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SHOWTIME FÜR ANKE

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REISE<br />

an Häuschen an Häuschen gestellt. Ich bin sicher, dass sie sich geborgen,<br />

manchmal aber auch ein wenig wie Gefangene fühlen. Immer<br />

den Blicken der Nachbarn ausgesetzt. Hier kennt doch jeder jeden.<br />

Alle im selben Sportverein, alle in der Freiwilligen Feuerwehr.<br />

Auch ich bin nicht mehr der einsame Wintertourist, der ich anfangs<br />

war, sondern werde langsam integriert. Am Strand nickt mir<br />

verschwörerisch ein Fremder zu. Wir beide sind auf demselben Schiff<br />

angereist, glaube ich. Das verbindet. Und eine Frau spricht mich sogar<br />

an, man hätte sich im Café gesehen. „Sie waren der Herr mit dem<br />

Apfelkuchen.“ Nach drei Tagen, bin ich überzeugt, kennen die alle<br />

dein Gesicht. Nach drei Wochen alle deine Geheimnisse.<br />

Auch heute rüttle ich an der Museumstür. Und erst jetzt fällt mir<br />

auf, dass es ein Außengelände gibt. Ich lerne, dass eine Hamburger<br />

Kriegsflotte einst den Piraten Störtebeker vor Helgoland aufrieb.<br />

Heisenberg hier seine Unschärfetheorie entwickelte. Hoffmann von<br />

Fallersleben sein Lied der Deutschen schrieb. Und die Briten 1947 auf<br />

Helgoland die größte, nicht nukleare Explosion aller Zeiten auslösten.<br />

Sie wollten den im Krieg zur Festung ausgebauten Felsen zerstören,<br />

was offenbar mit konventionellen Mitteln nicht gelang. Erst<br />

1952 kehrten die Bewohner zurück. Jede Menge Weltgeschichte für<br />

so eine Mini-Insel. Ach ja, heute gehört Helgoland übrigens zum<br />

Landkreis Pinneberg. Sattgelesen schlendere ich zur „Langen Anna“,<br />

setze mich auf eine Bank und schaue aufs Meer. Ich schaue minutenlang<br />

und muss sagen: Mir ist echt langweilig.<br />

Aber ich bleibe sitzen, weil ich ja sonst irgendwo anders hingehen<br />

müsste, wo ich dann auch nicht wüsste, was ich mit mir anfangen soll.<br />

Und dieser Gedanke gefällt mir. Langeweile ist etwas, das ich verlernt<br />

habe. Dabei vermittelt sie das schöne Gefühl, frei zu sein. Wer<br />

keine Pflichten hat, kann tun und lassen, was er will. Ich stelle mir<br />

vor, der einzige Mensch auf der Insel zu sein, diesen Ort nicht teilen<br />

zu müssen. Leider drehe ich mich ständig um, weil ich mich an einsamen<br />

Orten absurderweise stets beobachtet fühle. Aber hinter mir<br />

stehen nur Schafe. Als ich auf die Uhr gucke, stelle ich fest, dass eine<br />

Stunde vergangen ist. Als ein Spaziergänger auftaucht, breche ich<br />

auf, weil er mich in meiner Privatsphäre stört.<br />

Mit einem wackeligen Boot fahre ich heute noch zur Düne, eine<br />

Insel in Sichtweite, die einst mit Helgoland verbunden war. Ich setze<br />

mich in den Sand und beobachte Kegelrobben, die Nachwuchs gebären.<br />

Helgoland, sagen die Helgoländer, sei der größte Kreißsaal der<br />

Nordsee. 300 Jungtiere erblickten hier jedes Jahr das Licht der Welt.<br />

Ich sehe den Kuscheltieren zu, die reglos neben ihren<br />

Müttern liegen, und denke mir: Oooh, wie süß. Vielleicht<br />

murmele ich das sogar leise vor mich hin, wer kann das<br />

schon wissen. Aber meine Langeweile weicht langsam<br />

der Muße. Ich studiere andere Urlauber, es gibt sie tatsächlich<br />

in dieser Jahreszeit. Viele von ihnen schleichen<br />

gebeugt über den Strand, lange Teleobjektive vor ihren<br />

Gesichtern. Helgoland-Profis. Sie kennen die Insel besser<br />

als ich, wussten von diesem Naturschauspiel, über<br />

das ich zufällig gestolpert bin.<br />

Zurück auf dem Festland am nächsten Tag fragen<br />

mich Freunde und Kollegen, wie es gewesen ist. Es freut<br />

mich, welche Faszination Helgoland bei ihnen hervorruft.<br />

Sie wollen wissen, wie die Überfahrt gewesen ist,<br />

und wirken enttäuscht, als ich von einer gnädigen Nordsee<br />

berichte, An- und Abreise vergleichbar mit einer<br />

Tretbootfahrt auf der Alster. Ich erzähle von den Kegelrobben,<br />

und sie alle reagieren darauf mit einem Ooohwie-süß-Gesichtsausdruck.<br />

Und natürlich wollen sie wissen, was ich da drüben<br />

drei Tage lang angestellt habe. Wo es doch nichts anzustellen<br />

gab. Doch ich erzähle von echtem Terminstress.<br />

Ich hatte viel zu tun. In die Luft starren, zum Beispiel.<br />

Endlich verstehen, wie Möwen so lässig im Wind gleiten.<br />

Und nicht zuletzt die Schafe penetrant anglotzen, um zu<br />

klären, wer dem Blick länger standhält. Gewonnen haben<br />

die Schafe. Sie haben einfach mehr Übung als ich.<br />

Die Kegelrobben<br />

sind Deutschlands<br />

größte Raubtiere.<br />

Auf Helgolands Düne<br />

sollten Urlauber<br />

30 Meter Abstand zu<br />

ihnen halten (links)<br />

Rettungsring der<br />

„Witte Kliff“ (oben).<br />

Das kleine Boot<br />

verbindet Helgoland<br />

mit seiner Düne<br />

EINE WINTERREISE<br />

ANREISE NACH HELGOLAND<br />

eine Ü/DZ/F pro Person ab 82 € pro<br />

Mit dem ICE zum Beispiel nach Hamburg, Person (Leistung 311000).<br />

von dort weiter nach Cuxhaven. Mit Ihrem<br />

Bahn-Ticket können Sie das Schiff direkt HOTEL HELGOLÄNDER KLASSIK****,<br />

mitbuchen. Infos dazu und zum DB-<br />

direkt am Wasser; Sparangebot 7=6 vom<br />

Gepäckservice siehe auch Seite 38, bahn.de<br />

3.1.–31.3.; eine Ü/DZ/F pro Person ab 67 €<br />

pro Person (Leistung 311010).<br />

HOTEL RICKMERS INSULANER****, mit<br />

Blick auf die Nordsee, direkt am Südstrand; Buchung bei Ameropa, Tel. 06172/109-787<br />

Sparangebot 7=6 vom 3.1.–31.3.;<br />

oder auf ameropa.de/dbmobil<br />

DER GRÖSSTE KREISSSAAL<br />

DER NORDSEE. MEHR ALS<br />

High Noon am<br />

Fähranleger<br />

(rechts). Die Uhr<br />

steht still, aber<br />

niemand da, den das<br />

stören könnte<br />

300 ROBBENBABYS WERDEN<br />

HIER JEDES JAHR GEBOREN<br />

36 dbmobil.de<br />

02/2017<br />

37

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