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Neue Szene Augsburg 2017-07 K

Stadtmagazin für Augsburg mit umfassendem Terminkalender

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brückendeckung<br />

brückendeckung<br />

Gögginger Brückendeckung<br />

DIE KOLUMNE VON UND MIT FLORIAN KAPFER<br />

War ne coole Sache: Während geschätzt zehn<br />

Taxis und fünf Maxstraßenboliden mit gefühlt 120<br />

Stundenkilometern an mir vorüberrasen, werde<br />

ich von der Polizei aufgehalten, weil ich bei Rot<br />

über die Ampel bin. Kann ich verstehen, ich würde<br />

auch lieber mich kontrollieren als das hiesige Red-<br />

Bull-Wodka-Racingteam. Der Wachtmeister sieht<br />

glücklicherweise von einer Strafe ab und belässt<br />

es bei einer Mischung aus mündlicher Belehrung<br />

und Verwarnung (was für ein Service, um drei Uhr<br />

nachts noch eine Kurzeinführung in die StVO!).<br />

Ich weiß nicht mehr, von welcher Festivität ich<br />

kam, das verschwimmt ja gerade ein wenig in<br />

unserer schönen Stadt. Doch fast immer gilt: Nur<br />

ein paar Gehminuten vom Zentrum entfernt ist man<br />

fast schon wieder alleine unterwegs. Vor allem in<br />

den Neubaugebieten erscheint <strong>Augsburg</strong> wie eine<br />

Schlafstadt für erwiesenermaßen glückliche Hundebesitzer.<br />

Ein (un)schönes Beispiel ist der Todesstreifen<br />

im Textilviertel. Das frisch entwickelte Karree<br />

um Textilmuseum und Stadtarchiv ist tagsüber<br />

verwaist und abends menschenleer, lediglich die<br />

Fahnen des neuen Rewe-Supermarktes sorgen für so<br />

was Ähnliches wie Leben.<br />

Das gallische Dorf in diesem Meer der Betontristesse<br />

hinter der Schleifenstraße ist wie so oft ein<br />

über hundert Jahre altes Gebäude, die ehemalige<br />

Gastsstätte »Turamichele«, Heimat des mit viel<br />

Eigenengagement betriebenen »Provino Clubs«.<br />

Dessen Mietvertrag läuft bis 2019 und man muss<br />

kein allzu großer Pessimist sein, um sich berechtigterweise<br />

Sorgen um diese Insel der Alternativkultur<br />

zu machen, wo auch mal Jungs mit nacktem Oberkörper<br />

im Biergarten an einer Nähmaschine sitzen<br />

und aus gebrauchten Textilien Wimpel herstellen<br />

für ihr antirassistisches Fußballturnier - ein Bild<br />

für Göttinnen! Doch vielleicht zeigt sich Besitzer<br />

Riegele noch einsichtig und lässt sich nicht vom<br />

Stadtwerke-Slogan »Hier leben heißt hier Kunde<br />

sein« anstecken. Ich weiß schon, dass der nicht so<br />

gemeint ist, aber die Gleichsetzung von »leben« und<br />

»Kunde sein« ist wirklich unglücklich.<br />

<strong>Augsburg</strong> erinnert mich bisweilen an das berühmte<br />

Zitat von Ödön von Horváth: »Ich bin eigentlich<br />

ganz anders, ich komm nur nicht dazu.« Wer an<br />

einem frühen Sonntagmorgen über die Maxstraße<br />

geht, könnte wirklich den Eindruck bekommen, die<br />

Schlacht auf dem Lechfeld wäre verloren gegangen.<br />

Dagegen konnte man eine halbe Stunde nach dem<br />

Bismarckstraßenfest schon wieder fast vom Gehsteig<br />

essen und auch eine Woche nach dem Modular<br />

bräuchte es nur einen Tag Regen und man würde<br />

nicht mehr glauben, dass hier vor Kurzem noch<br />

30.000 Menschen gefeiert haben.<br />

Doch es hilft nix, so mancher <strong>Augsburg</strong>er wird<br />

zum Tier, wenn er sieht, dass seine Mitmenschen<br />

drei Tage lang Party machen und dabei auch noch<br />

mithelfen bzw. sich leidlich vernünftig benehmen.<br />

Der Park! Die Tiere! Die Wiese! Der Hotelturm!<br />

Könnte ja alles Schaden nehmen. Als wäre an den<br />

anderen 362 modularfreien Tagen nur sanftes<br />

Gezwitscher im Wittelsbacher Park zu hören und<br />

ab und zu ein <strong>Augsburg</strong>er Philharmoniker, der den<br />

frisch geschlüpften Fledermausnachwuchs in den<br />

Schlaf triangelt. Komische Wahrnehmung, zumal<br />

in direkter Nähe zu Gögginger- und Rosenaustraße<br />

und zum Hauptbahnhof. Von dem grotesken Flächenverbrauch<br />

in Gottes schönstem Freistaat ganz<br />

zu schweigen. In welchem Ikea kauft ihr gleich noch<br />

mal eure Billy-Regale? Ach, in dem in der Altstadt?<br />

Na dann ist ja gut!<br />

»Ich bin eigentlich<br />

ganz anders, ich<br />

komm nur nicht<br />

dazu«<br />

Vielleicht liegt’s aber auch nur an dem komischen<br />

Wind, der in letzter Zeit unverhältnismäßig oft die<br />

Blumenkübel vom Balkon holt. Kann kein Zufall<br />

sein, dass wieder so häufig vom einst geplanten Hafen<br />

an der Kahnfahrt die Rede ist. Wie die Fuggerstadt<br />

mit Hafen sich wohl entwickelt hätte? Wenn<br />

mein geliebtes Bleichviertel jetzt eine Miniaturausgabe<br />

der Reeperbahn wäre? Wenn Bertolt Brecht<br />

nicht am Stadtgrabengeländer, sondern auf einem<br />

Pier seiner Marie A. aufgelauert hätte? Das Beste an<br />

<strong>Augsburg</strong> ist der Dampfer nach München!<br />

In Sachen Entspanntheit ist das Eck sowieso<br />

weit vorne. Ganz unter uns: Ich wohne direkt am<br />

Stadtbach und wenn im Sommer Thermometer<br />

und Alkomat ähnliche hohe Werte anzeigen, wird<br />

bisweilen nachts in den Kanal gestiegen. Herrlich<br />

Sache, mach ich jetzt seit sieben Jahren und noch<br />

nie hat mich irgendjemand schwach angelabert,<br />

wenn ich auf dem Rückweg triefend nass in der<br />

Unterhose durch die Gegend tappe wie ein ausgeraubtes<br />

Schlüsselkind nach einem Wolkenbruch. Die<br />

<strong>Augsburg</strong>er hupen nicht mal. Und bei der Qualität<br />

unserer Wassers könnte man aus dem Kanal vermutlich<br />

auch noch saufen. Aber man soll’s ja nicht<br />

übertreiben.<br />

In diesem Sinne: Schönen Sommer noch!<br />

!

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