WISSENSCHAFTS JOURNAL
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scientia halensis 4/2001<br />
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Fachbereich Musik-, Sport- und Sprechwissenschaft<br />
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18<br />
SPORT ALS MITTEL DER RESOZIALISIERUNG<br />
VON JUGENDLICHEN STRAFGEFANGENEN<br />
Theo Austermühle und Andreas Lau<br />
Im Rahmen der Bemühungen um eine erfolgreiche Resozialisierung von jugendlichen<br />
Strafgefangenen wird in der Jugendanstalt (JA) Halle eine ganze Reihe sozialtherapeutischer<br />
Maßnahmen organisiert. Eine wichtige Säule der Freizeitangebote ist der Sport.<br />
Nach dem Umbau einer alten Werkhalle zur Sportstätte besteht für die Jugendlichen seit<br />
1993 die Möglichkeit, ganzjährig Sport zu treiben. Das erforderte von Anfang an eine<br />
qualifizierte sportfachliche Betreuung der neuen Sportgruppen. So wandte sich der Anstaltsleiter<br />
an das Institut für Sportwissenschaft der halleschen Universität, es begann die<br />
Zusammenarbeit. Seit nunmehr sieben Jahren nutzen Diplomsportstudenten diese Partnerschaft,<br />
um im Hauptstudium ihre Projektarbeit (4 SWS) in der JA Halle zu leisten. Die<br />
wissenschaftliche Betreuung liegt in den Händen von Prof. Dr. Theo Austermühle und<br />
Dr. Andreas Lau. Bisher waren über 25 Studierende als Übungsleiter in den verschiedensten<br />
Sportarten im Einsatz.<br />
Schwerpunkt liegt auf Sportspielen<br />
Das regelmäßige Sporttreiben soll den jugendlichen<br />
Strafgefangenen einen Ausgleich<br />
für die vorherrschende Bewegungsarmut<br />
bieten und durch die Steigerung der<br />
physischen Belastungsfähigkeit ihre Gesundheit<br />
fördern. Die Stärkung des Selbstwertgefühls<br />
und der Abbau psychischer<br />
Spannungen stellen ebenso Ziele dieser<br />
sportlichen Aktivitäten dar wie die Entwicklung<br />
sozialer Verhaltensweisen und<br />
des Bedürfnisses nach einer sinnvollen<br />
Freizeitgestaltung. Hierfür eignen sich vor<br />
allem Sportspiele, weshalb der Schwerpunkt<br />
der Projektarbeit auf die Betreuung<br />
der Basketball-, Fußball- und Volleyballmannschaften<br />
gelegt wurde.<br />
Die Anzahl der Teilnehmer an den<br />
Übungsstunden schwankt zwischen 6 und<br />
20. Durchschnittlich nehmen 100 bis 150<br />
Häftlinge pro Woche an den organisierten<br />
Sportstunden teil. Zusätzlich werden die<br />
Krafträume und die Tischtennisanlagen<br />
stark frequentiert. So kann man davon ausgehen,<br />
dass etwa ein Drittel der Inhaftierten<br />
mehr oder weniger regelmäßig Sport<br />
treiben und die Tendenz ist zunehmend.<br />
Die Arbeit mit den Jugendlichen verläuft<br />
unproblematisch. Im Vordergrund der<br />
Trainingsstunden stehen natürlich Spielformen.<br />
Besonderer Wert wird darauf gelegt,<br />
dass alle beteiligten Spieler die Spiel-<br />
Anzeige<br />
regeln und Formen des Fairplay einhalten.<br />
Das regelmäßige Training und der kontinuierliche<br />
Kontakt der Jugendlichen mit<br />
ihren studentischen Übungsleitern weckte<br />
bei ihnen das Interesse an sportlichen Vergleichen<br />
und regelmäßigeren Kontakten<br />
mit nicht inhaftierten Jugendlichen. Diese<br />
Tatsache wurde genutzt, um die Projektarbeit<br />
zu intensivieren. So half das Institut<br />
für Sportwissenschaft bei der Organisation<br />
von Anstaltssportfesten und Spielturnieren<br />
und suchte darüber hinaus nach Möglichkeiten<br />
zum integrativen Sporttreiben. Es<br />
gelang, mit Unterstützung der Sportjugend<br />
des Landes Sachsen-Anhalt jährlich bis zu<br />
zwei Streetball-Turniere auf dem Freigelände<br />
der JA zu organisieren. Bis zu 50<br />
Spieler pro Turnier wurden gezählt. Die<br />
Teams der Sportstudenten und des USV<br />
Halle wurden voll akzeptiert, und die erhoffte<br />
Integration fand erste Impulse in der<br />
Bildung »gemischter« Mannschaften.<br />
Nach Haftentlassung weiter Sport treiben<br />
Die wissenschaftlichen Begleitstudien, die<br />
von den Studierenden neben ihrer praktischen<br />
Tätigkeit eigenverantwortlich zu<br />
planen und durchzuführen sind, sollen die<br />
Wirkungen der sportlichen Aktivitäten auf<br />
das Verhalten der inhaftierten Jugendlichen<br />
dokumentieren. Dabei stehen vor al-<br />
Jugendliche Strafgefangene beim gemeinsamen<br />
Basketballspiel mit Sportstudenten der halleschen<br />
Universität.<br />
Foto: Dyck<br />
lem sportsoziologische und -psychologische<br />
Fragestellungen im Mittelpunkt des<br />
Interesses. So erfasste F. Wirth im Rahmen<br />
seiner Diplomarbeit Einstellungen<br />
und Motive zum Freizeitverhalten und<br />
zum Sport der Jugendlichen in der JA Halle<br />
vor der Straftat und zu ihrer Prognose<br />
für die Zeit nach der Haft. Die Hauptmotive<br />
der 101 befragten Jugendlichen zum<br />
Sporttreiben in der JA sind vor allem der<br />
Erhalt der körperlichen Gesundheit und<br />
die Verbesserung der Fitness, aber auch<br />
soziale Anschlussmotive haben eine hohe<br />
Bedeutung. So hoffen die Jugendlichen,<br />
beim Sporttreiben später neue Freunde<br />
kennen zu lernen. Letzteres erhält eine besondere<br />
Gewichtung, da 90 Prozent der<br />
Befragten das Bedürfnis anzeigten, auch<br />
nach der Entlassung weiterhin Sport zu<br />
treiben. Knapp die Hälfte davon könnte<br />
sich vorstellen, einem Sportverein beizutreten.<br />
Sowohl die praktische Hilfe als auch die<br />
Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitstudien<br />
finden bei der Anstaltsleitung große<br />
Anerkennung. Bleibt zu hoffen, dass<br />
diese positiven Erfahrungen auch nach<br />
dem Umzug in die neue Jugendanstalt von<br />
Raßnitz zur Fortführung und Erweiterung<br />
der Freizeitsportangebote für möglichst<br />
viele Inhaftierte beiträgt.<br />
■<br />
Dr. Andreas Lau arbeitet seit 1983 als<br />
wiss. Mitarbeiter am Institut für Sportwissenschaft.<br />
Seine Schwerpunkte in Lehre<br />
und Forschung liegen auf den Gebieten<br />
der Sportpsychologie, in den Sportspielen<br />
und im Kampfsport.<br />
Prof. Dr. Theo Austermühle – Autoreninformation<br />
siehe Seite 4.