FINE Das Weinmagazin - 04/2015
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SASSICAIA
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SASSICAIA
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Sassicaia<br />
Mit Frauenpower in die Zukunft<br />
Von Dirk R. Notheis<br />
Fotos: Peter Quirin<br />
Wäre Burkard Bovensiepen an jenem verregnetem Herbsttag des Jahres 1978 nicht wegen einer Automobilpräsentation nach Südtirol gereist<br />
und wäre er, als Automobilbauer und Weinkenner gleichermaßen genial, nicht zufällig dort in einem Restaurant auf einen völlig unbekannten<br />
Vino da Tavola namens Tignanello vom Jahrgang 1975 gestoßen, die Weinwelt außerhalb der Grenzen Italiens hätte womöglich<br />
niemals oder nur mit großer zeitlicher Verzögerung vom Sassicaia erfahren. Nach dem Restaurantbesuch ging der kluge Geschäftsmann<br />
und Alpina-Gründer unverzüglich auf Marchese Antinori zu, den Besitzer des unbekannten Weinguts, um sich die Vertriebsrechte des<br />
Tignanello für Deutschland zu sichern. Giovanni Santoni, der damalige Exportleiter, wies Bovensiepen jedoch zunächst in die Schranken,<br />
da der Platz als exklusiver Vertriebspartner für alle Produkte nach Deutschland bereits von dem renommierten Bremer Handelshaus<br />
Reidemeister & Ulrichs besetzt war. Bovensiepen blieb dennoch hartnäckig. Und nachdem Reidemeister schließlich ablehnte, den einfachen<br />
Vino da Tavola ins Sortiment aufzunehmen, bekam er den Zuschlag. <strong>Das</strong> Geschäft kam jedoch nicht ohne eine kleine, vermeintlich<br />
lästige Auflage zustande, denn Santoni verlangte, noch einen weiteren Wein exklusiv abzunehmen, einen bis dahin noch unbekannteren<br />
Vino da Tavola aus der kleinen toskanischen Gemeinde Bolgheri namens Sassicaia.<br />
Der Jahrgang 1978 sollte schließlich der erste werden, den Burkard<br />
Bovensiepen mit seiner Alpina deutschlandweit vertrieb – und dies<br />
sofort mit beachtlichem Erfolg. Seither sind fast vierzig Jahre vergangen,<br />
und der Sassicaia ist als Supertuscan von keiner Weinkarte oder<br />
seriösen Italien Probe mehr wegzudenken. Er ist die Schöpfung zweier Männer<br />
voller Leidenschaft und herausragender Kompetenz: Marchese Nicolò Incisa<br />
della Rocchetta, der Inhaber der Tenuta San Guido, und Giacomo Tachis<br />
(Fine 2/2012), der Önologe und Spiritus Rector des Sassicaia.<br />
Die Legende will, dass die Reben, ausschließlich Cabernet Sauvignon<br />
und Cabernet Franc, ursprünglich von Château Lafite im Bordelais stammen,<br />
das Baron Elie de Rothschild gehörte, einem alten Freund der Familie. Doch<br />
die Wahrheit ist weniger spektakulär: Mario Incisa della Rocchetta hatte während<br />
seines Studiums immer wieder auf dem Weingut der Familie Salviati, der<br />
Fattoria di Migliarino bei Pisa, hospitiert, die Cabernet Sauvignon anpflanzte<br />
und an deren Weinen der junge Mann großen Gefallen fand. Von hier, nicht<br />
aus dem Bordelais, holte er die Rebstöcke, mit denen das Abenteuer Sassicaia<br />
begann. Er war der Erste, der Cabernet Sauvignon in die Maremma brachte,<br />
jene dem Meer zugewandte ehemalige Sumpflandschaft im Süden der Toskana.<br />
Schon bald nach dem ersten offiziellen Jahrgang 1968 wurde der Wein –<br />
in der Regel aus 85 Prozent Cabernet Sauvignon und 15 Prozent Cabernet<br />
Franc – in Stahltanks und ausschließlich neuen französischen Barriques ausgebaut.<br />
Diese Regel hat bis heute Bestand. Der Name Sassicaia geht auf seinen<br />
mit Geröll und Steinen durchsetzen Boden zurück, denn »Sassi« bedeutet<br />
»Steine«.<br />
Die große Fine-Vertikalprobe, die zu Ehren eines prominenten Wiesbadener<br />
