrer Dominanz– vor allem Werbungen der großenstaatlich lizensierten Unternehmen näher be-6Die Schulbildung (höchster Schulabschluss) ist bei dieser Befragung unterteilt in Pflichtschule, Hauptschule,Lehre oder mittlere Schule, Matura und Hochschule.7wobei die Österreichischen Lotterien ein Tochterunternehmen der Casinos Austria sindrausch 1-<strong>2012</strong>


28I. Schmutterertrachtet und verglichen werden. Herangezogenwurden hier Plakatserien und Anzeigen.Der Bereich Sponsoring soll anhand der UnternehmenÖsterreichische Lotterien, CasinosAustria und Novomatic beschrieben werden.Schließlich sollen die diversen Internetanbietervorgestellt und ihre durch Slogans vermittelteAbgrenzung zum terrestrischen Spielund zu anderen Internetanbietern gezeigtwerden. Alle analysierten Werbungen sindentweder aktuell 8 im Fernsehen, auf Plakaten,in Zeitungen oder auf den Internetseiten derdiversen Anbieter zu finden oder über diePlakatdatenbank der Epamedia 9 abrufbar.Werbungen für unterschiedlicheGlücksspieleKasinoDie Werbung für den Besuch eines Kasinosfällt dadurch auf, dass hier hauptsächlich dasErlebnis an sich angepriesen wird; der Gewinnwird zur nicht unangenehmen, aberdoch Nebensache. Die Besucher kommen bereitsglücklich, schön und mit gewissemWohlstand ausgestattet an. Im Kasino treffensich – so scheint es – die attraktiven Mittelschichtangehörigenam Abend, zu feierlichenAnlässen oder zum Ausgehen, um mit FreundInnenim luxuriösen Ambiente Spaß zu habenoder auch um jemanden kennen zu lernen.Das Design ist edel, die Spieltische undAutomaten dienen dem Amüsement, beidem auch Geld erworben werden kann. ObwohlGeld – so wird es dargestellt – bei denKasinobesucherInnen bereits in angenehmemUmfang vorhanden ist, freuen sie sichüber zusätzliche Gewinne. Die Farbgestaltungder Werbeplakate ist auffallend konzentriertauf die Roulette- bzw. Spielkartenfarbenrot, schwarz und weiß. Die gezeigtenProtagonistInnen sind in etwa 25 bis 35 Jahrealt.LottoIm Gegensatz zur Kasinowerbung wird beider Bewerbung vom Lottospiel vom Alltagausgegangen. Dieser ist trist, mühsam undgrau. Die ProtagonistInnen und hier einfachenArbeiterInnen auf unterster Ebene derBetriebshierarchie, denen es im eigenen Lebennie möglich sein wird, beruflich sowiegesellschaftlich aufzusteigen, um zu Wohlstandund Reichtum zu gelangen. Währendsie davon träumen, der drückenden Realitätzu entkommen, bietet das Lottospiel einenAusweg an. Anders als in unserer starren Gesellschaftkann hier jede und jeder reich werden.Und reich sein, das bedeutet Spaß,Selbstbestimmung und zu jeder Zeit das tunzu können, wonach einem gerade ist. Niewieder arbeiten, wenn man keine Lust dazuhat. Die Aufmachung der Plakate ist bunt,trashig, infantil, comichaft und billig. DieProtagonistInnen sind in etwa zwischen 30und 60 Jahre alt.Themen und InhalteGlückssymbole, Märchen, AberglaubeDer Aberglaube wird bei allen Werbungenbedient. Es finden sich überall Glückssymbolebzw. Bezüge zu Märchen. Was bei den Kasinosedel bis neutral (schwarze Katze, der13te), ist bei den Lotterien etwas plumper(Schwein) gewählt.Mit einer schwarzen Katze in der Hand locktein hip bekleideter Mann am 13ten jedes Monatsins Kasino. Und geschäftstüchtig, wiedie BetreiberInnen von Spielbanken sind,wird der 13te mal 2 gerechnet, womit sich einweiterer Glückstag pro Monat für Kasinobesucheergibt. Für den 26ten jedes Monatslockt der Hipster mit schwarzer Katze gemeinsammit einer attraktiven Frau, die ebenfallseine schwarze Katze in ihren Armenhält. Ein perfektes, gleichberechtigtes Paar.Auf die nächste Lottoziehung macht ein comichaftgezeichnetes Schwein aufmerksam.Bei einem bevorstehenden Doppeljackpot bekommtdas Schwein Unterstützung durch einzweites, bei einem <strong>Dr</strong>eifachjackpot turnendrei Schweine übereinander. Sie bilden eineRäuberleiter, um hinter einer rosa Mauer, ineiner blauen Landschaft einen bis zu denWolken reichenden gelben Sack mit Millionenvon Euros zu entdecken. Eine gezeichnete,in rosa/grün gekleidete Glücksfee mitblondem Haar bittet, einen als Casino bezeichnetenGlücksspielort aufzusuchen. Einu.U. an den Haaren herbeigezogener Vergleichsind die in den Kasinowerbungen,beim Roulette und bei Kartenspielen verwen-8d.h. im März <strong>2012</strong>9Epamedia: www.epamedia.atrausch 1-<strong>2012</strong>


Glücksspielwerbung in Österreich – eine Analyse von Inhalt und Form 29deten Farben rot, schwarz und weiß mit demMärchen Schneewittchen: die Haut so weißwie Schnee, die Lippen so rot wie Blut unddas Haar so schwarz wie Ebenholz. Undnicht zu vergessen, der von KasinobetreiberInnenverwendete Slogan „märchenhaftesGlück“.Der Zusammenhang von Glücksspiel undAberglaube, insbesondere der von pathologischemGlücksspiel und Aberglaube, wurdein der Literatur vermehrt beschrieben. FranzSchütte (1987) attestiert dem Glücksspiel unddem Aberglauben zum Beispiel eine gemeinsameGeschichte. „Glücksspiel und Aberglaubehaben eine gemeinsame Geschichte.Der abergläubische Spieler – und das ist vornehmlichder pathologische – ist sich sicher,dass er bei Einhaltung bestimmter Ritualeoder Verhaltensweisen die Gesetze der Wahrscheinlichkeitaufheben und das Glück fürsich gewinnen kann.“ Weizenbaum, soSchütte, bezeichnet den Aberglauben desSpielers etwa als „Manifestationen seiner hypothetischenRekonstruktion der Welt“. DasNicht-Funktionieren der vermeintlich Glückbringenden Konstellation lockert den Bundmit dem Aberglauben nicht. Ein Spielverlustbedeutet nicht, dass die gewohnten Ritualebzw. die festgelegten Bedingungen „für denSpielverlauf völlig irrelevant sind, sondernvielmehr, dass eine weitere Erfolgsbedingungbisher übersehen wurde.“ (Schütte1987) Der Aberglaube, ein Glaube, dem argumentativschwer entgegen zu wirken ist.Baby it’s youAuffallend, sowohl bei der Bewerbung vonKasinobesuchen als auch der Teilnahme anLotteriespielen, ist das Ins-Zentrum-Stellender angesprochenen Person. Auch wenn aufdem Plakat für den Abend im Kasino ein rauschendesFest inmitten von bezauberndenGästen dargestellt wird, so ist scharf nur dieProtagonistin bzw. der Protagonist – manchmalist es auch ein Paar – zu sehen, der umliegendeRest verschwimmt. Mit Slogans wie„Machen Sie Ihr Spiel“ wird der Rezipientinbzw. dem Rezipienten eine individuelleKraft, Macht und Handlungsfähigkeit zugesprochen.Das Selbstbewusstsein wird gestärkt,die narzisstische Seite herausgelockt.Bei der Lottowerbung sind neben der Protagonistinbzw. dem Protagonisten überhauptkeine anderen Personen zu sehen. Es gehtnur um ihr bzw. sein Leben und darum, wiedieses durch einen Lottogewinn schlagartigverbessert werden kann. Hier werden der Rezipientinbzw. dem Rezipienten zwar keinebesonderen Fähigkeiten zugetraut, derSpruch „Alles ist möglich“ suggeriert ihrbzw. ihm jedoch, wenn alles möglich ist, sokannst selbst du gewinnen.Hier wird natürlich von dem nicht zu unwichtigenSchönheitsfehler des Glücksspiels,nämlich dass durch das Gesetz der Wahrscheinlichkeitgekoppelt mit fixen Ausspielungsquoteneindeutig mit mehr Verlustenals Gewinnen zu rechnen ist, abgelenkt. Derdoch sehr wahrscheinliche Verlust, ein unangenehmerUmstand, der einem jedoch egalsein kann, wenn man selbst – warum auchimmer – als Gewinnerin bzw. als Gewinnerhervorgeht. Der Glaube an die Außerordentlichkeitder eigenen Person, entweder im Sinnevon außerordentlichem Können bzw. Wissenoder im Sinne von Glück oder ausgleichenderGerechtigkeit, das bzw. die einemeher zusteht als anderen, wird hier als Motorzur Teilnahme am Glücksspiel bedient. SowohlPersonen mit geringem Selbstwertgefühlals auch NarzisstInnen dürften sich hiervonsehr angesprochen fühlen; zwei Persönlichkeitsmerkmale,die in der Literatur alsprädisponierende Faktoren diskutiert werden(vgl. z.B. Petry 2003).Rausch, GlückstaumelEin weiteres Element von Glücksspielwerbungenist die Darstellung von rauschartigenZuständen und von Glückstaumel. Bei Kasinowerbungenmittels verschwommen Bildern,Tanz, Lichtern und Glitzer, bei Lotteriewerbungenmittels Stielaugen oder strahlendenGesichtern im Gold- bzw. Geldscheinregen.Hiermit wird zum einen der Hoffnungauf einen Gewinn ein konkretes Bild geliefert(„Ich kann mir jetzt schon vorstellen, wie essein wird, wenn ich gewinnen sollte.“),gleichzeitig wird die Vorfreude darauf, möglicherweisebald als glückliche Gewinnerinbwz. als glücklicher Gewinner dazustehen,gestärkt. Zum anderen wird das Teilhabenam Glücksspiel selbst als etwas Rauschhaftes,Hypnotisches dargestellt, was es für SpielerInnen,insbesondere pathologische, ja auchreal ist.Partnerschaft, RollenbilderBei Lotteriewerbung weniger ein Thema, stehenPartnerschaft und Romantik bei Kasino-rausch 1-<strong>2012</strong>


30I. Schmuttererwerbung oft stark im Vordergrund. Das Kasinowird als ein Ort der Romantik dargestellt,an dem ein Partner bzw. eine Partnerin kennengelernt oder mit einem Partner bzw. einerPartnerin ein netter Abend gemeinsamverbracht werden kann. Interessant ist dieunterschiedliche Darstellung von Geschlechterrollen.Während in der Werbung für LotterienMänner wie Frauen in sehr stereotypenRollenbildern gezeigt werden – die Fraubeim Wäsche Waschen oder Staub Saugen,der Mann beim Heimwerken, Auto Reparierenoder als Mitarbeiter der Müllabfuhr 10 –,werden Männer und Frauen in der Kasinowerbungenüberraschend egalitär dargestellt.Weibliche und männliche ProtagonistInnenwerden ähnlich alt, ähnlich gut angezogenund ähnlich stark, sowohl alleine alsauch zu zweit dargestellt. Männer wie Frauenwerden sehr attraktiv, aber nicht auf einesexistische Art und Weise gezeigt, was daraufhinweist, dass mit der Werbung vor allemFrauen vermehrt ins Kasino gelockt werdensollten.In kürzester Zeit zu sehr viel GeldBei Kasinowerbung eher als angenehme Nebensachedargestellt, ist bei Lotteriewerbungdas einzige, dafür permanent präsente Motivzur Teilnahme die Möglichkeit, in kürzesterZeit zu sehr viel Geld zu kommen. Eine Möglichkeit,die für wirklich jeden und jede (abgesehenvon Altersbeschränkungen nach untenhin) offen steht – und das mehrmals proWoche. Dabei wird ein Klischee bemüht, dasals solches in unserer Gesellschaft bereits seitlangem verankert ist. Lotto spielen, aber auchim Kasino gewinnen, bedeutet für viele –vielleicht noch abgesehen von einer unerwartetenErbschaft oder einem Bankraub bzw., sovorhanden, dem Verkauf von Vermögenswerten– die einzige Möglichkeit, in kurzerZeit zu viel Geld zu kommen. In dem 1879 erschienenWerk „Nora oder ein Puppenheim“von Henrik Ibsen meint beispielsweise FrauLinde, die sich fragt, wie ihre Freundin Norain kurzer Zeit ohne finanzielle Zuwendungenihres Vaters einen hohen Geldbetrag füreinen Genesungsurlaub ihres Mannes aufgetriebenhat, zu eben dieser: „Ja aber, Nora,wie war dir das bloß möglich? Hattest du imLotto gewonnen?“ (Ibsen 1879/2008). Norahatte übrigens nicht im Lotto gewonnen, sondernsich Geld mittels Fälschung der väterlichenUnterschrift geborgt. Ein letztes Malspielen, um mit einem Schlag sämtlicheSchulden begleichen zu können oder überhauptden finanziellen Status vor Beginn derSpielkarriere wieder herzustellen, ist ein beliebterWunsch bzw. eine beliebte Hoffnungpathologischer SpielerInnen.Sponsoring im GlücksspielbereichIn den letzten Jahren durch Sponsoring aufgefallenist in erster Linie der GlücksspielkonzernNovomatic. In kurzer Zeit wurdeder Name des Unternehmens durch dieseArt des Marketings, quasi omnipräsent.Schaut man etwas genauer, merkt man, dassdie Casinos Austria und ihre Tochtergesellschaft,die Österreichischen Lotterien, wenigerauffallend, aber doch auch in allerhandBereichen Sponsoring betreiben. Investiertwird vor allem in die Bereiche Kunst undKultur, Soziales und Sport. Kunst, Kulturund Sport sind vermutlich die Themen, dieam ehesten zum Glücksspiel passen bzw.passen sollen. Der Bereich Soziales wurdevermutlich zur Image- und Gewissenspflegegewählt. Die Casinos Austria investieren zusätzlichin den Bereich Tourismus, was fürein Unternehmen, das Kasinos in ganzÖsterreich betreibt, sinnvoll scheint. DieÖsterreichischen Lottieren und Novomaticbetreiben außerdem Sponsoring in den BereichenGesundheit, Wirtschaft, Wissenschaftund Forschung, die ÖsterreichischenLotterien außerdem im Bereich Umwelt undNatur. Finanzielle Unterstützung in den BereichenSpielsuchtprävention und -behandlungleisten sowohl die ÖsterreichischenLotterien als auch Novomatic, z.B. durch eigeneInternetseiten mit Ratschlägen undLinks zu Suchteinrichtungen in ganz Österreichoder durch Finanzierung von an Behandlungsorteneingerichteten Hotlines. DieImagepflege mittels Sponsoring von Unternehmenin gesellschaftlich eher negativ gesehenBranchen kann natürlich zum einen alsAugenauswischerei gesehen werden. Sicherlichspielt hier auch die Angst vor möglichengesetzlichen Beschränkungen, die durch Demonstrationvorbildhaft gesetzten verantwortungsvollenUmgangs verhindert werdensollen, eine große Rolle. Andererseitskann man dieses Verhalten den Unterneh-10Insgesamt gibt es bei den Lotteriewerbungen auffallend mehr Männer-, als Frauen-Sujets, was auf ein gezieltvermehrtes Ansprechen von Männern hindeutet.rausch 1-<strong>2012</strong>


Glücksspielwerbung in Österreich – eine Analyse von Inhalt und Form 31men auch nicht wirklich vorwerfen. Es istletzten Endes eine politische Entscheidung,ob und in welchem Umfang Glücksspiel erlaubtsein soll. Und dass gerade in eherselbstreflektorischen Bereichen, wie Kultur,Soziales, Wissenschaft und Forschung selbstSponsoring aus „verruchten“ Branchen gernangenommen wird, liegt nicht zuletzt daran,dass finanzielle Grundsubventionierungenvon Seiten des Staates dort in den letztenJahren vermehrt gekürzt wurden.Glücksspiel im InternetWerbung für Glücksspiel im Internet unterscheidetsich von Werbung für terrestrischesGlücksspiel dadurch, dass die Besonderheitdes Spielortes in den Mittelpunkt gestelltwird, wie z.B. bei win2day: Egal ob zu Hauseoder in der Arbeit, sobald sie in der Nähe einesInternetzugangs sind, sind sie dabei –„win2day. Das Glück ist wo sie sind.“ Bet-athomeweist mit seinem Namen bereits auf dieBesonderheit des Spielortes hin. Außerdemwird das Glücksspiel mit dem Slogan „DasLeben ist ein Spiel“ als ganz normaler Teildes Lebens dargestellt und dem Spiel umGeld der Ernst genommen. Bwin, das vor allemSportwetten anbietet, wirbt mit dem Slogan„Spannung hautnah erleben“. Vielleichtgerade weil über das Internet zwar allesMögliche erlebt werden kann, nur sichernicht hautnah, wird hier versprochen, dass essich durch die Gestaltung der bwin-Seitewohl zumindest so anfühlen wird. AndereInternetanbieter, wie z.B. William Hill, streichenihre Besonderheit gegenüber Konkurrentenaus dem Internet heraus. Der Wettanbieteraus Großbritannien macht seine Herkunftzum Markenzeichen und wirbt mit einemprominenten britischen Schauspielerund dem Slogan „Wollen sie wetten wie dieBriten?“. Mr. Green schließlich positioniertsich farblich (grün) und durch eine Kunstfigur,die wie eine Mischung aus Batman‘s Joker,einem britischen Gentleman und RobinHood wirkt. Win2day gehört den ÖsterreichischenLotterien bzw. den Casinos Austria.Werbungen der beiden Unternehmen für terrestrischesGlücksspiel sind auch auf der Seitedes Internetanbieters zu finden. WilliamHill dürfte tatsächlich ein in Großbritannienangesiedeltes Unternehmen sein. Die restlichenAnbieter sind zwar meist bestimmtenLändern zuordenbar, haben ihre Lizenzenaber auf Malta oder Gibraltar, einem britischenÜberseegebiet, eingetragen.Werbebeschränkungen?Politisch betrachtet ist die Entscheidung überden Grad der Legalisierung von Glücksspielenkomplex. Einerseits soll es zumindest zueinem gewissen Grad erlaubt sein, weil – wiedie Geschichte gezeigt hat – die Nachfragescheinbar stets so groß ist, dass es im Falle einesgenerellen Verbots illegal betrieben würde.Es würde sich ein schwer kontrollierbarerSchwarzmarkt entwickeln. In Österreich, wiein vielen anderen Ländern der EuropäischenUnion, war man sich lange darüber einig,Glücksspiel in Form eines staatlichen Monopolszuzulassen, womit Ausmaß und Art desAngebots vergleichsweise leicht kontrolliertund in Grenzen gehalten werden konntenbzw. zumindest hätten können. Die fixe zusätzlicheSteuereinnahme wurde sicherlichals positiv wahrgenommen, während ethischeBedenken – letztendlich wird durch dasstaatliche Glücksspiel die mitspielende Bevölkerungwissentlich finanziell ausgenommen– Politikern u.U. Sorgen bereitet haben.Außerdem ist dem Staat wohl daran gelegen,pathologisches Glücksspiel zu vermeiden.Denn – genauso wie dem pathologischenSpieler bzw. der pathologischen Spielerin –wird dem Staat das Glücksspiel dann zumProblem, wenn es zu Verschuldungenkommt und diese zu Sozialfällen und Kriminaldeliktenführen.Für etwas, das man nur zulässt, weil es sonstillegal betrieben werden würde, sollte es logischgesehen eigentlich keine Werbung geben.Besonders, wenn man ein staatlichesMonopol errichtet, bei dem Lizenzen für Kasinosund Lotterien immer an ein und dasgleiche Unternehmen vergeben werden (dieCasinos Austria und die ÖsterreichischenLotterien). Nun gab es die Werbung aber zudieser Zeit. Sie gerade jetzt einzuschränken,wo das Monopol insofern geändert wurde,als Glücksspiellizenzen vom Staat nicht mehrfix alleine an immer ein und das selbe Unternehmenvergeben werden, sondern eine bestimmteAnzahl an Lizenzen zur Vergabeausgeschrieben werden, wäre etwas seltsam– außer es würde nur die Werbung für dieohnehin schon bevorzugten ehemaligen fixlizensierten Unternehmen beschränkt. EineMaßnahme, die sehr originell wäre, aber ehernicht zu erwarten ist. Sponsoring zu unterbinden,nachdem man Glücksspielanbieterzu einem wichtigen Geldgeber in kulturellenund sozialen Bereichen werden ließ, wäreauch nicht unproblematisch und sollte – zumindestmeiner Ansicht nach – korrekterwei-rausch 1-<strong>2012</strong>


