Schmerztherapie 2/2007 - Schmerz Therapie Deutsche Gesellschaft ...
Schmerztherapie 2/2007 - Schmerz Therapie Deutsche Gesellschaft ...
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SCHMERZTHERAPIE<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> e. V. – DGS<br />
23. Jahrgang <strong>2007</strong> Ehemals StK<br />
Inhalt<br />
Editorial<br />
Geht´s Ihnen auch gut? ................. 2<br />
Myofasziales <strong>Schmerz</strong>syndrom<br />
Der Genitalschmerz – genital,<br />
perineal oder myofaszial? ............. 3<br />
Regionalblockaden<br />
Infiltration der Triggerpunkte des<br />
M. piriformis .................................. 5<br />
DGS-Veranstaltungen/Interna .... 7<br />
Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>tag <strong>2007</strong><br />
Der Patient im Mittelpunkt ............. 8<br />
Onkologie<br />
Update: <strong>Therapie</strong> von Tumorschmerzen<br />
................................... 12<br />
Palliativmedizin<br />
Die neue spezialisierte ambulante<br />
Palliativversorgung ...................... 17<br />
Was kostet die Versorgung am<br />
Lebensende? ............................... 19<br />
Infotelegramm/Internationale<br />
Presse ........................................ 21<br />
<strong>Schmerz</strong>behandlung und DRG<br />
Finanzierung stationärer <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
und Palliativmedizin ....... 22<br />
Medizin und Recht<br />
Endgültiges Aus für die Erstattung<br />
von Cannabinol auf Kosten der<br />
GKV? ........................................... 24<br />
Bücherecke ................................ 26<br />
Kasuistik<br />
Postzosterneuralgie......................27<br />
www.dgschmerztherapie.de<br />
ISSN 1613-9968<br />
2I<strong>2007</strong><br />
Gesundheitsreform − kalte<br />
Dusche für <strong>Schmerz</strong>patienten
Editorial<br />
Geht’s Ihnen auch gut?<br />
1,67 Milliarden Euro Überschuss<br />
haben die gesetzlichen Krankenversicherungen<br />
im Jahr 005 erzielt,<br />
im Jahr 006 gar 1,73 Milliarden.<br />
Ohne Zweifel geht es den<br />
gesetzlichen Krankenkassen gut.<br />
Sinkende Arbeitslosenzahlen, Leistungseinschränkungen<br />
in dem Katalog<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
wie auch Ihre eigenen<br />
anhaltenden Sparbemühungen bei<br />
der Verordnung von Medikamenten<br />
haben zu satten Überschüssen<br />
in der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
geführt. Damit waren<br />
nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums<br />
Ende 006<br />
189 der 50 Kassen schuldenfrei.<br />
Sind Sie selbst es auch?<br />
Ärzte subventionieren<br />
Gesundheitssystem weiter<br />
Jahrelang wurde Ärzten die kalkulatorisch<br />
für richtig erachtete Honorierung<br />
von 71,00 Euro/Stunde (basierend<br />
auf einem Punktwert von 5,11<br />
Cent) verweigert mit dem Hinweis,<br />
dies wäre nicht bezahlbar. Damit<br />
liegt der Stundensatz von Ärzten<br />
vielerorts nicht einmal bei der Hälfte<br />
dessen, was Flaschner, Elektriker<br />
oder EDV-Spezialisten, die wir immer<br />
wieder in unseren Praxen brauchen,<br />
selbstverständlich erhalten.<br />
Nicht mit eingerechnet hierbei sind<br />
die 30% und mehr Arbeit, die Ärzte<br />
nach Erschöpfen ihres Budgets auf<br />
eigene Rechnung und Kosten erbringen.<br />
Obwohl Ärzte im geltenden<br />
Antidiskriminierungsgesetz nicht expressis<br />
verbis erwähnt sind, entspricht<br />
dies ohne Zweifel dem Tatbestand<br />
der Diskriminierung, wenn die<br />
Leistung eines ganzen Berufsstandes<br />
derart herabgewürdigt wird.<br />
Dass Machwerke wie das „Ärztehasser<br />
Buch“ auf diesem Boden eine<br />
breite Medienresonanz finden, ist<br />
nur eine der Folgen.<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> light?<br />
Unter dem Eindruck leerer Kassen<br />
wurde im EBM 2000plus und in der<br />
d a z u g e h ö r i g e n<br />
Q u a l i t ä t s s i c h e -<br />
rungsvereinbarung<br />
nach § 135 Abs. 2<br />
SGB V der besondere<br />
Aufwand der<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
bei schwerstchronifizierten<br />
Patienten<br />
bekanntermaßen<br />
Gerhard Müller-<br />
Schwefe, Göppingen<br />
mit einem nicht einmal annähernd kostendeckenden<br />
Betrag abgebildet. Diejenigen Kassenärztlichen<br />
Vereinigungen, die diese Regelung<br />
1:1 umgesetzt haben, nahmen in Kauf,<br />
dass viele qualifizierte <strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />
sich anderen Aufgaben aus ihrem ursprünglichen<br />
Fachgebiet wieder zugewandt haben<br />
und nicht mehr für die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> zur<br />
Verfügung stehen. Bereits mit Einführung<br />
der Qualitätssicherungsvereinbarung zur<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> hat die <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />
für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> e. V. moniert, dass<br />
die in § 5 Abs. 7 SGB V definierte Beschränkung<br />
schmerztherapeutischer Behandlung<br />
nach dieser Vereinbarung den Zeitraum von<br />
zwei Jahren nicht überschreiten soll. Hier wird<br />
einmal mehr deutlich, dass die Vertragspartner,<br />
die diese Vereinbarung abgeschlossen<br />
haben, Situation und <strong>Therapie</strong>notwendigkeit<br />
chronisch schmerzkranker Patienten zu keinem<br />
Zeitpunkt richtig einschätzen konnten.<br />
Patienten und Ärzte stehen<br />
im Regen<br />
Zwei Jahre nach Inkrafttreten des EBM<br />
2000plus und der dazugehörigen Qualitätssicherungsvereinbarung<br />
wird diese Regelung<br />
jetzt von einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen<br />
„scharfgeschaltet“. Die Konsequenzen<br />
sind klar:<br />
1. Ein massiver Mehraufwand für schmerztherapeutisch<br />
tätige Ärzte, die ihren Kassenärztlichen<br />
Vereinigungen Patienten auflisten sollen,<br />
die zwei Jahre in schmerztherapeutischer<br />
Behandlung sind und länger dieser Behandlung<br />
bedürfen – mit einer entsprechenden<br />
Begründung. Der Vorstand der Kassenärztlichen<br />
Vereinigung (z. B. Nordrhein) leidet offensichtlich<br />
an Arbeitsmangel und möchte<br />
sich dann mit diesem Vorgang beschäftigen<br />
und entscheiden, welche Patienten nach der<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>-Qualitätssicherungsvereinbarung<br />
weiterhin in schmerztherapeutischer<br />
Behandlung bleiben<br />
können. Man stelle sich vor, ähnliches<br />
Vorgehen würde auch bei<br />
Diabetikern und Rheumatikern<br />
eingeführt und Vorstände von<br />
Kassenärztlichen Vereinigungen<br />
müssten entscheiden, wer nach<br />
Ablauf von zwei Jahren weiterhin<br />
zum Diabetologen oder Rheumatologen<br />
gehen kann …<br />
2. <strong>Schmerz</strong>patienten, die im Rahmen<br />
dieser Vereinbarung eine für<br />
sie hilfreiche <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> gefunden<br />
haben, stehen plötzlich<br />
im Regen. Zahlreiche Schreiben<br />
von Patienten an die <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Schmerz</strong>liga belegen, dass die<br />
Weiterbehandlung durch Hausärzte<br />
gerade nicht gewährleistet<br />
ist, da diese mit Hinweis auf die<br />
teuren Medikamentenverordnungen<br />
und Budgetgrenzen eine<br />
Weiterbehandlung verweigern. So<br />
schreibt zum Beispiel eine Patientin<br />
aus Nürnberg am 31.03.<strong>2007</strong>:<br />
„Mein Hausarzt ist nicht in der<br />
Lage, mich als chronische<br />
<strong>Schmerz</strong>patientin zu behandeln,<br />
da, was mir auch einleuchtet, sein<br />
Budget für eine solch teure Be-<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. / 007 ( 3. Jg.)
handlung im Hinblick auf seine übrigen Patienten<br />
nicht ausreicht.“ „Kluge“ Kassenärztliche<br />
Vereinigungen haben die Durchführung<br />
dieser Regelung aus gutem Grund ausgesetzt.<br />
Prävention und <strong>Therapie</strong> statt<br />
Wellness<br />
Für die oben zitierte Patientin wie auch für<br />
viele andere wäre es wichtiger, eine für sie<br />
effektive <strong>Therapie</strong> auch langfristig zu erhalten,<br />
als von ihrer Krankenkasse Zuschüsse<br />
für Wellness-Angebote auf Mallorca offeriert<br />
zu bekommen. Die verfehlte Gesundheits-<br />
und Vergütungspolitik trägt bereits umfassende<br />
Früchte: Nur jeder zweite Absolvent<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. / 007 ( 3. Jg.)<br />
eines Medizinstudiums möchte wirklich ärztlich<br />
in der Versorgung von Patienten tätig<br />
werden. In weiten Teilen Deutschlands – nicht<br />
nur in den neuen Bundesländern – sind vakante<br />
Arztsitze nicht mehr zu besetzen.<br />
Gesundheitspolitik – Thema des<br />
<strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>tages <strong>2007</strong><br />
Viele dieser gesundheitspolitischen Probleme<br />
waren Inhalte von Vorträgen und Workshops<br />
während des <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>tages <strong>2007</strong>.<br />
Einen Teil davon finden Sie in dieser Ausgabe<br />
der SCHMERZTHERAPIE wiedergegeben,<br />
darüber hinaus viele Aspekte schmerztherapeutischer<br />
Diagnostik und <strong>Therapie</strong>.<br />
Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektü-<br />
Der Genitalschmerz – genital,<br />
perineal oder myofaszial?<br />
Hartnäckige Beschwerden im Urogenitalbereich ohne pathologische Befunde<br />
sind oft myofasziale Kettensyndrome, bei denen der Projektionsschmerz<br />
typischerweise in andere Körperregionen ausstrahlt. Anhand<br />
einer eindrucksvollen Kasuistik schildert Dr. med. Olaf Günther, Magdeburg,<br />
Vizepräsident der DGS, das diagnostische und therapeutische<br />
Vorgehen beim myofaszialen <strong>Schmerz</strong>syndrom.<br />
<strong>Schmerz</strong>en im Genitalbereich führen Frauen<br />
in erster Linie zum Frauenarzt und<br />
Männer zum Urologen. Am häufigsten werden<br />
dabei entzündliche Erkrankungen, deren Folgezustände<br />
oder mechanische Störungen diagnostiziert,<br />
z.B. nach operativen Eingriffen<br />
Tabelle 1: Differenzialdiagnosen (Auswahl)<br />
Genese Diagnose<br />
Entzündlich Adnexitis<br />
Appendizitis<br />
Endometritis<br />
Zystitis<br />
Epididymitis<br />
Prostatitis<br />
Mechanisch/ Adhäsionen<br />
postoperativ Granulome<br />
Irritationen, z.B. des Nervus<br />
ilioinguinalis oder Nervus genitofemoralis<br />
Chronisches Prostataschmerzsyndrom<br />
Prostatahyperplasie<br />
Endometriose<br />
Pudendus-Tunnel-Syndrom<br />
Tumor<br />
(Tab. 1). Dennoch gibt es eine große Anzahl<br />
von urogenitalen Beschwerden, bei denen bei<br />
der Routineuntersuchung keine äußeren Auffälligkeiten<br />
gefunden werden, die Entzündungsparameter<br />
unauffällig sind und keine<br />
richtungsweisende Erklärung festgestellt wird.<br />
Hierbei durchlaufen die Patienten dann oft einen<br />
langen Diagnoseweg mit teilweise aufwendigen<br />
und unangenehmen Untersuchungen.<br />
Sehr oft findet man in den Krankenakten<br />
dieser Patienten Diagnosen wie chronische<br />
Adnexitis und Appendizitis. Es wird<br />
aber auch eine idiopathische oder psychogene<br />
Genese angenommen.<br />
Fallbeispiel: Eine 27-jährige Patientin, anfänglich<br />
mit spontan auftretendem, ziehendem<br />
stechendem <strong>Schmerz</strong> im Scheideneingang<br />
und intravaginal. Die <strong>Schmerz</strong>attacken<br />
dauern Minuten bis Stunden. Die<br />
<strong>Schmerz</strong>stärke wird mit VAS 5 angegeben.<br />
Die gynäkologische Untersuchung einschließlich<br />
Vulva-Probeexzision war unauffällig. Es<br />
erfolgte eine medikamentöse <strong>Therapie</strong> mit<br />
Paracetamol, Ibuprofen und probatorisch mit<br />
Tramadol, die jedoch zu keiner Besserung<br />
Bildarchiv Olaf Günther<br />
Myofasziales <strong>Schmerz</strong>syndrom<br />
re dieses Heftes und auch Kraft und Energie<br />
für den beginnenden heißen Sommer, um klar<br />
und deutlich gegen die Diskriminierung ärztlicher<br />
Tätigkeit anzugehen, um ihren Beruf<br />
weiterhin mit Freude ausüben zu können.<br />
Darin wird Sie die <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> e. V. mit aller Kraft unterstützen.<br />
Ich grüße Sie herzlich<br />
Ihr<br />
Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> e. V.<br />
Olaf Günther,<br />
Magdeburg<br />
führte. Lediglich warme Bäder brachten Entspannung<br />
und Linderung. Daraufhin wurden<br />
ein MRT, eine Zystoskopie und eine Laparoskopie<br />
(Abb.1) veranlasst. Auch hier zeigten<br />
Abb. 1: Laparoskopie bei unklaren <strong>Schmerz</strong>en<br />
im Genitalbereich.<br />
3
Myofasziales <strong>Schmerz</strong>syndrom<br />
Bildarchiv Olaf Günther<br />
Abb. : Selbstdehnung des M. psoas.<br />
sich keine pathologischen Veränderungen.<br />
Da es in den folgenden Monaten zu einer Zunahme<br />
des <strong>Schmerz</strong>bildes kam und die Patientin<br />
zusätzlich erhebliche <strong>Schmerz</strong>en beim<br />
Geschlechtsverkehr verspürte, wurde sie zur<br />
speziellen <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> überwiesen.<br />
Bei der Vorstellung in unserer <strong>Schmerz</strong>ambulanz<br />
sahen wir eine junge, aufgeschlossene<br />
und sicher auftretende Patientin.<br />
Die Partnerschaft sei harmonisch und die<br />
psychologischen Fragetests ergaben keine<br />
Auffälligkeiten. Anamnestisch gab sie starke<br />
<strong>Schmerz</strong>en beim Koitus und spontane<br />
<strong>Schmerz</strong>en an, insbesondere beim Sitzen<br />
und Aufstehen.<br />
Lokaler Druckschmerz<br />
Die Untersuchung zeigte einen deutlichen<br />
Druckschmerz des M. obturatorius internus,<br />
M. levator ani, einen Druck- und Dehnungsschmerz<br />
des M. psoas rechts und M. quadratus<br />
lumborum rechts. Der M. iliacus dagegen<br />
war nur gering druckschmerzempfindlich. Der<br />
Dehnungstest des M. rectus femoris und der<br />
Adduktoren war ebenfalls positiv. Darüber<br />
hinaus fanden wir eine Seitneigeblockierung<br />
im thorakolumbalen Übergang-Bereich rechts<br />
und eine Seitneigeblockierung L2/3 links. Die<br />
vaginale Untersuchung zeigte einen auffälligen<br />
Druckschmerz im kranialen und mittleren<br />
Drittel der Vagina rechts. Auf weitere Befragung<br />
gab die Patientin an, dass sie früher<br />
intensiv Laufsport betrieben und bis vor eineinhalb<br />
Jahren zweimal wöchentlich getanzt<br />
hätte. Aus beruflichen Gründen musste sie<br />
diese Aktivitäten einstellen. Kurz danach hätten<br />
auch die <strong>Schmerz</strong>en eingesetzt.<br />
Postisometrisches Training und<br />
manuelle Mobilisierung<br />
Es erfolgten eine manuelle Mobilisierung,<br />
eine Unterweisung in postisometrischer Re-<br />
laxation, einer Selbstdehnung der verkürzten<br />
Muskelgruppen (Abb. 2 und 3) und eine medikamentöse<br />
Verordnung von Flupirtin. Darüber<br />
hinaus wurden eine physiotherapeutische<br />
Triggerpunktbehandlung des M. psoas<br />
und eine Triggerpunktinfiltration im M. obturatorius<br />
durchgeführt.<br />
Hierunter kam es in den folgenden<br />
vier Monaten zu einer spürbaren Verbesserung<br />
der <strong>Schmerz</strong>symptomatik. Spontane<br />
<strong>Schmerz</strong>attacken treten nur noch vereinzelt<br />
(ein- bis zweimal im Monat) auf. <strong>Schmerz</strong>en<br />
beim Geschlechtsverkehr sind ebenfalls nur<br />
noch selten.<br />
Diskussion<br />
Myofasziale <strong>Schmerz</strong>syndrome gehören zu<br />
den häufigsten <strong>Schmerz</strong>syndromen überhaupt.<br />
Problematisch hierbei ist, dass die<br />
Muskeln, die zu Spannungsstörungen und<br />
ggf. auch zu Verkürzungen neigen, wozu auch<br />
der M. obturatorius internus, M. iliopsoas und<br />
M. rectus femoris gehören, zu Projektions-<br />
Abb. : M. obturatorius mit Triggerpunkten.<br />
Abb 3: Selbstdehnung des M. rectus femoris.<br />
Bildarchiv Olaf Günther<br />
Bildarchiv Olaf Günther<br />
schmerzen in anderen Körperregionen führen.<br />
Dadurch kommt es oft zu einer Missdeutung<br />
und unzureichender, mit Chronifizierung<br />
einhergehender <strong>Therapie</strong> des Krankheitsbildes.<br />
Alle drei Muskeln sind für den Bewegungsablauf<br />
der Hüftgelenks- und Beinmuskulatur<br />
wichtig. So ist der M. iliopsoas ein<br />
kräftiger Hüftbeuger, der M. rectus femoris<br />
extendiert im Kniegelenk und flexiert im Hüftgelenk,<br />
während der M. obturatorius (Abb. 4)<br />
ein starker Außenrotator am extendierten<br />
Oberschenkel ist, Funktionen, die insbesondere<br />
beim Laufen und Tanzen intensiv beansprucht<br />
werden.<br />
Typisch für ein myofasziales <strong>Schmerz</strong>syndrom<br />
sind brennende, zum Teil sehr heftige<br />
blitzartige, nicht segmentale, in Ruhe<br />
auftretende – besonders nachts – und auf<br />
WHO-Stufe-II- und -III-Opioide nicht ansprechende<br />
<strong>Schmerz</strong>en. Aber auch ein bewegungsunabhängiger<br />
Dauerschmerz kann für<br />
eine muskuläre Ursache sprechen. Eine optimale<br />
<strong>Therapie</strong> setzt eine optimale Diagnose<br />
voraus:Anamnese – Anfassen – Begreifen.<br />
Myofasziale <strong>Schmerz</strong>syndrome sind Kettensyndrome,<br />
das heißt, bei genauer Untersuchung<br />
werden sich immer funktionelle Störungen<br />
in mehreren Muskelgruppen finden,<br />
die zum Ablauf eines Bewegungsmusters<br />
notwendig sind.<br />
Insbesondere beim myofaszialen <strong>Schmerz</strong>syndrom<br />
ist eine multimodale <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
notwendig. Therapeutisch sollten Korrekturen<br />
des muskulären Dysfunktionssyndroms,<br />
aber auch der Einsatz von Muskelrelaxanzien,<br />
Trizyklika und physiotherapeutische<br />
Maßnahmen wie feuchte Wärme, detonisierende<br />
Ströme, neuraltherapeutische und/oder<br />
manualtherapeutische Triggerpunktbehandlungen,<br />
progressive Muskelentspannung und<br />
ggf. psychotherapeutische Interventionen zur<br />
Anwendung kommen.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. / 007 ( 3. Jg.)
