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FINE Das Weinmagazin - 04/2015

FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SASSICAIA

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Der tiefste Punkt des Weinkellers ist der älteste Teil von San Giusto a Rentennano. Wir sind im alten Gewölbe des toskanischen Weinguts,<br />

das vor weit mehr als tausend Jahren tief in die Kuppe des Berges von San Giusto nahe Siena gegraben wurde. <strong>Das</strong> uralte Anwesen<br />

be findet sich im südlichsten Teil des Chianti Classico und geht auf die Etrusker zurück, wovon der Name »Rentennano« zeugt. Im Mittelalter<br />

wurde San Giusto zum zisterziensischen Kloster, das im Jahr 980 als »San Giusto alle Monache« erstmals urkundlich erwähnt wird.<br />

Später kam San Giusto in den Besitz des toskanischen Adelsgeschlechts Ricasoli. Die mächtige Patrizierfamilie baute das Kloster alsbald<br />

in ein Castello um. Doch da San Giusto im florentinisch-sienesischen Krieg Florenz die Treue hielt, wurde die Festung im Jahr 1390 von<br />

Siena fast vollständig zerstört. Nur eine Mauer mit Zinnen blieb stehen und zeugt heute noch im Innenhof des Weinguts von dieser Zeit.<br />

Später bauten die Ricasoli San Giusto zu einer Villa um und betrieben hier Landwirtschaft und Weinbau. Im Jahre 1914 kam das An wesen<br />

durch Heirat in den Besitz der piemontesischen Familie Martini di Cigala, die San Giusto seit den späten 1970er Jahren zu einem Weingut<br />

von erstem Rang gemacht hat. Heute führt Luca Martini di Cigala das Gut gemeinsam mit seinen Geschwistern Elisabetta und Francesco.<br />

