COMPACT-Magazin 11-2016
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>COMPACT</strong> Leben<br />
BRD-Sprech _ Aufmarsch<br />
offenkundige semantische Unangemessenheit als<br />
Kampfsprache offenbart, die auch von Journalisten<br />
bedenkenlos gebraucht wird – also von Menschen,<br />
die ihr Berufsethos, zu dem auch treffender, nicht irreführender<br />
Sprachgebrauch gehört, auf diese Weise<br />
mit Füßen treten.<br />
Nicht immer ist es der böse Wille, um des vermeintlich<br />
guten Zwecks willen das Publikum zu täuschen,<br />
der den Autoren die Feder führt. Oft genug ist<br />
es schiere Angst: In einem Umfeld, in dem erwartet<br />
wird, dass man über Angehörige bestimmter politischer<br />
Richtungen grundsätzlich in einer diffamierenden<br />
Sprache schreibt, macht sich ein Journalist, der<br />
auch in solchen Zusammenhängen einfach saubere<br />
Arbeit leistet, von vornherein verdächtig, womöglich<br />
ein Sympathisant der betreffenden Richtung zu sein.<br />
64<br />
Der jährliche Marsch für das Leben<br />
ist Ziel linksradikaler Störer. Foto:<br />
picture alliance / Geisler-Fotopress<br />
Verlag Antaios, 240 Seiten, gebunden,<br />
22,00 Euro (Bestellung über<br />
antaios.de). Foto: Verlag<br />
_ Manfred Kleine-Hartlage ist<br />
Publizist und Diplom-Sozialwissenschaftler.<br />
Wenn in den etablierten Medien das Wort «Aufmarsch»<br />
fällt, kann man sicher sein, dass von einem<br />
Vorgang die Rede ist, den man üblicherweise<br />
eine «Demonstration» nennt und nur dann als «Aufmarsch»<br />
bezeichnet, wenn die Veranstalter der politischen<br />
Rechten angehören. Dabei muss es sich durchaus<br />
nicht um NPD-Anhänger, es kann sich auch um<br />
konservative Christen handeln, die unter Gebeten gegen<br />
Abtreibung demonstrieren. Ebenso wenig spielt<br />
eine Rolle, in welcher Form die jeweilige Demonstration<br />
tatsächlich stattfindet. Das Wort «Aufmarsch»<br />
suggeriert, dass sich hier uniformierte und gestiefelte<br />
Demonstranten in geschlossenen Marschblöcken<br />
als Bürgerkriegstruppe im Wartestand präsentieren<br />
und ihre Gewaltbereitschaft zur Schau tragen: eine<br />
Beschreibung, die auf die spärlich besuchten Kundgebungen<br />
gerade der äußersten Rechten in der Regel<br />
nicht zutrifft (schon gar nicht auf die christlicher Lebensschützer),<br />
wohl aber auf die Gegendemonstrationen,<br />
insbesondere die des sogenannten Schwarzen<br />
Blocks, der sich in der Tat als Bürgerkriegstruppe<br />
in Szene setzt – freilich ohne dass seine Demonstrationen<br />
deswegen mit dem treffenden Wort «Aufmarsch»<br />
bezeichnet würden.<br />
Das Kartell zwischen Medien, Politik und extremen<br />
Linken spiegelt sich in der Uniformität des verwendeten<br />
Vokabulars, das sich gerade durch seine<br />
Es handelt sich um einen Gesslerhutbegriff, das<br />
heißt, um ein Wort, das man benutzt, um die Unterwerfung<br />
unter bestimmte Loyalitätserwartungen zu<br />
demonstrieren. Charakteristisch für solche Begriffe<br />
ist, dass ihr Nichtgebrauch in Zusammenhängen, wo<br />
ihr Gebrauch erwartet wird, als Indiz für eine oppositionelle<br />
Gesinnung gewertet wird. Es ist dies einer<br />
der Mechanismen, mit denen die Freiheitsgarantien<br />
des liberalen Rechtsstaates entwertet und umgangen<br />
werden.<br />
Der Begriff ist gegen die Rechte<br />
gemünzt, träfe aber eher auf die<br />
linken Gegendemonstranten zu.<br />
Offiziell ist es niemandem verboten, eine Demonstration<br />
etwa der NPD als «Demonstration» und<br />
eben nicht als «Aufmarsch» zu bezeichnen – dies allerdings<br />
in demselben Sinne, in dem es vor achtzig<br />
Jahren auch niemandem offiziell verboten war, «Guten<br />
Tag» statt «Heil Hitler» zu sagen. Um die vielbeschworene<br />
Zivilcourage, das heißt, um die Bereitschaft<br />
zu demonstrativer Illoyalität gegenüber illegitimen<br />
Erwartungen von Machthabern, ist es in der<br />
heutigen BRD kaum besser bestellt als unter Hitler<br />
– eher schlechter, wenn man bedenkt, dass der<br />
heutige Staat bei Weitem nicht über die totalitären<br />
Zwangsmittel des damaligen verfügt – die klebrige<br />
Mischung aus ideologischer Verblendung, Konformismus,<br />
Bequemlichkeit und Feigheit aber mindestens<br />
ebenso weit verbreitet ist und nicht durch die<br />
Furcht vor Konzentrationslagern entschuldigt werden<br />
kann.