32I. Schmuttererse wieder vermehrt staatliche Förderungenfür die betroffenen Bereiche nach sich ziehen.Warnhinweise bzw. KonsumentInneninformationim Sinn von Gewinnwahrscheinlichkeitenwürden, so denke ich, bestenfalls Leutevom Spielen abhalten, die sich noch nichtdafür interessieren, schlimmstenfalls Leutevom vergleichsweise ungefährlichen Lotto inAutomatensalons oder ins Kasino treiben,wenn ihnen klar wird, dass ihre Gewinnchancendort um einiges höher sind. EineEinschränkung des Ausmaßes an Werbungwäre auch eine Möglichkeit, also zeitlicheoder flächenmäßige Limitation. Das Glücksspielan sich würde somit generell wenigeroft bzw. von bestimmten schutzwürdigenGruppen gar nicht (oder zumindest auch weniger)wahrgenommen bzw. in Erinnerunggerufen werden. Eine Variante, die vermutlichebenfalls gut bei Personen funktionierenwürde, die noch gar nicht spielen. Personen,die bereits an Glücksspielen teilnehmen, habenvermutlich schon ihre eigenen Erinnerungsmarkerbzw. reicht bei diesen dannwohl das bloße Erblicken einer Trafik oder einesSpiellokals. Eine weitere Möglichkeit wäre,Werbung für solche Glücksspiele zu verbietenbzw. einzuschränken, die als besondersgefährlich im Sinne der Glücksspielabhängigkeitgelten.Gesellschaftliche Funktionen desGlücksspielsWas lässt sich aus den Inhalten der Glücksspielwerbungenbzw. aus dem scheinbar gesellschaftlichuniversellen Interesse amGlücksspiel auf die Gesellschaft, in der diesstattfindet, ableiten? Was wünschen sich dieLeute, was sollen sie sich wünschen? WelcheWerte werden als wichtig erachtet? Was fehltden Menschen, wo zeigen sich Missständedieser Gesellschaften? Welche Funktion erfülltdabei das Glücksspiel?Die Werbung zeigt: Wert Nummer eins istdas Geld und zwar möglichst viel davon. Arbeitentun die, die es müssen. Sobald manüber genügend Geld verfügt, kann man sichdieser lästigen Tätigkeit entledigen und seineFreiheit genießen. Geld (viel Geld) bedeutetzu jeder Zeit das tun zu können, wonach einemgerade ist. Geld bedeutet Macht. Jedernoch so seltsame Wunsch lässt sich damit erfüllen.Neben dem Geld, ideal wären nochpersönlicher Erfolg, Durchsetzungsvermögen,Attraktivität, Partnerschaft und Amüsement.Nun ist es zwar so, dass vermutlich jede bzw.jeder gerne reich wäre, die mit dem Reichtumverbundenen Möglichkeiten aber nur danngegeben sind, wenn ein bestimmter Anteil anweniger reichen Personen vorhanden ist.Man könnte also meinen, dass solange derWunsch jeder Einzelnen bzw. jedes Einzelnen,reich zu sein, da ist und die Möglichkeit,es zu werden, nicht völlig ausgeschlossenwerden kann, eine Gesellschaft bereit ist, sozialeUngleichheit zu akzeptieren. Für dieAkzeptanz sozialer Ungleichheit gibt es natürlichnoch eine Reihe weiterer Gründe. Esist aber durchaus denkbar, dass das Glücksspiel(insbesondere die Lotterien) einen Teilzur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichenOrdnung beiträgt, worauf in Publikationenzum Glücksspiel auch immer wieder hingewiesenwird (vgl. Beckert/Lutter 2008; Schütte1987).Wie dies gewertet werden soll, ist schwierigzu beurteilen. Zum einen scheint es ethischverwerflich, soziale Ungleichheiten aufrechtzu erhalten, noch dazu, indem sozial benachteiligteSchichten mit Hoffnungen auf persönlicheZustandsverbesserungen gespeistwerden, um sie „ruhig zu halten“ und nebenbei(durch die Teilnahme am Glücksspiel) zusätzlichfinanziell auszunehmen (die steuerlichenEinnahmen durch das Lotteriespiel werdenin Teilen Österreichs umgangssprachlichals „Deppensteuer“ 11 bezeichnet). Zum anderenist das Glücksspiel an sich nicht derGrund für soziale Ungleichheiten. Und es istmeiner Meinung nach denkbar, die in der Gesellschaftverankerte und in der Werbungnoch einmal plastischer visualisierte Möglichkeitdes plötzlichen Reichtums als Wertan sich zu sehen. Und zwar nicht als Wert fürdie Staatskassen oder für Vermögende, nichteinmal für diejenigen, die tatsächlich gewinnen,sondern als Wert für diejenigen, die andie Möglichkeit des Gewinns glauben, sicheinen solchen ausmalen, nicht wirklich damitrechnen, es aber auch nicht für gänzlich unmöglichhalten. Zur Partizipation an diesemgedanklichen Refugium des Glücks brauchtes theoretisch nicht einmal die Teilnahme amGlücksspiel. Allein zu wissen, dass es – bei allerUnwahrscheinlichkeit – möglich ist, irgendwannam Glücksspiel teilzunehmen unddabei zu gewinnen, macht vielen Menschenvermutlich einiges in ihrem Leben erträglicher.11Als Depp wird ein dummer ungeschickter Mensch bezeichnet.rausch 1-<strong>2012</strong>


Glücksspielwerbung in Österreich – eine Analyse von Inhalt und Form 33LiteraturBeckert, J. & Lutter, M. (2008). Wer spielt Lotto?Umverteilungswirkungen und sozialstrukturelleInzidenz staatlicher Lotteriemärkte. KölnerZeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie,60, 242 f.Epamedia: www.epamedia.at (zuletzt aufgerufenam 02. 04. <strong>2012</strong>).Glücksspielgesetz: Bundesgesetz vom 28. November1989 zur Regelung des Glücksspielwesens(Glücksspielgesetz – GSpG), über die Änderungdes Bundeshaushaltsgesetzes und überdie Aufhebung des Bundesgesetzes betreffendLebensversicherungen mit Auslosung. BGBl.Nr. 620/1989 i.d.F. BGBl. I Nr. 76/2001.Ibsen, H. (1879/2008). Nora oder ein Puppenheim –Hedda Gabler. Frankfurt: Fischer (TB).Kalke, J., Buth, S., Rosenkranz, M., Schütze, C.,Oechsler, H. & Verthein, U. (2011). Glücksspielund Spielerschutz in Österreich. EmpirischeErkenntnisse zum Spielverhalten der Bevölkerungund zur Prävention der Glücksspielsucht.Freiburg im Breisgau: Lambertus Verlag.Petry, J. (2003). Pathologisches Glücksspielverhalten:Äthiologische, psychopathologische undpsychotherapeutische Aspekte. Geesthacht:Neuland.Schütte, F. (1987). Glücksspiel und Narzissmus.Der pathologische Spieler aus soziologischerund tiefenpsychologischer Sicht. Bochum: SudienverlagBrockmeyer.Wittgenstein, L. (1953/2003). Philosophische Untersuchungen.Frankfurt am Main: SuhrkampVerlag.Mag. Irene SchmuttererSoziologin, Studium der Pharmazie,Wissenschaftliche Mitarbeiterin des BereichsSuchtpräventionsforschung undDokumentation (SucFoDok) am AntonProksch Institut, Wienirene.schmutterer@api.or.atMartin PoltrumKlinische PhilosophieLogos Ästhetikus und Philosophische TherapeutikBereits in der Antike ist ein besonderes Naheverhältnis von Philosophie und Psychotherapie konstatiertworden. Das Buch des Philosophen und Psychotherapeuten Martin Poltrum stellt die Grundlegung einertherapierelevanten, klinischen Philosophie über den Logos des Schönen dar. Es zeigt auf, dass philosophischeÜberlegungen einen wohltuenden Effekt auf die Seele haben und wie philosophische Gespräche Teilpsychotherapeutischer Praxis werden können.Mit der idealistischen Ästhetiktradition geht die Untersuchung davon aus, dass die Kunst das große Stimulansdes Lebens, das Ästhetische das Versprechen des Glücks und die Schönheit Vorschein der Freiheitist. Damit sind die Kategorien genannt, die eine Klinische Philosophie zu reflektieren hat, welche in derPhilosophie des Abendlandes ein Medikament für die traumatisierte Psyche sieht.154 Seiten, ISBN 978-3-89967-598-6, Preis: 15,- €PABST SCIENCE PUBLISHERSEichengrund 28, D-49525 Lengerich, Tel. ++ 49 (0) 5484-308, Fax -550pabst.publishers@t-online.de, www.psychologie-aktuell.com, www.pabst-publishers.derausch 1-<strong>2012</strong>


34Spielsuchtprävention im Spannungsfeldzwischen wirtschaftlichen Interessen undaktivem Spielerschutz<strong>Oliver</strong> <strong>Scheibenbogen</strong>Abhängigkeitserkrankungen, unabhängig obes sich dabei um stoffgebundene oder stoffungebundeneFormen handelt, sind stets imKontext eines multifaktoriellen Bedingungsgefügeszu betrachten (Feuerlein, 1998). DiesesPostulat gilt nicht nur in der Behandlungdes Individuums, sondern auch im Umgangder Gesellschaft mit Betroffenen und allenBeteiligten. Die <strong>Dr</strong>oge mit ihrer spezifischenWirkung und das am Markt bestehende Angebotinteragieren dabei mit den FaktorenPersönlichkeit (Entwicklung und Veranlagung)und Umwelt (Sozialfeld und Gesellschaft).Um dem komplexen Thema derSucht nur einigermaßen gerecht werden zukönnen, muss daher jeder Diskurs unter Berücksichtigungdieses bio-psycho-sozialenModells geführt werden, eine Reduktion aufzwei oder gar einen Faktor ist abzulehnen.Durch die Glückspielgesetz-Novelle 2010 inÖsterreich versucht nun der Gesetzgeber indieser Form erstmals mehrere Faktorengleichzeitig zu beeinflussen – ein Novum.Diese Novelle beinhaltet u.a. Maßnahmenzur Bekämpfung der Geldwäsche – auf die indiesem Beitrag nicht näher eingegangen wird– sowie Maßnahmen zum Spielerschutz. Fürdie Betreiber von Glückspielautomaten regeltdiese Gesetzesnovelle in einem ersten Schrittzunächst die maximale Anzahl der aufzustellendenAutomaten. Pro Bundesland beträgtdas höchstzulässige Verhältnis von Glückspielautomatje Einwohner 1:1.200, mit AusnahmeWien 1:600. Hier limitiert der Gesetzgeberdie Anzahl der Automaten und wirktauf den Faktor <strong>Dr</strong>oge und deren Verfügbarkeitein. Ob diese Maßnahme die Zahl derPersonen mit problematischem bzw. pathologischemSpielverhalten reduziert, kann kontroversielldiskutiert werden, historisch gesehenhat dieses Vorgehen jedoch Tradition.Während der Saturnalien, den römischenFesttagen zu Ehren des Gottes Saturn, wurdenzahlreiche Limitierungen, darunter derWeinkonsum und das Würfelspiel um Geldgelockert. Hinter dieser zeitweisen Unterbrechungdes (staatlichen) Ordnungsprinzipsmit Rollenumkehrung der Protagonisten undekstatischen Riten und Verhaltensweisensteht die Idee der Katharsis, einer heilsamenEkstase, um im Anschluss an die Festtagewieder zu Ordnung und Ruhe zurückkehrenzu können. Diesem Gedankengang wohntdie Idee inne, durch Reglementierung undKontrolle die negativen Auswirkungen vonrauschhaften ekstatischen Verhaltensweisenzu reduzieren bzw. gering zu halten und demIndividuum trotzdem – wenn auch in gewissenBahnen limitiert – eine Möglichkeit desAusübens und Ausagierens dieser Verhaltensweiseneinzuräumen.Wie „ekstatisch“ und unkontrolliert das Spielum Geld werden kann, zeigen die empirischenDaten deutlich. Die durchschnittlichenGeldeinsätze pro Monat reichen von 24 Eurobei Lotto „6 aus 45“ bis zu 329 Euro bei Automatenaußerhalb von Casinos (Kalke et al.2011). Die durchschnittlichen Spiel- undWetteinsätze pro Haushalt in Österreich betragen3.122,- Euro, das entspricht in etwadem dreizehnten und vierzehnten Monatsgehalteines durchschnittlich verdienendenÖsterreichers. Damit liegt Österreich innerhalbder EU nach Großbritannien und Finnlandan dritter Stelle (Kreutzer, Fischer undPartner, 2007).Der spielende Österreicher setzt den größtenTeil seines Spielgelds in den klassischen Casinos(36%), knapp gefolgt von den Automaten(33%) um. Stark im Aufwind befindet sichdas Online-Gaming (10,6%) mit einem prognostiziertenWachstumsmarkt in den nächstenJahren (Kreutzer, Fischer und Partner,2007). Nach Kalke et al (2011) sind 0,4% derÖsterreicher von problematischem Spielenund 0,7% von pathologischem Spielen betroffen(siehe auch: Musalek, Mader, Poppe,2009). Von Alkoholmissbrauch (entsprichtrausch 1-<strong>2012</strong>, 34-38


Spielsuchtprävention im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Interessen und aktivem Spielerschutz 35dem problematischen Spielen) sind in Österreich13% der Personen über dem 16. Lebensjahrund von Alkoholabhängigkeit (entsprichtdem pathologischem Spielen) 5% derAllgemeinbevölkerung betroffen.Einen Vergleich der Verfügbarkeit von Alkoholund Glückspiel – allen voran des Automatenglückspiels– zur Abschätzung der Effizienzpräventiver Maßnahmen scheintschwierig. Ob der Zugang zu Alkohol oderjener zum Glückspiel um Geld derzeit leichterist, kann nicht adäquat beurteilt werden.Der Markt für Anbieter von Glückspiel wirdvon einigen wenigen Majorplayern, mit teilweiserMonopolstellung über Jahrzehnte, dominiert.Gerät man aus Sicht der öffentlichenMeinung in den „Dunstkreis“ dieser Anbieter,so kommt es innerhalb kürzester Zeit zuUrteilszuschreibungen und Meinungsbildungsprozessen,die an Diskussionen erinnern,wie sie im Alkohol- und <strong>Dr</strong>ogenbereichAnfang/Mitte des vorigen Jahrhunderts geführtworden sind. Gemein ist die rasche Besetzungvon Extrempositionen, die letztlichin der Zuschreibung von „Gut“ und „Böse“gipfeln.Der Spieleanbieter oder Erzeuger vonGlückspielgeräten wird mit dem Attribut„böse“ versehen, und der problematischeoder pathologische Spieler als „Guter“ erachtet,dem Böses widerfahren ist. Aus therapeutischerPerspektive ist diese Zuschreibungbesonders problematisch, da sie initial denFokus auf die Reduktion bzw. Eliminationdes „Bösen“ legt, den Spieler aber als Opferäußerer Umstände erscheinen lässt. Da sichgesellschaftspolitische Meinungen auch aufdas einzelne Individuum übertragen, entstehteine für die Behandlungsmotivation desEinzelnen ungünstige Ausgangslage. Wie wirim Anton Proksch Institut in zahlreichen Gesprächenmit pathologischen Spielern feststellenkonnten, haben diese die Dichotomiegut-böse häufig internalisiert, das Resultat isteine geringe intrinsische Motivationslage zuBeginn der Behandlung.Urteilszuschreibungen, d.h. Urteilsheuristikenwie die Verfügbarkeitsheuristik kommtimmer dann zur Anwendung, wenn dieWichtigkeit oder die Häufigkeit von Ereignissenbeurteilt werden muss, die Zeit oderdie Möglichkeit auf genaues Datenmaterielzurückzugreifen jedoch nicht gegeben ist. Soüberschätzen Glückspieler systematisch ihreWahrscheinlichkeit in Glückspielhallen amAutomaten zu gewinnen, weil die Gewinneanderer leichter in Erinnerung gelangen alsdie wesentlich häufigeren Verluste. Valideund reliable Zahlen zur Glückspielproblematikin Österreich gibt es bis heute nicht, einBlick über die Landesgrenzen nach Deutschlandmusste zur Beurteilung epidemiologischerÜberlegungen genügen.Die Repräsentativitätsheuristik bewertet dieWahrscheinlichkeit danach, wie genau sie bestimmtenPrototypen entspricht. Im Kontextgesellschaftspolitischer Betrachtungen derSpielsucht finden wir hier viele Eigenschaftszuschreibungenin stereotyper Weise. Als oftgenanntes Beispiel, es spiegelt nicht die Meinungdes Autors wider, wird dem HomoÖkonomikus der Glückspielindustrie mit ihrenMaximen der Nutzen- und Gewinnmaximierungder willenlose, dependente Spielergegenübergestellt.Im öffentlichen Diskurs kommt ebenso derAttributionsfehler implizit zur Anwendung.Urteilsheuristiken, wie die SelbstwertdienlicheVerzerrung tritt immer dann auf, wenndas Selbstwertgefühl bedroht wird. Erfolgwird in solchen Situationen verstärkt intern,Misserfolg eher extern attribuiert. Ein Spieler,der einen Geldbetrag soeben verloren hat,sucht häufig die Schuld im manipuliertenAutomaten. Ob, wie in der Gesetzesnovelle2010, die verpflichtende Anzeige der mathematischermittelten Gewinnausschüttungsquotediesen Attributionsfehler tatsächlichreduzieren kann (siehe unten), wird bezweifelt.Die Perzeptuelle Salienz, der Umstand, dassauffällige Objekte einen Einfluss darauf habenwelche Ursachenzuschreibung wir vornehmen,mag beispielsweise auch ein Grunddafür sein mit Jakpot‘s sehr vorsichtig umzugehen.Ragen besondere Ereignisse, wie z.B.hohe Gewinne, aus einer Menge von sonstunspektakulären Spielen heraus, so wird jenemAutomat mit bereits erfolgter hoher Gewinnausschüttungeine besondere Fähigkeitzugeschrieben, magisches Denken setzt ein.Manche pathologischen Spieler nehmenenorme Wegstrecken und Wartezeiten inKauf, um an „ihrem“ Automaten spielen zukönnen.Die obigen Beispiele illustrieren das Vorhandenseintypischer Denkfehler, sowohl aufSeiten der Gesellschaft im Umgang mitGlückspielanbietern, als auch auf Seiten derSpieler selbst.Neben dem durch die Gesetzesnovelle initiiertenEinwirken auf die Verfügbarkeit (Faktor<strong>Dr</strong>oge im multifaktoriellen Bedingungsgefüge)ist aus Sicht einer Behandlungs- undForschungseinrichtung für Suchterkrankungender Faktor Persönlichkeit von zentralerrausch 1-<strong>2012</strong>


