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Bionik – Von der Natur gelernt - TÜV NORD Gruppe

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<strong>Bionik</strong> - <strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> <strong>gelernt</strong> UMWELT<br />

Selbst reinigende Wände auch gegen Grafitti bald keine Vision mehr?<br />

<strong>Bionik</strong> heißt dieses interdisziplinäre Forschungsgebiet, in<br />

dem sich Biologie und Technik begegnen. Das geht weit<br />

über bloßes Kopieren <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> hinaus. „Nachahmen lässt<br />

sich die <strong>Natur</strong> überhaupt nicht“, sagt Werner Nachtigall,<br />

Professor Emeritus und Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Arbeitsrichtung<br />

Technische Biologie und <strong>Bionik</strong> an <strong>der</strong> Universität des<br />

Saarlandes in Saarbrücken (siehe auch explore:<br />

INTERVIEW, Seite 38). Sie kann aber Anregungen für technische<br />

Entwicklungen geben und hält dafür ein gewaltiges<br />

Ideenpotenzial parat. „Der Biologe weist auf Dinge hin, die<br />

in <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> funktionieren“, erklärt Professor Nachtigall. „Die<br />

Aufgabe des Ingenieurs ist es, diese eigenständig mit den<br />

Mitteln seiner Fachdisziplin umzusetzen.“ <strong>Bionik</strong> for<strong>der</strong>t<br />

daher das ständige Überschreiten von Grenzen.<br />

Bekannt ist <strong>der</strong> Lotuseffekt, mit dessen Hilfe etwa<br />

Fassaden stets sauber bleiben. Die feine Oberflächenstruktur<br />

des Lotusblattes sorgt dafür, dass Wasser abperlt<br />

und den Schmutz dabei mit vom Blatt wäscht. Nach diesem<br />

Vorbild wurde ein Anstrich entwickelt, <strong>der</strong> eine vergleichbare<br />

Mikrostruktur aufweist und ebenso selbst reinigend<br />

ist wie die natürliche Blattoberfläche. Neueste<br />

Produkte mit Lotuseffekt wollen noch mehr: So kann ein<br />

Spray im Prinzip jede Oberfläche mit diesem Effekt versehen.<br />

Den Rohstoff produziert Degussa unter dem<br />

Handelsnamen Tegotop 100. Im freien Handel ist <strong>der</strong><br />

Lotuseffekt zum Aufsprühen allerdings noch nicht erhältlich.<br />

Ein großes Manko ist bisher noch die mangelnde<br />

Beständigkeit: Bei Berührung wird <strong>der</strong> Effekt schnell zerstört.<br />

Die Beständigkeit ist ebenfalls entscheidend bei <strong>der</strong><br />

Umsetzung im Textilbereich. „Bei Textilien werden hochbeständige<br />

Effekte erwartet“, erläutert Volkmar von Arnim vom<br />

Institut für Textil- und Verfahrenstechnik in Denkendorf. „Die<br />

Oberflächen sind jedoch im Dauergebrauch meist noch zu<br />

empfindlich. Wir sind deutlich vorangekommen, haben aber<br />

noch kein Produkt mit Lotuseffekt, das in diesem Sommer<br />

auf den Markt kommt.“<br />

Grob lässt sich die <strong>Bionik</strong> in drei Komplexe unterteilen: Die<br />

Konstruktionsbionik befasst sich mit Konstruktionen, die<br />

Informationsbionik mit Informationsübertragungs-, Entwicklungs-<br />

und Evolutionsprinzipien und die Verfahrensbionik<br />

mit Vorgehensweisen aus <strong>der</strong> <strong>Natur</strong>. Aspekte <strong>der</strong><br />

