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mer wieder auf. In Zeit ohne Geschichte (Abb. 10) findet<br />
sie sich inmitten einer Spirale, die über drei Frauenfiguren<br />
– die dem Ideal des Dritten Reichs entsprechen –<br />
schwebt. Abgesehen von der ikonenhaften Bedeutung<br />
für die Avantgarde am Anfang des 20. Jahrhunderts ist<br />
die Form eines Quadrates weitgehend frei von symbolischen<br />
Konnotationen, denn Links, Rechts, Oben und<br />
Unten sind austauschbar. In seiner geometrischen Einfachheit<br />
ist das „Schwarze Quadrat“ deshalb ein idealer<br />
Ausgangspunkt für alle Möglichkeiten, sofern es nichts<br />
und zugleich alles bedeuten kann. Hope modifiziert seine<br />
Erscheinungsweisen und somit auch Fragen nach Bedeutungen<br />
nicht nur dadurch, dass er dem Quadrat z. B.<br />
Vampirzähne verpasst, sondern auch indem er es in diverse<br />
Zusammenhänge stellt.<br />
Die drei Damen in Zeit ohne Geschichte sitzen in der<br />
Abenddämmerung wie drei Schicksalsgöttinnen vor<br />
einem Gebirgspanorama. Anstatt einer Sonne scheint<br />
ein Schwarzes Quadrat hinter den Bergen zu verschwinden.<br />
Ihre Unterhaltung ist auf Hopes Zeichnung zu lesen:<br />
„Der Übergang ist nicht Fortschritt und ist auch nicht<br />
Hinübergleiten vom Bisherigen in Neues. Der Übergang<br />
ist das Übergangslose: weil er in die Entscheidung der<br />
Anfänglichkeit des Anfangs gehört. Wer sind wir außerhalb<br />
von uns? Oder sind die Dinge Bedingung in uns?“<br />
Die paradox klingenden Einsichten, die Hope in seinem<br />
Text den Damen in den Mund legt, fordern den Leser zum<br />
Zweifel an festen Größen, einleuchtenden Prinzipien und<br />
anerkannten Formeln auf, um selbstverständlich scheinende<br />
Aussagen kritisch zu beleuchten.<br />
„<br />
<strong>andy</strong> <strong>hope</strong> <strong>1930</strong> thematisiert unsere<br />
entschwindende Wirklichkeit,<br />
löst vertraute Zusammenhänge<br />
sowie ein vertrautes Raum-Zeit-<br />
Kontinuum auf.<br />
“<br />
In ähnlicher Ausführung kehrt das Motiv der drei Frauen<br />
in einer weiteren Zeichnung wieder, 3 Philosophinnen<br />
denken über das Ende der Zeit (Abb. 8). Von irdischen<br />
Dingen befreit, scheinen sich die drei Damen in einem<br />
Raumschiff zu befinden, an dessen Bullauge galaktische<br />
Nebelschwaden vorbeiziehen. Über ihnen schwebt ein<br />
schwarzer Wappenvogel mit den Insignien NSG, Hopes<br />
Abkürzung für „New Spiritual Guides“, der sie in eine<br />
ferne Zukunft begleitet. Ob sie dahin unterwegs oder<br />
aber schon dort angekommen sind, erklärt sich aus dem<br />
zugehörigen Text: „Ohne in der Welt zu leben, bin ich<br />
dort … lass uns dorthin reisen, Schatten der Zeit, irgendwo<br />
dort draußen vergisst du mich …“. Zeit und Geschichte<br />
als Kontinuum, als Abfolge komplexer Ereignisse werden<br />
von Hope aufgelöst, indem er in seinen Visionen Vergangenheit<br />
und Zukunft simultan sichtbar macht.<br />
4 <strong>andy</strong> <strong>hope</strong> <strong>1930</strong><br />
„Was hat Malewitsch mit Peiner zu schaffen, was Goebbels<br />
mit Batman“, so fragt Veit Loers 8 in seiner Abhandlung<br />
über den Peiner-Block. Er sieht darin ein Sample,<br />
aus dem Hope ein neues Epos, das von abendländischer<br />
Tradition, ländlicher Idylle, faschistischem Gedankengut,<br />
von Pathos, Kampf, Idolen der Comic- und der<br />
Science-Fiction-Welt und den kunsthistorischen Entwicklungen<br />
erzählt. Diesem breiten Spektrum entsprechend<br />
treten die seltsamsten Figuren in Hopes Zeichnungen<br />
auf: antike Kämpfer, Bauern, Landser, uniformierte<br />
Nazis, zu Aliens mutierte Wehrmachtsoffiziere,<br />
Desperados, Partisanen, Teufel, Hippies, Uncle Sams,<br />
Batman, Superman, Dracula und andere mehr. Ihre Gesichter<br />
bilden Piktogramme oder setzen sich aus kubistischen<br />
und konstruktivistischen Elementen zusammen.<br />
Untergangsszenarien<br />
Der Künstler erarbeitete im Peiner-Block ein Vokabular,<br />
das er auch für spätere Werke immer wieder heranzieht.<br />
Das großformatige Gemälde THUNDER AGENT NEVA-<br />
DA DOOM 4419 erinnert an heroische Motive auf den<br />
monumentalen Wandteppichen Werner Peiners, die dieser<br />
an die Ausstattungswünsche der NS-Größen angepasst<br />
hatte. Andy Hope <strong>1930</strong> nimmt dies karikierend auf:<br />
Eine antike Figur auf einem römischen Streitwagen, der<br />
von vier apokalyptischen Pferden gezogen wird, die das<br />
Feuer, das Wasser, die Erde, die Luft symbolisieren,<br />
schleudert seine Blitze gegen die Menschheit. Im Vordergrund<br />
betet Superman kniend vor dem möglicherweise<br />
schon toten Supergirl. Ein gigantisches Untergangsszenario,<br />
das sowohl in der Antike als auch in unserer gegenwärtigen<br />
sowie der zukünftigen Zeit geschieht.<br />
Exemplarisch für Hopes Vorgehen, historische Bezüge<br />
zwar anzudeuten, sie letztlich aber in höchster Ambivalenz<br />
stehen zu lassen, erscheint auch ein weiteres großformatiges<br />
Werk, von ihm als War Wyvers bezeichnet.<br />
Wie eine Ikone sieht das schwarz umrahmte Bild aus, auf<br />
dem vor einem bronzenen Hintergrund das gnadenlos<br />
zerstörerische Wirken zweier Ungeheuer dargestellt ist.<br />
Das eine in Schwarz, mit weit aufgerissenem Maul, folgt<br />
dem anderen in Rot, von wild aufsteigenden Flammen<br />
umgeben. Wyvern ist ein mittelalterlicher Ausdruck für<br />
eine spezielle Art von geflügelten Drachen, die für Krankheit<br />
und Verderben stehen. Hopes Missachtung der Orthografie<br />
fordert zur Interpretation auf: phonetisch gelesen<br />
verwandeln sich die „war wyvers“ in „war weavers“,<br />
werden zu Webern des Krieges. Tatsächlich<br />
erinnert die flächige Ausführung an einen Bildteppich,<br />
auf dem zeichenhafte Applikationen mit Pfeilen und To-