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Bionik – Von der Natur gelernt Von Cornelia Dick-Pfaff Selbstreinigende Oberflächen dank Lotuseffekt oder ein Endoskop, das sich wie ein Regenwurm sanft durch den Darm schlängelt: Diese und weitere Errungenschaften moderner Technik sind nicht allein dem Erfindergeist von Ingenieuren zu verdanken. Vielmehr ist die Natur der Erfinder, und Ingenieure haben sich natürliche Phänomene zum Vorbild genommen und technisch umgesetzt. Anstriche mit dem so genannten Lotuseffekt sind bereits im freien Handel zu haben. Das Prinzip wird ständig weiter entwickelt und sogar für den Textilbereich angestrebt. 36 - explore: 3/2005 UMWELT Bionik - Von der Natur gelernt
Bionik - Von der Natur gelernt UMWELT Selbst reinigende Wände auch gegen Grafitti bald keine Vision mehr? Bionik heißt dieses interdisziplinäre Forschungsgebiet, in dem sich Biologie und Technik begegnen. Das geht weit über bloßes Kopieren der Natur hinaus. „Nachahmen lässt sich die Natur überhaupt nicht“, sagt Werner Nachtigall, Professor Emeritus und Gründer der Arbeitsrichtung Technische Biologie und Bionik an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken (siehe auch explore: INTERVIEW, Seite 38). Sie kann aber Anregungen für technische Entwicklungen geben und hält dafür ein gewaltiges Ideenpotenzial parat. „Der Biologe weist auf Dinge hin, die in der Natur funktionieren“, erklärt Professor Nachtigall. „Die Aufgabe des Ingenieurs ist es, diese eigenständig mit den Mitteln seiner Fachdisziplin umzusetzen.“ Bionik fordert daher das ständige Überschreiten von Grenzen. Bekannt ist der Lotuseffekt, mit dessen Hilfe etwa Fassaden stets sauber bleiben. Die feine Oberflächenstruktur des Lotusblattes sorgt dafür, dass Wasser abperlt und den Schmutz dabei mit vom Blatt wäscht. Nach diesem Vorbild wurde ein Anstrich entwickelt, der eine vergleichbare Mikrostruktur aufweist und ebenso selbst reinigend ist wie die natürliche Blattoberfläche. Neueste Produkte mit Lotuseffekt wollen noch mehr: So kann ein Spray im Prinzip jede Oberfläche mit diesem Effekt versehen. Den Rohstoff produziert Degussa unter dem Handelsnamen Tegotop 100. Im freien Handel ist der Lotuseffekt zum Aufsprühen allerdings noch nicht erhältlich. Ein großes Manko ist bisher noch die mangelnde Beständigkeit: Bei Berührung wird der Effekt schnell zerstört. Die Beständigkeit ist ebenfalls entscheidend bei der Umsetzung im Textilbereich. „Bei Textilien werden hochbeständige Effekte erwartet“, erläutert Volkmar von Arnim vom Institut für Textil- und Verfahrenstechnik in Denkendorf. „Die Oberflächen sind jedoch im Dauergebrauch meist noch zu empfindlich. Wir sind deutlich vorangekommen, haben aber noch kein Produkt mit Lotuseffekt, das in diesem Sommer auf den Markt kommt.“ Grob lässt sich die Bionik in drei Komplexe unterteilen: Die Konstruktionsbionik befasst sich mit Konstruktionen, die Informationsbionik mit Informationsübertragungs-, Entwicklungs- und Evolutionsprinzipien und die Verfahrensbionik mit Vorgehensweisen aus der Natur. Aspekte der Verfahrensbionik könnten künftig eine besondere Rolle spielen. In ihnen sieht Nachtigall den möglichen Schlüssel für das Überleben. Eine biotechnologische Gewinnung von Wasserstoff könnte seiner Meinung nach viele Probleme lösen. Dann müsste Wasserstoff nicht mehr aus fossilen Brennstoffen gewonnen werden, sondern aus Wasser mithilfe der Sonnenenergie. Allerdings müssen sich an die natur-analogen Vorgänge industrielle Technologien anschließen, die letztlich zu gasförmigem Wasserstoff führen. „Wenn die fossilen Brennstoffe ausgehen, bleibt uns ja nur die Sonne“, so Nachtigall. Ein weiteres zentrales Element, das dem Menschen als nützliches Vorbild dienen könnte, ist für ihn die Art und Weise, wie die Natur mit komplexen Systemen umgeht und Abfälle grundsätzlich vermeidet. „Die Natur kennt keine Abfälle, die Volkswirtschaft sagt, es geht nicht ohne“, so Nachtigall. Die Natur geht aber nicht nach Preis oder volkswirtschaftlichen Aspekten, dafür nach System erhaltenden Kenngrößen. „Das müssen wir noch lernen. Die Natur existiert auch ohne uns, und wir sind so dumm und schauen nicht hin.“ Das Potenzial der Bionik wird zunehmend erkannt. So hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung den Wettbewerb „Bionik – Innovationen aus der Natur“ ausgerufen. In diesem Jahr wurden sechs Forscherteams ausgezeichnet, darunter die Arbeitsgruppe von Professor Wilhelm Barthlott von der Universität Bonn, aus deren Arbeit auch die Entwicklung unterschiedlicher Produkte mit Lotuseffekt hervorgegangen ist. Die Forscher untersuchen extrem Wasser abweisende Oberflächen, so genannte superhydrophobe biologische Grenzflächen. Für den Ideenwettbewerb reichten sie ein Projekt ein, in dem sie die Wasserjagdspinne unter die Lupe genommen hatten. Die Spinne wird beim Tauchen nicht nass, da feinste Borsten Luft einschließen und ihren Körper so mit einer Luftschicht umgeben. Mögliche technische Anwendungen aus dieser Beobachtung bestehen in ähnlichen, künstlich hergestellten Oberflächen, die etwa Badeanzüge trocken halten oder Schiffsrümpfe leichter durchs Wasser gleiten lassen sollen. Wenn sie taucht, schlüpft die Wasserjagdspinne in ein silbrig glänzendes Kleid: Ihr Körper überzieht sich dann mit einer Haut aus Luft, die verhindert, dass die Spinne feucht wird. Unzählige kleine Borsten halten die Luftschicht gefangen. Ein weiterer Preisträger ist die Arbeitsgruppe um Stefan Schulz vom Forschungszentrum Karlsruhe. Die Wissenschaftler entwickelten ein Gerät zur Darmspieglung, das nicht von außen vorgeschoben wird. Es bewegt sich vielmehr selbsttätig sanft durch den Darm und beugt so Verletzungen der empfindlichen Darmschleimhaut vor. Als Vorbild diente den Forschern dabei das peristaltische Fortbewegungsprinzip des Regenwurms. Wie zahlreiche Beispiele zeigen, ist Bionik in höchstem Maße entwickelte Technik. „Wir wollen nicht zurück zur Natur im Sinne von Low-Tech, sondern vorwärts zur Natur – im Sinne von extremer High-Tech“, erklärt Nachtigall. „Es gibt nichts Komplexeres und Raffinierteres als die Natur.“ explore: 3/2005 - 37
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