Infiltration der Triggerpunkte des M. piriformis<br />
Das M.-piriformis-Syndrom ist durch bizarre, diffus in Kreuz, Leiste und<br />
Perineum ausstrahlende <strong>Schmerz</strong>en charakterisiert und kann mit einer<br />
Infiltrationstherapie des betroffenen Außenrotatorenmuskels gezielt behandelt<br />
werden, schildert der Ehrenpreisträger des <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>preises<br />
<strong>2007</strong>, Dr. med. Danilo Jankovic, DGS-Leiter Köln-Hürth, im folgenden<br />
Beitrag.<br />
Einleitung<br />
Durch die Aktivierung von Triggerpunkten im<br />
M. piriformis („double devil“ – „doppelter Teufel“)<br />
sowie anderen fünf kleinen Außenrotatorenmuskeln<br />
(Mm. gemelus superior, obturatorius<br />
internus, gemelus inferior, obturatorius<br />
externus und M. quadratus femoris) und die<br />
dadurch verursachte Irritation der benachbarten<br />
Nerven entstehen <strong>Schmerz</strong>en mit klassischem<br />
Ausstrahlungsmuster [14]. Der Name<br />
des M. piriformis leitet sich ab vom lateinischen<br />
pirum (Birne) und forma (Form). Der<br />
Muskel erhielt seine Bezeichnung von dem<br />
belgischen Anatom Adrian Spigelius, der im<br />
späten 16. und frühen 17. Jahrhundert lebte.<br />
Anatomie<br />
Der M. piriformis, ein dicker, fleischiger Muskel,<br />
hat seinen Ursprung im Becken an der<br />
Kreuzbeinvorderfläche zwischen den Foramina<br />
sacralia pelvica 1–4 und durchzieht auf<br />
dem Weg zu seiner Insertion am Oberrand<br />
des Trochanter major das Foramen ischiadicum<br />
majus. Diese starre Öffnung wird anterior<br />
und superior vom Os ilium, posterior vom<br />
Ligamentum sacrotuberale und inferior vom<br />
Abb. 1: Anatomie. (1) Foramen ischiadicum majus,<br />
(2) Ligamentum sacrospinale, (3) Ligamentum<br />
sacrotuberale, (4) Foramen ischiadicum minus<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)<br />
Ligamentum sacrospinale gebildet (Abb. 1).<br />
Der M. piriformis wirkt als Außenrotator des<br />
Oberschenkels und unterstützt auch dessen<br />
Abduktion. Die Innervation stammt meistens<br />
vom ersten und zweiten Sakralnerven. Die<br />
nervalen Strukturen im Foramen ischiadicum<br />
majus umfassen: N. glutaeus superior, N.<br />
ischiadicus, N. pudendus mit den Vasae pudendae,<br />
N. glutaeus inferior sowie N. cutaneus<br />
femoris posterior (Abb. 2). Diese Nerven<br />
sind gemeinsam verantwortlich für die Sensibilität<br />
und Funktion aller Glutealmuskeln, für<br />
die sensiblen und motorischen Funktionen im<br />
Perineum sowie für fast die gesamte sensible<br />
und motorische Funktion im rückseitigen<br />
Oberschenkel und in der Wade.<br />
Die wichtigsten Blutgefäße dieser Region<br />
sind: A. glutaealis superior und A. glutaealis<br />
inferior.<br />
<strong>Schmerz</strong>mechanismus<br />
Schon in der Vergangenheit haben zahlreiche<br />
Autoren erkannt, dass eine Kontraktur des M.<br />
piriformis für die Nerven und Gefäße, die durch<br />
das Foramen ischiadicum majus ziehen, einen<br />
Engpass darstellen kann.<br />
Abb. 2: Anatomie. (1) M. piriformis<br />
und benachbarte<br />
Muskeln, Nerven und Gefäße:<br />
(2) M. glutaeus minimus,<br />
(3) M. glutaeus medius,<br />
(4) M. glu-taeus maximus, ( )<br />
M. quadratus femoris, (6) N.<br />
glutaeus superior, (7) N. glutaeus<br />
inferior, (8) N. cutaneus<br />
femoris posterior, (9) A.<br />
glutealis superior, (10) A.<br />
und V. gluteae inferiores,<br />
(11) A. pudenda interna<br />
Originalie<br />
Die darauf folgende<br />
inadäquate Blutversorgung<br />
des<br />
Muskels führt –<br />
durch Akkumulierung<br />
von metabolischenAbbauprodukten,<br />
die normalerweise<br />
durch zirkulierendes<br />
Blut<br />
entsorgt werden – Danilo Jankovic, Köln<br />
zu einem myofaszialen<br />
Übertragungsschmerz sowie öfter zu<br />
einer Blockade des Iliosakralgelenkes.<br />
Symptome<br />
Triggerpunkte im M. piriformis steuern erheblich<br />
zu komplexen myofaszialen <strong>Schmerz</strong>syndromen<br />
im Becken- und Hüftbereich bei. Das<br />
Piriformissyndrom ist häufig durch bizarre,<br />
auf den ersten Blick nicht zusammenhängende<br />
Symptome charakterisiert [11, 14]. Die<br />
Patienten klagen über <strong>Schmerz</strong>en (und Parästhesien)<br />
in Kreuz, Leiste, Perineum, Gesäß,<br />
Hüfte, Rückseite von Ober- und Unterschenkel,<br />
Fuß sowie im Rektum (beim Stuhlgang)<br />
und in der Steißbeingegend.<br />
Manche Autoren vermuten die Kontraktion<br />
des M. piriformis als oft übersehene Ursache<br />
einer Kokzygodynie [2, 13]. Edwards<br />
beschreibt dieses Syndrom als „Neuritis der<br />
Äste des N. ischiadicus“ [11], Te Poorten vermutet<br />
die Beteiligung des N. peroneus [11].<br />
Schwellungen im betroffenen Bein und sexu-<br />
1 2
6<br />
Originalie<br />
elle Funktionsstörungen (Dyspareunie bei<br />
Frauen und Potenzstörungen bei Männern)<br />
sind sehr oft als Begleiterscheinungen vorhanden.<br />
Die Aktivierung und Provokation von<br />
Triggerpunkten im M. piriformis kann durch<br />
folgende Faktoren ausgelöst werden: starke<br />
Belastung, Trauma, längere Ruhigstellung des<br />
Muskels, lange Autofahrten, chronische Infektionen<br />
(Beckenraum, infektiöse Sakroiliitis, Arthritis<br />
des Hüftgelenks), Morton-Anomalie des<br />
Fußes, Körperasymmetrie u. a. [14].<br />
Differenzialdiagnostisch kommen infrage:<br />
„Postlaminektomiesyndrom“, Bandscheibenprolaps,<br />
Kokzygodynie, Facettensyndrom,<br />
Spinalstenose (beidseitiger<br />
<strong>Schmerz</strong>), Sakroiliitis, maligne Neoplasmen,<br />
lokale Infektionen u. a.<br />
Die <strong>Therapie</strong> dieses Syndroms umfasst:<br />
therapeutische Injektionen mit Lokalanästhetika<br />
und Kortikosteroiden [2, 3, 4, 5, 8, 10],<br />
Injektion von Botulinumtoxin [16], osteopathische<br />
Manipulationen [10, 11], intermittierendes<br />
Kühlen und Dehnen [14], korrigierende<br />
Maßnahmen [10, 11, 14], Selbstdehnung<br />
[14], transrektale oder transvaginale Massage<br />
des Muskels [13] und schließlich operative<br />
Dekompression [2, 11, 14].<br />
Dieser Beitrag entstammt dem Buch von Danilo<br />
Jankovic: Regionalblockaden und Infiltrationstherapie<br />
und erfolgt mit freundlicher Genehmigung<br />
des ABW Wissenschaftsverlag. 2004, geb., 444<br />
S., 500 Abb., ISBN 978-3-936072-16-7, 138,00 �,<br />
ABW Verlag, Berlin.<br />
Literatur beim Autor oder im Buch.<br />
Abb. 3: Lagerung zur Injektion (Sims-Position).<br />
Durchführung<br />
Ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten<br />
muss unbedingt erfolgen.<br />
Technik<br />
Die Lagerung wird in Abb. 3 dargestellt.<br />
Lokalisation<br />
Wichtige Orientierungspunkte sind: Trochanter<br />
major und Spina iliaca posterior superior.<br />
Vom Mittelpunkt der Verbindungslinie wird<br />
eine Linie nach medial gezogen und nach 5<br />
cm die Einstichstelle markiert (Abb. 3).<br />
Injektionstechnik<br />
Transgluteale Technik<br />
Die Punktionskanüle wird senkrecht zur Hautoberfläche<br />
eingeführt (Abb. 4). Gewählt wird<br />
ein Reizstrom von 1 mA und 2 Hz bei einer<br />
Reizdauer von 0,1 ms. In einer Tiefe von ca.<br />
6–8 cm kommt es zur Plantar- und Dorsalflexion<br />
des Fußes als Reizantwort des tibialen bzw.<br />
des peronealen Teils des N. ischiadicus. Die<br />
Kanüle wird dann etwas zurückgezogen, bis<br />
zum völligen Verschwinden der Zuckungen.<br />
Nach Aspirationstest erfolgt die Injektion der<br />
Hälfte der vorgesehenen Menge der Injektionslösung.<br />
Die Kanüle wird dann bis zur Subkutis<br />
zurückgezogen und nach lateral in Richtung<br />
des Trochanter major blind vorgeschoben,<br />
um den lateralen Triggerpunkt des Muskels zu<br />
erreichen. Nach Aspiration erfolgt die Injektion<br />
der restlichen Menge der Injektionslösung.<br />
Transgluteale Technik nach Pace<br />
Die Lokalisation der Triggerpunkte des M. piriformis<br />
erfolgt durch transrektale Palpation.<br />
Der palpierende Zeigefinger der linken Hand<br />
dient als Führung für eine 80 mm lange 22-<br />
G-Spinalkanüle, die dorsal transgluteal eingeführt<br />
wird [10, 13]. Der Muskelbauch wird<br />
fächerförmig infiltriert. Diese Methode ist<br />
meistens schmerzhaft und unangenehm für<br />
den Patienten.<br />
Dosierung [2, 4, 5, 6, 10]<br />
5–10 ml Lokalanästhetikum, z. B. 0,5% Procain<br />
oder 0,5% Lidocain.<br />
5–10 ml 0,2% Ropivacain oder 0,08–<br />
0,25% Bupivacain.<br />
Eine Mischung mit 20–40 mg Depot-Kortikosteroid<br />
(z. B. Depot-Methylprednisolon)<br />
wird auch empfohlen.<br />
Erfahrungsgemäß bieten lang wirkende<br />
Lokalanästhetika keine wesentlichen Vorteile<br />
zu kurz wirkenden Lokalanästhetika [2, 6, 14].<br />
Der Patient muss unbedingt darauf hingewiesen<br />
werden, dass es durch Ausbreitung des<br />
Lokalanästhetikums (insbesondere bei lang<br />
wirkenden) im Bereich des N. ischiadicus zu<br />
einem späteren Umknicken des Beines kommen<br />
kann:<br />
Komplikationen<br />
– Nervenschädigungen (eine Injektion des<br />
Kortikosteroids an den N. ischiadicus<br />
muss vermieden werden),<br />
– intravasale Injektion,<br />
– ZNS-Intoxikation,<br />
– Infektion,<br />
– Hämatombildung,<br />
– Rektumperforation (transgluteale Technik<br />
nach intrarektaler Palpation der Triggerpunkte).<br />
Danilo Jankovic, Köln<br />
Abb. 4: TP1 – Die Punktionskanüle wird senkrecht zur Hautoberfläche<br />
eingeführt; TP2 – Zurückziehen der Kanüle, dann Vorschieben<br />
nach lateral in Richtung des Trochanter major.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)
Juni <strong>2007</strong><br />
Weitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die Geschäftsstelle des DGS Oberursel,<br />
Tel.: 0 6171/ 28 60 60 · Fax: 0 6171/ 28 60 69 · E-Mail: info@dgschmerztherapie.de.<br />
Die aktuellsten Informationen zu den Veranstaltungen und den Details finden Sie im Internet unter<br />
www.dgschmerztherapie.de mit der Möglichkeit der Online-Anmeldung.<br />
40-Stunden-Aufbaukurs Palliativmedizin<br />
(Modul 2)<br />
06.06.–10.06.<strong>2007</strong> in Hamburg; Regionales<br />
<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS-Bremen<br />
<strong>Schmerz</strong> und Psychotrauma – EMDR-Hypnose-Traumatherapie<br />
06.06.<strong>2007</strong> in Duisburg; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS-Duisburg<br />
Curriculum Algesiologische Fach-<br />
assistenz – Kursteil 3 – 1. Wochenende<br />
(Veranstaltungsreihe über drei Termine)<br />
08.06.–10.06.<strong>2007</strong> in Mülheim/Ruhr; Geschäftsstelle<br />
DGS<br />
Curriculum Neuraltherapie DAfNA/DGS<br />
diagnostisch-therapeutische Lokalanästhesie und<br />
TENS-Kurs D, Aufbaukurs III (20 Stunden)<br />
09.06.–10.06.<strong>2007</strong> in Speyer; Geschäftsstelle der<br />
DAfNA<br />
Curriculum Psychosomatische Grundversorgung,<br />
2. Wochenende<br />
15.06.–17.06.<strong>2007</strong> in Heidelberg; Geschäftsstelle<br />
DGS<br />
Neuropathischer <strong>Schmerz</strong> – Syndrome und aktuelle<br />
<strong>Therapie</strong><br />
16.06.<strong>2007</strong> in Calw; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS-Calw<br />
Möglichkeiten und Grenzen präoperativer<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
16.06.<strong>2007</strong> in Neustadt; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS-Neustadt Holstein<br />
Myofasziale Lösung mit Akupunktur, TLA und Yoga<br />
16.06.<strong>2007</strong> in Köln; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS-Köln<br />
8. Wiesbadener <strong>Schmerz</strong>tag – Patientenforum<br />
„Rheuma & <strong>Schmerz</strong>”<br />
16.06.<strong>2007</strong> in Wiesbaden; Regionales <strong>Schmerz</strong>-<br />
zentrum DGS-Wiesbaden<br />
Praxissemniar – TENS und Lasertherapie in der<br />
<strong>Schmerz</strong>behandlung<br />
20.06.<strong>2007</strong> in Leipzig; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS-Leipzig<br />
Fußerkrankungen – Konservative und operative<br />
<strong>Therapie</strong>optionen<br />
20.06.<strong>2007</strong> in Gießen; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS-Gießen<br />
Curriculum Spezielle <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>, Teil 1<br />
21.06.–24.06.<strong>2007</strong> in Kassel; Geschäftsstelle DGS<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/200 (23. Jg.)<br />
DGS-Veranstaltungen<br />
<strong>Schmerz</strong>en und endokrine Erkrankungen<br />
21.06.<strong>2007</strong> in Bad Säckingen; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS-Bad Säckingen<br />
Zervikalsyndrom / KISS / Orofaziales Syndrom<br />
22.06.–24.06.<strong>2007</strong> in Rostock; GGMM e.V.<br />
Curriculum Palliativmedizin – Modul 3 für Ärzte<br />
27.06.–01.07.<strong>2007</strong> in Wiesbaden; Regionales<br />
<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS-Wiesbaden<br />
Qualifikation Schwerpunkt<br />
Palliativmedizin<br />
Alexandra Milutin-Lanzi, Ingolstadt<br />
Qualifikation Algesiologe DGS/<br />
DgfA<br />
Dr. med. Peter Beckers, Wassenberg<br />
Dipl.-Med. Andrea Bredel, Leipzig<br />
Dr. med. Mahin Farid, Frankfurt<br />
Dr. med. Andreas Frei, Ettenheim<br />
Dr. med. Marianne Kessler, Haslach<br />
Dr. med. Victoria Klinge, Bad Münster<br />
Dr. med. Bernhard Lange, Miltenberg<br />
Mahrokh Rousta, Frankfurt<br />
Dr. med. Thorsten E. Wieden, Celle<br />
Qualifikation Schwerpunkt<br />
Spezielle <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
Dr. med. Erich Mützel, Goldbach<br />
Multimodale <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> – Workshop<br />
Teil 2<br />
27.06.<strong>2007</strong> in Potsdam; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS-Potsdam<br />
Patientenvorstellung<br />
27.06.<strong>2007</strong> in Halle; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS-Halle/Saale<br />
40-Stunden-Aufbaukurs Palliativmedizin<br />
(Modul 1)<br />
30.05.–03.06.<strong>2007</strong> in Celle; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS-Celle<br />
Curriculum Psychosomatische Grundversorgung,<br />
3. Wochenende<br />
30.06.–01.07.<strong>2007</strong> in Heidelberg; Geschäftsstelle<br />
DGS<br />
Akupunktur-Kurs 17 – Chinesische Arzneimittel für<br />
Akupunkteure II – Praxisseminar<br />
30.06.–01.07.<strong>2007</strong> in Bad Bergzabern; Geschäftsstelle<br />
der DAfNA<br />
Juli <strong>2007</strong><br />
Praxisseminar – Stoßwellentherapie bei akuten<br />
und chronischen <strong>Schmerz</strong>zuständen<br />
18.07.<strong>2007</strong> in Leipzig; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS-Leipzig<br />
Biofeedback I<br />
19.07.<strong>2007</strong> in Bad Säckingen; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS-Bad Säckingen<br />
August <strong>2007</strong><br />
Sommerakademie Palliativmedizin – Aufbaukurs 1<br />
08.08.–12.08.<strong>2007</strong> in Dierhagen; Regionales<br />
<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS-Lünen<br />
Sommerakademie Palliativmedizin –<br />
Aufbaukurs 2<br />
13.08.–17.08.<strong>2007</strong> in Dierhagen; Regionales<br />
<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS-Lünen<br />
Curriculum Chirotherapie / Manuelle Medizin<br />
DAfNA/DGS – Kurs 2 (60 Stunden)<br />
24.–26.08.<strong>2007</strong> und 31.08.–02.09.<strong>2007</strong> in Speyer; Geschäftsstelle<br />
der DAfNA<br />
Oktober <strong>2007</strong><br />
DGS-Veranstaltungen<br />
Curriculum Spezielle <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> –<br />
80 Stunden interdisziplinäres Kompaktseminar<br />
26.10.–04.11.<strong>2007</strong><br />
Mallorca /Spanien<br />
Anmeldung über Geschäftsstelle DGS<br />
Anmeldefrist: 10.06.<strong>2007</strong>
Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>tag <strong>2007</strong><br />
Der Patient im Mittelpunkt<br />
Mit über 2500 Teilnehmern war der 1 . <strong>Deutsche</strong> interdisziplinäre<br />
<strong>Schmerz</strong>kongress vom 15.–17. März im Frankfurter Congress Center wieder<br />
ein voller Erfolg. Neue Trends in der Apparatemedizin – vom Infrarotlaser<br />
über SCS-Pumpen bis hin zur Magnetfeldtherapie – wurden dort<br />
an den Industrieständen hautnah demonstriert. Über pharmakologische<br />
Innovationen und neue <strong>Therapie</strong>formen informierten zahlreiche Handson-Workshops<br />
und Plenarvorträge. Bei allen Themen stand gemäß dem<br />
Kongressmotto der individuelle Patient im Mittelpunkt.<br />
Zirkadiane Biorhythmen beeinflussen<br />
auch die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und müssen<br />
bei der täglichen Praxis berücksichtigt werden,<br />
erklärte Dr. med. Uwe Junker, Remscheid.<br />
Patienten mit Osteoarthroseschmerzen<br />
haben abends den höchsten<br />
Substanzverbrauch, Patienten mit rheumatoider<br />
Arthritis morgens und tagsüber und die<br />
Tumorschmerzpatienten in der Regel zwischen<br />
10 und 22 Uhr, also in dem Zeitraum<br />
ihrer höchsten körperlichen Aktivität. Diese<br />
Schwankungen erfordern eine orale und flexible<br />
<strong>Therapie</strong> und können daher nicht mit<br />
starren Pflastersystemen behandelt werden.<br />
Ideal für multimorbide ältere Patienten ist<br />
dagegen die Behandlung mit Hydromorphon,<br />
das aufgrund seiner verschiedenen Dosierungen<br />
und der möglichen Gabe des nicht<br />
retardierten Hydromorphons für Durchbruchschmerzen<br />
gut geeignet ist. Klagen die Tumorkranken<br />
dagegen vor allem über nächtliche<br />
<strong>Schmerz</strong>en, sollten sie am Abend die höhere<br />
Dosis von Hydromorphon erhalten. Mit einer<br />
zweimaligen Gabe dieses Basisopioids, ggf.<br />
in unterschiedlicher Dosis und in Kombination<br />
mit einem schnell freisetzenden Hydromorphon,<br />
lässt sich die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> flexibel<br />
gestalten.<br />
Aufgrund seiner vom Zytochrom-450-<br />
Enzymsystem unabhängigen Metabolisierung<br />
und geringen Plasmaeiweißbindung stellt laut<br />
Junker Hydromorphon das Mittel der ersten<br />
Wahl bei Tumorkranken dar. Bei Knochenmetastasen,<br />
die eine stärkere antiphlogistische<br />
Komponente erfordern, können Opioide mit<br />
Cox-2-Hemmern kombiniert werden und bei<br />
neuropathischen <strong>Schmerz</strong>en mit modernen<br />
Antikonvulsiva wie dem Pregabalin.<br />
Stufenschema überholt<br />
Das Stufenschema der WHO ist nach Ansicht<br />
der Algesiologen eher ein Hindernis für eine<br />
effiziente <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> bei Tumorkranken,<br />
warnte Dr. Thomas Nolte, Wiesbaden.<br />
Kölner <strong>Schmerz</strong>arzt Danilo Jankovic auf dem <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>tag ausgezeichnet<br />
Dr. med. Danilo Jankovic, <strong>Schmerz</strong>therapeut und Anästhesiologe<br />
aus Hürth, wurde mit dem Ehrenpreis des <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Schmerz</strong>preises <strong>2007</strong> ausgezeichnet.<br />
Der niedergelassene <strong>Schmerz</strong>therapeut und Leiter des regionalen<br />
<strong>Schmerz</strong>zentrums Köln-Hürth erhielt den mit 3 000 Euro dotierten Ehrenpreis<br />
des <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>preises – <strong>Deutsche</strong>r Förderpreis <strong>2007</strong><br />
für <strong>Schmerz</strong>forschung und <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>. Der Preis wird jährlich an<br />
Persönlichkeiten verliehen, die sich durch wissenschaftliche Arbeiten<br />
über Diagnostik und <strong>Therapie</strong> akuter und chronischer <strong>Schmerz</strong>zustände<br />
verdient gemacht oder die durch ihre Arbeit oder ihr öffentliches<br />
Wirken entscheidend zum Verständnis des Problemkreises <strong>Schmerz</strong><br />
und der davon betroffenen Personen beigetragen haben.<br />
Der wissenschaftliche Träger des Ehrenpreises ist die <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />
für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> e.V. Gestiftet wird der Preis von der Firma<br />
AWD.pharma GmbH, Dresden.<br />
In der Urkunde heißt es: „Dr. Danilo Jankovic hat sich seit vielen Jahren<br />
um eine Integration der therapeutischen Lokalanästhesie in die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
bemüht und in sehr anschaulicher Weise hierzu ein Lehrbuch<br />
Gefordert ist bei Tumorschmerz eine mechanismenorientierte<br />
Behandlungsstrategie, die<br />
meist den frühzeitigen Einsatz eines Basisopioids<br />
der Stufe III beinhaltet. Überholt ist<br />
auch Morphin als Goldstandard der <strong>Therapie</strong>,<br />
da die modernen oralen Retardpräparate wie<br />
Hydromorphon und Oxycodon ein günstigeres<br />
Nutzen-Nebenwirkungs-Verhältnis aufweisen<br />
und keine aktiven Metaboliten bilden,<br />
die eine gefährliche Akkumulation auslösen<br />
können. Wichtig ist auch eine möglichst maßgeschneiderte<br />
