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Materialien Leselust- Frauen a. - Evang. Frauen im Kirchenkreis ...

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Der erste Straßburger Reformator, der Priester Matthäus Zell, begehrte sie schon <strong>im</strong> Jahre 1521 zur<br />

Ehe, und sie ging auf den Vorschlag des <strong>im</strong>merhin schon zwanzig Jahre älteren Mannes zwei Jahre<br />

später ein. Anders als Luthers Frau beschränkte sie sich aber nicht auf Haus und Hof und führte kein<br />

zurückgezogenes Leben <strong>im</strong> Hintergrund, sondern sie engagierte sich in der Öffentlichkeit in einer<br />

Weise, dass andere Reformatoren sogar abschätzig äußerten, Matthäus Zell werde von seiner Frau<br />

beherrscht. Katharina Zell veröffentlichte insgesamt mindestens sechs Bücher. Drei Schriften<br />

erschienen gleich nach ihrem Eheschluss, <strong>im</strong> Jahre 1524. Die 27-jährige Frau verteidigte in einer<br />

Flugschrift den Zölibatsbruch ihres Mannes; ohne sein Wissen hat sie dieses Werk geschrieben. Für<br />

evangelisch gesinnte <strong>Frauen</strong> in der Breisgaustadt Kenzingen, deren Männer verbannt worden waren,<br />

schrieb sie einen Trostbrief, der <strong>im</strong> Druck verbreitet wurde. Schließlich griff sie möglicherweise noch mit<br />

einer weiteren Schrift in die reformatorischen Auseinandersetzungen in Straßburg ein.<br />

Später gab sie ein Gesangbuch mit Liedern der Böhmischen Brüder heraus, veröffentlichte eigene<br />

Psalmenauslegungen und eine Vaterunserinterpretation und schließlich eine anspruchsvolle<br />

theologische Streitschrift, in der es um den rechten Umgang mit Täufern. Zwingli- Anhängern und mit<br />

dem Spiritualisten Caspar Schwenckfeld von Ossig geht.<br />

Katharina Zells Werke, die aus heutiger Sicht sehr interessant sind, fanden damals nur wenig Widerhall.<br />

Die meisten erlebten nur eine einzige Auflage. bas hängt wohl damit zusammen, dass Katharina Zell<br />

nicht nur die Altgläubigen angriff und Dinge sagte, die allen Reformatoren angenehm waren. Sie vertrat<br />

vielmehr eigene, auch radikale Gedanken, insbesondere plädierte sie für Toleranz unter den<br />

verschiedenen Flügeln der Reformation. Und damit geriet sie bei Lutheranern in den Verdacht, selbst<br />

eine Anhängerin von “Irrlehren“ zu sein.<br />

Katharina Zell betätigte sich nicht nur schriftstellerisch, sondern sie entfaltete auch breite soziale<br />

Aktivitäten. Sie engagierte sich in Straßburg für Bildungseinrichtungen und für ein Armenhaus, sie<br />

besuchte Gefangene und Trauernde und versorgte Flüchtlinge. Auf Reisen pflegte sie Kontakt zu<br />

führenden Köpfen der Reformation. Nach dem Tod ihres Mannes <strong>im</strong> Jahre 1548 zog sie sich nicht<br />

zurück, sondern steigerte noch ihr Engagement. Dre<strong>im</strong>al hat sie sogar gepredigt, zwar nicht <strong>im</strong> Münster,<br />

aber bei Trauergottesdiensten auf dem Friedhof. Einmal bei der Beerdigung ihres Mannes 1548, und<br />

zwe<strong>im</strong>al 1562, als die Straßburger Pfarrer verstorbenen Täufer-<strong>Frauen</strong> eine christliche Bestattung<br />

verweigerten.<br />

Eine Voraussetzung dieses großartigen Engagements darf freilich nicht übersehen werden. bas<br />

Ehepaar Zell war kinderlos. Zwei Kinder hatte Katharina Zell zwar geboren, doch beide waren bereits<br />

früh verstorben, sodass sie sich nicht in gleicher Weise wie Katharina Luther um die Familie kümmern<br />

musste. Ein Bild gibt es von ihr nicht, weder ein Porträt noch ein stilisiertes. Erhalten aber ist ihre<br />

Handschrift. Die schwungvolle Schrift zeugt. wie auch die von ihr gedruckten Texte, von großem<br />

5elbstbewusstsein.<br />

Katharina Zell ist die interessanteste Frau der Reformationszeit. Dennoch gab es bis vor kurzem weder<br />

eine detaillierte Biographie noch eine kritische Untersuchung ihrer interessanten theologischen und<br />

erbaulichen Veröffentlichungen. Nicht einmal ihre Werke waren in Nachdrucken oder auch in<br />

auszugsweisen Editionen leicht zugänglich. Das zweibändige, englischsprachige Werk von Elsie Anne<br />

McKee, das 1999 erschienen ist, hat diese missliche Situation beseitigt. Eine Übersetzung ins Deutsche<br />

wäre wünschenswert.<br />

Die Straßburger Pfarrfrau und Laientheologin reflektierte häufig über ihre Rolle als Frau in Kirche und<br />

Gesellschaft. Ihr Auftreten rechtfertigte sie durch den Lutherschen Gedanken vom allgemeinen<br />

Priestertum und bediente sich ebenso konsequent des Grundsatzes “sola scriptura“: Sie argumentierte<br />

mit der Bibel, in der sie sich vorzüglich auskannte. Kurz vor ihrem Lebensende bezeichnete sie sich<br />

selbst <strong>im</strong> Rückblick auf ihr langes Leben mehrfach als eine “Kirchenmutter“. Sie wollte sich damit nicht<br />

an die Seite der altkirchlichen Kirchenväter, zum Beispiel an die Seite Augustins, stellen, sondern sie<br />

wollte mit diesem Wort ausdrücken, dass sie sich um die Straßburger Christengemeinde gekümmert<br />

und für diese Gemeinde gelebt habe wie eine Mutter für ihre Kinder. Katharina Zell starb 1562.<br />

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