12.12.2012 Aufrufe

WISSENSCHAFTS JOURNAL

WISSENSCHAFTS JOURNAL

WISSENSCHAFTS JOURNAL

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

scientia halensis 4/2001<br />

...............................................................................<br />

Fachbereich Musik-, Sport- und Sprechwissenschaft<br />

................................................................................<br />

orientiertes Konzept war, reichen die aus<br />

4 der damaligen Zeit heraus entstandenen<br />

theoretischen Konstrukte nicht mehr aus,<br />

um daraus allein theoretische Diagnoseund<br />

Interventionsmuster abzuleiten.<br />

Der Sport im Blickfeld der Soziologie<br />

Der Sport im Blickfeld der Debatte von<br />

Zivilisations- und Kultursoziologen wird<br />

spätestens seit Norbert Elias und seinen<br />

Schülern engagierter geführt. Die hieraus<br />

resultierenden Theorie-Praxis-Bezüge fanden<br />

z. B. in den durch G. Pilz seit Jahren<br />

geführten Projekten zur Fanproblematik<br />

und zur Aggressionsforschung ihren Niederschlag.<br />

Ähnliche Bemühungen um die sportwissenschaftliche<br />

Theorienbildung sind vor<br />

dem Hintergrund der funktional-strukturellen<br />

Systemtheorie Niklas Luhmanns durch<br />

die Sportsoziologen H. Digel, K. H. Bette,<br />

K. Chachay, aber auch aus der Soziologie<br />

selbst durch U. Schimank und, insbesondere<br />

im Hinblick auf den organisationssoziologischen<br />

Hintergrund, durch K.<br />

Heinemann zu nennen (letzterer eher ein<br />

Anhänger des Strukturfunktionalismus).<br />

Zu Recht wurde in jüngster Zeit darauf<br />

verwiesen, dass die sehr ausufernde Betrachtung<br />

der Sportszene (»Sport für alle«<br />

und »Sport für alles«) die Sinnperspektive<br />

des Sports nicht auf seine eigentlichen<br />

Wurzeln, seine autonomen Sinninhalte reduziert.<br />

Nach Sven Güldenpfennig vermisst<br />

man in allen Diskussionen um die<br />

autonomen Werte und konstitutiven Elemente<br />

des Sports vor allem eine hinreichende<br />

Klarheit ȟber die Sinngrenzen des<br />

Handlungs- und Untersuchungsraumes<br />

dieses Kulturmusters Sport,« (Sven Güldenpfennig:<br />

Der Hochschulsport – Teil der<br />

Hochschul- und der Sportkultur. Eine<br />

theoretische Problemskizze. In: Weimarer<br />

Vorträge über Beziehungen des Sports zu<br />

Kunst und Kultur. Weimar Universitätsverlag<br />

2000, 122) die es ermöglichen würde,<br />

das Wesentliche dieses Phänomens<br />

menschlicher Kultur zu bestimmen, und<br />

die methodischen Instrumentarien zu seiner<br />

Untersuchung bereit zu stellen.<br />

Ähnlich äußert sich Niklas Luhmann zur<br />

hier diskutierten Problematik, wenn er darauf<br />

verweist: »Der Sport legitimiert das<br />

Verhalten zum eigenen Körper durch den<br />

Sinn des Körpers selbst- ...und er tut dies,<br />

ohne sich an Sinndomänen anderer Provenienz<br />

anhängen zu müssen.« (Zitiert nach<br />

R. Hitzler: Ist Sport Kultur? In: Zeitschrift<br />

Judo gehört zu den Wintersportarten beim Bundeswettbewerb der Schulen.<br />

für Soziologie 20. Jg., 1991, 6, 486)<br />

In der Tat scheint das größte Problem in<br />

der Ausgrenzung der Inhalte und Erwartungen<br />

zu bestehen, die weitgehend außerhalb<br />

des eigentlichen sportlichen Tuns und<br />

Gestaltens soziale Aufgaben lösen helfen,<br />

als gesellschaftlich erwünscht erscheinen<br />

und Ersatzfunktionen für anderweitig defizitäre<br />

kulturelle Wert- und Handlungsmuster<br />

erfüllen, wie dies uns beispielsweise in<br />

der Freizeitgestaltung Jugendlicher (Langeweile,<br />

unterentwickelte kulturelle Bedürfnisse,<br />