und individuell schmerzadaptierte<br />
Behandlung, um Dosiseskalationen zu<br />
vermeiden. Dabei ist das weitgehende Fehlen<br />
aktiver Metabolite ein zusätzlicher Schutz vor<br />
Dosiseskalation und Überdosierung.<br />
Kommt es unter Morphin zur Dosiseskalation,<br />
droht dagegen eine opioidinduzierte<br />
Neurotoxizität durch die hohe Dosis und eine<br />
zu lange Opioidexposition durch die aktiven<br />
Metaboliten. Dadurch können Hyperalgesie,<br />
Benommenheit, paradoxe <strong>Schmerz</strong>en, Halluzinationen,<br />
Sedierung und/oder Myoklonien<br />
und Krampfanfälle ausgelöst werden. Ideal ist<br />
es nach den Ausführungen des Wiesbadener<br />
Experten, die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> individuell multimodal<br />
einzustellen, mit den Stufe-III-Opioiden<br />
als Basis, die je nach <strong>Schmerz</strong>art mechanismenorientiert<br />
mit Coxiben oder Koanalgetika<br />
wie z. B. Antikonvulsiva tagesverlaufadaptiert<br />
und zeitnah oral behandelt werden.<br />
Palladon ® injekt zur bedarfs-<br />
adaptierten Invasivtherapie<br />
Bei Unwirksamkeit der oralen <strong>Therapie</strong>, sehr<br />
hohem Opioidbedarf und schweren gastroin-<br />
verfasst, das in seiner inhaltlichen Form perfekt ist und in sehr aufwendigen<br />
Abbildungen diesen Bereich bestens für den Erfahrenen, aber<br />
auch für den Anfänger deutlich macht (siehe dazu Beitrag S. 5–6).“<br />
V. l.: Uwe Junker, Danilo Jankovic, Gerhard Müller-Schwefe.<br />
Bildfolio Bostelmann<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)
testinalen Problemen wie Nausea, Emesis<br />
oder Schluckstörung bietet sich mit dem neuen<br />
injizierbaren Hydromorphon eine weitere<br />
Alternative, z.B. für die Finalphase von Palliativpatienten,<br />
ergänzte Dr. med. Bernhard<br />
Sittig, Geesthacht. Bei subkutaner Injektion<br />
tritt die Wirkung rascher ein und bietet eine<br />
höhere maximale Analgesie. Mit einer subkutanen<br />
Dauerkanüle, die bei guter Pflege bis<br />
zu sieben Tage verbleiben kann, stellt dies<br />
eine komplikationsarme, komfortable und sichere<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> dar. Alternativ kann<br />
auch noch die intravenöse Opioidapplikation<br />
bei absehbarer längerfristiger Behandlung in<br />
Form eines intravenösen Portsystems diskutiert<br />
werden.<br />
Diese <strong>Therapie</strong>formen, auch in Kombination<br />
mit einem PCA-Pumpensystem, sind<br />
in der palliativen <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> heute ein<br />
wichtiger Standard. Seit April <strong>2007</strong> gibt es<br />
für diese Situationen Hydromorphon in der<br />
2-mg/1-ml-, 10-mg/1-ml- und 100-mg/10-ml-<br />
Dosierung. Letztere eignet sich bei der Dauerbehandlung<br />
mit Pumpen- und Portsystemen<br />
gut als durchschnittlicher Wochenbedarf (siehe<br />
dazu auch Heft 1, <strong>2007</strong>, S. 13–14). Speziell<br />
zur <strong>Therapie</strong> der Durchbruchschmerzen ist<br />
der schnelle Wirkeintritt von Hydromorphon<br />
innerhalb von fünf bis zehn Minuten und einer<br />
Wirkdauer von drei bis vier Stunden ideal<br />
und günstiger als z.B. bei Morphin, bei dem es<br />
nach subkutaner Gabe 15–30 Minuten dauert,<br />
bis die Wirkung eintritt.<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> mit retardiertem<br />
Oxycodon und Naloxon<br />
Patienten mit starken <strong>Schmerz</strong>en profitieren<br />
von einer Basistherapie mit einem stark wirksamen<br />
Opioid der Stufe III wie Oxycodon:<br />
Nach einer Studie an 4295 Patienten erreichten<br />
mit diesem Opioid 86% ihr individuell<br />
gewünschtes Behandlungsziel und gaben<br />
auch an, dass ihr globales Wohlbefinden dadurch<br />
deutlich besser war. Allerdings ist die<br />
opioidinduzierte Obstipation der Pferdefuß<br />
der Behandlung mit Opioiden, an dem die<br />
Patienten auch am stärksten leiden. Auch<br />
wenn die opioidinduzierte Obstipation mit<br />
Laxanzien behandelt wird, kann es zu massiven<br />
Beschwerden wie Reflux, Ösophagitis,<br />
Krämpfen, Blähungen, Durchfällen, Darmatonie<br />
und Darmentleerungsstörungen kommen.<br />
Diese Beschwerden peinigen alle Patienten<br />
unter einem Opioid der Stufe III, gleichgültig<br />
um welches Präparat und welche Applikationsform<br />
(transdermal oder oral) es sich handelt.<br />
Lebensqualität, Stimmung, soziale Aktivitäten<br />
und Nachtschlaf werden beeinträchtigt.<br />
Wie eine Umfrage mit 13 000 <strong>Schmerz</strong>kranken,<br />
von denen 4 613 Patienten unter<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)<br />
einem Opioid der Stufe III standen, zeigte, ist<br />
dies unabhängig von der Applikationsart des<br />
Opioids.<br />
Präventionsopioid ermöglicht<br />
Paradigmenwechsel<br />
Mit der Fixkombination aus retardiertem Oxycodon<br />
und retardiertem, nur peripher und<br />
prähepatisch wirksamem Naloxon wird die<br />
Obstipation erstmals von Anfang an verhütet,<br />
da die µ-Opiatrezeptoren am Darm selektiv<br />
von dem Antagonisten Naloxon blockiert werden.<br />
Naloxon wird danach im First-Pass in der<br />
Leber zu mehr als 97% abgebaut.Die systemische<br />
Wirkung des Oxycodons und damit<br />
die analgetische Potenz bleiben erhalten.<br />
Somit erlaubt es dieses Präventionsopioid<br />
erstmals, die <strong>Schmerz</strong>en zu lindern<br />
ohne therapeutischen Schaden, so Michael<br />
Überall, Nürnberg. Aufgrund des hohen therapeutischen<br />
Nutzens erhielt dieses Präparat<br />
im Herbst 2006 eine Fast-Track-Zulassung. Es<br />
ermöglicht eine starke <strong>Schmerz</strong>linderung bei<br />
gleichzeitiger Regulierung der Darmfunktion.<br />
Bei Umstellung von anderen Opioiden auf die<br />
Fixkombination aus retardiertem Oxycodon<br />
und Naloxon wird eine bereits bestehende<br />
opioidinduzierte Obstipation reduziert.<br />
Nach einer neuen Anwendungsbeobachtung<br />
mit Targin ® wird diese Fixkombination<br />
als wirksamer und verträglicher bewertet<br />
als Oxycodon allein. „Diesen therapeutische<br />
Nutzen der hochintelligenten mechanismenorientierten<br />
Opioidtherapie dürfen wir unseren<br />
Patienten nicht vorenthalten“, appellierte Gerhard<br />
Müller-Schwefe. Zu bedenken ist auch,<br />
dass allein die Laxanzientherapie bei herkömmlichen<br />
Opioiden mit 700 bis 1000 Euro<br />
pro Jahr und Patient teuer ist und durch die<br />
Fixkombination eingespart wird.<br />
Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>tag <strong>2007</strong><br />
Infrarotlaser und Magnetfeldtherapie wurden an den Industrieständen demonstriert.<br />
Rückenschmerzen: Bandscheiben<br />
nicht überbewerten!<br />
Nach wie vor werden bei Rückenschmerzen<br />
die Befunde an den Bandscheiben überbewertet,<br />
kritisierte Dr. Alois Franz, Siegen. In<br />
vielen Fällen steckt bei Rückenschmerzen<br />
auch eine neuropathische <strong>Schmerz</strong>komponente<br />
dahinter, die zum Beispiel mit dem von<br />
der Firma Pfizer entwickelten PainDETECT ® -<br />
Fragebogen gut abgegrenzt werden kann.<br />
Pseudoradikuläre Rückenschmerzen haben<br />
ihre Ursache oft in Instabilitätsarthrosen,<br />
aktivierten Spondylarthrosen oder arthrogenen<br />
Facettensyndromen. Lediglich beim<br />
akuten Rückenschmerz findet sich auch eine<br />
inflammatorische <strong>Schmerz</strong>komponente.<br />
Bei den unspezifischen Rückenschmerzen<br />
handelt es sich dagegen um ein<br />
dynamisches Geschehen, bei dem sich die<br />
<strong>Schmerz</strong>en verselbstständigen und auch die<br />
kognitiv-emotionale Komponente zu berücksichtigen<br />
ist.<br />
Das multimodale <strong>Therapie</strong>konzept bei<br />
chronischem Rückenschmerz berücksichtigt<br />
bei der Medikation NSAR/Coxibe, Antidepressiva<br />
und Antikonvulsiva, die Physiotherapie<br />
(Krankengymnastik, Stufenbett, Traktion, Elektrotherapie)<br />
ebenso wie die Infiltrationstherapie<br />
(paravertebral, an den Facettgelenken oder in<br />
Form einer Nervenwurzelblockade).<br />
Nach wie vor werden nach Ansicht von<br />
Franz viel zu viele Bandscheibenoperationen<br />
durchgeführt. Auch bei den Bandscheibenprothesen<br />
ist äußerste Zurückhaltung geboten. So<br />
bilden sich bei den Prothesen häufig Narben<br />
und eine Ummauerung des Rückenmarks führt<br />
zu neurologischen Ausfällen, was dann zu<br />
Zweiteingriffen zwingt. Im Zeitalter der Kernspintomografen<br />
ist mehr denn je Zurückhaltung<br />
bei der bildgebenden Diagnostik geboten. „Wir<br />
Bildfolio Bostelmann
Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>tag <strong>2007</strong><br />
dürfen gerade bei Rückenschmerzen den Patienten<br />
nicht an der bildgebenden Diagnostik<br />
aufhängen“, warnte der Siegener Orthopäde.<br />
Die Güte eines Neurochirurgen ist nicht an der<br />
Anzahl der an der Wirbelsäule durchgeführten<br />
Operationen, sondern an der Anzahl der vermiedenen<br />
Operationen zu messen.<br />
Rückenschmerzen, so Gerhard Müller-Schwefe,<br />
entstehen auch häufig aus<br />
unterschwelligen <strong>Schmerz</strong>signalen aus der<br />
Muskulatur, die zur Sensibilisierung der Nervenzellen<br />
im Rückenmark führen. Entzündungen<br />
in der Muskulatur spielen dagegen<br />
eine untergeordnete Rolle. Daher fordert der<br />
Göppinger Algesiologe ein Umdenken in der<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>, weniger NSAR und mehr<br />
Einsatz von Membranstabilisatoren wie dem<br />
retardierten Flupirtin. Nach einer großen<br />
Studie mit über 2000 Patienten wirkt Flupirtin<br />
sowohl schmerzlindernd als auch myotonolytisch.<br />
Rückenschmerzen manuell<br />
untersuchen<br />
Rückenschmerzen können viele Ursachen<br />
haben und müssen stets nach der Vier-A-Diagnostik<br />
(Anamnese, Ausziehen, Anschauen,<br />
Anfassen) untersucht werden und keineswegs<br />
nur nach der Dawos-Methode („da wo<br />
es weh tut“), mahnte Dr. med. Wolfgang Bartel,<br />
Präsident der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> für<br />
Manuelle Medizin. Für eine erfolgreiche Behandlung<br />
müssen die funktionellen Zusammenhänge<br />
und die Verkettungssyndrome erkannt<br />
werden. Sträflich überbewertet wird<br />
hierzulande die bildgebende Diagnostik und<br />
vernachlässigt wird die körperliche Untersuchung.<br />
Fehlhaltungen werden hierzulande schon in<br />
10<br />
der Schule durch unergonomische Sitzmöbel<br />
gefördert und durch falsche Freizeitgewohnheiten<br />
(Fernsehen, Computer, fehlender<br />
Sport) weiter provoziert. Fehlhaltungen wie<br />
Beckenschiefstand und hohlrunde Rücken<br />
lösen schon bei Kindern und Jugendlichen<br />
Rückenschmerzen aus. Hier sind für die <strong>Therapie</strong><br />
Koordinationsschulungen wie der kurze<br />
Fuß von Janda oder die propriozeptive sensomotorische<br />
Faszilitation geeignet. Um diese<br />
Zivilisationskrankheiten zu vermeiden,<br />
wäre viel Barfußlaufen gesund. Alternativ<br />
dazu könne man bei Stadtkindern empfehlen,<br />
die Kinder beim Zähneputzen barfuß in einer<br />
Mais- oder Weizenkiste treten zu lassen, berichtete<br />
der Manualtherapeut aus Halberstadt.<br />
<strong>Schmerz</strong> und Schlaf<br />
Schlaf ist ein Seismograf für den körperlichen<br />
und seelischen Zustand des Menschen, erklärte<br />
Prof. Göran Hajak, Regensburg. Bei<br />
<strong>Schmerz</strong>en und/oder Angst leiden die Betroffenen<br />
häufig zugleich an Schlafstörungen,<br />
sodass Angst, <strong>Schmerz</strong> und Schlafstörungen<br />
häufige komorbide Störungen sind, die auch<br />
therapeutisch mit berücksichtigt werden müssen.<br />
Bei peripheren neuropathischen <strong>Schmerz</strong>en<br />
leiden 60–70% zugleich an Schlafstörungen,<br />
ergab eine Befragung von 126 Patienten.<br />
Je älter wir werden, desto empfindlicher<br />
reagieren wir auf Störungen und desto vulnerabler<br />
sind wir für Schlafstörungen, warnte der<br />
Regensburger Psychiater. Die Art der Schlafstörung<br />
ist bei <strong>Schmerz</strong>kranken sehr vielseitig.<br />
Es zeigen sich bei 75% Einschlafstörungen,<br />
bei 65% schmerzbedingtes Aufwachen und<br />
bei 62% verfrühtes Erwachen. Bei <strong>Schmerz</strong>-<br />
Großer Andrang herrschte bei den manualtherapeutischen Kursen von Wolfgang Bartel.<br />
Bildfolio Bostelmann<br />
kranken findet sich somit keine spezifische<br />
Schlafstörung.<br />
Posterpreise<br />
Erstmals in diesem Jahr wurden die drei besten<br />
Poster ausgezeichnet. Den ersten Preis<br />
erhielt Dr. med. Bodo Kress, Frankfurt/M., für<br />
die Arbeit „Quantitative MR-Messverfahren<br />
bei Patienten mit Trigeminusneuralgie”. Bislang<br />
vermuteten die Ärzte, dass der Blitzschmerz<br />
entsteht, weil ein Blutgefäß kurz<br />
hinter der Austrittsstelle des Trigeminus aus<br />
dem Gehirn auf den Nerven drückt. (Nur in<br />
sehr seltenen Fällen wird diese Neuralgie<br />
durch andere Erkrankungen, etwa eine multiple<br />
Sklerose oder einen Tumor verursacht.)<br />
Nun zeigen die MR-Untersuchungen der<br />
Frankfurter Arbeitsgruppe, dass die Nähe<br />
zwischen Blutgefäß und Nerv nicht die alleinige<br />
Ursache der <strong>Schmerz</strong>en ist. Wie der<br />
Neuroradiologe Dr. Bodo Kress vom Krankenhaus<br />
Frankfurt Nordwest und der Neurochirurg<br />
Dr. Dirk Rasche vom Universitätsklinikum<br />
Schleswig-Holstein, Campus Lübeck,<br />
auf dem <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>tag berichteten,<br />
lässt sich diese Nähe zwischen Blutgefäß<br />
und Nerv auch bei zwei von drei gesunden<br />
Probanden sowie bei der gesunden Gesichtsseite<br />
von Patienten mit Trigeminusneuralgie<br />
nachweisen.<br />
Veränderte Strukturen<br />
Allerdings fanden die Ärzte bei ihren Untersuchungen<br />
an 62 Patienten, deren Trigeminusneuralgie<br />
durch Medikamente nicht (mehr)<br />
gelindert werden konnte, und an 48 schmerzfreien<br />
Probanden heraus, dass die anatomische<br />
Situation in dem Bereich (Zisterne)<br />
verändert ist, wo der Nerv das Gehirn verlässt.<br />
„Beispielsweise ist das Volumen dieser<br />
Zisterne, durch welche der Nerv zieht, auf der<br />
betroffenen Gesichtsseite kleiner“, erklärte<br />
Dirk Rasche. Dadurch nimmt der Nerv in diesem<br />
Abschnitt einen anderen Verlauf. Erst<br />
diese Veränderungen sorgen dafür, dass sich<br />
Blutgefäß und Nerv näher kommen als dem<br />
Nerven gut tut. Dieser ist in der betroffenen<br />
Gesichtshälfte auch dünner als normal. Rasche<br />
interpretiert dies als ein Zeichen dafür,<br />
dass der Nerv infolge der Druckschädigung<br />
durch den Pulsschlag des Blutgefäßes atrophiert,<br />
also schrumpft.<br />
Um zu überprüfen, ob ihre Beobachtungen<br />
tatsächlich klinisch bedeutsam sind,<br />
boten die Ärzte betroffenen Patienten eine<br />
Operation an. Bei diesem Eingriff wird ein<br />
Polster aus Goretex oder Teflon zwischen<br />
Nerv und Blutgefäß geschoben. Diese Operation<br />
ist die Ultima Ratio, wenn die medikamentöse<br />
<strong>Therapie</strong> versagt. 85–95% der<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)
Die drei besten Poster wurden erstmals ausgezeichnet.<br />
Patienten werden dadurch ihre <strong>Schmerz</strong>en<br />
los. „Darum sollte die bildgebende Routinediagnostik<br />
vor einer möglichen Operation um<br />
bestimmte Bildsequenzen erweitert werden,<br />
auf denen der betroffene Nervenabschnitt<br />
dargestellt ist“, rät Rasche.<br />
<strong>Schmerz</strong> bei Schülern<br />
Der zweite Posterpreis ging an Dr. med. Angela<br />
Roth-Isigkeit et al., Lübeck, für die Arbeit<br />
„<strong>Schmerz</strong>beschwerden bei Kindern und Jugendlichen<br />
– Altersspezifische Unterschiede<br />
in Prävalenz und Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen”.<br />
Die Lübecker<br />
Arbeitsgruppe hatte mit dem Lübecker-<br />
<strong>Schmerz</strong>-Screening-Fragebogen die Prävalenz<br />
der <strong>Schmerz</strong>beschwerden bei 11 568<br />
Schülern zwischen 10 und 21 Jahren der<br />
Hansestadt Lübeck untersucht. 80,2%<br />
(9266) beantworteten den Test und davon<br />
konnten 98,7% (9148) ausgewertet werden.<br />
86% der Kinder und Jugendlichen berichteten,<br />
dass sie in den vergangenen drei Monaten<br />
<strong>Schmerz</strong>en hatten. Am häufigsten waren<br />
Kopfschmerzen (63,7%) gefolgt von Bauchschmerzen<br />
(41,7%). Mehr als die Hälfte der<br />
Zehnjährigen hatte bereits Kopfschmerzen.<br />
Bis zum Alter von 18 Jahren stieg dieser Prozentsatz<br />
auf 74% an. Über Rückenschmerzen<br />
klagten 36,6% der Kinder, wobei die Häufigkeit<br />
dieser <strong>Schmerz</strong>en mit dem Alter stieg:<br />
Bei den Zehnjährigen ist jedes fünfte Kind<br />
betroffen, bei den über 18-Jährigen bereits<br />
mehr als die Hälfte (58%). Mehr als ein Drittel<br />
der Kinder litt bereits länger als sechs Monate<br />
unter ihren Beschwerden. Ein Fünftel<br />
der Kinder hat mehrmals im Monat <strong>Schmerz</strong>en,<br />
weitere 22% sogar mehrmals pro Woche.<br />
Die Prävalenz von <strong>Schmerz</strong>en ist bereits<br />
bei Kindern und Jugendlichen sehr hoch:<br />
37,9% der Befragten hatten deswegen schon<br />
einen Arzt aufgesucht und 37% nahmen dagegen<br />
Medikamente ein. Diese Zahlen sind<br />
umso brisanter, als andere Studien zeigten,<br />
dass betroffene Kinder ihre Beschwerden bis<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)<br />
Bildfolio Bostelmann<br />
zum Erwachsenenalter keineswegs verlie-<br />
ren. Vielmehr beobachteten Wissenschaftler<br />
bei den Betroffenen ein erhöhtes Risiko für<br />
eine Vielzahl körperlicher und psychischer<br />
Probleme.<br />
Retardiertes Hydromorphon<br />
in der Praxis<br />
Den dritten Posterpreis erhielt Dr. med. Wolfgang<br />
Sohn, Schwalmtal, für die Arbeit „Retardiertes<br />
Hydromorphon in der Praxis: zuverlässige<br />
<strong>Schmerz</strong>linderung und Verbesserung<br />
der Lebensqualität bei multimorbiden, älteren<br />
Patienten”. An einer Studie mit insgesamt<br />
1 615 Patienten hatte Sohn geprüft, inwieweit<br />
Hydromorphon in der Lage ist, bei multimorbiden<br />
älteren Patienten die <strong>Schmerz</strong>en zuverlässig<br />
zu lindern. Über 70% der Patienten,<br />
die ein Durchschnittsalter von 65 Jahren hatten,<br />
litten unter mindestens zwei, über 40%<br />
sogar unter drei verschiedenen Erkrankungen.<br />
Im Durchschnitt bekamen die Patienten<br />
in der dreiwöchigen Studie initial 13,5<br />
mg orales Hydromorphon, in der Regel auf<br />
Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>tag <strong>2007</strong><br />
eine zweimal tägliche Gabe verteilt, und wurden<br />
bis zum <strong>Therapie</strong>ende auf 19,6 mg eingestellt.<br />
Unter dieser <strong>Therapie</strong> nahm die<br />
<strong>Schmerz</strong>intensität von durchschnittlich 7,1<br />
auf 2,7 VAS ab, was einer Reduktion von 62%<br />
entspricht. Parallel dazu besserte sich der<br />
Summenscore der Beeinträchtigung verschiedener<br />
Parameter der Lebensqualität innerhalb<br />
von drei Wochen von 45,7 auf 21,4,<br />
also um 53,2%. Die opioidtypischen Nebenwirkungen<br />
waren in der ambulanten Studie<br />
während der dreiwöchigen Behandlung rückläufig:<br />
Müdigkeit von 42% auf 6,7%, Übelkeit<br />
von 33,1% auf 6,2%, Obstipation von 26,1%<br />
auf 5,6% und Erbrechen von 15% auf 2,7%.<br />
Insgesamt ist Hydromorphon nach den Erfahrungen<br />
von Sohn ein wirksames, effektives<br />
und sicheres Medikament für die Behandlung<br />
starker <strong>Schmerz</strong>en.<br />
Patientenforum<br />
Gut besucht war die Patientenveranstaltung,<br />
bei der Experten sachkundig Fragen der betroffenen<br />
Patienten beantworteten. StK<br />
Die Patientenveranstaltung bildet den Abschluss des <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>tages.<br />
11
Onkologie/Palliativmedizin<br />
Update: <strong>Therapie</strong> von Tumorschmerzen<br />
Effektive <strong>Therapie</strong> von <strong>Schmerz</strong>en und die Lebensqualität beeinträchtigenden<br />
Symptomen sind entscheidende Herausforderungen in der Betreuung<br />
von Patienten mit fortgeschrittenem Krebsleiden, insbesondere<br />
in der Terminalphase. Mit den heute zur Verfügung stehenden Analgetika<br />
und Koanalgetika und deren Einsatz nach den Richtlinien der WHO<br />
könnte eine zufriedenstellende <strong>Schmerz</strong>linderung erreicht werden. Im<br />
folgenden gekürzten Beitrag* schildern Priv.-Doz. Dr. Rainer Freynhagen,<br />
Dr. med. Andrea Schmitz, Dr. med. Peter Busche, Universitätsklinikum<br />
Düsseldorf, und Dr. med. Uwe Junker, Vizepräsident DGS, Sanaklinikum<br />
Remscheid, die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und die konsequente <strong>Therapie</strong><br />
belastender Symptome.<br />
Jeder Dritte erkrankt derzeit in Deutschland<br />