36O. <strong>Scheibenbogen</strong>Bedeutung. Die gesetzlichen Rahmenbedingungendes Spielerschutzes sind (Auszug):– die Einrichtung eines Zutrittsystems zurFeststellung der Identität– die Implementierung eines Schulungskonzeptesfür Mitarbeiter von Glückspielanbieternim Umgang mit Spielsucht– die Einrichtung eines Warnsystems mitabgestuften Spielerschutzmaßnahmen– die Anzeige der mathematisch ermitteltenGewinnausschüttungsquote– die Einhaltung eines Mindestabstandsvon Automatensalons– die Reglementierung des Spieles selbst:- Einsatzlimitierung pro Spiel- Limitierung der Höhe des in Aussichtgestellten Gewinnes- Verpflichtende Mindestspieldauer alsspielefrequenzregulatorische Maßnahme- Keine Ausschüttung von Jackpots- Verpflichtende Abkühlphase nach einerdefinierten Spieldauer- Höchstzulässige TagesspieldauerNach der Verabschiedung dieser Gesetzesnovelle2010 trat ein internationaler Glückspielkonzernmit Hauptsitz in Niederösterreichan das Anton Proksch Institut mit demAnsinnen heran, die Corporate-Social-Responsibility-bzw. Responsible Gaming Abteilung,und die unternehmensinterne Fortbildungsakademiebei der im Gesetzestextgeforderten Implementierung eines Schulungskonzeptesfür Mitarbeiter zu unterstützen.Abbildung 1:Schulungsinhalte der Advanced-Ausbildung zum Präventionsbeauftragten. Die Schulungen finden am Gelände der Suchtklinik stattSeit Herbst 2010 bieten wir am AntonProksch Institut Wien ein Ausbildungscurriculumzum Präventionsbeauftragten an. Einerseitswerden eintägige Basisschulungenfür Mitarbeiter in den Operations (Casinos,Gaststätten,…), sowie deren Tochterunternehmungendurchgeführt, andererseits bekommenFührungskräfte wie Casinomanagerund Geschäftsführer eine einwöchige Advanced-Schulungmit Zertifizierung zumPräventionsbeauftragten.Während in den Basisseminaren die Zielsetzungeine erste Sensibilisierung für das Themasowie Vermittlung von Basiswissen (sieheauch Mader & Musalek, 2009) ist, werdenin den Advanced-Seminaren neben vertiefendemWissen praktische Vorgehensweisenin der Begegnung mit pathologischen Spielerntrainiert. In Rollenspielen werden Konfrontationsgesprächebei auffälligem Spielverhaltengeübt. Auch Fragen der Bonitätsprüfung,das Setzen von Limits und dasSperren auf Zeit werden diskutiert und praktischeVorgehensweisen erarbeitet. Eine genaueAufstellung der Inhalte findet sich inAbb. 1.In das Schulungskonzept wurden auch dieThemen Alkohol- und Nikotinabhängigkeitintegriert. In der Erlebnispädagogik sowieder Mal- und Gestaltungstherapie werdendie theoretischen Inhalte erleb- und spürbargemacht.Für zertifizierte Präventionsberater, diese unterziehensich vor Antritt der Ausbildung einerpsychologischen Eignungsdiagnostik,werden jährliche Supervisionstage angebo-9:00-10:40Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag FreitagBegrüßung anschl.Entstehungstheorien10:40-11:1011:10-12:00 Entstehungstheorien12:00-13:0013:00-14:40Diagnostik&PatientengesprächeBehandlung-Spielsucht-Online-AlkoholGesprächstypen&RahmenbedingungenDiagnostik&PatientengesprächeRollenspiele&AufarbeitungPause (30min)FallvignettenMittagspause (60min)ErlebnispädagogikPause (30min)Mal- und Gestaltungstherapie& Führung durch dieWerkstätten„Homo Ludens“Rauchen„Supervision“&FallbeispieleZusammenfassungVerabschiedungErlebnispädagogikKletterhalle14:40-15:1015:10-16:00 Führung durch die Klinik Rollenspiele Erlebnispädagogik Rollenspiele ErlebnispädagogikKletterhallerausch 1-<strong>2012</strong>


Spielsuchtprävention im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Interessen und aktivem Spielerschutz 37ten. Ebenso wurde eine telefonische Beratungeingerichtet.Erste Erfahrungen sollen im Folgenden anekdotischfestgehalten und zur Diskussion gestelltwerden.Anekdote 1 – Fairplay trotzRestriktionWie eine rückfällige pathologische Spielerinin einer unserer therapeutischen Spielergruppenberichtete, sei sie im Gegensatz zu früher(vor der Schulungsmaßnahme der Mitarbeiter)bei einem neuerlichen Spielversuch in einemWiener Automatencasino gescheitert.Die vereinbarte Sperre wurde trotz massivem<strong>Dr</strong>uck der Patientin von Seiten des Casinosaufrecht erhalten und sie aus dem Casinoverwiesen. Dabei habe sie sich trotz diesesrestriktiven Vorgehens wertschätzend behandeltgefühlt.Diskurs 1 – Mitgestaltung beiBesuchsvereinbarungen undSelbstsperrenAufgrund unserer Erfahrungen in der Behandlungvon pathologischen Spielern konntenwir deutlich darauf hinweisen, dass einefreiwillige Besuchsvereinbarung zur Limitierungder monatlichen Besuchstage bei Gelegenheitsspielernund evtl. noch bei beginnendenproblematischen Spielern sinnvoll ist, beipathologischen Spielern – ein Suchtkriteriumstellt hierbei der Kontrollverlust dar – jedochvöllig zwecklos ist und einem abhängigenSpieler etwas abverlangt, zudem er seit geraumerZeit nicht mehr in der Lage ist.Diskurs 2 – Mitgestaltung beiInformationsfoldernProblematische und Pathologische Spielersind häufig von Schuld- und Schamgefühlenbetroffen. Dies resultiert häufig, wie bei anderenSuchterkrankungen auch, in einer sehrspäten Inanspruchnahme des Hilfesystems.Ein sehr niederschwelliger Zugang ist dabeidie Bereitstellung von spielerschutzrelevantenInformationen z.B. in Form von Foldern.Wir beschäftigten uns aus psychologischerSicht mit der Fragestellung: Wie kann der Zugangzu diesen Informationen auch in denCasinos selbst vereinfacht und die Wahrscheinlichkeitder Entnahme erhöht werden?Aus der Perspektive einer Suchtklinik ist dieMöglichkeit des Einwirkens auch im präventivenBereich, unmittelbar dort wo eine Personmit dem „Suchtmittel“ in Kontaktkommt, nahezu ein Novum und im Alkoholbereichbis dato kaum angewandt.Anekdote 2 – Die Angst auf beidenSeitenWährend der Ausbildungswoche zum Präventionsbeauftragtenbestand für die Teilnehmerdie Möglichkeit erstmals mit Patientenin Kontakt zu treten und längere Gesprächezu führen. Mitarbeiter des Glückspielanbietersbefürchteten mit Aggressionen derSpieler konfrontiert zu werden, Spielern fieles durch den persönlichen Kontakt zunehmendschwieriger die Schuld für ihr Spielverhaltenausschließlich im Glückspielanbieterzu sehen. Als Basis für eine nachhaltige Einstellungsänderungführten die Gespräche zutiefer Betroffenheit, aber auch zu Akzeptanzund Wertschätzung des Anderen und letztlicheinem besseren Verständnis.Diskurs 2 – Die Abhängigkeit von derAbhängigkeitIn den Seminaren wird den Teilnehmern ausder Glückspielbranche auch die Frage danachgestellt, wie hoch ihrer Meinung nachder Prozentsatz an Umsätzen durch abhängigeSpieler sei. Aus Untersuchungen zur Alkoholabhängigkeitweiß man, dass ca. 70 bis 80Prozent der Umsätze der Alkoholindustrievon den 5 Prozent alkoholabhängigen Personenerwirtschaftet werden (große MengenAlkohol werden von einer Minderheit konsumiert).Auch in der Glückspielindustrie dürftendie Zahlen in diesem Bereich liegen. DieseFrage initiiert zumeist einen intensivenDiskussionsprozess unter den Teilnehmern,der das Dilemma zwischen wahrgenommenersubjektiver Verantwortung und Angstvor Umsatzeinbußen und letztlich Jobverlustunmittelbar zum Vorschein bringt.Mit der Gesetzesnovelle 2010 wird den Anbieternvon Glückspielen in Österreich dieImplementierung von Spielerschutzmaßnahmenverpflichtend vorgeschrieben. Jene Institutionen,die direkt mit der Behandlung undBetreuung von problematischen und pathologischenSpielern befasst sind, können ihreExpertise in beratender Tätigkeit einfließenlassen.rausch 1-<strong>2012</strong>


38O. <strong>Scheibenbogen</strong>Um als Klinik in diesem heiklen Bereich tätigsein zu können, bedarf es einiger qualitätssichernderKriterien im Sinne von Leitlinien.Oberste Priorität liegt in der Vertretung derInteressen von an Glückspielabhängigkeit erkranktenPersonen. Es bedarf einer größtmöglichenTransparenz der Kooperationenzwischen Behandlungseinrichtung undGlückspielanbietern nach außen sowie einerHeterogenität der Auftraggeber, um nicht inden Ruf einseitiger Firmeninteressen zu gelangen.Unter diesen Bedingungen ist ein Mitgestaltendes Spielerschutzes nicht nur als eine kritischeHerausforderung im Kontext unterschiedlichsterInteressen zu sehen, sondernkann auch als ein Beschreiten eines gemeinsamenWeges verstanden werden. Weggefährtenlernen die Bedürfnisse, Einstellungenund Werte des jeweils Anderen in besondersintensiver Weise kennen, sodass Ausgrenzung,Stigmatisierung und Schwarz/Weiß-Denken – die einfachen „Lösungen“ auf beidenSeiten – keine Chance mehr haben.LiteraturFeuerlein, W., Küfner, H. & Soyka, M. (1998). Alkoholismus-Missbrauch und Abhängigkeit. Entstehung– Folgen – Therapie (5., überarbeiteteund erweiterte Auflage). Stuttgart: Thieme.Kalke, J., Buth, S., Rosenkranz, M., Schütze, Ch.,Oechsler, H. & Verthein, U. (2011). Glücksspielund Spielerschutz in Österreich. EmpirischeErkenntnisse zum Spielverhalten der Bevölkerungund zur Prävention der Glücksspielsucht.Freiburg im Breisgau: Lambertus.Kreutzer, Fischer und Partner, Studie: Glücksspielund Sportwetten in Österreich 2007, Presse-Präsentation (Juli 2007).Mader, R. & Musalek, M. (2009). Spielsucht, MitSpielen zum Glück, Jatros Fachzeitschrift fürNeurologie und Psychiatrie, 8/2009.Musalek, M., Mader, R. & Poppe, H. (2009). StoffungebundeneSüchte. Österreichishe Ärztezeitung,10/2009.<strong>Dr</strong>. <strong>Oliver</strong> <strong>Scheibenbogen</strong>Klinischer Psychologe undGesundheitspsychologe,BiofeedbacktherapeutLeitung Bereich Aktivierung,Schwerpunktskoordinator Kreativität undLebensgestaltung des Anton Proksch Institutsoliver.scheibenbogen@api.or.atrausch 1-<strong>2012</strong>


39Eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse des gewerblichen Geld-Gewinnspiels für die BundesrepublikDeutschlandFranz W. Peren, Reiner Clement, Wiltrud Terlau1. Einleitung 1Die sozialen Kosten von substanzabhängigenSüchten werden bereits seit längerer Zeit diskutiert.Im Mittelpunkt stehen hier der Tabak-und Alkohol konsum. 2 Jüngere Studienbemessen diese Kosten in Deutsch land aufbis zu 60 Mrd. €. 3 Einbezogen werden u.a. dieKosten der Heilbehandlung, der Kriminalitätsbekämpfungund Produktivitätsverlustevon Süchtigen, die auf grund ihrer Abhängigkeitnicht zur Arbeit erscheinen oder keinergeregelten Arbeit nachgehen (können). Auchdas pathologische und das problema ti scheGlücksspiel sind Studien zufolge mit sozialenKosten verbunden. Die Spannweite derSchätzungen der hierdurch induzierten Kostenist auf grund unterschiedlicher methodischerAnsätze sehr groß. Becker schätzt diesozi alen Kosten (direkte und indirekte Kosten)des Glücksspiels in Deutschland nachden Standards der World Health Organisation(WHO) für das Jahr 2008 auf 326 Mio. €. 4Adams kommt zu Gesamtkosten von 10,8Mrd. €, die einem Bruttospielertrag 5 von 11,1Mrd. € gegenübergestellt wer den. 6Es fehlen in Deutschland wissenschaftlichfundierte Studien, die das Kon zept der sozialenFolgekosten von Glücksspielangeboteneiner differen zierten Sicht unterziehen undauch die mit den Angeboten verbundenenNutzenaspekte hinreichend berücksichtigen.2. Methodischer Rahmen vonKosten-Nutzen-Analysen desGlücks- und Geld-GewinnspielsDie Wohlfahrtseffekte des Glücksspiels sindaus übergeordneter Sicht der Kosten-Nutzen-Analyse als eine Nettogröße zu betrachten,die sich aus der Differenz von sozialen Kostenund sozialen Nutzen ergeben (Abb. 1).Sozi ale Kosten und sozialer Nutzen wiederumsind Größen, die aus einer pri vaten Dimensionund einer externen Dimension bestehenkönnen. In der Mehrzahl der Fällewerden in diesen Dimensionen direkte, indirekteund intangible Kosten- bzw. Nutzenkategorienunterschieden:– Direkte Kosten/Nutzen sind in der Regeleiner Person oder einer klar ab gegrenztenGruppe (z.B. Anbieter, Nachfrager) zuzurechnen.Diese Kosten/Nutzen lassen sichin der Regel monetarisieren.– Indirekte Kosten/Nutzen entstehen beianderen Personen. Da sie häufig nicht zurechenbarsind, werden sie der Gesellschaftzugerechnet. Auch diese Kosten/1Auf Grund der besseren Lesbarkeit wird im Text der Einfachheit halber nur die männliche Form verwendet. Dieweibliche Form ist selbstverständlich immer mit eingeschlossen.2Lesch, O.M., Walter, H. (2008): Alkohol und Tabak. Medizinische und soziologische Aspekte von Gebrauch,Missbrauch und Abhängigkeit, Wien/New York.3http://www.wiso.unihamburg.de/fileadmin/bwl/rechtderwirtschaft/institut/Materialien/OEAR/Soziale_Kosten_Alkohol_Tabak_Gluecksspielt.pdf.4Becker, T. (2011): Soziale Kosten des Glücksspiels. Gutachten für den Bundesverband privater Spielbanken (BupriS),Universität Hohenheim.5Der Bruttospielertrag der Spiele ist die Differenz zwischen den Spieleinsätzen und den rechtmäßig ausbezahltenGewinnen.6Adams, M. (2009): Schriftliche Stellungnahme zu der Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Gesundheitdes Deutschen Bundestages 1. Juli 2009 zum Thema Prävention der Glücksspielsucht stärken.rausch 1-<strong>2012</strong>, 39-46


