05/2017
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Monatsinterview<br />
>>> Definitiv! Die Chance, ein<br />
Gymnasium zu besuchen, hängt<br />
nicht nur von den Fähigkeiten und<br />
vom Elternhaus ab, sondern vor<br />
allem vom Wohnort. In Basel-Stadt<br />
ist die statistische Chance für den<br />
Besuch eines Gymnasiums doppelt<br />
so gross wie im Kanton St. Gallen.<br />
Warum das?<br />
Der Kanton Basel-Stadt hat sich stärker<br />
auf die Nachfrage nach der gymnasialen<br />
Ausbildung ausgerichtet.<br />
Zum einen entspricht dies einem<br />
Bedürfnis der Schülerinnen und<br />
Schüler beziehungsweise ihrer<br />
Eltern, zum andern kann es aber<br />
auch als Reaktion auf den Fachkräftemangel<br />
interpretiert werden. Es<br />
gibt mehr gymnasiale Ausbildungsplätze<br />
als in anderen Kantonen. Weil<br />
es in Basel nicht mehr intelligente<br />
Schülerinnen und Schüler gibt als im<br />
Kanton St. Gallen, sind die Hürden<br />
für einen Platz im Gymnasium in<br />
Basel mit grosser Wahrscheinlichkeit<br />
niedriger als in St. Gallen. Aus der<br />
Perspektive der Bildungsgerechtigkeit<br />
betrachtet, wäre es wünschenswert,<br />
dass die Anforderungen für<br />
bestimmte Ausbildungen in jedem<br />
Kanton gleich sind.<br />
In einer unserer letzten Ausgaben<br />
berichteten wir über ChagALL, ein Förderprogramm<br />
für begabte Migranten<br />
(Das Schweizer ElternMagazin<br />
Fritz+Fränzi, Februar <strong>2017</strong>), die durch<br />
zusätzlichen Unterricht fit für das<br />
Kurzzeitgymnasium gemacht werden<br />
sollen. Ihre Eltern können ihnen diese<br />
Unterstützung nicht bieten. Helfen<br />
solche Programme?<br />
Sehr sogar, weil das Programm<br />
einem Bedürfnis entspricht und die<br />
Jugendlichen ein Ziel vor Augen<br />
haben: den Übertritt in die Mittelschule.<br />
Dabei treffen zwei wesentliche<br />
Erfolgsfaktoren aufeinander: Die<br />
Schüler sind hochmotiviert, und die<br />
Betreuung im Programm ist ausreichend<br />
und effektiv. Beide Faktoren<br />
sind notwendige Bedingungen für<br />
den Erfolg eines Förderprogramms.<br />
Wie sehr sollten sich Eltern dafür einsetzen,<br />
dass ihre Kinder ihre Chancen<br />
ergreifen? Sollte ich beispielsweise<br />
als Mutter täglich die Hausaufgaben<br />
meines Kindes begleiten?<br />
Es kommt darauf an, wie Sie das<br />
machen. Sich als Lehrperson auszugeben<br />
und dem Kind ständig zu<br />
erklären, wie es geht und was es zu<br />
tun hat, ist sicher nicht zielführend.<br />
Aber dass man ab und zu nachfragt:<br />
«Sag mal, hast du die Hausaufgaben<br />
erledigt?», oder: «Hast du dir auch<br />
schon einmal Gedanken gemacht,<br />
was du später tun möchtest?», ist<br />
sicher nicht falsch. Ich finde es wichtig,<br />
dass man die Kinder begleitet<br />
und ein ganz normales Interesse an<br />
schulischen Angelegenheiten und<br />
später an den beruflichen Interessen<br />
zeigt. Allerdings immer mit Mass<br />
und unterstützend.<br />
«Wenn meine<br />
Töchter eine<br />
Lehrperson toll<br />
finden, möchte ich<br />
immer wissen,<br />
weshalb.»<br />
Nehmen sich Eltern, gerade wenn sie<br />
viel arbeiten, heute zu wenig Zeit für<br />
so etwas?<br />
Das kann ich nicht beurteilen.<br />
Kinder brauchen keine langen Ge -<br />
spräche über Hausaufgaben, aber<br />
emotionale Zuwendung und Unterstützung.<br />
Wie haben Sie es mit Ihren beiden,<br />
heute fast erwachsenen Töchtern<br />
gehalten?<br />
Ich habe immer mit meinen Kindern<br />
über ihre Hausaufgaben gesprochen,<br />
weil mich das von Berufes wegen<br />
interessierte. Und ich habe mit ihnen<br />
auch über ihre schulischen und<br />
beruflichen Ziele gesprochen. In<br />
einer frühen Phase musste ich sie hin<br />
und wieder darauf hinweisen, dass<br />
sie etwas tun müssen, wenn sie ihre<br />
Ziele erreichen wollen. Aber so etwas<br />
lässt sich in einem ganz normalen<br />
Alltagsgespräch klären. Je älter sie<br />
wurden, desto selbstständiger wurden<br />
sie.<br />
Davon träumen viele Eltern.<br />
Ich sage nicht, dass es in allen Fällen<br />
so reibungslos laufen muss. Ich habe<br />
diesbezüglich mit meinen Kindern<br />
Glück gehabt. Aber ich habe auch<br />
von Anfang an ein gewisses Interesse<br />
an ihrer Schullaufbahn gezeigt,<br />
ohne sie mit ständigem Nachfragen<br />
oder Kontrollieren zu nerven. Wir<br />
unterhalten uns auch heute noch<br />
gerne über die Schule und die berufliche<br />
Zukunft.<br />
Und worüber genau?<br />
Ein grosses Thema ist, ob der Unterricht<br />
interessant ist und ob die Lehrpersonen<br />
gerecht sind. Wenn sie eine<br />
Lehrperson besonders toll finden,<br />
möchte ich immer wissen, weshalb.<br />
Und selbstverständlich sprechen wir<br />
darüber, was nach der Schule alles<br />
möglich ist.<br />
Können Eltern ihre Kinder auch zu<br />
sehr puschen?<br />
Natürlich – und es mag auch diese<br />
unglücklichen Kinder an den Gymnasien<br />
geben, die überfordert und<br />
fehl am Platz sind; aber es sind wohl<br />
kaum so viele, wie man aufgrund<br />
dieser Diskussionen immer wieder<br />
hört. Puschen bringt nichts, Unterstützung<br />
und angemessene Erwartungen<br />
hingegen schon. Wenn man<br />
auf die Kinder eingeht, merkt man<br />
meist, wo ihre Interessen liegen und<br />
wie man sie unterstützen kann.<br />
Und wenn ein Kind etwas anderes<br />
anstrebt als eine höhere Schullaufbahn,<br />
dann sollte man dem nachgeben?<br />
Unbedingt. Ein Kind, das weder die<br />
kognitiven Voraussetzungen noch<br />
die Motivation mitbringt, kann man<br />
nicht durchs Gymnasium peitschen.<br />
Dafür sind die Anforderungen der<br />
Gymnasien in der Schweiz zu hoch.<br />
Und wenn das Kind zu einem späteren<br />
Zeitpunkt die Matura nachholen<br />
und studieren möchte, bestehen in<br />
der Schweiz genügend Chancen.