COMPACT-Magazin 11-2016
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>COMPACT</strong> Leben<br />
exorbitant teuer. Klar war bald, das dieses Fluggerät<br />
mit den Stummelflügeln nur im Prinzip flog – und<br />
zwar, konstruktionsbedingt, je schneller, desto stabiler.<br />
Unklar war freilich, ob es auch Waffen tragen<br />
konnte, was man von einem Abfangjäger eigentlich<br />
verlangen sollte. Als sich aber kluge und auch tapfere<br />
Piloten an ihre Weltkriegseinsätze zu erinnern begannen,<br />
stellten sie fest, dass es zuletzt absolut üblich<br />
gewesen war, Jagdflugzeuge auch Bomben abwerfen<br />
zu lassen, etwa die Focke-Wulf 190.<br />
Nun ist es normalerweise so, dass von Kriegswaffen<br />
eine tödliche Gefahr für den Feind ausgehen sollte.<br />
Beim Starfighter war dies nicht der Fall, da es zum<br />
Glück zu seinen Lebzeiten keine kriegerische Auseinandersetzung<br />
in Europa gab. Doch nicht nur das:<br />
Bei ihm war es nachgerade umgekehrt. Der schwerversehrte<br />
ehemalige Jagdflieger Johannes Steinhoff,<br />
der es später noch bis zum Luftwaffeninspekteur<br />
bringen sollte, urteilte: «Der Starfighter ist ein<br />
technisches Wunder, ein Fernlenkgeschoss mit Steuermann,<br />
das steil in die Höhe schießt, mit doppelter<br />
Schallgeschwindigkeit fliegt – gefährlich für jeden<br />
Piloten, der nicht aufpasst.» Dass das so nicht ganz<br />
stimmte, sollte sich bald erweisen: Der Starfighter<br />
war auch für Piloten lebensgefährlich, die voll konzentriert<br />
und erfahren waren. Insgesamt stürzten 269<br />
Fluggeräte ab. <strong>11</strong>6 Luftwaffenangehörige kamen dabei<br />
ums Leben. Der Volksmund bespöttelte den Vogel<br />
als Witwenmacher.<br />
Beim Starfighter und seiner Anschaffung von einem<br />
Skandal zu sprechen, ist schon wegen dieser<br />
Ereignisse eine milde Einschätzung. Alsbald kam<br />
also die Frage auf, wer diese Entscheidung getroffen<br />
hatte. Es war Franz Josef Strauß, der Verteidigungsminister<br />
und CSU-Vorsitzende. Doch warum?<br />
Geld stinkt nicht<br />
Auch das Starfighter-Geschäft hat eine Vorgeschichte<br />
mit immens politischem Hintergrund:<br />
Um den bundesdeutschen Auftrag konkurrierte neben<br />
dem Starfighter, der den Atlantikern in Bonn gefiel,<br />
die Mirage der Firma Dassault aus dem benachbarten<br />
Frankreich – eine europäische Lösung, wenn<br />
man so will. Strauß schwankte zunächst und schien<br />
für das Angebot aus Paris zu optionieren, doch er erhielt<br />
Widerspruch aus der jungen deutschen Luftwaffe.<br />
Diese besaß ein paar vor der Verschrottung gerettete<br />
amerikanische F86-Kampfjets – und sonst nicht<br />
viel. Dementsprechend eng war die Einflussnahme<br />
aus Washington.<br />
wurde seinerzeit nichts aufgedeckt, obwohl beide<br />
Konkurrenten im Bonner Königshof ihre einschlägigen<br />
Hauptquartiere installiert hatten. Doch was in der<br />
Bundeshauptstadt nur hinter vorgehaltener Hand gemunkelt<br />
wurde, machte der US-Senat nach einer einschlägigen<br />
Untersuchung 20 Jahre später öffentlich:<br />
Er bezichtigte Lockheed, Schmiergelder in Millionenhöhe<br />
an «befreundete Regierungen» gezahlt zu haben.<br />
Insgesamt stürzten 269 Starfighter<br />
ab, <strong>11</strong>6 Piloten kamen ums Leben.<br />
Hinzuzufügen wäre: Die Franzosen hatten es den<br />
konkurrierenden Amerikanern allzu einfach gemacht.<br />
Paris ließ in den 1950er Jahren keine Gelegenheit<br />
aus, die NATO-Strukturen zu boykottieren, und schon<br />
1954, als die Europäische Verteidigungsgemeinschaft<br />
auf der politischen Agenda stand, hatten sie<br />
das Projekt platzen lassen. Bonn hing bei solcherlei<br />
Verhalten trotz guten Willens förmlich in der Luft und<br />
sah keinen anderen Weg, als sich an Washington anzulehnen.<br />
Obwohl sich dann ganz am Ende des Jahrzehnts<br />
die Dinge zwischen Deutschland und Frankreich<br />
– nicht zuletzt aufgrund der etwas skurrilen<br />
Freundschaft zwischen den beiden alten Männern<br />
Konrad Adenauer und Charles de Gaulle – zum Besseren<br />
wandten, war der Zug mit der Kampfjet-Beschaffung<br />
schon abgefahren.<br />
Ehrenkompanie der Bundeswehr tritt 1960 zum Empfang eines<br />
belgischen Generals an. Foto: picture alliance / Wolfgang Hub<br />
Drang nach Atomwaffen<br />
«Geradezu schicksalhaft für<br />
viele Starfighter-Piloten wurde<br />
(…) der Beschluss der NATO im<br />
Jahr 1959: Danach sollten auch<br />
einige derjenigen europäischen<br />
Bündnispartner, die keine Atommächte<br />
waren, mit Nuklearwaffen<br />
ausgerüstet werden. Strauß<br />
sah die Chance einer bundesdeutschen<br />
Atombomberflotte.<br />
Und er war geplagt von der<br />
Sorge, die NATO könnte ihren<br />
Beschluss revidieren.<br />
Eile war also geboten. Statt<br />
Umschau zu halten nach einem<br />
passenden Bombertyp und in<br />
weitere, womöglich jahrelange<br />
Kaufverhandlungen einzusteigen,<br />
ließ er den Starfighter zu<br />
einem Universalflugzeug umrüsten,<br />
das nicht nur abfangen,<br />
sondern auch angreifen können<br />
sollte.<br />
Tatsächlich standen damals<br />
in jedem der fünf F-104-G-<br />
Geschwader in der Bundesrepublik<br />
jeweils sechs vollgetankte<br />
Jets mit einer Atombombe am<br />
Rumpf – unter US-Aufsicht. »<br />
(welt.de, 14.1.2015)<br />
Die Entscheidung für den Starfighter beruhte<br />
nach ersten Erkenntnissen auf Beeinflussung unter<br />
Vorspiegelung falscher Tatsachen und schien deswegen<br />
zunächst keine Bestechungsangelegenheit<br />
im primitiven geldlichen Sinne zu sein. Jedenfalls<br />
59