40F. W. Peren, R. Clement, W. TerlauAbbildung 1:Grundkategorien derKosten-Nutzen-Analysevon Glücksspie len 7(Netto-)WohlfahrtseffekteSoziale KostenSoziale NutzenPrivate KostenExterne KostenPrivate NutzenExterne Nutzen• direkt• indirekt• intangibel• direkt• indirekt• intangibel• Spielfreude• Freizeitgestaltung• Anbieter• Zulieferer•StaatNutzen lassen sich zumindest näherungsweisemonetär erfassen.– Intangible Kosten/Nutzen sind nicht direktmonetär messbar. In diesem Kontextwerden häufig physische, psychische undsoziale Kategorien gebildet.Bei der Analyse der Kosten und Nutzen vonGlücksspielen ist die Perspek tive von grundlegenderBedeutung. Je nach Wahl kann siezu unterschied lichen Ergebnissen führen.Was für Normalspieler vorteilhaft ist, mussnicht für pathologische Spieler gelten. Wasaus staatlicher Sicht als sinnvolle Kanalisierungdes Spieltriebs erscheint, kann aus Sichtder Glücksspielkon sumenten als zu weitgehenderEingriff in die Konsumentensouveränitätbe trachtet werden.3. Volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse desgewerblichen Geld-Gewinnspielsfür DeutschlandBei volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Analysen ist zunächst der rele vante Marktder Betrachtung abzugrenzen. Der GlücksundGewinnspiel markt ist Teil des Freizeitmarktes.Der Freizeitmarkt in Deutschlandhat ein Gesamtvolumen von ca. 270 bis 300Mrd. €. 8 Der Anteil der Anbieter von legalenGlücks- und Gewinnspielen liegt (gemessenan den Einsätzen) bei 10% - 13% und (gemessenan den Bruttokassen) bei ca. 3,5% (Tab. 1).Eine Schwierigkeit bei der Beurteilung desGesamtmarktes resultiert dar aus, dass dieprivaten Sportwettenanbieter und –vermittlerseit dem 1. Ja nuar 2008 in einer rechtlichenGrauzone operieren. 9„Gemessen am Bruttospielertrag entfallen inklusiveder gewerblichen Un terhaltungsautomateninzwischen 17 Prozent des gesamten Glücksspiel -marktes auf unregulierte Produkte. Dies entsprichteinem in Deutschland unversteuerten undunkontrollierten Bruttospielertrag von insgesamt1,7 Mrd. Euro. Allein die unregulierten Online-Angebote machen rund 1,0 Mrd. Euro dieses unreguliertenMarktes aus.“ 10Der Glücksspielmarkt als Teil des Freizeitmarktesumfasst im Jahr 2010 in Deutschlandgemessen am Bruttospielertrag eine Größenordnungvon 9,4 Mrd. €. Gut 3,94 Mrd. € entfallenauf das gewerbliche Geld-Gewinnspiel.Dies entspricht einem Marktanteil vonrund 42%. Wiederkehrend wird behauptet,dass sich bis zu 80% aller pathologischen7In Anlehnung an Fiedler, I. (2010): Die sozialen Folgekosten des gewerblichen Automatenspiels, Vortrag: DeutscherSuchtkongress 23. September, Tübingen.8http://www.vdai.de/wirtschaftskraft-mu.pdf.9Rebeggiani, L. (2010): Deutschland im Jahr <strong>Dr</strong>ei des GlüStV. Reformvorschläge zur Regulierung des deutschenGlücksspielmarktes. Gutachten im Auftrag des Deutschen Lottoverbandes e.V. (DLV), Hannover; S. 9 ff.10Vgl. Goldmedia (2010): Glücksspielmarkt Schleswig-Holstein 2015. Gutachten zu den möglichen Entwicklungendes Glücksspielmarktes in Schleswig-Holstein, Gutachten im Auftrag der Kanzlei Hambach und Hambach,München; http://www.timelaw.de/cms/upload/pdf/100609_Goldmedia_Studie_Glcksspielmarkt_Schleswig-Holstein_public.pdf.rausch 1-<strong>2012</strong>


Eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse des gewerblichen Geld-Gewinnspiels41SpielangebotBruttospielerträge/Kassen(in Mrd. Euro)Marktanteil bezogenauf Bruttospielerträge(in % gerundet)GGSG 3,94 42,00Spielbanken 0,556 5,92Lotto- und Totoblock 3,25 34,65Klassenlotterien 0,227 2,42Fernsehlotterien 0,448 4,77PS-Sparen/ Gewinnsparen 0,143 1,52Pferdewetten 0,0145 0,15Online-Spiele 0,8 8,53SUMME 9,38 100,00Tabelle 1:Glücksspielmarkt in Deutschland (2010) 12Spieler aus dem Bereich des gewerblichenGeld-Gewinnspiels rekrutieren.Diese Aussage deckt sich nicht mit den empirischenFakten und entspringt Fehlinterpretationendes vorliegenden Datenmaterials.1. Konkret gemeint ist die Zahl der Spieler,die bundesweit bei den etwa 950 BeratungsstellenHilfe gesucht haben. Hochgerechnetauf die Anzahl der betreutenSpieler in den Suchtberatungsstellen habensich 2009 rund 9.500 Glücksspieler inambulante Beratung begeben. 13 Die Spieleran GGSG, die in den Einrichtungender Suchtberatung Hilfe suchen, bildenmit 72,3 % die größte Gruppe (2009). Dieswäre bezo gen auf die Zahl der erwachsenenBevölkerung in Deutschland (52Mio.) gerade einmal 0,013%.2. Die Zahl der Spieler, die die Suchtberatungin Anspruch nehmen, darf nicht verwechseltwerden mit dem Anteil der pathologischenSpieler, die auf GGSG entfallen.Hochgerechnet auf die erwachseneBevölke rung ergibt sich ein Bevölkerungsrisikobezogen auf ein pathologi -sches Spielverhalten an GGSG von 31.300Personen (Potenzial größe). Dies sind etwa30% der pathologischen Spieler insgesamt.Angaben zur Zahl der pathologischen Spieler(Bevölkerungsrisiko) je Glücksspielform könnenin Relation zur Intensität des Spielensund den hierdurch generierten Bruttospielerträgenbei den nachgefragten Glücksspielproduktengesetzt werden. Diese relative Betrachtungergibt eine Maß zahl, die als Pathologie-Potenzial-Koeffizientbezeichnet werdenkann.Bezogen auf GGSG ergibt die Berechnung,dass 1% Marktanteil bezogen auf die Bruttospielerträgedurchschnittlich 0,7884% allerpathologischen Spieler in Deutschland bindet.In einer monetären Interpretation werdenbei GGSG je 100 Mio. € Bruttospielertrag0,9% Anteil an pathologischen Spie lern gebunden.Im Fall der Spielbanken und vor allemder Online-Spiele sind diese Werte zumTeil deutlich höher, so dass GGSG aus dieserSicht als deutlich weniger bedenklich erscheinen.Aufgrund bis dato unzureichen der Datenerhebungenbleiben dabei bspw. Pferdewetten,oder auch Poker - insbesondere Online-Poker- unberücksichtigt. 144. Externe Kosten und sozialeKosten des Glücksspiels inDeutschlandDie externen Kosten des Glücksspiels werdengemäß vorliegenden Studien von der Familieund dem Umfeld des Spielers sowie der11GGSG = Geld-Gewinn-Spiel-Geräte und Unterhaltungsautomaten mit Geld-Gewinmöglichkeiten.12Quellen: Archiv- und Informationsstelle der Lotto- und Totounternehmen, Stiftung Warentest, eigene Berechnungen.13Meyer, G. (2011): Glücksspiel – Zahlen und Fakten, in: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), Hrsg.:Jahrbuch Sucht, Geesthacht, S. 117 ff.14Forschungsinstitut für Glücksspiel und Wetten (2011): Pathologie-Potenziale von Glücksspielprodukten. Einekomparative Bewertung von in Deutschland angebotenen Spielformen. Wirtschaftswissenschaftliches Kurzgutachtenausgearbeitet für die AWI Automaten-Wirtschaftsverbände-Info GmbH, Berlin. Die Berechung der Pathologie-Potenzialeist ausführlich dargestellt unter http://www.forschung-gluecksspiel. com/pdf/PKK6-01.pdf.rausch 1-<strong>2012</strong>


42F. W. Peren, R. Clement, W. TerlauGesellschaft insge samt getragen. 15 Im Fall despathologischen Spiels zählen dazu:– Produktivitätsverluste durch Krankheiten,– Fehlzeiten am Arbeitsplatz,– Arbeitsplatzverluste,– Behandlungskosten für die Spielsuchtund andere aufgrund der Glücksspielsuchtverursachte psychische und physischeKrank heiten sowie zusätzliche Substanzabhängigkeiten(Komorbiditäten).In einer weitergehenden Perspektive werdenauch höhere Suchtrisiken für Familienangehörigesowie Kosten aufgrund zerrütteter Familienverhältnisseund Lebenspartnerschaftenberücksichtigt. Sofern sich pathologischeSpie ler überschulden, werden teilweise auchdie Maßnahmen zur Eintreibung von Glücksspielschulden,die Folgen von Privatinsolvenzensowie die Ko sten aus glücksspielbezogenerBeschaffungskriminalität zu den externenKosten gezählt.Becker legt seinen Berechnungen zu den sozialenKosten des Glücksspiels in Deutschland,die mit externen Kosten gleichgesetztwerden, die Stan dards der World Health Organization(WHO) zugrunde. 16 Diese umfassendirekte Kosten, indirekte Kosten und intangibleKosten. Letztere werden aufgrundder schwierigen Erfassung nicht monetär bewertet.Private Kosten (z.B. Kosten der Krankenversicherung,Verlust an Einkommen,Kosten für Strafen, Kosten für persönlichesLeid) werden bei der Schätzung der sozia lenKosten nicht berücksichtigt. Es verbleibendie externen Kosten (direkte, indirekte Kosten).Unterstellt wird in den Berechnungen eineGrößenordnung von 238.500 pathologischenSpielern. Dies entspricht einer Prävalenzratevon 0,45% bei 52 Mio. Bundesbürgern im Alterzwischen 18 und 65 Jahren. Ausgehendvon der Prävalenz pathologischen Spielverhaltenswerden die gesamten sozialen Kostenauf einzelne Formen des Glücksspiels aufgeteilt.Die gesamten sozialen Kosten desGlücksspiels betragen in Deutschland rund326 Mio. €.Sie teilen sich auf in direkte Kosten von 152Mio. € und indirekte Kosten von 174 Mio. €.Das gewerbliche Geld-Gewinnspiel verursachtsoziale Kosten in Höhe von rund 225Mio. € pro Jahr (Tab. 2).Becker stützt sich bei seinen Analysen vorrangigauf Sekundärquellen und vergleichtdiese u.a. mit Schätzungen für Österreich 19und die Schweiz. 20 Becker selbst betrachtetdiese Berechnungen für die sozialen Kostendes Glücksspiels in Deutschland als Bandbreite.Während die direkten Kosten in Höhevon 152 Mio. € eher die Obergrenze darstel-Tabelle 2:Soziale Kosten einzelner Glücksspielformen inDeutschland im Jahr 2008 18Prävalenz pathologischenSpielverhaltens [%]Soziale Kosten [Euro]Geldspielautomaten 69,0 224.984.574Glücksspielautomaten 11,0 35.867.106Sportwetten 9,2 29.997.943Casinospiele 9,4 30.650.072Lotterien 1,0 3.260.646Insgesamt 99,6 324.760.342 1715Vgl. z.B. Köberl, J., Prettenthaler, F. (2009): Kleines Glücksspiel - Großes Leid? Empirische Untersuchungen zuden sozialen Kosten des Glücksspiels in der Steiermark, Schriftenreihe des Instituts für Technologie- und Regionalpolitikder Joanneum Research 9, Graz; Büro für Arbeits- und Sozialpolitische Studien, BASS (2004): Glücksspielund Spielsucht in der Schweiz. Empirische Untersuchung von Spielpraxis, Entwicklung, Sucht und Konsequenzen.Studie im Auftrag der Eidgenössischen Spielbankenkommission und des Bundesamtes für Justiz,Bern.16Becker, T. (2011): Soziale Kosten des Glücksspiels. Gutachten für den Bundesverband privater Spielbanken (BupriS),Universität Hohenheim.17324.760.342 € = 99,6% von insgesamt ausgewiesenen 326.064.600 €.18Becker, T. (2011): Soziale Kosten des Glücksspiels. Gutachten für den Bundesverband privater Spielbanken (BupriS),Universität Hohenheim, S. 80.19Köberl, J., Prettenthaler, F. (2009): Kleines Glücksspiel – Großes Leid? Empirische Untersuchungen zu den sozialenKosten des Glücksspiels in der Steiermark, Graz.20Büro für Arbeits- und Sozialpolitische Studien, BASS, (2009): Soziale Kosten des Glücksspiels in Casinos. Studiezur Erfassung der durch die Schweizer Casinos verursachten sozialen Kosten im Auftrag der EidgenössischenSpielbankenkommission (ESBK), Bern.rausch 1-<strong>2012</strong>


Eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse des gewerblichen Geld-Gewinnspielslen, können die indirekten Kosten auch oberhalbvon 173 Mio. € liegen. 21„Die sozialen Kosten des Glücksspiels dürfteninsgesamt zwischen 300 Mil lionen und 600 MillionenEuro betragen.“ 22Die direkten Kosten umfassen vor allem dieBehandlungskosten, Kosten der Schuldnerberatung,der (Beschaffungs-)Kriminalität sowieKosten, die aus (straf)rechtlichen Konsequenzenresultieren (Tab. 3).Nicht erfasst sind – wie in der Mehrzahl auchinternationaler Studien – die intangiblenKostenbestandteile. Auch pekuniäre Wirkungenwerden nicht einbezogen, da sie Verschiebungenvon Vermögen und Einkommenvon einer Akteursgruppe zur anderen bedeuten.Je nach Vorstellung von Verteilungsgerechtigkeitkönnen jedoch auch diese Kostenzumindest als „sozi ale Probleme“ interpretiertwerden. Dabei handelt es sich zumGrossteil um Vermögensverluste bei den betroffenenSpielern sowie um nicht zurück -bezahlte Schulden. Hinzu kommen Transferzahlungendes Staates (z.B. Arbeitslosenhilfe,Sozialhilfe).Die indirekten Kosten resultieren vor allemaus arbeitsplatzbezogenen Effekten wie Verlustdes Arbeitsplatzes, Fehlzeiten und einerverringerter Arbeitsproduktivität (Tab. 4).Dies wäre bei 100.000 pathologischen Spielern(gemäß Bühringer Studie) 25 3.000 – 6.000€ pro Spieler bzw. bei 238.500 pathologischenSpielern (gemäß Becker Studie) 26 1.258 – 2.516€ pro Spieler.Direkte KostenEuroStationäre Behandlung 16.970.000Ambulante Behandlung 24.090.000Schuldnerberatung 390.000(Beschaffungs-)Kriminalität 30.000.000Aufsicht, Gerichte, Strafverfolgung12.100.000Ehescheidungen 15.900.000Spieler-, Jugendschutz 26.000.000Präventionsforschung 8.800.000Insgesamt 152.450.0005. Nutzen des gewerblichen Geld-Gewinnspiels in DeutschlandDas gewerbliche Geld-Gewinnspiel generierteinen privaten und einen externen Nutzen.Die Addition ergibt den sozialen Nutzen. Derprivate (mik roökonomische) Nutzen besteht- vergleichbar zu anderen Formen der Un -terhaltung - in der Spielfreude der Spielgäste.27 Dieser Nutzen wird - im Gegensatz zuande ren Unterhaltungsangeboten - durch dieSpielV in „ge ordnete“ Bahnen gelenkt undkanalisiert. 28Privater Nutzen – Spielfreude undUnterhaltungFür den nicht-pathologischen Spieler ist dasGlücksspiel vorrangig eine (Freizeit-)Aktivi-Indirekte Kosten Euro Quellen (Beispiele)Verlust des Arbeitsplatzes 84.804.500 Befragungen in ambulanter/stationärerKrankheitsbedingte Fehlzeiten 75.191.000Behandlung, Auswertung von Studien,HochrechnungenVerringerte Arbeitsproduktivität 13.619.000Insgesamt 173.614.60043Tabelle 3:Direkte Kosten des Glücksspielsin Deutschland imJahr 2008 23Tabelle 4:Indirekte Kosten desGlücksspiels in Deutschlandim Jahr 2008 2421Becker, T. (2011): Soziale Kosten des Glücksspiels. Gutachten für den Bundesverband privater Spielbanken (BupriS),Universität Hohenheim, S. 46.22Becker, T. (2011): Soziale Kosten des Glücksspiels. Gutachten für den Bundesverband privater Spielbanken (BupriS),Universität Hohenheim, S. 46.23Becker, T. (2011): Soziale Kosten des Glücksspiels. Gutachten für den Bundesverband privater Spielbanken (BupriS),Universität Hohenheim, S. 49.24Becker, T. (2011): Soziale Kosten des Glücksspiels. Gutachten für den Bundesverband privater Spielbanken (BupriS),Universität Hohenheim, S. 49.25Bühringer, G., Kraus, L., Sonntag, D., Pfeiffer-Gerschel, T., Steiner, S. (2007). Pathologisches Glücksspiel inDeutschland: Spiel- und Bevölkerungsrisiken. Sucht, 53 (5), S. 296 – 308.26Becker, T. (2011): Soziale Kosten des Glücksspiels. Gutachten für den Bundesverband privater Spielbanken (BupriS),Universität Hohenheim. S. 80.27Collins, D., Lapsley, H. (2003): The Social Costs and Benefits of Gambling: An Introduction to the Economic Issues,in: Journal of Gambling Studies, Vol. 19, No. 2, S. 130.28http://www.gesetze-im-internet.de/spielv/BJNR001530962.html.rausch 1-<strong>2012</strong>


44F. W. Peren, R. Clement, W. Terlautät, die Spaß macht und darüber hinaus eineMöglichkeit zur Einkommenserzielung bietet(Abb. 2). Der Anteil der monatlichen Ausgabenfür Freizeit, Unterhaltung und Kultur anden Konsumausgaben der privaten Haushaltelag 2005 nach den Ergebnissen der LaufendenWirt schaftsrech nungen (LWR) bei etwa11,6% (232 €). Die Konsumausgaben der privatenHaushalte lagen monatlich bei durchschnittlich1.996 € insge samt. 29Der unmittelbare private Nutzen aus dem gewerblichenGeld-Gewinnspiel resultiert ausden Spieleinnahmen der Freizeitspieler undihrer Spielfreude insgesamt. Der Bruttospielertragaus dem gewerblichen Geld-Gewinnspiellag in Deutschland im Jahr 2010 beirund 4 Mrd. €. 30 Die Erträge wurden von Freizeitspielernund von pathologischen Spielerngeneriert.Zu klären bleibt das Verhältnis von pathologischenzu Freizeitspielern. Die Anzahl derpathologischen Spieler beträgt je nach gewählterStudie in Deutschland 31.000 –100.000 Personen. Demgegenüber gehenSchätzun gen davon aus, dass mindestens 5Mio. Menschen ab 18 Jahren mehr oder wenigerregelmäßig an Geldspielgeräten Einsätzetätigen und weitere 2 - 3 Mio. Menschen gelegentlichspielen. 31 Dies wären insgesamtrund 7 Mio. Per sonen. 32Der Anteil pathologischer Spieler an Freizeitspielerndürfte demnach in Deutschland allerhöchstens2% betragen (100.000 zu 5 Mio.).Dieses ist gerade im Kontext von Kosten-Nutzen-Analysen von Bedeutung, denn diedurch Freizeitspieler getätigten Ausgabensind volkswirtschaftlich als Nut zen zu interpretieren.6. Kosten-Nutzen-AnalyseEine auf internationalen Standards basierendeund in den Grundlagen nachvollziehbareBerechnung findet sich bei Becker: 33– Direkte Kosten (Obergrenze): 152 Mio. €,– indirekte Kosten (mindestens): 173 Mio. €.Die direkten und indirekten Kosten (sozialenKosten) des gewerblichen Geld-Gewinnspielsin Deutschland betragen jährlich etwa225 Mio. € (69%). Da die indirekten Kostenauch höher ausfallen können, werden in einemalternativen Szenario direkte und indi-Abbildung 2:Privater Nutzen desGlücksspielsFreizeitspieler gewerblichesGeld-Gewinnspiel:5.000.000 – 7.000.000SpielerPathologische Spielergewerbliches Geld-Gewinnspiel:31.000 – 100.000Ausgaben im Kontextanderer FreizeitaktivitätenAusgabenUmsatzfaktorAnteil Freizeitspieler anGesamteinnahmenAnteil pathologischer Spieler an Gesamteinnamen(absolut, relativ, pro-Kopf)Gesamteinnahmen der Anbieter (100%)29Datenreport (2008): Der Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland, Kapitel 13: Freizeit und gesellschaftlichePartizipation, Wiesbaden, S. 317 ff.30Vieweg, H.G. (2010): Wirtschaftsentwicklung Unterhaltungsautomaten 2010 und Ausblick 2011. Gutachten imAuftrag des Arbeitsausschusses Münzautomaten (AMA), ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, München, S. 18.31http://www.vdai.de/wirtschaftskraft-mu.pdf.32Reichertz, J. u.a. (2010): Jackpot. Erkundungen zur Kultur der Spielhallen, Wiesbaden S. 42.33Becker, T. (2011): Soziale Kosten des Glücksspiels. Gutachten für den Bundesverband privater Spielbanken (BupriS),Universität Hohenheim.rausch 1-<strong>2012</strong>


Eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse des gewerblichen Geld-Gewinnspiels45rekte Kosten in Höhe von 300 Mio. € unterstellt.Dies bietet Raum für die Betrachtungvon Bandbreiten.Bezogen auf das gewerbliche Geld-Gewinnspielliegen die fiskalischen Ein nahmen desStaates deutlich oberhalb der sozialen Kosten,so dass per saldo zweifelsfrei ein Wohlfahrtsgewinnvorliegt.Selbst wenn die aus Beschäftigungseffektender Unterhaltungsautomaten branche resultierendenSteuern/Abgaben nicht berücksichtigtwerden, ergibt sich ein Verhältnis vonKosten und Nutzen von rund 1 : 4,5 bzw. 1 : 6(Tab. 5).Auch unter Einbeziehung von intangiblenKostenelementen erscheint es äußerst unwahrscheinlich,dass der volkswirtschaftlicheNutzen des gewerblichen Geld-Gewinnspielsin Deutschland unterhalb der sozialen Ko -sten liegen könnte. Dazu müssten Größenordnungenerreicht werden, die selbst in sehrüberzogenen Schätzungen der sozialen Kostendes Glücksspiels (einschließlich intangiblerKostenkategorien) in Deutschland in derRegel nicht erreicht werden.Auch andere Studien kommen zu dem Ergebnis,dass die sozialen Kosten des gewerblichenGeld-Gewinnspiels nicht oberhalb dessozialen Nutzens liegen. So kommen Köberl/Prettenthalerbezogen auf das „kleineGlücksspiel“ in Österreich zu dem Ergebnis,dass „…die tangiblen sozialen Kosten, die ausdem Automatenspiel erwachsen, leicht durch dasderzeitige Abga benaufkommen im Bereich des„kleinen Glücksspiels“ kompensiert werden.Selbst unter zusätzlicher Berücksichtigung derintangiblen (phsychischen) Schäden scheinen sichsoziale Kosten und Abgabenaufkommen in etwadie Waage zu halten.“ 37Zur Reduzierung der sozialen Kosten gibt eseine Vielzahl von effektiven Maßnahmen, diedirekt auf die Gruppe der problematischenSpieler abzie len können. Auf diese Weisebliebe das Prinzip der Konsumentensouverä -nität 38 für Freizeitspieler gewahrt, derenSozialeKostenSozialerNutzen 34Spielaktivitäten keine sozialen Ko sten verursachen.7. SchlussfolgerungenRelation225 Mio. € 35 1,37 Mrd. € 1 : 6,1300 Mio. € 36 1,37 Mrd. € 1 : 4,6Die Notwendigkeit von Kosten-Nutzen-Analysenim Kontext von Glücks spielen inDeutschland ist erkannt. Dazu zählen Schätzungenüber vorteil hafte sozioökonomischeAuswirkungen des Glücksspiels (z.B. Steuereinnahmen, Schaffung von Arbeitsplätzen)und auch fundierte Angaben zu den volkswirtschaftlichenKosten des pathologischenGlücksspiels.Es gibt Hinweise darauf, dass es eine Art„konstante“ oder feste Größe bezogen aufdas pathologische Spiel in einer Gesellschaftgeben könnte. Eine Studie bezogen auf dasGlücksspiel in der Schweiz kommt zu demErgebnis:„Insgesamt scheinen verschiedene internationaleStudien und auch Schweizer Befragungen somitnahe zu legen, dass es sich beim Problem desGlücksspiels um ein relativ stabiles Phänomenhandelt.“ 39Die bisher vorliegenden Arbeiten beschränkensich weitgehend auf die Erfassung dersozialen Kosten des Glücksspiels. Auf internationalenStan dards basierende Berechnungenzeigen, dass die direkten und indirektenKosten des pathologischen Glücksspiels inDeutschland mit 300 – 600 Mio. € weit unterjenen Wohlfahrtskosten liegen, welche durchAlkohol- und Tabakmissbrauch entstehen.Letztere liegen mindestens bei 40 Mrd. €.Tabelle 5:Kosten-Nutzen-Relationendes gewerblichen Geld-Gewinnspielsin Deutschland34Vgl. dazu Tab. 4.27. Berücksichtigt sind Umsatzsteuern auf Bruttospielerträge und nachgelagerte Wertschöpfungsstufen,die Vergnügungssteuer auf GGSG, Ertragssteuern der Unternehmen sowie Einkommensteuern undSozialabgaben der in der Branche beschäftigten Personen.35Diese Angabe basiert auf den Angaben von Becker, T. (2011): Soziale Kosten des Glücksspiels. Gutachten fürden Bundesverband privater Spielbanken (BupriS), Universität Hohenheim.36In diesem Szenario werden die indirekten Kosten höher angesetzt, so dass sich die direkten und indirektenKosten von 225 Mio. € auf 300 Mio. € erhöhen.37Köberl, J., Prettenthaler, F. (2009): Kleines Glücksspiel – Großes Leid? Empirische Untersuchungen zu den sozialenKosten des Glücksspiels in der Steiermark, Graz, S. 158.38Die Konsumentensouveränität bezeichnet die Freiheit eines Individuums zu entscheiden, wie seine Bedürfnissebefriedigt werden.39Eidgenössische Spielbankenkommission, ESBK (2009): Glücksspiel: Verhalten und Problematik in der Schweiz,S. 10; http://www.bfm.admin.ch/content/dam/data/ esbk/berichte/studie-esbk-gluecksspiel-d.pdf.rausch 1-<strong>2012</strong>


46F. W. Peren, R. Clement, W. TerlauEine Pathologie-Potenzial-Betrachtung bezogenauf GGSG zeigt, dass 1% Marktanteil bezogenauf die Bruttospielerträge durchschnittlich0,79% aller pathologischen Spielerin Deutschland bindet. In einer monetärenInterpretation werden bei GGSG je 100 Mio. €Bruttospielertrag 0,9% Anteil an pathologischenSpielern gebunden. Im Fall der Spielbankenund vor allem der Online-Spiele sinddiese Werte zum Teil erheblich höher, so dassGGSG aus dieser Sicht deutlich wenigersuchtgefährdent erscheinen.Die auf das gewerbliche Geld-Gewinnspielentfallenden sozialen Kosten dürften inDeutschland zwischen 225 – 300 Mio. € jährlichbetragen. Eine Einbeziehung von bewertbarenNutzenaspekten ergibt in Relation zuden sozialen Kosten einen deutlichen Überhang.Der quantifizierbare Nutzen dürfte mitrund 1,37 Mrd. € jährlich etwa viereinhalb bissechs Mal höher liegen als die bewertbarenKosten.Auch die Berücksichtigung weiterer Perspektivenlässt keine Netto-Wohlfahrtsverlustedes gewerblichen Geld-Gewinnspiels inDeutschland plausi bel erscheinen.Prof. <strong>Dr</strong>. <strong>Dr</strong>. Franz W. PerenProfessor der Betriebswirtschaftslehre an derHochschule Bonn-Rhein-Sieg in Bonn,wissenschaftlicher Direktor desForschungsinstituts für Glücksspiel undWettenperen@forschung-gluecksspiel.deProf. <strong>Dr</strong>. Reiner ClementProfessor für Volkswirtschaftslehre,insbesondere Innovationsökonomie an derHochschule Bonn-Rhein-Sieg, Mitglied imwissenschaftlichen Beirat desForschungsinstituts für Glücksspiel undWettenreiner.clement@h-brs.derausch 1-<strong>2012</strong>


47NachrichtenGlücksspiel im Deutschen Bundestag: mehr Kontrolle, freiwilligeSperren, entschleunigtes Zocken in Spielhallen und GaststättenDer Gesundheitsausschuss des DeutschenBundestags befasste sich in einer Anhörungmit dem Thema Glücksspiel. DieMehrheit der Experten forderte, Spielautomatenin Spielhallen und Gaststättensollten künftig stärker kontrolliert werden.Spieler sollten die Möglichkeit erhalten,sich freiwillig für die Geräte sperrenzu lassen. Einige Sachverständige würdennach vorliegender Faktenlage amliebsten die Geldgewinnspielautomatenaus den Gaststätten ganz verbannen.Der Ausschuss beriet den SPD-Antrag(17/6338). Die Sachverständigen gehenvon rund 500.000 pathologischenGlücksspielern und rund 800.000 problematischenSpielern in Deutschlandaus. Die Sozialdemokraten bezeichnenGeldspielautomaten unter Berufungauf das Projekt „PathologischesGlücksspielen und Epidemiologie“(PAGE) als „Suchtfaktor Nummer 1“.Meike Lukat, Kriminalhauptkommissarinaus Düsseldorf, bemängelte dieZulassung der Geräte durch die Physikalisch-TechnischeBundesanstalt.Um mutmaßliche Steuerhinterziehungund Geldwäsche durch die Betreiberder Automaten zu unterbinden,sei es notwendig, Gewinne undVerluste der Geräte genau zu kontrollieren.Der Vorsitzende des Verbandes derDeutschen Automatenindustrie e. V.(VDAI), Paul Gauselmann, sagte, dieBranche engagiere sich bereits etwasfür den Jugendschutz. „Wir leiden alsBranche unter zehn Prozent schwarzeSchafe“. Auf Nachfrage konnte Gauselmannnicht sagen, wie seine Branchegegen die schwarzen Schafe inden eigenen Reihen vorgehen könne.Beim Streitpunkt Sperrdatenbank undSperrverfahren gehen die Meinungenetwas auseinander. Tilman Becker,Professor an der Universität Hohenheim,und Professor Adams, UniversitätHamburg, sprachen sich für eineSperrdatenbank aus, die sowohl fürjeden Spielort gelten müsse, also, sowohlin Spielbanken/Kasinos als auchin Spielhallen und Gaststätten.Adams argumentierte noch stärkerzur Bekämpfung der Spielsucht: Erkönnte sich vorstellen, Geldgewinnspielgeräte(GGSG) ausschließlich inden stark kontrollierten Kasinos aufzustellen.Ilona Füchtenschnieder vonder Landesfachstelle GlücksspielsuchtNordrhein-Westfalen unterstütztediesen Vorschlag, bis die Gerätetechnisch-physikalisch so hergestelltwerden können, dass Missbrauchverhindert werde. Füchtenschnieder:„Gastronomische Betriebesind aus meiner Erfahrung herausüberfordert mit der Kontrolle. Sie habenzu wenig Personal dafür, außerdemwerden die Geräte häufig so aufgestellt,dass sie nicht einsehbar sind.“Ein Großteil der Spielsüchtigen verliereihr Geld an diesen Geldgewinnspielgeräten,sagte Tilman Becker,Professor an der Universität Hohenheim,Forschungsstelle Glücksspiel.Becker schlug einen Ausschuss für eineSpieler-Sperrdatei für Geldspielautomatenvor: Süchtige könnten sichfreiwillig eintragen lassen und würdendann am Spiel gehindert. Es müsseaber möglich sein, sich begrenztsperren zu lassen. Becker „denke aneine Mindestsperre von einem Jahr,und jeder Spieler kann darüber hinauswählen, wie lange er sich sperrenlässt.“ Darüber hinaus müsse jederSpieler eine persönliche Identifikationskartefür Automaten erhalten.Letzteren Vorschlag aus dem Bundeswirtschaftsministeriumhalten einigeExperten für ungeeignet, weil diesevernetzt oder als Kundenkarten missverstandenwerden könnten. Füchtenschniedernannte diese Idee reine„Zeitschinderei“.Der SPD-Antrag zielt darauf ab, anAutomaten die Gewinn- und Verlustmöglichkeitenzu reduzieren; zusätzlichsollten die Spiele entschleunigtwerden. Beides könnte das Suchtpotenzialund die wirtschaftlichen Schädenu.U. abschwächen.Bislang existiert in Deutschland nureine Studie zu den sozialen Kostendes Glücksspiels in Deutschland, dieden Standards der Weltgesundheitsbehörde(WHO) entspricht. Sie wurdeAnfang 2011 auf Anregung von BupriSvon der Forschungsstelle Glücksspielan der Universität Hohenheim(http://gluecksspiel.uni-hohenheim.de) veröffentlicht. Danach betragendie sozialen Kosten des Glücksspielsin Deutschland für das Jahr 2008 insgesamt326 Millionen Euro. Darinsind auch die Aufwendungen für denSpielerschutz und für die Glücksspielsuchtpräventionenthalten.Zum Vergleich: Die sozialen Kosten,die der Gesellschaft durch den TabakundAlkoholkonsum entstehen, liegenbei 20 bis 50 Milliarden Euro beim Tabakkonsumund bei 20 bis 30 MilliardenEuro beim Alkoholkonsum – undsind damit etwa zweihundertmal größer.Adams kritisierte zu Ende der Anhörungdie mangelnde Rotation beiden Beamtenposten beispielsweiseim Bundeswirtschaftsministerium(BMWi), in dem die bundesweite Gewerbeaufsichtinclusive der Automatenwirtschaftsbrancheangesiedelt ist.Mit seiner Kritik steht Adams nicht alleine:Ende des Jahres 2011 nahm dasTeam von Lobby Control die Spendenpraktikender Automatenwirtschaftunter die Lupe und stellte fest, dassPaul Gauselmann systematisch überein Jahrzehnt Spenden von unter zehnTausend Euro an Abgeordnete zahlteund einen guten <strong>Dr</strong>aht zum Leiter derAufsichtsbehörde im BMWi hegt. ■rrausch 1-<strong>2012</strong>


48 NachrichtenHerzinfarkt: Zwei <strong>Dr</strong>inks – geringere SterberatePatienten könnten nach einem Herzinfarktwomöglich von moderatemAlkoholgenuss profitieren. Denn ineiner US-Studie haben zwei <strong>Dr</strong>inkstäglich die Gesamtsterberate signifikantgesenkt - und zwar unabhängig,ob Bier oder Wein getrunken wurde.Der herzprotektive Effekt von moderatemAlkoholgenuss, etwa durch Erhöhungder HDL-Werte, ist bekannt.Profitieren aber auch Patienten nacheinem ersten Herzinfarkt davon?US-Epidemiologen und Ernährungswissenschaftlerum Professor Eric B.Rimm von der Harvard MedicalSchool haben dazu Daten der prospektivenKohortenstudie HPSS (HealthProfessionals Follow-up Study)ausgewertet (Eur Heart J <strong>2012</strong>; online27. März).An der Studie nahmen mehr als 51.500Männer teil, 1818 davon hatten schoneinen ersten Herzinfarkt gehabt.Binnen 20 Jahren wurden bei den Infarktpatientenalle vier Jahre derdurchschnittliche tägliche Alkoholkonsumsowie die kardiovaskuläreund die Gesamt-Sterberate analysiert.In dieser Zeit starben 468 Männer. Jenach Alkoholmenge wurden die Männerdrei Gruppen zugeordnet: täglichein <strong>Dr</strong>ink (bis 9,9 g), zwei <strong>Dr</strong>inks (10bis 30 g) und mehr als zwei <strong>Dr</strong>inks(über 30 g).Ein <strong>Dr</strong>ink konnte ein Glas oder aucheine Flasche oder Dose Bier (12,8 g Alkohol)sein, ebenso 120 ml Wein (11 g)oder ein Gläschen Schnaps (14 g).Die Probanden hatten schon vor demHerzinfarkt regelmäßig Alkohol getrunkenund den Konsum nach derDiagnose des Infarkts fortgesetzt.Die kardiovaskuläre Sterberate lag beiMännern mit zwei <strong>Dr</strong>inks pro Tag imVergleich zu abstinenten Männernsignifikant um 42 Prozent niedriger,und zwar unabhängig von der Art derGetränke.Die Gesamtsterberate war bei moderatemAlkoholgenuss um 34 Prozentverringert.Nicht alle Herzinfarktpatienten profitierenjedoch von moderatem Alkoholkonsum.Nur bei solchen Männernergab sich eine verringerte Sterberate,bei denen der Infarkt nicht die Vorderwandbetraf und das Herz nur eineleicht eingeschränkte linksventrikuläreFunktion hatte.■rGesundheitsministerin darf nicht vorE-Zigaretten warnenRückschlag für NRW-GesundheitsministerinBarbara Steffens im Vorgehengegen elektrische Zigaretten: Pereinstweiliger Anordnung hat dasOberverwal tungsgericht (OVG) inMünster dem Land Nordrhein-Westfalenuntersagt, vor den sogenanntenE-Zigaretten zu warnen (Az: 13 B127/12). Die in einer Pressemitteilungvon Steffens Ministerium sowie in einemErlass enthaltenen Äußerungenseien rechtswidrig, urteilte das OVG.Elektrische Zigaretten unterlägen wederdem Arzneimittelgesetz noch demMedizinproduktegesetz.Mitte Dezember hatte das Gesundheitsministeriumeine Pressemitteilungmit der Über schrift „MinisterinSteffens warnt vor Verkauf von illegalenE-Zigaretten: Geschäftsgründungensind riskant - Gesundheitsschädenzu befürchten“ veröffentlicht. Darinvertrat Steffens die Position, dassnikotinhaltige E-Zigaretten als Arzneimittelanzusehen und ihr Handelaufgrund einer fehlenden Zulassungstrafbar seien. Zudem informierte dieMinisterin die Bezirksregierungenüber die nach ihrer Ansicht bestehendeRechtslage. Der Erlass ging auchan alle Apotheken, die zum Bereichder NRW-Apothekenkammer gehören.Eine Firma, die E-Zigaretten produziertund vertreibt, war gegen das Gesundheitsministeriumvorgegangen.Vor dem Düsseldorfer Verwaltungsgerichtwar das Unternehmen mit seinemAntrag auf eine einstweilige Anordnungnoch erfolglos geblieben.Der 13. Senat des Oberverwaltungsgerichtsgab der Firma nun dochrecht.Das Gericht prüfte in seiner Entscheidungnicht nur die Vertretbarkeit derAussagen, sondern auch die angeführtenrechtlichen Positionen. Demnachfallen E-Zigaretten weder unterdas Arzneimittel- noch das Medizinproduktegesetz.Das nikotinhaltigeLiquid in den elektrischen Zigarettenerfülle nicht die gesetzlichen Voraussetzungeneines Arzneimittels, befanddas Gericht.Zudem stünden nicht die Entwöhnungvom Nikotinkonsum oder dieLinderung der Nikotinabhängigkeitim Vordergrund. Eine für ein Arzneimittelerforderliche therapeutischeoder prophylaktische Zweckbestimmungsehen die Richter bei E-Zigarettenebenfalls nicht gegeben. Die inder Pressemitteilung und dem Erlassenthaltenen Äußerungen sind demnachrechtswidrig. Der Beschluss desOberverwaltungsgerichts ist unanfechtbar.Steffens reagierte enttäuscht auf denrichterlichen Beschluss. „Bis zumHauptsache verfahren wird das Ministeriumdie Zeit nutzen, Argumente,auf die das OVG zum Teil noch garnicht eingegangen ist, noch deutlicherzu formulieren”, erklärte sie in Düsseldorf.„Unabhängig von noch immerzu klärenden juristischen Fragenhalte ich es als Gesundheitsministerinfür meine Pflicht, vor möglichen gesundheitlichenGefahren durch die E-Zigarette zu warnen”, unterstrichSteffens.■rrausch 1-<strong>2012</strong>