an einem Tumorleiden und jeder<br />
Vierte verstirbt daran. Basierend auf den Zahlen<br />
des deutschen Krebsregisters ist von<br />
jährlich etwa 400 000 neuen Tumorerkrankungen<br />
auszugehen [1]. Nicht selten finden<br />
sich <strong>Schmerz</strong>en sogar als erstes Symptom,<br />
wobei die Häufigkeit<br />
behandlungsbedürftiger<br />
<strong>Schmerz</strong>probleme<br />
sowohl von der Lokalisation<br />
als auch von der<br />
Pathophysiologie des<br />
Tumors abhängt. Die<br />
Einhaltung des WHO-<br />
Stufenschemas führt<br />
bei weit mehr als 90%<br />
der Patienten zu einer<br />
Rainer Freynhagen, suffizienten <strong>Schmerz</strong>-<br />
Düsseldorf<br />
palliation und die Behandlung<br />
verliert auch<br />
in der Endphase der<br />
Erkrankung nicht ihre<br />
Wirksamkeit [7, 15, 34,<br />
39]. Nur eine Minderheit<br />
der von tumorbedingten<br />
<strong>Schmerz</strong>en<br />
betroffenen Patienten<br />
benötigt invasive<br />
s c h m e r z t h e r a p e u -<br />
tische Verfahren.<br />
Uwe Junker,<br />
Trotzdem leiden<br />
Remscheid<br />
aktuellen Schätzungen<br />
zufolge jeden Tag etwa<br />
220 000 Menschen in Deutschland unnötigerweise<br />
an Tumorschmerzen [18, 22],<br />
gleichbedeutend mit mehr als 80 Millionen<br />
Tumorschmerz-Patiententagen pro Jahr.<br />
Eine erfolgreiche analgetische <strong>Therapie</strong> allein<br />
bringt in Bezug auf die Lebensqualität<br />
*Literatur bei den Autoren bzw. im ungekürzten<br />
Originalbeitrag Gynäkologe <strong>2007</strong>; 40:168–177<br />
12<br />
keinen hinreichenden Gewinn für die Patienten,<br />
wenn dadurch andere Symptome induziert<br />
oder verstärkt werden. Nur durch eine<br />
exzellente <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> kombiniert mit<br />
guter Symptomkontrolle und einer möglichst<br />
ganzheitlichen Betreuung von Patienten und<br />
Angehörigen (eingebettet in ein umfassendes<br />
biopsychosoziales Behandlungskonzept) wird<br />
es gelingen, die Lebensqualität und Würde<br />
der Betroffenen bis zuletzt zu erhalten.<br />
<strong>Schmerz</strong>typen und ihre Ursachen<br />
Die Differenzierung der verschiedenen Facetten<br />
von Tumorschmerzen ist wichtig, da sie<br />
die <strong>Therapie</strong> entscheidend beeinflusst. Der<br />
vom Patienten beschriebene <strong>Schmerz</strong>charakter<br />
ist ein wesentliches Kriterium, um nozizeptive<br />
und/oder neuropathische <strong>Schmerz</strong>anteile<br />
zu erkennen.<br />
Dumpfe, reißende, kolik- oder krampfartige<br />
<strong>Schmerz</strong>en, die in der Tiefe empfunden<br />
werden und schlecht lokalisierbar sind,<br />
werden zumeist durch Erregung viszeraler<br />
Nozizeptoren in Brust-, Bauch- und Peritonealraum<br />
verursacht. Sie können mit vegetativen<br />
und gastrointestinalen Symptomen einhergehen.<br />
Diese sog. Nozizeptorschmerzen<br />
im Bereich von Haut, Bindegewebe, Periost,<br />
Skelettmuskulatur, Sehnen, inneren Organen<br />
oder z. B. der parietalen Pleura sind meist gut<br />
lokalisierbar und häufig belastungsabhängig.<br />
Brennende, elektrisierende, durch Kälte-<br />
und/oder durch Berührungsreize auslösbare<br />
<strong>Schmerz</strong>en, häufig mit einschießenden<br />
<strong>Schmerz</strong>attacken kombiniert, sind Hinweise<br />
auf sog. neuropathische <strong>Schmerz</strong>en, die im<br />
Rahmen einer Schädigung des peripheren<br />
oder zentralen Nervensystems auftreten<br />
können. In diesem Zusammenhang sollte auf<br />
eine neurologische Minus- oder Plussymptomatik<br />
geachtet werden, z. B. Paresen, Hypästhesien,<br />
Dysästhesien oder eine Allodynie<br />
[9, 11]. Bei etwa einem Drittel der Patienten<br />
findet sich das kombinierte Auftreten beider<br />
<strong>Schmerz</strong>typen, welches heute durchweg als<br />
Mixed Pain bezeichnet wird [23]. Bei einer<br />
solchen Symptomatik wird die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
nur dann erfolgreich sein, wenn sie von<br />
vornherein beide Komponenten gleichberechtigt<br />
berücksichtigt. Meist gelingt eine Differenzierung<br />
bereits aufgrund der <strong>Schmerz</strong>anamnese<br />
und der klinischen Untersuchung.<br />
Zum einfachen Screening auf neuropathische<br />
<strong>Schmerz</strong>komponenten steht neuerdings neben<br />
simplen Bedside-Tests auch ein validierter,<br />
kurzer und aussagekräftiger Fragebogen<br />
in deutscher Sprache zur Verfügung<br />
(painDETECT ® ), der nicht vom Untersucher,<br />
sondern allein durch den Patienten ausgefüllt<br />
werden kann [13].<br />
Medikamentöse <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
Im Jahr 1986 wurde von der WHO in Genf<br />
das WHO-Stufenschema verabschiedet mit<br />
dem Ziel, der damaligen dramatischen Unterversorgung<br />
von Tumorpatienten mit potenten<br />
Analgetika gezielt entgegenzuwirken (Abb. 1)<br />
[37]. Auf Stufe I finden sich alle Nichtopioid-<br />
Analgetika wie z. B. traditionelle nicht steroidale<br />
Antirheumatika (NSAR), Zyklooxygenase-2-Hemmer<br />
(Coxibe) oder Pyrazolonderivate<br />
(z. B. Metamizol). Für alle Substanzen<br />
der Stufe I gelten Maximaldosierungen, die<br />
zur Vermeidung von organtoxischen Nebenwirkungen<br />
streng eingehalten werden müssen.<br />
In der Regel reicht die analgetische<br />
Wirkung der Nichtopioid-Analgetika bei Tumorpatienten<br />
allein nicht aus, sodass mit<br />
schwachen bzw. mittelstarken Opioiden der<br />
nächsten Stufe oder starken Opioiden der<br />
Stufe III kombiniert werden muss.<br />
Ausgewählte Nichtopioid-<br />
analgetika<br />
Metamizol<br />
Metamizol ist das stärkste Analgetikum aus<br />
der Gruppe der nicht sauren antipyretischen<br />
Analgetika, zu denen auch Azetylsalizylsäure<br />
und Paracetamol gehören. Aufgrund seiner<br />
ausgezeichneten spasmolytischen Komponente<br />
eignet sich Metamizol insbesondere für<br />
die Behandlung krampfartiger Viszeralschmerzen.<br />
Nach oraler Verabreichung wird<br />
die Substanz gut resorbiert und erreicht nach<br />
etwa einer Stunde maximale Plasmaspiegel.<br />
Die Wirkung hält etwa vier Stunden an. Ganz<br />
anders als sein Ruf gehört Metamizol zu den<br />
sichersten und am besten verträglichen<br />
<strong>Schmerz</strong>mitteln. Zwar führt es häufiger als<br />
andere Analgetika zu einer Agranulozytose;<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)
doch insgesamt tritt diese Komplikation nur<br />
sehr selten auf und endet nur in wenigen Fällen<br />
tödlich.<br />
Berechnet man aus allen schweren Nebenwirkungen<br />
die sogenannte globale Zusatzmortalität,<br />
schneiden Metamizol mit 0,08<br />
und Paracetamol mit 0,05 günstiger ab als<br />
z. B. ASS mit 1,57 und Diclofenac mit 1,43<br />
Todesfällen pro einer Million Behandelter bei<br />
einer Behandlungsdauer von einer Woche.<br />
Traditionelle nicht steroidale Antirheumatika<br />
und Cox-2-Inhibitoren<br />
Zyklooxygenasen sind Isoenzyme, die die<br />
Umwandlung von Arachidonsäure in Prostaglandine<br />
und Thromboxane katalysieren. Im<br />
Rahmen der Cox-1-Aktivität werden Substanzen<br />
mit physiologischen Funktionen für die<br />
Magen-Darm-Schleimhautprotektion, Thrombozytenfunktion,<br />
Nierendurchblutung und<br />
Elektrolytregulation produziert. Die Cox-2-Aktivität<br />
katalysiert Prostaglandine, die <strong>Schmerz</strong>en<br />
und Entzündungen vermitteln. Während<br />
Cox-2 nur bei Stress, <strong>Schmerz</strong> und Entzündung<br />
innerhalb weniger Stunden gebildet<br />
wird, wird Cox-1 fast überall im Organismus<br />
exprimiert.<br />
Kardiovaskuläre Risiken<br />
Nach heutigem Kenntnisstand haben sich die<br />
in Cox-2-Hemmer (Coxibe, z. B. Celecoxib,<br />
Etoricoxib) gesetzten Hoffnungen hinsichtlich<br />
einer dramatischen Reduktion der durch traditionelle<br />
nicht steroidale Antirheumatika<br />
(NSAR, z. B. Diclofenac) bedingten unerwünschten<br />
Wirkungen nur bedingt erfüllt. Seit<br />
der Marktrücknahme von Vioxx ® (Wirkstoff:<br />
der selektive Cox-2-Hemmer Rofecoxib) aufgrund<br />
der erhöhten Rate von kardiovaskulären<br />
thrombotischen Ereignissen vor etwas<br />
mehr als zwei Jahren sind aber die meisten<br />
Experten heute der Überzeugung, dass auch<br />
viele der nicht selektiven NSAR mit einem<br />
erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergehen<br />
[27]. Nach den Ergebnissen einer kürzlich<br />
publizierten Metaanalyse gehört z. B.<br />
Diclofenac zu den eher risikobehafteten<br />
Substanzen: Die Einnahme erhöht das kardiovaskuläre<br />
Risiko um 44% (und die Einnahme<br />
von Ibuprofen verändert es immerhin<br />
noch um plus 7%). Die Einnahme von<br />
Naproxen wurde demgegenüber mit minus<br />
2% und die von Celecoxib mit minus 4% neutral<br />
bewertet [19].<br />
Eine aktuelle Lancet-Publikation (ME-<br />
DAL-Studie) zeigt, das Etoricoxib und Diclofenac<br />
vom kardiovaskulären Sicherheitsprofil<br />
her gleichwertig sind [5]. Weiterhin muss also<br />
gelten, dass sich der unkritische Einsatz sowohl<br />
von NSAR als auch von Coxiben bei<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)<br />
Nichtopioidanalgetikum<br />
± Adjuvanz<br />
Stufe I<br />
Abb. 1: WHO-Stufenschema.<br />
kardiovaskulären Risikopatienten und Patienten<br />
mit eingeschränkter Nierenfunktion<br />
verbietet. Indikationen für diese Substanzen<br />
ergeben sich in der Tumorschmerztherapie<br />
immer dann, wenn eine antiphlogistische<br />
Komponente benötigt wird, also z. B. bei metastatisch<br />
induzierten Knochen- und Weichteilschmerzen.<br />
Daher sind sie wertvolle und<br />
häufig unverzichtbare Substanzen.<br />
Flupirtin<br />
Dieses Analgetikum ist ähnlich potent wie<br />
schwache Opioide. Es verhindert vermutlich<br />
den NMDA-vermittelten überschießenden<br />
Kalziumeinstrom in die Zelle über eine Membranstabilisierung<br />
durch Eröffnung von Kaliumkanälen.<br />
Seine guten muskelrelaxierenden<br />
Eigenschaften sind auf zusätzliche GABAagonistische<br />
Wirkungen zurückzuführen.<br />
Flupirtin wird schnell und fast vollständig<br />
resorbiert (oral 90%, rektal 70%). Die<br />
Einzeldosen liegen zwischen 100–200 mg,<br />
die Gesamttagesdosis wird mit 600–900<br />
mg angegeben. Indiziert ist die Substanz<br />
in der Tumorschmerztherapie z. B. bei allen<br />
<strong>Schmerz</strong>phänomenen, bei denen Muskelverspannungen<br />
eine wesentliche Rolle spielen<br />
[14, 38].<br />
Ausgewählte Opioidanalgetika<br />
Der optimale Applikationsweg, auch in der<br />
palliativen Situation, ist der orale. Idealerweise<br />
werden zwei Applikationsformen von Opioiden<br />
benötigt: eine mit normaler Freisetzung<br />
zur Dosisfindung und eine Form mit modifizierter<br />
Freisetzung zur Erhaltungstherapie.<br />
Die einfachste Methode der Dosistitration ist<br />
die Gabe einer Morphindosis mit normaler<br />
Freisetzung alle vier Stunden und zusätzlich<br />
die gleiche Dosis bei Durchbruchschmerzen.<br />
Diese Zusatzmedikation kann so oft wie benötigt<br />
verabreicht werden (bis zu stündlich).<br />
+ schwaches Opioid<br />
Nichtopioidanalgetikum<br />
± Adjuvanz<br />
Stufe II<br />
+ invasive/nicht invasive <strong>Therapie</strong>optionen<br />
Onkologie/Palliativmedizin<br />
+ starkes Opioid<br />
Nichtopioidanalgetikum<br />
± Adjuvanz<br />
Stufe III<br />
Opioide der WHO-Stufe II<br />
Die Bedeutung der schwachen (Tramadol)<br />
bzw. mittelstarken (Tilidin/Naloxon) Opioide<br />
der WHO-Stufe II nimmt im Indikationsbereich<br />
Tumorschmerz gegenwärtig ab. Neuere<br />
Untersuchungen und daraus resultierende<br />
Empfehlungen stellen das starre Festhalten<br />
am Stufenschema von 1986 im Allgemeinen<br />
und den Nutzen der WHO-II-Opioidanalgetika<br />
im Speziellen infrage [6, 8]. Die aktuellen<br />
Empfehlungen der internationalen <strong>Gesellschaft</strong><br />
zum Studium des <strong>Schmerz</strong>es (IASP)<br />
gehen sogar dahin, auch beim opioidnaiven<br />
Tumorpatienten bereits initial mit der Einstellung<br />
auf starke Opioide in niedriger Dosis zu<br />
beginnen und dann bei Bedarf die Dosis der<br />
ausgewählten Substanz schrittweise zu steigern<br />
[6]. In der fixen Kombination mit Naloxon<br />
untersteht Tilidin ebenso wie die Substanz<br />
Tramadol nicht der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung.<br />
Das macht beide<br />
Substanzen vor allem für die ambulante Versorgung<br />
von Tumorschmerzpatienten in<br />
Deutschland weiterhin interessant.<br />
Tilidin/Naloxon und Tramadol<br />
Tilidin/Naloxon zeichnet sich gegenüber Tramadol<br />
nicht nur durch seine höhere analgetische<br />
Potenz aus, sondern auch dadurch,<br />
dass bei Niereninsuffizienz keine Kumulation<br />
auftritt. Außerdem wirkt die Substanz weniger<br />
obstipierend als Tramadol, was sich wahrscheinlich<br />
auf eine periphere-prähepatische<br />
Wirkung des Opioidantagonisten Naloxon auf<br />
Opioidrezeptoren im Darm aufgrund des<br />
First-Pass-Effekts zurückführen lässt. Bei<br />
manifester Leberinsuffizienz ist Tilidin/Naloxon<br />
kontraindiziert, da die Aktivierung des<br />
Pro-Drugs Tilidin zum analgetisch wirksamen<br />
Nortilidin einer intakten hepatischen Metabolisierung<br />
bedarf. Tramadol ist kein reiner<br />
µ-Rezeptoragonist und infolge serotonerger<br />
13<br />
Bildarchiv Freynhagen
Onkologie/Palliativmedizin<br />
Begleiteffekte treten deutlich häufiger Übelkeit<br />
und Erbrechen auf [24]. Bei Patienten mit<br />
Leberzirrhose ist die Metabolisierung von Tramadol<br />
eingeschränkt, sodass sich die Eliminationshalbwertszeiten<br />
von Tramadol und<br />
des aktiven Metaboliten M1 etwa verdoppeln.<br />
Auch bei Niereninsuffizienz kann sich die Eliminationshalbwertszeit<br />
verlängern. Tramadol<br />
ist in Deutschland zusätzlich als fixe Kombination<br />
mit Paracetamol erhältlich.<br />
Opioide der WHO-Stufe III<br />
Statt bei starkem <strong>Schmerz</strong> grundsätzlich eine<br />
Opioidtherapie mit Standardmorphin zu beginnen,<br />
sollten heute individuelle Faktoren<br />
wie <strong>Schmerz</strong>charakter und -rhythmus sowie<br />
die begleitenden Komorbiditäten der einzelnen<br />
Patienten in den Mittelpunkt gerückt werden,<br />
bevor man sich für das eine oder andere<br />
Opioidanalgetikum entscheidet. In Tabelle 1<br />
14<br />
Tabelle 1: Dosierungen von Nichtopioid- und Opioidanalgetika<br />
sind Dosierungen ausgewählter Analgetika ,<br />
in Tabelle 2 Beispiele möglicher Differen-<br />
zialindikationen von Opioiden gegeben.<br />
Morphin galt lange als Goldstandard in<br />
der <strong>Therapie</strong> mit starken Opioiden der WHO-<br />
Stufe III. Inzwischen sind jedoch moderne<br />
Retardopioide mit deutlich besserer Galenik<br />
verfügbar. Sie sind analgetisch potenter, wirken<br />
weniger obstipierend und ihre Metaboliten<br />
kumulieren weniger oder gar nicht. In<br />
letzter Zeit mehren sich zudem die Hinweise<br />
auf eine immunsuppressive Wirkung von Morphin<br />
[17, 30, 36]. Morphin ist in zahlreichen<br />
retardierten Zubereitungen einsetzbar. Für<br />
Durchbruchschmerzen stehen sowohl schnell<br />
freisetzende Morphinsulfattabletten, als auch<br />
Morphinlösungen zur Verfügung. Bei der intravenösen<br />
Verabreichung gilt es, die relativ<br />
lange Transferzeit der Substanz in das ZNS<br />
zu beachten, da es dadurch zu einem ver-<br />
Wirkstoff Einzel-/Tagesdosis (mg) Wirkdauer (h)<br />
WHO-Stufe I Paracetamol 500–1000/6000 4–6<br />
Ibuprofen 200–800/2400 8<br />
Celecoxib 100–200/200–400 12<br />
Etoricoxib 60,90,120/120 24<br />
Parecoxib 40/80 12<br />
Metamizol 500–1000/6000 6<br />
Flupirtin 100/600 8–12<br />
WHO-Stufe II/III Tilidin/Naloxon retard 50–200/600 8–12<br />
Opioide oral Tramadol retard 50–300/600 8–12<br />
Morphin retard 10–500/individuell 8–12 (–24)<br />
Oxycodon retard 5, 10, 20 ,40, 80/individuell 8–12<br />
Oxycodon/Naloxon ret. 10, 20/derzeit 40 mg 8–12<br />
Hydromorphon retard 4, 8, 16, 24/individuell 8–12<br />
Hydromorphon retard 8, 16, 32, 64/individuell 12<br />
(osmotisches System)<br />
Buprenorphin s.l. 0,2–1,2/individuell 24<br />
L-Methadon 5–100/individuell 6–8–12 (variabel!)<br />
WHO-Stufe III Fentanyl-TTS Ab 0,3 (12,5 µg/h) individuell 72<br />
Opioide transdermal Buprenorphin-TTS Ab 0,84 (35 µg/h) individuell 96<br />
(TTS = Transdermales<br />
Pflastersystem)<br />
Tabelle 2: Beispiele einer differenzierten Opioidauswahl<br />
Symptom/Erkrankung Opioid<br />
Obstipation Fentanyl-TTS, Buprenorphin-TTS, Oxycodon/Naloxon<br />
Übelkeit, Erbrechen Fentanyl-TTS, Methadon<br />
Dysphagie<br />
(sondengängig)<br />
TTS, Morphingranulate (sondengängig), Hydromorphon<br />
Juckreiz „Trial and Error“ nach analgetischer Wirksamkeit<br />
Verwirrtheit, Schwindel Dosisreduktion, Oxycodon ± Naloxon, Tilidin/Naloxon<br />
Histaminliberation, Analgetikaasthma Dosisreduktion, Methadon<br />
Polymedikation Hochdosisbereich Hydromorphon, Fentanyl-TTS, Buprenorphin-TTS<br />
Niereninsuffizienz Tilidin/Naloxon, Buprenorphin, Hydromorphon<br />
Leberfunktionsstörung Fentanyl-TTS, Hydromorphon<br />
zögerten Auftreten potenziell gefährlicher<br />
Nebenwirkungen kommen kann [29].<br />
Oxycodon ist doppelt so stark wirksam<br />
wie Morphin. Aufgrund einer biphasischen<br />
Resorptionsgalenik kommt es zu einem raschen<br />
Wirkeintritt bei zugleich langer Wirkdauer<br />
von bis zu zwölf Stunden. Neuere Arbeiten<br />
legen nahe, dass Oxycodon anderen<br />
Opioiden bei viszeralen und neuropathischen<br />
<strong>Schmerz</strong>en überlegen zu sein scheint. Bei<br />
beiden <strong>Schmerz</strong>arten kommt es zu einer<br />
Hochregulation von κ-Opioidrezeptoren, zu<br />
denen Oxycodon eine hohe Affinität besitzt<br />
[25]. Oxycodon ist in zahlreichen Wirkstärken<br />
verfügbar, neuerdings auch in der Kombination<br />
mit dem Opioidantagonisten Naloxon, der<br />
peripher-prähepatisch an Opioidrezeptoren<br />
im Darm wirkt. Erste Studienergebnisse zeigen<br />
unter dem Kombinationspräparat eine<br />
signifikant geringere Obstipationstendenz bei<br />
gleicher analgetischer Wirkung [20].<br />
Hydromorphon<br />
Ähnlich wie Oxycodon zeichnet sich Hydromorphon<br />
durch eine hohe orale Bioverfügbarkeit<br />
aus (etwa 60%). Es ist etwa achtmal<br />
so stark wirksam wie Morphin. Hydromorphon<br />
hat bei multimorbiden Patienten unter<br />
Polymedikation entscheidende Vorteile, die<br />
auch im Hochdosisbereich erhalten bleiben:<br />
Die Metabolisierung erfolgt weitestgehend<br />
unabhängig vom Cytochrom-P450-Enzymsystem,<br />
dem Hauptkatalysator des Arzneistoffwechsels.<br />
Darüber hinaus trägt auch die sehr<br />
geringe Plasmaeiweißbindung dazu bei,<br />
Kumulation und Interaktion mit anderen Medikamenten<br />
zu vermeiden. Aktuelle Arbeiten<br />
deuten darauf hin, dass diese Vorteile insbesondere<br />
bei alten, multimorbiden Patienten<br />
zum Tragen kommen [16].<br />
Hydromorphon ist in verschiedenen Wirkstärken<br />
verfügbar, sowohl als zweimal täglich<br />
zu applizierende Retardkapsel als neuerdings<br />
auch als Langzeit-Retardtablette, die den Wirkstoff<br />
mittels eines neuen osmotischen Systems<br />
gleichmäßig über 24 Stunden freisetzt. Vorteile<br />
der zweimal zu applizierenden Retardkapsel<br />
sind einerseits, dass man die erforderliche<br />
Dosis dem individuellen Bedarf des Patienten<br />
im Tagesverlauf besser anpassen und andererseits<br />
die Kapsel bei schluckunfähigen Patienten<br />
aufbrechen und die darin erhaltenen<br />
Pellets ohne Verlust von Wirkung und Retardierung<br />
über eine Sonde verabreichen kann.<br />
Die neue 24-Stunden-Galenik hingegen bietet<br />
Patienten größtmögliche Unabhängigkeit. Für<br />
Durchbruchschmerzen steht schnell freisetzendes<br />
Hydromorphon in zwei verschiedenen<br />
Wirkstärken zur Verfügung.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)
Transdermale Systeme<br />
In Pflasterform befinden sich in Deutschland<br />
derzeit zwei verschiedene Opioide auf dem<br />
Markt. Fentanyl ist etwa 80- bis 100-fach stärker<br />
analgetisch wirksam als Morphin,<br />
Buprenorphin (partieller Opioidantagonist)<br />
etwa 30- bis 50-fach. Mittels moderner Matrixsysteme<br />
werden beide Wirkstoffe gleichmäßig<br />
über einen langen Zeitraum freigesetzt,<br />
Fentanyl über 72, Buprenorphin über<br />
96 Stunden. Stabile Plasmaspiegel werden<br />
mit Buprenorphin nach etwa zwölf, mit Fentanyl<br />
nach etwa 24 Stunden erreicht. Beide<br />
Systeme führen in etwas geringerem Ausmaß<br />
zu Obstipation als die starken oralen Opioide.<br />
Im Gegensatz zu Fentanyl kumuliert<br />
Buprenorphin nicht bei Niereninsuffizienz<br />
und bindet nicht an Serumalbumin, sondern<br />
ganz überwiegend an α- oder β-Globuline,<br />
wodurch das Arzneimittelinteraktionsrisiko<br />
