Mai 2008 - Lazarus Orden in Deutschland
Mai 2008 - Lazarus Orden in Deutschland
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Streites mit der klappernden W<strong>in</strong>dmühle,<br />
die heute noch <strong>in</strong> Betrieb ist,<br />
kennen, sah durch die Spaliere die<br />
Neuen Kammern und die Muschelgrotte<br />
und bemerkte, wie lange die<br />
„grande tour“ doch dauern würde.<br />
Man verabschiedete sich und das Ehepaar<br />
Barton, das erst am nächsten Tag<br />
se<strong>in</strong>en Flug gebucht hatte, g<strong>in</strong>g weiter<br />
mit.<br />
Der Bau des Neuen Palais wurde von<br />
Friedrich II. angeordnet zu dem<br />
Zweck, die Großmacht Preußens zu<br />
demonstrieren. Obgleich man zu dieser<br />
Zeit (Mitte 18. Jahrh.) schon den<br />
Klassizismus bevorzugte, verharrte der<br />
König auf se<strong>in</strong>em bevorzugten Barock/Rokoko-Stil.<br />
Man war über das<br />
imposante Ausmaß der Schlossanlage<br />
sehr erstaunt. Das 240 m lange Schloss<br />
hat 300 Räume und 322 Fenster. Die<br />
Fassade, oberflächlich <strong>in</strong>takt wirkend,<br />
verbirgt, dass es mit dem Gebäude<br />
exorbitante, nicht sichtbare Probleme<br />
gibt. Aus ästhetischen Gründen hat<br />
man ke<strong>in</strong>e äußerlich sichtbaren Fallrohre<br />
für die Dachentwässerung angebracht.<br />
Die h<strong>in</strong>ter der Fassade verlaufenden<br />
Regenrohre s<strong>in</strong>d längst brüchig<br />
und lassen die Feuchtigkeit <strong>in</strong> das<br />
Mauerwerk sickern. Dazu kommt, dass<br />
auf dem feuchten Grund, auf dem das<br />
Schloss errichtet wurde, Fundamente<br />
aus Sandste<strong>in</strong> verwendet wurden. Und<br />
dieses Material leitet ebenfalls Feuchtigkeit<br />
<strong>in</strong> den Bau.<br />
An der Außenfassade stehen 488<br />
Figuren, von denen erst der kle<strong>in</strong>ere<br />
Teil restauriert wurde. Auf diese Weise<br />
konnten sich unsere Gäste e<strong>in</strong> Bild<br />
davon machen, welche Schäden es<br />
noch <strong>in</strong> Zukunft zu beseitigen gibt.<br />
Aber all das Unangenehme war vergessen,<br />
als wir im Schloss mit sachkundiger<br />
Führung herumg<strong>in</strong>gen. Der hochberühmte<br />
Muschelsaal, den darüber<br />
liegende Festsaal, beide von gewaltigen<br />
Ausmaßen, die vielen prächtigen<br />
Appartements waren so überwältigend,<br />
dass man nur zu gerne die vorher<br />
besprochenen Probleme vergaß.<br />
Zurück im Park besichtigten wir das<br />
bezaubernde Teehaus. Es war <strong>in</strong> der<br />
DDR-Zeit recht herunter gekommen<br />
und wurde mit Geldern aus Japan hervorragend<br />
hergerichtet. Die Figuren<br />
bekamen e<strong>in</strong> neues Blattgoldkleid und<br />
auch das Innere des kle<strong>in</strong>en Hauses ist<br />
wieder wunderschön ausgemalt. Man<br />
bemerkte auch, dass die Figuren zwar<br />
Ch<strong>in</strong>esen darstellen sollten, doch<br />
überaus europäische Gesichtszüge<br />
haben.<br />
Total erschöpft verabschiedeten wir<br />
uns für den nächsten Morgen, denn<br />
das Ehepaar Barton hatte vor, wenigstens<br />
EINEN Blick auf das Berl<strong>in</strong>er<br />
Brandenburger Tor zu werfen. E<strong>in</strong><br />
wenig verspätet g<strong>in</strong>g es dann am<br />
darauf folgenden Tag weiter mit der<br />
<strong>in</strong>teressanten Stadtgeschichte Potsdams.<br />
Wir spazierten durch das Barockviertel<br />
das eigentlich aus klassizistischen<br />
Gebäuden besteht. Unser Ziel<br />
war das berühmte Holländische Viertel<br />
mit se<strong>in</strong>en 128 (von ursprünglich 134)<br />
erhaltenen Häuschen. Die niederländische<br />
Regierung hatte vor e<strong>in</strong>igen<br />
Jahren bedeutende Mittel zur Wiederherstellung<br />
bereit gestellt, so dass man<br />