Nachrichten49Hirn-Anomalien fördern <strong>Dr</strong>ogensucht:Nervenverbindungen im Frontalhirnweniger effizientSchwangerschaft:Tabakrauch erzeugtFehlbildungen<strong>Dr</strong>ogenabhängige und ihre gesundenGeschwister haben Veränderungenim Gehirn und Schwierigkeiten beider Kontrolle von Impulsen. Forscherder britischen Universität Cambridgesehen darin Hinweise, dass solcheAnomalitäten anfällig für eine <strong>Dr</strong>ogensuchtmachen.„Wir gehen davon aus, dass es Gehirnveränderungengibt, die den <strong>Dr</strong>ogenein leichtes Spiel ermöglichen“,sagte die deutsche Psychologin KarenErsche, die seit zehn Jahren in Cambridgearbeitet.„Die brennende Frage ist: Was hat dieGeschwister beschützt, die nichtkrank wurden?“ Ihr Team berichtetüber die Untersuchung im US-Fachjournal„Science“.Für die Studie untersuchten die Forscher50 Geschwisterpaare - je ein Probandeines Paares war gesund, der anderedrogenabhängig. Die Expertenverglichen diese Teilnehmer mit 50gesunden Menschen, die ähnlich altund intelligent waren. „Die Geschwisterpaarehatten es in der Kindheitschon schwieriger als die Vergleichspersonen,sie hatten häufiger mithäuslicher Gewalt zu kämpfen.“Hinweis auf erbliche KomponenteErsche und Kollegen interessiertensich vor allem für die Abhängigkeitvon Stimulanzien wie Kokain oderAmphetamine. „Diese machen vergleichsweiseschnell abhängig. DasRisiko ist achtfach höher, wenn es bereits<strong>Dr</strong>ogen- oder Alkoholabhängigkeitin der Familie gibt.“ Das sei einHinweis auf eine erbliche Komponente,ohne dass man bislang ein Gen fürSuchtgefährdung gefunden habe.Die Forscher machten Aufnahmen miteinem Hirnscanner und führten psychologischeTests durch. „Die Geschwisterpaare,von denen einer erkranktwar, hatten Schwierigkeitenbei der Kontrolle von Impulsen.“Die Teilnehmer mussten am ComputerAufgaben lösen und sollten nacheiner Ansage stoppen. Bei den Geschwisterpaarendauerte es laut Erscheviel länger als bei den gesundenVergleichsprobanden, bis der Befehl„vom Gehirn in der Hand ankam“und sie nicht weiterklickten.„Die Schwierigkeiten bei der Impulskontrollespiegelten sich in der weißenSubstanz des Gehirns wieder, alsoin den Nervenverbindungen“, sagteErsche.Vergrößertes Putamen„Die Nervenverbindungen im Frontalhirnwaren weniger effizient als beiden Probanden aus der Vergleichsgruppe,die Geschwister waren sozusagenschlechter verkabelt.“ Das seibedeutsam, weil das Frontalhirn fürdie zielgerichtete Kontrolle menschlichenHandelns zuständig sei.„Außerdem fanden wir ein vergrößertesPutamen, das ist eine Hirnregion,die für die Gewohnheitsbildung wichtigist. Ist es eine gute Angewohnheit,dann ist das von Vorteil. Handelt essich aber um eine schlechte Angewohnheitwie <strong>Dr</strong>ogenkonsum, der außerKontrolle gerät, dann wird es kritisch.“Auch andere Hirnregionen warenbei den Geschwistern im Vergleichzur Kontrollgruppe größeroder kleiner.Dass <strong>Dr</strong>ogenabhängige Veränderungenim Gehirn haben, ist nicht neu.Unklar war bisher jedoch, ob dieAnomalien vor dem <strong>Dr</strong>ogenkonsumoder durch den <strong>Dr</strong>ogenkonsum entstanden.Für beides fand das TeamBelege.Die Wissenschaftler wollen sich künftigintensiver mit den gesunden Geschwisternvon <strong>Dr</strong>ogensüchtigen befassen.„Sie hatten ja ähnliche Anomalitätenim Gehirn wie ihre drogenabhängigenGeschwister und Schwierigkeitenmit der Impulskontrolle.“ ■rFrühere Studien haben Rauchen in derSchwangerschaft bereits mit einer erhöhtenRate an Fehl-, Früh- und Mangelgeburtenin Verbindung gebrachthatten. Weniger bekannt ist, dass einigeSchadstoffe im Tabakrauch teratogensind. Eine systematische Übersichtin Human Reproduction Update(2011; doi: 10.1093/humupd/dmr022)beziffert erstmals die Risiken auf dieeinzelnen Fehlbildungen.Der Krebsexperte Allan Hackshawvom University College London hatmit Kollegen 172 Forschungsarbeitenanalysiert. Dabei wurden 174.000Fehlbildungen mit 11,7 MillionenKontrollen verglichen.Ergebnis: Rauchen in der Schwangerschafterhöht das Risiko von HandundFußfehlbildungen um 26 % unddas von Klumpfüßen um 28 %. GastrointestinaleFehlbildungen sind um27 % häufiger.Fehlbildungen des Schädels (Craniosynostose)treten um 33 %, Fehlbildungenan den Augen um 25 % öfterauf, wenn die Mutter in der Schwangerschaftgeraucht hat. Das Risiko aufeine Spaltbildung an Lippe, Kieferoder Gaumen steigt um 28 %.Der größte Anstieg, plus 50 %, wurdefür die Gastroschisis gefunden, einerFehlbildung der Bauchwand mit demVorfall von Teilen des Magens oderDarms.Für andere Fehlbildungen, beispielsweiseangeborene Herzfehler, wurdekein erhöhtes Risiko gefunden. Eineandere nicht berücksichtigte Studiehatte dagegen ein leicht erhöhtes Risikoauf Herzfehler gefunden (Pediatrics2011; 127; e647-e653). ■rrausch 1-<strong>2012</strong>


50 NachrichtenStudie: Twitter & Co machtsüchtiger als AlkoholInternetjunkies unter sich: Eine Studieder Universität von Chicago kommtzu der Erkenntnis, dass Menschen<strong>Dr</strong>ogen wie Alkohol und Nikotin besserwiderstehen können als dem<strong>Dr</strong>ang, sich kurz bei Twitter oder Facebookeinzuloggen. Was nach derWiederholung bekannter Studienzum Thema Computersucht klingt,fördert neue Erkenntnisse zu Tage.Sogar den Sexualtrieb konnten dieProbanden besser unterdrücken. Darüberhinaus bekommt die Problematikin Zeiten steigender Mobilnutzungneue Relevanz.Widerstand ist zwecklos: Offenbarkönnen Menschen in einer Zeit, in derdie mobile Internetnutzung rapideansteigt, immer schlechter auf das Abrufenvon Mails oder das Checkenvon Inhalten auf Facebook, Twitterund Co. verzichten. Ein Forscherteamder Universität von Chicago hat zudiesem Zweck 205 Probanden zwischen18 und 85 eine Woche lang untersucht.Laut Aussage der Studienleiter, dieder Guardian zitiert, konnten die getestetenPersonen leichter dem <strong>Dr</strong>angwiderstehen, eine Zigarette zu rauchen,Alkohol zu trinken oder Geschlechtsverkehrzu haben. GroßeÜberwindung hingegen kostete derVerzicht, “digitalen” Verpflichtungennachzugehen. Dazu zählt in erster Linieder Medienkonsum, unter anderemvon Social Media.Als Grund dafür sehen die Expertendie extrem hohe Verfügbarkeit. Diesdürfte nicht zuletzt auch an dem rapi-den Anstieg der mobilen Internetnutzungliegen. Laut der aktuellen Studie“Connected Europe”, die TéléfonicaGermany und der StatistikdienstleisterComcore auf der DLD <strong>2012</strong> inMünchen vorstellen, hat das Shoppingüber mobile Endgeräte im Vergleichzum Vorjahr um 112 Prozentzugenommen. Laut einer Forsa-Umfragezum “Safer Internet Day” am 7.Februar <strong>2012</strong> besitzt ein <strong>Dr</strong>ittel der 30-bis 44-Jährigen und gut jeder Fünfteder 45- bis 54-Jährigen ein internetfähigesSmartphone.Die Hürde, dieser Sucht nachzugehen,sei also entsprechend gering, sodie Erkenntis der Suchtstudie. Umdas Verlangen der Probanden zu messen,kontaktierten die Forscher umWilhelm Hofmann sie eine Wochelang über einen Zeitraum von 14Stunden sieben Mal am Tag, um zu erfahren,welche Bedürfnisse sie in denvergangenen 30 Minuten verspürt haben.Sie erhielten 10.558 Antworten,von denen 7.827 eindeutiges Online-Verlangen signalisierten.■rTuberkulose: 40 Millionen Todesfälledurch Rauchen bis 2050Die Schädigung der Lungen durchdas Rauchen begünstigt Infektionund Fortschreiten einer Tuberkulose.Da derzeit vor allem in Ländern gerauchtwird, in denen die Tuberkulosestark verbreitet ist, sind die Auswirkungenbeträchtlich. Sie gefährden einerStudie im Britischen Ärzteblatt(BMJ 2011; 343: d5506) zufolge dasZiel der Weltgesundheitsorganisation,die Zahl der Tuberkulosetodesfällebis 2015 zu halbieren. Tabakrauchist ein etablierter Risikofaktor für dieTuberkulose. Er erhöht die Infektionsrisikoauf eine latente Tuberkulose,das Fortschreiten zu einer aktiven Erkrankungund das Sterberisiko, berichtenSanjay Basu von der Universitätvon Kalifornien in San Franciscound Mitarbeiter. Da ein Fünftel der erwachsenenWeltbevölkerung raucht,ist der Einfluss beträchtlich. Hinzukommt, dass gerade in Ländern, indenen die Tuberkulose verbreitet ist,häufig und viel geraucht wird. In Indienseien beispielsweise 38 Prozentaller Tuberkulosetodesfälle dem Rauchenzuzuschreiben, zitieren die Autorenfrühere Untersuchungen. Sieselbst haben jetzt Berechnungen zumEinfluss des Rauchens auf globalerEbene durchgeführt. Ihr Ergebnis: Bis2050 werden 274 Millionen Menschenan Tuberkulose erkranken. Davonentfallen, natürlich rein rechnerisch,18 Millionen oder 7 Prozent auf denRisikofaktor Rauchen. Weitaus größersind die Schäden bei bereits an derTuberkulose erkrankten Personen.Von den 101 Millionen Todesfällen,die Basu für den Zeitraum 2010 bis2050 prognostiziert, sind allein 40 Millionenauf den Faktor Rauchen zurückzuführen.Durch eine aggressiveTabakkontrolle, die den Anteil derRaucher an der Bevölkerung um einProzent pro Jahr senken würde, könnten27 Millionen Todesfälle vermiedenwerden, rechnet Basu vor. Die Befürchtungengehen allerdings in eineandere Richtung. In vielen Ländernsteigt, nicht zuletzt infolge der Marketinganstrengungender Tabakindustrie,die Zahl der Raucher. Wenn invielen Ländern bald die Hälfte der Erwachsenenstatt bisher 20 Prozentrauchen, würde dies 34 Millionenzusätzliche Todesfälle bedeuten,schreibt Basu. Angesichts dieser Zahlendrohen die Anstrengungen derWeltgesundheitsorganisation zur Makulaturzu werden. Das Millennium-Entwicklungsziel 6.9 fordert, dass Inzidenz,Prävalenz und Todesfälle ander Tuberkulose bis 2015 um die Hälfte(im Vergleich zu 1990) sinken. AlsMittel dient die DOTS-Strategie (DirectlyObserved Treatment Short-Course), bei der die Medikamente unterAufsicht eingenommen werden.Die Wirkung könnte wahrscheinlichgesteigert werden, wenn den Patientengleichzeitig eine Raucherentwöhnungangeboten würde.■rrausch 1-<strong>2012</strong>


Nachrichten51Alkoholkranke haben alsKind häufig körperliche undsexuelle Gewalt erlebtViele Alkoholabhängige haben in ihrerKindheit Gewalt erlebt – sie wurdengeschlagen oder sexuell missbraucht.US-Forscher konnten in einerStudie zeigen, dass etwa ein Viertelder alkoholkranken Männer und ein<strong>Dr</strong>ittel der Frauen physische Gewaltertragen mussten. Von sexuellemMissbrauch waren 12 Prozent der alkoholabhängigenMänner und fast dieHälfte der Frauen betroffen. Sogarbeide Formen der Gewalt erfuhrenfünf Prozent der Männer und einViertel der Frauen, wie die Forscherim Fachblatt „Alcoholism: Clinical &Experimental Research“ berichten.„Ein Mensch, der mehr als eine Artvon Missbrauch oder Vernachlässigungerlebt, kann auf lange Sichtschwer beeinträchtigt sein und mehrProbleme im späteren Leben entwickeln”,sagt Erstautor Markus Heiligvom National Institute on AlcoholAbuse and Alcoholism. In der Studiehatten Heilig und Kollegen Alkoholkrankebefragt, die sich zur Zeit derUntersuchung in einer Entzugsklinikbefanden. Dabei fanden sie heraus,dass Alkoholabhängige, die beide Artenvon Gewalt erfahren hatten, besondersanfällig für psychische Erkrankungenund Suizidversuche waren.Sexueller Missbrauch erhöhte zudemdie Wahrscheinlichkeit, Angststörungenzusätzlich zur Alkoholsuchtzu entwickeln.„Wir nennen das eine Dosis-Antwort-Beziehung,weil es bedeutet,dass mit jeder Art von erfahrenerGewalt – der Dosis – auch die Wahrscheinlichkeitsteigt, eine psychischeErkrankung – die Antwort –zu entwickeln“, sagt Heilig. Die hohenZahlen des körperlichen undsexuellen Missbrauchs unter Alkoholkrankenwerden besonders deutlich,wenn man sie mit denen derallgemeinen Bevölkerung vergleicht.Dort trifft, einer aktuellenlandesweiten Befragung zufolge,körperliche Gewalt etwa acht Prozentaller Kinder, sexueller Missbrauchrund sechs Prozent. ■rJugendliche rauchen,trinken und „kiffen“ immerwenigerZigaretten sind bei Jugendlichen weitgehendout: Nach einer Umfrage derdeutschen Bundeszentrale für gesundheitlicheAufklärung (BZgA) lagdie Raucherquote unter Jugendlichenzwischen 12 und 17 Jahren im vergangenenJahr bei 11,7 Prozent. 2001 warenes noch 27,5 Prozent. Der Erhebungzufolge gingen auch der Alkohol-und Cannabiskonsum unter jungenMenschen zurück.BZgA-Direktorin Elisabeth Pott zeigtesich zufrieden mit der Entwicklung.Allerdings sei man nicht in allen Altersgruppenso weit, „wie wir gernewären”.Die <strong>Dr</strong>ogenbeauftragte derBundesregierung, Mechthild Dyckmans(FDP), warnte allerdings vorden gefährlichen Folgen des weiterhinpopulären „Rauschtrinkens“.Die BZgA befragte rund 5.000 Jugendlicheim Alter von 12 bis 25 Jahren zuihrem <strong>Dr</strong>ogenkonsum. Dabei zeigtesich, dass auch die jungen Erwachsenenweit weniger rauchen als früher:Der Anteil der Raucher unter den 18-bis 25-Jährigen sank zwischen 2001und 2011 von 44,5 Prozent auf 36,8Prozent.Parallel stieg in den vergangenenzehn Jahren der Anteil derjenigen, dienoch nie geraucht haben: Unter den12- bis 17-Jährigen von 40,5 auf 70,8Prozent und unter den 18- bis 25-Jährigenvon 23,1 auf 27,6 Prozent.Auch der regelmäßige Alkoholkonsumging bei den 12- bis 17-Jährigenin den vergangenen zehn Jahren deutlichzurück: Konsumierten 2001 noch17,9 Prozent dieser Altersgruppe mindestenseinmal pro Woche Alkohol, sowaren es im vergangenen Jahr noch14,2 Prozent. Bei den Befragten zwischen18 und 25 Jahren blieb der Anteilgleich bei fast 40 Prozent. Cannabisist ebenfalls weniger attraktiv.2011 gaben noch 6,7 Prozent der 12-bis 17-Jährigen an, schon einmal Cannabiskonsumiert zu haben, 2004 wa-ren es mit 15,1 Prozent noch mehr alsdoppelt so viele.Trotz des Rückgangs beim Zigaretten-,Alkohol- und Cannabiskonsumzeigten „die aktuellen Zahlen weiterhindringliche Handlungsfelder auf“,erklärte Dyckmans. Unter den jungenErwachsenen im Alter von 18 bis 25Jahren sei das Rauschtrinken weiterhinpopulär.In der Gruppe der 12- bis 17-Jährigenbekannten sich zwar nur noch 15,2Prozent dazu, in den letzten 30 TagenRauschtrinken praktiziert zu haben,ein Rückgang um mehr als siebenProzent gegenüber 2004. Von den älterenBefragten bekannten sich hingegenim vergangenen Jahr immer noch41,9 Prozent dazu, 2004 waren es 43,5Prozent.Dyckmans ist der Ansicht, dass manmit den Kampagnen, die zuletzt vorallem die Minderjährigen ins Visiernahmen, „auf dem richtigen Weg“ ist.Mit Blick vor allem auf den nach wievor hohen Alkoholkonsum bei denjungen Erwachsenen fügte sie hinzu:„Es darf hier keine Verharmlosunggeben.” Seit März 2011 gibt es bereitsdas Modellprojekt prev@work, dassich um Suchtprävention in der Ausbildungkümmert.Dennoch wird die <strong>Dr</strong>ogen-Aufklärungjunger Erwachsener wohl ersteinmal kein Schwerpunkt sein. „Dazubräuchten wir zusätzliche Mittel“,sagte Pott. Für ihre Arbeit stehen derBZgA ihren Angaben zufolge pro Jahracht Millionen Euro aus dem Bundeshaushaltund seit 2009 pro Jahr zehnMillionen von den privaten Krankenkassenzur Verfügung. Dass derSchwerpunkt auf die Minderjährigengelegt wird, findet Pott schon alleindeswegen sinnvoll, weil Studien zeigten,dass die Jugendlichen, die heutenicht rauchen oder trinken, das auchin Zukunft nicht tun werden.■rrausch 1-<strong>2012</strong>


