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FREIZEIT<br />
Die ersten Runden laufen gut für mich und Benny, schlecht für<br />
Claudia, die sich deswegen als „ganz armes Mäuschen“ bezeichnet.<br />
Klaus ruht gravitätisch in seinem Korbstuhl, für ihn läuft’s okay.<br />
„Beim Spielen schalte ich ab“, erzählt er, „jedes Spiel ist für mich<br />
wie ein kleiner Urlaub.“ Wenn das Spiel gut ist, versteht sich. Wie<br />
es ausgeht, kümmere ihn hingegen wenig. Nur einmal, als er eingeladen<br />
war, bei der Catan-Weltmeisterschaft gegen die drei Finalisten<br />
anzutreten, wollte Klaus auf keinen Fall Letzter werden. Erster<br />
aber auch nicht, „das hätte doch komisch ausgesehen“. Am Ende<br />
teilte er sich den dritten Platz, und alles war gut.<br />
Ich versuche, mich von seiner Ruhe einfangen zu lassen. Der<br />
Zeitpunkt ist allerdings schlecht dafür. Gerade ist mein Plan gescheitert,<br />
mein einziger: schnell eine Straße bauen. Für mich ist<br />
Spielen immer Stress, zwar wohltuender, wie beim Achterbahnfahren,<br />
aber Stress. Mein Trost: Auch Benny wird langsam nervös. Der<br />
Räuber steht auf seinem produktivsten Feld. Wieder wird die Zehn<br />
gewürfelt, wieder entgehen Benny drei wertvolle Holzkarten. Er<br />
lässt den Kopf auf das Spielfeld sinken.<br />
„Früher war ich ein schlechter Verlierer“, erzählt er. Mit der Zeit<br />
hat er gelernt, „dass es mal ungerecht zugeht, dass es Niederlagen<br />
gibt, dass andere gewinnen“. Unvermittelt meldet sich Klaus zu<br />
Wort: „Beim Spielen zeigt sich, wie ein Mensch wirklich ist.“<br />
Interessant, dass er das erwähnt, denn im Silicon Valley sieht<br />
man das genauso. Reid Hoffman, Mitgründer des Netzwerks<br />
Linked-In, nutzt das Spiel als Psychotest für seine angehenden Führungskräfte.<br />
Er findet, Catan sei die perfekte Simulation echten<br />
Unternehmertums. Er fordere auch seine Businesspartner zu einer<br />
Partie heraus, um Chancen- und Risikokalkül, Empathie und Diplomatie<br />
zu testen und zu schulen. Auch Facebook-Gründer Mark<br />
Zuckerberg ist großer Fan des Spiels, der aber nur zum Spaß.<br />
Der amerikanische Autor Blake Eskin ernannte Catan 2010 zum<br />
Spiel unserer Zeit, das damit Monopoly ablöste. Es repräsentiere<br />
eine Welt mit endlichen Ressourcen und abhängigen Reichtümern<br />
und könne daher als Modell dienen, um zeitgenössische Probleme<br />
wie Handels ungleichgewicht und Klimaveränderung zu lösen.<br />
„Das habe ich alles nicht geplant“, sagt Klaus lächelnd. Er freue sich<br />
aber natürlich, was aus seinem Spiel geworden sei, das am Ende<br />
„einfach ein riesiger Glückstreffer war“.<br />
„ALS KIND KONNTE ICH ALLE<br />
RÖMISCHEN KAISER SAMT<br />
AMTSZEITEN AUFZÄHLEN“<br />
An diesem Tisch im<br />
südhessischen Roßdorf<br />
muss sich jede Erfindung<br />
beweisen, hier werden<br />
alle neuen Spiele getestet.<br />
Bei einer Partie Catan<br />
messen sich (gr. Bild;<br />
v. l.): Benjamin, Claudia<br />
und Klaus Teuber sowie<br />
unser Autor Frederic<br />
Löbnitz. Immer dabei:<br />
Fruchtkaramellen (r.,<br />
Mitte). Sohn Benjamin<br />
