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andy hope 1930 - Weltkunst

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empfindend sagen würden: „Ich ist ein Anderer“. 3 Um<br />

Dichter zu sein, müsse man stark sein und ungeheuerliche<br />

Leiden auf sich nehmen. Nur wenn man sich mit<br />

Haut und Haaren einlasse auf die „Entregelung aller<br />

Sinne“, 4 könne man das Unbekannte erreichen, schrieb<br />

Rimbaud im Mai 1871 in einem ersten „Brief des Sehers“<br />

an seinen Rhetorik-Lehrer Georges Izambard. Hopes<br />

Porträt Zeichnung von 2007/08 Arthur Rimbaud gibt Anlass<br />

zu der Vermutung, dass auch er sich diesen Gedanken<br />

sehr nahe fühlt. Befragt nach den Hintergründen für<br />

die alternative Selbsterfindung „Andy Hope <strong>1930</strong>“ erklärt<br />

er seinen Entschluss wie folgt: „Für mich war klar:<br />

ich möchte die Signatur ohne fortlaufende Datierung, ich<br />

möchte etwas Neues, und ich hatte die Idee, diesen fiktionalen<br />

Charakter einzuführen, der wie eine Art Zwischenwesen<br />

funktioniert. Wenn ich arbeite, scheint diese<br />

Figur auf, und ich bin dann, wenn man so will ein<br />

anderer.“ 5<br />

Mit dem Jahr <strong>1930</strong> verbindet er in erster Linie den russischen<br />

Konstruktivismus (konkreter Anlass war Rodtschenko)<br />

und im weiteren Sinne das Ende wichtiger Entwicklungen<br />

in der künstlerischen Moderne überall in<br />

Europa. Doch letztlich ist für ihn entscheidend, den Namen<br />

Andy Hope in eine Welt ohne Zeit zu transformieren,<br />

indem er diese auf ein Datum fixiert und scheinbar anhält.<br />

„Wo Partikel und Anti-Partikel zusammenstoßen,<br />

zerstören sie nicht nur ihre eigene physikalische Identität,<br />

sondern ihre einander entgegengesetzten Zeitwerte<br />

heben einander auf und ziehen ein weiteres Quantum<br />

vom gesamten Zeitvorrat des Universums ab“ 6 , so heißt<br />

es in J. G. Ballards Science-Fiction-Roman „Kristallwelt“,<br />

der Hope die Idee zu einem besonderen Projekt<br />

lieferte, die „Phantom Gallery“.<br />

phantom Gallery<br />

Um verschwundene Identitäten geht es in Hopes Projekt<br />

Phantom Gallery von 2008 (Abb. 12), das er simultan in<br />

zwei Galerien eröffnete. Über Videostreaming war eine<br />

Galerie in Zürich mit einer anderen Galerie in Los Angeles<br />

verbunden, sodass die abendlichen Gäste der Vernissage<br />

in Europa den kunstinteressierten kalifornischen<br />

Frühaufstehern durch die in den Räumen montierten Kameras<br />

zuwinken konnten. Im Übrigen aber befanden sich<br />

in den Galerien keine vorzeigbaren Gegenstände der üblichen<br />

Art. Auf Spurensuche durch leere Räume, deren<br />

Wände von Abwesenheiten zeugten, fanden die Besucher<br />

hier wie dort nichts als helle Schatten vor, die in<br />

leichter Abtönung die Umrisse von möglicherweise abgenommenen<br />

Bildern oder ehemals vorhandenen Mö-<br />

beln sichtbar machten. Anstelle der wirklichen Objekte<br />

zeigte Hope Abwesenheiten. Ein Zertifikat mit Anleitung<br />

zur Rekonstruktion der Schatten erlaubte, die Gespenster<br />

käuflich zu erwerben.<br />

Als wichtige Inspirationsquelle für dieses Projekt nennt<br />

Hope sein Empfinden bei der Räumung der Wohnung seiner<br />

verstorbenen Vermieterin Frau Puschmann. Die<br />

Spuren des ausgeräumten Mobiliars erschienen ihm „…<br />

wie Phantome als helle Flecken an der Wand. Das wirkte<br />

fast Furcht erregend: das Abwesende erschien immer<br />

noch anwesend zu sein.“ 7 Zu ihren Lebzeiten betrieb<br />

Frau Puschmann in München einen kleinen Trödelladen,<br />

dessen Erscheinungsbild Andy Hope 1996 in seine „offspace“<br />

Galerie „c/o Puschmann“ transferierte. Ein Fenster<br />

und Teile des Inventars lieh er sich von Frau Puschmann<br />

aus, für den Rest lud er Freunde und auch Leute<br />

von der Straße ein, ihre Bilder, Zeichnungen und Objekte<br />

in seiner Installation auszustellen. Er selbst verbrachte<br />

„<br />

<strong>andy</strong> <strong>hope</strong> <strong>1930</strong> schöpft aus den<br />

unterschiedlichsten Quellen, aus<br />

der Ästhetik der Comics, der<br />

Western, der Science Fiction, der<br />

Flohmarktbilder ...<br />

“<br />

dort seine Zeit als Künstler, Kunstvermittler oder als<br />

Trödelhändler, der eine unzensierte Mischung an unterschiedlichsten<br />

Exponaten präsentierte. Zufällig vorbeikommende<br />

Menschen leisteten ihm Gesellschaft oder<br />

machten Musik. Seinen auf diese Weise getarnten Kunstraum<br />

verwendete Hope für eine Bestandsaufnahme der<br />

künstlerischen Möglichkeiten in der Mitte der 1990er<br />

Jahre und zugleich als Kritik am aktuellen Kunst- und<br />

Kommerzbetrieb.<br />

Als provokative Hinterfragung und Auslotung des Kunstterrains<br />

kann auch der 2002 entstandene Peiner-Block<br />

gelten. In einer Serie von 45 Zeichnungen, die nach dem<br />

heute weitgehend unbekannten, jedoch in der NS-Zeit<br />

zum Staatskünstler avancierten Werner Peiner benannt<br />

ist, entwirft Hope eine Chronik des 20. Jahrhunderts, die<br />

sich quer durch ihre Bildwelt schlägt: von der frühen<br />

Avantgarde durch den Spiritualismus der Ästhetik des<br />

Dritten Reichs bis hin zu Science Fiction und Comic<br />

Strip.<br />

California Art Show (Abb. 13) zeigt Nazigrößen vor<br />

konstruktivistischen Bildern. Ratlos und voller Abscheu<br />

wie seinerzeit 1937 im Münchner Haus der Kunst in der<br />

berüchtigten Ausstellung „Entartete Kunst“ betrachten<br />

sie die abstrakte Zeichenhaftigkeit der Werke. Auf einem<br />

anderen Blatt begutachtet ein zum Alien mutiertes Wesen<br />

in Uniform neugierig das Bild eines Gekreuzigten,<br />

über dem das Schwarze Quadrat von Malewitsch als<br />

INRI-Zeichen hängt (Abb. 7). Diese Ikone der klassischen<br />

Moderne („Suprematismus“) taucht in Hopes Werk im-<br />

3

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