FINE Das Weinmagazin - 04/2015
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SASSICAIA
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Daniel Deckers<br />
wein und zeit xvii<br />
Eklat: Als Carl Zuckmayers »Fröhlicher Weinberg«<br />
im März 1926 in Mainz auf die Bühne gebracht<br />
werden sollte, sah man in Rhein hessen die Ehre der<br />
Heimat in den Dreck gezogen.<br />
<strong>Das</strong> Wunder<br />
des Lebens<br />
Carl Zuckmayer, Carl Gunderloch<br />
und die Weinberge von Nackenheim<br />
Es war Sonntag, der letzte vor dem Weihnachtsfest des Jahres 1925. Mehr als zwei Jahre waren vergangen, seit die Inflation gebannt und die<br />
Rentenmark eingeführt wurde, gut zwei Monate seit der Konferenz von Locarno, auf der die Weimarer Republik wieder in den Kreis der<br />
zivilisierten Nationen aufgenommen worden war. Ob die bitteren Nachkriegsjahre wohl vorbei waren? »Deutsch-Französische Einigung«<br />
lautete die Schlagzeile der in Berlin erscheinenden Vossischen Zeitung, der Leitartikler haderte mit der Sozialdemo kratie, weil die sich<br />
einer Regierungsbildung verweigerte, im Innenteil wurde über die exorbitanten Preise für Weihnachtsbäume geklagt, und eine anzeigensatte<br />
Sonderbeilage unter dem Titel »Die Festtafel« steigerte die Vorfreude auf die kommenden Tage.<br />
Fotos: Deutsches Literaturarchiv Marbach<br />
Noch war es nicht so weit. »<strong>Das</strong> Unterhaltungsblatt«,<br />
das der Sonntag Ausgabe<br />
beilag, entführte den Leser unvermittelt<br />
in die »Weinberge von Nackenheim«. In farbiger,<br />
anscheinend von unmittelbarer Anschauung<br />
gesättig ter Sprache ließ da einer das Leben in dem<br />
kleinen, von Weinbau geprägten Dorf am Rhein<br />
erstehen: »Nirgends ist so viel Rot in wechselnder<br />
Schicht durch die Landschaft gesprengt«, hieß es<br />
über die unverwechselbare Färbung jenes südlich<br />
von Mainz gelegenen Hangs, an dessen Fuß sich<br />
das kleine Dorf duckt, »… der matte Ton dünner<br />
Rohrpfeifen, das Grell zerbröckelnder Ziegel, das<br />
verwaschene Karmin gewittriger Abendhimmel,<br />
der rostige Brand alter Radreifen auf regenweichen<br />
Fahrstraßen und die volle, gesättigte Röte von den<br />
Brustfedern des Buchfinks …«.<br />
Nicht alles war in das milde Licht roman tischer<br />
Landschaftsbeschreibung getaucht. Ein kurzer Vorspann<br />
ließ den Leser wissen, dass es sich bei diesem<br />
kleinen Feuilleton um eine Art Ouvertüre handele.<br />
Ein Theaterstück namens »Der fröhliche<br />
Weinberg« stehe vor seiner Urau führung, vorab<br />
schildere der Dichter »Luft und Landschaft, aus<br />
der seine Komödie erwachsen ist«: Die Nackenheimer<br />
sprachen Mundart (»Die Stenze sin dies<br />
Jahr langsam«), bei der Kirmes kamen alle elementaren<br />
Bedürfnisse zu ihrem Recht (»… der Hof ohne<br />
Scheu benutzt, wenn die Natur sich regt, Stuhlbein<br />
und Weinbuttel, wenn der Mut schwillt, und die<br />
Scheuer, die Laube, der Stall, wenn die Liebe kein<br />
Maß kennt«), der Tod war Teil des Lebens von<br />
Beginn an. Eines Morgens hing »die alte Bärb am<br />
Fenster …, und die Kinder standen blaß mit ofenen<br />
Mäulern am Zaun und streckten die Zunge heraus<br />
wie der Leichnam da droben«. Zu viel versprochen?<br />
Der Verfasser war dem Berliner Publikum<br />
nicht unbekannt. Nach einer turbulenten<br />
Jugend in Mainz, vier Jahren als blut junger<br />
Offizier an der Westfront hatte es den gebürti gen<br />
Nackenheimer über Frankfurt und Heidelberg<br />
sowie ersten dramaturgischen Gehversuchen in Kiel<br />
und München nach Berlin verschlagen. Über das<br />
jüngste, erst im Frühjahr auf die »Junge Bühne«<br />
des Deutschen Theaters gebrachte Drama namens<br />
»Pankraz erwacht oder Die Hinter wäldler«<br />
urteilte die Kritik, anders als bei seinen früheren<br />
Stücken, nicht mehr rundheraus ablehnend: »Carl<br />
Zuckmayer gehört zu jenem Häuflein Pioniere,<br />
denen es von der Natur bestimmt scheint, Material,<br />
Brücke, Füllsel zu sein für den Graben, der heute<br />
und morgen trennt«, hieß es in einer Besprechung.<br />
Der Rezensent sollte Recht behalten.<br />
Schon das kleine vorweihnachtliche Feuilleton<br />
atmete einen neuen Geist. Nichts mehr von<br />
dem übersteigerten Expressionismus der frühen<br />
Dramen und der ersten lyrischen Versuche, statt<br />
dessen Farben und Töne, Charaktere und Stimmen,<br />
die dem wirklichen Leben buchstäblich abgelauscht<br />
waren. Doch wie würde das verwöhnte Berliner<br />
Theater publikum die Kehrtwende namens »Der<br />
Fröhliche Weinberg« aufnehmen?<br />
