4 Vorwort Preface X 5 Beim ersten Blick auf das diesjährige visuelle Erscheinungsbild des Kasseler Dokfestes stellt sich dem/der geneigten Betrachter/in zunächst die Frage: In welchem Verhältnis steht ein Hochhaus mit unzähligen Etagen zu einem Film- und Medienfestival? Die Klammer oder vielleicht besser das Motto des 33. Kasseler Dokfestes bezieht sich auf den Raum, der in diesem Zusammenhang vielfältig beschrieben, interpretiert und gedeutet werden kann. Bei einem Medienfestival steht in erster Linie der Kinoraum im Vordergrund. Dieser kann als Erlebnis- und Erfahrungsraum mit unterschiedlichen Dimensionen begriffen werden, der Kategorien eröffnet und unser Weltbild immer wieder neu zusammensetzt. „In Deutschland definieren die Landesbauordnungen ein Gebäude überwiegend dann als Hochhaus, wenn der Fußboden mindestens eines Aufenthaltsraumes mehr als 22 Meter über der Geländeoberfläche liegt.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Hochhaus) Beim Kasseler Dokfest gibt es glücklicherweise keine starren (Bau)Ordnungen in diesem Sinne, die die Nennrettungshöhe regeln, oder (Flucht)Wege klar definieren. Vielmehr greifen die verschiedenen Sektionen ineinander und schaffen ein gemeinsames (Hoch)Haus. Dieses ist in vielen Räumen gefüllt mit Kreativität und Leidenschaft. Manchmal führen die überbordende Ausgestaltung und der Wille zum Gestalten die Festivalmacher/innen über Grundrisse hinaus und somit an den Rand des Möglichen. Aber zum Glück hat das Dokfest ein stark verankertes Fundament, das von vielen Menschen und Institutionen getragen wird. Das von Michael <strong>Wolf</strong> fotografierte Hochhaus dient auch als Sinnbild für die zentralen Fragen des (Zusammen)Lebens, wie etwa nach individueller Selbstbestimmung, nach Privatsphäre oder gemeinsamen Räumen. Das Hochhaus verweist aber auch auf andere Fragen: In welchen Kategorien urteilen wir über Menschen, in welche Schubladen packen wir diese und welche Konsequenzen erwachsen daraus? Wie soll und kann Orientierung gefunden werden in einer mehr und mehr standardisierten, uniformierten Welt? Welche individuellen Ausbrüche sind möglich? Und welche Utopien sind denkbar und lebbar? Das Kasseler Dokfest schafft Räume für Begegnungen. Von Filmemacher/innen, Künstler/ innen, Zuschauer/innen und allen anderen Interessierten. Es möchte Diskussionen anstoßen. Filme können wie Räume sein: Sie laden zur Spurensuche ein, sind oftmals Dokumente der Zeitgeschichte. Räume und Filme können erinnern, wachrütteln, den/die Betrachter/in auffordern sich zu positionieren und die eigene Haltung zu befragen. Die verschiedenen Hochhausetagen stehen somit stellvertretend für eine andere Dimension des 33. Kasseler Dokfestes, sei es inhaltlicher oder formaler Art. Beim Flanieren durch die verschiedenen Etagen werden die Schwerpunkte der diesjährigen Ausgabe sichtbar. Viele Arbeiten beschäftigen sich mit Grenzen, bzw. Begrenzungen und verweisen schon im Titel darauf: DIE MAUER – DER VERTIKALE HORIZONT, das Kompilationsprogramm ÜBER GRENZEN, die Filme THE GREAT WALL oder auch BOR- Kati Werkmeister, Franziska Wank, Martin Dege, Sarah Adam, Cana Bilir-Meier, Marie Kersting, Julia Allnoch, Janina Büscher, Eva Clara Tenzler, Irmhild Scheuer, Theresa Grysczok, Philip Widmann, Kristina Danzer, David Le Grant, Lili Hartwig, DERLAND BLUES. Mit den sich daraus ergebenden Fragen von Ausgrenzung und Flucht widmen sich auf eindrucksvolle Weise die Filme HAVARIE, A WALNUT TREE und FERNE SÖH- NE. Verschiedene Aspekte von Militarisierung begleiten oftmals schleichend und kaum wahrnehmbar die gesellschaftlichen Debatten über Sicherheit und Ordnung. Die Sonderausstellung von Studierenden aus Kassel und Leipzig, AREA OF INTEREST – Waffen – Blicke – Rüstung, setzt hier an und beleuchtet u.a. das Agieren der Rüstungsindustrie, das nicht nur in Kassel in der Regel im Dunklen geschieht. Zu diesem Themenkreis gehören Filme wie WAFFEN oder DO NOT RESIST. Wie die mediale Aufbereitung solcher Themen geschieht und welche Formen von Öffentlichkeit dabei erzeugt werden, betrachten Filme wie GRUNDRAUSCHEN bzw. die Kurzfilme im Programm BILDSCHIRMGEMEIN- SCHAFTEN. In diesem Zusammenhang können als Gegenöffentlichkeit die Beiträge EUROPA – EIN KON- TINENT ALS BEUTE, A LEAK IN PARADISE und NEXT STOP: UTOPIA sowie das Kurzfilmprogramm DEMOKRATIE VERHANDELN begriffen werden. Hier ist es den Filmemacher/innen – oftmals mit einem langen Atem versehen – ein Anliegen komplexe Zusammenhänge „anders“ darzustellen, zu verhandeln und zu diskutieren. Auf unterschiedlichen Etagen lassen sich verschiedene Portraits finden. Familiär wird es in den Filmen BRACIA und HAPPY; die Kunst und die Künstler/innen im Blick haben Beiträge wie SHOT IN THE DARK, WHATEVER HAPPENED TO GELITIN und DAS GROSSE GLÜCK. Nutzt der/die Betrachter/in den Fahrstuhl so lässt sich blitzschnell zwischen den einzelnen Sektionen des Dokfestes hin und her fahren. Einen neuen Erfahrungsraum eröffnet die Begegnung des Kasseler Dokfestes mit der kommenden documenta 14. Zwei Künstler/innen geben Einblick in ihr mediales Schaffen und werden über ihre documenta 14 Projekte sprechen. Die Fulldome-Präsentationen im Planetarium eröffnen einen völlig neuen Kosmos für das Kasseler Dokfest. Die Ehrenpreisträgerin des diesjährigen Festivals, Rotraut Pape, hat zwei Programme zusammengestellt, die einen Einblick in andere Sehmöglichkeiten und in die Entwicklung des Fulldome Films der letzten 10 Jahre geben. Insgesamt präsentiert das 33. Kasseler Dokfest: 256 Filme, 16 Medieninstallation in der Ausstellung Monitoring, 19 VJs und DJs in der DokfestLounge, den 7. Hessischen Hochschulfilmtag, zahlreiche Referent/innen im Rahmen von Profis Plaudern Praxis VIII / PraxisDokfest, im DokfestForum und bei der Workshop-Fachtagung interfiction sowie in den Sonderprogrammen. Die Themen und Sektionen stehen im Dialog miteinander und ergeben ein komplexes Gebilde von Beziehungen. Verschiedene Korres pondenzen und Relationen spannen sich aus und formen am Ende – bei aller Verschiedenartigkeit – in der Zusammenschau das 33. Kasseler Dokfest. Letztendlich liegt der Bezug des Titelbildes zum Thema Film doch nicht so fern: Von Weitem aus betrachtet können in den Strukturen des Motivs 16mm-Filmstreifen erkannt werden. Für die Errichtung des 33. Hochhauses, gilt unser herzlichster Dank den zahlreichen Förderern, Sponsor/innen, Partner/innen und Unterstützer/innen, sowie den Filmemacher/innen, Künstler/innen und Referent/innen, die das Kasseler Dokfest erst ermöglichen. Ein besonderer Dank geht an die Stadt Kassel, das Kulturamt, die Hessische Filmförderung sowie an das Hes- Gerhard Wissner Ventura, Susanne Minke, Josephine Schmücker, Joana Al Samarraie, Kristin Meyer, Ulrich Ziemons, Steffen Härtel-Klopprogge, Anna Henckel-Donnersmarck, Charlotte Stamm, Constance Hahn, René Rogge, Georgios Athanassiou, Stefan Bornemann sische Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Unsere Hauptförderer legen das Fundament für das Kasseler Dokfest und ermöglichen uns die Sicherheit für ein kreatives Agieren, um die Vielfalt des künstlerisch-dokumentarischen Facettenreichtums auch in diesem Jahr abbilden zu können. Das Kasseler Dokfest ist gemeinsam mit der sich verändernden Medienlandschaft in den letzten Jahren gewachsen und hat sein Profil u.a. durch die Gründung neuer Festivalsektionen wie etwa das DokfestForum, die DokfestLounge, das junge dokfest oder die