Frankfurt - Strandgut
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Nirvana Burning<br />
Fazil Say-Wochenende im Hessischen Rundfunk<br />
Als »Artist in Residence« des hr-Sinfonieorchesters<br />
wird diesmal einer<br />
zu Gast sein, der ein solches Forum<br />
wirklich verdient: der türkische Pianist<br />
und Komponist Fazil Say.<br />
Ist die Kunstmusik des osmanischen<br />
Landes, vielleicht abgesehen<br />
von Adnan Saygun im letzten Jahrhundert,<br />
weitgehend in Vergessenheit<br />
geraten, so erscheint ein derart<br />
leidenschaftlicher Vertreter wie<br />
Fazil Say so etwas wie eine Reinkarnation:<br />
folkloristische Instrumente<br />
wie Ney-Flöte, Schellen und Trommeln,<br />
für unsere Ohren fremdartige<br />
Klänge finden in seinen ausufernden<br />
Improvisationen und Kompositionen<br />
Raum – wobei das Klavier<br />
nur Ausgangspunkt musikalischer<br />
Exkursionen sein kann, die für Say<br />
in den unbekannten Welten des<br />
Universums nicht enden wollen<br />
(»Universe Symphony«).<br />
Schaut man sich das kompositorische<br />
Oeuvre des Ausnahmepianisten<br />
an, so könnte man dahinter<br />
das Lebenswerk eines etablierten<br />
Komponisten vermuten. Neben<br />
unzähligen Klavierwerken (Solo<br />
und mit Orchester), Oratorien oder<br />
Kammermusiken haben bereits ein<br />
respektables Violinkonzert »1001<br />
Nächte im Harem« (mit der großartigen<br />
Kopatschinskaja als Solistin)<br />
und ein Klarinettenkonzert (selbstverständlich<br />
mit Sabine Meyer) ihre<br />
gefeierten Uraufführungen erlebt.<br />
Die Oper »Sivas 93« als Auftragswerk<br />
des Mozarteums Salzburg ist<br />
noch in Arbeit.<br />
Dabei ist der 42-jährige, in Ankara<br />
geborene Musiker erst »mittendrin«.<br />
Begonnen hat er früh mit<br />
dem Klavierstudium, fühlt sich<br />
– in der dritten Generation – zwar<br />
noch irgendwie der romantischen<br />
Cortot-Schule verpflichtet, hat sich<br />
aber recht bald von den Fesseln des<br />
etablierten (Klassik-)Interpreten<br />
befreit und auf musikalische Zeitreisen<br />
begeben. Seine weltweiten<br />
Konzerte sind, sofern er nicht<br />
sinfonisch (Klavierkonzerte von<br />
Mozart, Beethoven, Ravel) eingebunden<br />
ist, stets geprägt von einem<br />
freiem Geist– der er auch politisch<br />
ist! – und ungebändigtem, ja ungestümem<br />
Willen, alle Grenzen<br />
zu sprengen. So beginnen seine<br />
Klavierabende gelegentlich mit Mozarts<br />
Sonate KV 331, deren berühmter<br />
»türkischer Marsch« am Ende<br />
schon mal in einer stürmischen<br />
Jazz-Improvisation untergeht.<br />
Wenn er bei Beethovens »Appassionata«<br />
seltsame Rubati zuläßt oder<br />
im Schlußsatz mit »Leidenschaft«<br />
(appassionato) messerscharfe,<br />
metallische Akkorde exekutiert, so<br />
mag einem Angst und Bange um<br />
den teuren Steinway werden. Man<br />
muß das nicht mögen, aber es gibt<br />
keinerlei Zweifel an der Ernsthaftigkeit<br />
seiner musikalischen Gedankensprünge,<br />
die einen irgendwie<br />
immer mitreißen. Wenn er in seiner<br />
Eigenkomposition »Schwarze Erde«<br />
das präparierte Klavier á la John<br />
Cage bearbeitet, in die Saiten des<br />
Instruments hineingreift und dadurch<br />
mystische Klänge des Orients<br />
evoziert, so ist das mehr als nur<br />
Kunstwerk: da geht einer voll und<br />
ganz in der musikalischen Materie<br />
seiner türkischen Wurzeln auf. Das<br />
hat mit der gestylten Show des<br />
alerten, geigenden »Wunderkinds«<br />
David Garrett oder dem jüngst zu<br />
bestaunenden Zirkusartisten Lang<br />
Lang absolut nichts gemein.<br />
Ich nenne es einen Glücksfall, wenn<br />
der hr Fazil Say am Wochende des<br />
10. und 11. November als Gast »in<br />
Residence« empfängt und ihn sich<br />
in allen Facetten austoben läßt.<br />
Eine Fazil Say-Nacht startet mit<br />
einem Auftragswerk des hr und des<br />
Mozarteums Salzburg, der »Universe<br />
Symphony« (ob mit den Satzbezeichnungen<br />
wie »Venus« oder »Jupiter«<br />
der spätromantische Gustav<br />
Holst und seine »Planeten« Pate<br />
gestanden haben?). als Kontrastprogramm<br />
folgt Beethovens Sicht<br />
© hr/Deniz Kaplan<br />
auf einen weiteren Planeten mit<br />
der »Mondscheinsonate«, 3 Nocturnes<br />
von Frederic Chopin und, man<br />
mag‘s nicht fassen, Fazil Says fast<br />
einstündige »Istanbul Symphony«<br />