52 Nachrichten„Legal“, kostengünstig, einfach zubeschaffen und brandgefährlich:Kräuterdrogen aus asiatischer ProduktionSeit die Modedroge „Spice“ 2009 verbotenwurde, sprießen ähnliche Kräutermischungenaus dem Boden. Dochdie wenigsten Konsumenten wissenum die Gefahr der Produkte.Sie haben abenteuerliche Namen wie„Lava Red“, „Green Cat“ oder „MangaHot“. Getarnt sind sie als Badesalz,Kakteendünger oder als Duftmischungzur Raumluftverbesserung.„Nicht zum Verzehr geeignet“ stehtauf den Tütchen, die über das Internetbestellt werden können. „Aber das istnur zur Tarnung“, sagt Thomas Zilker,der Leiter des Giftnotrufs München.In Wirklichkeit handelt es sichum Kräutermischungen, die eine halluzinogeneWirkung haben.Wer sie einnimmt, werde von AngstoderUnruhezuständen heimgesuchtund könne aggressiv werden, warntZilker. Genau wie der 14-Jährige, derim Landkreis Bamberg aus neun MeternHöhe vom Balkon stürzte undsich schwer verletzte. Ihm wurde dieKräutermischung „Jamaica Gold“zum Verhängnis, wie der Giftnotrufvom behandelnden Krankenhausweiß.„Vor vier Jahren sind diese Kräutermischungenmit ’Spice’ zum ersten Malaufgetreten“, erklärt Claudia Vodermaiervom Bayerischen Landeskriminalamt(LKA). Nicht nur junge Menschengehörten zu den Abnehmern, alleAltersgruppen seien vertreten, sagtVodermaier. Die Modedroge „Spice“ist seit Anfang 2009 verboten. Es sindaber nicht die Kräuter, die „Spice“ undandere Kräutermischungen gefährlichmachen. „Die Kräuter an sich sindharmlos“, erläutert Zilker.Die psychotischen Zustände würdendurch synthetische Cannabinoide verursacht,mit denen die Kräuter versehensind. Diese erregten im Gehirnden gleichen Rezeptor wie Cannabis,seien aber viel stärker wirksam. Undseit „Spice“ habe der Konsum solcherKräutermischungen zugenommen,sagt Zilker.Einige dieser synthetischen Cannabinoideseien bereits in das Betäubungsmittelgesetzaufgenommen, wie dasin „Spice“ enthaltene JWH-018, sagtMichael Uhl aus dem KriminaltechnischenInstitut des LKA. Uhl leitet dortdas Sachgebiet Chemie und stößt beiden dort untersuchten Kräutermischungenimmer wieder auf neue solcherCannabinoide. An die 30 Stoffestünden zum Teil schon seit zwei Jahrenauf einer Warteliste, um in das Betäubungsmittelgesetzaufgenommenzu werden.Viele Kräutermischungen enthalten somitkeine registrierten Betäubungsmittel undwerden daher oft als „Legal Highs“, alsolegale <strong>Dr</strong>ogen, bezeichnet. Doch derSchein trügt: Kräutermischungen sindsogenannte Funktionsarzneimittel, erklärtUhl. Genau wie zugelassene Arzneimittelbeeinflussten sie die physiologischenFunktionen des Körpers und fielendaher unter das Arzneimittelgesetz.Der private Besitz kleinerer Mengensowie der Konsum seien zwar erlaubt.„Eine solche Kräutermischung darfaber nicht in Verkehr gebracht werden“,sagt Bernhard Kreuzer vomRauschgiftdezernat des LKA. Die „LegalHighs“ dürfen also weder an andereweitergegeben, noch verkauftwerden.Hohe DunkelzifferDie Kriminellen, die es dennoch tun,verdienen an den Tütchen, die etwaein halbes Gramm enthalten, zwischen10 und 40 Euro, sagt Kreuzer.Verlässliche Zahlen, wie viele Menschensolche Kräutermischungen zusich nehmen, gebe es nicht. Denn dasLKA registriere nur solche Fälle, indenen es sich um eine Straftat handle,die Inhaltsstoffe der Kräutermischungenalso unter das Betäubungsmittelgesetzfielen.166 Kliniken wandten sich vergangenesJahr wegen Kräutermischungenan den Giftnotruf München. Bei30.000 Anfragen zu Vergiftungen imJahr, sei das nicht viel, meint Zilker.Aber er geht von einer hohen Dunkelzifferaus. Die Kräutermischungenselbst führten nicht zum Tod. Aberwie der 14-Jährige aus dem LandkreisBamberg hätten die Betroffenen in ihremberauschten Zustand oft Unfälle.„Die Menschen verlieren das Gefühlfür das, was gefährlich ist.“Die sogenannten »Legal Highs« oderauch »Research Chemicals« imitierenhäufig die altbekannten Party- undLeistungsdrogen Ecs tasy und Cocain.Name und bunte Verpackung suggerieren,sie seien vergleichsweiseharmlos. Sie sind jedoch wegen dermangelhaften Kennzeichnung unkalkulierbarund bergen ähnliche Gefahrenwie die verbotenen Substanzen.Nach Angaben der <strong>Dr</strong>ogenbeauftragtenund des Bundeskriminalamts kames deutschlandweit zu »teilweiseschweren, mitunter lebensgefährlichenIntoxikationen«. Die Auswirkungenreichten von Kreislaufversagen,Ohnmacht, Psychosen, Wahnvorstellungen,Muskelzerfall bis hin zudrohendem Nierenversagen.Die neuen Rauschmittel werden nachdem Bericht der EU-Kommission inkommerziellen Laboratorien, möglicherweisein Asien, hergestellt undsind verglichen mit illegalen <strong>Dr</strong>ogenmeist billiger. Das könnte einen weiterenAnreiz zu ihrem Konsum darstellen.Der Vertrieb findet häufig überdas Internet oder den Fachhandel fürlegale Freizeitdrogen, die sogenanntenSmart- oder Headshops statt. ■rHintergrundinformationen:www.legal-high-inhaltsstoffe.derausch 1-<strong>2012</strong>


Nachrichten53Sexueller Frust begünstigt Alkoholsucht –zumindest bei FliegenMännliche Taufliegen konsumierenmehr angebotenen Alkohol, wenn siewiederholt sexuelle Zurückweisungenerfahren haben.Damit verbunden ist eine verringerteProduktion des Botenstoffs NeuropeptidF (NPF) im Gehirn, berichtenamerikanische Forscher. Umgekehrtzeigen Fliegen nach der Kopulationmit mehreren Weibchen einen erhöhtenNPF-Spiegel und haben nur eingeringes Bedürfnis nach Alkohol,schreiben die Wissenschaftler imFachjournal „Science“. Der BotenstoffNeuropeptid Y (NPY) hat im menschlichenGehirn eine ganz ähnlicheFunktion für das Belohnungssystem.Daher könnten die Ergebnisse dazubeitragen, menschliches Suchtverhaltenzu verstehen und zu behandeln.„Wenn es sich herausstellt, dass dasNeuropeptid Y eine vermittelnde Rollespielt zwischen der Psyche unddem Bedürfnis nach Alkohol und anderen<strong>Dr</strong>ogen, dann könnte man Therapienentwickeln, um die Rezeptorendes Botenstoffs zu blockieren“, sagtUlrike Heberlein von der Universityof California in San Francisco. Ihr Forscherteamuntersuchte zwei Gruppenmännlicher Taufliegen (<strong>Dr</strong>osophilamelanogaster). Die eine verbrachtemehrere Tage mit begattungswilligenWeibchen. Die anderen Fliegen warenmit bereits begatteten Weibchen zusammen,die weitere Kopulationsversucheabwehrten. Dann wurde allenMännchen flüssige Nahrung in zweiGefäßen angeboten, mit oder ohneZusatz von 15 Prozent Alkohol.Die sexuell frustrierten Fliegen nahmendeutlich mehr Alkohol zu sich alsdie anderen. Gekoppelt damit war einvergleichsweise geringer NPF-Spiegelin ihrem Gehirn. Dieser Mangel verstärkteoffenbar den <strong>Dr</strong>ang, das Belohnungssystemdes Gehirns auf andereWeise, nämlich durch die <strong>Dr</strong>ogeAlkohol, zu aktivieren. Weitere Experimentebestätigten die entscheidendeBedeutung von NPF für das Suchtverhalten:Genetisch veränderte Männchen,die den Botenstoff verstärkt produzierten,tranken weniger Alkohol,auch wenn sie an der Paarung gehindertwurden. Umgekehrt erhöhte sichder Alkoholkonsum der sexuell befriedigtenMännchen, wenn wenigerNPF-Rezeptoren vorhanden waren.Auch beim Menschen könnte der Spiegeldes analogen Botenstoffs NPY dieAnfälligkeit für den Missbrauch vonAlkohol und anderer <strong>Dr</strong>ogen beeinflussen.So ist bekannt, dass eine Depressionmit einer verminderten NPY-Produktion und verstärkter Suchtgefahrverbunden ist. Allerdings hat dasNeuropeptid beim Menschen vielfältigeFunktionen: Es spielt auch eine Rollebei der Regulation von Nahrungsaufnahme,Schlaf und Angstgefühlen.Wirkstoffe, die auf den NPY-Spiegelabzielen, könnten daher starke Nebenwirkungenauslösen. Erste klinischeStudien sollen nun zunächst die Sicherheiteiner Behandlung prüfen, diedie NPY-Funktion verändert. ■rGesetzliches Rauchverbot senktHerzinfarktrate bei ehemaligen unfreiwilligenPassivrauchernNach Einführung der Nichtraucher-Schutzgesetzgebung in Bremen zumJahreswechsel 2007/2008 nahm dieZahl der Herzinfarkte ab – der Vergleichder Zeiträume 2006/2007 mit2008/2009 belegt einen Rückgang derdurchschnittlichen monatlichen Herzinfarktratevon 14 Prozent. Das zeigteine Studie des Bremer KlinikumsLinks der Weser, die auf der 78. Jahrestagungder Deutschen Gesellschaftfür Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung(DGK) präsentiert wurde.„Der Rückgang der Inzidenz vonHerzinfarkten in Bremen und Umlandüber den Untersuchungszeitraumscheint zumindest teilweisedurch das Inkrafttreten des NichtraucherschutzgesetzesEnde 2007 erklärbar“,so die Studienautoren in ihrerZusammenfassung. „Insbesonderejüngere Nichtraucher weisen einendeutlichen Rückgang der Inzidenzvon Herzinfarkten auf. Dieses Ergebnisdeutet darauf hin, dass das NichtraucherschutzgesetzinsbesondereNichtraucher vor dem schädlichenEinfluss des Passivrauchens schützt.“Im Detail wurden die Daten aus demBremer „STEMI-Register“ von 2006bis 2009 – insgesamt 2883 Infarktpatienten– ausgewertet und nach Alter,Geschlecht und Nikotinkonsum analysiert.Trotz des Gesamtrückgangsder Herzinfarktfälle zeigte sich beiden zum Aufnahmezeitpunkt aktivenRauchern (42 Prozent der Gesamtfälle)kein Rückgang im direkten Vergleichzwischen 2006/2007 und2008/2009. Die Nichtraucher hingegenprofitierten von der Nikotingesetzgebungstatistisch gesehen mit einemRückgang der Herzinfarkt-Rate um23 Prozent (Vergleich 2006/2007 –2008/2009). Die jüngeren Nichtraucherunter 65 Jahren profitierten miteinem Rückgang der Herzinfarkte um26 Prozent am meisten von der gesetzlichenMaßnahme.■rrausch 1-<strong>2012</strong>


54 NachrichtenAlkohol- und Tabakkonsum inDeutschland, abhängig von Bildungund Einkommen: Unterschichtraucht, Oberschicht trinktJe höher der Bildungsstand, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines regelmäßigenAlkoholkonsums. Hingegen ist die Wahrscheinlichkeit, Raucher zu sein, bei einem vergleichsweisehohen Bildungsstand deutlich geringer. Diese und weitere Ergebnisse förderteine neue Studie zum Gesundheitsverhalten in Deutschland zutage, die PD <strong>Dr</strong>. UdoSchneider und <strong>Dr</strong>. Brit Schneider (Universität Bayreuth) in der Zeitschrift „EconomicsResearch International“ veröffentlicht haben.Die Datenbasis: Das SoziooekonomischePanelAlkoholmissbrauch, starkes Rauchen,schlechte Ernährung und Bewegungsmangelfördern nachweislich eineVielzahl gesundheitlicher Risiken.Detaillierte Informationen über dasGesundheitsverhalten der Menschenin Deutschland liefert das Sozio-oekonomischePanel (SOEP), eine repräsentativeBefragung privater Haushalte,die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung(DIW) seit 1984 regelmäßigdurchführt.PD <strong>Dr</strong>. Udo Schneider und <strong>Dr</strong>. BritSchneider, Mitarbeiter am Lehrstuhlfür Finanzwissenschaft der UniversitätBayreuth, haben die Daten des Jahres2006 daraufhin untersucht, ob eserkennbare Zusammenhänge gibtzwischen sozioökonomischen Faktoren,gesundheitlichem Wohlbefindenund Verhaltensweisen, die gesundheitlicheRisiken erhöhen. Als die beidenAutoren ihre Studie begannen,waren die SOEP-Daten des Jahres2006 die aktuellsten SOEP-Daten, diealle relevanten Faktoren umfassten.Gesundheitsdaten werden im Rahmendes SOEP nicht in jedem Jahr erhoben.Bildungsstand, Tabak- undAlkoholkonsum: ÜberraschendeZusammenhängeBei der Auswertung der SOEP-Datenstellte sich heraus, dass das Gesundheitsverhaltender Menschen inDeutschland wesentlich von drei Faktorenbeeinflusst wird: Bildungsstand,Erwerbstätigkeit und Einkommen. Soverringert sich bei Männern undFrauen mit einem vergleichsweise hohenBildungsstand deutlich die Wahrscheinlichkeit,Raucher zu sein. Menschen,die keine abgeschlossene Ausbildunghaben, neigen hingegen stärker zumTabakkonsum. Ähnlich verhält es sichmit starkem Übergewicht (Adipositas):Männer und Frauen sind davonseltener betroffen, wenn sie einenHochschulabschluss haben.Ganz anders sieht es beim Alkoholaus – und zwar bei Männern wie beiFrauen. Je höher der Bildungsstand,desto größer ist die Wahrscheinlichkeiteines regelmäßigen Alkoholkonsums.„Es erscheint wenig plausibel,dass Menschen mit einer weit überdurchschnittlichenAusbildung ausgerechnetin puncto Alkohol schlechtinformiert sind“, erklärt Koautor UdoSchneider. „Näher liegt die Annahme,dass das Wissen um die Risiken der‘Volksdroge Alkohol’ durch die gesellschaftlicheAkzeptanz verdrängtwird. Gerade in sozialen Milieus miteinem relativ hohen Bildungsstandkommt es nicht selten vor, dass Menschensich wechselseitig zum Alkoholkonsumanimieren.“Einkommen, Erwerbstätigkeit undGesundheitsverhalten –Geschlechtsspezifische UnterschiedeVom Bildungsgrad hängen inDeutschland oft auch der soziale Statusund das verfügbare Einkommenab. Dementsprechend führt die Auswertungder SOEP-Daten zu dem Ergebnis,dass Menschen, die in relativerArmut leben, überdurchschnittlichviel Tabak konsumieren. Hier sehendie Autoren einen Ansatzpunktfür eine staatliche Gesundheitspolitik,die mit dem Ziel, die verhaltensbedingtenKrankheitskosten zu senken,Anreize für das Nichtrauchen setzenwill. Eine höhere Besteuerung von Tabakwarenkönnte dazu beitragen,dass der Anteil der starken Raucheran der Gesamtbevölkerung deutlichsinkt. Dies gilt wiederum nicht für alkoholischeGetränke.Denn Männer und Frauen, die in relativemWohlstand leben, neigen wiederumzu erhöhtem Alkoholkonsum.Mehr noch: Gerade in Bevölkerungsgruppenmit signifikant höherem Einkommenscheint der Alkoholkonsum besondersausgeprägt – stärker noch als in denmittleren Einkommensgruppen.Auffallend ist ein Unterschied zwischenMännern und Frauen hinsichtlichder Fettleibigkeit. Bei Frauen, dieüber ein höheres Einkommen verfügen,ist die Wahrscheinlichkeit umsogeringer, dass sie unter starkem Übergewichtleiden. Bei Männern hingegenließ sich kein Zusammenhangzwischen der Höhe des Einkommensund einem extrem hohen Körpergewichtfeststellen.Ebenso lässt die Analyse der SOEP-Daten bei Männern keine Abhängigkeitenzwischen der Intensität ihrerErwerbstätigkeit (Zahl der Arbeitsstunden)und ihrem Alkohol- oder Tabakkonsumerkennen. Dagegen istder Anteil der Raucherinnen in derGruppe der erwerbstätigen Frauenüberdurchschnittlich hoch. Zudemkommen die Autoren der Studie zudem Ergebnis, dass Frauen, die überlängere Zeit einem starken beruflichenStress ausgesetzt sind, verstärkt zum Tabak-und zum Alkoholkonsum neigen. Beieiner wöchentlichen Arbeitszeit unter42 Stunden sinkt dieses Konsumverhalten,und auch starkes Übergewichtist dann weniger verbreitet.Gesundheitsverhalten undgesundheitliches WohlbefindenDie Autoren haben in ihrer Studieauch untersucht, wie sich Alkohol-rausch 1-<strong>2012</strong>


