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REISE<br />
Bevor sie buchen, rufen sie an und fragen:<br />
Gibt’s was Neues bei euch?“<br />
Konnten sie haben, bisher: Jedes Jahr<br />
mehr Komfort. Hier eine neue Gondel mit<br />
Sitzheizung, dort ein neuer Tunnel, durch<br />
den man noch bequemer zum Lift gelangt.<br />
130 Meter, die man im Sommer durch den<br />
Berg fräsen musste. Ischgl ist eine Freizeitmaschine<br />
in den Alpen, die für jedes Bedürfnis<br />
des Skifahrers eine Antwort hat.<br />
Nur, reicht das auch in Zukunft? Andreas<br />
Steibl gibt sich nachdenklich. „Die Leute<br />
wollen zwar Top-Bedingungen, fahren aber<br />
weniger Ski; wenn das Wetter mal schlecht<br />
ist, gehen die nicht mehr auf die Piste. Wir<br />
brauchen hier mehr Alternativen, eine große<br />
Therme oder Wellness-Anlage.“<br />
Die größte Hängebrücke der Welt war<br />
schon in der Diskussion, auch eine stehende<br />
Welle im Tal für Surfer – Prestigeprojekte,<br />
mit denen man die Winterlastigkeit ablegen möchte. Doch das ist<br />
schwer vorstellbar in einem Ort, aus dem viele Einheimische längst<br />
fortgezogen sind, der im Sommer wie eine leere Kulisse wirkt.<br />
Weg vom Ballermann – hin zu mehr Luxus, das ist die Formel,<br />
mit der Ischgl um eine neue Zielgruppe buhlt. Denn mit der demografischen<br />
Entwicklung wächst die Zahl der älteren Skifahrer, die<br />
nicht mehr von morgens bis abends carven und wedeln. Die Gemeinden<br />
überlegen daher, wie sie diese Gäste mit anderen Anreizen<br />
versorgen. Bauen Vinotheken in den Schnee, veranstalten Snow-<br />
Jazz-Festivals und Gourmetsafaris oder setzen auf spektakuläre<br />
Gebäude wie das Café 3440 im Pitztal.<br />
Das alles erscheint wie die künstliche Beatmung von Zielgruppen,<br />
die dem weißen Sport langsam abhanden kommen. Skifahren<br />
verliert an Zugkraft. Weniger junge Leute lernen es, in Deutschland<br />
rangiert der Sport im Ansehen heute unter dem des Angelsports.<br />
Gleichzeitig sind weniger Menschen bereit, die jährlich steigenden<br />
Skipass-Preise mitzutragen. 40 Prozent der Erlöse davon gehen<br />
inzwischen in die künstliche Beschneiung.<br />
ÜBERALL NEUE FAHRRAD-<br />
STRECKEN UND ERLEBNISPARKS<br />
Nicht nur in Ischgl stehen die Zeichen<br />
deshalb auf Umdenken. Auch Konkurrent<br />
Sölden sieht sich gefordert. „Wir müssen<br />
den Sommertourismus stärken, damit wir<br />
nicht mehr so abhängig sind vom Winter“,<br />
hatte Jakob Falkner am Abend nach der<br />
Seilbahneröffnung zugegeben.<br />
Was er meint, ist das Aufrüsten mit anderen<br />
Mitteln. In Sölden hat er bereits die<br />
„Bike-Republik“ ausgerufen und plant ein<br />
Radnetz von 100 Kilometern. Überall entstehen<br />
Downhill-Strecken und „Erlebniswelten“<br />
mit Steilwand-Plattformen und<br />
Hängebrücken. Auf meinem Rückweg aus<br />
Ischgl komme ich im Ötztal an der „Area 47“<br />
vorbei, die im Winter allerdings geschlossen<br />
hat. Der Freizeitpark mit großer Wakeboard-Anlage<br />
wird von Fremdenverkehrsämtern<br />
als Musterbeispiel des<br />
Sommerbetriebs gefeiert, weil die Besucherzahl<br />
jedes Jahr wächst, im zweitstelligen<br />
Prozentbereich.<br />
Die Alpen als Rummelplatz – liegt darin<br />
die Zukunft? Naturschützer warnen vor<br />
Bloß keine Langeweile:<br />
Die „Area 47“<br />
im Ötztal bietet<br />
großes Sommer-<br />
Spektakel – von der<br />
Wassersprungschanze<br />
bis zur Wakeboard-<br />
Rampe (Bild ist eine<br />
Montage)<br />
einer zweiten Welle der Erschließung, welche die Alpen bald überrollen<br />
könnte. Nur: Welche anderen Möglichkeiten habe ich als<br />
Gast, meinen Urlaub in den Bergen zu verbringen? Gibt es noch die<br />
Orte, die auf große Lifte, viele Schneekanonen und Aufmerksamkeitsarchitektur<br />
verzichten?<br />
Als ich von Ischgl zurück durch das Paznauntal fahre, beschleicht<br />
mich ein Gefühl von Melancholie. Vielleicht liegt es daran,<br />
dass die Nadelwälder in den Seitentälern so grau-grün sind und<br />
die weißen Pisten von Ischgl dagegen aussehen wie eine Kunstwelt?<br />
Ich erinnere mich an die Zahl, die der Marketingchef genannt hat.<br />
1100 Schneekanonen, die für Ischgl genau das Produkt herstellen,<br />
das Skifahrer viel Geld wert ist. Der gekaufte Winter.<br />
Nur wenige Alpenorte versuchen, sich dem weißen Wettstreit zu<br />
entziehen. Ich höre von Ramsau bei Berchtesgaden. Eine idyllische<br />
Gemeinde, die vom Alpenverein jüngst mit dem Prädikat „Bergsteigerdorf“<br />
ausgezeichnet wurde (s. Infokasten), weil sie auf Pistenbauten,<br />
Liftanlagen und andere massive Eingriffe in die Bergwelt verzichtet,<br />
dafür Wandern und Schneeschuhgehen fördert.<br />
Es gibt sie also doch noch, die Alpen, die so aussehen wie in Zeiten,<br />
als die Schnee kanone noch nicht erfunden war.<br />
76 dbmobil.de<br />
02/2017<br />
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