Hinz&Kunzt 293 Juli 2017
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WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Bahn warnt vor<br />
klauenden<br />
Flaschensammlern<br />
Eine Durchsage im ICE empört unsere Leserin. Alles nur,<br />
um Reisende zu schützen, sagt die Bahn. Was ist da los?<br />
D<br />
er ICE, in dem Christiane J.<br />
sitzt, hat sein Ziel an diesem<br />
Montag im Mai fast erreicht.<br />
Der Zug fährt gerade in den Hauptbahnhof<br />
ein, als die Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Leserin<br />
diese Durchsage hört: Die Reisenden<br />
sollten auf ihr Gepäck achtgeben,<br />
da sich auf dem Bahnhofsgelände Flaschensammler<br />
befänden, die häufig<br />
Diebstähle verübten. Christiane J.<br />
stockt: Die Bahn bezeichnet Flaschensammler<br />
pauschal als Diebe? Sie beschwert<br />
sich schriftlich. Darüber, dass<br />
die Bahn „gegen eine sehr sichtbare<br />
Gruppe von Menschen hetzt und diese<br />
unter Generalverdacht stellt“.<br />
Maren Reinsch, Leiterin des Kundendialogs<br />
der Bahn, antwortet: Die<br />
Kritik werde „für die interne Auswertung<br />
den zuständigen Fachbereichen<br />
zur Verfügung gestellt“. Christiane J.<br />
hakt nach, will wissen: Distanziert sich<br />
die Bahn „ausdrücklich“ davon, Flaschensammlern<br />
zu unterstellen, sie<br />
würden klauen? Maren Reinsch wird<br />
nun konkreter, schreibt, es habe entsprechende<br />
Beschwerden gegeben. Darauf<br />
müsse man reagieren, heißt es in<br />
der Mail, die Hinz&<strong>Kunzt</strong> vorliegt. Das<br />
diene „ausschließlich der Sicherheit“.<br />
Flaschensammler<br />
am Bahnhof:<br />
allesamt Diebe?<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Nachfrage bei der Bahn. Sprecher Egbert<br />
Meyer-Lovis sagt, es gebe keine expliziten<br />
Durchsagen zu Flaschensammlern.<br />
„Das ist kein Standard“, versichert<br />
er. Aber: Maren Reinsch hat die Durchsage<br />
ja bestätigt und sogar noch mehr:<br />
Solche Durchsagen würde das Zugpersonal<br />
nicht selbst verfassen, schreibt sie<br />
unserer Leserin. Das spricht gegen den<br />
Ausrutscher eines Einzelnen. Und: Bereits<br />
2015 berichtete „Der Tagesspiegel“<br />
von einer Durchsage in Berlin, die der<br />
aus Hamburg auffallend ähnelt und<br />
Bettler verdächtigt: „Im Bahnhof sind<br />
zurzeit organisierte Bettelgruppen unterwegs.<br />
Seien Sie besonders aufmerksam!“<br />
Wer für die Hamburger Durchsage verantwortlich<br />
ist, beantwortete die Bahn<br />
bis Redaktionsschluss nicht.<br />
Was sagt die Bundespolizei, die die<br />
Sicherheit am Hauptbahnhof kontrolliert:<br />
Gab es zuletzt mehr Diebstähle<br />
durch Flaschensammler? „Solche Erkenntnisse<br />
liegen uns nicht vor“, verneint<br />
Sprecher Rüdiger Carstens. Die<br />
Zahl der angezeigten Taschendiebstähle<br />
ist nach Jahren des Anstiegs<br />
2016 dank einer „Zivilen Fahndungsgruppe“<br />
sogar gesunken: von 4327 in<br />
2015 auf 3566 im vergangenen Jahr. •<br />
S-Bahn<br />
Null Toleranz<br />
für Bettler<br />
Die S-Bahn hat einen neuen<br />
„Service“: Fahrgäste können<br />
bei der Kundendialog-Hotline<br />
Bettler und Musiker melden,<br />
wenn sie sich von ihnen<br />
belästigt fühlen. Bei Bedarf<br />
rücken Securitys aus und greifen<br />
ein. Es gelte eine „Nulltoleranzpolitik“,<br />
verkündet<br />
Stephan Schmidt, Sicherheitschef<br />
der S-Bahn, markig<br />
im „Abendblatt“. Es habe<br />
viele Beschwerden gegeben,<br />
sagt Bahn-Sprecher Egbert<br />
Meyer-Lovis auf Nachfrage<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Zahlen<br />
nennt er dazu nicht.<br />
„Eine Denunzierung von<br />
bestimmten Gruppen ist absolut<br />
nicht tragbar“, sagt<br />
Straßensozialarbeiter Johan<br />
Graßhoff, er fürchtet noch<br />
mehr Vertreibung.<br />
Dass es auch anders geht,<br />
zeigt ein Beispiel aus Berlin:<br />
Zwar geht die S-Bahn dort<br />
auch gegen Bettler und Musiker<br />
vor. Aber um Obdachlose<br />
kümmern sich seit Anfang<br />
<strong>2017</strong> zwei Sozialarbeiter der<br />
Stadtmission, finanziert mit<br />
65.000 Euro von der S-Bahn.<br />
Obdachlose mit Security-<br />
Mitarbeitern aus den Zügen<br />
zu holen sei möglich, so der<br />
Berliner Bahn-Sprecher Ingo<br />
Priegnitz, „aber das wäre für<br />
alle Beteiligten unbefriedigend“.<br />
Man wolle lieber dazu<br />
beitragen, „dass Obdachlose<br />
eine neue Lebensperspektive<br />
bekommen“. Sie seien Teil<br />
der Gesellschaft.<br />
„Ein guter Ansatz“, findet<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />
Stephan Karrenbauer.<br />
„Warum kann der nicht auf<br />
Hamburg übertragen werden?“<br />
Hamburgs Bahn-Sprecher<br />
Egbert Meyer-Lovis sagt:<br />
„Die S-Bahn ist kein geeigneter<br />
Ort für Obdachlose.“ Sozialarbeiter<br />
sind hier nicht vorgesehen.<br />
SIM/BELA<br />
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