reduziert wird [31]. Als wirkstoffgleiche Medikation<br />
für Durchbruchschmerzen stehen<br />
transmukosales Fentanyl als Lutschtablette<br />
bzw. Buprenorphin als Sublingualtablette zur<br />
Verfügung. Beide Pflastersysteme stellen<br />
eine wertvolle Bereicherung des therapeutischen<br />
Arsenals bei Tumorschmerzen dar.<br />
Sie sind vor allem bei Schluck- und/oder Passagestörungen<br />
indiziert. Bedingt durch ihre<br />
träge Kinetik sind sie allerdings weniger geeignet<br />
für die <strong>Therapie</strong> von instabilen <strong>Schmerz</strong>en<br />
mit häufigen Durchbruchschmerzen.<br />
Levomethadon<br />
Levomethadon ist als Reservesubstanz bei<br />
therapieresistenten Opioidnebenwirkungen<br />
Tabelle 3: Koanalgetika (Auswahl)<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)<br />
wie z. B. Juckreiz, Morphinasthma, opioidbedingter<br />
Hyperalgesie oder ansonsten nicht zu<br />
beherrschenden neuropathischen <strong>Schmerz</strong>syndromen<br />
einzustufen. Methadon ist eine<br />
effektive Alternative, allerdings kann die Anwendung<br />
komplizierter sein als die anderer<br />
Opioide. Die Besonderheiten der Substanz<br />
lässt Levomethadon für die Hand des<br />
schmerztherapeutisch Unerfahrenen eher<br />
ungeeignet erscheinen. Die stark variable<br />
Eliminationshalbwertszeit – zwischen 4 und<br />
über 100 Stunden – überdauert die zwischen<br />
sechs und zwölf Stunden variierende analgetische<br />
Wirksamkeit deutlich. Die interindividuell<br />
stark unterschiedlichen Plasmaspiegel<br />
aktiver Metaboliten bergen das Risiko einer<br />
Kumulation, so dass nach drei bis sieben Tagen<br />
eine Dosisreduktion um 20–30% versucht<br />
werden sollte. Eine retardierte Zubereitung<br />
von Levomethadon gibt es nicht [24].<br />
Individuelle Dosierung und<br />
Durchbruchschmerzen<br />
In der Regel haben Tumorschmerzpatienten<br />
zwischen 10.00 und 22.00 Uhr ihren höchsten<br />
Analgetikabedarf. Dennoch hat jeder Patient<br />
seinen eigenen <strong>Schmerz</strong>rhythmus der in<br />
der Einstellungsphase gut dokumentiert werden<br />
sollte, um dann möglichst an diesen angepasst<br />
zu therapieren. Darüber hinaus haben<br />
viele Krebspatienten trotz guter <strong>Therapie</strong>einstellung<br />
vorübergehende <strong>Schmerz</strong>spitzen<br />
(Durchbruchschmerzen), zum Beispiel<br />
ausgelöst durch Bewegung oder Husten. Sie<br />
treten in diesem Patientenkollektiv mit einer<br />
geschätzten Prävalenz von über 60% auf.<br />
Wirkstoffklasse Indikation Wirkung Dosierung/Hinweise<br />
Kortikosteroide Hirndruck, Inappetenz Antiödematös, Dosierung abhängig<br />
antiphlogistisch, von Indikation<br />
roborierend, appetit- Orale oder parenteral<br />
steigernd, stimmungs- z. B.: Dexamethason<br />
aufhellend 2–40 mg/Tag<br />
Antidepressiva Neuropathische <strong>Schmerz</strong>distanzierend, Amitriptylin: 10–150 mg/Tag<br />
<strong>Schmerz</strong>en, <strong>Schmerz</strong>- Verstärkung der körper- Venlafaxin: 37,5–225 mg/Tag<br />
distanzierung eigenen <strong>Schmerz</strong>hem- Duloxetin: 30–60 mg/Tag<br />
mung, stimmungsauf- Mirtazapin: 15–45 mg/Tag<br />
hellend, sedierend/<br />
antriebsteigernd<br />
Antikonvulsiva Neuropathische Verbesserung des Schlafs, Langsame Dosistitration, da<br />
<strong>Schmerz</strong>en anxiolytisch oft sedierende Nebenwirkung<br />
Gabapentin ab 300 mg/Tag<br />
[bis 3600 mg/Tag]<br />
Pregabalin ab 75 mg/Tag<br />
[bis 600 mg/Tag]<br />
Bisphosphonate Knochenmetastasen Orale und parenterale<br />
Tumorosteopathie <strong>Therapie</strong> möglich<br />
Hyperkalzämie z. B. Alendronsäure: 70 mg<br />
einmal wöchentlich<br />
Onkologie/Palliativmedizin<br />
Durchbruchschmerzen können mit etwa<br />
einem Sechstel der Opioidtagesdosis in<br />
schnell freisetzender Form behandelt werden,<br />
wobei aber auch mit einem starken<br />
Nichtopioid (wie z. B. Metamizol) kombiniert<br />
werden kann. Das hierzu verwendete Opioid<br />
muss nicht wirkstoffgleich mit dem Retardpräparat<br />
sein, dies gilt nach klinischen Erfahrungen<br />
auch für den Partialagonisten<br />
Buprenorphin, der im Regelfall problemlos<br />
mit z. B. schnell freisetzendem Morphin kombinierbar<br />
ist. Wenn die <strong>Schmerz</strong>en immer<br />
wieder auftreten, bevor die nächste Dosis<br />
fällig ist, muss die Dauermedikation angepasst<br />
werden.<br />
Dabei sollte eine Dosiserhöhung und<br />
nicht die Verkürzung der pharmakologisch<br />
sinnvollen Applikationsintervalle angestrebt<br />
werden.<br />
Koanalgetika<br />
Koanalgetika sind keine <strong>Schmerz</strong>mittel im<br />
engeren Sinne. Sie wirken jedoch über verschiedene<br />
Mechanismen, die die <strong>Schmerz</strong>leitung<br />
und Verarbeitung beeinflussen und führen<br />
damit zu einer zusätzlichen <strong>Schmerz</strong>linderung.<br />
Durch ihren gezielten Einsatz kann<br />
eine additive analgetische Wirkung erreicht<br />
und ggf. eine verbesserte Analgesie bzw. eine<br />
Dosisreduktion der bislang eingesetzten<br />
Analgetika (und eine Abnahme dosisabhängiger<br />
Nebenwirkungen) ermöglicht werden.<br />
Eine Auswahl der wichtigsten Wirkstoffklassen<br />
zeigt Tabelle 3. Es muss aber darauf<br />
hingewiesen werden, dass zahlreiche<br />
der aufgeführten Substanzen für diesen<br />
Zweck nicht explizit zugelassen sind. Bei<br />
neuropathischen <strong>Schmerz</strong>en zeichnen sich<br />
die modernen Antikonvulsiva Gabapentin<br />
und Pregabalin gegenüber Carbamazepin<br />
und den trizyklischen Antidepressiva durch<br />
ein günstigeres Nebenwirkungsprofil aus.<br />
Beide werden nicht hepatisch metabolisiert<br />
und unverändert renal ausgeschieden (cave:<br />
Niereninsuffizienz, dann Dosis reduzieren),<br />
was das Risiko von Arzneimittelinteraktionen<br />
minimiert. Pregabalin hat im Vergleich zu Gabapentin<br />
die Vorteile eines signifikant schnelleren<br />
Wirkungseintritts, einer spürbaren anxiolytischen<br />
Wirkung und einer Vertiefung der<br />
erholsamen Schlafphasen [4, 10, 12, 26, 28].<br />
Aufgrund der deutlich besseren Verträglichkeit<br />
im Vergleich zu den alten trizyklischen<br />
Antidepressiva sind heute die modernen dual<br />
wirksamen Substanzen zu bevorzugen.<br />
Medikamentöse Symptom-<br />
therapie mit Adjuvanzien<br />
Neben <strong>Schmerz</strong>en sind u. a. therapieresistente<br />
Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Atemnot,<br />
15
Bildarchiv Freynhagen<br />
Onkologie/Palliativmedizin<br />
Angst, Depression, Appetitlosigkeit, Dehydratation,<br />
Gewichtsverlust, Juckreiz oder unwillkürlicher<br />
Speichelfluss häufige und die Lebensqualität<br />
extrem einschränkende Symptome<br />
bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen.<br />
Diese werden vielfach unterschätzt,<br />
ihre Behandlung wird vernachlässigt oder nur<br />
unstrukturiert durchgeführt. Durch ein differenziertes<br />
<strong>Therapie</strong>konzept lässt sich bei den<br />
meisten Patienten auch bei diesen Symptomen<br />
eine zufriedenstellende Symptomkontrolle<br />
erzielen. Zum Einsatz kommen<br />
meist sog. Adjuvanzien. Sie richten sich gegen<br />
Symptome des Tumors bzw. der Grunderkrankung<br />
oder auch gegen Nebenwirkungen<br />
der <strong>Therapie</strong>. So ist z. B. im Rahmen<br />
einer Opioidtherapie initial in einer Häufigkeit<br />
von 20–30% mit dem Auftreten von Übelkeit<br />
und Erbrechen zu rechnen. Gegen die rein<br />
opioidbedingte Übelkeit entwickelt sich nach<br />
etwa zehn Tagen eine Toleranz. Während dieser<br />
Zeit ist eine entsprechende antiemetische<br />
Prophylaxe für die Lebensqualität sehr wichtig.<br />
Übelkeit und Erbrechen beim Tumorpatienten<br />
können abgesehen von der Behandlung<br />
mit Opioiden vielfältige andere Ursachen<br />
haben. Eine Auswahl an therapeutischen Optionen<br />
zeigt Tabelle 4. Auch wenn sich die<br />
verschiedenen Opioide in ihrer obstipierenden<br />
Wirkung tendenziell unterscheiden (umfangreiche<br />
Erfahrungen mit der neuen Kombination<br />
Oxycodon/Naloxon stehen noch aus),<br />
stellt Obstipation die hartnäckigste Nebenwirkung<br />
von Opioiden dar, gegen die sich auch<br />
keine Toleranz entwickelt. Eine adjuvante Behandlung<br />
mit Laxanzien muss also in aller<br />
Regel kontinuierlich erfolgen [4, 26]. Dabei<br />
kann z. B. nach dem in Abb. 2 gezeigten Stufenschema<br />
vorgegangen werden.<br />
Die Angst vor dem Sterben oder nur die<br />
Angst davor, im Sterben allein gelassen zu<br />
werden, ist ein häufiger Trigger auftretender<br />
Abb. 2 Stufenschema der Laxanzientherapie.<br />
16<br />
1<br />
2<br />
3<br />
Macrogol<br />
4<br />
Symptome, die immer zwingend berücksichtigt<br />
werden muss. Hier sind meist nicht<br />
nur Medikamente, sondern darüber hinaus<br />
persönliche Zuwendung und empathische<br />
Begleitung wesentliche Voraussetzungen für<br />
den <strong>Therapie</strong>erfolg.<br />
Invasive Tumorschmerztherapie<br />
Jede Behandlung sollte gleichzeitig so effektiv<br />
und so wenig invasiv wie möglich sein.<br />
Invasive Behandlungsverfahren sind, schöpft<br />
man die zur Verfügung stehenden konservativen<br />
Verfahren rational aus, nur bei sehr wenigen<br />
Tumorschmerzpatienten indiziert.<br />
In der Finalphase eines Tumorleidens<br />
ist die Resorption oral oder transdermal zugeführter<br />
Pharmaka oft nicht mehr gewährleistet.<br />
8<br />
Manuelle Ausräumung<br />
7<br />
Rizinusöl<br />
6<br />
Senna & Paraffin & Amidotrizoesäure<br />
5<br />
Macrogol & Senna & Paraffin<br />
& Suppositorien & Einlauf<br />
Macrogol & Senna & Paraffin<br />
Macrogol & Senna<br />
Macrogol & Natriumpicosulfat<br />
PHN<br />
postherpetische Neuralgie<br />
Nach: Klaschik E et al., Support Care Cancer 2003;11:679–685<br />
Tabelle 4: Antiemetika (Auswahl)<br />
Substanzgruppe Substanz Dosis Wirkdauer Wirkort Hinweis<br />
(Beispiel) (mg) (h)<br />
Antihistaminika Dimenhydrinat 100–200 8 B, C Aufhebung der<br />
prokinetischen Wir-<br />
kung von Metoclo-<br />
pramid und Neuro-<br />
leptika<br />
Neuroleptika Butyrophenon 0,3–0,5–1 8–12 C Zentralnervöse<br />
Nebenwirkungen<br />
Anticholinergika Scopolamin-TTS 1,5 72–96 B Verstärkte Obsti-<br />
(1 Pflaster) pationsneigung<br />
Prokinetika Metoclopramid 10 4–5 G, C Extrapyramidale NW<br />
5-HT3-Antagonist Ondansetron 4–8 4–8 B Bei chemotherapie-<br />
induzierter Übelkeit,<br />
verstärkter Obstipa-<br />
tionsneigung<br />
Glukokortikoide Dexamethason 4–8 6–24 B Ulkusprophylaxe<br />
Cannabinoide Tetrahydro- Individuell 8–12 ZNS BTM-pflichtig<br />
cannabinol<br />
B Brechzentrum, C Chemorezeptortriggerzone, G Gastrointestinaltrakt; TTS Transdermales <strong>Therapie</strong>system<br />
Dann sollte die Applikationsform entsprechend<br />
geändert werden. Dabei sind<br />
die Äquivalenzdosierungen verschiedener<br />
Applikationsformen zu beachten (Tab. 5).<br />
Mittlerweile werden neben der subkutanen<br />
Medikamentengabe häufig tragbare batteriegetriebene<br />
Spritzenpumpen eingesetzt,<br />
um Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung,<br />
die eine orale Medikation nicht<br />
mehr zu sich nehmen können, mit einer<br />
kontinuierlichen Infusion (z. B. als patientenkontrollierte<br />
Analgesie, PCA) zu versorgen.<br />
Auch die epidurale oder intrathekale Applikation<br />
von Opioidanalgetika in Kombination<br />
mit Lokalanästhetika oder Clonidin kann im<br />
Einzelfall erwogen werden. Klassische Indikationen<br />
bestehen in der <strong>Therapie</strong> viszeraler<br />
Abdominalschmerzen und neuropathischer<br />
<strong>Schmerz</strong>en.<br />
Invasive Verfahren können eingesetzt<br />
werden bei speziellen Tumorentitäten wie<br />
z. B. die Neurolyse des Plexus coeliacus als<br />
Ultima ratio beim fortgeschrittenen Pankreaskarzinom<br />
oder bei ausgeprägter abdomineller<br />
Metastasierung eines Ovarialkarzinoms.<br />
Weitere Optionen sind u. a. Sympathikusblockaden<br />
bei therapierefraktären neuropathischen<br />
<strong>Schmerz</strong>en, z. B. durch Infiltration<br />
von Nervenplexus oder -wurzeln (u. a. bei<br />
Mammakarzinomen mit Infiltration des Plexus<br />
brachialis) oder durch Einbruch von Tumoren<br />
oder Filiae in den Spinalkanal. Auch Begleit-<br />
erkrankungen wie z. B. eine ausgeprägte<br />
Lymphabflussstörung mit sympathisch unterhaltenem<br />
<strong>Schmerz</strong> oder eine Zosterneuralgie<br />
können den Einsatz invasiver Verfahren<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)<br />
Mod. nach [4]
in seltenen Fällen erforderlich machen. Sie<br />
sollten aber ausschließlich von dafür speziell<br />
ausgebildeten und erfahrenen Therapeuten<br />
durchgeführt werden.<br />
Fazit für die Praxis<br />
Eine differenzierte, am <strong>Schmerz</strong>typ und den<br />
Komorbiditäten orientierte <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
und Symptomkontrolle kann sehr effektiv sein<br />
und die Lebensqualität von Tumorpatienten<br />
deutlich verbessern [3, 21]. Die Wünsche der<br />
Patienten und ihr Gewinn an Lebensqualität<br />
haben dabei höchste Priorität. Dies wird<br />
umso besser gelingen, wenn die <strong>Therapie</strong> in<br />
ein ganzheitliches Behandlungskonzept integriert<br />
ist, das auch die psychosozialen und<br />
spirituellen Bedürfnisse der einzelnen Patienten<br />
intensiv berücksichtigt. Hierzu gehört<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)<br />
Tabelle 5: Applikationswege und Äquivalenzdosierungen von Morphin<br />
Applikationsform Morphin<br />
Oral 30 mg<br />
Subkutan 15 mg = 50% der oralen Dosis<br />
Intravenös 10 mg = 30% der oralen Dosis<br />
Epidural 1–3 mg = 10–30% der intravenösen Dosis<br />
Intrathekal 0,1–0,3 mg = 10% der epiduralen Dosis<br />
die enge Zusammenarbeit mit Pflege, Seelsorgern,<br />
Sozialarbeitern, Psychologen und<br />
Physio-/Ergotherapeuten – im Sinne einer<br />
Palliative Care. Eine offene, einfühlsame und<br />
ehrliche Kommunikation mit den Patienten<br />
und ihren Angehörigen, die Erstellung eines<br />
individuellen <strong>Therapie</strong>plans sowie die regel-<br />
Die neue spezialisierte ambulante<br />
Palliativversorgung<br />
Hoffnung auf eine flächendeckende Versorgung von unheilbar Kranken<br />
am Lebensende gibt das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG),<br />
kommentiert Dr. med. Thomas Nolte, DGS-Vizepräsident Wiesbaden.<br />
Bei aller Kritik am GKV-WSG sind die<br />
Neuregelungen zur Verbesserung der<br />
Versorgung unheilbar Kranker am Lebensende,<br />
die ab 1. April <strong>2007</strong> Gültigkeit haben, ein<br />
Durchbruch und Paradigmenwechsel. In konsequenter<br />
und entschlossener Haltung hat<br />
die Gesundheitspolitik den Krankenkassen<br />
und Leistungserbringern den Auftrag erteilt,<br />
die seit Jahren beklagten und von der Hospizund<br />
Palliativbewegung immer wieder vorgetragenen<br />
Defizite durch neu zu schaffende<br />
Versorgungsstrukturen zu minimieren und<br />
eine würdevolle und qualifizierte Behandlung<br />
von Sterbenden zur Regel zu machen. Hierfür<br />
gebührt unserer Gesundheitsministerin Respekt<br />
und Anerkennung!<br />
Risiken vorprogrammiert<br />
Sicher haben auch die sehr positiven Erfahrungen<br />
aus den integrierten Versorgungsprojekten<br />
einer koordinierten interdisziplinären<br />
und multiprofessionellen Hospiz- und Palliativversorgung<br />
zu dieser Entwicklung beigetragen.<br />
Diese sind in die neu geschaffenen<br />
§ 37b und §132d eingeflossen. Allerdings<br />
sind hier nur die Rahmenbedingungen festgehalten,<br />
eine definitive Ausgestaltung der<br />
Ausführungsbestimmungen ist bis September<br />
<strong>2007</strong> durch den Gemeinsamen Bundesausschuss<br />
zu erwarten.<br />
Und hier lauern die ersten Gefahren!<br />
In allen angesprochenen Bereichen ist eine<br />
hektische Betriebsamkeit ausgebrochen, um<br />
für die neue Situation gerüstet zu sein! Die<br />
Fachverbände stricken an ihren Vorstellungen<br />
zur Ausgestaltung, die Krankenkassen haben<br />
wieder andere Vorstellungen, die Interessen<br />
anderer scheinen gänzlich unberücksichtigt.<br />
Ein besonderes Anliegen des Gesetzgebers<br />
ist die Berücksichtigung gewachsener<br />
Versorgungsstrukturen, die in den letzten<br />
Jahren maßgeblich durch ihr Engagement<br />
und ihren Idealismus zu der positiven Entwicklung<br />
beigetragen haben.<br />
Doppelstrukturen in Hessen<br />
Bereits hier zeigen sich einige besorgniserregende<br />
Tendenzen! Nach den jahrelangen<br />
Bemühungen aus dem Ehrenamt der Hospizbewegung<br />
heraus und dem ideellen Engagement<br />
im Bereich der Pflege und Ärzteschaft<br />
droht diesen Pionieren, von der Gestaltung<br />
der zukünftigen Versorgungsstrukturen ausgeschlossen<br />
zu werden. Zurzeit werden an<br />
sechs Standorten in Hessen Doppelstrukturen<br />
zu den gewachsenen Hospiz- und Pallia-<br />
Onkologie/Palliativmedizin<br />
mäßige Untersuchung vor und während der<br />
Behandlung tragen zur Zufriedenheit beider<br />
Seiten bei.<br />
Rainer Freynhagen, Andrea Schmitz, Peter<br />
Busche, Düsseldorf<br />
Uwe Junker, Remscheid<br />
Thomas Nolte,<br />
Wiesbaden<br />
tivstrukturen vor Ort aufgebaut. Mit Vorverträgen<br />
nach § 140 SGB V haben sich die sogenannten<br />
großen Versorgerkassen AOK, DAK,<br />
BEK und IKK eine Option auf eine krankenhauskoordinierte<br />
ambulante Palliativversorgung<br />
gesichert, ohne dass diese Kliniken<br />
zum Teil über die notwendige fachliche Qualifikation<br />
noch über Erfahrungen in der ambulanten<br />
Versorgung verfügen. Diese sollen<br />
aber nach Aussage der beteiligten Krankenkassen<br />
nach dem 1. April <strong>2007</strong> als „vorbestehende“<br />
Einrichtungen die vom Gesetzgeber<br />
geschaffene spezialisierte ambulante Palliativversorgung<br />
im Rahmen der integrierten<br />
Versorgung nach § 140 unter Umgehung<br />
der Regularien nach dem GKV-WSG über-<br />
nehmen.<br />
Für die beteiligten Krankenkassen geht<br />
es hier vorrangig um Kosteneinsparungen,<br />
während der Gesetzgeber ausdrücklich die<br />
Notwendigkeit der Bereitstellung von neuen<br />
Geldern eingefordert hat! Hier werden also<br />
jetzt bereits deutlich erkennbar in der Schutzzone<br />
des § 140 SGB V zwei wesentliche Forderungen<br />
des § 32b und 132d ausgehebelt.<br />
Bevor jetzt in aller Eile Fakten geschaffen<br />
17<br />
Mod. nach [4]
Kommentar<br />
werden, wäre es ein Gebot der Vernunft, bestehende<br />
Initiativen, gewachsene Strukturen<br />
wie auch Modellprojekte im Rahmen der integrierten<br />
Versorgung zu evaluieren, um die-<br />
se wertvollen Erfahrungen in der Ausgestaltung<br />
bundesweiter Strukturen zur speziellen<br />
ambulanten Palliativversorgung zu berücksichtigen!<br />
Ambulante Versorgung sektorenübergreifend<br />
Leider nimmt das Gesetzeswerk zu der Situation<br />
der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung<br />
keine Stellung, da sie, obwohl nicht<br />
existent, als gegeben vorausgesetzt wird. Dabei<br />
ist nur durch Überwindung der stark sektoralisierten<br />
Strukturen in der Regelversorgung,<br />
die mit zu der beklagten Fehl- und<br />
Unterversorgung für Schwerstkranke am Lebensende<br />
geführt haben, ein organischer<br />
Aufbau der allgemeinen wie auch spezialisierten<br />
ambulanten Palliativversorgung zu<br />
erreichen. Die Aufgabe der spezialisierten<br />
ambulanten Palliativteams muss deshalb<br />
auch in der Koordination und Stützung der<br />
allgemeinen (hospizlichen und palliativen)<br />
Versorgung bestehen. Nur so ist der zentrale<br />
Gedanke im GKV-WSG der verbesserten ambulanten<br />
Versorgung für unheilbar Kranke am<br />
Lebensende realisierbar. Rein interventionelle<br />
Konzepte spezieller Teams, die sich,<br />
ergänzend zur Regelversorgung außerdem<br />
als Krisenmanagement am Lebensende verstehen,<br />
ohne die strukturellen und ökonomischen<br />
Mängel der Regelversorgung zu<br />
beheben, sind eindeutig abzulehnen.<br />
Abgestufte Versorgung weiterhin<br />
Fiktion!<br />
Damit fehlt einmal mehr (siehe allgemeine<br />
und spezielle <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>) ein Funda-<br />
18<br />
ment für eine abgestufte Versorgungsstruktur.<br />
Deshalb sind alle Neuerungen im Bereich der<br />
„spezialisierten ambulanten Palliativversorgung“<br />
nur Stückwerk, wenn nicht auch im<br />
Bereich der „allgemeinen ambulanten Palliativversorgung“<br />
angemessene Regularien gefunden<br />
werden. Der Hessische Hausärzteverband<br />
hat sich bereits von Konzepten distanziert,<br />
die „top down“ das Verordnungsrisiko<br />
und die Leistungserbringung beim Hausarzt<br />
belassen.<br />
Durch die erhöhten Anforderungen an<br />
die ambulante Versorgung sind hier ausreichend<br />
Finanzmittel zur Behebung der Unterfinanzierung<br />
