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05/2017

Fritz + Fränzi

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Erziehung & Schule<br />

Alltagssituation beobachtet werden.<br />

In einer der Versuchsreihen von<br />

Doris Bischof-Köhler täuschte eine<br />

erwachsene Spielpartnerin einem<br />

Kind Trauer vor, weil ihr Teddy<br />

kaputtgegangen war. «Die Kinder,<br />

die sich noch nicht selbst im Spiegel<br />

erkennen konnten, verstanden die<br />

Situation nicht und reagierten entweder<br />

unbeteiligt oder wollten selbst<br />

getröstet werden.» Die anderen Kinder<br />

hingegen spiegelten die Emotion<br />

der «Freundin», versuchten zu trösten<br />

und boten ein anderes Stofftier<br />

an.<br />

Empathie-Lücken zugestehen<br />

Es gibt im Alltag immer wieder Szenen,<br />

bei denen Eltern warm ums<br />

Herz wird, weil ihre Kinder «so lieb»<br />

sind. Mein dreijähriger Sohn Carl,<br />

der seine grosse Schwester umarmt,<br />

weil er sie nach einem Sturz trösten<br />

möchte. Der friedlich das Sandspielzeug<br />

teilt, weil sein Freund seine<br />

Sachen vergessen hat. Meine Tochter<br />

Fanny, die ruft, «Lassen Sie mich das<br />

machen», und dann einer alten Frau<br />

im Supermarkt beim Aufsammeln<br />

des heruntergefallenen Einkaufs<br />

hilft.<br />

Wenn mein Mann und ich uns<br />

darüber unterhalten, welche Charaktereigenschaften<br />

uns bei unseren<br />

Kindern besonders wichtig sind,<br />

steht auf meiner Liste das Einfühlungsvermögen<br />

ganz weit oben. Wie<br />

wunderbar wäre es, wenn die beiden<br />

ein besonderes Gespür dafür hätten,<br />

wer Trost und Unterstützung<br />

braucht, und entsprechend mitfühlend<br />

handeln. Mein Mann weist<br />

dann meistens darauf hin, dass auch<br />

Fanny und Carl mal schadenfroh,<br />

unaufmerksam oder ruppig sein<br />

dürften, dass ich ihnen Empathie-<br />

Lücken zugestehen müsse.<br />

«Als ob ich ihnen die überhaupt<br />

absprechen könnte», erwidere ich<br />

dann – und merke an, dass unser<br />

Sohn mit dreieinhalb Jahren trotzdem<br />

langsam mal verstehen könnte,<br />

wann seine Mutter ein kleines bisschen<br />

Unterstützung braucht. Dass<br />

ich Carl noch so eindringlich erklären<br />

kann, warum ich ihn nicht<br />

zusammen mit den Einkäufen fünf<br />

Stockwerke hochtragen kann und er<br />

bitte, bitte selbst laufen möge. Er<br />

brüllt dann trotzdem: «Doofe<br />

Mama!», und bleibt schreiend im<br />

Treppenhaus liegen. Und Fanny,<br />

statt ihren Bruder an die Hand oder<br />

eine Einkaufstüte zu nehmen, sprintet<br />

die Treppen hoch und empfängt<br />

mich oben mit: «Du bist aber nicht<br />

mehr so fit, Mama. Du schnaufst ja<br />

wie eine alte Frau.»<br />

Eine gängige Redensart lautet:<br />

Kinder sind grausam. So möchte das<br />

Andreas Schick, Leiter des Heidelberger<br />

Präventionszentrums nicht<br />

stehen lassen. «Ich würde sagen,<br />

dass Kinder grosse Experimentatoren<br />

sind», sagt er. «Sie entdecken<br />

noch den Umgang mit sich und mit<br />

anderen. Das kann immer wieder<br />

einmal dazu führen, dass sie die<br />

Grenzen anderer deutlich überschreiten.»<br />

Eine Freundin erzählte mir kürzlich,<br />

dass ihre Tochter einen Verweis<br />

bekommen habe. Ich war zunächst<br />

eher erfreut als schockiert, weil ich<br />

die Achtjährige bislang als mustergültig<br />

angepasst erlebt hatte. Umso<br />

mehr überraschte mich, dass dieses<br />

Mädchen zusammen mit drei<br />

Freundinnen eine Klassenkameradin<br />

schikaniert hatte. Sie hatten<br />

deren Schal in eine Toilette gestopft<br />

und nacheinander draufgepinkelt,<br />

während das Opfer weinend vor der<br />

Tür stand. Ich konnte meiner Freundin<br />

ansehen, dass sie das genauso<br />

schockierte wie mich. «Ganz schön<br />

gefühlskalt, was?», sagte sie.<br />

Doch zum Glück sind Einfühlungsvermögen<br />

und Mitgefühl nicht<br />

einfach nur Veranlagungssa- >>><br />

Einfühlungsvermögen und<br />

Mitgefühl sind nicht nur<br />

Veranlagungssache, sondern<br />

können auch trainiert werden.<br />

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