kennt das Spiel, seit er<br />
acht Jahre alt ist – es<br />
packt ihn immer noch<br />
(u. l.). „Spielen ist<br />
Urlaub“, sagt Klaus<br />
Teuber. Deshalb: Schuhe<br />
aus! (u. r.)<br />
Eigentlich ist Teuber von Beruf Zahntechniker, wie sein Vater.<br />
In seiner Freizeit nutzte er sein handwerkliches Geschick, um<br />
Brettspiele zu entwickeln. 1988 nahm er eines zur Spielwarenmesse<br />
nach Essen mit. Es heißt „Barbarossa und die Rätselmeister“.<br />
Im selben Jahr wurde es zum „Spiel des Jahres“ gekürt. Klaus bastelte<br />
an weiteren Spielen, lieber als an Zähnen. Inspirieren ließ er<br />
sich von Geschichtsbüchern. „Als Kind konnte ich sämtliche römische<br />
Kaiser samt Amtszeiten hintereinander aufzählen. Ich wollte<br />
Geschichte spielbar machen.“ Mitte der Neunziger hatten es ihm<br />
die Wikinger angetan. „Aufbruch ins Ungewisse, der Aufbau neuer<br />
Welten, das faszinierte mich ungemein. Die wenigsten Wikinger<br />
waren ja irgendwelche Mordbanden, das waren ganz normale Bauern.<br />
Was machten die? Holz fällen, um ihre Schiffe zu bauen, Getreide<br />
anbauen, um sich zu ernähren.“<br />
Die ganze Familie tüftelte mit. Klaus dachte sich die Regeln aus,<br />
Guido, der ältere Sohn, der mittlerweile die Teuber-Geschäfte in<br />
den USA betreut, bemalte die Karten. Benny, damals acht Jahre alt,<br />
klebte Holzklötze zu kleinen Figuren zusammen. Allabendlich probierte<br />
Klaus seine neue Erfindung im Kreise der Familie aus. Benny<br />
brachte immer ein Micky-Maus-Heft an den Spieltisch mit. Langweilte<br />
er sich, fing er an, darin zu blättern. Dann wusste Klaus, dass<br />
er das Spiel noch spannender machen musste. Bis das Heft vom<br />
Tisch verschwand.<br />
Oberster Anspruch an ein Spiel müsse immer der Spaß sein, finden<br />
Teuber und Sohn. „Dafür braucht ein gutes Spiel unbedingt<br />
eine Glückskomponente“, weiß Klaus, sonst sei es Sport. „Außerdem<br />
Konfliktpotenzial“, ergänzt Benny, „ein Dilemma, eine Not.<br />
Man muss drei Optionen haben, Ressourcen aber nur für eine davon.“<br />
Damit hat er treffend meine Spielsituation beschrieben.<br />
Meinen Stapel Bonbons habe ich inzwischen aufgegessen. Die<br />
Papierchen liegen in geknüllten Kügelchen vor mir, wie meine<br />
Chancen, das Spiel noch zu gewinnen. Klaus hat seine zu kleinen<br />
geometrischen Gebilden gefaltet. Er lächelt, schon die ganze Zeit,<br />
ein Augurenlächeln, als wüsste der Schöpfer von Anfang an um den<br />
Ausgang der Partie. Mit Benny zählt er die Siegpunkte. Jeder der<br />
Teubers hat neun. Ich vier. Das Spiel geht bis zehn. Benny ist an der<br />
Reihe. Mit leuchtenden Augen überblickt er seinen Kartenfächer.<br />
Er rechnet noch einmal nach. Drei Erz, zwei Getreide – das reicht.<br />
Er legt die Karten auf den Tisch und tauscht eine Siedlung gegen<br />
eine Stadt. Das ist der Sieg, nach einer Stunde und zwei Minuten.<br />
Alle lassen sich in ihre Korbstühle fallen, ausgemergelt von der<br />
Anspannung, erholt von der kurzen Weltflucht. „Das Spiel war<br />
48 dbmobil.de 02/2017<br />
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