Verfahrensbionik könnten künftig eine beson<strong>der</strong>e Rolle<br />

spielen. In ihnen sieht Nachtigall den möglichen Schlüssel<br />

für das Überleben. Eine biotechnologische Gewinnung von<br />

Wasserstoff könnte seiner Meinung nach viele Probleme<br />

lösen. Dann müsste Wasserstoff nicht mehr aus fossilen<br />

Brennstoffen gewonnen werden, son<strong>der</strong>n aus Wasser mithilfe<br />

<strong>der</strong> Sonnenenergie. Allerdings müssen sich an die<br />

natur-analogen Vorgänge industrielle Technologien<br />

anschließen, die letztlich zu gasförmigem Wasserstoff führen.<br />

„Wenn die fossilen Brennstoffe ausgehen, bleibt uns ja<br />

nur die Sonne“, so Nachtigall.<br />

Ein weiteres zentrales Element, das dem Menschen als<br />

nützliches Vorbild dienen könnte, ist für ihn die Art und<br />

Weise, wie die <strong>Natur</strong> mit komplexen Systemen umgeht und<br />

Abfälle grundsätzlich vermeidet. „Die <strong>Natur</strong> kennt keine<br />

Abfälle, die Volkswirtschaft sagt, es geht nicht ohne“, so<br />

Nachtigall. Die <strong>Natur</strong> geht aber nicht nach Preis o<strong>der</strong> volkswirtschaftlichen<br />

Aspekten, dafür nach System erhaltenden<br />

Kenngrößen. „Das müssen wir noch lernen. Die <strong>Natur</strong> existiert<br />

auch ohne uns, und wir sind so dumm und schauen<br />

nicht hin.“<br />

Das Potenzial <strong>der</strong> <strong>Bionik</strong> wird zunehmend erkannt. So hat<br />

das Bundesministerium für Bildung und Forschung den<br />

Wettbewerb „<strong>Bionik</strong> – Innovationen aus <strong>der</strong> <strong>Natur</strong>“ ausgerufen.<br />

In diesem Jahr wurden sechs Forscherteams ausgezeichnet,<br />

darunter die Arbeitsgruppe von Professor Wilhelm<br />

Barthlott von <strong>der</strong> Universität Bonn, aus <strong>der</strong>en Arbeit auch<br />

die Entwicklung unterschiedlicher Produkte mit Lotuseffekt<br />

hervorgegangen ist. Die Forscher untersuchen extrem<br />

Wasser abweisende Oberflächen, so genannte superhydrophobe<br />

biologische Grenzflächen. Für den Ideenwettbewerb<br />

reichten sie ein Projekt ein, in dem sie die Wasserjagdspinne<br />

unter die Lupe genommen hatten. Die Spinne wird<br />

beim Tauchen nicht nass, da feinste Borsten Luft einschließen<br />

und ihren Körper so mit einer Luftschicht umgeben.<br />

Mögliche technische Anwendungen aus dieser Beobachtung<br />

bestehen in ähnlichen, künstlich hergestellten Oberflächen,<br />

die etwa Badeanzüge trocken halten o<strong>der</strong> Schiffsrümpfe<br />

leichter durchs Wasser gleiten lassen sollen.<br />

Wenn sie taucht, schlüpft die Wasserjagdspinne in ein silbrig glänzendes<br />

Kleid: Ihr Körper überzieht sich dann mit einer Haut aus Luft, die<br />

verhin<strong>der</strong>t, dass die Spinne feucht wird. Unzählige kleine Borsten halten<br />

die Luftschicht gefangen.<br />

Ein weiterer Preisträger ist die Arbeitsgruppe um Stefan<br />

Schulz vom Forschungszentrum Karlsruhe. Die Wissenschaftler<br />

entwickelten ein Gerät zur Darmspieglung, das<br />

nicht von außen vorgeschoben wird. Es bewegt sich vielmehr<br />

selbsttätig sanft durch den Darm und beugt so<br />

Verletzungen <strong>der</strong> empfindlichen Darmschleimhaut vor. Als<br />

Vorbild diente den Forschern dabei das peristaltische<br />

Fortbewegungsprinzip des Regenwurms.<br />

Wie zahlreiche Beispiele zeigen, ist <strong>Bionik</strong> in höchstem<br />

Maße entwickelte Technik. „Wir wollen nicht zurück zur<br />

<strong>Natur</strong> im Sinne von Low-Tech, son<strong>der</strong>n vorwärts zur <strong>Natur</strong><br />

– im Sinne von extremer High-Tech“, erklärt Nachtigall. „Es<br />

gibt nichts Komplexeres und Raffinierteres als die <strong>Natur</strong>.“<br />

explore: 3/2005 - 37

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