bereitzustellen, um Hindernisse<br />
in Form von fehlenden Arznei-, Heil- und<br />
Hilfsmittelbudgets zu überwinden. Konzepte,<br />
die diese Defizite ausklammern, zäumen einmal<br />
mehr das Pferd von hinten auf und bauen<br />
auf insuffizienten Basisstrukturen auf.<br />
Alle Verträge müssen für alle zugänglich<br />
sein. Es dürfen keine Verträge mit Ausschließlichkeitsregelungen<br />
zugelassen werden: Entscheidend<br />
ist die fallbezogene Leistungserbringung<br />
unter Zugrundelegung der für alle<br />
verbindlichen Qualitätsanforderungen.<br />
Mehr Transparenz<br />
Transparenz und Offenheit sind obligat. Hierzu<br />
gehört, dass die verschiedenen Berufsgruppen<br />
im Palliativ-Care-Team zwar den hospizlichen<br />
und palliativen Inhalten verpflichtet<br />
sind, in ihren ethischen Entscheidungen und<br />
ihrer Meinungsfreiheit aber müssen sie unbelastet<br />
sein von wirtschaftlicher Einflussnahme<br />
und Abhängigkeiten. Spezialisierte ambulante<br />
Palliativteams mit allen beteiligten Berufsgruppen<br />
in einer Trägerschaft erfüllen dieses<br />
Kriterium nicht! Qualitätszirkel und Palliativkonferenzen<br />
müssen für alle Leistungserbringer<br />
offen sein.<br />
Mittelfristig müssen die<br />
verschiedenen Modelle auf<br />
ihre Stärken und Schwächen<br />
hin überprüft werden.<br />
Deshalb müssen alle bereits<br />
geschlossenen Verträge<br />
offengelegt und allen Leistungserbringern<br />
die Mitwirkung<br />
ermöglicht werden.<br />
Eine Monopolisierung<br />
der Versorgung ist unbedingt<br />
zu vermeiden. Verträge, die<br />
dezidiert Leistungserbringer<br />
ausschließen, sind abzulehnen.<br />
Die Kooperation regionaler<br />
Palliativteams sowie<br />
eine einrichtungsübergreifende<br />
Qualitätssicherung<br />
sind unverzichtbar.<br />
Bildarchiv <strong>Deutsche</strong>s Ärzteblatt, modifiziert<br />
Vielfältige Versorgungsmodelle<br />
obligat<br />
Die Vielfalt der Versorgungsstrukturen ist dabei<br />
unbedingt zu erhalten. Deshalb stimmen<br />
wir der im Eckpunktepapier genannten Vielzahl<br />
von Szenarien zu. Nur so wird mittelfristig<br />
eine ansatzweise flächendeckende, dezentrale,<br />
hospizliche und ambulante Struktur<br />
auf dem Boden einer hausärztlich gesteuerten<br />
Versorgung unter Berücksichtigung der<br />
unterschiedlichen regionalen Rahmenbedingungen<br />
möglich sein.<br />
Der Ausbau einer spezialisierten ambulanten<br />
Palliativversorgung würde von der<br />
Kenntnis der aktuell anfallenden Kosten in<br />
der Versorgung von Patienten am Lebensende<br />
sehr profitieren. Die aktuelle Diskussion<br />
wird davon geprägt, dass die Krankenkassen<br />
glauben, diese neu zu schaffenden Strukturen<br />
seien zu teuer, während die Leistungserbringer<br />
das Gefühl haben, durch eine verbesserte<br />
Versorgung am Lebensende real<br />
Kosten einzusparen und dafür noch schlecht<br />
bezahlt zu werden.<br />
Bei der im Gesundheitssurvey nachgewiesenen<br />
Über- und Fehlversorgung von<br />
Patienten am Lebensende ermöglicht eine<br />
Umlenkung der bisherigen Ausgaben in<br />
ein Palliativversorgungsnetz eine optimale<br />
hospizliche und palliative Versorgung ohne<br />
Mehrkosten in Relation zu der bisher fehlgesteuerten<br />
Versorgungssituation. Erste Ergebnisse<br />
aus dem PalliativNetz Wiesbaden<br />
Taunus und Osthessen/Fulda belegen dies.<br />
Eine zusätzliche Finanzierung von spezialisierten<br />
ambulanten Palliative-Care-Teams<br />
wäre so nicht notwendig und ein weiteres<br />
Beispiel, wie durch Integration und Netzwerkbildung<br />
optimale Versorgungsstrukturen kostenneutral<br />
zur Regelversorgung umgesetzt<br />
werden können. Leider liegen nur von einer<br />
Krankenkasse valide Daten für die globalen<br />
Versorgungskosten bei unheilbar Kranken in<br />
den letzten drei Lebensmonaten vor.<br />
Tagespauschale<br />
Für eine langfristig verantwortungsvolle Finanzierung<br />
der Leistungserbringung sind<br />
deshalb tagesbasierte Pauschalen mit globaler<br />
Budgetverantwortung zu fordern. Diese<br />
sollten alle Leistungen in der Versorgung von<br />
Schwerstkranken am Lebensende umfassen.<br />
Dies würde eine qualitätsgesicherte Versorgung<br />
mit leistungsgerechter Honorierung aller<br />
Leistungserbringer bei voller Kostentransparenz<br />
und Vergleichbarkeit der Projektregionen<br />
ermöglichen. Außerdem bestünden<br />
Anreize für eine optimale Leistungserbringung<br />
mit 24-Stunden-Erreichbarkeit und dem<br />
Vermeiden von unnötigen stationären Einwei-<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)
sungen. Die einzelnen Projektregionen hätten<br />
durch dieses Finanzierungskonzept die Möglichkeit,<br />
ihre bereits bestehenden Strukturen<br />
weiterzuentwickeln und den Anforderungen<br />
vor Ort anzupassen.<br />
Auch wenn der Wunsch nach schnellen<br />
Schritten verlockend ist, ist jetzt eine wohlüberlegte<br />
Strategie mit langfristig tragenden<br />
Strukturen und einer organischen Entwicklung<br />
eindeutig vorzuziehen. Imperiale Ten-<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)<br />
denzen nach dem Motto „Divide et impera“,<br />
wie in Hessen erkennbar, sind mit den Inhalten<br />
der Hospiz- und Palliativversorgung wie<br />
auch den neuen gesetzlichen Grundlagen<br />
nicht vereinbar und inakzeptabel. Eine Politik<br />
der kleinen Schritte, die insbesondere auch<br />
die Erfahrungen aus den laufenden IV-Palliativverträgen<br />
berücksichtigen, bieten eine<br />
gute Grundlage für eine qualitätsgesicherte<br />
und harmonische Entwicklung einer flächen-<br />
Kommentar<br />
deckenden Hospiz- und Palliativversorgung!<br />
Beispiele aus Verträgen mit der Techniker<br />
Krankenkasse und dem Landesverband der<br />
Betriebskrankenkassen für die integrierte<br />
Versorgung von Palliativpatienten IVP in<br />
Wiesbaden und Fulda belegen dies (siehe<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> 4/06).<br />
Was kostet die Versorgung am Lebensende?<br />
Eine Analyse der Kosten in der Regelversorgung sowie von allgemeiner<br />
und spezieller Palliativversorgung beschreibt Dr. med. Thomas Nolte,<br />
Vizepräsident DGS und 1. Vorsitzender PalliativNetz Wiesbaden-Taunus.<br />
Das gesetzliche Krankenversicherungs-<br />
Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV<br />
WSG) hat sich zum Ziel gesetzt, die ambulante<br />
Palliativversorgung in Deutschland flächendeckend<br />
zu verbessern.<br />
In einer Pressemitteilung der Ärztezeitung<br />
am 21.10.2005 ließ Frau Schmidt, Gesundheitsministerin,<br />
bereits verlauten, dass<br />
aus spezialisierten Ärzten und Pflegekräften<br />
bundesweit 330 Palliativteams<br />
gebildet werden sollen, die eine<br />
flächendeckende ambulante Versorgung<br />
<strong>Schmerz</strong>kranker sicherstellen<br />
sollen.<br />
Kostenschätzung<br />
Die Kosten für diese Teams, die notwendige<br />
Medikamente, Heil- und<br />
Hilfsmittel sowie für eine „optimale<br />
hausärztliche Versorgung“ schätzte<br />
Frau Schmidt auf 250 Millionen Euro<br />
pro Jahr. Daraus geht hervor, dass<br />
Gelder in dieser Höhe sowohl für die<br />
allgemeine (AAP) als auch die spezialisierte<br />
ambulante Versorgung<br />
(SAP) von den Krankenkassen zur<br />
Verfügung zu stellen sind (Tab.1).<br />
Erwartet wird, dass etwa<br />
100 000 Patienten pro Jahr neben<br />
einer AAP auch einer SAP<br />
bedürfen. Dadurch entstehen hier<br />
einmalig Mehrkosten von 2500 €<br />
(250 000 000/100 000) pro Palliativpatient<br />
für die Versorgung<br />
am Lebensende. Bei einer durchschnittlichen<br />
Behandlungsdauer<br />
von vier Wochen bis zum Lebensende<br />
ergeben sich Mehrkosten pro<br />
Palliativpatient von 84 € pro Tag<br />
(2500/30) für eine SAP! Leider stehen die<br />
Fragen zu den Ausführungsbestimmungen<br />
und insbesondere auch zur Finanzierung unbeantwortet<br />
im Raum.<br />
Zum Vergleich werden in der Folge die<br />
bisher anfallenden Kosten in der Regelversorgung<br />
mit ihrer nachgewiesenen Fehl- und<br />
Überversorgung denen einer AAP/SAP und<br />
den unterschiedlichen Finanzierungsmodel-<br />
Tabelle 1: Geschätzte Kosten AAP und SAP<br />
• Palliative-Care-Teams 100 Millionen €<br />
• Medikamente, Heil- und Hilfsmittel 110 Millionen €<br />
• Mehrkosten hausärztliche Versorgung 40 Millionen €<br />
Summe 250 Millionen €<br />
Tabelle 2: Kostenaufstellung und -verteilung<br />
Durchschnittskosten ambulante Versorgung<br />
(Arzt/Pflege/Transport/Heil-,/Hilfsmittel) geschätzt 3 500,00 €<br />
Durchschnittskosten Krankenhaus 9 482,62 €<br />
Durchschnittskosten Medikamente 3 009,67 €<br />
Durchschnittskosten gesamt 15 992,29 €<br />
Pro Monat 5 330,00 €<br />
Tabelle 3: Kosten beim KAP<br />
• Fallpauschale für das Krankenhaus 1 200 € einmalig<br />
• Hausarzt 40 €/Mo.<br />
• Pflege 20 €/Mo.<br />
• Ambulante Hospizversorgung 20 €/Mo.<br />
• Kosten in der Regelversorgung 5 330 €/Mo.<br />
pro Monat gem. Tab.2<br />
Summe 6 610 €/Mo.<br />
Die Tagestherapiekosten im KAP-Modell belaufen sich hierbei<br />
auf 220 € pro Patient pro Tag bei einer vierwöchigen<br />
Versorgung.<br />
Thomas Nolte, Wiesbaden<br />
len aus bereits laufenden integrierten Versorgungskonzepten<br />
gegenübergestellt.<br />
1. Auswertung der Kosten<br />
in der Regelversorgung<br />
Dieser Auswertung liegen die Daten einer<br />
Erhebung der Techniker Krankenkasse aus<br />
dem Jahr 2004 zugrunde (Daten beim Verfasser).<br />
Eingeschlossen in diese Erhebung wurden<br />
6280 Versicherte der TK, die in jenem<br />
Jahr an einer Karzinomerkrankung verstorben<br />
sind. Erhoben wurden die Kosten je Versicherten<br />
in den letzten drei Lebensmonaten,<br />
aufgeschlüsselt nach den Bereichen „stationäre<br />
Versorgung“, „Medikamentenkosten“<br />
sowie dem „ambulanten Bereich<br />
inklusive Pflege, Heil- und<br />
Hilfsmitteln“, der nur mit einem<br />
Schätzwert in die Berechnungen eingeflossen<br />
ist, da hier Daten aufgrund<br />
der sektoralisierten Budgets nicht zu<br />
erheben waren und sind.<br />
Bei einem Auswertungszeitraum<br />
über drei Monate entstehen für die<br />
gesamte medizinische Versorgung<br />
pro Patient am Lebensende in der<br />
Regelversorgung aktuell Kosten in<br />
Höhe von 178 € pro Tag (16 000 €<br />
geteilt durch 90 Tage)(Tab. 2).<br />
2. Modellrechnung zur<br />
spezialisierten ambulanten<br />
Palliativversorgung<br />
a) Add-on zur Regelversorgung<br />
Bei den aktuell anfallenden Durchschnittskosten<br />
in der Regelversorgung<br />
in Höhe von 178 € plus des Mehrbetrages<br />
für eine SAP in Höhe von 84 €<br />
für die Versorgung in den letzten vier<br />
Lebenswochen entstünden Kosten in<br />
Höhe von 262 € pro Tag.<br />
b) Mit Berücksichtigung der realisierbaren<br />
Einsparungen<br />
Allerdings sind die zu erwartenden<br />
19
Finanzanalyse<br />
Einsparungen durch eine verbesserte Versorgung<br />
(weniger Krankenhausaufenthalte, weniger<br />
Transporte etc.) nicht berücksichtigt. Bei<br />
AAP und SAP ist bei konservativer Schätzung<br />
eine Reduktion der Krankenhausbehandlungskosten<br />
um zwei Drittel zu erwarten und<br />
realistisch.<br />
Unter Zugrundelegung der Durchschnittskrankenhauskosten<br />
aus der TK-Analyse<br />
in Höhe von 9482,62 € pro drei Monate<br />
(geteilt durch 90) entspricht dies durchschnittlichen<br />
Tageskosten von 105 € für stationäre<br />
Behandlung am Lebensende.<br />
Bei einer Einsparung von zwei Drittel der<br />
Krankenhauskosten durch eine spezialisierte<br />
ambulante Palliativversorgung entstehen Einsparungen<br />
von 70 € (2/3 von 105 €) pro Tag.<br />
Die Tagestherapiekosten würden sich auf<br />
192 € (Tagestherapiepauschale 262 € minus<br />
70 € Einsparungen) reduzieren.<br />
Tagestherapiekostenpauschale<br />
AAP/SAP mit Einsparungen 192 €<br />
Tagestherapiekosten Regelversorgung<br />
bisher 178 €<br />
Differenz +14 €<br />
Mehrkosten pro Monat 420 €<br />
Bei einer zu geschätzten zu versorgenden<br />
Zahl von 100 000 Patienten pro Jahr<br />
entstehen hier bei Berücksichtigung der realisierbaren<br />
Einsparungen Mehrkosten in Höhe<br />
von 42 Millionen € für eine verbesserte Versorgung<br />
mit AAP und SAP am Lebensende.<br />
3. Kostenstruktur integrierte<br />
Versorgung palliativ<br />
Dieses flächendeckende dezentrale integrierte<br />
Versorgungskonzept (IVP) versorgt seit Februar<br />
2006 unheilbar Kranke in der Lebensendphase<br />
in Wiesbaden und Umgebung.<br />
Die mit der TK vereinbarte Tagespauschale<br />
im PalliativNetz Wiesbaden-Taunus<br />
beläuft sich auf 185 € für die komplette<br />
Versorgung am Lebensende und wird ab<br />
Einschreibung des Patienten in das Konzept<br />
berechnet. Diese umfasst alle medizinischen,<br />
pflegerischen, medikamentösen<br />
und auch stationären Maßnahmen inklusive<br />
Palliativstation oder stationäres Hospiz. Dem<br />
Versorgungsnetz obliegt demnach die komplette<br />
Budgetverantwortung im Sinne des<br />
Managed-Care-Prinzips.<br />
Die in der Regelversorgung anfallenden<br />
Kosten am Lebensende, wie oben bereits<br />
aufgeführt, belaufen sich auf 178 € pro Tag<br />
in den letzten drei Lebensmonaten. Die Mehrkosten<br />
pro Patient pro Tag im IPV-Konzept im<br />
Verhältnis zu den Kosten in der Regelversorgung<br />
belaufen sich demnach auf 7 € für eine<br />
20<br />
optimale Versorgung unheilbar Kranker am<br />
Lebensende.<br />
Tagesbasiertes Globalbudget<br />
IVP-Modell 185 €<br />
Tagestherapiekosten<br />
Regelversorgung 178 €<br />
Differenz + 7 €<br />
Mehrkosten pro Monat 210 €<br />
Bei einer geschätzten zu versorgenden Zahl<br />
von 100 000 Patienten pro Jahr entstehen hier<br />
bei kompletter Budgetverantwortung Mehrkosten<br />
in Höhe von 21 Millionen € für eine<br />
verbesserte Versorgung am Lebensende.<br />
4. Kostenstruktur krankenhauskoordiniertes<br />
ambulantes Palliativkonzept<br />
(KAP)<br />
Dieses krankenhauskoordinierte integrierte<br />
Versorgungskonzept (KAP) versorgt seit August<br />
2006 unheilbar Kranke in der Lebensendphase<br />
in Wiesbaden und Umgebung. Die<br />
dort anfallenden Honorare und Kosten pro<br />
Patient setzen sich wie folgt zusammen:<br />
Bei einer zu erwartenden Verminderung<br />
von zwei Drittel der Krankenhauskosten<br />
durch diese spezialisierte ambulante Palliativversorgung<br />
entstehen analoge Einsparungen<br />
von 70 € pro Tag und Patient, die<br />
Tagestherapiepauschale vermindert sich auf<br />
150 € (220 € minus 70 € Einsparungen).<br />
Tagestherapiekosten KAP-Modell 150 €<br />
Tagestherapiekosten Regelver-<br />
sorgung 178 €<br />
Differenz –28 €<br />
Einsparungen pro Monat 840 €<br />
Bei einer geschätzten zu versorgenden<br />
Zahl von 100 000 Patienten pro Jahr entstehen<br />
hier Einsparungen von 84 Millionen € für<br />
die Versorgung am Lebensende.<br />
Vergleich der Kostenstrukturen<br />
Zusammengefasst hier die verschiedenen<br />
Kostenberechnungen:<br />
Aktuelle Tagestherapiekosten<br />
Regelversorgung 178 €<br />
Tagestherapiekostenpauschale<br />
mit AAP/SAP ohne Einsparungen 262 €<br />
Tagestherapiekostenpauschale<br />
mit AAP/SAP mit Einsparungen 192 €<br />
Tagestherapiekostenpauschale IVP 185 €<br />
Tagestherapiekostenpauschale KAP 150 €<br />
Zusammenfassung<br />
Die Mehrkosten einer verbesserten allgemeinen<br />
(AAP) und spezialisierten ambulanten<br />
Palliativversorgung (SAP) werden weitgehend<br />
kompensiert durch die zu erwartenden<br />
Einsparungen von Fehl- und Überversorgung<br />
am Lebensende.<br />
Das Modellprojekt „integrierte Versorgung<br />
am Lebensende (IVP)“ des Palliativ-<br />
Netzes Wiesbaden-Taunus umfasst alle Elemente<br />
einer AAP und SAP und ist weitgehend<br />
kostenneutral zu den bisher in der Regelversorgung<br />
entstehenden Kosten. Erste Auswertungen<br />
belegen, dass die tagesbasierte<br />
Kostenpauschale mit globaler Budgetverantwortung<br />
in dieser Höhe der zu lösenden<br />
Aufgabe gerecht wird. De facto ist mit einer<br />
Umleitung der bisher anfallenden Kosten in<br />
eine strukturierte Palliativversorgung eine flächendeckende<br />
Betreuung unheilbar Kranker<br />
am Lebensende möglich!<br />
Die verbesserte Palliativversorgung im<br />
KAP-Modell wird erkauft auf dem Boden der<br />
sogar verschärften Fortsetzung der Unterfinanzierung<br />
und der fortgesetzten Selbstausbeutung<br />
aller Mitwirkenden in der Regelversorgung!<br />
Die AAP wird nicht nur nicht<br />
gefördert, sondern dezidiert geschwächt,<br />
indem der ambulanten Versorgung bei höheren<br />
Anforderungen keine substanziellen<br />
zusätzlichen Geldmittel zur Verfügung gestellt<br />
werden. Eingesparte Gelder fließen an<br />
die beteiligten Krankenkassen!<br />
Sparmodell droht!<br />
Der Abschluss von Vorverträgen mit weiteren<br />
onkologischen Kliniken an Schwerpunktkrankenhäusern<br />
in Hessen, die zum Teil weder<br />
über eine palliative Qualifikation noch eine<br />
Anbindung an ambulante Versorgungsstrukturen<br />
verfügen, düpiert die dort vor Ort seit<br />
Jahren hospizlich und palliativ Tätigen wie<br />
auch die gesamte hausärztliche Versorgung,<br />
die bei dieser Regelung einmal mehr leer<br />
ausgehen! Aus einer angekündigten verbesserten<br />
ambulanten Versorgung wird ein Sparmodell<br />
der beteiligten Krankenkassen in Hessen<br />
(AOK/DAK/BEK/IKK)!<br />
Die Intention der Politik, Geldmittel für<br />
eine verbesserte allgemeine und spezialisierte<br />
ambulante Palliativversorgung zur<br />
Verfügung zu stellen, wird von diesen Krankenkassen,<br />
wie am Beispiel KAP-Modell<br />
gezeigt, durch erhebliche Einsparungen auf<br />
Kosten der ambulanten Regelversorgung in<br />
ihr Gegenteil verkehrt. Auch der integrative<br />
Ansatz, bestehende Strukturen mit in die<br />
Ausgestaltung einzubeziehen, wie im GKV-<br />
WSG gefordert, wird mit diesem rein krankenhausbasierten<br />
Ansatz ausgehebelt.<br />
Thomas Nolte,<br />
Wiesbaden<br />
dr.nolte@schmerzzentrum-wiesbaden.de<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)
Mit Massagen gegen Nackenschmerzen?<br />
Was leistet die Massage bei chronischen Nackenschmerzen?<br />
Wie wirkt sie auf <strong>Schmerz</strong>en,<br />
Funktion, Zufriedenheit des Patienten?<br />
Welche Kosten und Nebenwirkungen entstehen<br />
dadurch? Diese Fragen versuchte J.<br />
Ezzo, Baltimore, in einer randomisierten Metaanalyse<br />
zu klären. Ausgewertet wurden 19<br />
Studien von zwei unabhängigen Reviewern.<br />
Dabei erfüllten zwölf der 19 Studien nur die<br />
Mindestanforderungen auf einem sehr niedrigen<br />
Niveau.<br />
Häufig fehlten die Angaben über die Massagetechnik,<br />
die Ausbildung der Masseure<br />
oder die Erfahrungen damit. Daher wundert<br />
es nicht, dass die Studienergebnisse sehr widersprüchliche<br />
Ergebnisse lieferten. Zum Teil<br />
wurde die Massage als Monotherapie, bei 14<br />
Studien als ein Baustein in einem multimodalen<br />
Gesamtkonzept eingesetzt. Aufgrund der<br />
wenig validen Daten zur Massage kann derzeit<br />
keine Empfehlung über den Stellenwert der<br />
Massagen bei Nackenschmerzen gegeben<br />
werden. In Pilotstudien müsste erst geklärt<br />
werden, in welcher Frequenz, Dauer und Anzahl<br />
der Massagesitzungen und mit welcher<br />
Massagetechnik am besten gearbeitet werden<br />
sollte.<br />
In weiteren größeren klinischen Studien<br />
müsste anschließend der Stellenwert als Mo-<br />
Peridurales Methylprednisolon und<br />
Wundinfiltration mit Bupivacain<br />
Nach einer posterioren lumbosakralen Spinaloperation<br />
lassen sich die postoperativen<br />
<strong>Schmerz</strong>en durch eine peridurale Methylprednisolontherapie<br />
und die Wundinfiltration<br />
mit Bupivacain signifikant senken. In einer<br />
placebokontrolllierten Doppelblindstudie an<br />
insgesamt 103 Patienten mit elektiver posteriorer<br />
Lumbaldiskektomie und einer entlastenden<br />
Laminektomie überprüfte der thailändische<br />
Experte dieses multimodale analgetische<br />
Konzept.<br />
Die <strong>Schmerz</strong>werte wurden nach ein,<br />
zwei, drei, sechs zwölf, 24 und 48 Stunden<br />
gemessen. Darüber hinaus wurde der Oswestry-Index<br />
und die Kurzform des SF-36-<br />
Werts vor dem Eingriff sowie ein und drei<br />
Monate nach der Operation erhoben.<br />
Die demografischen Ausgangswerte<br />
waren in beiden Gruppen vergleichbar. Die<br />
Verumgruppe benötigte signifikant weniger<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)<br />
Bildarchiv U&V<br />
notherapie und in einem multimodalen Interventionsprogramm<br />
geklärt werden. Erst wenn<br />
standardisierte Studiendesigns entwickelt<br />
wurden und bei den multifaktoriellen Behandlungsprogrammen<br />
der relative Anteil der Massage<br />
an dem Ergebnis evaluiert sei, müssten<br />
in weiteren Studien der Kurzzeit- und auch der<br />
