WISSENSCHAFTS JOURNAL
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scientia halensis 4/2001<br />
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Fachbereich Musik-, Sport- und Sprechwissenschaft<br />
KORONARE HERZKRANKHEIT UND SPORTTHERAPIE<br />
PSYCHISCHE BEWÄLTIGUNG VON CHRONISCHEN ERKRANKUNGEN<br />
Kati Dürrenfeld und Cornelia Demuth<br />
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Besonders in psychologisch orientierten Studien zur Koronaren Herzkrankheit (KHK) un-<br />
34 tersuchte man, dass diese chronische Erkrankung mit globalen schwerwiegenden, körperlichen<br />
und psychosozialen Belastungen einhergehen können, die im Prozess der Krankheitsbewältigung<br />
an die Patienten besondere Anforderungen stellen. Eine moderne Langzeitrehabilitation<br />
zielt sowohl auf eine Optimierung kardiophysiologischer Paramater<br />
auch die Wiederherstellung der psychischen Stabilität, die sich in einer individuumsspezifischen<br />
Wahrnehmung von »Gesundheit« bei den Patienten (vgl. Saner, H., 1993,<br />
S. 154).<br />
Ausgehend von stresstheoretischen Modellen<br />
(Lazarus & Folkman, 1984) bzw.<br />
der Life-event-Forschung (Filipp,1984)<br />
liegt ein Schwerpunkt der klinisch- psychologischen<br />
Forschung auf der psychischen<br />
Bewältigung von chronischen Erkrankungen.<br />
Am Institut für Sportwissenschaft wurde<br />
spezifisch der Fragestellung nachgegangen,<br />
ob in Abhängigkeit von der Verlaufsform<br />
der KHK und der aktuellen physischen<br />
Belastbarkeit der Patienten eine<br />
Teilnahme an sporttherapeutischen Maßnahmen<br />
den Prozess der Krankheitsverarbeitung<br />
positiv unterstützt.<br />
Die Untersuchungen wurden im Rahmen<br />
einer Diplomarbeit in der Rehabilitationsklinik<br />
»Elbe-Saale« in Barby durchgeführt.<br />
Die Patientenstichprobe wurde zwei<br />
Versuchgruppen zugeordnet: Patienten<br />
nach Bypassoperation (ohne Infarktereignis)<br />
und Patienten nach Herzinfarkt. Ebenso<br />
wurden beide Versuchsgruppen aufgrund<br />
ihrer physischen »Rest«-Leistungsfähigkeit<br />
zu Beginn des Klinikaufenthaltes<br />
belastungsspezifischen »Herzgruppen« zugeordnet.<br />
Die Aufgaben in der Sporttherapie reichten<br />
dabei von einem täglichen Ergometertraining<br />
(»HG/ 0«) bis zu intensiven physischen<br />
Tagesbelastungen (»HG/4«), die<br />
neben dem täglichen Ergometertraining<br />
durch Gehtraining, Wassertherapie eine<br />
Funktionsgymnastik in der Gruppe und<br />
ein koodinativ-konditionell belastendes<br />
Zirkeltraining erweitert wurden.<br />
In einem Prä-Posttest-Design wurde zur<br />
Datenerhebung der »Freiburger Fragebogen<br />
zur Krankheitsverarbeitung-FKV<br />
102« von F. A. Muthny (1989) eingesetzt.<br />
Aus der Varianzanalyse über die Zeit<br />
konnte ein signifikanter Interaktionseffekt<br />
zwischen den Krankheitsformen und dem<br />
Summenscore der Krankheitsverarbeitung<br />
(siehe Abbildung) ermittelt werden. Aus<br />
den signifikant veränderten Daten ausgewählter<br />
Skalen wird deutlich, dass die Infarktpatienten<br />
nach dreiwöchiger Rehabilitationsmaßnahme<br />
im Vergleich zu den Bypasspatienten<br />
Ereignisse weniger depressiv<br />
verarbeiten (p=,003**), ihre Erkrankung<br />
deutlich weniger bagatellisieren und ihre<br />
Krankheit eher realistisch beurteilen<br />
(p=,007**). Weiterhin ergeben die Daten,<br />
dass die Bypasspatienten auch nach der<br />
Rehabilitation ihre Emotionen stärker kontrollieren<br />
bzw. sich immer noch stärker aus<br />
sozialen Beziehungen zurück ziehen, als<br />
das die Herzinfarktpatienten tun (p=,014*).<br />
Die Ergebnisauswertung der physischen<br />
Leistungsfähigkeit verdeutlicht, dass sich<br />
die einzelnen Herzsportgruppen (HG) signifikant<br />
in der Subskala »Depressive Verarbeitung«<br />
unterschieden. Erwartungskon-<br />
form weisen Bypasspatienten mit geringer<br />
kardiovaskulärer Belastbarkeit (HG/0) im<br />
Posttest signifikant höhere Depressionswerte<br />
(p=,008*) als Bypasspatienten, die<br />
kardiovaskulär stärker belastbar waren und<br />
dadurch auch an vielfältigen sporttherapeutischen<br />
Maßnahmen teilnehmen konnten.<br />
Bei den Herzinfarktpatienten dagegen<br />
traten keine Unterschiede in den einzelnen<br />
Belastungsgruppen bezüglich aller Skalen<br />
der psychischen Krankheitsverarbeitung<br />
auf.<br />
Es kann geschlussfolgert werden, dass das<br />
Überleben eines Herzinfarktes dem Patienten<br />
eine Chance zur Neuorientierung bietet.<br />
Sporttherapie unterstützt die Bewältigung<br />
bei Infarktpatienten stärker als bei<br />
Bypasspatienten. Bypasspatienten erleben<br />
schon über längeren Zeitraum pathophysiologische<br />
Symptome, die sie als »bedrohlich«<br />
wahrnehmen und denen sie<br />
wahrscheinlich auch schon relativ hilflos<br />
»ausgeliefert« waren. Deshalb erscheint es<br />
nur logisch, dass sich dieser Prozess nach<br />
einer dreiwöchigen Rehabilitation eben<br />
noch nicht in einer vom Patienten selbst<br />
wahrnehmbaren kognitiven Umstrukturierung<br />
befinden kann.<br />
■<br />
Darstellung der MW-Unterschiede im Prä-Post-Vergleich von Krankheitsverarbeitung (gesamt) beider<br />
Untersuchungsgruppen<br />
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Autoreninformation Dr. Cornelia Demuth<br />
– siehe Seite 17.<br />
Kati Dürrenfeld wird das 2001 erfolgreich<br />
bearbeitete Diplomthema im Rahmen eines<br />
Promotionsstudiums am Institut für Sportwissenschaft<br />
fortführen.