DokfestGeneration geschärft und mit seinem medien- und sektionsübergreifenden Konzept einen festen Platz in der europäischen Medienlandschaft erobert. Möglich war dieses Wachstum durch die Sponsoren und Förderer, die diese Ausdifferenzierung kontinuierlich unterstützt haben. Zur 33. Ausgabe ist das manchmal fragile Gebilde des Kasseler Dokfestes mit einer neuen Herausforderung konfrontiert: Nach 15 Jahren durchgehender Förderung durch das MEDIA Programm der Europäischen Union wurde der aktuelle Antrag des Kasseler Dokfestes negativ beschieden. Dies liegt in erster Linie an dem deutlich gekürzten Gesamtvolumen der Förderung für europäische Festivals. Bedingt durch diese Situation haben wir Gespräche mit zahlreichen Freundinnen und Freunden des Kasseler Dokfestes geführt und eine Welle der Hilfsbereitschaft und des Zuspruchs erfahren. Aus dieser Initiative heraus hat sich eine Solidargemeinschaft entwickelt, die das Kasseler Dokfest mit einer Spende unterstützt und somit die Vielfalt des Festivals aufrechterhält. Bedanken möchten wir uns bei der Stadt Kassel für eine einmalige erhöhte Förderung sowie besonders bei den 35 Bürgerinnen und Bürgern, die ihr Dokfest und mit einer Spende unterstützen. Wir wünschen uns neugierige Besucher/innen, die gerne unbekannte Etagen (Territorien) betreten, mit Leidenschaft den neuen Eindrücken begegnen, auf neue Einblicke gespannte sind, oder einfach nur den Ausblick genießen möchten. Wir wünschen Ihnen und uns erfrischende, intensive und beglückende sechs Tage Kasseler Dokfest. // On first sight of this year’s Kassel Dokfest, a viewer so disposed may ask him or herself: to what extent is a high-rise block of apartments related to a film and media festival? The binding force, or perhaps the motto, of the 33rd Kassel Dokfest is space, which in this context can be depicted, interpreted and shown in manifold ways. In a film festival the movie theatre takes center stage. This can be understood as a space for experiencing, and integrates various dimensions, which create categories and prompt a new understanding of the world. “In Germany, the regional building regulations define a building as high-rise if the floor of at least one living room is more than 22 meters above ground level.” (https://de.wikipedia.org/wiki/Hochhaus) At the Kassel Dokfest there are, thankfully, no such rigid (building-) regulations to stipulate the maximum threshold height and define (flight-) paths. Rather, the various sections encroach on and engage one another, creating an integrated (high-rise-) home. The home is, in many places, filled with creativity and passion. Sometimes the exuberant design and the filmmakers’ desire for craft reach beyond floor plans and, in so doing, they move towards the edge of possibility. Fortunately, the Dokfest has a strongly anchored foundation consisting of many people and institutions. The high-rise, photographed by Michael <strong>Wolf</strong>, also serves as a symbol for central questions of (communal) living. Questions concerning, for example, privacy and communal space. However, the building also asks other questions: in what categories do we make judgements about people, how do we pigeonhole them, and what are the consequences? How should and can orientation be found in a more and more standardized, uniform world? Which individual exits out are possible? And which utopias are possible and liveable? The Kassel Dokfest creates space for encounter. Encounter between filmmakers, artists, audience and all other interested people. It wants to initiate discussion. Films can be like rooms: they invite us to search for traces, and are often documents of contemporary history. Rooms and films can be reminders, they