mangelnde Qualifikation zur<br />

Meisterung der Freizeit usw.) mitunter entgegentritt.<br />

Sport als selbstzweckhafte körperliche Aktivität,<br />

mit deren Hilfe die Sporttreibenden<br />

Anerkennung erwerben, ihre Grenzen im<br />

Sinne der Selbstverwirklichung erfahren<br />

wollen, sich freiwillig Normen und Sanktionen<br />

unterwerfen, bewusst Schwierigkeiten<br />

stellen, häufig lustvoll scheinbar ganz<br />

überflüssige Strapazen auf sich nehmen,<br />

sind Kernpunkte dieser Sinnstruktur. Güldenpfennig<br />

weist in diesem Zusammenhang<br />

darauf hin, dass der erstrebte Sieg<br />

über einen eventuellen Gegner (oder sich<br />

selbst) nur ein Hilfsmittel im Prozess der<br />

Herausforderung »aller Reserven bei dem<br />

Bestreben nach Selbstvervollkommnung<br />

oder Selbstüberbietung« (S. Güldenpfennig<br />

a. a. O., 123) sei.<br />

Eine Theorie der Körperkultur hat sich<br />

deshalb zwar an dieser Sinnperspektive<br />

der Gestaltung spezifischer kultureller Prozesse<br />

im Sport messen zu lassen. Vernetzungen<br />

zu sozialen Handlungsfeldern und<br />

Partnern, die gleichfalls kulturelle Teilsysteme<br />

verkörpern können, werden dabei<br />

zunehmend an Bedeutung gewinnen, wenn<br />

man an Wirtschafts-, Organisations-, Gesundheits-,<br />

Freizeit-, Gewaltprobleme oder<br />

sportethische Fragen denkt.<br />

Angesichts moderner Entwicklungen im<br />

Sport des beginnenden 21. Jahrhunderts,<br />

die den Zuschauersport, die Rezeption von<br />

Sport in den Massenmedien, der Kapital-<br />

Foto: A. Schröter<br />

erträge im und durch den Sport in bisher<br />

nicht gekannten Dimensionen, besteht die<br />

Gefahr, dass für den Sportwissenschaftler,<br />

noch mehr aber für den Alltagssportler<br />

und Sport-Konsumenten, die Sinndomäne<br />

des Sports abhanden kommt. Sportferne<br />

Phänomene können bewusst oder unbewusst<br />

für den Kern einer Theorie der Körperkultur<br />

gehalten werden. Die Folge können<br />

dann defätistische Diskussionen über<br />

Skandale in der olympischen Bewegung<br />

einer am Kapitalismus orientierten Gesellschaft,<br />

über amoralische Haltungen von<br />

Sportlern und Sportführern, über Dopingpraktiken<br />

in einigen spektakulären Sportarten<br />

und ähnliches sein. Sportsoziologie<br />

als theoriegeleitete empirische Wissenschaft<br />

wird sich auch künftig insbesondere<br />

den Verknüpfungen des Sports mit anderen<br />

kulturellen, wirtschaftlichen, öffentlichkeitswirksamen<br />

oder gesundheitspolitischen<br />

Themen zuwenden. Theoriegeleitetes<br />

Vorgehen heißt dabei für den Wissenschaftler,<br />

die soziologischen Gegenwartsdiagnosen<br />

und eventuell daraus abzuleitenden<br />

Prognosen am Sinnkern des<br />

Sports, aber auch erweitert, der Körperkultur<br />

zu orientieren.<br />

■<br />

Prof. Dr. Theo Austermühle (Jahrgang<br />

1936) vertrat bis zum Frühjahr 2001 das<br />

Fachgebiet Sportwissenschaft mit den<br />

Schwerpunkten Sportsoziologie und Sportgeschichte<br />

am Institut für Sportwissenschaft<br />

der Martin-Luther-Universität. Seine<br />

Arbeitsschwerpunkte lagen in der<br />

Sportgeschichte (Promotion 1971) und<br />

Sportsoziologie (Habilitation 1983), insbesondere<br />

hier in der Lebensweise- und<br />

Studentenforschung. Jüngere Arbeiten<br />

widmen sich der zeitgeschichtlichen Forschung<br />

zur Entwicklung der DDR-Sportwissenschaft<br />

und des DDR-Alltagssports.<br />

Von 1992 bis 1998 war er Direktor des Instituts<br />

für Sportwissenschaft in Halle. Seit<br />

April 2001 ist er im Ruhestand.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!