In den verwinkelten Kellerräumen, die sich<br />

über mehrere Ebenen erstrecken, reifen, abgeschieden<br />

von der Geschäftigkeit der Welt, in<br />

Eichenfässern die berühmten trocknen Rotweine<br />

der Fattoria. Luca Martini klopft mit dem Handknöchel<br />

auf einen hellen Steinquader in der Wand<br />

und sagt: »Albarese ist für die Ewigkeit«. Albarese,<br />

ein hartes Marmorgestein, kommt auch in den<br />

Weinbergen von San Giusto vor, in denen überwiegend<br />

Sangiovese angebaut wird. Wein gab es<br />

auf San Giusto schon immer.<br />

Sensibilità<br />

»Würden unsere Weine in einem anderen Keller<br />

entstehen, wären sie vermutlich anders«, sagt<br />

Luca Martini. Auf die Frage, was für ihn das Entscheidende<br />

der Winzerkunst ist, antwortet er lapidar:<br />

»Sensibilità. Nicht das Blablabla, von dem die<br />

Welt voll ist.« Wer das Glück hatte, einmal einen<br />

San-Giusto-Wein zu kosten oder das Weingut selbst<br />

besuchen zu können, dem offenbaren sich Ein blicke<br />

in eine Kultur des Weinbaus, die selten geworden<br />

ist. San Giusto ist ein Ort, an dem für den Wein<br />

gelebt und gearbeitet wird. Und es ist ein Weingut<br />

von Weltrang, das keinerlei Marketing betreibt.<br />

Der Besitz umfasst insgesamt zweiunddreißig<br />

Hektar Reben, wovon gut achtundzwanzig<br />

im Ertrag stehen. Luca Martinis Großmutter,<br />

eine geborene Ricasoli, hatte dieses Anwesen mit<br />

Weinbergen, Feldern, Wiesen, Olivenhainen und<br />

Wäldern 1914 als Mitgift bekommen, als sie den<br />

Piemonteser Martini di Cigala heiratete. <strong>Das</strong> Adelsweins<br />

erlebte in den 1990er Jahren einen Traditionsbruch:<br />

Statt des hochwertigen Malvasia wurde<br />

die Massentraube Trebbiano verwendet, und der<br />

Wein wurde auch nicht mehr in Kastanienfässern<br />

gereift, sondern in Eiche. Doch auf San Giusto<br />

wurde der Archetyp des Vin Santo in seiner archaischen<br />

Weinbereitungsmethode im Kern bewahrt<br />

und weiterentwickelt. »Der Herstellungsprozess ist<br />

absolut traditionell, das Ergebnis nicht«, sagt Luca<br />

Martini. Der Vin Santo verdankt seinen Namen der<br />

Settimana Santa, der Karwoche, in der normalerweise<br />

das Keltern abgeschlossen war.<br />

Göttlicher Nektar<br />

Anfang Oktober wurde die Lese <strong>2015</strong> beendet. Hier<br />

in der Vinsantaia sind die Trauben auf Strohmatten<br />

ausgebreitet, um bis weit in den Winter hinein zu<br />

trocknen und dabei zu süßen Rosinen zu schrumpfen.<br />

Noch sind sie frisch, schimmern goldgelb im<br />

Dämmerlicht des Dachbodens. Die Landschaft<br />

des südlichen Chianti ist heute von tiefen Wolken<br />

und Regenschauern eingehüllt. Doch unterm Dach<br />

der Vinsantaia sind die Trauben vor dem Wetter<br />

geschützt. Ab Mitte Januar wird ihr konzentrierter<br />

Saft Tropfen für Tropfen durch ein dünnes<br />

Tuch gefiltert, nur durch Schwerkraft. <strong>Das</strong> dauert:<br />

Für tausend Liter braucht das Team des Guts etwa<br />

zwei Monate. »Alles andere würde den Wein zerstören«,<br />

sagt Luca Martini. Für zehn Liter Vin Santo<br />

werden hundert Kilogramm Trauben gebraucht.<br />

Der Most, der in Wahrheit ein Sirup ist, wird in<br />

kleine Holzfässer gefüllt, die sechzig, siebzig oder<br />

hundert Liter fassen. Danach werden sie mit rotem<br />

Siegellack verschlossen. Vin Santo wird nicht aufgefüllt.<br />

Erst nach fünf Jahren werden die Siegel aufgebrochen,<br />

dann ist die Hälfte ver dunstet. Anschließend<br />

reift der Wein noch weitere zwei Jahre in der<br />

Flasche, ehe er zum Verkauf frei gegeben wird. Der<br />

aktuelle Jahrgang ist der 2007er. Er wird weite re<br />

zwanzig Jahre brauchen, bis die wuchtige Süße ins<br />

Gleichgewicht kommt. Wie die vertikale Verkostung<br />

der San-Giusto-Weine gezeigt hat, gehören<br />

Jahrgänge wie der 1995er zu den schönsten Süßweinen<br />

überhaupt – sie können in der Liga von<br />

Château d’Yquem oder von deutschen Riesling-<br />

Trockenbeerenauslesen bestens bestehen.<br />

Es ist nicht nur wichtig, dass die Fässer unterschiedliche<br />

Größen haben, sondern auch, dass sie<br />

aus unterschiedlichen Hölzern bestehen: neben<br />

hauptsächlich Kastanie auch Robinie und vereinzelt<br />

Eiche. Die ältesten Fässer, in denen schon seit hundert<br />

Jahren Vin Santo gereift wird, sind die besten.<br />

»Wer keine alten Fässer hat, riskiert, dass der Vin<br />

Santo zerstört wird«, sagt Luca Martini. Denn<br />

der Most ist beim Vin San Giusto so konzentriert<br />

und süß, dass die Gärung fünf Jahre braucht, weil<br />

geschlecht der Ricasoli gehört zu den großen toskanischen<br />

Familien, die vom nahegelegenen Castello<br />

di Brolio aus seit gut tausend Jahren die Geschicke<br />

der Gegend geprägt und immer auch Weinbau im<br />

großen Stil betrieben haben. Ein Vorfahre von Luca<br />

Martini war Barone Bettino Ricasoli (1809 bis 1880),<br />

ein italienischer Staatsmann des Risorgimento und<br />

zugleich einer der größten italienischen Winzer des<br />

19. Jahrhunderts, der den Chianti Classico erneuert<br />

hat, ohne die Tradition zu zerstören. Seit fast vierzig<br />

Jahren wird auf San Giusto die Tradition großer<br />

Sangiovese-Gewächse von innen her neu belebt.<br />

Wir folgen Luca Martini über eine Steintreppe<br />

unters Dach der Fattoria in die Vinsantaia. Dieser<br />

Raum ist dem Vin Santo, dem heiligen Wein, vorbehalten.<br />

Die Erzeugung des toskanischen Süßdie<br />

gewaltige Süße die Hefe immer wieder erstickt.<br />

Doch wenn die Frühlingssonne das Ziegeldach der<br />

Vinsantaia erwärmt, beginnt die Gärung erneut.<br />

Nur ein kleines Glucksen, sonst bleibt es unterm<br />

Dach still. Der Vin San Giusto unterscheidet sich<br />

von vielen edelsüßen Weinen dadurch, dass der im<br />

Fass durch Verdunstung entstehende Schwund nie<br />

aufgefüllt wird.<br />

Obwohl Vin Santo natürlich ein Nischenprodukt<br />

ist, zeigt dieser Ausnahmewein, wie die<br />

Seelenlandschaft: Weit lagert sich das<br />

Rebland von der Anhöhe San Giusto<br />

hinab über die sanften Hügelschwünge<br />

des Chianti Classico. Nichts kann die<br />

Beschaulichkeit und den Arbeitsfrieden<br />

des uralten Weinguts stören.<br />

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<strong>FINE</strong> 4 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Toskana

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