can wake us up, can summon the viewer to take a position and to question his or her own stance. Thus the different floors of a high-rise building can provide imagery for another dimension of the 33rd Kassel Dokfest, either in a content-related or a formal way. While strolling through the different levels, the foci of this year’s edition become clear. Several of the works deal with borders or boundaries, referring to them in their titles: BERLIN WALL: VERTICAL HORIZON, the compilation programme HOME IS NOT A PLACE, the films THE GREAT WALL and also BORDER- LAND BLUES. Unresolved questions of exclusion and flight arise within these films, and are in turn examined in the films HAVARIE, A WALNUT TREE and DISTANT SONS. Various aspects of militarisation accompany, often subtly and hardly perceptibly, social debate on safety and order. The special exhibition by students from Kassel and Leipzig, AREA OF INTEREST – weapons – gaze – armament, takes this as its starting point and examines, among other things, the activity of the armament industry, which generally occurs, not only in Kassel, in the dark. Films such as GUNS and DO NOT RE- SIST also address this topic. The way medial processing of such themes works and the forms of publicity that are produced in the process are issues considered in films such as NOISE and the short films of the programme SCREEN COMMUNITIES. In this context, the contributions THE PREY – EUROPE UNDER PRESSURE, A LEAK IN PARADISE and NEXT STOP: UTOPIA can be understood as counter-publicity. Here the filmmakers aspire – often with considerable patience – to portray complex relationships “differently”, to negotiate and to discuss. On different levels, various portraits can be found. We turn to the domestic in the films BROTHERS and HAPPY, and in contributions such as SHOT IN THE DARK, WHATEVER HAPPENED TO GELITIN and THE GREAT FORTUNE our attention is drawn to art and artists. If the viewer uses the elevator, he is able to travel back and forth in a flash between the different levels of the Dokfest. A new experimental space initiates the meeting of the Kassel Dokfest with the up-coming documenta 14. Two artists give insight into their media work and will speak about their documenta 14 projects. The Fulldome presentations in the plane tarium open a completely new cosmos for the Kassel Dokfest. The honoraryprize winner Rotraut Pape has put together two programmes that give us insight into other possible points of view, and into the development of the Fulldome films of the last 10 years. Altogether the 33rd Kassel Dokfest will present: 256 films, 16 media installations in the exhibition Monitoring, 19 VJs and DJs in the Dokfest Lounge, the 7th Hessian University Film Day, numerous speakers as part of Profis Plaudern Praxis VIII / PraxisDokfest, in the DokfestForum and at the Workshop- Conference interfiction as well as in the special programmes. The themes and sections establish a dialogue with one another and produce a complex web of relationships. Various correspondences and relations are stretched out to finally form, in their entirety, and with all their heterogeneity, the 33rd Kassel Dokfest. Ultimately, the link between the cover picture and the theme film is not so distant: Viewed from a distance, 16mm filmstrips can be recognized in the structure of the motive. Our wish is for inquisitive guests, who are happy to walk on unfamiliar levels (territories), who meet new impressions with vigour, and who await and look forward to new insight or simply want to enjoy the view. We wish you, and hope to enjoy ourselves, six refreshing, intense, and exhilarating days at the Kassel Dokfest. Complete preface see www.kasselerdokfest.de