Langzeiterfolg der Massagen weiter abgeklärt<br />
werden, folgerten die Autoren. StK<br />
Massage hilfreich bei Nackenschmerzen?<br />
Morphin postoperativ und auch die angegebenen<br />
<strong>Schmerz</strong>en waren weniger stark<br />
ausgeprägt. Beide Substanzen verursachten<br />
keine perioperativen Komplikationen, sodass<br />
die Autoren folgern, dass die Kombination<br />
von Methylprednisolon und Bupivacain, unmittelbar<br />
nach der Spinaloperation appliziert,<br />
einen günstigen Effekt auf den Verlauf nach<br />
posterioren lumbosakralen Eingriffen wie<br />
Diskektomien, Dekompressionen und/oder<br />
Spinalfusionen haben – ohne Gefahr zusätzlicher<br />
Komplikationen.<br />
K. Jirarattana, Phochai, et al. Peridural methylprednisolone<br />
and wound infiltration with bupivacacin<br />
for postoperative pain control after posterior<br />
lumbar spine surgery: a randomized double-blind<br />
placebo-controlled trial. Spine <strong>2007</strong>;<br />
32:609–616.<br />
Infotelegramm<br />
Internationale Presse<br />
SSRI statt Gabapentin?<br />
Antidepressiva wie Citalopram und Paroxetin<br />
lindern bei Patienten mit diabetischer<br />
Neuropathie die <strong>Schmerz</strong>en besser und mit<br />
weniger Nebenwirkungen als Gabapentin,<br />
das bisher als eines der bevorzugten Antikonvulsiva<br />
gilt. Dies ergab eine griechische<br />
Studie an 101 Patienten, die prospektiv<br />
über sechs Monate einen selektiven Serotonin-Reuptakehemmer<br />
oder Gabapentin<br />
bekamen (Clin J Pain <strong>2007</strong>; 23:267–269).<br />
Memantine lindert CRPS-<strong>Schmerz</strong><br />
Der N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptorantagonist<br />
Memantine linderte nach einer achtwöchigen<br />
<strong>Therapie</strong> bei sechs Patienten mit<br />
einem komplexen regionalen <strong>Schmerz</strong>syndrom<br />
(CRPS) der oberen Extremität die<br />
<strong>Schmerz</strong>en und führte zu einer Verbesserung<br />
der Motorik und autonomen Veränderungen<br />
(Clin J Pain <strong>2007</strong>; 23: 237–243).<br />
Neues High-Tech-Gerät für das SCS<br />
Das Precision TM Spinal Cord System wurde<br />
von Dr A. Koulousakis, Köln, erstmals<br />
auch in Europa eingesetzt. Das revolutionäre<br />
System zur Neurostimulation erlaubt<br />
eine genau dosierbare Stromabgabe und<br />
verfügt über eine wiederaufladbare Batterie<br />
(News Release, Boston Scientific Corporation,<br />
März <strong>2007</strong>).<br />
Reizstrom gegen das Reizdarmsyndrom<br />
Reizstromimpulse aus dem Medigjord-Gürtel<br />
bringen, wenn sie zweimal täglich für<br />
etwa 15 Minuten eingesetzt werden, den<br />
Darm auf Trab (Info bei dem Hersteller<br />
www.medigjord.de).<br />
Adenosin-Agonist GR79236X –<br />
ein Flop?<br />
In einer multizentrischen randomisierten<br />
Kontrollstudie an 79 Patienten nach Extraktion<br />
der dritten Molaren in Vollnarkose<br />
prüfte die britische Arbeitsgrupppe von<br />
J. R. Sneyd et al., Plymouth, den Adenosinagonist<br />
in den beiden Dosierungen 4 µg/kg<br />
KG oder 10 µg/kg KG gegen Placebo oder<br />
die Infusion von 50 mg Diclofenac. Beide<br />
Dosierungen des Adenosinagonisten in einer<br />
15-minütigen Infusion waren nicht effektiver<br />
als Placebo und nur Diclofenac reduzierte<br />
die postoperativen Beschwerden<br />
signifikant (Br J Anaesth. <strong>2007</strong>; Epub<br />
ahead of print).<br />
21
DRG-System<br />
Finanzierung stationärer <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
und Palliativmedizin<br />
Das DRG-System gilt auch für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und Palliativmedizin.<br />
Welche aktuellen Möglichkeiten der Abrechnung bei diesem Pauschalvergütungssystem<br />
bestehen, schildert Dr. med. Eberhard Lux, Lünen,<br />
sehr praxisnah an Fallbeispielen.<br />
Seit dem Jahr 2004 erfolgt die Vergütung<br />
von stationär erbrachten Leistungen mit<br />
Ausnahme psychiatrischer Einrichtungen<br />
nach einem System der Pauschalvergütung<br />
– dem sog. DRG-System (Diagnosis Related<br />
Group). Im Rahmen dieses Vergütungssystems<br />
ist spezifisch für jedes Krankenhaus ein<br />
dem durchschnittlichen Ressourcenverbrauch<br />
pro Fall errechneter Geldwert, die sog. Base-<br />
Rate, definiert und in den Pflegesatzverhandlungen<br />
der Kliniken vereinbart. Die Vergütung<br />
im Einzelfall richtet sich nach dem sog.<br />
Schweregrad (CW-Wert) des Behandlungsfalles,<br />
welcher sich aus der Kombination von<br />
Haupt- und Nebendiagnosen (ICD-10) und<br />
aus den in einem jährlich aktualisierten OPS-<br />
Katalog niedergelegten Leistungen ergibt.<br />
22<br />
Für besonders kostenintensive Leistungen<br />
sind sog. Zusatzentgelte mit festen Beträgen<br />
definiert, welche den Kostenträgern zusätzlich<br />
zur DRG berechnet werden können.<br />
CW-Wert<br />
Elektronische Rechenprogramme (Grouper)<br />
berechnen heute nach Eingabe der Diagnosen<br />
und OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel)<br />
den entsprechenden Schweregrad<br />
(CW-Wert). Dieser, multipliziert mit der Base-<br />
Rate des Krankenhauses, ergibt den Geldbetrag,<br />
welcher durch die Kostenträger dem<br />
Krankenhaus vergütet wird. Wissenswert ist,<br />
dass jedes Krankenhaus jährlich mit den Kostenträgern<br />
ein Gesamtbudget verhandelt,<br />
sodass durchaus nicht alle erbrachten Leis-<br />
Patientenbeispiele 1 und 2<br />
Patientenbeispiel 1:<br />
Hauptdiagnose: Kopfschmerz vom Spannungstyp G44.2<br />
Nebendiagnosen: Medikamentenabhängigkeit F19.2<br />
Psychogene Gangstörung F44.4<br />
Lumbale Spondylarthrose<br />
Chronischer <strong>Schmerz</strong> mit psycho-<br />
M47.86<br />
sozialen Anteilen F62.80<br />
Aufenthaltsdauer: 16 Tage<br />
OPS 8-918.1<br />
DRG B47Z<br />
CW-Wert 1,485 bei einer angenommenen Base-Rate von 2506,00 €<br />
Gesamtvergütung: 3 722,05 €<br />
Patientenbeispiel 2:<br />
Hauptdiagnose: Polyarthrose M15.0<br />
Nebendiagnosen: Längere depressive Reaktion F43.2<br />
Diabetes mellitus Typ 2 E11.90<br />
Lumbale Spinalkanalstenose<br />
Chronischer <strong>Schmerz</strong> mit psycho-<br />
M48.06<br />
sozialen Anteilen F62.80<br />
Aufenthaltsdauer: 24 Tage<br />
OPS 8-918.1<br />
DRG I42Z<br />
CW-Wert 1,308 bei einer angenommenen Base-Rate von 2506,00 €<br />
Gesamtvergütung: 3 278,41 €<br />
tungen vergütet<br />
werden. Die Vergütung<br />
erfährt – Eberhard Lux, Lünen<br />
wie man dies auch<br />
aus der Vergütung<br />
ambulant erbrachter Leistungen kennt – eine<br />
Kappungsgrenze.<br />
Spezielle OPS-Schlüssel sind für stationäre,<br />
multimodale <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> (unter<br />
1.), die komplexe Akutschmerztherapie (unter<br />
2.) sowie stationäre palliativmedizinische<br />
Leistungen (unter 3.) definiert. Diese sollen<br />
im Folgenden vertiefend dargestellt werden.<br />
1. Stationäre <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
(OPS 8-918)<br />
Stationär können schmerztherapeutische<br />
Leistungen im besonderen Maße abgerechnet<br />
werden, wenn Mindestmerkmale für eine<br />
multimodale <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> erbracht worden<br />
sind (siehe Tab. 1).<br />
Indikationen für die Anwendung des<br />
OPS-Schlüssels 8-918 sind Patienten, welche<br />
unter chronischem <strong>Schmerz</strong> leiden und<br />
• manifeste oder drohende Beeinträchtigung<br />
der Lebensqualität oder der Arbeitsfähigkeit<br />
aufweisen,<br />
• unimodale Behandlungsversuche ambulant<br />
oder stationär fehlgeschlagen sind,<br />
• ein bestehender Medikamentenfehlgebrauch,<br />
resp. eine Medikamentenabhängigkeit<br />
besteht,<br />
• gravierende psychiatrische/psychische Komorbiditäten<br />
zu beobachten sind oder<br />
• eine gravierende somatische Begleiterkrankung<br />
besteht, aufgrund derer die<br />
Durchführung spezieller <strong>Therapie</strong>methoden<br />
im ambulanten Setting nicht zu verantworten<br />
sind.<br />
Die schmerztherapeutische Komplexbehandlung<br />
ist nach der Länge der Verweilzeit des<br />
Patienten zu dokumentieren, wobei aktuell<br />
jedoch die Länge der Behandlungsdauer des<br />
Patienten keine Höhergruppierung des Patienten<br />
im DRG-System triggert.<br />
2. Komplexe Akutschmerzbehandlung<br />
(OPS 8-919)<br />
Für die komplexe Akutschmerzbehandlung<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)
wurde der OPS 8-919 definiert. Der OPS ist<br />
anwendbar für Patienten mit akutem postoperativem,<br />
posttraumatischem oder exazerbiertem<br />
Tumorschmerz. Die Voraussetzungen zur<br />
Definition sind in der Tabelle 2 definiert. Eine<br />
Geldleistung folgt der Dokumentation der<br />
OPS 8-919 aktuell noch nicht. Ich möchte<br />
jedoch alle Kolleginnen und Kollegen dazu<br />
motivieren – sofern die o.g. Leistungen erfüllt<br />
werden –, den OPS-Schlüssel zu dokumentieren,<br />
damit wir dem Institut für das Entgeltsystem<br />
im Krankenhaus gGmbH (InEK)<br />
nachweisen können, wie häufig die Leistungsinhalte<br />
erbracht werden.<br />
3. Palliativmedizin (OPS 8-982)<br />
Für die Erbringung komplexer palliativmedizinischer<br />
Leistungen ist der OPS 8-982 definiert.<br />
Dieser Schlüssel ist bei der komplexen<br />
palliativmedizinischen Versorgung von Patienten<br />
anwendbar, welche unter einer progredienten<br />
und bereits fortgeschrittenen Erkrankung<br />
mit begrenzter Lebenserwartung leiden,<br />
ohne dass eine kurative Intention der Behandlung<br />
besteht. Die Voraussetzungen zur<br />
Dokumentation der OPS 8-982 sind in Tab. 3<br />
definiert. Ein Sonderentgelt in Höhe von<br />
1101,46 € ist mit der Dokumentation der<br />
OPS 8-982 abzurechnen.<br />
Die Organisation palliativmedizinischer<br />
Versorgung von Patienten geschieht in deutschen<br />
Kliniken zurzeit in zwei Formen. Die<br />
optimale Patientenversorgung ist sicher diejenige<br />
auf einer Palliativstation – einem abgeschlossenen,<br />
eigenständigen Stationsbereich<br />
unter ärztlicher Leitung eines Facharztes mit<br />
der Zusatzbezeichnung „Palliativmedizin“,<br />
– mit speziellen Personalschlüsseln der Pflegekräfte<br />
sowie dem regelhaften Tätigwerden<br />
psychosozialer Berufsgruppen. Auf Palliativstationen<br />
sind vielfach ehrenamtlich Tätige<br />
aus regionalen Hospizgruppen im Einsatz.<br />
Aufgrund des hohen Ressourceneinsatzes<br />
haben bisher viele Kliniken die Organisation<br />
einer Palliativstation vermieden, da<br />
die erhöhten Ressourcenkosten bisher im<br />
DRG-System nicht abgebildet wurden. Eine<br />
Vielzahl von Palliativstationen rechnete auch<br />
unter Zeiten des DRG-Systems weiter tagesgleiche<br />
Pflegesätze ab.<br />
Eine zweite Organisationsform ist der<br />
sog. palliativmedizinische Konsiliardienst;<br />
hier bleiben die Patienten auf den Stationen<br />
ihres Fachgebietes und werden zusätzlich<br />
durch ein Palliativteam (Palliativmediziner, in<br />
Palliativ-Care geschulte Pflegende, Psychologen,<br />
Kreativ-Therapeuten sowie Sozialarbeiter)<br />
betreut. Diese Organisationsform vermag<br />
die Patientenbetreuung deutlich zu verbessern,<br />
palliativmedizinische Einstellungen<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)<br />
Patientenbeispiel 3<br />
Hauptdiagnose: Metastasierendes Pharynxkarzinom C10.2<br />
Nebendiagnosen: Schluckstörungen R13.9<br />
Versorgung über PEG und Port<br />
Spinalkanalstenose<br />
Längere depressive Reaktion F43.2<br />
Tumorschmerz R52.1<br />
Tabelle 1: 8-918 Multimodale <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>, Erläuterung<br />
DRG-System<br />
Aufenthaltsdauer: 16 Tage<br />
OPS 8-982<br />
DRG J61C<br />
CW-Wert 0,818 bei einer angenommenen Base-Rate von 2506,00 € ergab sich bisher<br />
für die DRG J61C ein Geldbetrag von 2 526,00 €.<br />
Bei Dokumentation der OPS 8-982 kommt hier ein Zusatzentgelt<br />
von 1 101,45 € dazu, sodass jetzt ein<br />
Gesamtbetrag von 3 627,45 € abgerechnet werden kann.<br />
Hier ist eine mindestens siebentägige interdisziplinäre Behandlung von Patienten mit chronischen<br />
<strong>Schmerz</strong>zuständen (einschließlich Tumorschmerzen) unter Einbeziehung von mindestens zwei Fachdisziplinen,<br />
davon eine psychiatrische, psychosomatische oder psychologische Disziplin, nach Behandlungsplan<br />
mit ärztlicher Behandlungsleitung bei Patienten zu kodieren, die mindestens drei der<br />
nachfolgenden Merkmale aufweisen:<br />
• Manifeste oder drohende Beeinträchtigung der Lebensqualität und/oder der Arbeitsfähigkeit<br />
• Fehlschlag einer vorherigen unimodalen <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>, eines schmerzbedingten operativen<br />
Eingriffs oder einer Entzugsbehandlung<br />
• Bestehende/r Medikamentenabhängigkeit oder Fehlgebrauch<br />
• Gravierende psychische Begleiterkrankung<br />
• Gravierende somatische Begleiterkrankung<br />
Dieser Kode erfordert eine interdisziplinäre Diagnostik durch mindestens zwei Fachdisziplinen (obligatorisch<br />
und eine psychiatrische, psychosomatische oder psychologische Disziplin) sowie die gleichzeitige<br />
Anwendung von mindestens drei der folgenden aktiven <strong>Therapie</strong>verfahren: Psychotherapie<br />
(Verhaltenstherapie), spezielle Physiotherapie, Entspannungsverfahren, Ergotherapie, medizinische<br />
Trainingstherapie, sensomotorisches Training, Arbeitsplatztraining, Kunst- oder Musiktherapie oder<br />
sonstige übende <strong>Therapie</strong>n. Er umfasst weiter die Überprüfung des Behandlungsverlaufs durch ein<br />
standardisiertes therapeutisches Assessment mit interdisziplinärer Teambesprechung.<br />
Die Anwendung dieses Kodes setzt die Zusatzqualifikation „Spezielle <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>“ bei der/dem<br />
Verantwortlichen voraus.<br />
Tabelle 2: 8-919 Komplexe Akutschmerzbehandlung, Erläuterung<br />
• Dieser Kode umfasst die Einleitung, Durchführung und Überwachung einer speziellen <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
oder Symptomkontrolle bei Patienten mit schweren akuten <strong>Schmerz</strong>zuständen (z.B. nach<br />
Operationen, Unfällen oder schweren, exazerbierten Tumorschmerzen) mit einem der unter 8-910<br />
bis 8.911 genannten Verfahren, mit kontinuierlichen Regionalanästhesieverfahren (z.B. Plexuskatheter)<br />
oder parenteraler patientenkontrollierter Analgesie (PCA) durch spezielle Einrichtungen<br />
(z.B. Akutschmerzdienst) mit mindestens zweimaliger Visite pro Tag.<br />
• Der Kode ist auch bei Tumorschmerzen anzuwenden, bei denen akute <strong>Schmerz</strong>exazerbationen oder<br />
<strong>Therapie</strong>resistenz von tumorbedingten oder tumorassoziierten <strong>Schmerz</strong>zuständen im Vordergrund<br />
des Krankheitsbildes stehen und den Einsatz spezieller schmerztherapeutischer Verfahren und<br />
Techniken erfordern.<br />
• Die Anwendung dieses Kodes erfordert die Dokumentation von mindestens drei Aspekten der Effektivität<br />
der <strong>Therapie</strong> (Analgesie, Symptomintensität, Symptomkontrolle, Ermöglichung aktiver<br />
<strong>Therapie</strong>).<br />
• Der Kode ist nicht anwendbar bei <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> nur am Operationstag.<br />
23
DRG-System<br />
und Überzeugungen und daraus abgeleitetes<br />
Handeln entwickelt sich auf den Stationen erfahrungsgemäß<br />
verzögert.<br />
In Modellrechnungen geht man davon<br />
aus, dass pro eine Million zu versorgende<br />
Einwohner 50 Palliativbetten notwendig sind.<br />
Rechnet man die durchschnittliche Versorgungsdichte<br />
von 200 000 Einwohnern pro<br />
mittlerem Krankenhaus, so würden zehn Palliativbetten<br />
für ein derartiges Krankenhaus<br />
notwendig sein. Geht man von einer Auslastung<br />
von 85% und einer durchschnittlichen<br />
Verweildauer von 16 Tagen aus, so kann<br />
man mit 250 Fällen pro Jahr und Krankenhaus<br />
rechnen.<br />
Organisiert das Krankenhaus einen<br />
dezentral arbeitenden Palliativdienst (pallia-<br />
24<br />
tivmedizinisches Konsil), dann würden dem<br />
Krankenhaus, sofern man von einer zusätzlichen<br />
Behandlung der durch die Kostenträger<br />
bereitgestellten Mittel bei bisheriger<br />
Deckelung der Krankenkasseneinnahmen<br />
ausgeht, ca. 250 000,00 € zur Verfügung<br />
stehen. Dieses könnte bedeuten, dass<br />
dem palliativmedizinischen Konsiliarteam<br />
eine Arztstelle (ca. 95 000,00 € pro Jahr),<br />
eine Palliativ-Care-ausgebildete Schwester<br />
(45000,00 € pro Jahr), ein Psychoonkologe<br />
(80 000,00 € pro Jahr) sowie eine halbe<br />
Stelle Kreativ-Therapeut (30 000,00 €) oder<br />
eine halbe Stelle Sozialarbeiter (30 000,00<br />
€) finanzierbar wären. Zusätzliche physiotherapeutische<br />
Leistungen werden benötigt.<br />
Aus der praktischen Erfahrung sind die zur<br />
Tabelle 3: 8-982 Palliativmedizinische Komplexbehandlung, Mindestmerkmale<br />
• Aktive, ganzheitliche Behandlung zur Symptomkontrolle und psychosozialen Stabilisierung ohne<br />
kurative Intention und im Allgemeinen ohne Beeinflussung der Grunderkrankung von Patienten mit<br />
einer progredienten, fortgeschrittenen Erkrankung und begrenzter Lebenserwartung unter Einbeziehung<br />
ihrer Angehörigen und unter Leitung eines Facharztes mit der Zusatzweiterbildung Palliativmedizin<br />
(sofern diese noch nicht vorliegt, ist zur Aufrechterhaltung bereits bestehender palliativmedizinischer<br />
Versorgungsangebote übergangsweise bis zum Jahresende 2008 eine vergleichbare<br />
mindestens einjährige Erfahrung im Bereich Palliativmedizin ausreichend)<br />
• Aktivierend- oder begleitend-therapeutische Pflege durch besonders in diesem Bereich geschultes<br />
Pflegepersonal<br />
• Erstellung und Dokumentation eines individuellen Behandlungsplanes bei Aufnahme<br />
• Wöchentliche multidisziplinäre Teambesprechung mit wochenbezogener Dokumentation bisheriger<br />
Behandlungsergebnisse und weiterer Behandlungsziele<br />
• Einsatz von mindestens zwei der folgenden <strong>Therapie</strong>bereiche:<br />
Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Psychologie, Physiotherapie, künstlerische <strong>Therapie</strong> (Kunst- und Musiktherapie),<br />
Entspannungstherapie, Patienten-, Angehörigen- und/oder Familiengespräche mit insgesamt<br />
mindestens sechs Stunden pro Patient und Woche in patientenbezogenen unterschiedlichen<br />
Kombinationen<br />
Abrechnung geforderten und für eine qualitativ<br />
hochwertige Patientenversorgung geforderten<br />
personellen Voraussetzungen in der<br />
beschriebenen Weise notwendig.<br />
Ausblick<br />
Gesundheitspolitisch ist eine Überwindung<br />
der starren Grenzen zwischen stationärer<br />
und ambulanter Versorgung ausgemachtes<br />
Ziel. Gerade auf dem Gebiet der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
und der Palliativmedizin ist durch enge<br />
Zusammenarbeit der stationär und ambulant<br />
tätigen Partner ein rationeller Umgang mit<br />
vorhandenen Ressourcen bei steigender Behandlungsqualität<br />
denkbar. In schmerztherapeutischen<br />
Qualitätszirkeln und <strong>Schmerz</strong>konferenzen<br />
ist eine enge praktische Zusammenarbeit<br />
zwischen stationär und ambulant<br />
tätigen Kolleginnen und Kollegen längst Tradition.<br />
Im Bereich palliativmedizinischer Versorgung<br />
streben gerade Palliativstationen<br />
nach einer Kontinuität der Betreuung ihrer<br />
Patienten, welcher durch das verstärkte ambulante<br />
Wirksamwerden von Palliativ-Pflegediensten<br />
und Palliativ-Konsiliardiensten im<br />
Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbes in<br />
der GKV Rechnung getragen wird.<br />
Stationäre <strong>Schmerz</strong>- und Palliativmedizin<br />
ist auch unter den oben dargestellten<br />
Finanzierungsvoraussetzungen in aller Regel<br />
nicht kostendeckend erbringbar. Wollen wir in<br />
Krankenhäusern dennoch eine hochwertige<br />
Versorgung chronisch <strong>Schmerz</strong>kranker und<br />
palliativ zu versorgender Patienten erreichen,<br />
müssen alternative Finanzierungen über Fördervereine<br />
etc. genutzt werden.<br />
Eberhard Lux, Lünen<br />
Cannabinoidhaltige Arzneimittel – endgültiges<br />
Aus für die <strong>Therapie</strong> auf GKV-Basis?<br />
Nachdem die sog. Nikolaus-Entscheidung des BVerfG (Az. 1 BvR 347/98)<br />
vom 06.12.2005 (vgl. hierzu Heft 4/06, S. 20f.) die Hoffnung auf die<br />
Erstattung neuartiger, nicht bereits mit klinischen Studien höchster Evidenzklassen<br />
belegter <strong>Therapie</strong>n zulasten der gesetzlichen Krankenkasse<br />
geweckt hatte, hat das BSG in einer aktuellen Entscheidung vom<br />
27.03.<strong>2007</strong> (Az. B 1 KR 30/06) nun die Erstattungsfähigkeit der <strong>Therapie</strong><br />
eines chronisch schmerzkranken Patienten mit Cannabinol verneint.<br />
Dieses Urteil und die Hintergründe stellt Rechtsanwältin Heike Müller,<br />
