Vom Verbot zur Gleichberechtigung - Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Vom Verbot zur Gleichberechtigung - Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Vom Verbot zur Gleichberechtigung - Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
106<br />
Zum Glück erwies sich das BVerfG wiederum (wie noch oft in der Folgezeit) als „Helferin“<br />
der Betroffenen. Die Verfassungsbeschwerde einer 21 Jahre alten geschlechtsanpassend<br />
operierten Mann-<strong>zur</strong>-Frau-Transsexuellen hatte Erfolg. Mit Beschluss<br />
vom 16. März 1982 (Az 1 BvR 938/81) entschied das Gericht, dass die<br />
Altersgrenze von 25 Jahren bei der großen Lösung mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar<br />
und daher nichtig ist. Es galt auch keine ersatzweise niedrigere Altersgrenze, sodass<br />
im Extremfall auch Minderjährige (mit Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter) die<br />
rechtliche Anerkennung ihrer neuen Geschlechtszugehörigkeit erreichen konnten.<br />
Zur Begründung führte das BVerfG aus, wenn der Gesetzgeber die geschlechtsanpassende<br />
Operation nicht an ein Mindestalter binde, habe er bei der Folgeregelung,<br />
der rechtlichen Anerkennung der neuen Geschlechtszugehörigkeit, keinen Gestaltungsspielraum<br />
mehr für die Festlegung einer Altersgrenze.<br />
Mit Beschluss vom 26. Januar 1993 (Az 1 BvL 38/92, 40/92 und 43/92) erklärte das<br />
BVerfG dann auch die Altersgrenze von 25 Jahren bei der kleinen Lösung für mit Art.<br />
3 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. Auch in diesem Bereich galt keine ersatzweise<br />
niedrigere Altersgrenze.<br />
Diese Entscheidung enthält grundlegende Ausführungen zum Verständnis des<br />
Gleichheitssatzes. Der Gesetzgeber unterliege einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse,<br />
wenn es sich um die Ungleichbehandlung von Personengruppen<br />
handele, wenn die Betroffenen nicht in der Lage seien, durch ihr Verhalten<br />
die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden<br />
werde, oder wenn sich die Ungleichbehandlung nachteilig auf die Ausübung grundrechtlich<br />
geschützter Freiheiten auswirken könne (BVerfG NJW 1993, S. 1517).<br />
4. Recht auf die dem Zugehörigkeitsempfinden entsprechende Anrede schon<br />
mit der bloßen Vornamensänderung<br />
Mit Beschluss vom 15. August 1996 (Az 2 BvR 1833/95) entschied das BVerfG, dass<br />
Transsexuelle bereits nach einer Vornamensänderung aufgrund von Art. 2 Abs. 1 GG<br />
in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG Anspruch darauf haben, entsprechend ihrem<br />
Zugehörigkeitsempfinden angeredet und angeschrieben zu werden. Eine sehr<br />
wichtige Entscheidung im Zeitalter der Computerisierung, in der viele Behördenschreiben,<br />
wie zum Beispiel Wahlbenachrichtigungen, im zentral gesteuerten Massenversand<br />
erfolgen und die Anrede „Herr“ oder „Frau“ automatisch nach der im<br />
Melderegister gespeicherten, also der personenstandsrechtlichen Geschlechtszugehörigkeit<br />
erfolgt, die ja durch die Vornamensänderung nicht geändert wird. Briefe