s'Positive Magazin 12.2016
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mit der heutigen Gesundheitsdirektion – befasste sich<br />
auch mit den Tierseuchen, und es gelang oft, durch Absperrmassnahmen<br />
den Oberaargau seuchenfrei zu halten,<br />
auch wenn ringsum Viehseuchen auftraten. 1759<br />
trat die Ökonomische Gesellschaft auf den Plan. Sie war<br />
eine Vereinigung wohlmeinender Patrizier, die durch<br />
Wort, Schrift und Mustergüter den landwirtschaftlichen<br />
Fortschritt ins Bernervolk zu bringen suchten. Sie befassten<br />
sich mit betriebswirtschaftlichen und technischen<br />
Problemen der Landwirtschaft, mit Kunstwiesenbau und<br />
Stallfütterung. Auch den ersten «Kunstdüngern» (Gips<br />
und Mergel) wandten sie ihr Interesse zu, ebenso dem<br />
Kartoffelbau, den landwirtschaftlichen Maschinen und<br />
der Milchverwertung. Sie beschafften auch fremdes Saatgut<br />
für Kunstwiesen. Sie taten dies nicht nur uneigennützig:<br />
Die Mächtigen und Reichen des Stadtstaates Bern<br />
steckten viel Geld in die Landwirtschaft (Gutshöfe, Ländereien)<br />
und hatten ein vitales Interesse, dass diese florierte.<br />
Die Ökonomische Gesellschaft war aber unpolitisch.<br />
Aus gutem Grund: Ihre wichtigsten Vertreter gehörten<br />
zur regierenden Elite. Der wirkungsmächtigste<br />
Vertreter der «Ökonomischen» im Oberaargau war der<br />
Landwirt Jakob Käser in Melchnau.<br />
BAUERN ERLEBEN BOOMS UND KRISEN<br />
Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts brachte unseren<br />
Bauern eine neue Blütezeit, was heute noch viele währschafte<br />
Bauernhäuser aus dieser Zeit im Oberaargau beweisen.<br />
Als eine mächtige Förderin der Landwirtschaft<br />
erwies sich die Französische Revolution. Sie führte später<br />
zum Untergang des alten Bern (1798). Die Getreidezehnten<br />
und Bodenzinse verschwanden. Damit war die Bahn<br />
zur völlig freien Entwicklung und zu einer neuen «goldenen<br />
Ära» frei. Allerdings wurde die Landwirtschaft nach<br />
wie vor stärker als heute durch die klimatischen Verhältnisse<br />
(lange Winter, verregnete Sommer) beeinflusst. In<br />
dieser Zeit ist der angehende Pfarrer Albert Bitzius bei<br />
seinem Aufenthalt in Herzogenbuchsee durch die bäuerliche<br />
Kultur des Oberaargaus zu Meisterwerken der Weltliteratur<br />
inspiriert worden. Er hat sie unter dem Künstlernamen<br />
Jeremias Gotthelf veröffentlicht.<br />
Als 1848 die moderne Schweiz gegründet wird, sind<br />
die Bauern im Oberaargau frei und selbstbewusst wie<br />
noch nie in ihrer ganzen Geschichte. Aber politisch sind<br />
sie noch nicht organisiert. Sie kümmern sich noch nicht<br />
um die grosse Politik. Die Landwirtschaft kann noch ohne<br />
staatliche Hilfe auskommen.<br />
Doch die neue Zeit mit der Industrialisierung trifft<br />
bald auch die Bauern in Oberaargau. In der zweiten Hälfte<br />
des 19. Jahrhunderts verursacht die Industrialisierung<br />
und die erste Globalisierung eine schwere Krise in der<br />
Landwirtschaft in Europa, so auch in der Schweiz und<br />
im Oberaargau. Durch die aufkommenden Eisenbahnen<br />
und andere Verkehrsmittel gerät die Landwirtschaft stärker<br />
unter den Einfluss des Weltmarktes. Getreideimporte<br />
aus Gebieten mit günstigeren Produktionsbedingungen<br />
drücken die Preise und gefährden den einheimischen<br />
Getreideanbau. Für die Bauern verschlechtert sich die<br />
wirtschaftliche Lage, und ihr Anteil an der Bevölkerung<br />
geht durch Abwanderung in die Industrie zurück. Bereits<br />
um 1900 machen sie im Oberaargau nur noch rund 30<br />
Prozent der Bevölkerung aus (heute sind es nur noch 7<br />
Prozent). Anders als in den übrigen europäischen Län-<br />
Aare<br />
Solothurn<br />
Bern<br />
Basel<br />
Emme<br />
Rüderswil<br />
Herzogenbuchsee<br />
Signau<br />
Schauplatz des<br />
Schweizerischen<br />
Bauernkriegs<br />
von 1653.<br />
DEUTSCHLAND<br />
Huttwil<br />
Sumiswald<br />
Aarau<br />
Wohlenschwil<br />
Luzern<br />
dern beginnt die Industrialisierung in der der Schweiz nicht<br />
nur in den grossen Städten. Sie setzt früh auch in ländlichen<br />
Regionen ein – auch im Oberaargau. Was nicht nur negative<br />
Folgen hat: In der Schweiz sind auch wegen der besseren<br />
«Verteilung» der Industrialisierung die politischen, wirtschaftlichen,<br />
sozialen und kulturellen Unterschiede zwischen<br />
Stadt und Land kleiner als in anderen europäischen Ländern.<br />
Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert dominiert<br />
auch im Kanton Bern und im Oberaargau der Freisinn, der<br />
zeitweise sämtliche Bundesräte stellt. Aber in der immer<br />
mehr auseinanderdriftenden Gesellschaft mit Bauern, Beamten<br />
und Industriearbeitern ist es nicht mehr möglich, als<br />
eine umfassende Volkspartei zu agieren. Durch die Sperre<br />
der meisten Zufuhren nach dem Ausbruch des 1. Weltkriegs<br />
im Sommer 1914 tragen die einheimischen Bauern zum<br />
Der Dreissigjährige Krieg bescherte den<br />
Oberaargauer Bauern einen Boom. Händler<br />
aus Deutschland kauften für die Heere alles<br />
Brauchbare zusammen.<br />
Aare<br />
Rhein<br />
Wolhusen<br />
Kleine Emme<br />
Schüpfheim<br />
Escholzmatt<br />
Mellingen<br />
grossen Teil die Landesversorgung. Den Menschen wird bewusst,<br />
wie wichtig auch in Zeiten des stürmischen technischen<br />
Fortschritts und der industriellen Entwicklung die<br />
Landwirtschaft ist und bleibt. Die wirtschaftliche Situation<br />
der Bauern bessert sich zwar, aber die Bauern sind erfüllt<br />
von den Sorgen für die Nachkriegsjahre. Würde man sie<br />
künftig, wenn die kriegerische Bedrohung vorbei ist, wieder<br />
Reuss<br />
Gisikon<br />
Zürich<br />
von den Bauern<br />
kontrollierte<br />
Gebiete<br />
Schlacht<br />
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