An Vorschusslorbeer fehlte es nicht. Paul<br />
Fechter, der einflussreiche Theaterkritiker der Deutschen<br />
Allgemeinen Zeitung, hatte dem Stück nach<br />
Durchsicht aller Einsendungen noch vor der Uraufführung<br />
den Kleist-Preis des Jahres 1925 zuerkannt,<br />
seinerzeit die renommierteste Auszeichnung für ein<br />
Bühnen werk. <strong>Das</strong> Ensemble des Theaters am Schifbauerdamm<br />
stürzte sich mit Haut und Haar in das<br />
Abenteuer, anstelle eines weiteren expressionischen<br />
Dramas einen bodenständig-prallen Schwank auf<br />
die Bühne zu bringen. <strong>Das</strong> Premierenpublikum, das<br />
sich am 22. Dezember 1925 einfand, ließ sich nicht<br />
lange bitten. »It was an orgy. It was orgy of sunshine,<br />
harvest, love, lewdness, tenderness, satire and gargantuan<br />
mirth«, hielt Dorothy Thompson, die<br />
Korrespondentin der New Yorker Evening Post fest.<br />
<strong>Das</strong>s die Amerikanerin große Teile des Textes nicht<br />
verstand, weil das Stück durchweg in Mundart verfasst<br />
war und sich manches rheinhessische Wort aus<br />
dem Mund Berliner Schauspieler doppelt komisch<br />
anhörte, tat nichts zu Sache. Lach salven, Begeisterungsstürme,<br />
rauschender Beifall. Als Zuckmayer<br />
auf die Bühne trat, um die Ova tionen entgegenzunehmen,<br />
war die Flasche leer, die die Schauspieler<br />
ihm geschenkt hatten: Ein Nackenheimer Rothenberg<br />
des grandiosen Jahrgangs 1921.<br />
Auf ungeteilten Beifall stieß das Stück nicht.<br />
Zwar sollte »Der fröhliche Weinberg« das<br />
meistgespielte Bühnenwerk der Wei marer<br />
Republik werden. Doch Nationalsozialisten wie<br />
Joseph Goebbels spürten sofort, dass sie es bei<br />
Zuckmayer mit einem Freigeist zu tun hatten, dem<br />
jede dumpf-totalitäre Geisteshaltung zu wider war –<br />
im »Fröhlichen Weinberg« verkörpert von dem<br />
Korpsstudenten Knuzius. »<strong>Das</strong> Ganze ist eine<br />
geist- und witzlose Schweinerei«, schrieb der Völkische<br />
Beobachter am 11. Februar 1926. Und: »Eine<br />
Frage an die Korpsstudenten Münchens: Laßt Ihr<br />
euch die schamlose Verhöhnung der schlagenden<br />
Ver bindungen durch den Halbjuden Zuckmayer<br />
gefallen?«<br />
Die braunen Schläger und andere humorlose<br />
Zeitgenossen waren nicht die einzigen, die sich<br />
über Zuckmayer erregten. Auch in Zuckmayers<br />
rhein hessischer Heimat herrschte Aufruhr –<br />
freilich nicht wegen des »Halbjuden«, dessen<br />
Mutter der honorigen, längst zum evangelischen<br />
Glauben konver tierten jüdischen Mainzer Familie<br />
Goldschmidt entstammte. Als das Stück im März<br />
1926 in Mainz auf die Bühne gebracht werden sollte,<br />
sahen mehrere tausend Demonstranten die Ehre<br />
ihrer Heimat im Allgemeinen und die einer hoch<br />
angesehenen Familie im Besonderen in den Berliner<br />
Dreck gezogen.<br />
Was war geschehen? Die Hauptperson des<br />
Schwanks trug keinen anderen Familiennamen als<br />
den des weit über die Region hinaus bekannten<br />
Nackenheimer Weingutsbesitzers Carl Gunderloch,<br />
eines ehemaligen Mainzer Bankiers. In den »Weinbergen<br />
von Nackenheim« hatte es am 20. Dezember<br />
1925 noch lakonisch geheißen: »Die Gunderlöcher<br />
sin schon fertig«. Zwei Tage erfuhr ein<br />
begeistertes Publikum aus dem Mund des Protagonisten<br />
Jean-Baptiste Gunderloch, dass er einst<br />
»hinterrücks« mit einem Schifermädchen eine<br />
Tochter gezeugt habe, weil seine Frau keine Kinder<br />
bekommen konnte. Jetzt wollte der inzwischen<br />
verwitwete Vater sichergehen, dass seine einzige<br />
Tochter, die die Hälfte der Weinberge erben wird,<br />
nur von einem Mann als Braut heimgeführt wird,<br />
der dieser seine Zeugungsfähigkeit schon vor der<br />
Ehe bewiesen hat: »Wenn einer e Sau kauft, muss<br />
er wisse dass se ferkelt.«<br />
Carl Gunderloch, der 1910 dabei gewesen<br />
war, als der Verband Deutscher Naturweinversteigerer<br />
(VDNV, heute VDP) aus der<br />
Taufe gehoben wurde, und der mit 6000 Mark für<br />
ein Viertelstück 1911er den höchsten Preis erzielt<br />
hatte, der je für einen Wein aus Rheinhessen gezahlt<br />
worden war, sah sich und sein Lebenswerk der<br />
Lächerlichkeit preisgegeben. Und das nicht von<br />
Aufruhr: Dem Publikum in<br />
Leipzig wurden Zettel zur<br />
Unterschrift vorgelegt, mit<br />
der sie sich ver pflichteten, die<br />
Au führung nicht zu stören.<br />
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<strong>FINE</strong> 4 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Wein und Zeit