Sindelfingen, vor.<br />
Der Fall<br />
Gegenstand der Entscheidung des Bundessozialgerichts<br />
war die <strong>Therapie</strong> eines durch<br />
einen Motorradunfall querschnittsgelähmten<br />
und infolgedessen an einem chronischen<br />
<strong>Schmerz</strong>syndrom leidenden Klägers. Auf-<br />
Heike Müller,<br />
Sindelfingen<br />
grund seines erheblichen Leidensdrucks hatte<br />
dieser bereits ernsthaft einen Suizid ins Auge<br />
gefasst. Der den Kläger behandelnde Arzt für<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)
Anästhesie und Spezielle <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
hielt einen <strong>Therapie</strong>versuch mit Cannabinol<br />
für indiziert, nachdem die bisherige <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
mit Opioiden keine ausreichende<br />
Reduktion der neuropathischen <strong>Schmerz</strong>en<br />
bewirken konnte.<br />
Die Entscheidung<br />
Der für die Krankenversicherung zuständige<br />
Erste Senat des Bundessozialgerichts lehnte<br />
einen Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung<br />
für das cannabinoidhaltige Arzneimittel<br />
mit der Begründung ab, ein in Deutschland<br />
zugelassenes cannabinoidhaltiges<br />
Fertigarzneimittel existiere nicht. Die – allerdings<br />
nicht für den Bereich der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
– bestehende Arzneimittelzulassung<br />
des Fertigarzneimittels Marinol in den USA<br />
entfalte keine Rechtswirkungen für Deutschland<br />
und rechtfertige trotz des arzneimittelrechtlich<br />
zulässigen Arzneimittelimports<br />
nach § 73 Abs. 3 AMG keine Erstattungsfähigkeit<br />
des Arzneimittels. Auch als cannabinoidhaltiges<br />
Rezepturarzneimittel könne der<br />
Kläger die Erstattung nicht begehren, da es<br />
an der erforderlichen Anerkennung des Gemeinsamen<br />
Bundesausschusses gemäß<br />
§ 135 Abs. 1 S. 1 SGB V für neue <strong>Therapie</strong>methoden<br />
fehle. Ein Ausnahmefall, in dem<br />
trotz fehlender Empfehlung eine neuartige<br />
<strong>Therapie</strong> beansprucht werden könne, liege<br />
nicht vor, da es sich weder um einen sog.<br />
systematisch nicht erforschbaren Seltenheitsfall<br />
handle noch die fehlende Anerkennung<br />
des Gemeinsamen Bundesausschusses<br />
auf sachfremde oder<br />
willkürliche Erwägungen zurückzuführen<br />
sei. Die Voraussetzungen<br />
einer erweiterten Leistungspflicht der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung für neuartige<br />
<strong>Therapie</strong>methoden nach der Rechtsprechung<br />
des BVerfG verneinte der Senat mit<br />
der Begründung, das chronische <strong>Schmerz</strong>syndrom<br />
des Klägers<br />
sei nicht mit einer lebensbedrohlichen<br />
oder regelmäßig tödlich<br />
verlaufenden<br />
oder wertmäßig<br />
vergleichbaren<br />
E r k r a n k u n g<br />
gleichzustellen.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)<br />
Hintergründe<br />
Das Urteil des BSG lässt sich ohne Weiteres<br />
in die Reihe der in den letzten beiden Jahren<br />
ergangenen Urteile des BSG zur Erstattungsfähigkeit<br />
neuartiger <strong>Therapie</strong>methoden einordnen<br />
und ist insoweit auch konsequent.<br />
Grundlage des den Erstattungsanspruch verneinenden<br />
Urteils ist die bislang noch ungenügende<br />
wissenschaftliche Erkenntnislage<br />
bezüglich der Wirksamkeit von Cannabinol<br />
zur <strong>Therapie</strong> chronischer <strong>Schmerz</strong>en. Insoweit<br />
handelt es sich bei der <strong>Therapie</strong> mit dem<br />
Arzneimittel noch um eine sich im Prüfstadium<br />
befindliche Behandlungsmethode. Gemäß<br />
§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V haben Qualität<br />
und Wirksamkeit der Leistungen im Rahmen<br />
der GKV jedoch dem allgemein anerkannten<br />
Stand der medizinischen Erkenntnisse zu<br />
entsprechen. Die Finanzierung der medizinischen<br />
Forschung ist demgegenüber nicht<br />
Gegenstand des Leistungskataloges der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung. Insoweit ist<br />
jedoch zu beachten, dass durch einen Heilversuch<br />
im Einzelfall an sich keine medizinische<br />
Forschung betrieben wird. Deshalb<br />
hat das BVerfG einen Leistungsanspruch des<br />
Medizin und Recht<br />
Versicherten aus verfassungsrechtlicher Sicht<br />
auch dann anerkannt, wenn<br />
• eine lebensbedrohliche oder regelmäßig<br />
tödlich verlaufende Erkrankung vorliegt,<br />
• bezüglich dieser Krankheit keine allgemein<br />
anerkannte, medizinischem Standard entsprechende<br />
Behandlung zur Verfügung<br />
steht und<br />
• bezüglich der beim Versicherten ärztlich<br />
angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten)<br />
Behandlungsmethode eine auf<br />
„Indizien gestützte“, nicht ganz fern liegende<br />
Aussicht auf Heilung oder wenigstens<br />
auf eine spürbare Einwirkung auf den<br />
Krankheitsverlauf besteht.<br />
Vorliegend scheiterte ein Anspruch auf Kostenerstattung<br />
jedoch deshalb, da die chronische<br />
<strong>Schmerz</strong>krankheit nach Auffassung<br />
des BSG nicht mit der vonseiten des BVerfG<br />
geforderten lebensbedrohlichen bzw. regelmäßig<br />
tödlich verlaufenden Erkrankung auf<br />
eine Stufe gestellt werden kann. Nach Auffassung<br />
des BSG kann eine solche Gleichstellung<br />
allenfalls für den nicht kompensierten<br />
Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder<br />
einer herausgehobenen Körperfunktion erfolgen.<br />
Ausblick<br />
Es ist zu vermuten, dass auch das BVerfG in<br />
dem zu entscheidenden Fall einen Kostenerstattungsanspruch<br />
des Klägers ablehnen<br />
wird, möchte es nicht riskieren, dass die vom<br />
Gesetzgeber bewusst gezogenen Grenzen<br />
der Erstattungsfähigkeit von neuartigen <strong>Therapie</strong>methoden<br />
im Rahmen der GKV weiter<br />
verwässert werden und damit die Leistungsfähigkeit<br />
des gesetzlichen Krankenversicherungssystems<br />
gefährdet wäre. Der behandelnde<br />
Arzt steht in diesen Fällen vor einem<br />
ethischen Dilemma. Rechtlich kann aus der<br />
Entscheidung jedoch nur die Konsequenz<br />
gezogen werden, Cannabinol auf<br />
Privatrezept zu verordnen und den<br />
Patienten über die fehende Erstattungsfähigkeit<br />
durch die gesetzliche<br />
Krankenversicherung aufzuklären.<br />
Insoweit befindet sich der<br />
behandelnde Arzt sowohl haftungsrechtlich<br />
als auch strafrechtlich<br />
auf der sicheren Seite, da er nicht verpflichtet<br />
ist, ein sich noch im Erprobungsstadium<br />
befindendes Arzneimittel<br />
einzusetzen.<br />
Heike Müller, Sindelfingen<br />
25
Bücherecke<br />
<strong>Schmerz</strong>en am Bewegungsapparat<br />
Markus Schiltenwolf/Peter Henningsen:<br />
Muskuloskelettale <strong>Schmerz</strong>en – Diagnostizieren<br />
und <strong>Therapie</strong>ren nach biopsychosozialem Konzept;<br />
XVII, 321 S., m. 95 Abb., geb., € 59,95,<br />
2006, ISBN 978-3-7691-0475-2, <strong>Deutsche</strong>r<br />
Ärzte-Verlag, Köln.<br />
Bereits die unterschiedlichen Fachgebiete der<br />
beiden Herausgeber Prof. Dr. med. Marcus<br />
Schiltenwolf, Orthopäde und <strong>Schmerz</strong>therapeut,<br />
sowie Prof. Dr. med. Peter Henningsen,<br />
Neurologe und Psychiater sowie Direktor der<br />
psychosomatischen Medizin der TU München,<br />
garantieren, dass die <strong>Schmerz</strong>en am Bewegungsapparat<br />
in diesem Buch biopsychosozial<br />
diagnostiziert und multimodal therapiert<br />
werden.<br />
In eigenen Kapiteln werden die Behandlungsformen<br />
zuerst isoliert und dann gemeinsam im<br />
multimodalen Konzept erörtert. Abgerundet<br />
wird das Buch von einer Leitlinie zur Begutachtung<br />
von <strong>Schmerz</strong>en. Sicher für <strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />
eine Bereicherung, um bei der multimodalen<br />
<strong>Therapie</strong> alle Möglichkeiten vor Augen<br />
zu haben. StK<br />
Impressum<br />
Organ der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> für<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
Herausgeber<br />
Gerhard Müller-Schwefe,<br />
Schillerplatz 8/1, D-73033 Göppingen<br />
Tel. 07161/976476 · Fax 07161/976477<br />
E-Mail: gp@dgschmerztherapie.de<br />
Schriftleitung<br />
Thomas Flöter, Frankfurt; Olaf Günther, Magdeburg;<br />
Dietrich Jungck, Hamburg; Uwe Junker, Remscheid;<br />
Stephanie Kraus (verantw.), Stephanskirchen; Thomas<br />
Nolte, Wiesbaden; Reinhard Thoma, Tutzing; Michael<br />
Überall, Nürnberg<br />
Beirat<br />
Joachim Barthels, Bad Salzungen; Christoph Baerwald, Leipzig;<br />
Wolfgang Bartel, Halberstadt; Heinz-Dieter Basler, Marburg;<br />
Günter Baust, Halle/ Saale; Klaus Borchert, Greifswald;<br />
Burkhard Bromm, Hamburg; Kay Brune, Erlangen; Mathias<br />
Dunkel, Wiesbaden; Oliver Emrich, Ludwigshafen; Gerd<br />
Geisslinger, Frankfurt; Hartmut Göbel, Kiel; Henning Harke,<br />
Krefeld; Ulrich Hankemeier, Bielefeld; Winfried Hoerster,<br />
26<br />
Mit Biofeedback gegen<br />
Kinderschmerzen<br />
Ingrid Pirker-Binder: Biofeedback in der Praxis.<br />
Band 1 Kinder. XVIII, 182 S., 50 Abb., brosch.,<br />
€ 29,90, 2006, ISBN 3-211-29190-3, Springer<br />
Wien, New York.<br />
Biofeedback ist in der Pädiatrie beileibe nicht<br />
nur bei Kopfschmerzen ein probates Verfahren.<br />
Die Wiener Biofeedbackexpertin Ingrid<br />
Pirker-Binder beschreibt in diesem Buch die<br />
breiten Indikationsgebiete des Biofeedbacktrainings.<br />
Ausgehend von dem Stellenwert im<br />
<strong>Schmerz</strong>management und bei kindlichen<br />
Kopfschmerzen widmen sich weitere Kapitel<br />
dem Neurofeedback und Indikationen wie<br />
dem ADHS. Selbst für kleine Künstler und<br />
Sportler bietet sich mit dem Biofeedbacktraining<br />
eine elegante Methode, dem Leistungsdruck<br />
besser gewachsen zu sein.<br />
Dieses Buch ermuntert dazu, die präventiven<br />
Potenziale dieser Techniken bei Kindern mehr<br />
zu nutzen und richtet sich daher nicht nur an<br />
Biofeedbacktherapeuten, sondern auch an<br />
Pädiater, Lehrer und Eltern. StK<br />
Gießen; Stein Husebø, Bergen; Klaus Jork, Frankfurt;<br />
Edwin Klaus, Würzburg; Eberhard Klaschik, Bonn;<br />
Lothar Klimpel, Ludwigshafen; Bruno Kniesel, Hamburg;<br />
Marianne Koch, Tutzing; Bernd Koßmann, Wangen; Peter<br />
Lotz, Bad Lippspringe; Christoph Müller-Busch, Berlin;<br />
Robert Reining, Passau; Robert F. Schmidt, Würzburg;<br />
Günter Schütze, Iserlohn; Hanne Seemann, Heidelberg;<br />
Ralph Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer, Limburg;<br />
Georgi Tontschev, Bernau; Roland Wörz, Bad Schönborn;<br />
Henning Zeidler, Hannover; Walter Zieglgänsberger,<br />
München; Manfred Zimmermann, Heidelberg<br />
In Zusammenarbeit mit dem Fachverband <strong>Schmerz</strong>,<br />
Verband <strong>Deutsche</strong>r Ärzte für Algesiologie e.V., <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Gesellschaft</strong> für Algesiologie e.V., <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Gesellschaft</strong> für Algesiologische Fachassistenz e. V.,<br />
<strong>Deutsche</strong> Akademie für Algesiologie, GAF <strong>Gesellschaft</strong><br />
für algesiologische Fortbildung mbH, <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga<br />
e.V., Verband ambulant tätiger Anästhesisten e.V.,<br />
Gesamtdeutsche <strong>Gesellschaft</strong> für Manuelle Medizin<br />
e.V., <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> zum Studium des <strong>Schmerz</strong>es<br />
e.V. und <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für Mund-, Kiefer- und<br />
Gesichtschirurgie<br />
Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffentlichung<br />
erwirbt der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> am<br />
Bewegungsapparat<br />
Jürgen Heisel, Jörg Jerosch: <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
der Halte- und Bewegungsorgane. Allgemeine<br />
und spezielle <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>. <strong>2007</strong>, XV, 390 S.,<br />
247 illustr., geb., ISBN: 978-3-540-29890-8,<br />
Springer Verlag, Heidelberg.<br />
Bei diesem Lehrbuch über die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
der Halte- und Bewegungsorgane haben<br />
sich zwei Orthopäden aus dem konservativen<br />
und operativen Bereich zusammengetan, um<br />
die komplexe <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> praxisnah darzustellen.<br />
Anschauliche Abbildungen und Tabellen<br />
erleichtern das Verständnis. Die Orthopädie<br />
verlangt ein funktionelles Denken. Daher<br />
ist es das erklärte Ziel der beiden Autoren,<br />
mögliche auslösende Ursachen akuter und<br />
chronischer <strong>Schmerz</strong>syndrome im Bereich der<br />
Extremitäten und Wirbelsäule zu beleuchten<br />
und Richtlinien für eine sinnvolle Behandlung<br />
zu vermitteln. Für jeden Arzt, der sich mit den<br />
<strong>Schmerz</strong>syndromen am Bewegungsapparat<br />
tagtäglich auseinandersetzen muss, eine empfehlenswerte<br />
Lektüre. StK<br />
das Recht der weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen<br />
Zwecken mithilfe fotomechanischer oder anderer<br />
Verfahren. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen<br />
einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich<br />
geschützt.<br />
Bezugspreis: Einzelheft 12,– Euro<br />
Abonnement für 4 Ausgaben pro Jahr 40,– Euro<br />
(zzgl. Versand, inkl. MwSt.).<br />
Der Mitgliedsbeitrag des DGS schließt den Bezugspreis<br />
der Zeitschrift mit ein. Die Zeitschrift erscheint im<br />
23. Jahrgang.<br />
Verlag<br />
© URBAN & VOGEL GmbH, München,<br />
Juni <strong>2007</strong><br />
Leitung Medical Communication:<br />
Ulrich Huber (verantw.)<br />
Schlussredaktion: Dr. Brigitte Schalhorn<br />
Herstellung/Layout: Maren Krapp<br />
Druck: Vogel Druck und Medienservice<br />
GmbH & Co. KG, Höchberg<br />
Titelbild: GettyImages<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)
Postzosterneuralgie<br />
Neuropathische <strong>Schmerz</strong>en nach Herpes zoster stellen oft eine besondere<br />
therapeutische Herausforderung dar. Neuere Studien belegen, dass<br />
das Stufe-III-Opioid Oxycodon den „klassischen“ Antikonvulsiva und<br />
Antidepressiva deutlich überlegen ist. Der Gabe von Oxycodon als First-<br />
Line-<strong>Therapie</strong> standen bisher die gastrointestinalen Nebenwirkungen im<br />
Weg. Durch die Kombination von Oxycodon mit Naloxon in Targin ® können<br />
diese Nebenwirkungen effektiv vermieden werden und damit steht<br />
für Postzosterneuralgie-Patienten eine gut verträgliche und hocheffiziente<br />
Langzeittherapie zur Verfügung, zeigt der Fall aus der Göppinger<br />
<strong>Schmerz</strong>praxis von Dr. Gerhard Müller-Schwefe.<br />
Der Praxisfall<br />
Die 72-jährige Patienten stellt sich im Frühjahr<br />
2006 mit brennenden <strong>Schmerz</strong>en im<br />
Bereich des ersten und zweiten Trigeminusastes<br />
vor. Vorausgegangen war dort eineinhalb<br />
Jahre zuvor ein Herpes zoster. Die Medikation<br />
bei Erstvorstellung besteht aus Diclofenac<br />
achtstündlich 75 mg, Omeprazol 20<br />
mg, Carbamazepin achtstündlich 400 mg,<br />
Gabapentin achtstündlich 800 mg und<br />
Amitriptylin 75 mg. Hierunter seien die<br />
<strong>Schmerz</strong>en auf der 100-Punkte-Scala VAS<br />
von 90 auf 70 zurückgegangen. Als Nebenwirkung<br />
störte die Patientin, dass sie tagsüber<br />
müde und gedämpft war, ohne nachts<br />
einen erholsamen Schlaf finden zu können.<br />
Daneben massive Obstipation.<br />
Befund<br />
Im Bereich des ersten und zweiten Trigeminusastes<br />
rechts fand sich eine ausgeprägte<br />
Berührungs- und Druckempfindlichkeit (dynamische<br />
und statische Allodynie), im betroffenen<br />
Areal narbige Veränderungen nach<br />
abgelaufenem Herpes zoster. Die müde und<br />
depressiv wirkende Patientin konnte dem<br />
Anamnesegespräch nur mühsam folgen, weil<br />
ihr immer wieder die Augen zufielen.<br />
Diagnose<br />
Die Patientin litt an einem über eineinhalb<br />
Jahre chronifizierten <strong>Schmerz</strong>syndrom (Chronifizierungsstadium<br />
II) bei Postzosterneu-<br />
ralgie im ersten und zweiten Trigeminusast<br />
rechts sowie unter einem massiven algogenen<br />
Psychosyndrom, daneben unter medikamenteninduzierter<br />
Obstipation.<br />
<strong>Therapie</strong> und Verlauf<br />
Zunächst wurde nach Absetzen von Diclofenac<br />
Gabapentin gegen Pregabalin ausgetauscht<br />
mit einer Zieldosis von zwölfstündlich<br />
300 mg. Hierunter kam es zu einer deutlichen<br />
Besserung der <strong>Schmerz</strong>symptomatik (Rück-<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)<br />
Müller-Schwefe<br />
gang der <strong>Schmerz</strong>intensität auf 55 auf der<br />
visuellen Analogskala). Die Patientin litt jedoch<br />
von Beginn der <strong>Therapie</strong> an unter ausgeprägten<br />
Gleichgewichts- und Konzentra-<br />
tionsstörungen sowie Wortfindungsstörungen.<br />
Im Verlauf der darauf folgenden drei<br />
Monate kam es auch zu einer massiven Gewichtszunahme<br />
von insgesamt 8,5 kg bei<br />
deutlicher Flüssigkeitseinlagerung. Trotz diuretischer<br />
Zusatzmedikation weiterhin massive<br />
Flüssigkeitseinlagerung. Daneben auch unter<br />
Laxanzientherapie anhaltende Obstipation.<br />
Angesichts der ausgeprägten Verträglichkeitsprobleme<br />
wurde Pregabalin abgesetzt<br />
und durch Oxycodon in einschleichender Dosierung<br />
ersetzt, anfangs zwölfstündlich 5 mg,<br />
bei unzureichender Wirkung zwölfstündlich<br />
10 mg und nach zehn Tagen in einer Dosis<br />
von zweimal täglich 20 mg.<br />
Hierunter trat eine deutliche Verbesserung<br />
der <strong>Schmerz</strong>situation ein mit durchschnittlichen<br />
<strong>Schmerz</strong>intensitätswerten von<br />
10 auf der VAS (Erträglichkeitsniveau 12). Die<br />
Gleichgewichts- und Konzentrationsstörun-<br />
Narben im Bereich Trigeminusast 1 und 2.<br />
Der Fall aus der <strong>Schmerz</strong>praxis<br />
gen waren innerhalb einer Woche vollständig<br />
verschwunden, der Nachtschlaf deutlich verbessert,<br />
sodass nach zwei Wochen Carbamazepin<br />
zusätzlich ausgeschlichen werden<br />
konnte. Die bei der Patientin vorbestehenden<br />
gastrointestinalen Nebenwirkungen bestanden<br />
allerdings weiterhin und konnten trotz<br />
der Gabe von Macrogol sowie täglich 15 mg<br />
Bisacodyl nicht zufriedenstellend beherrscht<br />
werden.<br />
Im Oktober 2006 bestand unter noch<br />
zwölfstündlich 20 mg Oxycodon weiterhin<br />
eine gute und für die Patientin ausreichende<br />
<strong>Schmerz</strong>linderung, die gastrointestinale<br />
Situation hatte sich allerdings keineswegs<br />
entschärft. Deshalb erfolgte die Umstellung<br />
auf Oxycodon 20 mg/Naloxon 10 mg zwölfstündlich.<br />
Innerhalb der ersten Woche nach<br />
der Umstellung kam es bei der Patientin zu<br />
massiven Diarrhöen. Auf intensives Nachfragen<br />
stellte sich heraus, dass die Patientin<br />
aus Angst vor der ihr bekannten Obstipation<br />
weiter Macrogol und Natriumpicosulfat eingenommen<br />
hatte. Nach Absetzen der Laxanzien<br />
kam es unter Targin ® in den darauf folgenden<br />
sieben Tagen zu einer vollständigen Normalisierung<br />
der Darmfunktion mit jetzt normal<br />
geformten Stuhlgängen alle zwei Tage.<br />
Die <strong>Schmerz</strong>intensität der neuropathischen<br />
<strong>Schmerz</strong>en blieb weiterhin bei 10–12 und<br />
entsprach damit dem individuellen Behandlungsziel<br />
der Patientin.<br />
Diskussion<br />
Gastrointestinale Nebenwirkungen wie Darmatonie,<br />
Obstipation, Blähungen und Krämpfe<br />
sind nicht nur eine Nebenwirkung von stark<br />
wirksamen Opioiden, sondern ebenso von<br />
anderen Substanzen, die zur Behandlung<br />
neuropathischer <strong>Schmerz</strong>en eingesetzt werden.<br />
Dies trifft sowohl für Carbamazepin als<br />
auch für Pregabalin und trizyklische Antidepressiva<br />
zu. Daneben können Einschränkungen<br />
kognitiver Funktionen wie auch Flüssigkeitsretention<br />
die Langzeittherapie mit<br />
diesen Substanzen einschränken.<br />
Durch die Umstellung auf die innovative<br />
Kombination von Oxycodon mit Naloxon in<br />
Targin ® kann ohne Verlust der Wirksamkeit<br />
bei neuropathischen <strong>Schmerz</strong>en eine Langzeitbehandlung<br />
durchgeführt werden, bei der<br />
Nebenwirkungen des Magen-Darm-Traktes<br />
die <strong>Therapie</strong> nicht mehr einschränken. Zudem<br />
können Kosten eingespart werden<br />
für jetzt nicht mehr notwendige Laxanzien<br />
(durchschnittlich am Tag 2,77 Euro). Targin ®<br />
gewährleistet somit eine hervorragende<br />
Analgesie bei deutlich reduzierten Nebenwirkungen<br />
sowie wesentlich günstigeren Tagestherapiekosten.<br />
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