Nachrichten55und Tabakkonsum auf das gesundheitlicheWohlbefinden auswirkt.„Dabei haben wir uns darauf stützenmüssen, was die Teilnehmer und Teilnehmerinnenan den SOEP-Studienüber ihren eigenen Gesundheitszustandberichten“, berichtet UdoSchneider. „Es ist wissenschaftlich belegt,dass es dabei – abhängig von Geschlecht,Alter und anderen Faktoren– zu Verzerrungen kommen kann.Diese sind aber mittlerweile in derForschung so systematisch untersucht,dass wir sie bei der Auswertungder SOEP-Daten weitgehendkorrigieren konnten.“Im Ergebnis zeigt sich wiederum eingeschlechtsspezifischer Unterschied.Häufiges Trinken geht bei Männern inder Regel mit der Erfahrung einher, dasssich der Gesundheitszustand verschlechtert.Dagegen scheint es bei Frauen einenpositiven Effekt auf das gesundheitlicheWohlbefinden zu geben. Wie sind dieseabweichenden Selbsteinschätzungenzu erklären? „Ein Grund könnte darinliegen, dass Frauen dazu neigen,schon einen insgesamt moderaten Alkoholkonsumals häufiges Trinken zubewerten. Ein moderater Konsumaber kann, anders als starkes Trinken,tatsächlich zum subjektiven Wohlbefindenbeitragen“, erklärt Brit Schneider.„Dagegen sind Männer möglicherweisegeneigt, erst dann von einemhäufigen Alkoholkonsum zusprechen, wenn sie dadurch eine klareVerschlechterung ihres Gesundheitszustandserleben.“Was das Rauchen betrifft, stimmenMänner und Frauen in der Einschätzungder gesundheitlichen Auswirkungenüberein. Sie erleben dadurchkeine signifikanten Beeinträchtigungen.Eine wesentliche Ursache hierfürsehen die Autoren der Studie in derTatsache, dass gesundheitliche Folgeneines starken Tabakkonsums oftmalsnicht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangmit dem Rauchen stehen,sondern sehr viel später auftretenkönnen – manchmal erst dann,wenn die Betroffenen das Raucheneingeschränkt oder aufgegeben haben.■rUSA:Zunehmend Opiatabhängigkeitbei NeugeborenenIn den USA wird jede Stunde ein Kindmit einem neonatalen Entzugssyndromgeboren. Die Prävalenz ist lauteiner Studie im US-amerikanischenÄrzteblatt (JAMA <strong>2012</strong>; doi: 10.1001/jama.<strong>2012</strong>.3951) in den letzten Jahrenstark gestiegen, wofür die Autoreninsbesondere den vermehrten Missbrauchvon opiathaltigen Schmerzmittelnverantwortlich machen.Opiate gehören zu den am stärkstenwirksamen Schmerzmitteln. Die Leitlinienhaben die Ärzte in den letztenJahren zu einem vermehrten Einsatzermuntert – mit Erfolg. In den USAhaben sich die Verordnungen von opiathaltigenAnalgetika wie OxyContin(mit Oxycodon) und Vicodin (dasOxycodon mit Paracetamol kombiniert)vervierfacht, wie jüngst dieCenters for Disease Control and Preventionberichtet hatten.Die Medikamente werden jedochnicht nur von Schmerzpatienten genutzt.Ein gewisser Anteil gelangt inden Schwarzmarkt und auch unterdeutschen <strong>Dr</strong>ogenkonsumenten geltendie Opiatanalgetika mittlerweileals „echter Leckerbissen“ (Eintrag ineinem Internetforum). Die suchterzeugendenMedikamente werden auchvon jungen Frauen konsumiert, die imFall einer Schwangerschaft nicht daraufverzichten können oder wollen.Eine Auswirkung ist ein Anstieg vonNeugeborenen, die nach der Geburteine ungewöhnliche Irritabilität zeigen,deren Muskeltonus gesteigert ist(mit der möglichen Folge einer arteriellenHypertonie), die einen Tremoraufweisen, sich schlecht füttern lassenund häufig unter Atemwegsinfektionenoder Krämpfen leiden. Die Ärztediagnostizieren dann (zum Beispielmit dem in der Zuverlässigkeit allerdingsumstrittenen Finnegan-Score)ein neonatales Entzugssyndrom(NAS).Die Inzidenz des NAS hat sich in denUSA im letzten Jahrzehnt verdreifacht.Dies zeigt die Auswertung derKids’ Inpatient Database (KID)durchStephen Patrick von der Universitätvon Michigan in Ann Arbor und Mitarbeitern.Die ist eine landesweiteStichprobe. Sie umfasst 80 Prozent allerpädiatrischen Entlassungen und 10Prozent aller normalen Geburten. Kamenim Jahr 2000 auf 1.000 Geburtenund Jahr noch 1,20 NAS-Diagnosen,so waren es 2009 bereits 3,39. DieInzidenz des Opiat-Konsums derSchwangeren hat sich im gleichenZeitraum sogar verfünffacht: von 1,19auf 5,63 pro 1.000 Klinikgeburten undJahr.Die Studie kann den Zusammenhangmit dem vermehrten Missbrauch derSchmerzmittel (gegenüber anderenOpiatdrogen) zwar nicht belegen. Fürdie Editorialistin Marie Hayes von derUniversität von Maine in Orono unddie von den Medien befragen Expertensteht es aber außer Zweifel, wiedie Schwangeren an die <strong>Dr</strong>ogen gelangtsind. Schmerzmittel werdendurch Ärzte-Hopping erschlichenund dann an den illegalen <strong>Dr</strong>ogenhandelweitergeleitet.Die Studie zeigt auch, dass Kinder mitNAS häufiger ein niedriges Geburtsgewichthaben (19,1 versus 7,0 Prozentbei Neugeborenen ohne NAS).Sie leiden auch öfter unter Komplikationender Atmung (30,9 versus 8,9Prozent), wobei nicht klar ist, ob diesallein auf die Opiate zurückzuführenist. Viele Opiatkonsumenten sind polytoxikoman:Sie greifen auch zu anderen<strong>Dr</strong>ogen, rauchen häufig undtrinken Alkohol. Viele nehmen auchAntidepressiva oder Benzodiazepineein, die beide ebenfalls ein Entzugssyndromdes Neugeborenen auslösenkönnen. Schließlich sind einige <strong>Dr</strong>ogenkonsumentenmit Hepatitis Coder HIV infiziert, was die Aussichtendes Neugeborenen weiter verschlechtert.■rrausch 1-<strong>2012</strong>


56 NachrichtenSchockbilder auf Zigarettenpackungen lassenRaucher kalt: Nikotin hält die Normalfunktionder Amygdala aufrechtDeutliche Veränderungen in der Emotionsverarbeitungbei Rauchern hatein Wissenschaftler-Team der UniversitätBonn festgestellt. Danach ist nacheiner zwölfstündigen Abstinenz beiden Süchtigen das sogenannte Furchtzentrumim Gehirn weitgehend außerKraft gesetzt. Die Forscher vermuten,dass Abschreckungskampagnen mitBildern von Raucherlungen auf Zigarettenpackungenbei dieser Zielgruppedaher kaum wirken.An der von der Deutschen ForschungsgemeinschaftgefördertenStudie waren Wissenschaftler derUniversitäten Bonn und Köln sowieder Charité in Berlin beteiligt. Sieist publiziert im Journal „HumanBrain Mapping“ (doi 10.1002/hbm.21293).28 langjährige, jüngere Raucher undebenso viele Nichtraucher nahmen ander Studie teil. Die Wissenschaftlerzeigten ihnen Fotos von fröhlichen,angsterfüllten und neutralen Gesichtern.Gleichzeitig erfassten sie die Gehirnaktivitätder Probanden. Im Augenmerkder Forscher stand dabei insbesonderedie Amygdala. „Das ist dasFurchtzentrum im Gehirn“, erläutertRené Hurlemann, Oberarzt an derKlinik und Poliklinik für Psychiatrieund Psychotherapie des Bonner Universitätsklinikums.Die Amygdala war immer dann aktiv,wenn die Probanden ängstliche Gesichterzu sehen bekamen. „Bei Rauchernund Nichtrauchern zeigten sichzunächst keine Unterschiede“, berichtetErstautor Özgür Onur. Das sei immerdann der Fall gewesen, wenn dieSüchtigen vorher rauchen konnten.Wenn die Raucher aber eine zwölfstündigeAbstinenz hinter sich hatten,zeigte sich ein anderes Bild: „Die Aktivitätdes Furchtzentrums war bereitsnach wenigen Stunden Enthaltsamkeitim Vergleich zu vorher stark herabgesetzt.Bilder von ängstlichenMenschen waren ihnen schlicht egal“,sagte Onur. Raucher brauchten offenbardas Nikotin, um die Normalfunktionihrer Amygdala aufrecht zu erhalten.■rAlkohol macht verführerisch – glauben„Trinker“, auch wenn sie null Promille imBlut habenSchöntrinken funktioniert nicht nur inBezug auf andere: Sogar Menschen,die nur glauben, Alkohol getrunkenzu haben, fühlen sich laut einer neuenStudie selbst attraktiver.Wer viel Alkohol trinkt, trinkt sichselbst schön: Französische Wissenschaftlerfanden in einer Studie heraus,dass sich Menschen umso attraktiverfinden, je mehr Alkohol sietrinken – oder auch nur glauben zutrinken. Denn der Effekt sei nicht Folgedes Wirkstoffes Alkohol, sonderngehe auf eine Selbstwahrnehmung zurück,die vermutlich mit den sozialenVorstellungen von Alkoholkonsumzusammenhänge.Forscher aus dem ostfranzösischenGrenoble hatten die Studie mit demTitel „Die Schönheit liegt im Auge desBiertrinkers“ zusammen mit zwei PariserUniversitäten und der staatlichenUniversität des US-BundesstaatesOhio erstellt. Sie soll demnächstim britischen Wissenschaftsmagazin„Journal of Psychology“ veröffentlichtwerden.19 Personen, die Alkohol konsumierten,wurden in einem ersten Test ineiner Bar in Grenoble danach befragt,wie sie auf einer Skala von eins bissieben ihre Attraktivität, ihre Intelligenz,Originalität und ihren Humoreinschätzten. Ihr Alkoholspiegel wurdedann gemessen. Mit steigendemAlkoholspiegel schätzten sich dieTestpersonen umso attraktiver ein.In einem zweiten Test wurden 94Männer in ein Labor bestellt, umscheinbar ein Getränk für eine Firmazu testen. Ein Teil der Testpersonenerhielt ein alkoholisches Getränk undein anderer Teil ein nicht-alkoholisches,ohne dass die Teilnehmer jeweilsdavon wussten. Anschließendwurden alle mit denselben Fragen wieim ersten Test konfrontiert.Diesmal stuften sich diejenigen, dieglaubten, Alkohol getrunken zu haben– ob sie dies nun tatsächlich getanhatten oder nicht – als besonders verführerischein. Dagegen fanden sichdiejenigen, die Alkohol getrunkenhatten, ohne es zu wissen, nicht attraktiverals die anderen.„Unsere Studie zeigt, dass die schlichteTatsache zu glauben, dass man Alkoholgetrunken hat, dazu führt, sichattraktiver zu finden“, sagte der Professorfür Sozialpsychologie der UniversitätPierre-Mendès-France, LaurentBègue. „Hingegen hat die Alkohol-Dosisselbst keinen Effekt.“Das Phänomen könnte der Studie zufolgeauf die Aktivierung bestimmterVorstellungen zurückgehen, die mitAlkohol in Zusammenhang gebrachtwerden. Alkohol sei als „sozialesSchmiermittel“ bekannt und werdedamit in Zusammenhang gebracht,sich mit anderen Menschen wohl zufühlen, sagte Bègue. Er erinnerte auchdaran, dass in Filmen diejenigen, dieAlkohol trinken, häufig als reich undverführerisch dargestellt würden. ■rrausch 1-<strong>2012</strong>


Philosophicum Sils –Ästhetik in der MedizinKongress der EuropäischenGesellschaft für Ästhetik und Medizin10.–11. 8. <strong>2012</strong>In der schönen Landschaft des Oberengadinsfühlten sich Rainer Maria Rilke, HermannHesse, Friedrich Nietzsche und vieleandere Vertreter des europäischen Geisteslebenszu Hause und inspiriert. Wer dieBerge, Seen und Landschaften des Oberengadinskennt, kann das nachempfinden.Die Europäische Gesellschaft für Ästhetikund Medizin hält vom 10.–11. August <strong>2012</strong>ihren 2. Jahreskongress im GrandhotelWaldhaus ab. Neben Vorträgen, welche dieRolle und Bedeutung der ästhetischen Erfahrungim Kontext von Psychiatrie undPsychotherapie ausloten, und gemütlichenGesellschaftsabenden, bieten philosophischeSpaziergänge durch Nietzsches undRilkes Sils Maria, Wanderungen durch dasOberengadin und ein Besuch im Nietzschehausviele Möglichkeiten, sich inspirierenzu lassen.10 km vom mondänen St. Moritz entfernt steht das 1908 eröffnete Grandhotel Waldhaus wieeine Märchenburg. Zu Gast waren dort: Theodor W. Adorno, Thomas Bernhard, Josef Beuys,David Bowie, Claude Chabrol, Friedrich Dürrenmatt, Albert Einstein, Hermann Hesse,Carl Gustav Jung, Thomas Mann, Richard Strauss und viele andere.FOTO: MAX WEISSProgramm European Society of Aesthetics and MedicineFreitag, 10. August: Vormittag (Waldhaus)Vorsitzender: Michael Musalek08.00–09.00 Martin Poltrum – Reiz und Rührung.Kino, Psychiatrie und Cinematherapie09.00–09.15 Pause09.15–10.15 Martin Heinze – Wolfgang BlankenburgsPsychopathologie des Unscheinbaren10.15–10.30 Pause10.30–11.30 Guenda Bernegger – Über Möglichesund Unmögliches – Mit Blick aufAlberto Giacomettis PorträtsFreitag, 10. August: Nachmittag (Nietzschehaus)13.00–15.00 Peter André Bloch (Leiter Nietzschehaus):Führung durch das NietzschehausVortrag: Nietzsche – „Wir aber wollendie Dichter unseres Lebens sein.“16.00–19.00 Wanderung entlang des Silser Seesnach Isola-Lagrev (Bootsfahrt optional)Samstag, 11. August: Vormittag (Waldhaus)Vorsitzender: Martin Poltrum08.00–09.00 Michael Musalek – Genieße, wer kann!?Zur Phänomenologie des Genusses09.00–10.00 Nicolai Gruninger – R. M. Rilkeund die Heilkraft der Sprache10.00–10.30 Pause10.30–11.30 Christian Haring – Krankreden:Sprache in der Psychiatrie11.30–12.30 Peter André Bloch – Dürrenmatts Spielmit der Psychiatrie: Achterloo.Eine Komödie – Protokoll einer fiktivenInszenierungSamstag, 11. August: Nachmittag (Treffpunkt Waldhaus)14.00–19.00 Auf den Spuren R. M. Rilkes –Ausflug nach SolioInformationen und Voranmeldung:Für die Voranmeldung zur Tagung (begrenzte Teilnehmerzahl!), für Auskünfte zu den Spezialkonditionen imGrandhotel Waldhaus sowie für alle weiteren Informationen bitten wir Sie, sich an folgende Kontaktadresse zu wenden:<strong>Dr</strong>. Martin Poltrum, Generalsekretär der European Society of Aesthetics and MedicineAnton-Proksch-Institut Wien, Gräfin-Zichy-Straße 6, 1230 WienTel.: +43/1/88010-172, Fax +43/1/88010-77E-Mail: poltrum@api.or.at


Deutsche Hauptstelle fürSuchtfragen e.V. (Hrsg.)JahrbuchSucht <strong>2012</strong><strong>2012</strong>, Hardcover, 328 Seiten,ISBN 978-3-89967-768-3, Preis: 20,- €Daten, Zahlen und FaktenBirgit Lehner, Jolanthe KeppSuchtstoffe, Suchtformen und ihre AuswirkungenAlkohol – Zahlen und Fakten zum KonsumBeate Gaertner, Jennis Freyer-Adam, Christian Meyer,Ulrich JohnTabak – Zahlen und Fakten zum KonsumThomas LampertMedikamente – Psychotrope und andere Arzneimittelmit Missbrauchs- und AbhängigkeitspotenzialGerd GlaeskeIllegale <strong>Dr</strong>ogen – Zahlen und Fakten zum KonsumBoris Orth, Ludwig Kraus, Daniela PiontekGlücksspiel – Zahlen und FaktenGerhard MeyerEssstörungenEva Wunderer, Sigrid Borse, Andreas SchnebelRauschgiftlage 2010Klaus StempelDelikte unter AlkoholeinflussRudolf EggSuchtmittel im Straßenverkehr 2010 – Zahlen und FaktenMartina Albrecht, Stefanie Heinrich, Horst SchulzeSuchtkrankenhilfe in DeutschlandVersorgung abhängigkeitskranker Menschen in DeutschlandJost LeuneJahresstatistik 2010 der professionellen SuchtkrankenhilfeMartin Steppan, Jutta Künzel, Tim Pfeiffer-GerschelSuchtrehabilitation durch die RentenversicherungUlrike Beckmann, Barbara NaumannAktuelle ThemenPABST SCIENCE PUBLISHERSEichengrund 28D-49525 LengerichTel. ++ 49 (0) 5484-308Fax ++ 49 (0) 5484-550pabst.publishers@t-online.dewww.psychologie-aktuell.comwww.pabst-publishers.deSuchtmittelkonsum und Prostitution in DeutschlandChristina RummelLobbyismus im Glücksspielbereich – Eine MomentaufnahmeDietmar JazbinsekSerie: Was Sie außerirdischen Besuchern besser nicht zuerklären versuchen …Teil 4: Suchthilfe im GefängnisRaphael Gaßmann

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