Sassicaia-Sammlers auf dem malerischen Rheingauer Gut Robert Weil<br />
stattfand, glich einem Streifzug durch die Geschichte dieses Weins, der mit<br />
faszinierendem Spannungsbogen eine Reihe bestätigender wie überraschender<br />
Erkenntnisse brachte. Neben dem sich großartig präsentierenden 1990er<br />
und dem aufgrund des Magnum-Formats nicht in vollreifem Zustand befindlichen<br />
Jahrhundertjahrgang 1985 beeindruckten insbesondere der 1998er sowie<br />
der Jahrgang 2006, der sich mit seiner Komplexität und hohen Konzentration<br />
künftig zum wahren Nachfolger des 1985ers mausern dürfte. Vor allem<br />
aber bestätigte die Vertikalprobe den seit Ende der neunziger Jahre einsetzenden<br />
Stilwechsel des Sassicaia. War der Wein Ende der sechziger Jahre eher von<br />
früher Lese, schlankem Körper, nicht so hoher Konzentration, mitunter dominantem<br />
Säurespiel sowie Moos-, Eukalyptus- und Waldbodentönen geprägt,<br />
macht sich seit dem Jahrgang 1998 immer mehr der Charakter eines neuen,<br />
modernen Supertuscans bemerkbar. Mit der gezielten Metamorphose durch<br />
reifere Lese, etwas höhere Alkoholwerte sowie mehr Viskosität und Konzentration<br />
hat der Sassicaia eine neue Persönlichkeit entwickelt, ohne jedoch sein<br />
ein maliges Terroir zu verleugnen. Losgelöst von Jahrgangs typizität werden die<br />
Weine damit aber auch enger in ihrer geschmacklichen Amplitude, irgendwie<br />
mehr Mainstream und wiedererkennbarer, allerdings ohne jeden artifiziellen<br />
oder gar industriellen Gusto. Der Sassicaia ist und bleibt auch in seiner neuen<br />
Ära ein Wunderwerk, das den Weinfreund mit jedem Jahrgang aufs Neue erfreut.<br />
Seit dem Jahr 2010 nimmt die Tochter von Marchese Nicolò Incisa, die<br />
junge, kluge Principessa Priscilla, die Geschicke des Gutes mehr und mehr in<br />
die Hand. Sie ist auserkoren, das künftige Gesicht von Sassicaia zu werden. Ihr<br />
zur Seite stellt Marchese Nicolò die erfahrene Önologin Graziana Grassini,<br />
die neben einer Vielzahl von Beratungsmandaten, etwa für die Fattoria di<br />
Magliano, zunächst als Beraterin und seit dem Jahrgang 2011 als Chef önologin<br />
und Nachfolgerin ihres kongenialen Mentors Giacomo Tachis wirkt. Solch<br />
geballte Frauenpower auf der Tenuta San Guido lässt aufhorchen und macht<br />
neugierig auf eine möglicherweise wieder neue Phase im Stil des Hauses. Nimmt<br />
man zudem die These Grassinis von der »Geschlechtersensitivität des Weins«<br />
ernst, nach der man schmecken kann, ob der Wein von einer Frau oder einem<br />
Mann gemacht wurde, mag gar eine Revolution zu erwarten sein. Die Verkostung<br />
der Jahrgänge 2010 bis 2012 gehörte auch deshalb zu den spannendsten<br />
Ereignissen der Vertikalprobe.<br />
Eine geradezu rhône-artige, süße, dropsige Kirschfrucht drängte aus allen<br />
drei Gläsern dieser Jahrgänge in die Nase, und man war geneigt, tatsächlich an<br />
ein neues Kapitel auf dem Traditionsgut zu glauben. Am Gaumen zeigt sich<br />
dann neben Jahrgangstypizität durchaus doch Terroirtreue. Schon in der Tradition<br />
des Stils der modernen Sassicaias, dennoch ein wenig frischer, irgendwie<br />
spritziger, die Kirsche – mal süß, mal sauer – im Vordergrund, präzise, außerordentlich<br />
gekonnt und mit spielerischer Raffinesse, ganz zur Freude des Verkosters.<br />
Es ist noch zu früh, und die Weine sind zu jung, um ein abschließendes<br />
Urteil zu fällen, aber eines lässt sich ohne Zweifel schon heute festhalten:<br />
Es tut sich etwas im Reich des Marchese, und das Schlechteste ist es nicht. •<br />
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<strong>FINE</strong> 4 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Tasting