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COMPACT-Magazin 11-2016

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<strong>COMPACT</strong> Leben<br />

Harzheims Klassiker_ Cyankali<br />

_ Harald Harzheim ist der Filmexperte<br />

bei <strong>COMPACT</strong>.<br />

Grete Mosheim (1905–1986)<br />

gehörte zu den bekanntesten deutschen<br />

Schauspielerinnen der Zwischenkriegszeit.<br />

Foto: picture-alliance<br />

/ akg-images<br />

Im Kino der Weimarer Republik tobte ein Streit<br />

um den Paragrafen 218 (Abtreibungsverbot): Für dessen<br />

Beibehaltung warb das Melodram Kinderseelen<br />

klagen euch an (1927), seine Beseitigung forderten<br />

der Kreuzzug des Weibes (1926) oder Frauennot<br />

– Frauenglück (1929), für dessen Schnitt unter<br />

anderem Sergej Eisenstein verantwortlich zeichnete.<br />

Das Meisterstück dieser Zelluloidschlacht war jedoch<br />

Hans Tintners Cyankali (1930), auf dem gleichnamigen<br />

Drama von Friedrich Wolf basierend. Inspiriert<br />

von einem realen Vorfall, hatte der Autor damit<br />

einen Theaterskandal verursacht. Story: Das Berliner<br />

Proletariermädchen Hete ist schwanger. Kurz darauf<br />

verliert sie die Arbeit, und ihr Verlobter wandert wegen<br />

Hungerdiebstahls in den Knast.<br />

Die Unglückliche muss das Gift<br />

trinken.<br />

Die Verzweifelte bittet ihren Arzt um Abtreibung:<br />

Sie könne das Kind nicht ernähren. Der verweigert<br />

den Eingriff mit Hinweis auf Paragraf 218. Hete konsultiert<br />

eine «Engelmacherin», die die Schwangere<br />

schwer verletzt. Hohes Fieber überkommt sie. Die<br />

Mutter reicht ihr das von der «Engelmacherin» verordnete<br />

Zyankali – allerdings in falscher Dosierung,<br />

so dass Hete an Vergiftung stirbt.<br />

Der furchtbare Blick der fiebrigen Hete, als die Mutter<br />

ihr das Glas reicht (Foto): Augen voller Angst und<br />

Elend. Sie verraten ihre furchtbare Ahnung, dass die<br />

alte Mutter falsch dosiert haben könnte: die Befürchtung,<br />

dass sie sterben wird, dass ihr junges Leben bald<br />

schon vorbei ist. Und doch hat die Unglückliche keine<br />

Wahl: Sie muss das Gift trinken. Eine Glanzleistung<br />

des damals 25-jährigen Theaterstars Grete Mosheim.<br />

Was das Grauen noch verstärkt: Es ist ein Stummfilm,<br />

fast. Erst am Schluss, bei den letzten Sätzen der<br />

Sterbenskranken, setzt plötzlich Ton ein. Ein Mensch,<br />

den zu Lebzeiten keiner hörte, erhält erst auf dem Totenbett<br />

seine Stimme. Noch beklemmender als der<br />

Film, der zensiert und bald verboten wurde, liest sich<br />

das Schicksal seiner Macher: Grete Mosheim floh<br />

1933 aus Deutschland, Regisseur Hans Tintner wurde<br />

1942 in Auschwitz ermordet.<br />

Cyankali, lange Zeit eine Rarität, ist jetzt endlich<br />

auf DVD erhältlich.<br />

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