InfoRetica - Rhätische Bahn
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«Dagegen muss ich etwas unternehmen»<br />
Von Matthias Sauter, Lokführer Chur<br />
<strong>Rhätische</strong> <strong>Bahn</strong> <strong>InfoRetica</strong>, Nr. 1 / 2009<br />
Leitsatz: Wir sind ein zukunftorientiertes Unternehmen.<br />
Diese Begebenheit hat sich vor etwas mehr als 20 Jahren<br />
zugetragen und zeigt: damals ebenso wie heute ist die<br />
Eisenbahn auf aufmerksame, motivierte Mitarbeiter<br />
angewiesen, die die Bedürfnisse der Kunden erkennen<br />
und handeln.<br />
Es war einmal eine kleine Haltestelle an einer bekannten<br />
Eisenbahnlinie. Eigentlich fehlte der kleinen Haltestelle<br />
alles, was eine richtige Haltestelle ausmacht,<br />
denn sie bestand nur aus einer Fahrplantafel, die an<br />
einer Stützmauer angebracht war. Die Personenzüge<br />
hielten nur auf Verlangen, wenn sich die Reisenden<br />
durch Handzeichen dem herannahenden Zug bemerkbar<br />
machten. Dennoch wurde die kleine Haltestelle von<br />
den Bewohnern des nahen Vorstadtquartiers gerne<br />
genutzt. An schönen Tagen kamen oft auch Wanderer<br />
hier vorbei, um das letzte Stück ihres Ausflugs mit dem<br />
Zug zurückzulegen.<br />
An einem späten Sommernachmittag fuhr Lokführer H.T.<br />
mit seinem Personenzug stadtwärts und sah an der<br />
kleinen Haltestelle eine Gruppe Wanderer warten. Einige<br />
von ihnen waren nach anstrengender Wanderung zu<br />
müde zum Stehen, so dass sie sich auf den Boden<br />
gesetzt hatten. «Es darf doch nicht sein, dass unsere<br />
Kunden im Dreck sitzen müssen», dachte sich H.T. «Dagegen<br />
muss ich etwas unternehmen!»<br />
Es begab sich, dass zu dieser Zeit in der nahen Stadt ein<br />
Industriebetrieb geräumt und nicht mehr benötigtes Inventar<br />
günstig abgegeben wurde. Schon am nächsten<br />
Tag nahm Lokführer H.T. seinen Anhänger hervor und<br />
fuhr zu dieser Fabrik. In der Masse der bereitgestellten<br />
Utensilien fand er genau, was er suchte: eine Sitzbank,<br />
nicht besonders elegant aus Profileisen geschweisst,<br />
dafür aber stabil und robust. «Dieses alte Ding kannst<br />
du gratis mitnehmen, die stand früher in der Garderobe<br />
unserer Arbeiter», beschied ihm der anwesende Werkmeister.<br />
H.T. lud die Bank in den Anhänger, fuhr zu seinem<br />
Depotchef und erklärte ihm sein Vorhaben. Der<br />
Depotchef stimmte sofort zu: «Gute Idee, wir bringen<br />
die Bank gleich in die Werkstatt, schleifen die alte Farbe<br />
ab und geben ihr einen passenden Anstrich.» Nach<br />
einigen Tagen übergab der Depotchef die in neuem Lack<br />
rot und silbern glänzende Bank dem <strong>Bahn</strong>meister. Dieser<br />
nahm sie anlässlich einer Unterhaltsfahrt zu der kleinen<br />
Haltestelle mit und stellte sie auf.<br />
Das Resultat:<br />
Für viele Jahre stand die Bank nun dort und so mancher<br />
Reisende war froh, die Zeit bis zur Ankunft des Zuges<br />
nicht stehend oder gar am Boden sitzend verbringen zu<br />
müssen. Ein aufmerksamer Mitarbeiter hat hier ein<br />
Kundenbedürfnis erkannt und gehandelt. Einfach so,<br />
ohne Auftrag und ohne dafür eine Belohnung zu erwarten.<br />
Verschiedene Dienststellen, die eigentlich für andere<br />
Aufgaben zuständig waren, haben ihn dabei spontan<br />
unterstützt. Dies ist inzwischen alles Geschichte. Die<br />
kleine Haltestelle wurde unterdessen aufgehoben und<br />
die Bank ging vermutlich den Weg allen alten Eisens.