oben: Frau Müller schlägt <strong>zur</strong>ück. Unten Links: Marina Jeskow kämpft für ihr ADS-Kind Lukas Unten Rechts: Ene mene meck und du bist weg. 40 | feuilleton
Klassenkampf Lutz Hübner bietet die Vorlage für ein humorvollen Theaterabend. „Frau Müller muss weg“ beschert Greifswald einen kritischen Einblick in das deutsche Bildungs – und Schulsystem. Rezension: Katharina Elsner // Fotos: Vincent Leifer Niemand lässt sich gern anschreien. Schon gar nicht als Studierter. Und erst recht nicht, wenn man als armer Akademiker sein vom Staat (im Zweifelsfall auch von Mama und Papa) gnädig verteiltes Taschengeld dafür hergeben muss. In „Frau Müller“ scheint das Greifswalder Publikum jedoch sein mehr oder weniger sauer verdientes Geld investieren zu wollen. Davon zeugen die bis auf den letzten Platz ausverkauften Ränge im Theater Vorpommern. Dort platzt Hübners „Frau Müller muss weg“ mitten hinein, eine zeitgenössische Komödie, die zwischen komisch-karikierten Klischees und bitter-trauriger Realität ein Abbild der deutschen Bildungslandschaft schafft. Die Eltern der 4b haben die Klassenlehrerin Frau Müller (Gabriele M. Püttner) zu einem Gespräch gebeten. Die alles entscheidenden Halbjahreszeugnisse stehen bevor, die Noten, die über die weitere schulische Laufbahn ihrer Zöglinge entscheiden. Gymnasium oder nicht Gymnasium, das ist hier die Frage. Naturgemäß schieben die Eltern die vermeintlichen Leistungsdefizite ihrer Kinder auf fehlende pädagogische Konzepte der Lehrerin. ADS oder Autismus? Tyrann oder Außenseiter? Mein Kind doch nicht, denkt die Elternschaft. Sie werden unterfordert oder -fördert, gemobbt oder benachteiligt. Bekommt das Frau Müller nicht in den Griff, muss sie eben weg. Diese lässt sich allerdings nicht so einfach abspeisen, sondern geht zum Gegenangriff über und bringt eine Lawine gesellschaftlich brisanter und brandaktueller Themen ins Rollen, die den Vergleich mit einem Brecht oder Borchert nicht scheuen müssen. Eindruck machen dabei vor allem Katja Klemt als toughe Business-Frau Jessica Höfel, die mit ihrer Tyrannen-Tochter Laura ein echtes Monster herangezogen hat sowie Anke Neubauer, die als wehleidig-weinerliches aber prinizipientreues „Köllsches Mädschen“ Marina Jeskow ihren „hochbegabten“ Sohn Lukas beson- ders gefördert sehen will. Unbestreitbarer Publikumsliebling ist allerdings der für den erkrankten Hannes Rittig eingesetzte Schauspieldirektor Matthias Nagatis, der sich als cholerischer Wolf Heider in seinem thüringisch-sächsischem Heimatdialekt austoben und -schreien darf. Weniger in Erinnerung bleiben dagegen Marco Bahr und Eva-Maria Blumentrath, deren <strong>zur</strong>ückhaltende Charaktere zwar am Ende auftauen, die aber regionale Eigenarten vermissen lassen. Gerade die Dialekte tragen <strong>zur</strong> Authentizität der Komödie bei und symbolisieren eines der Hauptthemen: Die Unterschiede zwischen Ost und West, die auch nach zwei Jahrzehnten Wiedervereinigung nicht überwunden sind. Bekommt Frau Müller die nicht in den Griff, muss sie eben weg. So schwingen die Schauspieler in heiteren 90 Minuten dröhnend die Moralkeule. Von Globalisierungs-, Zeit- und Leistungsdruck über Prinzipien in einer Ellenbogengesellschaft („mit denen man in die SS könnte“) bis hin <strong>zur</strong> verkorksten deutschen Bildungspolitik. „Man mag sich gar nicht ausmalen, was passiert, wenn das Kind auf eine Real-, Mittel- oder gar Waldorfschule kommt!“ Bekommt das Frau Müller nicht in den Griff, muss sie eben weg. Doch <strong>zur</strong>ück zum Schreien. Zum Höhepunkt wird es noch einmal richtig laut. Welche skurrilen Wendungen das Stück aber nimmt, soll nicht verraten werden, sehenswert ist es allemal. Auch für Lehramtsstudenten. Die können sich ihr Studium dann sparen. Hier wird alles gnadenlos thematisiert, was man in fünf Jahren gepredigt bekommt. Denn am Ende steht fest: Zwischen Kastaniencollagen und Kinderstühlchen – Im Klassenzimmer <strong>des</strong> Fein<strong>des</strong> (Ist es immer noch Frau Müller?) kämpft jeder für sich allein. Musikalisch wird dieser brachiale Kampf von Rammsteins „Sonne“ gebührend untermalt, das ursprünglich als Hymne für Boxer Wladimir Klitschko komponiert wurde. feuilleton | 41