s'Positive Magazin 09.2016
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MICHAEL HERMANN<br />
s’Positive: Wie ist es möglich, aus dem<br />
beschaulichen Oberaargau zur nationalen<br />
politischen Fgur aufzusteigen?<br />
Michael Hermann: Das ist doch nicht so ungewöhnlich.<br />
Unser Bundespräsident Johann<br />
Schneider-Ammann und der Berner Regierungspräsident<br />
Hans-Jürg Käser kommen<br />
auch aus dem Oberaargau. Es gibt sogar<br />
Sportreporter, die es aus dem Oberaargau<br />
heraus zu nationaler Bedeutung gebracht<br />
haben.<br />
Wir sehen diese beiden herausragenden<br />
Persönlichkeiten eher als Ausnahmen,<br />
und in den kantonalen und nationalen<br />
Parlamenten spielen die Oberaargauer<br />
keine Rolle. Deshalb nochmals die Frage:<br />
Wie wird man von Huttwil aus zu einer<br />
nationalen Figur?<br />
Meine Herkunft hat mir geholfen. Ich bin von<br />
aussen, mit unverstelltem Blick in die Welt<br />
der Politik gekommen. Ich habe nicht einmal<br />
Politologie studiert. Sondern im Hauptfach<br />
Geografie sowie Volkswirtschaft und Geschichte<br />
im Nebenfach.<br />
Sie sind also sozusagen über die<br />
Landkarte zur Politik gekommen?<br />
Ja, so können wir es sagen. Ich bin als<br />
Huttwiler nach Zürich und somit als<br />
Aussenseiter aus einer anderen Welt<br />
gekommen. Dabei habe ich nicht nur<br />
im geografischen Sinne Welten durchschritten.<br />
Für eine klassische akademische<br />
Karriere wäre es einfacher<br />
gewesen, wenn ich am Zürichberg<br />
aufgewachsen und mich von Anfang<br />
an in diesem System bewegt hätte. Ich<br />
kam jedoch von aussen, ich musste<br />
meinen eigenen Weg gehen …<br />
…und ein eigenes Profil entwickeln.<br />
Ich strebte nicht nach einem Karriereweg<br />
durch die Institutionen oder<br />
nach einer Professur. Ich wollte etwas<br />
wagen und so begann ich, interessante<br />
Stoffe auf meine Weise zu verarbeiten.<br />
Wie gelang es Ihnen, die Medien<br />
auf sich aufmerksam zu machen?<br />
Kaum vorstellbar, dass Geografie<br />
als Fachrichtung sexy genug ist.<br />
Gerade, wenn es darum geht, Karriere<br />
zu machen.<br />
Mit der Idee, politische Landkarten zu<br />
erstellen. Also die politischen Verhältnisse<br />
auf Karten zu übertragen und sie<br />
so sichtbar zu machen. Als Geograf<br />
war es für mich einfacher, eigene Wege<br />
zu gehen und mich zu entfalten.<br />
So wie in Comics Geschichten in<br />
Bildern erzählt werden, so haben<br />
Sie gewisser massen politische Comics<br />
gezeichnet.<br />
So ungefähr. Es war jedenfalls eine<br />
völlig neue Art, sich mit Politik zu befassen<br />
und Politik darzustellen. Komplexe Sachverhalte<br />
und Zusammenhänge werden auf einmal<br />
sichtbar und verständlich.<br />
Zum Beispiel?<br />
Der Begriff «Röstigraben» ist allgemein bekannt.<br />
Aber wie dieser «Röstigraben» wirklich<br />
aussieht, wurde erst durch seine Darstellung<br />
im politischen Raum richtig klar.<br />
Wie waren die Reaktionen auf ihre neue<br />
Art, Politik darzustellen?<br />
Erstmals habe ich die Idee an der Universität<br />
vorgestellt. Die ersten Reaktionen waren<br />
heftig, teilweise positiv, oft aber auch ablehnend.<br />
