Neue Szene Augsburg 2017-07 K
Stadtmagazin für Augsburg mit umfassendem Terminkalender
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27<br />
Die Aufgabe unserer Redakteurs schien denkbar einfach: Er sollte<br />
einen ausgiebigen Eistest machen. Seiner Vorliebe folgend, entschied<br />
er sich dazu, einen ausführlichen Vergleich seines Lieblingseises<br />
durchzuführen. Doch je mehr Pistazieneis er verkostete,<br />
desto unsicherer wurde er hinsichtlich der Frage, was er da<br />
gerade eigentlich aß.<br />
Tests, bei denen man etwas essen darf, sind etwas Wunderbares, eigentlich.<br />
Als mein Chefredakteur mir zuraunte: „Mach mal was mit Eis!“,<br />
habe ich betont nachdenklich an die Zimmerdecke geschaut, die Idee<br />
kurz abgewogen und schließlich gesagt: „Super Idee! Eis essen die Leute<br />
immer!“ Die Erkenntnis war zutreffend und so waren wir beide zufrieden.<br />
Dass es im Eisuniversum so viele Galaxien, so viele Überschneidungen und<br />
Irrtümer gibt, wusste ich zu dem Zeitpunkt natürlich noch nicht, und so<br />
warf ich mich entsprechend unbedarft in die Aufgabe hinein.<br />
Der Auftrag des Chefs war ja eher allgemein gehalten. Er hatte nicht<br />
gesagt: „Teste Erdbeer, Vanille (die eh kein normaler Mensch gern isst),<br />
Schoko und Schlumpfeis.“ Lediglich Eis sollte es sein. Deswegen entschloss<br />
ich mich noch beim Verlassen der Redaktion im Aufzug in der Manier<br />
eines Winkeladvokaten, der einen allgemein formulierten Vertragstext vor<br />
sich hat, die Vorgaben nach meinem Gusto auszulegen. Ich würde meine<br />
gesamten Spesen, die nun auch wieder nicht übertrieben groß waren, für<br />
mein Lieblingseis ausgeben, um festzustellen, wo es das beste Pistazieneis<br />
der Stadt gibt. Ich wollte ein Feinschmecker sein, der seine Pflicht erfüllt<br />
und am Ende ein nuanciertes Urteil spricht. Das war ein ehrgeiziges, doch<br />
kein übertrieben anspruchsvolles Vorhaben. Aber das war es dann eben<br />
doch.<br />
Als Pistazieneistester rechnet man natürlich mit einigen Dingen und<br />
mit anderen Dingen eher nicht. Man erwartet nicht, dass alle Eisproben<br />
gleich cremig sind, auch nicht, dass der Geschmack immer gleich ausgeprägt<br />
ist, nicht einmal eine ähnliche Färbung des Eises erwartet man. Was<br />
man allerdings erwartet: Dass Pistazieneis nach Pistazie schmeckt. Übertrieben<br />
anspruchsvoll ist das nicht. Dachte ich.<br />
Ich begann bei Cortina in der Karolinenstraße. Eine ordentliche Kugel.<br />
Recht hell, ein sehr zartes Lindgrün, das sich in Richtung Blassgelb bewegt,<br />
keine Pistazienstückchen. Normalerweise ist Pistazieneis ja dunkler, dachte<br />
ich, aber wer weiß denn schon wirklich, wie Pistazieneis eigentlich aussieht?<br />
Es sind letztlich alles Gewohnheitswerte. Es kommt darauf an, in<br />
welcher Stadt man aufwächst, welche Straßen und Plätze man frequentiert,<br />
welche Art von Lokalen man bevorzugt. Ich blieb also neutral. Dann leckte<br />
ich daran.<br />
Mein erster Gedanke: Mh, ordentlicher Amaretto!<br />
Aber passte das zusammen? Waren Pistazien vielleicht die Grundsubstanz<br />
für Amaretto? Nein, das waren doch Mandeln. Dachte ich und schon<br />
war das Eis weg. Es schmolz nicht nur, es verflüchtigte sich wirklich sehr<br />
schnell im Mund, so luftig war es. Ich leckte noch mal, schaute zur Sicherheit<br />
zu den Eissorten. Nein, die Verkäuferin hatte es wirklich aus dem Pistazieneisfach<br />
entnommen. Kein Irrtum ihrerseits. Wer weiß, wie viele <strong>Augsburg</strong>er<br />
auf die Art lebenslang denken, dass Pistazie wie Amaretto schmeckt.<br />
Ich war trotzdem weiter zuversichtlich und ging zum nächsten Laden.<br />
Sorento in der Maxstraße. Die Farbe vom Eis entsprach in etwa der<br />
beim Cortina. Auch hier hatten die Eismacher auf Pistazienstückchen<br />
verzichtet, aber das war vielleicht Geschmackssache. Stattdessen war ein<br />
