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Tassilo - das Magazin um Weilheim und die Seen, März/April 2016

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Der legendäre Flügeltürer von Daimler-Benz ist heute in Polling heimisch<br />

Rückkehr einer Ikone ins Kloster<br />

Polling | Manchmal gesellen sich<br />

Begriffe <strong>und</strong> Orte auf w<strong>und</strong>ersame<br />

Weise neu zueinander:<br />

Gemeinhin gehören Ikonen in<br />

Klöster. Eine „Ikone der Automobilgeschichte“<br />

nennen Liebhaber<br />

historischer Fahrzeuge wieder<strong>um</strong><br />

den Mercedes-Benz 300 SL. Der<br />

legendäre Flügeltürer ist heute<br />

im Kloster Polling zuhause: Anfang<br />

<strong>2016</strong> standen 80 Exemplare<br />

in den Rä<strong>um</strong>en von „HK Engineering“,<br />

der weltweit einzigen<br />

Firma, <strong>die</strong> ausschließlich den<br />

300 SL restauriert. Verantwortlich<br />

dafür, <strong>das</strong>s Ikonen <strong>und</strong> Kloster in<br />

neuer Verbindung stehen, ist Hans<br />

Kleissl. Vor 28 Jahren erwarb er<br />

<strong>die</strong> Wirtschaftsgebäude des Klosterhofs.<br />

Seither hat er sie denkmalgerecht<br />

saniert <strong>und</strong> nach <strong>und</strong><br />

nach Büros, Werkstätten, einen<br />

Ausstellungra<strong>um</strong>, <strong>das</strong> „weltgrößte<br />

300 SL-Ersatzteillager“ <strong>und</strong> eine<br />

klimatisierte Großgarage für <strong>die</strong><br />

Fahrzeuge eingerichtet.<br />

Für Markus Wilhelm, der Gruppen<br />

durch den Betrieb führt, ist vor<br />

allem eines wichtig zu betonen:<br />

„Wir bringen den 300 SL zurück<br />

auf <strong>die</strong> Straße.“ Bei <strong>die</strong>sen Worten<br />

leuchten seine Augen. Denn er ist<br />

auch zuständig für den Transport<br />

der Liebhaberstücke, vom <strong>und</strong><br />

z<strong>um</strong> K<strong>und</strong>en, hinter dem Lenkrad<br />

oder auf speziellen Transportern.<br />

Das Privileg, den 300 SL, „eine<br />

Maschine, <strong>die</strong> dich anfaucht“,<br />

zu steuern, genießt der gelernte<br />

Krankenpfleger <strong>und</strong> ehemals freiberufliche<br />

Tontechniker seit acht<br />

Jahren: „Ich hoffe, bald <strong>die</strong> eine<br />

Million Kilometer voll zu bekommen“,<br />

sagt er. Zugleich weiß er<br />

<strong>um</strong> seine Verantwortung: „Hätte<br />

ich einen Unfall, könnte ich mir<br />

<strong>das</strong> nie verzeihen, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Firma<br />

wohl auch nicht ...“<br />

Zehn Prozent des 300 SL<br />

gelten als verschollen<br />

Um <strong>die</strong> 8,5 Millionen Euro bezahlen<br />

Sammler für eine Voll-<br />

Al<strong>um</strong>ini<strong>um</strong>-Version des 300 SL —<br />

„in nicht einmal gutem Zustand“,<br />

weiß Wilhelm. Gebaut wurden<br />

davon 29 Stück, 25 existieren<br />

noch. Der Preis für einen „normalen“<br />

Flügeltürer liege „bei einer<br />

Million oder darüber“.<br />

Aus der<br />

Serienfertigung<br />

habe Daimler-<br />

Benz 1100 in den USA<br />

verkauft, dazu ein paar in<br />

Deutschland, Großbritannien,<br />

Argentinien. Vom Roadster, der<br />

Version mit offenem Verdeck,<br />

wurden zwischen 1957<br />

<strong>und</strong> 1962 genau<br />

1 858 produ-<br />

Heinz Kleissl vor einem Cadillac aus den 1930er-Jahren im Pollinger Klosterhof,<br />

den er vor 28 Jahren für seine Firma HK Engineering erwarb <strong>und</strong><br />

seither denkmalgerecht saniert hat.<br />

ziert. Wo sie sich befinden, wer<br />

sie besitzt, <strong>das</strong> weiß Heinz Kleissl.<br />

„Die Dunkelziffer, Autos, von<br />

denen wir bisher nicht wissen, wo<br />

sie sind, liegt bei zehn Prozent“,<br />

präzisiert Wilhelm.<br />

Selbstverständlich seien <strong>die</strong> Autos<br />

eine Geldanlage <strong>und</strong> stünden in<br />

Tiefgaragen. Doch schwärmt er vor<br />

allem von K<strong>und</strong>en, <strong>die</strong> den 300 SL<br />

fahren. Einer benutze ihn im regulären<br />

Straßenverkehr, seit 280 000<br />

Kilometern. Solche <strong>und</strong> viele andere<br />

Anekdoten hat Heinz Kleissl<br />

gesammelt. Weltweit gilt er als<br />

prof<strong>und</strong>ester Kenner der Sammler-<br />

<strong>und</strong> Käufer-Szene. Wilhelm<br />

dok<strong>um</strong>entiert <strong>die</strong> Geschichten, potenzielle<br />

Käufer möchten sie erfahren.<br />

Und sie machen sich gut beim<br />

R<strong>und</strong>gang im Klosterhof. In einem<br />

kleinen Werkra<strong>um</strong> gleich neben<br />

dem Eingang werden Reifen montiert,<br />

<strong>die</strong> ein Hersteller für den<br />

300 SL bis heute produziert, wenn<br />

HK Engineering welche braucht.<br />

Herzstück des Flügeltürers ist der<br />

Motor. Deshalb übernahm Kleissl<br />

2011 den Maschinenpark eines<br />

Instandsetzungsbetriebes in <strong>Weilheim</strong>,<br />

der bis dahin den Pollingern<br />

zugearbeitet hatte — samt den<br />

Spezialisten <strong>um</strong> Abteilungsleiter<br />

Erwin Mayer. Sie zerlegen jeden<br />

Motor in seine Einzelteile, vermessen<br />

Kurbelwellen, richten sie, bohren<br />

Motorblöcke aus, begutachten<br />

<strong>und</strong> katalogisieren jede Schraube.<br />

„Mit Kfz-Mechatronikern wüssten<br />

wir nichts anzufangen, aber auch<br />

normale Mechaniker wären verloren“,<br />

sagt Wilhelm. Handwerkliche<br />

Fähigkeiten <strong>und</strong> Wissen sind in<br />

den knapp drei Jahrzehnten im-<br />

40 | tassilo

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