sich davon überzeugen konnte, wie<br />
rasch es nunmehr mit dem Wiederaufbau<br />
g<strong>in</strong>g. Wir durften sogar e<strong>in</strong>es<br />
der Häuser, <strong>in</strong> dem gerade kräftig<br />
gewerkelt wurde, besichtigen. Bartons<br />
waren angetan von der Sorgfalt, mit<br />
der man mit der historischen Substanz<br />
umgeht. Alles, was irgendwie zu retten<br />
ist, wird erhalten: Türen und deren<br />
Zubehör, Fenstergriffe, Kam<strong>in</strong>e, Bemalungen,<br />
historische Treppen usw.<br />
Nur noch etwas Zeit und das Viertel,<br />
das e<strong>in</strong>zige Ensemble <strong>in</strong> dieser Geschlossenheit,<br />
wird wieder hergestellt<br />
se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Verschnaufpause legten<br />
wir e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>em Cafe-Restaurant<br />
„<strong>Mai</strong>son de Chocolat“, das mit französisch<br />
ausgerichteter Küche, wunderbaren<br />
Kuchen und e<strong>in</strong>er Schokolade, <strong>in</strong><br />
der der Löffel steht, e<strong>in</strong>lädt.<br />
So gestärkt konnten wir langsam den<br />
Rückweg antreten. Wir wollten unseren<br />
Gästen das neue Potsdam nicht<br />
vorenthalten und spazierten über den<br />
Bass<strong>in</strong>platz, auf dem, wie <strong>in</strong> früheren<br />
Zeiten Markt abgehalten wird. Durch<br />
die Schluchten hässlicher Plattenbauen<br />
<strong>in</strong> sozialistischer Architektur, an der<br />
der Zahn der Zeit schon heftig nagt,<br />
g<strong>in</strong>g es nur zur Sch<strong>in</strong>kel´schen Nikolaikirche.<br />
Die Kuppel des mächtigen<br />
Gotteshauses hielt dem heftigen Bombardement<br />
im April 1945 stand, denn<br />
alle Geschosse rutschten von der Kuppel<br />
ab, ohne sie zu beschädigen. Erst<br />
die Soldaten der roten Armee gaben<br />
ihr den Rest. Im Innern ist die Kirche<br />
sehr schön wiederhergestellt im<br />
ursprünglichen Nazarener-Stil. Es gab<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der Seitenräume e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e<br />
Ausstellung, die den Wiederaufbau<br />
und den Stand der Restaurierungsarbeiten<br />
dokumentiert. Auch hier ist viel<br />
zu tun, nur langsam gehen die D<strong>in</strong>ge<br />
voran, denn es mangelt an den nötigen<br />
F<strong>in</strong>anzmitteln.<br />
Gegenüber der Nikolaikirche steht<br />
das wieder erbaute Fortune-Portal des<br />
Stadtschlosses. Dieser Bau war 1945<br />
ausgebrannt. Ich kann mich noch gut<br />
an die gewaltige Ru<strong>in</strong>e er<strong>in</strong>nern. 1960<br />
wurde dieses Denkmal monarchistischen<br />
Größenwahns abgerissen. Man<br />
hatte all die Jahrzehnte ke<strong>in</strong>e Idee, wie<br />
die kolossale <strong>in</strong>nerstädtische Brache zu<br />
füllen sei. Immerh<strong>in</strong> hat man sich<br />
nunmehr dazu entschlossen, wenigsten<br />
die Fundamente frei zu legen. Man<br />
plant, auch dieses Schloss wieder aufzubauen,<br />
denn viele wertvolle Bauteile<br />
hat man gesichert und e<strong>in</strong>gelagert.<br />
Beim Weg <strong>in</strong> das Hotel, denn nun<br />
war die Führung zu Ende, erzählte<br />
Confrater Barton, wie sie doch sehr<br />
verwundert seien, dass es so viel Historisches<br />
zu sehen gäbe. In den Medien<br />
wurde stets berichtet, <strong>Deutschland</strong> sei<br />
nach dem II. Weltkrieg völlig platt<br />
gemacht worden. Und nun dieses. Man<br />
hat beschlossen, es nicht bei dieser ersten<br />
Stippvisite zu belassen, sondern<br />
unser Land auf die Liste der Länder<br />
zusetzen, die es zu besuchen lohnt.<br />
E<strong>in</strong> segensreicher Beitrag zur Völkerverständigung.<br />
Barbara Sambale, DLJ<br />
16 <strong>Lazarus</strong> Journal