großes Stückchen von etwas anderem im Eis, Pistazie war es aber nicht,<br />
vielleicht Walnuss. Wenn ein Eis aber intensiv nach Pistazie schmeckt, müssen<br />
zur Untermauerung der Eisidentität vielleicht auch nicht zwingend<br />
Bestandteile der Pistazie eingebaut werden. Der Geschmack war jedenfalls<br />
intensiv. Ich war mir nicht ganz sicher, ob es nach Pistazie schmeckte, Amaretto<br />
war es aber schon mal nicht, doch auch hier verflüssigte sich das Eis<br />
überraschend schnell, was schade ist, da man das Eis ja eigentlich im Mund<br />
genießen möchte.<br />
Als nächstes lief ich über den Rathausplatz zu Eber. Ein renommierter<br />
Konditor, so mein Kalkül, würde sich in Sachen Eis wahrscheinlich keine<br />
Blöße geben. Dachte ich, kaufte eine fast farblose Kugel Pistazieneis ohne<br />
Stücke und siehe da: Es schmeckte sehr intensiv. Nach Mandeln und nach<br />
Amaretto. Seltsam, dass die Hersteller, wenn sie schon den Geschmack<br />
nicht mal im Ansatz treffen, nicht wenigstens mit der Farbe des Eises<br />
signalisieren, dass es Pistazieneis sein soll. Ich war vielleicht einfach zu<br />
anspruchsvoll. Pistazien sind ja eher teuer und haben ohnehin keinen starken<br />
Eigengeschmack, was der Versuchung zu tricksen womöglich Tür und<br />
Tor öffnet.<br />
Oder formulieren wir es anders: Der Verzicht auf teure Pistazien<br />
zugunsten einer oder mehrerer günstigerer alternativer Zutaten bei der<br />
Produktion von Pistazieneis würde ökonomisch einen gewissen Sinn ergeben,<br />
ohne diese hypothetische Mutmaßung damit zu einer Tatsachenbehauptung<br />
machen zu wollen.<br />
Oder sagen wir es prononcierter: Natürlich werden wir mit Eis beschissen,<br />
das sich Pistazieneis nennt und in dem keine Spur von Pistazien enthalten<br />
ist. Ich hoffe nur, dass Allergikern bewusst ist, dass sie bei Pistazieneis<br />
nicht auf der sicheren Seite sind. Haselnüsse, Mandeln, Cashew und<br />
Bittermandeln fungieren auch öfter mal als Pistazie.<br />
Santin Eis in der Annastraße muss man da fast schon ein Kompliment<br />
in Sachen Originalität machen. Hier schmeckt das Pistazieneis weder nach<br />
Amaretto noch nach Mandel, leider auch nicht nach Pistazie, dafür aber<br />
sehr intensiv nach Walnuss.<br />
Die Gelateria del corso in der Maxstraße wiederum setzte deutlich auf<br />
den Charme von Stückchen im Eis, nur eben keine Pistazienstückchen,<br />
wahrscheinlich Mandel, danach hat das Eis zumindest geschmeckt. Die<br />
Farbe tendierte wie bei den meisten zu einem sehr milden Lindgrün. Die<br />
Konsistenz war immerhin recht fest.<br />
Erfrischend ehrlich agiert Tutti-Frutti in der Altstadt. Hier fand ich<br />
einen cremigen Mandel-Pistazie-Mix, der auch so genannt wurde. Mildes,<br />
helles Mandeleis gemischt mit intensiver Pistaziencreme. Das ist zwar<br />
streng genommen kein reines Pistazieneis, aber meine Testerstrenge war<br />
inzwischen ohnehin längst den Bach runter und der Mix ist harmonisch<br />
und schmeckt durchaus gut. Wo andere Mandeln als Pistazie deklarieren,<br />
war das sogar geradezu rührend ehrlich und innovativ.<br />
Mit dem Rest meines Budgets ging ich schließlich zum Goldenen<br />
Erker. Die Verkäuferin schaute mich bei der Bestellung lange an und sagte<br />
lächelnd: „Nur die Harten kommen in den Garten.“ Was sie mir damit<br />
sagen wollte, weiß ich nicht, aber - Surprise, Surprise - endlich hatte ich<br />
eine Kugel Pistazieneis mit Pistazien drin. Und das muss folgendermaßen<br />
aussehen und schmecken (vermute ich jetzt mal): gesundes Lindgrün,<br />
weder zu hell noch zu dunkel, feste Konsistenz, die im Mund langsam<br />
cremig wird, Pistazienstücken im Eis enthalten, kein zu starker Eigengeschmack,<br />
Pistazieneis schmeckt mild, aber der Nachgeschmack ist und<br />
unverwechselbar.<br />
Mit diesem Wissen, dem Bauch voll Eis und dem Gefühl, meiner<br />
Pflicht Genüge getan zu haben, beendete ich schließlich den Tag und diesen<br />
Test.<br />
(me)