Was macht der da? Der hat doch gar<br />
keine Ahnung. Aber die Medien fanden es<br />
lässig. An der Uni bin ich für meine Kreativität<br />
zumindest am Anfang kritisiert worden,<br />
die Medien sind aber sofort darauf angesprungen.<br />
Die sind offener für Neues, weil<br />
sie ja immer nach Themen suchen und viele<br />
Gefässe mit Inhalten füllen müssen. Deshalb<br />
fühle ich mich unter Journalisten wohler als<br />
an der Uni.<br />
«Mit Online-Umfragen<br />
erreichen wir viel mehr<br />
Leute als per Telefon.<br />
Kommt hinzu: Die Befragten<br />
sind offener und<br />
wohl auch ehrlicher.»<br />
Wo haben Sie Ihre Ideen erstmals publiziert?<br />
Im «<strong>Magazin</strong>» des «Tages-Anzeigers».<br />
Nicht in der NZZ? Wer Karriere machen<br />
will, publiziert in der NZZ.<br />
Nein. Das «Tagimagi» als unkonventionelles<br />
Medium mit dem Mut zu neuen Darstellungsweisen<br />
hat mir gefallen. Wir haben<br />
eine Landkarte des Parlamentes gezeigt und<br />
wo die Gemeinden politisch stehen. Wir erstellten<br />
einen Atlas der politischen Landschaft.<br />
Das hat auch den Eliten gefallen.<br />
Woher haben Sie den Mut genommen,<br />
sozusagen gegen den Strich zu bürsten?<br />
Ich wollte ja eigentlich Psychologie studieren<br />
und habe ein paar Seminare bei den grossen<br />
Gurus der Fachrichtung besucht. Der Guru<br />
hat etwas vorgetragen, seine Schüler haben<br />
zugehört und artig seine Ansichten diskutiert.<br />
Da ist mir klargeworden, dass man von<br />
Gurus zwar gefördert wird, aber immer ein<br />
Schüler bleibt. So entwickeln sich keine kritischen,<br />
starken Persönlichkeiten mit eigenen<br />
Ansichten.<br />
Woher nehmen Sie die Erkenntnisse,<br />
die Sie auswerten?<br />
Durch Umfragen, die wir online machen.<br />
Gerade haben wir eine gemacht<br />
zu den Lebensentwürfen der<br />
Menschen. Mit Online-Umfragen<br />
können wir viel mehr Leute erreichen<br />
als mit telefonischen Umfragen.<br />
So sind differenziertere Aussagen<br />
für kleinere Gruppen möglich.<br />
Dazu kommt: Die Befragten sind<br />
offener und wohl auch ehrlicher.<br />
Dabei haben wir die Erfahrung gemacht,<br />
dass es gerade bei emotional<br />
aufgeladenen politischen Themen<br />
nicht einfach ein schwarz-weisses<br />
Bild gibt. Gerade die Jungen sind<br />
zwar vielleicht nicht mehr so links<br />
wie früher, aber sie sind neugierig.<br />
Ihre Sicht ist nicht durch Vorurteile<br />
verstellt.<br />
Gibt es grosse Unterschiede zwischen<br />
den Jungen der 1990er-<br />
Jahre und heute?<br />
Nein. Den grossen Gegensatz der<br />
Generationen haben wir nach 1968<br />
erlebt. Dies hängt mit grossen kollektiven<br />
Erlebnissen zusammen. Die<br />
Kriegsgeneration hatte schwierige<br />
Zeiten durchgemacht, und die<br />
nächste, die 1968er-Generation ist<br />
in Sicherheit, Stabilität und Wohlstand<br />
gross geworden. Die neue<br />
Generation suchte damals eine klare<br />
Abgrenzung zu ihren Vorgängern<br />
und versteifte sich oft auf linke Positionen,<br />
die sie tief im Herzen gar<br />
nicht mitgetragen hatte. Heute sind<br />
die Gräben zwischen den Generati-<br />
6 s’Positive 10 / 2016