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Klassenkampf<br />
Lutz Hübner bietet die Vorlage für ein humorvollen Theaterabend. „Frau Müller muss weg“ beschert<br />
Greifswald einen kritischen Einblick in das deutsche Bildungs – und Schulsystem.<br />
Rezension: Katharina Elsner // Fotos: Vincent Leifer<br />
Niemand lässt sich gern anschreien. Schon gar nicht als Studierter. Und erst<br />
recht nicht, wenn man als armer Akademiker sein vom Staat (im Zweifelsfall<br />
auch von Mama und Papa) gnädig verteiltes Taschengeld dafür hergeben muss.<br />
In „Frau Müller“ scheint das Greifswalder Publikum jedoch sein mehr oder weniger<br />
sauer verdientes Geld investieren zu wollen. Davon zeugen die bis auf den<br />
letzten Platz ausverkauften Ränge im Theater Vorpommern. Dort platzt Hübners<br />
„Frau Müller muss weg“ mitten hinein, eine zeitgenössische Komödie, die zwischen<br />
komisch-karikierten Klischees und bitter-trauriger Realität ein Abbild der<br />
deutschen Bildungslandschaft schafft.<br />
Die Eltern der 4b haben die Klassenlehrerin Frau Müller (Gabriele M. Püttner)<br />
zu einem Gespräch gebeten. Die alles entscheidenden Halbjahreszeugnisse stehen<br />
bevor, die Noten, die über die weitere schulische Laufbahn ihrer Zöglinge<br />
entscheiden. Gymnasium oder nicht Gymnasium, das ist hier die Frage. Naturgemäß<br />
schieben die Eltern die vermeintlichen Leistungsdefizite ihrer Kinder auf<br />
fehlende pädagogische Konzepte der Lehrerin. ADS oder Autismus? Tyrann<br />
oder Außenseiter? Mein Kind doch nicht, denkt die Elternschaft. Sie werden unterfordert<br />
oder -fördert, gemobbt oder benachteiligt. Bekommt das Frau Müller<br />
nicht in den Griff, muss sie eben weg. Diese lässt sich allerdings nicht so einfach<br />
abspeisen, sondern geht zum Gegenangriff über und bringt eine Lawine gesellschaftlich<br />
brisanter und brandaktueller Themen ins Rollen, die den Vergleich mit<br />
einem Brecht oder Borchert nicht scheuen müssen.<br />
Eindruck machen dabei vor allem Katja Klemt als toughe Business-Frau Jessica<br />
Höfel, die mit ihrer Tyrannen-Tochter Laura ein echtes Monster herangezogen<br />
hat sowie Anke Neubauer, die als wehleidig-weinerliches aber prinizipientreues<br />
„Köllsches Mädschen“ Marina Jeskow ihren „hochbegabten“ Sohn Lukas beson-<br />
ders gefördert sehen will. Unbestreitbarer Publikumsliebling ist allerdings der<br />
für den erkrankten Hannes Rittig eingesetzte Schauspieldirektor Matthias Nagatis,<br />
der sich als cholerischer Wolf Heider in seinem thüringisch-sächsischem<br />
Heimatdialekt austoben und -schreien darf.<br />
Weniger in Erinnerung bleiben dagegen Marco Bahr und Eva-Maria Blumentrath,<br />
deren <strong>zur</strong>ückhaltende Charaktere zwar am Ende auftauen, die aber regionale<br />
Eigenarten vermissen lassen. Gerade die Dialekte tragen <strong>zur</strong> Authentizität der<br />
Komödie bei und symbolisieren eines der Hauptthemen: Die Unterschiede<br />
zwischen Ost und West, die auch nach zwei Jahrzehnten Wiedervereinigung<br />
nicht überwunden sind. Bekommt Frau Müller die nicht in den Griff, muss sie<br />
eben weg. So schwingen die Schauspieler in heiteren 90 Minuten dröhnend die<br />
Moralkeule. Von Globalisierungs-, Zeit- und Leistungsdruck über Prinzipien<br />
in einer Ellenbogengesellschaft („mit denen man in die SS könnte“) bis hin <strong>zur</strong><br />
verkorksten deutschen Bildungspolitik. „Man mag sich gar nicht ausmalen, was<br />
passiert, wenn das Kind auf eine Real-, Mittel- oder gar Waldorfschule kommt!“<br />
Bekommt das Frau Müller nicht in den Griff, muss sie eben weg.<br />
Doch <strong>zur</strong>ück zum Schreien. Zum Höhepunkt wird es noch einmal richtig laut.<br />
Welche skurrilen Wendungen das Stück aber nimmt, soll nicht verraten werden,<br />
sehenswert ist es allemal. Auch für Lehramtsstudenten. Die können sich ihr Studium<br />
dann sparen. Hier wird alles gnadenlos thematisiert, was man in fünf Jahren<br />
gepredigt bekommt. Denn am Ende steht fest: Zwischen Kastaniencollagen<br />
und Kinderstühlchen – Im Klassenzimmer <strong>des</strong> Fein<strong>des</strong> (Ist es immer noch Frau<br />
Müller?) kämpft jeder für sich allein. Musikalisch wird dieser brachiale Kampf<br />
von Rammsteins „Sonne“ gebührend untermalt, das ursprünglich als Hymne für<br />
Boxer Wladimir Klitschko komponiert wurde.<br />
feuilleton | 41