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Raubtier und Beute<br />
Respekt von klein auf<br />
Mitten am Tag spaziere ich durch die Innenstadt. Ich<br />
lasse meinen Gedanken freien Lauf, als ich plötzlich<br />
imitierte Tiergeräusche höre, die von meiner rechten<br />
Seite kommen. Ich schaue mich um und sehe<br />
zwei Männer, die mich mit ihrem Gezuzel scheinbar zu<br />
locken versuchen, als wäre ich Beute für sie.<br />
Einer schleckt sich die Lippen ab, während der andere<br />
mich von oben bis unten mustert. Ich fühle mich unwohl,<br />
senke den Blick und beschleunige den Schritt. Was ist<br />
passiert? Warum fühle ich mich plötzlich so beschämt?<br />
Ich bin nicht die einzige Frau, die Scham dabei empfindet,<br />
wenn sie sexuell belästigt wird. Vieler meiner Freundinnen<br />
und Bekannten suchen in solchen Situationen die<br />
Schuld bei sich: „War der Ausschnitt vielleicht doch etwas<br />
zu gewagt?“, „War mein Gang vielleicht doch etwas zu<br />
provokant?“ Woher kommt es, dass Frauen die Schuld bei<br />
sexueller Belästigung bei sich suchen? Vielleicht weil uns<br />
Mama im Kindergarten gesagt hat, wir sollen aufpassen,<br />
wie wir sitzen, wenn sie uns einen Rock angezogen hat,<br />
damit die Jungs nicht gucken? Oder dass sich manche<br />
Männer öffentlich darüber aufregen, dass es strafbar ist,<br />
einer Frau auf den Hintern zu fassen. Viele Frauen trauen<br />
sich nicht von ihren Erlebnissen zu erzählen, weil sie<br />
sich schämen oder weil sie es schon normal, nicht mehr<br />
erwähnenswert finden, wenn sie belästigt werden. Wir<br />
erzählen weiter, für alle Frauen, die geschwiegen haben.<br />
Veronika Lukashevich<br />
„Ich<br />
möchte<br />
nicht, dass<br />
ein Mann so<br />
mit mir<br />
redet“<br />
Oft wird Frauen geraten, sich nicht<br />
freizügig anzuziehen, wenn sie nicht<br />
blöd angemacht werden wollen. Es<br />
ist scheinbar ein klares Zeichen, dass<br />
eine Frau Aufmerksamkeit sucht, wenn<br />
sie Haut zeigt. Aber mir wurde schon<br />
„Du bist so scharf, komm her zu mir!“, hinterhergerufen<br />
als ich eine Daunenjacke, Mütze<br />
und Schal trug, welche „Präventionsmaßnahmen“ hätte<br />
ich denn hier bitte noch setzen können?<br />
Viel wichtiger als Mädchen zu sagen, wie sie sich<br />
kleiden sollen, ist es Buben von klein auf Respekt und<br />
Anerkennung für die Autonomie von Frauen und Mädchen<br />
beizubringen. Dass das aber noch immer nicht passiert,<br />
zeigt sich daran, dass ich als Lehrerin mit 25 Jahren<br />
von 14-jährigen Schülern angemacht werde: „Du bist so<br />
geil, du solltest Model sein“, ruft mir einer hinterher und<br />
kommt mir unangenehm nahe, als ich aufgrund eines Projekts<br />
an seiner Schule unterrichte. Auch wenn es eigentlich<br />
keine Relevanz haben sollte, erwähne ich es dennoch:<br />
Ich hatte ein hochgeschlossenes, eher weites schwarzes<br />
Langarmshirt an, das fast bis zu meinen Knien ging und<br />
eine Jeans, außerdem war ich ungeschminkt. Was daran<br />
geil ist, weiß ich nicht. Darum geht es auch nicht, ich<br />
möchte einfach nicht, dass ein Mann, in dem Fall ein Junge,<br />
so mit mir redet, als wäre es selbstverständlich, als<br />
sollte ich mich auch noch geschmeichelt fühlen.<br />
Melisa Erkurt<br />
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