für Riesenorchester, orientalische<br />
Soloinstrumente inklusive. Am<br />
Sonntag folgt eine Matinee in der<br />
Serie der Lunch-Konzerte und nachmittags<br />
Fazil Say als Kammermusikpartner<br />
des Hába-Quartetts mit<br />
Werken von Mozart (s.o.), Haydn,<br />
Erkin und, natürlich, Fazil Say.<br />
Weil der unbequeme Freigeist Say<br />
sich gegenüber »dem schleichenden<br />
Islam« angeblich ungebührlich<br />
geäußert haben soll, wurde ihm<br />
in Istanbul jüngst der Prozeß gemacht,<br />
der nun auf Februar 2013<br />
verschoben worden ist. Erdogan &<br />
Co mit ihrem weltfernen Verständnis<br />
von Meinungsfreiheit sollten<br />
sich glücklich schätzen, ein solch<br />
leidenschaftliches, musikalisches<br />
Sprachrohr für ihre türkische Kultur<br />
in der Welt zu haben. Es ist kaum<br />
anzunehmen, daß eine angedrohte<br />
Haft von bis zu 18 Monaten für<br />
ironische Äußerungen im »twitter«<br />
den Querdenker Say zum Schweigen<br />
bringen wird.<br />
Ganz sicher ein Glück für uns, wenn<br />
wir ihn erleben und in seine Klang-<br />
und Vorstellungswelt für ein paar<br />
Stunden mit eintauchen dürfen.<br />
Wer‘s am November-Wochenende<br />
nicht schafft, kann Fazil Say noch<br />
im Rahmen der Sinfoniekonzerte in<br />
der Alten Oper hören und sehen mit<br />
Ravel/Gerswhin-Klavierkonzerten<br />
(17./18.1.2013) , mit Beethovens 3.<br />
Klavierkonzert (28.2.2013) und Mozarts<br />
A-Dur-Konzert (8./9.3.2013)<br />
im Barock+ des hr – sofern der<br />
Rechtsstaat Türkei dem nicht einen<br />
Riegel vorschiebt.<br />
Termine: 10./11. November 2012<br />
hr-Sendesaal, Infos und Tickets (€ 18 je Konzert<br />
bzw. € 30 Kombiticket, Erm. 50%) bei<br />
www.hr-ticketcenter.de<br />
oder 069/155-2000<br />
Bernd Havenstein<br />
Weitere<br />
Klassik<br />
Konzerte<br />
1.11.2012, 19.30 Uhr<br />
Lichtlied – Liederabend<br />
Soirée am Dom mit Andrea Reuter<br />
(Sopran) und Prof. Angelika Merkle<br />
(Klavier)<br />
Haus am Dom, <strong>Frankfurt</strong><br />
www.hausamdom.bistumlimburg.de<br />
1.+ 2.11.2012, 20 Uhr<br />
Das hr-Sinfonieorchester<br />
Spielt Werke von Sibelius, Tiensuu,<br />
Szymanowski und Debussy unter der<br />
Leitung von Sakari Oramo<br />
Alte Oper, <strong>Frankfurt</strong><br />
www.alteoper.de<br />
02.11.2012 19.30 Uhr<br />
Tanz der Instrumente<br />
Konzert des Kreisjugendorchester<br />
Projekt 2012 mit Werken von Franz,<br />
Ludwig van Beethoven und Engelbert<br />
Humperdinck unter der Leitung von<br />
Gabriele Wegner<br />
Hugenottenhalle Neu-Isenburg<br />
www.hugenottenhalle.de<br />
4.11.2012, 11 Uhr<br />
Brillantes Virtuosentum<br />
Mit Prof. Anne Shih und Leonid Dorfman<br />
an Violine und Klavier<br />
Nebbiensches Gartenhaus<br />
www.frankfurter-kuenstlerclub.de<br />
4.11.2012, 19 Uhr<br />
Das Kammerorchester Neu-Isenburg<br />
unter der Leitung von Werner Fürst<br />
spielt Werke von Haydn, Schumann und<br />
Beethoven<br />
Hugenottenhalle Neu-Isenburg<br />
www.hugenottenhalle.de<br />
10.11.2012, 19 Uhr<br />
Liebestod<br />
Die Philharmonie Merck unter<br />
der Leitung von Wolfgang Heinzel<br />
präsentiert Werke von Wagner und<br />
Bruckner<br />
Staatstheater Darmstadt<br />
www.staatstheater-darmstadt.de<br />
12.11.2012, 20 Uhr<br />
Classic NOA<br />
Noa with the Solis String Quartet guitar<br />
and musical director: Gil Dor<br />
<strong>Frankfurt</strong>er Hof, Mainz<br />
www.frankfurter-hof-mainz.de<br />
18.11.2012, 11 Uhr<br />
19.11.2012, 20 Uhr<br />
Das <strong>Frankfurt</strong>er Opern- und<br />
Museumsorchester spielt Mahler<br />
Sinfonie Sinfonie Nr. 3 d-Moll unter der<br />
Leitung von Sebastian Weigle<br />
Alte Oper, <strong>Frankfurt</strong><br />
www.museumskonzerte.de<br />
18.11.2012, 20 Uhr<br />
Anna Netrebko<br />
singt Werke von Tschaikowsky mit<br />
dem Orchester der Slowenischen<br />
Nationalphilharmonie, und dem<br />
Slowenischer Kammerchor<br />
Alte Oper, <strong>Frankfurt</strong><br />
www.alteoper.de<br />
28.11.2012, 20 Uhr<br />
Requiem für Auschwitz<br />
<strong>Frankfurt</strong>er Uraufführung des Werkes<br />
von Roger Moreno Rathgeb mit den<br />
Roma und Sinti Philharmonikern unter<br />
der Leitung von Riccardo M Sahiti<br />
Alte Oper, <strong>Frankfurt</strong><br />
www.alteoper.d<br />
<strong>Strandgut</strong> 11/2012 | 25