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Vom Umgang mit einer veränderlichen Natur - Stiftung Natur und ...

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die sie ja auch nicht ist. Vielmehr besagt das Gesetz nur,<br />

dass ein bestimmter ökologischer Begriff <strong>und</strong> die fachli chen<br />

Beiträge zu s<strong>einer</strong> Sinner<strong>mit</strong>telung in einem bestimmt<br />

bezeichneten Fall <strong>und</strong> unter bestimmten Voraussetzungen<br />

normative Wirkung haben sollen.<br />

Soweit ersichtlich, ist der Europäische Gerichtshof, der,<br />

wie gesagt, bei der Auslegung der FFH-Richtlinie <strong>und</strong> der<br />

Vogelschutzrichtlinie eine maßgebliche Rolle spielt, <strong>und</strong><br />

sind die deutschen Verwaltungsgerichte auf der Ebene der<br />

Auslegung der ökologischen Begriffe des <strong>Natur</strong>schutzrechts<br />

durchaus bereit, sich auf die Ökologie im Allgemeinen<br />

<strong>und</strong> die Ökosystemforschung im Besonderen einzulassen.<br />

Als Beispiel mag das schon genannte Urteil des<br />

B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts im Fall der Westumfahrung<br />

Halle12 dienen, das in späteren Urteilen bestätigt wird.<br />

Ausgangspunkt für die Auslegung des Begriffs der erheblichen<br />

Beeinträchtigung ist der günstige Erhaltungszu -<br />

stand der geschützten Arten <strong>und</strong> des geschützten<br />

Lebensraums. Zur weiteren Ausfüllung greift das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht<br />

jedoch un<strong>mit</strong>telbar auf naturschutzfachliche<br />

Bewertungskriterien zurück. Die Frage, ob der<br />

günstige Erhaltungszustand trotz Durchführung des Vorhabens<br />

stabil bleiben wird, soll nach Auffassung des<br />

Gerichts unter Rückgriff auf den ökologischen Begriff der<br />

Stabilität, der artspezifischen Populationsdynamik <strong>und</strong><br />

von Reaktions- <strong>und</strong> Belastungsschwellen von Arten <strong>und</strong><br />

Lebensraumtypen sowie ggf. auch von Bagatellschwellen<br />

beantwortet werden. Es geht da<strong>mit</strong> entsprechend ökolo -<br />

gischem Verständnis von einem dynamischen Schutzkonzept<br />

aus, das gewisse Verluste lokaler Vorkommen <strong>und</strong><br />

gewisse Eingriffe in einen Lebensraum zulässt, wenn in<br />

kürzerer Zeit eine Regeneration zu erwarten ist. Auch das<br />

für Rheinland-Pfalz zuständige Oberverwaltungsgericht<br />

Koblenz ist in seinem Urteil aus dem Jahre 2007 zur<br />

Hochmoselüberquerung der B<strong>und</strong>esstraße 50 13 von ähnlichen<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen ausgegangen. In gleicher Weise hat<br />

das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht 14 anerkannt, dass sich die<br />

Auswahl <strong>und</strong> der Zuschnitt von Vogelschutzgebieten im<br />

Rahmen der Vogelschutzrichtlinie nach ornithologischen<br />

Kriterien richtet. Dabei handelt es sich um eine Konkretisierung<br />

der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs15<br />

zur Vogelschutzrichtlinie, die die Auswahl solcher<br />

Gebiete vorschreibt, die sich nach Art <strong>und</strong> Fläche am<br />

besten für die Arterhaltung eignen. Entscheidend sei die<br />

ornithologische Wertigkeit, die nach quantitativen <strong>und</strong><br />

qualitativen Kriterien wie Populationsgröße <strong>und</strong> -dichte,<br />

40 |<br />

Artendiversität, Entwicklungspotenzial der Arten <strong>und</strong> Netzverknüpfung<br />

des Gebiets zu bestimmen sei.<br />

Insofern erweist sich die Rechtsprechung als eine Art<br />

ökologischer Musterschüler, der bereit ist, die Grenzen<br />

eines spezifisch juristischen Problemzugriffs angemessen<br />

zu reflektieren <strong>und</strong> die ökologische Sichtweise zu rezi pie -<br />

ren, <strong>und</strong> sich sogar auf die der Ökologie kleinteilige Genauigkeit<br />

anstelle der dem Juristen gewohnten Abstraktion<br />

einlässt. Aus juristischer Perspektive bleibt insoweit allerdings<br />

einiges kritisch anzumerken. Ökologische Begriffe<br />

haben nicht die Eindeutigkeit, die der Jurist ihnen entsprechend<br />

der eigenen Denktradition zuzuschreiben geneigt<br />

ist. So sind z.B. der Begriff des Gleichgewichts <strong>und</strong> der<br />

Stabilität ohne – letztlich normative – Aussagen zur räumlichen<br />

<strong>und</strong> zeitlichen Referenz wenig aussagekräftig. Was<br />

der Jurist vor dem Hintergr<strong>und</strong> des konservierenden Na -<br />

turschutzes unter Stabilität versteht – nämlich dass die<br />

Tierarten <strong>und</strong> Lebensräume nach dem Eingriff wieder in<br />

ihren ursprünglichen Zustand zurückkehren –, ist angesichts<br />

der Dynamik des <strong>Natur</strong>geschehens eine zweifelhafte<br />

Vorstellung.<br />

Auch sollte die Verweisung auf ökologische Begriffe<br />

nicht notwendig als eine blinde Rezeption verstanden werden.<br />

Die gegenteiligen Aussagen der deutschen Gerichte<br />

zur Rezeption ökologischer Begriffe in den naturschutzrechtlichen<br />

EG-Richtlinien sind durch die wenig problembewusste,<br />

reichlich plakative Rechtsprechung des Europäischen<br />

Gerichtshofs vorgeprägt, wenngleich auch<br />

insoweit nicht zwingend. Jedenfalls soweit eine solche<br />

Vorprägung nicht besteht, ist zu berücksichtigen, dass aus<br />

verfassungsrechtlichen Gründen ggf. spezifisch juristische<br />

Modifikationen geboten sein können, etwa eine Anreicherung<br />

durch den Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit zur<br />

Auslegung dessen, was eine »erhebliche« Beeinträch -<br />

tigung darstellt. In einem anderen Rechtsgebiet des<br />

Umweltrechts, dem Immissionsschutzrecht, das <strong>mit</strong> seinen<br />

Regelungen vielfach an technische Begriffe wie den<br />

»Stand der Technik« anknüpft, war z.B. stets anerkannt,<br />

dass das technisch Mögliche ggf. unter Rückgriff auf den<br />

Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit relativiert werden kann<br />

<strong>und</strong> muss. 16 Entsprechendes gilt selbst dann, wenn das<br />

Gesetz, wie etwa bei Krebs erzeugenden Luftschadstoffen,<br />

eine Minimierung der Belastung vorschreibt. Deshalb<br />

bildet z.B. die Technische Anleitung zur Reinhaltung der<br />

Luft Risikoklassen je nach dem kanzerogenen Potenzial,<br />

denen abgestuft strenge Emissionswerte entsprechen.

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