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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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heraus. Bis zu seiner Abreise nach Berlin hatte Kodály mit Bartók daran gearbeitet. Sie erkannten,<br />

„daß die irrtümlicherweise als Volkslieder bekannten ungarischen Weisen - die in Wirklichkeit mehr<br />

oder minder triviale volkstümliche Kunstlieder sind - wenig Interesse bieten“ 16 , dass aber, wie<br />

Kodály schrieb, in der unbekannten Bauernmusik „die Fünfstufentonleiter, der Anfang der Musik so<br />

vieler, vielleicht aller Völker, auch bei uns blüht und lebt. Wir wissen es seit 1907, als Béla Bartók<br />

zum erstenmal derartige Lieder in großer Zahl bei den Szeklern fand.“ 17 Bartók betonte, dass es<br />

nicht um das Wiederfinden einzelner, alter Melodien ging, sondern um neue Musik. „Unsere Aufgabe<br />

war, den inneren Geist dieser bislang unbekannten Musik zu verstehen und einen neuen<br />

musikalischen Stil, basierend auf diesem essentiell unausdrückbaren Geist zu schaffen.“ 18 Ihr Impuls<br />

richtete sich gleichermaßen gegen die als „westlich“ apostrophierte Welt der Musikakademie wie<br />

gegen die folkloristische Tradition des „Volksstückes“, gegen die Habsburger und „die Deutschen“<br />

wie gegen die ungarische Intelligenz in Budapest selbst und war nicht frei von Antisemitismus: „Da<br />

haben sich allerlei hergelaufene Deutsche und Juden vers<strong>am</strong>melt.“ 19<br />

Hier vereinigten sich die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, die Hinwendung zur Volksüberlieferung<br />

und zunehmende politische und soziale Opposition mit nationalen Aspirationen im Kontext der<br />

fragilen österreich-ungarischen Doppelmonarchie. Bartók und Kodály fanden „über die ungarische<br />

Volksmusik zur europäischen Musikkultur“. 20 Auf der Suche nach dem Ursprung ungarischer Kultur,<br />

sich versenkend in eine „primitiv“ anmutende Musikalität, stießen sie dabei freilich auf die<br />

Hauptströmung der europäischen Moderne - eine Moderne, die sich dem „Primitiven“ auf breiter<br />

Front, als Zugang zu einer neuen Ursprünglichkeit, annähern wollte, von Wilhelm Worringers<br />

Neubewertung der Gotik bis zur Hinwendung zu afrikanischer Kunst, von Betrachtungen über<br />

japanische Ker<strong>am</strong>ik 21 bis hin zu Gauguins „Flucht“ in die Südsee, über die Lukács 1907 schrieb:<br />

16<br />

Béla Bartók, „Autobiographie (1921)“, in: ders., Ausgewählte Briefe. Budapest: Corvina, 1960, S. 119.<br />

17<br />

Zoltán Kodály, „Ötfokú hangsor a magyar népzenében“ [Fünfstufentonleiter in der ungarischen Volksmusik],<br />

in: Zenei Szemle [Musikalische Rundschau], März 1917, zitiert nach Horváth, Die Jahrhundertwende in Ungarn,<br />

S. 209.<br />

18<br />

Béla Bartók, „Magyar népzene és uj magyar zene“ [Ungarische Volkslieder und ungarische Musik], in: ders.,<br />

Önéletrajz: Irások a zenéröl [Autobiographie und Aufsätze über Musik]. Budapest 1946, S. 22, zit. nach Mary<br />

Gluck, Georg Lukács and his Generation. C<strong>am</strong>bridge, Mass./London: Harvard University Press, 1985, S. 112.<br />

19<br />

Bartók, Ausgewählte Briefe, S. 47.<br />

20<br />

Horváth, Die Jahrhundertwende in Ungarn, S. 212.<br />

21<br />

„Woher die wunderbare Wirkung dieser gewollten, völligen Formlosigkeit? So als würden sie die hinter den<br />

Formen und Erscheinungen befindliche Ur-Lebensmaterie fühlbar machen wollen.“ Balázs, „Halálesztétika“, S. 298.<br />

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